Beispiele Praxis - Lernort Kriegsgräberstätte Pädagogische Formate und Beispiele - Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
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Inhalt 1 Editorial Karl-Friedrich Boese 35 Lernen mit Kopf, Herz und Hand Oliver Plessow Pflegepatenschaften auf Kriegsgräberstätten 2 Die Kriegsgräberstätte und historisches Lernen Geschichtsvermittlung an einem außergewöhnlichen Lernort Verena Effgen 37 „Tu den Frieden im Kleinen“ – Über das Engagement Jakob Böttcher einer Grundschule 5 Helden – Täter – Opfer Die Kriegsgräberstätte als Erinnerungsort im Wandel Torben Herberg 38 Die Pflegepatenschaft für die Kriegsgräberstätte Anke Büttgen auf dem Friedhof Jesteburg 9 Friedhofserkundung Dennis Köppl Anne-Susann Schanner 40 Schulische Projektfahrten 11 Interaktive Spurensuche – Erkunden einer Kriegsgräberstätte Exkursionen zu den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges Wiebke Bathe Daniel Gollmann 12 „Mit dem Tablet in die Vergangenheit“ 42 „In Flanders Fields“ – Auf den Spuren des Ersten Weltkriegs in Belgien Rainer Bendick 14 Die Geschichts- und Erinnerungstafel Dennis Köppl „Heimatgeschichte“ im besten Sinn des Wortes 43 „Die Knochenmühle an der Maas“ – Das Schlachtfeld von Verdun als europäischer Mahn- Rainer Bendick und Erinnerungsort 16 Die Geschichts- und Erinnerungstafel zum Gräberfeld Erster Weltkrieg auf dem Hauptfriedhof an der Lindener Straße in Kinga Kazmierczak Wolfenbüttel 44 Fahrten in die Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten des Volksbundes Maximilian Fügen 18 Die Geschichts- und Erinnerungstafel zur Kriegsgräberstätte Joëlle Winter | Ruth Selzer-Breuninger | Micha-Steffen Stracke Schönau am Königssee 46 „Wer die Spuren der Kriege kennt, kann Frieden und Freiheit neu gewichten“ – Studienfahrten der Joachim-Schumann-Schule aus Karl-Friedrich Boese Babenhausen nach Niederbronn-les-Bains 20 Das Projekt „Namensziegel für sowjetische Kriegsgefangene“ Historische Verantwortung im Dienst der Völkerverständigung Bettina Harz 47 lautSTARK für RESPEKT – Pädagogische Friedensarbeit durch nied- Anne Brodersen rigschwellige Musikworkshops für Jugendliche mit Förderbedarf 22 „Wir schreiben eure Namen“ – Erinnerungskultur in der Praxis des Schulalltags Heike Baumgärtner 48 Gemeinsam für den Frieden Wiebke Bathe Jugendbegegnungen und Workcamps 23 „Wir schreiben eure Namen“ – Tonziegelprojekt im Landesverband Hessen Heike Baumgärtner Karl-Friedrich Boese 49 Internationale Jugendbegegnung München 24 Projektarbeit mit biografischen Nachlässen Anne Schieferdecker Karl-Friedrich Boese 50 Workcamp Masuren 26 Studienfahrt zu Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs in Frankreich – Fortbildung für Lehrer:innen des Bezirksverbandes Lüneburg/Stade Andreea peptine 51 „Gemeinsam Geschichte schreiben“ in Lille und Bonn Lilian Heinen-Krusche 28 Lernort Lebach/Saar – Mit biografischen Nachlässen wird eine Carsten Riedel Kriegsgräberstätte zum Lernort 52 Schulische Gedenkfeiern auf Kriegsgräberstätten Anke Büttgen Louis Schreier | Anne-Susann Schanner 30 Die Bedeutung der biografischen Recherche 54 „Gedenken und Erinnerung an Opfer von Krieg und Gewaltherr- schaft – deutsch-polnische Schulbegegnung zum Volkstrauertag“ Maximilian Fügen 32 Gräbersuche Online – Möglichkeiten der familien- und lokalhistori- Carsten Riedel schen Recherche 55 Schulische Gedenkfeier zum Jahrestag der Bombardierung Dres- dens – Etablierung neuer Gedenkformen Anke Büttgen 33 Der Einsatz von Feldpostbriefen in historisch-politischen 56 Autor:innen Projekten 57 Unsere Ansprechpartner:innen Impressum: Verantwortlich: Gefördert durch: Herausgegeben vom Dirk Backen, Generalsekretär Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Verlag: Bundesgeschäftsstelle Friedrich Verlag GmbH Sonnenallee 1 Luisenstraße 9, 30159 Hannover 34266 Niestetal Druck: Telefon: 0561 – 70 09 0 Zimmermann Druck + Verlag GmbH , 58802 Balve Telefax: 0561 – 70 09 22 1 E-Mail: schule@volksbund.de Titelbild: Internet: www.volksbund.de/schule Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
Unsere Ansprechpartner:innen Jugend- und Bildungsarbeit Brandenburg Nordrhein-Westfalen regional und bundesweit Kirchstraße 6, 15757 Halbe Landesgeschäftsstelle Telefon: 033765 – 21 92 0 Alfredstraße 213, 45131 Essen Bundesgeschäftsstelle E-Mail: brandenburg@volksbund.de Telefon: 0201 – 84 23 70 Sonnenallee 1, 34266 Niestetal E-Mail: nrw@volksbund.de Bremen Hauptstadtbüro Berlin Rembertistraße 28, 28203 Bremen Regionalgeschäftsstelle Rheinland, Lützowufer 1, 10785 Berlin Telefon: 0421 – 32 40 05 zuständig für die Regierungsbezirke E-Mail: bremen@volksbund.de Düsseldorf und Köln Abteilung Gedenkkultur und Bildung Neumarkt 12-14, 50667 Köln Telefon: 030 – 23 09 36-34 Hamburg Telefon: 0221 – 25 77 16 9 E-Mail: gbg@volksbund.de Brauhausstraße 17, 22041 Hamburg E-Mail: rg-rheinland@volksbund.de Telefon: 040 – 25 90 91 Fachbereich Friedenspädagogisches E-Mail: hamburg@volksbund.de Regionalgeschäftsstelle Westfalen-Lippe, Arbeiten an Schulen und Hochschulen zuständig für die Regierungsbezirke Telefon: 030 – 23 09 36-58 Hessen Arnsberg, Münster und Detmold E-Mail: schule@volksbund.de Sandweg 7, 60316 Frankfurt/Main Bült 2, 48143 Münster Telefon: 069 – 94 49 07 0 Telefon: 0251 – 56 83 4 Fachbereich Jugendbegegnungs- E-Mail: bildung-hessen@volksbund.de E-Mail: westfalen-lippe@volksbund.de und Bildungsstätten Telefon: 030 – 23 09 36-31 Mecklenburg-Vorpommern Rheinland-Pfalz E-Mail: jbs@volksbund.de Walther-Rathenau-Straße 2a, Landesgeschäftsstelle 19055 Schwerin 117er Ehrenhof 5, 55118 Mainz Fachbereich Internationale Telefon: 0385 – 59 18 43 0 Telefon: 06131 – 22 02 29 Jugendbegegnungen E-Mail: jugend-m-v@volksbund.de E-Mail: rheinland-pfalz@volksbund.de Telefon: 030 – 23 09 36-84 E-Mail: workcamps@volksbund.de Niedersachsen Saarland Landesgeschäftsstelle Wallerfanger Str. 31, 66740 Saarlouis Fachbereich Jugend-, Fachkräfte- Wedekindstraße 32, 30161 Hannover Telefon: 06831 – 48 88 59 8 und Erwachsenenbildung Telefon: 0511 – 32 12 82 E-Mail: saarland@volksbund.de Telefon: 0561 – 70 09 21 9 E-Mail: niedersachsen@volksbund.de E-Mail: jfeb@volksbund.de Sachsen Bezirksverband Braunschweig Loschwitzer Straße 52a, 01309 Dresden Bankplatz 8, 38100 Braunschweig Telefon: 0351 – 31 43 70 Landesverbände Telefon: 0531 – 49 93 0 E-Mail: jugend-sachsen@volksbund.de E-Mail: bv-braunschweig@volksbund.de Baden-Württemberg Sachsen-Anhalt Landesgeschäftsstelle Bezirksverband Hannover Jahnring 17, 39104 Magdeburg Sigismundstraße 16, 78462 Konstanz Wedekindstraße 32, 30161 Hannover Telefon: 0391 – 60 74 54 0 Telefon: 07531 – 90 52 0 Telefon: 0511 – 32 73 63 E-Mail: jugend-s-anhalt@volksbund.de E-Mail: lv-konstanz@volksbund.de E-Mail: bv-hannover@volksbund.de Schleswig-Holstein Bayern Bezirksverband Lüneburg/Stade An der Schanze 2, 24226 Heikendorf Landesgeschäftsstelle Auf der Hude 8, 21339 Lüneburg Telefon: 0431 – 90 66 19 0 Maillingerstraße 24, 80636 München Telefon: 04131 – 36 69 5 E-Mail: bildung-s-h@volksbund.de Telefon: 089 – 18 80 77 E-Mail: bv-lueneburg@volksbund.de E-Mail: bayern@volksbund.de Thüringen Bezirksverband Weser-Ems Bahnhofstraße 4 a, 99084 Erfurt Berlin Donnerschweer Straße 4, Telefon: 0361 – 64 42 17 5 Kurfürstenstraße 131, 10785 Berlin 26123 Oldenburg E-Mail: thueringen@volksbund.de Telefon: 030 – 25 46 41 34 Telefon: 0441 – 13 68 4 E-Mail: jugend-berlin@volksbund.de E-Mail: bv-weser-ems@volksbund.de
Jugendbegegnungs- und Bildungsstätten Der Volksbund unterhält vier Jugendbegegnungs- Fragen Sie uns, wir beraten Sie gerne! und Bildungsstätten im In- und Ausland. Dort Kontakt und weitere Informationen: können Jugendgruppen und Schulklassen in un- Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. mittelbarer Nähe zu Kriegsgräberstätten an his- Fachbereich Jugendbegegnungs- 4 3 Fotos: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge torisch-politischen und friedenspädagogischen und Bildungsstätten Bildungsangeboten teilnehmen, um multiper 2 spektivische Zugänge zur europäischen Geschich- Am Lützowufer 1 1 te kennenzulernen. Länderschwerpunkte und 10785 Berlin vielfältige Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung Telefon: 030 – 23 09 36-31 ergänzen das Programm. E-Mail: jbs@volksbund.de 1 Niederbronn-les-Bains/Frankreich: www.jbs-niederbronn.de Für jede Gruppe erstellen wir entsprechend Alter, www.volksbund.de/jbs 2 Lommel/Belgien: Vorkenntnissen und Wünschen ein geeignetes www.jbs-lommel.de Angebot. 3 Ysselsteyn/Niederlande: www.jbs-ysselsteyn.de 4 Insel Usedom/Deutschland: www.jbs-golm.de
Editorial Lernort Kriegsgräberstätte Liebe Leserinnen und Leser! Kriegsgräberstätten sind trans verbänden unterstützen bundes- bund vier Jugendbegegnungs- und nationale Orte des Erinnerns und weit Schulen und andere Bildungs- Bildungsstätten – in den Niederlan- Lernorte der Geschichte, die von träger mit Unterrichtsbeiträgen den, in Belgien, in Frankreich und jeder Generation neu befragt und und Projektfahrten zu friedens- an der polnischen Grenze auf der interpretiert werden müssen. An pädagogischen und erinnerungs- Insel Usedom. An diesen Bildungs- kaum einem anderen Ort werden kulturellen Themen. Sie beglei- stätten, die alle in unmittelbarer die Brüche der europäischen Ge- ten Projekte auf Kriegsgräberstät- Nähe zu großen Kriegsgräberstät- schichte und deren Folgen sowie ten liegen, leistet der Volks- die Komplexität der Geschichts- bund einen engagierten und und Erinnerungskultur so greif- professionellen Beitrag zur in- bar wie am Kriegsgrab. Eine ternationalen Gedenkstätten- didaktisch reflektierte Ausein- arbeit. Zudem führen seine in- andersetzung mit den Kriegs- ternationalen Jugendbegeg- gräbern und den damit verbun- nungen und Workcamps jedes