3 Evangelische Akademie Bad Boll

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September 2019
                                           3

                 Ist das fair?
                 Fair Fashion – Menschenrechte im Ausverkauf ● Kirche bekennt Farbe
                 bei Rüstungsexport ● Schritte hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft
                 ● Was ist Beteiligung – Sicht von jungen Menschen aus der Jugendhilfe
3 Evangelische Akademie Bad Boll
Editorial

		                       Liebe Leserin, lieber Leser,

seit einigen Jahren erlebt das Wörtchen »fair« eine wahre Re-    Auf eine andere Dimension verweist die Herkunft des Wört-
naissance: Es wird in allen Variationen miteinander kombi-       chens »fair«: Im Englischen wird es verwendet, um ein
niert. »Fair*ändern«, »FairPhone«, »Fairer Kobalt«, »Fair        anständiges, redliches oder gerechtes Verhalten zu kennzeich-
parken«, »Faire Woche«, »Faire Kleidung«. Mittlerweile gibt es   nen. Zugleich ist es auch übersetzbar mit »schön, hübsch,
sogar »Faire Fitness«. Ursprünglich stand der »Faire Handel«     hell, günstig, reichlich«. In der Etymologie geht es zurück auf
mit Kaffee, Tee oder Schokolade allein da; mittlerweile ist      den altnordischen Ausdruck »fagr«, der so viel wie »schön,
die Sehnsucht nach einem fairen Verhalten in allen Lebens-       hübsch, freundlich« bedeutet. In Lettland wie auch in Litauen
bereichen präsent – und das ist gut so. Dahinter verbirgt sich   wird dieses Wort als Verb noch genutzt, um das Schmücken
das wachsende Bewusstsein, dass die Lebenshaltung, die wir       oder Hellmachen eines Raumes zu beschreiben. Auch darum
heutzutage einehmen, alles andere als zukunftsfähig ist. Es      geht es also mit gelebter Fairness: Die Freundlichkeit und die
muss gehandelt werden – und zwar jetzt und vor allem ganz        Schönheit des Lebens stehen heute auf dem Spiel, und dieses
konkret. Eine Vertröstung auf eine weit entfernte Zukunft,       Spiel ist ein außerordentlich ernstes Spiel geworden. Es ist
aber auch ein Daher-Reden funktionieren nicht mehr. Die          höchste Zeit, Räume des »Fair*änderns« zu schaffen.
Beispiele, die in dieser Ausgabe des SYM aufgezählt werden,
illustrieren die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeit        In diesem Sinne thematisiert Miriam Hitzelberger (S. 8 ff.) die
eines konkreten Handelns im Alltag.                              Produktionsweise der Kleidungsproduktion, appelliert an die
                                                                 große Macht der Verbraucher_innen und zeigt auch Alternati-
Warum brauchen wir einen fairen Lebensstil, der alle Bereiche    ven auf. Tobi Rosswog (S. 14 f.) spricht die Art des Arbeitens,
des Alltags durchzieht? Eine leicht nachvollziehbare Zahl mag    aber auch die Möglichkeiten einer an den Gemeingütern
dies verdeutlichen: Der »Welterschöpfungstag«, also der Tag,     orientierten Neuausrichtung des Arbeitslebens an. Ruth
an dem die Menschheit die Ressourcen, die ihr die Erde zur       Seyboldt macht in ihrem Beitrag (S. 16 f.) die Rolle der Kinder
Verfügung stellt und die sie auch erneuern kann, aufgebraucht    bzw. Jugendlichen stark, deren Stimme gehört werden muss,
hat und damit auf »Pump« lebt, rückt im Jahreskalender           wenn es um eine faire Entwicklung unserer Gesellschaft geht.
immer weiter nach vorne: In den 1970er Jahren lag er noch im     Die Stimme des Bad Boller Predigers, Politikers und Pazifisten
Dezember, in den 2000er Jahren war es ein September-Tag, im      Christoph Blumhardt kann uns darin Mahnung und Aufforde-
Jahr 2019 ist es schon der 29. Juli. Ein Ende dieser massiven    rung zugleich sein: »Vorwärts, ihr faulen Christen! Hinein in
Übernutzung der Erde ist nicht absehbar. In Deutschland wur-     die Welt, nicht heraus. ›Hinein‹ – das ist Christus!« Ich
de der Welterschöpfungstag 2019 schon am 3. Mai erreicht.        wünsche Ihnen in diesem Sinne eine vorwärts gerichtete
Dies bedeutet, dass wir hierzulande einen Lebensstil pflegen,    Lektüre der Beiträge in diesem Heft!
der drei Erden benötigen würde, wenn er denn die vorhande-
nen Erdressourcen berücksichtigt. Fair ist das auf keinen Fall
– weder gegenüber dem Rest der Menschheit noch gegenüber
der zukünftigen oder der heutigen jungen Generation. Darum
hat die Inflation des Wörtchens »fair« ihre Berechtigung, und
es gilt daran zu arbeiten, dass es dabei nicht nur um eine       Akademiedirektor Prof. Dr. Jörg Hübner
Worthülse geht, sondern um konkretes Handeln.

2                                                                                                                   SYM 3/2019
3 Evangelische Akademie Bad Boll
Inhalt

4                                                                                              24
Aktuell ...                                                                                    Vorschau
▪ Christoph Blumhardt:                                                                         Tagungen vom 6. September
  Prediger, Politiker und                                                                      bis 31. Dezember 2019
  Pazifist – zum 100. Todestag
▪ Bitte um Vergebung für Um-
  gang mit Homosexuellen                                                                       30
▪ Georg Lämmlin wird Direk-                                                                    Aus der Akademie
  tor des Sozialwissenschaft-
  lichen Instituts der EKD                                                                     ▪ Abschied von der
                                                                                                 Akademie: Susanne
                                                                                                 Meyder-Nolte und
6                                                                                                Fabia Spachmann
                                                                                               ▪ Neu in der Akademie:
Akademiegeschichte

                                  8-17
                                                                                                 Tanja Dehner (AFV),
Die Friedensbewegung in der                                                                      Regina Steffes (AFV)
gegenwärtigen Kulturkrise
von Alfred Mechtersheimer,
1983                              Schwerpunkt                                                  32
                                  Ist das fair?                                                Links,
7                                 Menschenrechte und Umwelt im Ausverkauf. Wie Fast            Onlinedokumente
Kunst                             Fashion zur Ausbeutung von Arbeiter_innen beiträgt und

Ernst ist die Kunst, heiter das
                                  die Klimakrise befeuert
                                  Von Mirjam Hitzelberger. S. 8                                33
Leben. Künstler Uwe Ernst
                                                                                               Verlosung
                                  Die Kirche bekennt Farbe. Martina Waiblinger befragt
                                                                                               Impressum
18                                Kiflemariam Gebrewold zum Thema Rüstungsexport, S. 12

Extra
Politische Theologie der
                                  Schritte hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft.
                                  Von Tobi Rosswog, S. 14
                                                                                               34
Hoffnung. Zur Aktualität von                                                                   Kommentar
Christoph Blumhardt               Was ist Beteiligung? Die Sicht von jungen Menschen           Kurswechsel im Kranken-
                                  aus der Jugendhilfe, S. 16                                   haus: Ist das fair?
                                  Von Ruth Seyboldt
20                                                                                             35
Rechenschafts-                    Titelbild
bericht                                                                                        Statt einer
▪ Einführung von Direktor
                                  Am 6. Jahrestag des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza   Meditation
                                  in Bangladesh, dem 24.4.2019, bei dem damals über 1135
  Dr. Jörg Hübner                                                                              Dr. Denis Mukwege fordert
                                  Menschen ums Leben kamen und über 4000 Menschen
▪ Eindrücke von zwei Studien-                                                                  Bundesregierung und EU zum
                                  verletzt wurden, protestieren Arbeiter_innen für bessere
  leiterinnen                                                                                  Handeln auf. Machen Sie mit!
                                  Sicherheit – auf dem Foto eine Verwandte eines Opfers.
▪ Interview mit
  Werner Stepanek                 Foto von Rehman Asad, picture alliance / NurPhoto
▪ Die Akademie in Zahlen

SYM 3/2019                                                                                                                3
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Aktuell

