ARMUT MACHT HUNGER - FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021 - Heinrich-Böll ...

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ARMUT MACHT HUNGER - FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021 - Heinrich-Böll ...
ARMUT
 MACHT
HUNGER
FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
ARMUT MACHT HUNGER - FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021 - Heinrich-Böll ...
INHALT
3 VORWORT                                                                     10 MACHT
                                                                                 DAS GESCHÄFT MIT DEM ESSEN
4 KRISEN                                                                      	Vom Landbesitz über den Saatgutmarkt
  ZUKUNFT OHNE HUNGER                                                           bis zum Lebensmitteleinzelhandel:
	Seit 2017 steigt die Zahl der Hungernden auf                                  Konzentration prägt die Wertschöpfungs-
  der Welt wieder. Armut, Kriege und Natur-                                     kette der Lebensmittelproduktion. Das
  katastrophen bedrohen die Ernährungssicher-                                   Machtungleichgewicht zwischen großen
  heit vor allem in Afrika und im Süden Asiens.                                 Konzernen, Kleinbäuer*innen und
                                                                                Konsument*innen fördert Fehlernährung.
6 KRIEGE
  KONFLIKTE SCHAFFEN HUNGER,                                                  12 ERNÄHRUNGSARMUT
  HUNGER SCHAFFT KONFLIKTE                                                       WER SCHLECHT ISST,
	Kriegsparteien vertreiben Menschen von                                         IST NICHT SELBER SCHULD
  ihrem Land, töten Vieh und zerstören Felder.                                	In einem reichen Land wie Deutschland
  Konflikte sind eine der Hauptursachen für                                     können sich alle Menschen ausreichend und
  Hunger. Bisweilen ist der fehlende Zugang zu                                  gesund ernähren? So einfach ist das nicht.
  Lebensmitteln aber auch Auslöser für Konflikte.                               Einkommen, Bildung und Arbeit sind eng
                                                                                verknüpft mit dem Gesundheitszustand.
8 FEHLERNÄHRUNG
  HUNGER UND ZU VIEL VOM FALSCHEN                                             14 QUELLEN VON DATEN,
	Fehlernährung nimmt weltweit zu. Zu wenig                                      KARTEN UND GRAFIKEN
  Nahrung führt zu Wachstums- und
  Entwicklungsstörungen, zu viele leere Kalorien
  aus Zucker und Fetten können Herz-Kreislauf-
  Erkrankungen oder Diabetes auslösen.

IMPRESSUM
Die Broschüre ARMUT MACHT HUNGER 2021 ist ein Kooperationsprojekt von Heinrich-Böll-Stiftung und TMG Research.

Inhaltliche Leitung: Christine Chemnitz, Inka Dewitz (Heinrich-Böll-Stiftung) und Jes Weigelt (TMG Research)
Projektmanagement und Grafikrecherche: Heike Holdinghausen
Art-Direktion und Herstellung: Ellen Stockmar

Mit Originalbeiträgen von Christine Chemnitz, Jes Weigelt, Jonas Luckmann, Olesya Luckmann, Ali Nobil und Inka Dewitz.
Die Beiträge geben nicht notwendigerweise die Ansicht der beteiligten Partnerorganisationen wieder.

V. i. S. d. P.: Annette Maennel, Heinrich-Böll-Stiftung
1. Auflage, September 2021

Produktionsplanung: Elke Paul, Heinrich-Böll-Stiftung
Druck: Bonifatius Druck, Paderborn. Klimaneutral gedruckt auf 100 % Recyclingpapier.

Dieses Werk mit Ausnahme der Covergrafik steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung –
4.0 international“ (CC BY 4.0). Der Text der Lizenz ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode abrufbar.
Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de nachzulesen.
Sie können die einzelnen Infografiken dieser Broschüre für eigene Zwecke nutzen, wenn der Urhebernachweis
Holdinghausen/Stockmar, CC BY 4.0 in der Nähe der Grafik steht (bei Bearbeitungen: Holdinghausen/Stockmar (M), CC BY 4.0.)

Bestell- und Download-Adresse:
Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstraße 8, 10117 Berlin, www.boell.de/Armut-Macht-Hunger
Die Bestellbedingungen finden Sie auf unserer Website unter www.boell.de/publikationen.
ARMUT MACHT HUNGER - FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021 - Heinrich-Böll ...
VORWORT

I
   m Jahr 2020 haben 768 Millionen                     ETWA JEDER 10TE
   Menschen unter Hunger und                           MENSCH AUF DER WELT
   Mangelernährung gelitten. Das
sind fast 10 Prozent der Weltbevölkerung.
                                                       LEIDET AN HUNGER
Die Welternährungsorganisation geht
davon aus, dass diese Zahl aufgrund
der durch Covid-19 ausgelösten              von Ungerechtigkeit, Instabilität und
Wirtschaftskrise, aufgrund von              Armut sind und daher die politischen
Wetterextremen und gewaltsamen              Antworten auch auf diese Ursachen
Konflikten weiter ansteigt.                 abzielen müssen.

Gleichzeitig sind viele Millionen           Anlass für diese Publikation ist, dass das
Menschen von einer gesunden Ernährung       erste Mal in der Geschichte der Vereinten
ausgeschlossen. In den Industrie-           Nationen im Herbst 2021 ein Gipfel-
ländern steigt die Nachfrage nach der       treffen durchgeführt wird, das sich
Vergabe von Lebensmitteln durch Tafeln.     ausschließlich unseren Ernährungs-
Fehlernährung, Mangelerscheinungen          systemen widmet. Es wird über die
oder krankhaftes Übergewicht                Transformation der Ernährungssysteme
haben sich weltweit zu einer gewaltigen     diskutiert werden. Der Welternährungs-
Belastung der Gesundheitssysteme            gipfel der Vereinten Nationen könnte
entwickelt.                                 ein Katalysator für echte Veränderungen
                                            unserer Ernährungssysteme werden.
Hunger und Fehlernährung sind keine
zufälligen Randprodukte unserer             Vieles deutet jedoch darauf hin, dass
Ernährungssysteme. Sie sind das Resultat    der Gipfel die sozialen und politischen
fehlender Gesetze und bestehender           Ursachen für Hunger und Fehlernährung
Machtungleichgewichte. Sie sind ein         nicht ausreichend behandeln wird.
moralisches Desaster und ein politischer
und gesellschaftlicher Handlungsauftrag.    Nachhaltige, gerechte und gesunde
                                            Ernährungssysteme sind möglich – dafür
Mit dieser Publikation möchten wir zu       aber bedarf es politischer Strukturen,
einer lebendigen gesellschaftlichen         die die Bekämpfung des Hungers,
Debatte beitragen. Wir möchten die          eine gesunde Ernährung und den Schutz
Gründe für Hunger und Fehlernährung         von Biodiversität und Klima in den
darstellen und zeigen, dass es klarer       Mittelpunkt stellen.
politischer Regeln und Strategien
bedarf, um diesen Entwicklungen zu
begegnen. Wir möchten zeigen, dass          Barbara Unmüßig                 Alexander Müller
Hunger und Fehlernährung eine Folge         Heinrich-Böll-Stiftung          TMG Research

                                                                ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021   3
KRISEN

    ZUKUNFT OHNE HUNGER
    Seit 2017 steigt die Zahl der Hungernden                                           in den Industrieländern seit Langem im Durchschnitt einen
    auf der Welt wieder. Armut, Kriege                                                 immer kleineren Teil ihres Einkommens für Nahrungsmittel
    und Naturkatastrophen bedrohen die                                                 ausgeben muss, verwenden arme Haushalte im globalen Sü-
                                                                                       den den größten Teil ihres Einkommens für Essen. Steigende
    Ernährungssicherheit vor allem in Afrika
                                                                                       Preise für Nahrungsmittel sind daher eine akute Bedrohung
    und im Süden Asiens.                                                               für eine sichere Ernährung. Der von der FAO erhobene Preis-
                                                                                       index für Nahrungsmittel steigt kontinuierlich und liegt in-