denen Einzelschicksalen stehen Jahr mehrere Tausend jun- im Mittelpunkt der pädago ge Menschen aus ganz Euro- gischen Angebote des Volks- pa zusammen, um gemeinsam bundes Deutsche Kriegsgräber- ein Zeichen für ein friedliches fürsorge e. V. und tolerantes Miteinander zu Diese Handreichung bietet ei- setzen. nen Überblick über verschiede- Zum 20-jährigen Bestehen der ne pädagogische Formate, mit Volksbund-Publikationsreihe denen sich Kriegsgräberstätten für die Bildungs- und Jugend- als Lernorte erschließen lassen. arbeit „Beispiele Praxis“ soll Die Beiträge von Oliver Plessow mit dieser Ausgabe ein Über- und Jakob Böttcher reflektieren blick über die Vielfalt der Pro- die didaktischen Potenziale und jektmöglichkeiten auf Kriegs- historischen Dimensionen der gräberstätten geboten wer- Kriegsgräberstätten als Lern- den. Wir wünschen Ihnen und Erinnerungsorte, die den eine informative Lektüre. Bit- dort ruhenden heterogenen Opfer- ten in den 16 Bundesländern und te zögern Sie nicht, unser Team der und Tätergruppen Rechnung tra- im Ausland. Dazu zählen sowohl Bildungsreferent:innen anzuspre- gen. Es folgen zehn pädagogische die Spurensuche zu Einzelschick- chen! Foto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Formate (die Einführungen sind salen als auch die Anfertigung von zweispaltig gesetzt), denen jeweils Geschichts- und Erinnerungsta- zwei konkrete Projektbeispiele feln auf lokalen Kriegsgräberstät- (dreispaltig) zugeordnet sind. Hier ten. Digitale Anwendungen und di- finden sich auch Informationen daktisierte Begleitmaterialien bie- Dr. Vasco Kretschmann Fachbereichsleiter Friedenspädagogi- zu Klassen- bzw. Altersstufe und ten weitere pädagogische Zugänge sches Arbeiten an Schulen und Hoch- Gruppengröße der Angebote. zu Kriegsgräberstätten im In- und schulen, Bundesgeschäftsstelle, Die Schul- und Bildungsreferent:in- Ausland. Als einziger Kriegsgräber- Volksbund Deutsche Kriegsgräber nen in den Landes- und Bezirks- dienst weltweit betreibt der Volks- fürsorge e.V. 5
OLIVER PLESSOW Die Kriegsgräberstätte und historisches Lernen Geschichtsvermittlung an einem außergewöhnlichen Lernort Lernort Kriegsgrab Beschäftigung mit massiver Gewalt risikobehaftet. Dass die schlimmen Erfahrungen Lernende überfor- Kriegsgräber und Kriegsgräberstätten sind zuallererst dern und dass die Schreckensgeschichten als über- Orte der dauerhaften Ruhe für jene, die im Krieg oder wältigende Vehikel zur Verbreitung einseitiger politi- an den unmittelbaren Folgen der Kriegsgewalt gestor- scher Botschaften genutzt werden könnten, ist gerade ben sind. Trotzdem haben sie über die Jahre weitere bei dem Blick auf die massenhafte Gewalt, wie Krie- Funktionen an sich gezogen. Als geschichtspolitisch ge sie hervorbringen, nicht von der Hand zu weisen. bedeutsame Orte bieten sie staatlichen Symbolhand- Vor allem, wo sie moralisiert, ist Betroffenheit keine lungen eine Kulisse, zudem haben sie sich zu Ziel- gute Lehrmeisterin. punkten für Tourismus entwickelt. Vor allem jedoch Was hier pauschal gegenüber jeder „Kriegs bieten sie seit Jahrzehnten Jugendlichen und jungen gewaltpädagogik“ eingewandt werden könnte, be- Erwachsenen (und nicht nur ihnen) die Gelegenheit sitzt auch für die mahnende Wirkung von Kriegsgrä- zu historischem Lernen. Dabei bilden das Kriegsgrab bern Relevanz – es ist nicht selbstverständlich, dass und die Kriegsgräberstätte einen höchst ungewöhn die Trauer über die Toten zu nachhaltigen ethischen lichen Lernort. und politischen Einsichten für Gegenwart und Zu- Ein allgemeiner Grund dafür vorab: So groß kunft führt. Indessen wiegen diese Einwände nicht so die Hoffnung, dass wir als Gemeinschaft(en) und schwer, als dass es keine entsprechenden Überlegun- Gesellschaft(en) gerade aus den schlimmsten Momen- gen gäbe, wie ihnen zu begegnen sei: Weit über die Be- Foto: Marianne Nowicka ten der Geschichte bedeutende Erkenntnisse ziehen, schäftigung nur mit Kriegsgräbern hinaus ist die ler- Junge Menschen beim so wenig ist der Erfolg einschlägiger Vermittlungs- nende Beschäftigung mit Kriegen und Kriegsgewalt Workcamp auf einer anstrengungen garantiert. Wer sich mit der entspre- (und darüber hinaus mit Massenverbrechen, Genozi- Kriegsgräberstätte in chenden empirischen Forschung vertraut macht, trifft den und Diktaturerfahrungen) ein didaktisches Feld, Masuren auf gehörige Skepsis. Ohnedies ist die pädagogische das international seit Jahrzehnten eine Vielzahl von 2 Lernort Kriegsgräberstätte