                         Zum 100. Todestag von Christoph Blumhardt – Prediger, Politiker und Pazifist

                         Die Hoffnungstheologie Blumhardts im Deutschen        auf, die ihren Grund darin hätten, dass sich »der
                         Kaiserreich zwischen 1871 und 1918 hatte Akade-       Mensch als das Maß aller Dinge« sehe. Dagegen
                         miedirektor Prof. Dr. Jörg Hübner als Thema für       setzte er eine Erd-Theologie. Das Neue bei Blum-
                         seinen Vortrag gewählt. Der Referent zeigte in        hardt sei, dass er Gott in der Welt gesucht habe.
                         vielen Facetten, wie der international denkende       Im Jahr 1892 sei Hermann Hesse knapp 15-jährig
                         Blumhardt mit dem Militarismus, der Ausbeutung        während einer Adoleszenzkrise sechs Wochen in
                         und dem Nationalismus seiner Zeit zwangsläufig        Bad Boll gewesen, wo er den 50-jährigen Blum-
                         in Konflikt geraten musste. In sechs Stationen        hardt getroffen habe, sagte der Chefarzt der Kin-
                         zeichnete Hübner das Leben Blumhardts nach, der       der- und Jugendpsychiatrie im Göppinger Chris-
                         den deutsch-französischen Krieg durch seine kol-      tophsbad, Dr. Markus Löble, in seinem Impulsvor-
                                                                               trag. Glücklicherweise habe Dr. Heinrich Landerer
                                                                               die Psychiatrisierung des unglücklich verliebten
                                                                               und mit Suizid drohenden Jungen verhindert. Löble
                                                                               wies auf innere neuralgische Berührungspunkte
                                                                               von Hesse und Blumhardt hin, aus denen er zeit-
                                                                               lose Themen ableitete. Und Jahrgang 1842 seien
                                                                               sowohl Karl May als auch Blumhardt gewesen. Ihr
                                                                               Internationalismus, Anti-Rassismus, Anti-Klerika-
                                                                               lismus und beider entschiedener Pazifismus habe
                                                                               sie verbunden. Löble bezeichnete beide als heute
                                                                               »noch immer aktuelle und wichtige Utopisten«.

                                                                               Warum hat Blumhardt nicht in seiner Zeit weiterge-
                                                                               wirkt? Was fasziniert heute? Welche Perspektiven
                                                                               eröffnen sich zum Weiterdenken? – Zu diesen Fra-
                                                                               gen sagte Oberkirchenrat Professor Dr. Ulrich
                                                                               Heckel, Blumhardt sei ein einsamer Rufer in der
Am Freitag, 2. August,   lektive gegenseitige Verdammnis als Katastrophe       Wüste geblieben, weil er in seiner Zeit alle kritisiert
dem Todestag von         bezeichnete. Er beleuchtete die Zeit Blumhardts als   und sich mit allen angelegt habe, mit dem Kultur-
Christoph Blumhardt,     SPD-Landtagsabgeordneter und dessen konkrete          protestantismus seiner Landeskirche und mit der
gab es einen Festakt
                         Aktionen. Das Wichtigste sei für Blumhardt die        Sozialdemokratie. Seine Faszination bestehe darin,
am Friedhof mit Kranz-
niederlegung, Musik      soziale Frage gewesen und die Achtung vor dem         dass wir heute vor ähnlichen Fragen stünden wie
vom Bläserensemble       Menschen, betonte Hübner. Blumhardt habe auf          damals. Besonders die soziale Frage sei heute vom
der Jugendmusikschule    die Friedens- und Menschenrechtsbewegung seiner       Elend der Arbeiterschaft auf die Generationenge-
Göppingen, Erinnerun-    Zeit gesetzt, sich jedoch nicht dauerhaft an sie      rechtigkeit zu transformieren, und es gehe darum,
gen und Reden.           gebunden. Sowohl von der Kirche als auch von der      wie Rechte und Pflichten in einen neuen Ausgleich
                         Sozialdemokratie enttäuscht, habe er sich für eine    gebracht werden könnten. Blumhardts Zukunftszu-
Am Samstag, 3. und
                         Theologie des Friedens im Diesseits eingesetzt.       gewandheit, seine Wachheit dafür, was Menschen
Sonntag 4. August gab
es eine Vielzahl von                                                           umtreibe, seine Lernfähigkeit verbunden mit dem
weiteren gut besuchten   Das über 90-jährige Urgestein der Theologie, Prof.    weltweiten Horizont, das sei auch heute faszinie-
Veranstaltungen: mit     Dr. mult. em. Jürgen Moltmann war von Blumhardt       rend. Die Idee, die Welt mit Respekt als Kosmos
einer Tagung, einem      beeinflusst worden. Er sprach in seinem Vortrag       und als Teil der Schöpfung anzusehen, sei heute in
Begegnungsabend          davon, dass ein Gott der Hoffnung als Vorstellung,    ihrer ökologischen Dimension anziehend. Und sei-
mit Musik und einem      wie ihn Blumhardt gehabt habe, einzigartig in den     ne Reich-Gottes-Hoffnung, die er mit Zuversicht,
feierlichen Gottes-
                         Religionen der Welt sei. Hoffnung eröffne weite       Optimismus und Tatkraft ins Diesseits transferiert
dienst wurde Christoph
Blumhardt in Erinne-     Räume, Kreativität und ergebe Möglichkeiten, denn     habe, wirke ansteckend.
rung gerufen.            alle Wirklichkeit sei von Möglichkeiten umgeben.
                         Moltmann beschrieb die Geschichte von Theolo-            von Annerose Fischer-Bucher aus: NWZ, 29.6.2019, gekürzt.
                                                                                        Siehe auch S. 18-19, 32 und Fotos auf der Rückseite
                         gieansätzen vom 16. bis zum 20. Jhd. mit Befrei-
                         ungs- und feministischer Theologie. Er zeigte die
                         heutigen Bedrohungen der Menschheit durch Kli-
                         mawandel, Artensterben und atomare Bedrohung

4                                                                                                                            SYM 3/2019
3 Evangelische Akademie Bad Boll
Aktuell

Bitte um Vergebung bei Homosexuellen                          Georg Lämmlin wird Direktor des Sozial-
                                                              wissenschaftlichen Instituts der EKD
In einer Andacht der Sommertagung der Landes-
synode stand das Gedenken an das Leid und die                 Georg Lämmlin (59), übernimmt die Leitung
Vergebungsbitte an homosexuelle Menschen im                   des Sozialwissenschaftlichen Instituts (SI) der
Zentrum. Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July           Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in
sagte: »Für die vielen schmerzhaften Erfahrungen,             Hannover. Der habilitierte Theologe wird Nach-
die gleichgeschlechtlich empfindende Mitchristin-             folger von Gerhard Wegner, der im Mai in den
nen und -christen und Mitmenschen in und durch                Ruhestand verabschiedet wurde. Georg Lämmlin
unsere Kirche machen mussten, bitten wir um Ent-              ist Studienleiter an der Evangelischen Akademie in
schuldigung vor Gott und den Menschen.« Der                   Bad Boll. Dort ist er für die Arbeitsschwerpunkte
Landesbischof schilderte Beispiele aus der langen             Wirtschaftsethik, Global Governance und Europa
Verfolgungsgeschichte Homosexueller und wies                  zuständig. Nach dem Theologiestudium in Bethel                Georg Lämmlin ist
darauf hin, dass »in der Vergangenheit bis in die             und Heidelberg wurde Georg Lämmlin 1991 an der                noch Studienleiter
                                                                                                                            an der Evangelischen
Gegenwart gleichgeschlechtlich empfindenden                   Universität Heidelberg mit einer Arbeit über das
                                                                                                                            Akademie in Bad Boll.
Menschen Unrecht, Verachtung, Ausgrenzung und                 Kirchen- und Gesellschaftsverständnis Friedrich               Dort ist er für die
Leid widerfahren ist: in unserer Gesellschaft – und           Schleiermachers promoviert. Das Vikariat und den              Arbeitsschwerpunkte
in unserer Kirche. Wir sind in unserer Synode und             Vorbereitungsdienst zum Pfarramt absolvierte er               Wirtschaftsethik, Glo-
unserer Landeskirche – jenseits der verschiedenen             in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Von               bal Governance und
theologischen Deutungen und persönlicher Über-                1996 bis 2002 war er Wissenschaftlicher Assistent             Europa zuständig.
zeugungen – der festen Auffassung, dass es einen              am Lehrstuhl für Religionspädagogik an der Theo-
lieblosen Umgang, geschichtsvergessene Ausgren-               logischen Fakultät der Universität Heidelberg und
zung oder polemische Verachtung von homo-sexu-                habilitierte sich 2001 mit einer Arbeit zur homileti-
ellen Menschen bei uns nicht geben soll.«                     schen Grundlagentheorie. An der Universität Hei-
                                                              delberg war er im Anschluss als Privatdozent tätig.
July wies darauf hin, dass in vielen Ländern der              Nach einigen Jahren als Pfarrer der Kreuz-/Herzo-
Welt homosexuelle Menschen nach wie vor ver-                  genriedgemeinde in Mannheim, als Polizei- und
folgt, geächtet, mit dem Tode bedroht oder hin-               Notfallseelsorger sowie einer berufsbegleitenden
gerichtet würden. In Deutschland gebe es heute                Ausbildung in Systemischer Organisationsentwick-
weitgehend Gleichberechtigung und Freiheit –                  lung und Gemeindeberatung wechselte Lämmlin
und doch lebten homosexuelle Menschen nicht                   2008 als Studienleiter für gesellschaftspolitische
ohne Angst, würden Opfer von Mobbing: »Wir als                Jugendbildung für das Projekt ›Junge evangelische
Christen in der Gemeinschaft der Kirchen – bei                Verantwortungseliten‹ an die Evangelische Aka-
unterschiedlichen theologischen Haltungen – ha-               demie Baden. 2011 übernahm er die Leitung des
ben für Menschenrechte und Menschenwürde, also                Theologischen Instituts der Universität Mannheim.
konkret: die Rechte auch dieser Schwestern und                Ab 2014 ist er als außerplanmäßiger Professor für
Brüder, für ihre Würde einzutreten und sie öffent-            Praktische Theologie und seit September 2016 als
lich zu bezeugen.« ...                                        Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad
»Wir sprechen aus: Wir haben als Kirche im Schutz             Boll tätig. Seinen Dienst im SI wird Georg Lämmlin
und Eintreten für gleichgeschlechtlich liebende               am 1. Dezember 2019 antreten.
Menschen in der Vergangenheit oftmals Diskrimi-
nierung und Verfolgung mit befördert. Wir wollen              Das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD (SI)
bei aller theologischen Unterschiedlichkeit den               begleitet und kommentiert aktuelle Entwicklungen
gleichgeschlechtlich orientierten Schwestern und              in Kirche und Gesellschaft. Es ist am 1. Oktober
Brüdern im alltäglichen Umgang in Gemeinde, Kir-              2004 aus dem bisherigen Sozialwissenschaftlichen
che und Gesellschaft kräftiger und ohne Bedingun-             Institut der EKD in Bochum und dem Pastoralso-
gen bezeugen: Du bist Gottes geliebtes Kind. Wir              ziologischen Institut der Landeskirche Hannovers
sprechen aus: Für die vielen schmerzhaften Erfah-             in der Evangelischen Fachhochschule hervorge-
rungen, die gleichgeschlechtlich empfindenden Mit-            gangen.
christinnen und -christen und Mitmenschen in und                                                       Katharina Ratschko
                                                                                      Pressestelle der EKD, 25. Mai 2019
durch unsere Kirche machen mussten, bitten wir um
Entschuldigung vor Gott und den Menschen.«