    I
       m Jahr 2015 hat sich die Weltgemeinschaft das Ziel ge-                          zwischen um 33 Prozent höher als vor einem Jahr.
       setzt, Hunger und Mangelernährung bis zum Jahr 2030                                  Der größte Teil der armen Menschen lebt auf dem Land
       zu beseitigen. Die Zahlen der UN-Organisation für Land-                         und von der Landwirtschaft. In vielen Ländern des globalen
    wirtschaft und Ernährung (FAO) beschreiben jedoch einen                            Südens arbeiten weit mehr als 50 Prozent der Menschen in
    gegenteiligen Trend. Seit 2017 nehmen Hunger und Man-                              der Landwirtschaft. Sie bietet dort nicht nur Nahrungsmit-
    gelernährung wieder zu. Im Jahr 2020 hatten 768 Millionen                          tel, sondern auch Arbeit. Beschäftigungsintensive, kleinbäu-
    Menschen zu wenig zu essen, fast zehn Prozent der Weltbe-                          erliche Strukturen bleiben daher auf absehbare Zeit zentral,
    völkerung. Ein zentraler Grund dafür ist Armut. Weltweit le-                       um Armut zu bekämpfen. Allerdings rückt auch die Lage der
    ben etwa 1,8 Milliarden Menschen in Armut und müssen mit                           Armen in den Städten zunehmend in den Fokus. Während
    weniger als 3,20 US-Dollar am Tag auskommen, knapp 700                             1980 noch unter 40 Prozent der Menschheit in Städten leb-
    Millionen Menschen sind extremer Armut ausgesetzt und                              ten, waren es im Jahr 2020 schon mehr als 56 Prozent. Das
    haben weniger als 1,90 US-Dollar täglich zur Verfügung.                            bedeutet, dass Städte Teil einer umfassenden Strategie im
    Die Corona-Epidemie hat diese Lage verschärft. Die Welt-                           Kampf gegen den Hunger sein müssen und etwa urbane
    bank geht davon aus, dass durch COVID–19 fast 100 Millio-                          Landwirtschaft gefördert werden sollte. Sie schafft Beschäf-
    nen Menschen zusätzlich in die Armut gerutscht sind, im                            tigung in Produktion, Verarbeitung und Vermarktung. Lo-
    Jahresvergleich 2019 und 2020 ist das eine Steigerung um                           kale Initiativen für urbane Landwirtschaft verbessern dabei
    12 Prozent. Die Epidemie hat beinahe auf der ganzen Welt                           insbesondere die Einkommensmöglichkeiten für Frauen.
    einen ökonomischen Abschwung ausgelöst. Lockdowns,
    der Verlust von Arbeitsplätzen, sinkende Investitionen und
    Exporte sowie ein Einbruch im Tourismussektor haben in                                                 Ernährungsunsicherheit ist eine Bedrohung für
    vielen Ländern zu gravierenden Einkommensverlusten ge-                                          große Teile der Bevölkerung weltweit. Dennoch werden
    führt und die Armut verschärft. Während die Bevölkerung                                                    diese Zahlen kaum öffentlich kommuniziert

                                                                                                                                                                   HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / FAO ET AL
        FRAUEN HABEN WENIGER
        Von Ernährungsunsicherheit bedrohte Frauen und Männer, nach Regionen, in Prozent

         60

                                Afrika
         50

                                                                   2,4 Mrd. Menschen sind weltweit von Ernährungsunsicherheit
                                                                   bedroht. Im Gegensatz zu Hunger bedeutet Ernährungsun-       Lateinamerika und Karibik
                                                                   sicherheit, dass Menschen nicht immer Zugang zu gesunder
         40                                                        und ausreichender Ernährung haben. Hunger bedeutet, dass
                                                                   Menschen zeitweilig gar keinen Zugang zu Nahrung haben.
                      Frauen
                      Männer
         30

         20
                                                                                  Asien

         10

                                                                                                  Nordamerika und Europa

          0
              2014                2015                      2016                   2017                          2018                2019                   2020

4   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / FAO, UNICEF, WHO, WFP, IFAD: THE STATE OF FOOD SECURITY 2021
  LEERE TELLER, LEERE SCHÜSSELN
  Hungernde 2020, nach Regionen, gruppiert entsprechend
  der UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation FAO                         absolute Zahl, in Millionen
                                                                                 Anteil der Bevölkerung in Prozent
                                                                                 FAO-Regionen

                                                                                              15,1 %                          305,7 Mio
                  10,4 %                                                               42,3 Mio            3,4 %                        15,8 %

           19,0 Mio                                                                                      2,6 Mio
                                                                       7,1 %                           Zentralasien
                                                                                       Westasien
      Zentralamerika
                                                                           17,4 Mio
                                   16,1 %
                            7,0 Mio                                      Nordafrika
                                                                                                                 Südasien
                                  Karibik
                                                      75,2 Mio
                                                                                                                                            7,3 %
                                                          Westafrika
                                                                                                   Ostafrika
                                                           18,7 %                                                                48,8 Mio
                                                                       31,8 %
                                                                       Zentralafrika                                 28,1 %
                                                                                                                                 Südostasien
                                                             57,1 Mio                10,1 %
                                                                                                                                                 2,7 Mio 6,2 %
                                                                                 6,8 Mio
                            33,7 Mio
                                                                                Südafrika                 125,1 Mio                                 Ozeanien

                                        7,8 %
                 Südamerika

                                                                                       Welt

                                                              768,0 Mio
                                                                                                                   9,9 %
  China, Europa und Nordamerika werden
  nicht erfasst, weil die Zahl der Betroffenen dort
  unter 2,5 Prozent der Bevölkerung liegt.

                                                                                                                    Seit der letzten Erhebung im Jahr 2019 ist
Die FAO hat 2021 unterstrichen, dass Hunger im Kern auf                                                        der Anteil der von Unterernährung betroffenen
Armut und Ungleichheiten zurückzuführen ist. Hunger be-                                                           Menschen von 8,4 auf 9,9 Prozent gestiegen
kämpfen heißt deswegen auch, Ungleichheit zu bekämpfen.
Die Landrechte von vulnerablen – also besonders verletzli-
chen – Gruppen müssen deswegen anerkannt und gesichert                                    Vor allem im globalen Süden leben etwa eine Milliarde
werden. Das beugt chronischer Armut vor und ermöglicht                                    Menschen in Ländern, deren öffentliche Strukturen nicht
Investitionen in nachhaltige Landnutzung. Langfristige In-                                mit den zu erwartenden ökologischen Krisen bis 2050
vestitionen in Klimaanpassungsmaßnahmen werden auch                                       umgehen können. Um die Herausforderungen des Klima-
für Menschen, die kleine Agrarbetriebe oder Landflächen                                   wandels zu bewältigen, sind systemische Ansätze wie die
besitzen, rentabel, wenn ihre Landrechte gesichert sind.                                  Agrarökologie nötig, die Landwirtschaft und Lebensmit-
Besonders wichtig ist es, Frauen einen sicheren Zugang zu                                 telproduktion ganzheitlich betrachten. Nur den Fokus auf
Land zu verschaffen. Die Bekämpfung von Ungleichheit ist                                  einzelne Faktoren der landwirtschaftlichen Produktion zu
auch in der Familie zentral. Grundsätzlich wirkt sich Gleich-                             legen, zum Beispiel die Entwicklung dürretoleranter Pflan-
berechtigung positiv auf die Ernährungssicherung des                                      zen, ist unzureichend.
Haushalts und das Wohl von Kindern aus.                                                       Häufig werden ökonomische und ökologische Krisen
    Menschen, die in Armut leben, sind weniger resilient. Sie                             durch gewaltsame Konflikte verschlimmert. In vielen Län-
können schlechter auf akute ökonomische oder ökologische                                  dern treten diese Krisen in Kombination auf. Die Weltge-
Krisen reagieren. Dies ist gravierend, da die Häufigkeit und                              meinschaft kann Hunger, Mangel- und Fehlernährung
Intensität ökologischer Krisen stark zugenommen hat. Seit                                 deshalb nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie die Fä-
1960 hat sich die Zahl der Naturkatastrophen weltweit ver-                                higkeit vulnerabler Gruppen erhöht, auf Krisen zu reagie-
zehnfacht. Für Millionen Menschen weltweit bedeutet der                                   ren und ihnen den Zugang zu Nahrung sichert. Ein allei-
Klimawandel häufigere und intensivere Überschwemmun-                                      niger Fokus auf Produktivität in der Landwirtschaft reicht
gen, Dürren und Stürme, die jedes Jahr bis zu 90 Prozent al-                              nicht. Politik gegen den Hunger kann nur dann erfolgreich
ler klimabedingten Katastrophen ausmachen.                                                sein, wenn sie Resilienz befördert.