Hintergrund Praxisleitfäden, Konzepten und wissenschaftlichen Weltkrieg gefallenen Wehrmachtssoldaten, die Koope- Reflexionen hervorgebracht hat. rationen mit Bundeswehr und Reservisten und der Eine Vorreiterrolle nimmt hier die Auseinander- Umstand, dass der überwiegende Teil der im Volks- setzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus bund Engagierten und Aktiven andere Schwerpunkte ein – allen voran mit der Verfolgung und Vernichtung als die Bildungsarbeit verfolgt, führten zu Konfliktlini- der jüdischen Bevölkerung Europas. Zudem gibt es dif- en, die sich z.B. von jenen im Bereich der NS-Gedenk- ferenzierte pädagogische Überlegungen zu vielen wei- stätten abheben, wo „Geschichte-von-unten“-Initiati- teren Geschehenskomplexen, die massenhaften Tod ven und NS-Opferverbände wie überhaupt Überleben- und exzessive Gewalt verursachten. Die Frage, inwie- de des NS-Terrors über Jahrzehnte eine maßgebliche weit das Kriegsgrab einen Lernort darstellen kann und Rolle spielten. Augenfällig wird dies etwa dort, wo welche besonderen Bedingungen das Lernen dort hat, die Kriegsgrab-Bildungsarbeit mit dem Diktum der ist mit all diesen Diskursen eng verwoben. Viele der di- Gleichheit aller Soldaten im Tod, wie sie sich im ewi- daktischen Chancen und Herausforderungen, die dort gen Ruherecht ausdrückt, und mit dem Umgang mit diskutiert werden, finden auch Berücksichtigung, wo Kriegsverbrechergräbern ringt; dies liegt weit entfernt über das Lernen am Kriegsgrab nachgedacht wird. von den großen Diskussionen in der NS-Gedenkstät- Überschneidungen gibt es speziell mit den Überlegun- tenpädagogik (wie der Frage nach der Einzigartigkeit gen der NS-Gedenkstättenpädagogik, gerade weil un- der Shoah und der ethischen Angemessenheit ihrer ter all jenen, die ihre letzte Ruhe auf Kriegsgräberstät- pädagogischen Nutzung) oder auch der DDR-Aufarbei- ten gefunden haben, zahllose Opfer des Nationalsozia- tung (z. B. zur Angemessenheit von deren Zentrierung lismus sind. Dennoch zeigt sich, dass das Nachdenken auf Staatssicherheit und Unterdrückungsstaat). über den lernenden Umgang mit dem Kriegstod, wie Unterdessen kennzeichnet den Volksbund viel- er anlässlich der Begegnung mit Kriegsgräbern ange- fach ein großes Interesse, sich auf die an den „be- regt werden kann, immer wieder eigene Wege nimmt. nachbarten“ Lernorten geführten Debatten einzulas- sen. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat er eine größere Vernetzung in die erinnerungskulturellen Bildungs- Der Volksbund als Einrichtung netzwerke hinein angestrengt, aus diesem Feld stam- der Geschichtsvermittlung mende Hauptamtliche rekrutiert und fachliche Ex- pertise eingeworben. Die Innovationen treffen aller- Das Außergewöhnliche des Lernens an und mithilfe dings bisweilen auf Vorbehalte, was entsprechende von Kriegsgräbern begründet sich nicht nur aus ihren Diskussionen in den unterschiedlichen Unterglie- Eigentümlichkeiten als Lernort und ihrer Position im derungen des Volksbunds nach sich zieht. Dennoch: kollektiven Gedächtnis, sondern insbesondere auch Immer mehr Bildungsprojekte greifen in Bezug auf aus der institutionellen Einbindung der Bildungsar- historisches Lernen aktuell diskutierte Themen und beit. Hier kommt die besondere Rolle des Volksbunds Problemkomplexe auf – man denke nur an Projek- Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ins Spiel. Er stellt te zur Verfolgung in der NS-Zeit aufgrund sexueller nämlich im internationalen Vergleich die große Aus- Orientierung oder zur Konstruktion nationaler Identi- nahme dar, dass einer nicht-staatlichen Organisation täten in Deutschland und Frankreich. die Sorge um die Gräber übertragen wurde. Eben- Gerade das letztgenannte Thema bietet Anlass, he- so ungewöhnlich ist, dass diese Organisation schon rauszuheben, dass die Bildungsarbeit des Volksbunds früh – genauer gesagt, in den 1950er Jahren – begann, seit ihrer Entstehung länderübergreifend angelegt Kriegsgräber als wichtige Lernorte für Jugendliche war. Lange Zeit wurden teilnehmende Jugendliche na- und junge Erwachsene zu begreifen und die Ausbil- mentlich bei internationalen Begegnungen dazu moti- dung entsprechender Angebote und Formate voranzu- viert, gleichsam stellvertretend für ihre Herkunftsna- treiben. Somit ist der Volksbund heute Quasimonopo- tionen zu einer Verständigung, ja Versöhnung zu ge- list im didaktischen Umgang mit diesem Lernorttyp. langen. Beim Volksbund wie in der interkulturellen Zugleich ist er so personalstark und so differenziert Bildungsarbeit allgemein wird dieses Vorgehen, das untergliedert, dass geschichtspolitische wie erinne- auf der Annahme der maßgeblichen Prägekraft (dann rungsdidaktische Fragen innerhalb seiner Strukturen eben zu überwindender) nationalkultureller Differen- kontrovers diskutiert werden. zen fußt, angesichts der Diversität der Bevölkerungen Schaut man sich diesen institutionellen Zu zunehmend problematisiert. sammenhang im Vergleich zu verwandten Feldern an, wie etwa der NS-Gedenkstättenpädagogik oder den Orten der pädagogischen Auseinandersetzung mit der Lernchancen und Lernhemmnisse – DDR-Vergangenheit, wird schnell deutlich, dass sich Leitlinien historischen Lernens am die spezifischen Diskussionen um den didaktischen Kriegsgrab Umgang mit Kriegsgräbern nicht zuletzt auf die Zu- sammensetzung der im Volksbund vereinigten Inte- Ob es um Rückgriffe auf die Prinzipien der Biogra- ressengruppen zurückführen lassen. Die große Ver- fisierung/Individualisierung oder Handlungsorien- ankerung der Arbeit in den Familien der im Zweiten tierung geht, um eine Einschätzung der Bedeutung Lernort Kriegsgräberstätte 3