      Evang. Landeskirche in Württemberg, 5.7.2019, gekürzt

SYM 3/2019                                                                                                                                       5
3 Evangelische Akademie Bad Boll
Akademiegeschichte

Die Friedensbewegung in der gegenwärtigen Kulturkrise
Aus: »Aktuelle Gespräche« 4/1983             muss, damit diese Konzeption aufgeht.        herkömmlichen Wachstumsverständnis
                                             Feindbild zu einem erheblichen Teil als      Stillstand Rückschritt ist. Die Zeit ist
»Die Kulturkrise der Gegenwart« war          Produkt der Art, wie man rüstet. Und         reif, nach allgemein gültigen Weisheiten
Titel einer Tagung vom 28.-30.1983           wenn man industriell nicht zweitrangig       zu suchen. Man stellt ja auch fest, dass
mit Studienleiter Christian Buchholz.        sein will, kann man es sich natürlich        das Maß der Gemeinsamkeit zwischen
Das Ergebnis stand in den »Aktuellen         nicht leisten, ein Waffensystem der          den vermeintlich sich ausschließenden
Gesprächen« 1983/4: »Die Aufklärung          vorletzten Generation zu haben.              Religionen viel größer ist, als man an-
mit der autonomen Vernunft ist am                                                         genommen hat. Dahinter steckt wohl
Ende angelangt. Die Grenzen des Men-         Wir haben eine Rüstungskultur, und wer       die Erfahrung, dass Religionen und ihre
schen sind offengelegt; seine ethischen      sich um die kulturellen Fragen bemüht,       Gedankengebäude in sich so ambivalent
Fähigkeiten sind weit hinter seiner          sollte dies ganz stark berücksichtigen.      sind – deswegen sind sie auch so stark
technisch-organisatorischen Intelligenz      Die internationalen Handelsströme sind       und wirksam –, dass es dann mehr an
zurückgeblieben.« Der Beitrag von            ohne den Rüstungsexport und -im-             den Intentionen dessen liegt, der nach
Alfred Mechtersheimer (1939-2018) »Die       port undenkbar. Viele Staaten würden         Gemeinsamkeiten sucht, um viele zu
Friedensbewegung in der gegenwärti-          finanziell kollabieren, Frankreich sofort,   finden, als an der tatsächlichen Situation.
gen Kulturkrise« wurde damals veröf-         wenn man den militärischen Teil des
fentlicht – einen Auszug lesen Sie auf       Handels abziehen würde. Dies kann            Vom Frieden ist in allen Weltreligionen
dieser Seite. Mechtersheimer, Offizier,      man gar nicht mehr, die Krise wäre           viel zu finden, gerade z.B. auch beim
Politologe und politischer Aktivist war      unübersehbar. Was militärisches Inter-       Islam, obwohl dieser uns eher als eine
in den 1980er Jahren als Friedensakti-       esse heißt, wird nicht nur offen gesagt,     den Krieg begünstigende Religion ver-
vist bekannt. Von 1987-1990 war er als       sondern ist verdeckt mittlerweile für die    mittelt wird. Kontakte zu den Religio-
Parteiloser Mitglied der Grünen Bundes-      Fähigkeit der Staaten, so zu handeln,        nen in allen Teilen der Welt wären eine
tagsfraktion. Seit Ende der 1990er Jahre     wie sie gerade handeln, unabdingbar          praktische Konsequenz aus diesem Den-
wurde er dem rechtsextremen Spektrum         geworden. Man benutzt beispielswei-          ken heraus, auch, um den Bipolarismus
zugeordnet. Bei der Tagung referierten       se Rüstungskooperationen in einigen          in der Welt zu unterlaufen, denn es gibt
ferner Prof. Dr. Günter Rohrmoser, die       Regionen der Erde, wo Integrationspro-       gerade da, wo religiöse Elemente stark
Grüne Bundestagsabgeordnete Manon            zesse im Außenverhalten der Staaten die      sind, einen besonders ausgeprägten
Maren-Griesebach, der Berliner Rechts-       klassischen Instrumente weggenommen          Ruf nach Emanzipation von den beiden
anwalt Horst Mahler und der evangeli-        haben. Wenn beispielsweise zwischen          Supermächten und ihrem Konflikt.
sche Publizist Eberhard Stammler.            Amerika und China Verbindungen ver-
                                             bessert werden sollen, dann muss man         Wir müssen einen neuen Ausbeutungs-
»Die Welt ist militaristisch. Die bipolare   sich auf dieses Feld begeben, weil man       begriff verinnerlichen. Das ist sehr
Konstruktion ist es vor allem – sicher       sonst eigentlich so viele Angebote gar       deprimierend. Wir beuten die Zukunft
noch mehr die Bipolarität in den Köpfen      nicht mehr hat. Fremdstationierungen         aus, und zwar auf allen Gebieten. Nicht
der Politiker, auch der in der Dritten       in der Welt sind ja schon fast die Norm.     nur im Ökologischen, wo es mittlerweile
Welt –, die dazu geführt hat, dass man       Man muss sich fragen, ob das Grundla-        bekannt ist, auch im Ökonomischen,
in der ganzen Welt eine einheitliche         ge für Friedensordnung sein kann, dass       was man noch leugnet, vor allem aber
Rüstung hat. Armeen wurden zum               fremde Truppen im eigenen Land sind.         im sicherheitspolitischen Bereich. Wenn
Symbol für staatliche Souveränität, und      Mich stört dies nicht, weil es fremde        wir die Rüstungsorganisation in Form
die Industrienationen, die exportieren       sind, sondern mich stört, dass damit         der nuklearen Abschreckung fortschrei-
(auch wir, die Bundesrepublik), sorgen       Konflikte, die irgendwo in der Welt sind,    ben, dann lässt sich mit einem hinläng-
dafür, dass man das Militär braucht.         jeweils in dieses Land oder jenes Land       lichen Grad an Sicherheit sagen, dass
Damit werden oft sogar erst feindliche       exportiert werden können.                    wir hier nur deshalb leben, weil irgend-
Konstellationen geschaffen, die es sonst                                                  eine nächste Generation stirbt. Das ist
gar nicht gäbe. Beispielsweise haben wir     Die imperialistische Phase ist zuende,       kein Verfahren, dass sich auf Dauer
in Europa nie eine Chance für eine wirk-     es gibt wenig zu erobern, es gibt nur        rechtfertigen lässt. Und das Ähnliche
liche Friedensneuordnung, weil man           noch Abgrenzungsprobleme. Wir brau-          gilt ja auch für das Ökologische. Man
dann, wenn man Nuklearwaffen zur             chen neue Außenpolitik. Das wird die         weiß, dass die Extrapolation der Trends
Verteidigung vorsieht, entscheidend da-      große Aufgabe der Supermächte sein,          zu diesem Ergebnis führen würde, und
für sorgt, wie der Feind aussieht. Wenn      Bestandssicherung ohne Expansion zu          das ist natürlich eine unheimliche, eine
ich bereit bin, dass er so schlimm sein      betreiben. Das ist schwer, weil nach dem     bedrückende Beobachtung.«