                                                                                                                 ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021                                                                                    5
KRIEGE

    KONFLIKTE SCHAFFEN HUNGER,
    HUNGER SCHAFFT KONFLIKTE
    Kriegsparteien vertreiben Menschen von                                    Dienstleistungen. Konflikte haben sowohl unmittelbare als
    ihrem Land, töten Vieh und zerstören Felder.                              auch langfristige Folgen für die Landwirtschaft und damit
    Konflikte sind eine der Hauptursachen für                                 für die Ernährungssituation der Bevölkerung. In Konflikt-
                                                                              regionen werden Felder zerstört, Tiere geraubt oder Men-
    Hunger. Bisweilen ist der fehlende Zugang
                                                                              schen von ihrem Land vertrieben. Das Beispiel der Zentral-
    zu Lebensmitteln aber auch Auslöser für                                   afrikanischen Republik zeigt mögliche langfristige Folgen:
    Konflikte.                                                                2013 entfachten bewaffnete Milizen und Rebellengruppen
                                                                              einen Bürgerkrieg, der bis heute andauert. Bereits im Jahr

    G
           ewaltsame Konflikte sind weltweit eine der Haupt-                  2015 lag die Getreideproduktion mit rund 128.000 Tonnen
           ursachen für Unterernährung. Im Jahr 2019 waren                    70 Prozent unter dem Niveau der Getreideproduktion vor
           Konflikte Auslöser für sechs der zehn schlimmsten                  dem Konflikt, 2018 wurde mit rund 134.000 Tonnen nur un-
    Ernährungskrisen. Und alle Länder, in denen im Jahr 2020                  wesentlich mehr geerntet.
    eine Hungersnot herrschte, waren von gewaltsamen Kon-                         Die Art und Weise, wie sich Konflikte auf die Ernäh-
    flikten betroffen. In Afrika waren das der Sudan, Äthiopien,              rungssicherheit und die Landwirtschaft auswirken,
    Südsudan, Nigeria, Kongo, die Demokratische Republik                      unterscheidet sich je nach der Situation vor Ort. Die Aus-
    Kongo und Burkina-Faso, im Mittleren Osten der Jemen,                     wirkungen von Konflikten können direkt und sogar als
    Irak, Palästina und Syrien, in Zentralasien Afghanistan so-               militärische Strategie oder Kriegstaktik beabsichtigt sein.
    wie die Konflikt-Regionen in Bangladesch und Pakistan.                    Dies ist beispielsweise im Jemen oder in der äthiopischen
    Während die meisten Länder seit 25 Jahren Fortschritte da-                Region Tigray der Fall. Produktive Infrastruktur und Vieh
    bei erzielt haben, Hunger und Unterernährung zu verrin-                   werden dort gezielt angegriffen, die Bevölkerung wird
    gern, stagnierte die Lage in den von Konflikten betroffenen               belagert, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und
    Ländern. Zum Teil hat sich die Situation der dortigen Be-                 ausgehungert. In anderen Konflikten ist Hunger eine un-
    völkerung sogar verschlechtert. Dies ist besorgniserregend,               beabsichtigte, aber strukturelle Folge des Krieges, wenn
    weil die Zahl der Konflikte weltweit zunimmt.                             Konflikte etwa zu Vertreibungen führen, die Lebensgrund-
        Bürgerkriege und interne Konflikte spielen dabei eine                 lagen, Nahrungsmittelsysteme und Märkte zerstören.
    größere Rolle als zwischenstaatliche Konflikte. Mehr als
    die Hälfte der von Kriegen oder Bürgerkriegen betroffenen
    Bevölkerung lebt in ländlichen Regionen. Damit beein-                                   Seit 2015 führen verschiedene Parteien im Jemen
    flussen Konflikte alle Aspekte der Landwirtschaft, von der                              einen Bürgerkrieg, unterstützt von Saudi-Arabien
    Produktion über die Vermarktung bis hin zu ländlichen                                         auf der einen, von Iran auf der anderen Seite

                                                                                                                                            HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / FAOSTAT

       KRIEG MACHT HUNGRIG
       Unterernährte Menschen im Jemen, 2005–2020

                                                      2015: Kriegsbeginn

                            JEMEN

                                                                                               13,0 Mio       12,9 Mio        13,2 Mio
                                                                               12,5 Mio
                                                                  11,5 Mio

                                                  10,0 Mio

                                 6,1 Mio
               5,5 Mio

              2005–2007         2009–2011         2013–2015       2014–2016     2015–2017      2016–2018       2017–2019      2018–2020

6   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
MULTIPLE KRISEN
  Ursachen der größten drohenden Hungerkrisen weltweit,
  Prognose März 2021

                                                                 Niger                                              Afghanistan
        Guatemala                                                                              Syrien

                   Honduras                                    Mali                  Libanon

                                                    Burkina Faso

                              Haiti
                                                                                       Sudan              Jemen
                                                      Nigeria                                                   Äthiopien
     El Salvador                                  Sierra Leone                                                    Somalia
                                                              Liberia

               Venezuela                                                                                 Südsudan
                                                      Zentralafrikanische Republik
                                                                                                        Demokratische Republik Kongo

                                                                                                                                              HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / FAO, WORLD FOOD PROGRAMME
                                                                           Angola

                                                                         Zimbabwe                            Madagaskar

                                                                                                Mosambik

                                                                          Stürme
                                                          Konflikte       Überschwemmungen       Ökonomische Krisen (inklusive
                                                          Vertreibung     Trockenheit            Maßnahmen gegen Corona-Epidemie)
                                                          Ebola           Heuschrecken           Politische Instabilität

                                                                                                        Konflikte, der Klimawandel und
Dies führt zu höheren Lebensmittelpreisen oder geringe-                                      ökonomische Schocks sind aktuell die größte
rer Kaufkraft der Haushalte.                                                                          Gefahr für eine sichere Ernährung
    Besonders bedrohlich wird die Situation von Menschen,
die durch Krieg von ihrem Land oder aus ihrem Zuhause
vertrieben werden. Vertriebene gehören zu den am stärks-                  flikten beitragen, etwa über den Zugang zu Land und Was-
ten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt und sind                     ser. Ein Beispiel ist die witterungsbedingte Änderung von
häufig von Ernährungsunsicherheit und Unterernährung                      Wanderungsrouten von Hirten in Ostafrika, beispielsweise
betroffen. Schätzungsweise 80 Prozent der durch Konflikte                 in den Dürrejahren 2015 bis 2017. Steigende Nahrungs-
vertriebenen Menschen leben in Ländern, in denen sich die                 mittelpreise können zudem dazu führen, dass der Staat als
Bevölkerung in Teilen nur mit Mühe ausreichend ernähren                   ungerecht wahrgenommen wird, etwa, wenn ausreichend
kann. Die Zahl der Menschen, die aufgrund von Konflikten                  Lebensmittel vorhanden sind, Arme aber nicht genug Ein-
und Gewalt vertrieben wurden, ist seit 2011 kontinuierlich                kommen besitzen, um welche zu kaufen. Die Brotaufstände
gestiegen. Ende 2019 erreichte sie einen Rekordwert von                   des Jahres 2008 etwa in Ägypten, Haiti, Indonesien, Burkina
79,5 Millionen Menschen. Das waren fast doppelt so viele                  Faso oder Kamerun sind Beispiele dafür.
wie im Jahr 2010.                                                             Es ist nicht alleine und vorrangig eine Frage der Pro-
    Vertriebene Menschen können kein Land mehr bestel-                    duktion von Nahrungsmitteln, den Hunger zu bekämp-
len, finden kaum Arbeit und haben damit so gut wie keine                  fen. Hungernde Menschen müssen Zugang zu gesunden
Möglichkeit, selbst für ihre Lebensgrundlagen zu sorgen.                  Nahrungsmitteln haben. Sie sind dafür auf ein Umfeld an-
Sie sind, häufig jahrelang, auf die Hilfe von Staaten oder                gewiesen, in dem sie das nötige Einkommen erwirtschaf-
Hilfsorganisationen angewiesen. Ihre Lage verschlechtert                  ten oder selbst Lebensmittel produzieren können und in
sich erheblich durch die steigenden Lebensmittelpreise                    dem sie für den Notfall sozial abgesichert sind. Konflikte
weltweit. Vielerorts haben die Preise inzwischen ein ähnli-               zerstören oder untergraben die Grundlage einer solchen
ches Niveau wie während der Ernährungskrise 2008/2009                     langfristigen, auf Ernährungssicherheit abzielenden Stra-
erreicht. Hunger kann aber auch zur Entstehung von Kon-                   tegie.