von Zeugenschaft, um die Aushandlung des Verhält- gezogen werden. Blickt man insgesamt auf das Feld nisses von Bildung und Gedenken oder um die Fra- der historischen Bildungsarbeit, die sich mit Krie- ge der Universalisierbarkeit der Lehren, die aus be- gen und Massengewalt befasst, tendiert die Ausprä- stimmten kriegerischen Konflikten gezogen werden gung, wie sie der Volksbund vertritt, zur Einzelfall- können – alle großen Fragen zu Lernchancen und verallgemeinerung und Universalisierung. Das ist im Lernhemmnissen, die im Kontext von Kriegsgewalt, Kern schon durch die Selbsteinordnung der Arbeit des Vernichtung und Verfolgung gestellt werden, sind Volksbunds als Friedensarbeit angelegt. Zwar werden auch dort präsent, wo im Volksbund über den päda- regelmäßig die jeweiligen Kontexte, die ein bestimm- gogischen Umgang mit Kriegsgräbern diskutiert wird. tes Gewaltgeschehen hervorgebracht haben, beleuch- Man denke nur an die Frage des Austarierens von Ler- tet, doch kann das übergreifende Gebot der Friedens- nen und Gedenken, wie sie namentlich von der NS-Ge- wahrung aus ganz unterschiedlichen Beispielen ab- denkstättenpädagogik in Bezug auf nationalsozialisti- geleitet werden. Das Prinzip ist hier exemplarisch: sche Tötungsorte intensiv diskutiert wurden. Analog An einer Kriegsgräberstätte kann das Schicksal von ist auch im Volksbund das Spannungsfeld zwischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im NS- der Erinnerung an die Toten, der Wahrung der Wür- Rüstungssystem problematisiert werden, sie bietet de des Ortes und dem historisch-politischen Lernen aber auch Raum, das Massensterben in den Schüt- an Kriegsgräberstätten seit jeher Thema. Allerdings zengräben des Ersten Weltkriegs in den Mittelpunkt stellt sich hier besonders die Frage, wie pädagogisch zu stellen. Diese im Vergleich zu ähnlichen Bildungs- damit umzugehen ist, wenn jene, die brutale Gewalt anstrengungen überdurchschnittliche Vielfalt der Bei- jenseits aller Konventionen ausübten, und jene, die an spiele setzt zahlreiche Impulse, lässt aber auch erin- ihr zugrunde gingen, Seite an Seite liegen. Die Schwer- nerungskulturelle Konfliktlinien aufscheinen. Ein punktsetzung der aktuellen Volksbund-Themenreihe jüngeres Beispiel dafür bietet die Ausformung der „Helden – Täter – Opfer“ lässt dieses Problem deutlich Bildungsarbeit am Kriegsgrab als Menschenrechts- hervortreten. Konkret stellt sich die Frage für die mit bildung, die manchen zu unspezifisch anmutete. der Bildungsarbeit Betrauten immer dann, wenn es Nicht nur hier zeigt sich, dass die Bildungsarbeit darum geht, inwiefern symbolische Gedenkakte Teil am Kriegsgrab nicht statisch gedacht werden kann. der Bildungsmaßnahmen an den Kriegsgräberstätten Die Generation, die noch direkt durch den massenhaf- sein sollen. ten Kriegstod des Zweiten Weltkriegs betroffen war, tritt Ähnlich lässt sich der didaktische Umgang mit den ab. Über unmittelbare Kriegs- und Kriegstoderfahrun- persönlichen Erfahrungen von Zeitgenossinnen und gen verfügen die Rezipient:innen der Bildungsangebo- Zeitgenossen perspektivieren. Wie die Bildungsarbeit te des Volksbunds heute nur selten – und wenn doch, von Gedenkstätten und Museen kennzeichnet die des dann infolge zweier in der kollektiven Erinnerung bis- Volksbunds ein individualisierender, personalisieren- lang eher blasser Komplexe, nämlich der Migration aus der beziehungsweise biografischer Ansatz, sei es in Kriegsgebieten oder der Auslandseinsätze in den asym- den Jugendbildungsstätten und Workcamps, sei es in metrischen Kriegen des 21. Jahrhunderts. Hier bieten der Projektarbeit mit Schulen. Die allgemeinen Erwar- sich neue Lernchancen, aber auch neue Herausforde- tungen an dieses Prinzip greifen hier wie da: Der Rück- rungen. Inwieweit der Bogen vom Kriegsgrab und der griff auf die einzelne Lebens- und Leidensgeschichte Kriegsgräberstätte zu den die Gegenwart dominieren- soll abstrakte Vorgänge und das (für die meisten Her- den gesellschaftlichen und politischen Konflikten ge- anwachsenden) lebensweltferne Kriegsgeschehen ver- spannt werden kann, ist eben in der Praxis der Bil- anschaulichen, verstehbar machen und Empathie be- dungsarbeit immer wieder neu auszuhandeln. fördern. Dieses Vorgehen bietet die Chance, vergan- gene Zustände als Vorgänge zu erkennen, welche die Literatur Leben von Menschen beeinflusst haben. So werden Barricelli, M.: Vielfältiges Gedenken: Der Volkstrauertag als Lernort, in: Handlungsspielräume deutlich und es eröffnet sich LAG-Magazin „75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs“ 07/20 vom 23.09.2020, S. 4 – 9 (http://learning-from-history.de/sites/default/ die Möglichkeit zu reflexiver Identifikation, gerade files/attach/lag_75_jahre_krriegsende.pdf). wenn es in den Bildungsmaßnahmen und -materiali- Dittrich, K. & Plessow, O: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsor- en um die Schicksale junger Menschen, also hier: jun- ge als Akteur der außerschulischen, non-formalen historischen Ju- gend- und Bildungsarbeit, in: LAG-Magazin „100 Jahre Volksbund ger Kriegstoter, geht. Anders als bei den verwandten Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ 06/19 vom 26.06.2019, S. 18 – 22 Lernorten kennzeichnet dieses Vorgehen bei der Ar- (http://learning-from-history.de/sites/default/files/attach/lag- beit an Kriegsgräbern allerdings eine Einschränkung, mag_juni_2019_100_jahre_volksbund.pdf). Heine, H.-D. Facetten der Jugendbildungsarbeit des Volksbundes Deut- die die logische Folge der Fokussierung auf den eng sche Kriegsgräberfürsorge, in: LAG-Magazin „100 Jahre Volksbund definierten Lernort Kriegsgrab ist: Weil dieser Bezug Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ 06/19 vom 26.06.2019, S. 12 – 17 gesetzt ist, ist der Regelfall die Beschäftigung mit Le- (http://learning-from-history.de/sites/default/files/attach/lag- mag_juni_2019_100_jahre_volksbund.pdf). bensgeschichten, die durch den Krieg jäh unterbro- Plessow, O. & Dittrich, K: Außerschulische Jugendbildung, in: Hinz, F. & chen wurden. Überlebenden- oder Rettungsgeschich- Körber, A. (Hg.): Geschichtskultur – Public History – Angewandte ten treten damit in den Hintergrund. Geschichte. Göttingen 2020. Ulrich, B., Fuhrmeister, C., Kruse, W. & Hettling, M.: Volksbund Deut- Einen Kommentar verdienen schließlich noch sche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme. Ber- die Logiken, nach denen Lehren aus dem Kriegstod lin 2019. 4 Lernort Kriegsgräberstätte
Hintergrund JAKOB BÖT TCHER Helden – Täter – Opfer Die Kriegsgräberstätte als Erinnerungsort im Wandel Auf deutschen Kriegsgräberstätten sind mehrere Mil- rechtlichen Status besitzt, der seine besondere Be- lionen Gräber von Menschen vereint, die durch die deutung untermauert: Kriegsgräber werden dauer- Folgen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs ums haft erhalten. Leben kamen. Hier finden sich Gräber von getöte- Der dauerhafte Erhalt von Kriegsgräbern steht ten Soldaten, die bei Kampfhandlungen starben, in einer Tradition des Kriegstotengedenkens, das bis aber auch zahlreiche zivile Kriegsopfer. Unter die- in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Diese Tradition sen befinden sich auch Tote, deren Sterben nicht al- stand lange im Zeichen einer ausschließlich militä- lein auf kriegerische Handlungen zurückgeführt wer- rischen Totenehrung, bei der der im Kampf getöte- den kann, sondern die Opfer der Verbrechen des NS- ten Soldaten, der „Gefallenen“, öffentlich als Helden Foro: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Regimes wurden. Kriegsgräberstätten sind mehr als gedacht wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat in gewöhnliche Friedhöfe. Sie sind Orte, wo die Hin- Deutschland an diese Stelle ein Verständnis, alle To- terbliebenen persönlich um die Verstorbenen trau- ten als Opfer des Krieges zu begreifen. Im Verlauf ern können, sie sind aber immer auch Orte des öf- der kritischen Auseinandersetzung mit der deut- Als diese Jugendlichen fentlichen Gedenkens. Dies sind sie nicht allein, weil schen Geschichte in den letzten Jahrzehnten wurde 1957 Gräber in La der Erinnerung an die Weltkriege als Teil des poli- dieser oft undifferenzierte Opferbegriff zunehmend Cambe in der Norman- tischen Selbstverständnisses in Deutschland ein be- hinterfragt. Auch deutsche Kriegsgräberstätten rück- die pflegten, war Frie- sonders hoher Stellenwert eingeräumt wird, sondern ten dabei immer wieder in den Mittelpunkt öffent- denspädagogik über weil das Kriegsgrab seit Langem einen besonderen licher Debatten. Vor allem der Umstand, dass auch Gräbern noch neu Lernort Kriegsgräberstätte 5
namentlich bekannte Täter von Kriegsverbrechen untrennbar verbunden. Bereits der Erste Weltkrieg, auf deutschen Kriegsgräberstätten bestattet sind, der eigentliche Katalysator für die Entstehung der löste wiederholt Diskussionen über angemessene modernen Kriegsgräberfürsorge, ließ dies kurz Formen des Kriegstotengedenkens in Deutschland nach Beginn der Kampfhandlungen hervortreten. aus. Ein Ergebnis dieser kontroversen Auseinander- In fast allen am Krieg beteiligten Ländern wurden setzung – man kann sie auch als gesellschaftlichen Forderungen laut, die Toten und ihre Gräber nicht Lernprozess begreifen – ist, dass Kriegsgräberstät- einfach achtlos dem Vergessen zu überlassen. Die ten eine gewichtige Bedeutung in der historischen Forderung nach der „würdevollen Bestattung“ der Bildungsarbeit bekommen haben. Gerade das mit- Toten, wie sie im begleitenden Diskurs in Deutsch- unter ambivalente Bild, das die Einzelschicksa- land häufig hervortritt, kollidierte jedoch mit den le der Toten auf manchen Kriegsgräberstätten im brutalen Verhältnissen an der Front, die das Bergen Vergleich ergeben, kann dabei als Ressource in der und Identifizieren der Toten oft nicht zuließen. Das pädagogischen Arbeit eingesetzt werden. Es ist je- Kriegsende leitete eine Phase ein, in der in vielen doch wichtig, sich zuvor mit den historischen Hin- Ländern in mehrjährigen Bauprogrammen Fried- tergründen und der Geschichte des sich verändern- höfe für mehrere Hunderttausend Gefallene errich- den gesellschaftlichen Umgangs mit Kriegsgräbern tet wurden. Zugleich wurde der dauerhafte Erhalt vertraut zu machen. Er soll hier kurz dargestellt der Grabstätten zu einem allgemeinen völkerrecht werden. lichen Prinzip, das im Versailler Vertrag 1919 fest- gelegt wurde und die Vertragsstaaten zur Sorge um die Kriegsgräber auf ihrem Staatsgebiet verpflich- Der Tod auf dem Schlachtfeld tete. Bis heute hat es sich als allgemein anerkannte völkerrechtliche Praxis durchgesetzt, dass Staaten Die geordnete Bestattung von Kriegstoten und der auch fremde Kriegsgräber erhalten oder den Hei- Erhalt ihrer Gräber ist historisch betrachtet eine matländern der Toten den Zugang zu den Gräbern noch junge Erscheinung. Die Wurzeln reichen zu- gestattet wird, um die Gräber zu pflegen oder die rück ins 19. Jahrhundert. Unter den Bedingungen Toten nach Hause zu überführen. sich herausbildender Nationalstaaten erfuhr der Militärdienst im 19. Jahrhundert eine deutliche so- ziale Aufwertung. Zeugnisse hierfür sind die zahl- Umkämpfte Erinnerung reichen Kriegerdenkmäler, die zu Ehren der Toten errichtet wurden. Eine wichtige Entwicklung dabei In Deutschland stand nach dem Ersten Weltkrieg der ist, dass allen Toten dieselbe Ehrung zuteilwurde, verständliche Wunsch der Hinterbliebenen nach Er- ungeachtet ihrer sozialen Herkunft oder ihres mi- halt und Pflege der Kriegsgräber von Beginn an un- litärischen Ranges. Um die besondere Stellung des ter besonderen politischen Vorzeichen. Die Kriegs- Kriegsgrabes zu verstehen, muss noch eine weite- niederlage und das fragile Staatsgebilde der jun- re Entwicklung nachvollzogen werden: die Entste- gen Weimarer Republik beeinflussten nachhaltig hung des humanitären Völkerrechtes. Der Versuch, die weitere Entwicklung der Kriegsgräberfürsorge Regeln für die moderne Kriegsführung zu verein- in Deutschland. 1919 gründete sich der Volksbund baren, die die Gewaltausübung auf dem Schlacht- Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der die Pflege deut- feld eingrenzen sollte, schlug sich in den Genfer scher Kriegsgräber, die sich damals überwiegend im Konventionen (ab 1864) und den Haager Abkom- Ausland befanden, unterstützen wollte. Er entwickel- men (ab 1899) nieder. Hier fanden auch Formulie- te sich in den folgenden Jahren zu einer Großorga- rungen Einzug, die sicherstellen sollten, dass der nisation, die bald begann, selbstständig Kriegsgrä- Leichnam eines getöteten Feindes oder eines ver- berstätten in ganz Europa anzulegen. Der Volksbund storbenen Kriegsgefangenen ebenso respektvoll be- hat seitdem das Erscheinungsbild deutscher Kriegs- handelt wird wie die sterblichen Überreste der ei- gräber und Planungskonzepte für Kriegsgräberstät- genen Soldaten. Zwischen Deutschland und Frank- ten maßgeblich geprägt. Auch für einen einheitlichen reich wurde die gegenseitige Achtung von Krieger- Gedenktag zur Ehrung der Toten, den Volkstrauertag, denkmälern und -gräbern erstmals im Frieden von setzte er sich seit den 1920er Jahren ein. Frankfurt 1871 vereinbart. Das Gefallenengedenken in der Weimarer Repu- blik war hochumkämpft, alle politischen Lager re- ferierten auf ein „Vermächtnis“ der Gefallenen, aus Die besondere Stellung des Kriegsgrabes dem sie einen politischen Auftrag für die Gegen- wart ableiteten. Wenn auch vorgeblich überpartei- Die beiden Funktionen, die das Kriegsgrab erfüllt, lich, fand der Volksbund zu dieser Zeit verstärkt Zu- öffentliche Ehrung und Sicherung humanitärer Min- spruch im nationalkonservativen Lager. Obwohl für deststandards bei der Bestattung von Kriegstoten, den Volksbund bei seiner Gründung die Interessen lassen sich in theoretischen Überlegungen tren- der Hinterbliebenen im Vordergrund gestanden hat- nen, in der Realität waren und sind sie aber meist ten, verband sich der Bau von Kriegsgräberstätten 6 Lernort Kriegsgräberstätte