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3 Evangelische Akademie Bad Boll
Kunst in der Akademie

Ernst ist die Kunst, heiter das Leben
Arbeiten von Uwe Ernst

» … ich mache ja kein Konzept, nein, das ist    »Uwe Ernst überlässt nichts dem Zufall. Seine
ein intuitiv-fließendes Arbeiten auf ein        Bilder sind das Ergebnis genau durchdachter          Uwe Ernst
Thema hin. Da gehören die Arbeitsblätter        Prozesse, die er zunächst in mehreren Varia-
dazu – mehr oder weniger ausgearbeitet … «      tionen auf seinen – wie er es bezeichnet –
Uwe Ernst                                       Arbeitsblättern visualisiert. Der Vorteil dieses     geboren 1947 in
                                                Vorgehens sowohl für den Künstler als auch           Göppingen/Fils
»Dieser Künstler ist [ … ] mit dem Zustand      den Betrachter ist die schrittweise Annähe-
der Welt und dem, was sich in ihr tut, nicht    rung an das Endprodukt, an das ausgeführte           Zeichner und Maler
gerade zufrieden und traut auch der mensch-     Kunstwerk. …
lichen Vernunft nicht über den Weg. Er                                                               arbeitet und experimentiert
zeichnet sarkastische kulturkritische Kom-      Beim Betrachten der Werke von Uwe Ernst              mit schwarzer Kreide auf
mentare und hat sich dafür eine provokant       wird einem schnell klar, dass es um symbol-          Papier
hermetische, Gegenständliches nur zitieren-     hafte, verschlüsselte Inhalte geht, eine Art
de Zeichensprache erfunden, die durchaus        Alphabet der künstlerischen Sprache, die der         lebt in Böbingen/Rems
an Alpträume und surreale Höllenvisionen        Künstler geschaffen hat und die es zu verste-
erinnert. Allerdings ist da etwas, was seine    hen gilt.«                                           seit 1998 Mitglied im Künst-
wüsten Bildwelten irgendwie in der Schwebe      Dr. Helmut Herbst                                    lerbund Baden-Württemberg
hält und ihnen trotz des Unheimlichen, das
darin passiert, Charme und ästhetischen Reiz                                                         www.ernst-kunst.de
                                                Vernissage: Sonntag, 22. September 2019,
verleiht – ich kann es nur Witz nennen. Man     15:00 Uhr im Café Heuss
spürt: da ist nicht nur Besessenheit, sondern   Leitung: Hans-Ulrich Gehring
                                                Information: Heike Matula, Tel. 07164 79-202
auch Lust am Spiel bei seinen absurden Erfin-   heike.matula@ev-akademie-boll.de
dungen.«                                        Ausstellungsdauer:
Jochen Greven, 1997                             22. September bis 11. November 2019

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3 Evangelische Akademie Bad Boll
Fast Fashion – fair Fashion

Menschenrechte und Umwelt
im Ausverkauf
Wie Fast Fashion zur Ausbeutung von Arbeiter_innen beiträgt und die Klimakrise befeuert
Die Bilder vom Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh am 24.              nen, von dem sie ihre Grundbedürfnisse
April 2013 oder vom Brand in der Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi            finanzieren können. Die Asia Floor
(Pakistan) am 11. September 2012 sind um die Welt gegangen und haben                  Wage Alliance, ein Zusammenschluss
für Entsetzen gesorgt – denn auch viele europäische Modeunternehmen                   von Menschenrechtsorganisationen und
ließen in diesen Fabriken Kleidung fertigen. An den sozialen Missständen,             Gewerkschaften in der Textilindustrie,
aber auch an den politischen Rahmenbedingungen hat sich seither leider                geht davon aus, dass in der konven-
                                                                                      tionellen Textilproduktion nur etwa
wenig geändert, wie aktuelle Studien zu Arbeitsbedingungen in der
                                                                                      zwischen 0,5 und 3 Prozent des Ver-
Textilbranche zeigen.                                                                 kaufspreises an die Näher_innen gehen.
                                                                                      Neben Niedriglöhnen sind auch gesund-
Von Mirjam Hitzelberger                    den Baumwollanbau bis hin zum Nähen        heitsschädigende Arbeitsbedingungen
                                           und Veredeln der Kleidung. Menschen-       keine Seltenheit in der Textilindustrie.
Der soziale Fußabdruck unserer Klei-       rechtsorganisationen und Gewerk-           Dazu tragen auch die verpflichtenden
dung. Bis die Jeans oder die T-Shirts,     schaften prangern immer wieder die         Überstunden bei, da sie die Freizeit und
die wir tragen, bei uns im Laden zum       katastrophalen Arbeitsbedingungen in       Erholungsphasen der Arbeiter_innen
Verkauf ausliegen, haben die Klei-         der Textilherstellung an. In den Produk-   beschneiden. Aber auch der Einsatz
dungsstücke bereits eine weite Reise       tionsländern werden in der Regel keine     von Chemikalien ohne entsprechende
hinter sich. Die textile Lieferkette ist   existenzsichernden Löhne gezahlt, was      Schutzbekleidung, die Hitze in vielen
lang und komplex und von zahlreichen       dazu führt, dass Überstunden häufig auf    Textilarbeiter in Dharavi, einem Slum in
sozialen Missständen geprägt – ange-       der Tagesordnung stehen, damit Arbei-      Mumbai, Indien. es ist einer der gröten Slums
fangen bei der Saatgutgewinnung für        ter_innen überhaupt einen Lohn verdie-     der Welt.

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3 Evangelische Akademie Bad Boll
Fast Fashion – fair fashion