                                                                                             ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021                                                 7
FEHLERNÄHRUNG

    HUNGER UND ZU
    VIEL VOM FALSCHEN
    Fehlernährung nimmt weltweit zu. Zu                                                                       2017 steigt er wieder deutlich und lag 2020 weltweit bei
    wenig Nahrung führt zu Wachstums- und                                                                     768 Millionen Menschen. Auch die Zahl der Übergewichti-
    Entwicklungsstörungen, zu viele leere                                                                     gen nimmt zu. 2018 waren weltweit 1,9 Milliarden Erwach-
                                                                                                              sene übergewichtig oder fettleibig. In den Ländern des glo-
    Kalorien aus Zucker und Fetten können
                                                                                                              balen Südens nehmen Übergewicht und Fettleibigkeit bei
    Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes                                                                 Kindern schneller zu als in den Industrieländern. Für diese
    auslösen.                                                                                                 Länder bedeutet das eine doppelte Belastung durch Unter-
                                                                                                              als auch durch Überernährung.

    Ü
          ber ein Drittel der Menschheit leidet unter Fehl-                                                       Hunger beeinträchtigt vor allem Kinder in ihrer Ent-
          ernährung. Die Betroffenen sind unterernährt und                                                    wicklung. 45,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren (6,7
          unzureichend mit Vitaminen oder Mineralstoffen                                                      Prozent) sind wegen chronischer Mangelernährung ausge-
    versorgt, oder sie sind übergewichtig und fettleibig. Fett-                                               zehrt, also zu leicht für ihre Körpergröße. 149,2 Millionen
    leibigkeit ist kein ästhetisches Problem, und sie macht auch                                              (22 Prozent) Mädchen und Jungen sind zu klein für ihr Alter.
    nicht in jedem Fall krank. Aber sie erhöht die Wahrschein-                                                Etwa 45 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jah-
    lichkeit für bestimmte Erkrankungen. Der Anteil der hun-                                                  ren gehen auf Unterernährung zurück. Nicht nur im globa-
    gernden und unterernährten Menschen an der Weltbevöl-                                                     len Süden herrscht Nahrungsunsicherheit, sondern durch-
    kerung hatte zwischen 2005 und 2014 abgenommen. Seit                                                      aus auch in den westlichen Industrieländern. Im Jahr 2019
                                                                                                              lebten in den USA 35,2 Millionen Menschen in Haushalten,
                                                                                                              in denen zeitweilig nicht genug Geld für eine ausreichende
                                                                                                              Ernährung zur Verfügung stand.
       ABWECHSLUNG UND VITAMINE SIND TEUER
                                                                                                                  Aber auch Übergewicht kann krank machen. Weltweit
       Kosten verschiedener Ernährungsarten nach Weltregionen, 2017,
       pro Person und Tag in US-Dollar                                                                        haben in den vergangenen 20 Jahren Krankheiten stark
                                                                                                              zugenommen, die nicht übertragbar sind und unter ande-
              Ernährung mit ausreichend Kalorien                                                              rem durch falsche Ernährung ausgelöst werden. So starben
              Ernährung mit ausreichend Nährstoffen                                                           im Jahr 2000 weltweit 900.000 Menschen an Diabetes, im
              Ernährung gesund und abwechslungsreich;
                                                                                                              Jahr 2019 waren es 1,4 Millionen. Herzerkrankungen und
              kombiniert verschiedene Lebensmittelarten;
              beugt ernährungsbezogenen Krankheiten vor                                                       Schlaganfälle waren im Jahr 2019 weltweit die häufigsten
                                                                                                              Erkrankungen und verursachten 15 Millionen Todesfälle
                                                                                                              – im Jahr 2000 waren es noch 12 Millionen. Die Ursachen
                      1,06 $                                                                                  von Übergewicht und Fettleibigkeit sind vielschichtig. Sie
                                                2,83 $                                                        liegen vor allem in veränderten Lebens- und Ernährungs-
           Lateinamerika und Karibik
                                                                 3,98 $                                       gewohnheiten in Verbindung mit zu wenig Bewegung.
                   0,88 $
                                                                                                                  Einen strukturellen Grund für den zunehmenden Kon-
                                      2,18 $
                                                                                                              sum von hochverarbeiteten Lebensmitteln liefert die Er-
           Asien                                                                                              nährungskrise 2008. Frauen mussten zusätzliches Geld für
                                                                 3,97 $
                                                                                                              den Lebensunterhalt ihrer Familien verdienen, während
               0,73 $                                                                                         sie gleichzeitig weiter Care Arbeit für die Familie leisteten.
                                     2,15 $                                                                   So sind sie in vielen Ländern vorrangig für die Zubereitung
           Afrika
                                                               3,87 $                                         des Essens verantwortlich. Weil dazu nun Zeit fehlte, wur-
                                                                                                              den vermehrt hochverarbeitete Lebensmittel gekauft, die
           0,54 $
                                                                                                              schnell und einfach gekocht werden können. Der Absatz
                                       2,29 $
           Nordamerika und Europa                                                                             solcher Lebensmittel stieg an, ebenso wie die Zahl der Men-
                                                     3,21 $
                                                                                                              schen, die unterwegs Fastfood oder in Imbissen aßen. In der
            0,55 $                                                                                            Folge nahm der Konsum verarbeiteter Nahrungsmittel mit
                                   2,07 $                                                                     einem hohem Zucker und Salzgehalt zu. Der Konsum hoch-
                                                                          HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / STATISTA

           Ozeanien
                                                   3,06 $                                                     verarbeiteter Lebensmittel ist als eine Ursache für Fettleibig-
                                                                                                              keit ins Zentrum gerückt. Zu diesen zählen etwa zuckerge-
                  0,79 $
                                       2,33 $
           Welt
                                                              3,75 $                                          Gerade im globalen Süden ist eine
                                                                                                              gesunde, abwechslungsreiche Ernährung
                                                                                                              für viele Menschen unerschwinglich

8   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / GLOBAL NUTRITION REPORT
  GESUNDHEITSSYSTEME MIT DOPPELBELASTUNG
  Anteil der unterentwickelten Kinder unter 5 Jahren, der Frauen im gebärfähigen Alter mit Blutarmut
  und der Frauen mit Übergewicht, 2019

           Keine ausreichenden Daten                               	Mehr als 20 Prozent der Frauen im              	Mehr als 35 Prozent der Frauen sind
         	Mehr als 20 Prozent der                                   gebärfähigen Alter haben Blutarmut               übergewichtig und mehr als 20 Prozent
           Frauen im gebärfähigen Alter                              (Anämie) und mehr als 20 Prozent                 der Kinder unter 5 sind unterentwickelt
           haben Blutarmut (Anämie)                                  der Kinder unter 5 sind unterentwickelt          Mehr als 20 Prozent der Frauen im
         	Mehr als 20 Prozent der Frauen                          	Mehr als 35 Prozent der Frauen                   gebärfähigen Alter haben Blutarmut (Anämie)
           im gebärfähigen Alter haben Blutarmut                     sind übergewichtig                               und mehr als 35 Prozent der Frauen sind
           (Anämie) und mehr als 35 Prozent                        	Mehr als 20 Prozent der Kinder                   übergewichtig und mehr als 20 Prozent
           der Frauen sind übergewichtig                             unter 5 sind unterentwickelt                     der Kinder unter 5 sind unterentwickelt

  Als übergewichtig gelten Frauen mit einem Body-Maß-Index (BMI) von mehr als 25.