Fabriken und fehlende Pausenzeiten führen       sen zu produzieren. Der Druck steigt, wenn es
dazu, dass Arbeiter_innen einem besonders       kurzfristig zu einer besonders hohen Nach-
                                                                                                 Die Macht der
hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind.        frage kommt und schnell nachproduziert
                                                                                                 Konsument_innen
Gewerkschaften in den Produktionsländern        werden muss. Zu spüren bekommen dies
fordern höhere Löhne, sichere Arbeitsbedin-     letztlich die Arbeiter_innen, die insbesonde-
                                                                                                 Wir als Verbraucher_innen
gungen und Schutz vor Gewalt am Arbeits-        re bei Last-Minute-Bestellungen zu Über-
                                                                                                 können viel dazu beitragen,
platz. Zwar haben einige der Produktionslän-    stunden verpflichtet werden und massiven
                                                                                                 dass sich positive Verände-
der einen gesetzlichen Mindestlohn, jedoch      Arbeitsrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
                                                                                                 rungen in der Modeindustrie
reicht dieser nicht zum Leben. In Bangladesch   Zudem lagern Zuliefererbetriebe unter hohem
                                                                                                 durchsetzen: Angefangen bei
etwa beträgt der monatliche Mindestlohn         Lieferdruck immer wieder auch Teile ihrer
                                                                                                 einem bewussten Textilkon-
derzeit 8000 Taka (83 €) – ein existenzsi-      Produktion an Subunternehmen aus, was
                                                                                                 sum, der die Frage danach,
chernder Lohn, wie ihn die Gewerkschaften       ein besonders hohes Risiko für Kinder- und
                                                                                                 was wir wirklich brauchen in
fordern, müsste mindestens das Doppelte         Zwangsarbeit birgt.
                                                                                                 den Vordergrund stellt, bis hin
betragen. Gewerkschaften haben es zudem
                                                                                                 zu einem neuen, wertschät-
in vielen Produktionsländern nicht leicht.      Die Jeans und die Klimakrise. Die globale
                                                                                                 zenden Umgang mit dem,
Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung ist     Textilproduktion ist jedoch nicht nur von
                                                                                                 was wir bereits haben. Die
weit verbreitet und so werden Arbeiter_innen    enormen sozialen Missständen geprägt,
                                                                                                 Bewegung, die sich kritisch
z.B. durch Einschüchterung von den Fabrik-      sondern trägt auch maßgeblich zur Klima-
                                                                                                 und kreativ mit den aktuellen
leitungen davon abgehalten, sich zu organi-     krise bei. Die Treibhausgasemissionen der
                                                                                                 Problemen in der Textilindus-
sieren. Beispiele wie das von Kalpona Akter,    globalen Modeindustrie liegen mit rund 1.500
                                                                                                 trie auseinandersetzt, wächst.
Geschäftsführerin des Bangladesh Centre for     Millionen Tonnen CO2 über dem gesamten
                                                                                                 Kleidertauschpartys werden
Worker Solidarity (BCWS), zeigen, dass das      internationalen Flug- und Schifffahrtsver-
                                                                                                 immer beliebter und bieten
Engagement für Arbeiter_innenrechte nicht       kehr. Doch nicht nur in puncto CO2 sind
                                                                                                 eine einfache Möglichkeit, der
immer ungefährlich ist: Aufgrund ihres En-      unsere Jeans, T-Shirts u.a. echte Umweltsün-
                                                                                                 Kleiderverschwendung etwas
gagements saß Kalpona Akter bereits im Ge-      der: Unsichtbar für uns stecken in unseren
                                                                                                 entgegenzusetzen und den
fängnis. Protestaktionen von Arbeiter_innen     Kleidungsstücken viele Liter Wasser, Erdöl
                                                                                                 eigenen Kleiderschrank –
werden oft gewaltsam unterdrückt, wie sich      und Chemikalien. So sind in einem T-Shirt
                                                                                                 losgelöst von jeglichem Kon-
erst Anfang des Jahres beim Protest gegen       etwa 2.500 Liter Wasser und einer Jeans im
                                                                                                 sumzwang – ›neu‹ zu bestü-
die zu niedrige Anhebung des Mindestlohns       Schnitt 11.000 Liter Wasser ›versteckt‹, wobei
                                                                                                 cken. Upcycling-Aktionen ge-
in Bangladesh zeigte, der von der Polizei mit   85 Prozent davon beim Baumwollanbau
                                                                                                 ben Tipps und Anregungen, wie
Tränengas und Gummigeschossen nieder-           anfallen und 15 Prozent bei allen weiteren
                                                                                                 wir unsere Kleidung reparieren
geschlagen wurde.                               Produktionsschritten. Auch wenn mittlerwei-
                                                                                                 oder umgestalten können, um
                                                le sogar Unternehmen wie H&M Produkte
                                                                                                 ihr neues Leben einzuhauchen.
Ausbeutung mit System: Fast Fashion. Die        aus Biobaumwolle anbieten, liegt der Anteil
                                                                                                 Und wenn es wirklich mal
Verantwortung für die zahlreichen sozialen      von Biobaumwolle nach wie vor weltweit bei
                                                                                                 etwas Neues sein soll, dann
Missstände entlang der textilen Lieferkette     unter einem Prozent. Im konventionellen
                                                                                                 bieten verschiedene Siegel und
ist keineswegs nur den Zuliefererbetrieben,     Baumwollanbau, aber auch in zahlreichen
                                                                                                 Label die Möglichkeit, Kleidung
bei denen die Produktion stattfindet, an-       weiteren Produktionsschritten kommen
                                                                                                 zu kaufen, die unter Bedin-
zulasten. Vielmehr liegt die Verantwortung      unzählige Chemikalien zum Einsatz – viele
                                                                                                 gungen produziert wurde, die
bei den großen europäischen und US-             davon sind giftig für Mensch und Umwelt.
                                                                                                 Mensch und Umwelt achten.
amerikanischen Modeunternehmen. Fast-           Aufgrund mangelnder Schutzmechanismen
Fashion-Giganten wie Primark, Zara, H&M         gelangen viele Chemikalien direkt ins Wasser
oder Mango bringen bis zu 24 Kollektionen       und schädigen so nicht nur die Gesundheit
im Jahr heraus, die zum Teil wöchentlich        der Arbeiter_innen. Der Anteil an Kleidung
wechseln. Dies ist möglich, da der Produk-      aus Kunststofffasern hat in den vergangenen
tionszyklus der Kleidungsstücke, vor allem      Jahren ebenfalls stark zugenommen und zu
bei stark trendbezogener Kleidung, enorm        einem massiven Anstieg im Erdölverbrauch
komprimiert wurde und ›just in time‹ produ-     der Textilindustrie geführt. Heute werden in
ziert wird, um Lagerkosten zu sparen. Diese     der Modeindustrie jährlich fast 100 Millionen
kurzfristige Einkaufs- und Produktionsweise     Tonnen Erdöl verbraucht, um Kunststofffa-
geht jedoch zu Lasten der Zuliefererbetriebe,   sern herzustellen. Bis 2030 wird ein Anstieg
die unter enormem Druck und in starkem          auf 300 Millionen Tonnen erwartet – ange-
Wettbewerb zueinander stehen, in möglichst      sichts der zunehmenden Erderwärmung ein
kurzer Zeit hohe Volumen zu niedrigen Prei-     katastrophaler Trend.

SYM 3/2019                                                                                                                    9
3 Evangelische Akademie Bad Boll
fast fashion - fair fashion

                                                                                              die Bundesregierung mit dem Nationalen
                                                                                              Aktionsplan für Wirtschaft und Menschen-
Future Fashion –
                                                                                              rechte (NAP) ausschließlich auf freiwillige
Das Gemeinschaftsprojekt
                                                                                              Selbstverpflichtungen. Bis 2020 steht ein
in Baden-Württemberg
                                                                                              sogenannter Monitoring-Prozess an, bei dem
                                                                                              Unternehmen dazu befragt werden, welche
Die Kampagne Future Fashion
                                                                                              Schritte sie zum Schutz der Menschenrechte
versteht sich als neue Bewe-
                                                                                              in ihren Lieferketten unternehmen. Wenn
gung für nachhaltige Textilien
                                                                                              dabei weniger als die Hälfte der Unternehmen
und bewusstes Konsumverhal-
                                                                                              die Menschenrechte ausreichend schützt,
ten in Baden-Württemberg.
                                                                                              dann will die Bundesregierung gesetzliche
Am Alltagsprodukt Kleidung
                                                                                              Schritte in Erwägung ziehen. Im Monitoring-
wird beispielhaft deutlich, wie     Klasse statt Masse ist die Devise. Fast Fashion geht zu
                                    Lasten der schlecht bezahlten Arbeitskräfte in Übersee.   Prozess werden jedoch keineswegs alle in
das eigene Konsumverhalten
                                                                                              Frage kommenden Unternehmen, sondern
in einem Zusammenhang mit
                                    Die Zahlen verdeutlichen: Unsere Jeans haben              nur eine zufällige Auswahl von 1.800 Un-
der globalen Textilproduktion
                                    eine Menge mit dem Klimawandel zu tun                     ternehmen befragt. Das Monitoring beruht
steht und so unmittelbare
                                    und wir als Konsument_innen tragen mit                    außerdem auf Selbsteinschätzungen der
Auswirkungen auf die Lebens-
                                    unserer Kaufentscheidung dazu bei. Noch                   Unternehmen und nicht auf unabhängigen
bedingungen von Menschen
                                    nie haben Menschen in Deutschland so viel                 Kontrollen. Der Druck muss daher insbe-
weltweit hat. Ziel ist es, insbe-
                                    Kleidung gekauft wie in den letzten Jahren –              sondere auf die Politik erhöht werden, damit
sondere eine junge Zielgruppe
                                    und gleichzeitig noch nie so wenig Geld dafür             verbindliche Standards für Unternehmen und
von 15 bis 35-jährigen für ei-
                                    ausgegeben. Von 2000 bis 2015 hat sich die                der Schutz von Menschenrechten und Um-
nen nachhaltigen Textilkonsum
                                    Anzahl der gekauften Kleidungsstücke auf                  welt endlich Wirklichkeit werden. Im Herbst
zu begeistern und auf öko-
                                    etwa 100 Milliarden verdoppelt. Im Schnitt                startet eine breit getragene Kampagne, die
faire Mode, aber auch Mög-
                                    kauft jede Person in Deutschland im Jahr etwa             ein Lieferkettengesetz mit verbindlichen
lichkeiten des Konsumverzichts
                                    60 neue Kleidungsstücke, von denen 20-30%                 Sorgfaltspflichten fordert. Auch in Baden-
aufmerksam zu machen. Das
                                    nie getragen werden. Auch in Altkleider-                  Württemberg hat sich ein Netzwerk gebildet,
Angebot von Future Fashion
                                    sammlungen spiegelt sich dieser besorgnis-                das dieses Anliegen unterstützt.
ist vielfältig: Kleidertausch-
                                    erregende Trend zu immer kurzlebigeren
parties, Upcycling-Aktionen,
                                    Kleidungsstücken wider: Bereits jetzt fallen
Ausstellungen oder konsum-                                                                    Weiterlesen: Viele der in diesem Artikel zitierten Zahlen
                                    in Deutschland jährlich rund eine Million
kritische Stadtrundgänge                                                                      stammen aus einer 2019 erschienenen Studie der Christ-
                                    Tonnen Altkleider an, wie der Dachverband
stehen auf dem Programm.                                                                      lichen Initiative Romero (CIR), die dafür u.a. Befragungen
                                    FairWertung angibt – Tendenz steigend.                    in Zuliefererbetrieben von C&A und Primark in Sri Lanka
Daneben können ausgebil-
                                                                                              durchführen ließ. Das »Dossier Fast Fashion« ist online
dete Future Fashion Experts                                                                   verfügbar oder kann bei der CIR gegen eine Gebühr von
                                    Schluss mit Freiwilligkeit – gesetzliche
für Bildungsangebote in ganz                                                                  5 Euro bestellt werden. Der »Future Fashion Guide« des
                                    Verpflichtungen für unternehmerische
Baden-Württemberg angefragt                                                                   Dachverbands Entwicklungspolitik und der Stiftung Ent-
                                    Sorgfaltspflichten. Um nachhaltige Verän-                 wicklungszusammenarbeit Baden-Württemberg sowie das
werden. Future Fashion ist
                                    derungen in globalen Lieferketten wie der                 Portal www.siegelklarheit.de bieten einen Überblick über
ein Kooperationsprojekt der                                                                   öko-faire Modeunternehmen und Siegel.
                                    Textilindustrie zu erzielen, fordern viele
Stiftung Entwicklungszusam-
                                    zivilgesellschaftliche Organisationen in
menarbeit Baden-Württemberg
                                    Deutschland gesetzliche Verpflichtungen für
und des Dachverbands für
                                    Unternehmensverantwortung. Ein Liefer-
Entwicklungspolitik Baden-
                                    ketten- oder Sorgfaltspflichtengesetz soll
Württemberg.
                                    deutsche Unternehmen verpflichten, auf
                                    Menschenrechte und den Schutz der Umwelt
                                                                                                                            Mirjam Hitzelberger ist
                                    in ihren globalen Lieferketten zu achten. Ein                                           beim Dachverband Entwick-
                                    Anfang des Jahres bekannt gewordener, weit-                                             lungspolitik Baden-Würt-
                                    reichender Entwurf für ein solches Gesetz aus                                           temberg e.V. (DEAB) Pro-
                                    dem Bundesministerium für wirtschaftliche                                               jektreferentin für Globales
                                                                                                                            Lernen mit den Projekten
                                    Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)                                                    »Fair macht Schule!« und
                                    könnte ein wichtiger Schritt in Richtung                                                Future Fashion.
                                    verpflichtende Unternehmensverantwortung                                                mirjam.hitzelberger@
                                    sein – doch gleichzeitig werden die hoff-                                               deab.de
                                    nungsvollen Aussichten getrübt: Derzeit setzt