                                                                                                                            Die Gesundheitssysteme der meisten
süßte Getränke, Snacks oder Tiefkühlgerichte. Sie besitzen                                                      Länder weltweit werden durch eine oder mehrere
eine hohe Kaloriendichte und bestehen häufig aus billigen                                                                    Formen der Fehlernährung belastet
Rohstoffen wie Palmöl, Zucker und Stärke. Sie sind in allen
Ländern der Welt Teil des Ernährungssystems. Im Vergleich
zu anderen sind hochverarbeitete Lebensmittel haltbarer,                                     bensmittelarten kombiniert und neben Mangelerscheinun-
fertig für den Verzehr und werden stark beworben.                                            gen auch langfristig ernährungsbezogenen Krankheiten
    Trotz der negativen Ernährungsbilanz werden – abhän-                                     vorbeugt, kostet pro Tag und Kopf mindestens 3,75 US-Dol-
gig von der Region – zwischen 25 und 60 Prozent des Kalo-                                    lar. Laut einem Bericht der UN ist eine gesunde Ernährung,
rienbedarfs durch hochverarbeitete Lebensmittel gedeckt.                                     die Mangelernährung vorbeugen würde, für fast die Hälfte
Marktdaten zeigen, dass der Umsatz mit ihnen am stärks-                                      aller Menschen weltweit unerschwinglich.
ten in Süd- und Südostasien sowie in Nordafrika und dem
Mittleren Osten zugenommen hat, während der Umsatz
mit hochverarbeiteten Getränken am stärksten in Süd- und
                                                                                                 SIE BEHERRSCHEN DIE SUPERMÄRKTE DER WELT
Südostasien und Afrika gewachsen ist. Eine gesunde, also
                                                                                                 Die 10 größten Lebensmittelkonzerne, Umsatz 2019,
abwechslungs- und nährstoffreiche Ernährung, ist fünfmal                                         in Milliarden US-Dollar
teurer als eine Ernährung, die nur den Energiebedarf durch
                                                                                                                              Heineken
stärkehaltige Grundnahrungsmittel decken muss.
                                                                                                                  Danone
    Weltweit können sich mehr als drei Milliarden Men-                                                                          26,8               Nestlé
                                                                                                                           28,3
                                                                                                               Cargill
                                                                                                                                                                       HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / PACKAGINGSTRATEGIES.COM

schen keine gesunde Ernährung leisten. Im globalen Durch-
                                                                                                                                           93,1
schnitt kostet es 0,79 US-Dollar, um eine Person für einen                                                             32,2
Tag mit ausreichend Kalorien zu versorgen. Der Preis für
                                                                                                      Coca-Cola 37,2
eine Ernährung, die außer Kalorien auch den Nährstoffbe-                                                                        470,4 Mrd. $      68,2 PepsiCo
darf berücksichtigt, liegt bei 2,33 US-Dollar. Eine gesunde
                                                                                                                 37,5
und abwechslungsreiche Ernährung, die verschiedene Le-                                           Mars International                       52,3
                                                                                                                         43,1              Anheuser-Busch InBev
                                                                                                                                   51,7
                                                                                                               Tyson Foods
                                            Gemeinsam erzielten die großen                                                         JBS
                                             fünf der Branche einen Umsatz
                                             von 308,4 Milliarden US-Dollar

                                                                                                                      ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021                                               9
MACHT

     DAS GESCHÄFT MIT DEM ESSEN
     Vom Landbesitz über den Saatgutmarkt                                                ihrem Land vertrieben, entfällt ihre Lebensgrundlage. Nach
     bis zum Lebensmitteleinzelhandel:                                                   Berechnungen der International Land Coalition nimmt die
     Konzentration prägt die Wertschöpfungs-                                             Ungleichheit im Landbesitz seit den 1980er Jahren wieder
                                                                                         zu. So wurden in Afrika in den Jahren zwischen 2000 und
     kette der Lebensmittelproduktion. Das
                                                                                         2016 zehn Millionen Hektar Land für die großflächige Land-
     Machtungleichgewicht zwischen großen                                                wirtschaft erworben. Nur etwa die Hälfte der abgeschlosse-
     Konzernen, Kleinbäuer*innen und                                                     nen Landkäufe sind heute produktive Betriebe. Im Umfeld
     Konsument*innen fördert Fehlernährung.                                              von Großbetrieben sind Hunger und Armut häufiger als in
                                                                                         kleinbäuerlich geprägten Strukturen. Noch gravierender
                                                                                         ist das Ungleichgewicht, wenn die Verteilung von Land zwi-

     M
             achtungleichheiten im Agrarsektor gibt es entlang                           schen den Geschlechtern in die Betrachtung aufgenommen
             der gesamten Wertschöpfungskette. Sowohl auf                                wird. Im globalen Süden sind nur zwischen 10 bis 20 Prozent
             globalen Märkten als auch auf lokaler und regiona-                          der Landbesitzer*innen weiblich. In der Hälfte aller Länder
     ler Ebene sind die Zugänge etwa zu Land, Saatgut, Wasser                            weltweit ist es für Frauen sehr schwer bis unmöglich, Land
     oder Bildung höchst ungleich verteilt. Dabei befördern sich                         zu besitzen. Dabei ist das Recht von Frauen auf Land und
     ökonomische und politische Macht gegenseitig. Es entste-                            Eigentum zentral, um am Wirtschaftsleben teilnehmen,
     hen auf Eliten zugeschnittene Politiken, die Hunger und                             Nahrungsmittel produzieren und Einkommen erwirtschaf-
     Armut für Teile der Bevölkerung bedeuten und ökologische                            ten zu können.
     Krisen wie Klimawandel und Artensterben vorantreiben.                                    Auch der Zugang zu lokal angepasstem Saatgut ist wich-
         Ein Beispiel für Machtungleichheit ist die in vielen Län-                       tig für die Ernährungssicherheit und steht im Gegensatz zu
     dern der Welt fehlende Landpolitik. Für die Ernährungs-                             den Marktinteressen der großen Saatgutkonzerne. 50 Pro-
     sicherheit ist dies von zentraler Bedeutung, denn 80 Pro-                           zent des Marktes für kommerziell genutztes Saatgut teilen
     zent der Menschen, die von extremer Armut betroffen sind,                           nur vier Unternehmen unter sich auf. Dazu gehören die
     leben auf dem Land. Landwirtschaft ist ihre wichtigste Ein-                         deutsche Bayer Crop Science (inklusive Monsanto), das ame-
     kommensquelle, häufig treiben sie Subsistenzwirtschaft.                             rikanische Unternehmen Corteva Agriscience, ChemChina/
     So schätzt die UN-Organisation für Landwirtschaft und Er-
     nährung (FAO), dass von den weltweit 608 Millionen land-
     wirtschaftlichen Betrieben 84 Prozent auf weniger als zwei                                                In reichen Ländern wie Deutschland oder
     Hektar wirtschaften. Nur ein Prozent der Betriebe weltweit                                                           den USA stagniert der Konsum
     bewirtschaftet mehr als 50 Hektar. Werden Menschen von                                            hochverarbeiteter Lebensmittel auf hohem Niveau

                                                                                                                                                              HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / OBESITY REVIEWS
        STARKES WACHSTUM IN ARMEN LÄNDERN
        Jährliche Wachstumsrate des Konsums hochverarbeiteter Lebensmittel in Prozent
        und ihr Konsum pro Kopf in Kilogramm, nach Ländern von 2009–2019, Auswahl
          12
                                                                                                          Einkommensniveau
          10         Indien         Vietnam                                                                  Mittleres Einkommen im unteren Bereich
                                                                                                             Mittleres Einkommen im oberen Bereich
          8                                                  Georgien                                        Land mit hohem Einkommen
                     Pakistan
          6
                                   China      Iran      Guatemala          Südafrika
          4
                   Nigeria                                              Vereinigte Arabische Emirate
          2
                                                                            Neuseeland                                                            USA
                                                     Brasilien                                         Mexiko
          0
                                                                 Italien
                                                                                                                           Deutschland
          -2                                            Saudi-Arabien            Argentinien