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Kaleidoskop

Neues Siegel für faire Textilien
Am 9. September möchte Entwicklungsminister Gerd Müller das staat-
liche Textilsiegel »Grüner Knopf« offiziell vorstellen. Es soll Verbrau-
cher_innen animieren, Kleidung zu kaufen, die nach höheren sozialen
und ökologischen Standards gefertigt wurde. Der »Grüne Knopf« wird
ein Siegel mit staatlicher Überwachung sein – geprüft von Prüfstellen
wie dem TÜV. Das Prüfsiegel kann jede Art von Kleidung erhalten, aber
auch andere Textilprodukte wie Teppiche, Gardinen, Decken, u.a. Bis
Ende 2021 müssen die Firmen nur höhere Standards für die beiden letz-
ten Produktionsschritte nachweisen – das Nähen und Färben der Stoffe.
Später sollen sich die Anforderungen auch zum Beispiel auf den Anbau
der Baumwolle ausdehnen. Eine Firma muss 20 Kriterien erfüllen. Kritik
an dem Siegel kommt u.a. von der Kampagne für Saubere Kleidung.
So seien keine existenzsichernden Löhne garantiert, sondern nur Mindestlöhne der Produktionsländer. Menschenrechte seien
keine Grundlage. Weitere Infos: https://saubere-kleidung.de/2019/07/gruener-knopf/. S.a. S. 8-10.

Kritische Aktionäre mit Aktion gegen Export von Sturmgewehren nach Mexiko und weltweit
Bei der Hauptversammlung der Waf-                                                    losen und teilweise widerrechtlichen
fenschmiede Heckler&Koch im Juli                                                     Exports von Sturmgewehren nach
in Rottweil waren erstmals Presse-                                                   Mexiko und auch weltweit aufmerksam
vertreter zugelassen. Der Umsatz war                                                 zu machen. Es gelang ihnen, Heckler &
im Vergleich zum Vorjahreszeitraum                                                   Koch mit vielfachen Wortbeiträgen und
um 15 Prozent auf circa 127 Millionen                                                weit mehr als 120 Fragen in mehreren
gestiegen. Unter den 50 anwesenden                                                   Fragerunden kritisch zu hinterfragen.
Aktionären befanden sich auch Mit-                                                   Die Berichterstattung in den Medien
glieder der »Aktion Aufschrei« und der                                               gab dementsprechend nicht nur die ein-
»Kritischen Aktionäre«, unter ihnen                                                  seitig positive Darstellung von Vorstand
der Rüstungsaktivist Jürgen Grässlin.                                                und Aufsichtsrat zu den Bilanzzahlen
Den Kritischen Aktionär_innen von Heckler & Koch ist es mit    2019 wieder, sondern auch den konträren Kenntnisstand.
ihrer Schweigestunde vor der Hauptversammlung (siehe Foto)     Siehe auch: Rüstungsinformationsbüro: www.rib-ev.de und
gelungen, visuell auf die zahlreichen Opfer des hemmungs-      www.kritische-aktionaere.de und in diesem Heft S. 14-15.

                                                               Informationen zum Kongo und zum Panzi-Kranken-
                                                               haus von Nobelpreisträger Dr. Denis Mukwege
                                                               Der Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege kommt in
                                                               dieser Ausgabe von SYM auf S. 35 mit seinem Aufruf an die
                                                               Bundesregierung und die EU-Kommission vor. Der Hinter-
                                                               grund für die brutale Gewalt im Kongo ist einerseits in der
                                                               Kolonialgeschichte des Landes zu finden und andererseits in
                                                               den wertvollen Bodenschätzen wie Coltan, das für die Mobil-
                                                               funkbranche unverzichtbar ist. Milizen und Armeen kämpfen
                                                               um diese Schätze. Infos dazu bei Planet Wissen: https://bit.
                                                               ly/2Z55RKS. Zur Geschichte des Kongo ist hier ein Link der
                                                               Bundeszentrale für politische Bildung: https://bit.ly/XjO9QP.
                                                               Das Buch von Birger Thureson: »Die Hoffnung kehrt zurück.
                                                               Der Arzt Denis Mukwege und sein Kampf gegen sexuelle
Gewalt im Kongo« (Brandes & Apel, 2013) gibt den traumatisierten Frauen, die Dr. Mukwege seit vielen Jahren in dem von ihm
gegründeten Panzi-Krankenhaus behandelt, eine Stimme und ein Gesicht. Das Buch rüttelt auf.

SYM 3/2019                                                                                                                11
Rüstungsexport

Die Kirche bekennt Farbe
Martina Waiblinger befragt Kiflemariam Gebrewold zum Thema Rüstungsexport

Was ist das Hauptanliegen des Projekts         der Bundesregierung genehmigt – das        Gründen nicht verbieten. Oft sind es po-
»Rüstungsexport und Rüstungskon-               ist offiziell und legal. Damit liegt die   tente Staaten, die auch viele zivile Güter
version«?                                      politische Verantwortung – auch für die    und Dienstleistungen aus Deutschland
Es geht darum, Ideen und Fakten für den        Toten – bei der Bundesregierung.           importieren. Immer häufiger wird von
friedensethischen Prozess, vor allem im                                                   Ankerstaaten gesprochen. Saudi-Ara-
Bereich Rüstungsexporte beizusteuern.          In den politischen Grundsätzen von         bien, das vor wenigen Jahren noch als
Im Rahmen einer Studie haben wir Mu-           2000 steht, dass Waffen nicht in Krisen-   sehr problematischer Staat angesehen
nitionsexporte erforschen lassen – ein         gebiete geliefert werden dürfen.           wurde, ist zu einem Ankerstaat avanciert
sicherheitspolitisches Sachgebiet, das         Ja, offiziell steht das drin. Die Grund-   – zu einem Staat, der gestaltend in der
bisher unterbelichtet war. Ohne Muni-          sätze sind zwar rechtlich nicht bindend,   Region eingreift und dadurch – so das
tion funktioniert keine Waffe. Das ist         aber politisch schon. Es ist dieselbe      vermeintliche Argument – auch für die
das Schmiermittel, mit dem Waffen erst         Bundesregierung, die sagt, dass sie Waf-   Sicherheit Deutschlands sorgt.
funktionsfähig gemacht werden. Die             fen nicht in Länder exportieren möchte,
Rüstungsindustrie verdient am meisten          in denen Krieg oder Bürgerkrieg besteht    Und das nach dem Fall Khashoggi?
an Verbrauchsgütern wie Munition und           oder in denen Menschenrechtsverlet-        Man redet nicht mehr darüber. Es gab
an der Wartung von Waffen und Waffen-          zungen auftauchen. Trotzdem findet         einen temporären Waffenlieferungs-
systemen.                                      man in fast allen Konflikten dieser Welt   stopp, der inzwischen wahrscheinlich
Wichtig ist uns, den Menschen klarzu-          deutsche Waffen. Das war in vielen Kir-    wieder aufgehoben ist. Fakt ist, dass
machen, dass es sich nicht um illegale         chengemeinden nicht klar. Alle dachten,    Saudi-Arabien kein Problem hat, Waffen
Waffenhändler handelt, sondern dass            man exportiert an die Bündnispartner       aus deutscher Produktion oder direkt
es Staaten sind, die Waffen exportieren        oder die NATO. Fakt ist, dass man welt-    aus Deutschland zu bekommen und im
und importieren. Der Export wird von           weit exportiert.                           Jemenkrieg einzusetzen.
                                               Die Argumentation lautet: Wenn be-
Den Gemeinden in Baden ist inzwischen klar,    freundete Staaten Waffen importieren       Ist es nicht widersprüchlich, dass
dass es einen Zusammenhang zwischen Geflüch-
teten hier und Waffenexporten gibt.
                                               wollen, kann man das aus strategischen     Deutschland Waffen in Länder expor-