          -4
                                           Griechenland

          -6
                                      Venezuela
          -8
               0              50               100                150                  200          250              300              350               400

10   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
DAS GESCHÄFT MIT WALD UND ACKER
  Die 20 Länder mit den meisten transnationalen Landverkäufen seit 2000,
  erfasst ab 200 ha, in Hektar

                                                     3.420.730 ha
                                                                                                                                                16.478.245 ha
                                                                  Ukraine                                                        Russland

                                           462.002 ha
                                                    Rumänien

                                     1.368.987 ha
                                                                                                                                                               724.788 ha
       1.375.001 ha                                                           440.526 ha
                                               Liberia                                                                                                          Laos
              Guyana                                                                Sudan                                                                                812.059 ha
                               517.300 ha                                                                916.448 ha                                                 Kambodscha
                                                                                                                                 Myanmar
                                    Sierra Leone
                                                                                                      Äthiopien            970.603 ha
                                                            Ghana
                                                            455.218 ha
                    Brasilien

                                3.920.282 ha                         DR Kongo                                  588.322 ha
                                                              586.752 ha                                 Madagaskar
                                                                                                                                              Indonesien
                                                                                               Mosambik                                                          Papua-Neuguinea

                                                                                                                                                                                        HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / LANDMATRIX
                                                                                                  1.134.409 ha                                               1.771.696 ha
                                    Uruguay                                                                                            3.784.987 ha
           Argentinien                   957.858 ha
                1.262.740 ha                                               	bis zu einer Million Hektar
                                                                             über eine Million Hektar

  Dargestellt sind abgeschlossene Geschäfte landwirtschaftlicher Flächen, einschließlich Forstflächen und Energiepflanzenproduktion.

                                                                                                                                            Vor zehn Jahren stieg das Interesse
Syngenta sowie Vilmorin & Cie / Limagrain aus Frankreich.                                                                      internationaler Investoren an Landkäufen stark
Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren seit Jahren,                                                                            an, vor allem in Asien und Osteuropa
dass die großen Saatgutunternehmen Einfluss auf die Politik
im globalen Süden nehmen, um sich die dortigen Saatgut-
märkte zu erschließen. Unter anderem wollen sie die Gesetz-                                            teile zu erhalten. Das zeigt zum Beispiel die 2016 unter dem
gebung verändern und so die Freiheit der Bäuerinnen und                                                Titel „Coke-Leaks“ bekannt gewordene E-Mail-Kommunika-
Bauern einschränken, Saatgut selbst zu vermehren, zu han-                                              tion zweier ehemaliger hochrangiger Coca-Cola-Manager.
deln oder zu tauschen. Folgen Bauern und Bäuerinnen dem                                                Ihr Schriftwechsel legt nahe, dass durch Auftragsstudien
Rat von Beratungsprogrammen, Hybridsaatgut zu kaufen,                                                  Forschungsergebnisse über die Gründe von Fettleibigkeit
können sie kein eigenes Saatgut mehr erzeugen. So können                                               generiert werden sollten, die den Industrieinteressen ent-
sie in eine Schuldenspirale geraten. Abgesehen davon er-                                               gegenkommen.
höht die Vielfalt des traditionellen Saatguts die Chance, den                                              Die zivilgesellschaftliche Organisation Corporate Euro-
Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.                                                        pe Observatory hat berechnet, dass die Lebensmittelindus-
    Eine Marktkonzentration mit besonders negativen ge-                                                trie in Europa mehr als 500 Millionen Euro für Lobbyarbeit
sundheitlichen Auswirkungen ist auf der Ebene der Lebens-                                              gegen die Einführung des Nutri-Scores auf Lebensmitteln
mittelhersteller zu beobachten. Die fünf größten Lebens-                                               ausgegeben hat. Die Konzerne brachten eine eigene, frei-
mittelkonzerne der Welt, Nestlé, PepsiCo, Anheuser-Busch                                               willige Kennzeichnung mit wesentlich geringerer Aus-
InBev sowie die Fleischkonzerne JBS und Tyson Foods er-                                                sagekraft ins Spiel und beauftragten einen von ihr finan-
zielten 2019 jeweils einen Umsatz von über 40 Milliarden                                               zierten Think-Tank mit wissenschaftlichen Studien. Diese
US-Dollar. Sie verfügen über einen globalen Marktanteil von                                            sollten die Glaubwürdigkeit der eigenen Kennzeichnung
23 Prozent der Top 100 Nahrungsmittelhersteller. Ihr ge-                                               erhöhen. Der weltweit wachsende Konsum hochverarbei-
meinsamer Umsatz von 308 Milliarden US-Dollar im Jahr                                                  teter Lebensmittel, der immer höhere gesellschaftliche
war höher als das Bruttoinlandsprodukt von Finnland. Auch                                              Kosten verursacht, ist auch ein Ergebnis dieser Lobbyans-
diese Firmen nehmen politischen Einfluss, um ihre Marktan-                                             trengungen.

                                                                                                                                       ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021                                  11
ERNÄHRUNGSARMUT

     WER SCHLECHT ISST,
     IST NICHT SELBER SCHULD
     In einem reichen Land wie Deutschland                                                     gilt das für Haushalte, die wenig Geld zur Verfügung haben.
     können sich alle Menschen ausreichend und                                                 So errechnet das Robert-Koch-Institut zwischen der nied-
     gesund ernähren? So einfach ist das nicht.                                                rigsten und der höchsten Einkommensgruppe Unterschie-
                                                                                               de in der Lebenserwartung von 8,4 Jahren bei Frauen und
     Einkommen, Bildung und Arbeit sind eng
                                                                                               10,8 Jahren bei Männern.
     verknüpft mit dem Gesundheitszustand.                                                         Armut ist ein Gesundheitsrisiko. Als armutsgefährdet
                                                                                               gelten Personen, deren Einkommen weniger als 60 Prozent

     D
            er Begriff Ernährungsarmut beschreibt die strukturel-                              des nationalen Mittels beträgt. Im März 2020 lebten 6,48
            len Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer                                       Millionen Menschen in Deutschland von Arbeitslosengeld
            Position, Ernährung und Gesundheit. Regelmäßige                                    oder Hartz-IV-Leistungen, darunter rund 1,87 Millionen
     Erhebungen dazu fehlen in Deutschland, denn der Zugang                                    Kinder und Jugendliche. Für allein lebende Erwachsene
     zu Nahrungsmitteln gilt hierzulande als relativ sicher. Nie                               betrug 2020 die monatliche Grundsicherung 432 Euro. Da-
     war das Angebot an Lebensmitteln größer, die Lebensmit-                                   rin enthalten ist ein Budget für Lebensmittel von etwa 150
     telpreise niedriger und der Anteil der Lebensmittelausga-                                 Euro im Monat, rund fünf Euro am Tag. Damit das reicht,
     ben am gesamten Konsum privater Haushalte geringer. Das                                   kaufen Armutshaushalte häufig entweder weniger oder
     verfassungsrechtlich garantierte Grundsicherungssystem                                    qualitativ schlechtere Lebensmittel ein. Für Deutschland
     soll die gesellschaftliche Teilhabe aller sicherstellen. Wenn                             ist der Zusammenhang zwischen Lebensmittelpreisen und
     sich unter diesen Bedingungen Menschen ungünstig ernäh-                                   ihrer Energiedichte beziehungsweise ihrem Nährstoffge-
     ren, muss das an mangelnden Informationen, Kompeten-                                      halt wenig untersucht. Studien aus anderen wohlhabenden
     zen oder anderen Prioritäten liegen – so die im öffentlichen                              Ländern zeigen aber, dass energiedichte Lebensmittel mit
     Diskurs oft formulierte Annahme.                                                          hohem Stärke- und Zuckeranteil im Vergleich zu gesunden
         Die sozialepidemiologische Forschung weist allerdings                                 Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, Fisch oder magerem
     auf den großen Einfluss struktureller und materieller Bedin-                              Fleisch relativ preisgünstig sind. Softdrinks, Brot, Nudeln
     gungen auf das Ernährungs- und Gesundheitsverhalten hin.
     Demnach beeinflussen Faktoren wie das verfügbare Haus-
     haltseinkommen, die relativen Lebensmittelpreise und die                                                                     In den östlichen Bundesländern ist die
     Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen das Ernährungs-                                                                       Bevölkerung älter und ärmer als in den
     und weitere Gesundheitsverhalten deutlich – insbesondere                                                                       westlichen. Das begünstigt Diabetes