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Rüstungsexport

tiert, in denen sich die Bundesregierung mit      aber möglich, und die erfolgreichen Start-
Friedensmaßnahmen engagiert?                      Ups zeigen, dass Geschäftsideen, die vor fünf
Da wird die Absurdität auf die Spitze ge-         oder zehn Jahren undenkbar waren, heute
trieben. Das wurde letztes Jahr bei einer         Realität sind.
Tagung in der Akademie in Bad Herrenalb
thematisiert: In den MENA-Staaten (Mitt-          Wem schadet die Rüstungsindustrie?
lerer Osten, Nordafrika), den Staaten vom         Langfristig ist klar, dass die Rüstungsin-
Irak bis Marokko und vom Sudan bis Katar,         dustrie der zivilen Industrie schadet. Viele
gibt es überall deutsche Waffen. Die ganze        Rüstungsindustrien exportieren zum Beispiel
Region ist politisch instabil und bezüglich       in den Nahen Osten – da gibt es schon lange
der Menschenrechtslage ist es sehr schlecht       zu viele Waffen. Und Waffen, die exportiert
bestellt. Hier versucht man diplomatisch mit      werden, kommen meist zum Einsatz. Es ist
Friedensmaßnahmen etwas zu erreichen und          nur eine Frage der Zeit, wann es zu einem
parallel dazu liefert man Waffen.                 apokalyptischen Großeinsatz kommt. Wenn            Kiflemariam Gebrewold leitet
                                                  der Nahe Osten explodiert, wird dem gan-           seit 1.1.2016 das Projekt
Sind die badischen Gemeinden bezüglich            zen zivilen Handel, der ungleich größer und        »Rüstungsexport und Rüs-
des Themas sensibilisiert?                        wichtiger ist, der Boden entzogen. Eine ka-        tungskonversion«. Davor war er
Die Leute wissen heute, dass in Baden eine        putte Region ist nicht in der Lage, zivile Güter   ca. 20 Jahre in der praktischen
Reihe von rüstungsnahen Betrieben existiert.      einzuführen.                                       Entwicklungshilfe im Ausland
Sie verstehen auch, dass zwischen Geflüch-                                                           tätig und hat die Wirkung
teten und Rüstungsexporten ein Zusammen-          Ist der politische Einfluss der Kirchen stark      von Waffenexporten auf die
hang besteht. Die, die mit Geflüchteten ar-       genug, um etwas zu verändern?                      Entwicklung des globalen
beiten, erfahren, dass viele ihr Land verlassen   Wir müssen endlich systematisch und ver-           Südens gesehen. Die Badi-
mussten, weil dort eben jemand bewaffnet          stärkt eine Allianz zwischen Entwicklungs-         sche Landeskirche startete im
war. Ferner ist inzwischen bekannt, dass viele    politik, Sicherheitspolitik und Umweltpolitik      Frühjahr 2012 einen Diskus-
Entwicklungshilfeprojekte durch bewaffnete        schmieden. Erst wenn diese drei Bereiche           sionsprozess zu einer Neuori-
Auseinandersetzungen zerstört werden.             zusammengedacht werden, kann man ein               entierung der Friedensethik,
Daraus entwickeln sich auch Aktionen: Zum         Gesamtbild erkennen. Die Kirchen haben die         der in einen friedensethischen
Beispiel haben 2017 Kirchengemeinden,             moralische Autorität, etwas vorzuleben und         Beschluss der Herbstsynode
Friedensgruppen, Parteien u.a. in Lahr zum        einzufordern. Der Erfolg wird davon abhän-         2013 mündete. Dieser bildet
Protest gegen die Ansiedlung einer Muniti-        gen, wie stark sich die Kirchen selbst posi-       die Grundlage für weitere
onsfabrik aufgerufen und der Gemeinderat          tionieren und ob sie ökumenisch vorgehen.          friedensethische Bemühungen
hat mit 20 zu 13 Stimmen dagegen gestimmt.        Der Papst hat sich eindeutig gegen Krieg und       der Landeskirche. Kiflemariam
Vielleicht ist der Protest auch auf den Rüs-      Rüstungsproduktion positioniert. Ich würde         Gebrewold: »Das ist das Inte-
tungsatlas Baden zurückzuführen, den wir          mir wünschen, dass die verschiedenen religi-       ressante bei dem badischen
herausgegeben haben.                              ösen Gemeinschaften gemeinsam vorange-             friedensethischen Prozess:
                                                  hen. Erst dann wird die Botschaft politisches      Er wurde nicht von oben,
Was ist an der Rüstungsproduktion so attrak-      Gewicht bekommen.                                  von der Synode beschlossen.
tiv? Wie steht es um das Thema Konversion?        Ein Problem haben die Kirchen allerdings:          Davor gab es einen zweijäh-
Es gibt kaum einen Zweig in der Wirtschaft,       Auch sie investieren in Portfolios, in denen       rigen Prozess, durch den die
der so subventioniert wird wie die Rüstungs-      Rüstungsgüter oder dual-use vorhanden sind.        Kirchenbezirke sensibilisiert
industrie. Der Staat ist Auftraggeber, er gibt    Das nimmt ihnen die Glaubwürdigkeit. Dabei         wurden. Jeder Kirchenbezirk
Geld für die Forschung und die Erprobung          gibt es heute Alternativen. Es gibt Portfolios,    musste eine Stellungnahme zu
und er nimmt die Ware, die Waffen, ab. Der        die »Social Responsible Investment« oder           dem friedenspolitischen Papier
Unternehmer muss keine Kunden suchen              »rüstungsfern« anbieten. Diesen Schritt            der Landeskirche abgeben. Die
und hat eine Abnahmegarantie – welcher            müssen die Kirchen machen. Sie haben ein           überwiegende Mehrheit hat
Wursthersteller hat das schon? Die Leute in       großes Investitionsvolumen, das für alterna-       sich positioniert.«
den Gemeinden fragen aber: »Warum stellen         tive Investitionen genutzt werden muss – im
die nicht bessere, intelligentere zivile Güter    Mobilitätsbereich, im Umweltbereich oder           Siehe auch:
her?« Natürlich müssen Märkte erst geschaf-       bei den erneuerbaren Energien. Dann ist die        www.kirche-des-friedens.de
fen werden und dazu braucht es langfristige       Kirche glaubwürdig und wird nicht weiterhin
Investitionen. Auf diesem Weg muss man die        Mitglieder verlieren. So kann sie Zeichen set-
Arbeitnehmerschaft mitnehmen – sie haben          zen und mit ihrem Investitionsgebaren auch
Angst ihre Arbeitsplätze zu verlieren. Es wäre    noch Friedenspolitik betreiben.

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alternative Ökonomie

Schritte hin zu einer
nachhaltigen Gesellschaft

Von Tobi Rosswog                           Klimawandel ordentlich eingeheizt oder      Aber warum arbeiten wir überhaupt?
                                           in Großunternehmen andere Menschen          Im Leben ist nichts umsonst. Wir
Seit dem Bericht des Club of Rome 1972     global ausgebeutet werden – es spielt       müssen es uns verdienen. Das war doch
ist allen bewusst, dass es auf einem       keine Rolle. Die ökosoziale Perspek-        schon immer so. Arbeit gehört zum
begrenzten Planeten kein unendliches       tive wird im Namen der angeblich so         Leben wie die Luft zum Atmen. Wir
Wachstum geben kann. Die Wachstums-        notwendigen Arbeit außer Acht gelassen      müssen arbeiten gehen, um für unse-
logik wird dank der Degrowth-Bewe-         und vollkommen ignoriert. Dabei sollte      re Lebenszeit im Austausch Geld zu
gung immer mehr hinterfragt. Das ist       allen klar sein: Auf einem toten Planeten   bekommen, indem wir uns an eine Ar-
gut und wichtig. Allerdings fehlt dabei    gibt es keine Arbeitsplätze. Wenn es        beitgeber_in vermieten oder verkaufen.
etwas Entscheidendes: Wir stellen die      nach einer aktuellen Studie unter dem       Damit können wir dann unser Leben
Arbeitslogik nicht in Frage, die mit ih-   Titel »The Ecological Limits of Work«       refinanzieren. Beispielsweise fließen
rem Produktivitäts- und Beschäftigungs-    von Philipp Frey vom Karlsruher Institut    durchschnittlich direkt ein Drittel unse-
fetisch dafür verantwortlich ist, dass     für Technologie geht, müssten wir uns       res Gehaltes in die Deckung der Miete,
destruktive Arbeit weiterhin legitimiert   von der bisher üblichen und kaum hin-       nur damit wir ein Dach über dem Kopf
und praktiziert wird. Das Arbeitsplatz-    terfragten 40-Stunden-Woche zu einer        haben. Das Ganze kommt uns als nor-
argument à la »Hauptsache es gibt          9-Stunden-Woche wenden.                     mal, natürlich und notwendig vor, fast
Arbeitsplätze« blendet alle. Egal, ob                                                  schon Gott gegeben, es wird zum Sinn-
mit der Arbeit im Kohlekraftwerk dem                                                   zentrum unseres Lebens, ein Identifika-

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alternative Ökonomie

tionsmessgerät. Ich arbeite, also bin ich?   Reduktion von Arbeit, getragen zum          »Es ist das Wichtigste, was wir im Leben
In Anlehnung an Slavoj Žižek könnten         einen von einer Bewegung, die Bewusst-         lernen können: das eigene Wesen zu
wir festhalten, dass es heute einfacher      sein schafft und Alternativen praktisch      finden und ihm treu zu bleiben. Einzig
ist, sich das Ende der Welt vorzustellen,    erfahrbar macht, zum anderen dauerhaft      zu diesem Zweck sind wir gemacht; und
als das Ende der Arbeit. Unsere Imagi-       institutionalisiert in zu schaffenden        keine andere Aufgabe ist wichtiger, als
nationslosigkeit, der Verlust jeglicher      Foren autonomer, wirtschaftsdemokra-         herauszufinden, welch ein Reichtum in
Utopie, Visionskraft und Phantasie der       tischer Entscheidungsfindung;              uns liegt. Erst dann wird unser Herz ganz,
Möglichkeit eines anderen Zusammen-          ● eine allgemeine, substantielle Ar-          erst dann wird unsere Seele weit, erst
lebens ist begraben. Und so halten uns       beitszeitverkürzung, selektiv reduziert           dann wird unser Denken stark.«
die mentalen Infrastrukturen dazu an,        nach Branchen und verbleibende Arbeit        Eugen Drewermann: Das Wichtigste im
einfach weiter, schneller, höher und         umverteilend, im Einklang mit dem             Leben. Worte mit Herz und Verstand,
damit angeblich besser zu leben. Nicht       global verbleibenden – sehr knappen! –                   Mannheim, 2015
umsonst lauten die zwei entscheidenden       CO2-Budget, um möglichst unter 1.5°C
Fragen in unserer Biografie:                 globaler Erwärmung zu bleiben;             weil ich nicht erst gegen Geld meine
1. »Was möchtest Du später mal wer-          ● eine Commons-orientierte Neuorga-        Lebenszeit verkaufen muss. Durch
den?« und später dann: 2. »Was arbeitest     nisation von Arbeit, zum einen ermög-      diesen Freiraum kann ich mich auf die
Du?«                                         licht durch eine soziale Grundsicherung    Suche begeben, was ich wirklich in die
Vieles in unserem Leben dreht sich           unabhängig von Erwerbsarbeit, um eine      Gesellschaft einbringen mag. Was ist
um Arbeit. Wenn wir in jungen Jahren         grundsätzliche Entkopplung von Ein-        also mein Talent, meine Berufung oder
einen Abschluss machen, um später            kommen und Grundbedürfnissicherung         mein Potential?
eine Arbeitsstelle zu bekommen, wenn         zu erreichen, zum anderen institutionell   2. Sharing: Was kann ich alles teilen?
wir Freiwilligendienste und Praktika         gefördert durch kostenlose Infrastruk-     Was ist sowieso schon vorhanden und
absolvieren, um unseren Lebenslauf zu        turen, Netzwerke und Räume für andere      kann genutzt werden? Beispielsweise
schmücken, wenn wir in fremde Städte         Formen des Herstellens und Arbeitens       Umsonstläden, Kleiderschenkpartys,
ziehen, um die Chancen auf einen besse-      jenseits von Markt und Staat;              Foodsharing oder andere emanzipatori-
ren Job zu erhöhen.                          ● einen Umbau des Bildungssystems          sche Strukturen des Teilens lassen Wege
Wir arbeiten nicht aus intrinsischer, also   im Hinblick darauf, welche Fähigkeiten     in ein neues Miteinander erproben. Wo
innerlicher, sondern aus extrinsischer       junge Menschen wirklich brauchen,          es nicht mehr um Eigentum, sondern
Motivation: für das Geld, mit dem wir        jenseits einer Zurichtung auf Verwert-     um Besitz geht.
unsere Grundbedürfnisse nach einem           barkeit für den Arbeitsmarkt.              3. Subsistenz: Was kann ich beitragen?
Dach über dem Kopf, einen gefüllten                                                     Die Idee, dass wir wieder vieles selber
Bauch, Anerkennung und einigem mehr          Es gibt natürlich noch viele weitere       in die Hand nehmen, jenseits von Markt
erfüllen. Es gilt folglich Wege jenseits     Alternativen auf individueller wie auch    und Staat uns gemeinsam organisieren.
von Arbeit, Eigentum, Wachstum, Geld         kollektiver Ebene. Individuell wäre ne-    Indem wir utopietaugliche Halbinseln
und Tauschlogik zu erproben. Konkret         ben der Arbeitszeitverkürzung auch Kar-    schaffen, wo fern der Verwertungslogik,
bedarf es dafür wieder mehr des Disku-       riereverweigerung eine spannende Idee.     des Leistungsdrucks und der Selbstop-
tierens und Streitens über das Konzept       Sich eben mehr und mehr dem Arbeits-       timierung Räume anderer Selbstver-
Arbeit und wie wir es heute verstehen        markt zu entziehen. Damit haben wir        ständlichkeiten geschaffen werden. Wir
sowie umsetzen.                              mehr freie Zeit und können uns Sinn-       werden tätig und organisieren Ernäh-
                                             und Machtfragen stellen. Und vor allem     rung, Energie, Pflege und viele andere
Was braucht es dafür noch?                   können wir dann das tun, was wirklich      lebensnotwendigen Dinge anders als
Mit der Politik- und Nachhaltigkeitswis-     sinnvoll ist. Kollektiv ist die Idee des   bisher.
senschaftlerin sowie Arbeitskritikerin       Bedingungslosen Grundeinkommens
Maja Hoffmann, die an der Wirtschafts-       – oder noch besser: des Grundauskom-
universität Wien zum Thema »Arbeit           mens – wichtig, weil es Menschen einen                             Tobi Rosswog ist
und Nachhaltigkeit« promoviert, fordere      leistungsfreien Selbstwert zuspricht und                           Autor, Aktivist, freier
ich in einem aktuellen Beitrag in der        damit Existenz von Tätigkeit entkoppelt.                           Dozent & Initiator.
                                                                                                                2018 kam sein
Zeitschrift »politische ökonomie« unter                                                                         Buch »After work -
dem Titel »No jobs on a dead planet –        Wie kommen wir dahin oder: Drei                                    Radikale Ideen für
Das sozial-ökologische Potential einer       Werkzeuge für eine Gesellschaft jenseits                           eine Gesellschaft
Postwork-Gesellschaft« unter anderem:        der Arbeit                                                         jenseits der Arbeit«
                                                                                                                im oekom-Verlag
                                             1. Suffizienz: Was brauche ich eigent-                             heraus. Siehe auch
● eine breite gesellschaftliche Debatte      lich wirklich? Wenn ich weniger Zeug                               Verlosung S. 33
über Sinn und Zweck sowie die absolute       brauche, habe ich mehr Zeit für anderes,

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