        KRANKHEIT HAT EINEN ORT UND EINEN BILDUNGSABSCHLUSS
        Diabetes-Häufigkeit bei gesetzlich krankenversicherten Erwachsenen, nach Geschlecht und Bundesland, in Prozent

                                                                         unter 9,5                          unter 10,9
                               Schleswig-                                                                                                  Schleswig-
                                Holstein                                 9,5–11,2                           10,9–12,2                       Holstein
                                               Mecklenburg-                                                                                                Mecklenburg-
                                Hamburg        Vorpommern                11,2–12,8                          12,2–13,6                       Hamburg        Vorpommern
                       Bremen                                            12,8–14,5                          13,6–15,0              Bremen

                       Niedersachsen                        Berlin       über 14,5                          über 15,0              Niedersachsen                        Berlin

                                                          Brandenburg                                                                                                 Brandenburg
                                               Sachsen-                                                                                                    Sachsen-
                                                Anhalt                                                                                                      Anhalt
                Nordrhein-                                              Frauen                                   Männer     Nordrhein-
                Westfalen                                   Sachsen                                                         Westfalen                                   Sachsen
                                            Thüringen                                           14,5 %                                                  Thüringen
                             Hessen
                                                                             14,0 %                                                      Hessen

              Rheinland-                                                                                                  Rheinland-
                                                                                                         7,0 %
                                                                                                                                                                                    HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / DIAB-INFO

                Pfalz                                                                                                       Pfalz
                                                                                      4,5 %
                Saarland                                                                                                    Saarland
                                                 Bayern                                                                                                      Bayern

                             Baden-
                                                                            Häufigkeit bei 18- bis 79-Jährigen,                          Baden-
                           Württemberg                                      nach Bildungsstand, in Prozent                             Württemberg
                                                                               untere Bildungsgruppe
                                                                               mittlere und oberere Bildungsgruppe

12   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
AN DEN TAFELN WIRD’S ENGER
  Menschen, die Lebensmittel der Tafeln nutzen
  in absoluten Zahlen und nach Art der staatlichen Leistungen             2018                                  1,5 Millionen Menschen
  und Alter, 2019, in Prozent
                                                                          2019                                        1,65 Millionen Menschen

                                       26 %
     Anteil der Haushalte
     mit Bedürftigkeit

                   Rente, Grundsicherung
                                                                7%
                                                                 andere                                              26 %
                                                                                                  Senior*innen
                                                                                                                                 44 %

          47 %

                                                                                                                                                             HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / TAFEL
                                           20 %                                                                      30 %
                                                                                                                                      Erwachsene
                                                                                                                                    (erwerbsfähiges Alter)

                ALG II
                                                  Asylbewerberleistungsgesetz
                                                                                                    Kinder und Jugendliche

                                                                                                             Die Empfänger von Arbeitslosengeld II
oder Pizza enthalten viele Kalorien pro Euro, während Obst                                                            (Hartz-IV) stellen die größte
und Gemüse verhältnismäßig teuer sind. Preisgünstiger als                                                           Besuchergruppe an den Tafeln
stärkehaltige Grundnahrungsmittel sind, bezogen auf den
Kaloriengehalt, in den wohlhabenden Ländern nur Fette
und Zucker.                                                                sondern hat auch soziale und kulturelle Funktionen. Ein Le-
    Studien zeigen, dass es in armen Haushalten eine deut-                 ben in Armut kann dazu führen, dass Menschen an Alltags-
lich geringere Vielfalt an Lebensmitteln gibt und sie güns-                routinen wie dem Besuch von Restaurants, Mensen oder
tige, sättigende Lebensmittel gegenüber Obst und Gemüse                    Kantinen oder an einer gemeinsamen Familienmahlzeit
bevorzugen. Insgesamt 11 Prozent der deutschen Haushalte                   nur noch begrenzt teilnehmen können. Dies kann zu einer
der untersten Einkommensgruppen geben an, sich nicht                       verminderten Einbindung in soziale Netzwerke führen. Ins-
jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten zu kön-                besondere Kinder und Jugendliche leiden unter psychoso-
nen. Qualitative Untersuchungen wie die Gießener Ernäh-                    zialen Folgen wie einem geringen Selbstbewusstsein oder
rungsstudie über das Ernährungsverhalten von Armuts-                       fehlender Wertschätzung.
haushalten weisen auf finanzielle Engpässe hin, in denen
– häufig am Monatsende – das Einkommen nicht für eine
gesunde Ernährung ausreicht. In sogenannten „Zieh- oder

                                                                                                                                                             HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG / SOZIALHILFE 24
                                                                                 SO GLIEDERT SICH DER HARTZ-IV-SATZ 2021
Streckwochen“ wird die Ernährung sehr einseitig. Zum Teil
                                                                                 Regelsatz im Monat pro Kategorie, in Euro und Prozent
berichten Betroffene von Hunger. Diese Ergebnisse decken
sich mit ersten Studien, die den Ernährungsstatus von Nut-                                                  8,0 %
zer*innen der in Deutschland zunehmend verbreiteten                                               2,6 %    35,53 €
                                                                                     0,3 %
                                                                                                 11,65 €
Lebensmitteltafeln untersuchen. Die Tafeln geben unver-                              1,61 €
käufliche, gespendete Lebensmittel gegen zumeist gerin-                                    9,7 %
ge Unkostenbeiträge an Bedürftige aus. Im Jahr 2019 nutz-                                                                               34,7 %
                                                                                         43,52 €
                                                                                                                                        154,78 €
ten 1,65 Millionen Menschen regelmäßig das Angebot der
Tafeln. Es sind größtenteils Menschen, die von staatlicher                              8,9 %
                                                                                                                446,50 €
Grundsicherung leben, gefolgt von Senior*innen und Asyl-                               39,88 €
suchenden. Zwischen 2018 und 2019 ist die Zahl der Nut-
zer*innen innerhalb eines Jahres um zehn Prozent gestie-                                   9,0 %
                                                                                          40,01 €
gen. Jede*r zweite der 1.033 befragten Tafelnutzer*innen                                                                            8,3 %
gab an, sich eine gesunde und nahrhafte Ernährung nicht                                           3,8 %                8,6 %        37,01 €
                                                                                                            6,1 %
leisten zu können, rund 60 Prozent sprachen von einer                                            17,02 €               38,32 €
                                                                                                           27,17 €
einseitigen Ernährung und rund 10 Prozent berichteten, in
den letzten zwölf Monaten aus Geldmangel mindestens ein-                               Nahrungsmittel, Getränke,            Verkehr
mal einen ganzen Tag lang ohne Nahrungsmittel gewesen                                  Tabakwaren                           Nachrichtenübermittlung
                                                                                       Bekleidung, Schuhe                   Freizeit, Unterhaltung, Kultur
zu sein. Ernährung dient jedoch nicht nur der Gesundheit,
                                                                                       Wohnen, einschließlich               Bildungswesen
                                                                                       Energie, Instandhaltung              Beherbergungs-/
                                                                                       Einrichtungs-, Haushalts-            Gaststättendienstleistung
                                In vielen Armutshaushalten reicht                      gegenstände                          andere Waren und
                               der Regelsatz für eine gesunde und                      Gesundheitspflege                    Dienstleistungen
                               ausgewogene Ernährung nicht aus

                                                                                                     ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021                                             13
QUELLEN VON DATEN,
     KARTEN UND GRAFIKEN
     4–5                                                                           10–11
     KRISEN                                                                        MACHT
     ZUKUNFT OHNE HUNGER                                                           DAS GESCHÄFT MIT DEM ESSEN
     S. 4: www.fao.org/3/cb4474en/cb4474en.pdf, S. 22                              S. 10: Baker P, Machado P, Santos T, et al.: Ultra-processed
     S. 5: www.fao.org/3/cb4474en/cb4474en.pdf, S. 12                              foods and the nutrition transition: Global, regional
                                                                                   and national trends, food systems transformations
     6–7                                                                           and political economy drivers. Obesity Reviews. 2020;
     KRIEGE                                                                        1–22. https://doi.org/10.1111/obr.13126
     KONFLIKTE SCHAFFEN HUNGER,                                                    S. 11: https://landmatrix.org/list/deals
     HUNGER SCHAFFT KONFLIKTE
     S. 6: https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/                        12–13
     resources/GRFC%202021%20050521%20med.pdf, S. 252,                             ERNÄHRUNGSARMUT
     www.fao.org/faostat/en/#data/FS, Abfrage Jemen,                               WER SCHLECHT ISST,
     Zahl der Unterernährten                                                       IST NICHT SELBER SCHULD
     S. 7: https://docs.wfp.org/api/documents/                                     S. 12: www.diabinfo.de/zahlen-und-fakten.html
     WFP-0000125170/download/?_                                                    S. 13 oben: www.tafel.de/fileadmin/media/
     ga=2.83818706.571675159.1625845483-                                           Presse/Hintergrundinformationen/2019-11-05_
     622318131.1610459162, S. 5                                                    Faktenblaetter_gesamt.pdf
                                                                                   S. 13 unten: www.sozialhilfe24.de/hartz-4-alg-2/regelsatz
     8–9
     FEHLERNÄHRUNG
     HUNGER UND ZU VIEL VOM FALSCHEN
     S. 8: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/
     1195334/umfrage/kosten-fuer-gesunde-ernaehrung-
     weltweit-pro-kopf
     S. 9 oben: https://globalnutritionreport.org/reports/
     2020-global-nutrition-report, S. 40
     S. 9 unten: www.packagingstrategies.com/articles/
     95613-top-100-food-and-beverage-packaging-companies

        PODCAST-REIHE „ARMUT MACHT HUNGER“
                                                             Wie haben sich Hunger und Fehlernährung in den letzten 20 Jahren entwickelt?
                                                             Wie gestaltet sich eine Ernährungspolitik, die die strukturellen Ursachen
                                                             von Fehlernährung adressiert?

                                                             Um diese Fragen wird es in der ersten Folge unseres
                                                             dreiteiligen Böll.Spezials „Armut Macht Hunger“ gehen.

                                                             Diesen und weitere Podcasts der Heinrich-Böll-Stiftung
                                                             können Sie auf unserer Webseite, bei Soundcloud, Spotify,
                                                             Apple-Podcasts oder in der Podcast-App Ihrer Wahl abonnieren.

                                                             Scannen Sie den QR-Code, um den Podcast
                                                             „ARMUT MACHT HUNGER“ zu hören, oder geben Sie
                                                             folgenden Link ein:
                                                             boell.de/podcast/armut-macht-hunger

14   ARMUT MACHT HUNGER FAKTEN ZUR GLOBALEN ERNÄHRUNG 2021
HEINRICH-BÖLL-STIFTUNG                                                                                          TMG RESEARCH
Demokratie und Menschenrechte durchsetzen, gegen die                                                            TMG Research ist ein gemeinnütziger Thinktank mit Sitz in
Zerstörung unseres globalen Ökosystems angehen,                                                                 Berlin und Nairobi. Gemeinsam mit unseren Partnern gestalten
patriarchale Herrschaftsstrukturen überwinden, die Freiheit                                                     wir Transformationsprozesse, um Beiträge zu einer Welt
des Individuums gegen staatliche und wirtschaftliche                                                            zu leisten, die durch soziale Inklusion und die Beachtung der
Übermacht verteidigen – diese Ziele bestimmen unser Handeln.                                                    planetaren Grenzen gekennzeichnet ist. Die Umsetzung
                                                                                                                von Menschenrechten, die Bekämpfung von Hunger und Armut
Mit derzeit 34 Auslandsbüros verfügen wir über ein weltweites                                                   und der Schutz von Klima und Biodiversität stehen im Zentrum
Netz für unser Engagement. Wir arbeiten mit Landesstiftungen                                                    unserer Arbeit.
in den deutschen Bundesländern zusammen, fördern
gesellschaftspolitisch engagierte Studierende und Graduierte                                                    Wissenschaft mit der Gesellschaft ist unser zentrales
im In- und Ausland und erleichtern die soziale und politische                                                   methodisches Prinzip. Die Weltgemeinschaft hat sich ehrgeizige
Teilhabe von Immigrantinnen und Immigranten.                                                                    Ziele für den Klimaschutz und zur nachhaltigen Entwicklung
                                                                                                                gesetzt. Der tatsächliche Fortschritt bei der Zielerreichung ist
Ein besonderes Anliegen ist uns die Verwirklichung einer demo-                                                  häufig unzureichend. Hier setzt TMG Research an: Unsere
kratischen Einwanderungsgesellschaft sowie einer Geschlechter-                                                  angewandte Forschung zielt darauf ab, Entscheidungsträger*innen
demokratie als eines von Abhängigkeit und Dominanz                                                              in konkreten Transformationsprozessen zu unterstützen.
freien Verhältnisses der Geschlechter. Darüber hinaus fördern
wir Kunst und Kultur als Element unserer politischen                                                            Unsere Partner sind zivilgesellschaftliche und internationale
Bildungsarbeit und als Ausdrucksform gesellschaftlicher                                                         Organisationen, Ministerien und Behörden und Unternehmen.
Selbstverständigung.                                                                                            Wir arbeiten in elf Ländern auf fünf Kontinenten. TMG Research
                                                                                                                ist Mitglied des Think Sustainable Europe Netzwerks.

Heinrich-Böll-Stiftung                                                                                          TMG Research gGmbH
Schumannstr. 8, 10117 Berlin, www.boell.de                                                                      EUREF Campus 6-9, 10829 Berlin, www.tmg-thinktank.com

ZUM WEITERLESEN –
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      FLEISCHATLAS
       Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel          2021
                                                                       INSEKTENATLAS
                                                                        Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge           2020
                                                                        in der Landwirtschaft

                                                         JUGEND,
                                                                 D
                                                        KLIMA UN
                                                                  G
                                                        ERNÄHRUN

    FLEISCHATLAS 2021                                                 INSEKTENATLAS 2020                                                BÖLL.THEMA
    Daten und Fakten über                                             Daten und Fakten über Nütz- und                                   Das Magazin der Heinrich-Böll-
    Tiere als Nahrungsmittel                                          Schädlinge in der Landwirtschaft                                  Stiftung erscheint dreimal im Jahr
                                                                                                                                        zu aktuellen Schwerpunkten.
    Mit kurzen Essays und einer                                       Mit mehr als 80 Grafiken über die
    Vielzahl anschaulicher                                            Bedeutung von Insekten als                                        Ende November schauen wir auf die
    Abbildungen rund um den                                           fundamentaler Teil der                                            Nahrungsmittelindustrie und zeigen,
    Fleischkonsum.                                                    Lebensgrundlagen unserer Welt.                                    warum Ernährung politisch ist.

    boell.de/fleischatlas                                             boell.de/insektenatlas                                            boell.de/thema
Seit 2017 nehmen Hunger und Mangelernährung wieder
zu. Im Jahr 2020 hatten 768 Millionen Menschen zu
wenig zu essen, fast zehn Prozent der Weltbevölkerung.
aus: KRISEN. ZUKUNFT OHNE HUNGER, Seite 4

Vertriebene gehören zu den am stärksten gefährdeten
Bevölkerungsgruppen der Welt und sind häufig von
Ernährungsunsicherheit und Unterernährung betroffen.
aus: KRIEGE. KONFLIKTE SCHAFFEN HUNGER, HUNGER SCHAFFT KONFLIKTE, Seite 7

In den Ländern des globalen Südens nehmen Übergewicht
und Fettleibigkeit bei Kindern schneller zu als in den
Industrieländern. Für diese Länder bedeutet das
eine doppelte Belastung durch Unter- und Überernährung.
aus: FEHLERNÄHRUNG. HUNGER UND ZU VIEL VOM FALSCHEN, Seite 8
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