Hintergrund seit Ende der 1920er Jahre zugleich immer enger mit Kriegsgräberfürsorge nach 1945 den populären Frontkämpfermythen, die die politi- sche Rechte erfolgreich für sich vereinnahmte. Mit Das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Dikta- Foro: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 voll- tur wird als Zäsur in der Geschichte des Kriegstoten zog sich in schnellen Schritten eine enge Anbindung gedenkens in Deutschland gesehen. Auf die Nieder- des Volksbundes an das NS-Regime. Dies hatte auch lage im Zweiten Weltkrieg folgte kein Wiederaufle- Konsequenzen für deutsche Kriegsgräberstätten, die ben der heroischen Überhöhung des Kriegstodes, das Versöhnung über nun in die NS-Propaganda einbezogen wurden. Zum sich mit Revanche- und Revisionsgelüsten wie nach Gräbern wurde zum Ausdruck kam dies in monumentalen Grabanlagen, 1918 verband. Auch ein rein militärisches Kriegs- Motiv, dem sich der die die Individualität des einzelnen Toten negierten. totengedenken war allein angesichts der hohen Volksbund verschrieb Stattdessen wurde der Kriegstod zum heroischen Op- Zahl ziviler Kriegs- und NS-Opfer kaum noch denk- (Gedenkfeier in fergang für die Volksgemeinschaft verklärt. bar. Die tradierten Formen des Gedenkens und der Verdun, 1963) Lernort Kriegsgräberstätte 7
Bestattung von Kriegstoten verschwanden jedoch Umgang mit deutschen Kriegstoten und ihren Grä- nicht über Nacht. Es dauerte bis in die 1960er Jah- bern mit moralischen Widersprüchen. Konnten die- re, bis sich das Verständnis gesellschaftlich durch- jenigen, die Unrecht begangen hatten, gleichzeitig setzte, dass die Kriegstoten sich nicht heldenhaft im auch selbst Opfer sein? Krieg geopfert hatten, sondern zuallererst ein Op- fer des Krieges geworden waren. Unter dem Ober- begriff der „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ Die Kriegsgräberstätte – wurde in der Bundesrepublik eine Formel etabliert, ein schwieriger Erinnerungsort welche die militärischen Toten wie auch verschiede- ne zivile Opfergruppen im Totengedenken gleichbe- Diese Frage drängt sich insbesondere auf jenen rechtigt vereinte. Sie fand im Rahmen des offiziel- deutschen Kriegsgräberstätten auf, wo nachweis- len Totengedenkens am Volkstrauertag Anwendung lich Menschen bestattet sind, die für schwere Ver- und prägte als Inschrift öffentliche Gedenkstätten. brechen verantwortlich sind. Wir finden auch diese Damit wurde der seit dem 19. Jahrhundert tradier- Gräber auf Kriegsgräberstätten vor, weil der Grund- te Vorrang der Soldaten im politischen Totengeden- satz, dass Staaten für eine ordentliche Bestattung ken in Deutschland aufgehoben. Auch Gräber von von Kriegstoten zu sorgen haben, für alle Toten gilt. zivilen Kriegs- und Regimeopfern wurden nun un- Es gibt aber zahlreiche Beispiele für bekannt gewor- missverständlich in den Geltungsbereich des Grä- dene Fälle von Tätern auf deutschen Kriegsgräber- bergesetzes einbezogen, das den dauerhaften Erhalt stätten, die in den letzten Jahrzehnten immer wie- von Kriegsgräbern auf dem Gebiet der Bundesrepu- der öffentliche Auseinandersetzungen um den rich- blik regelt. tigen Umgang mit diesen Gräbern befeuert haben. In der frühen Nachkriegszeit hatte die Suche Diese haben gezeigt, dass es für das Aufbrechen des nach zurückgelassenen Feldgräbern große Bedeu- moralischen Dilemmas, in dem sich die Kriegsgrä- tung. Dabei fiel dem Volksbund eine Schlüsselrolle berfürsorge in Deutschland bewegt, keine einfa- zu. Er verfügte über die notwendigen Kenntnisse zur che, befriedigende Lösung gibt. Die Diskussionen Identifizierung der Toten und zum Bau von Friedhö- haben jedoch das Verständnis dafür geschärft, dass fen. Nach Gründung der Bundesrepublik übernahm es vor allem einer historischen Einordnung bedarf, der Verein mit Zustimmung der Bundesregierung wenn Kriegsgräberfürsorge nicht als überkomme- die Betreuung deutscher Kriegsgräber im Ausland ne Praxis erscheinen soll, die an falsch verstande- und unterstützte die Landesregierungen bei Maß- nen Ehrbegriffen festhält. Deshalb ist der Erhalt von nahmen im Inland. Auch bei den nach dem Zweiten Kriegsgräbern heute nicht mehr ohne die begleiten- Weltkrieg errichteten deutschen Kriegsgräberstät- de Bildungsarbeit auf deutschen Kriegsgräberstät- ten ist zu beobachten, dass sich Material- und For- ten denkbar. mensprache der Anlagen erst schrittweise von über- kommenen Bauweisen der Zwischenkriegszeit lösen Literatur mussten. Unter Einbeziehung zum Teil namhafter Ulrich, B., Fuhrmeister, C., Kruse, W., Hettling, M.: Volksbund Deut- sche Kriegsgräberfürsorge. Entwicklungslinien und Probleme. Architekten versuchte der Volksbund nun, Fried- Berlin 2019. hofsanlagen zu entwickeln, die sich am wesent Böttcher, J.: Zwischen staatlichem Auftrag und gesellschaftlicher Trä- lichen Prinzip der Kriegsgräberfürsorge orientierte, gerschaft. Eine Geschichte der Kriegsgräberfürsorge in Deutsch- land im 20. Jahrhundert. Göttingen 2018. dem dauerhaften Ruherecht. Kriegsgräber wurden Goltermann, S.: Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der unter dem Gesichtspunkt einer möglichst einfa- Moderne. Frankfurt a. M. 2017. chen Grabpflege angelegt. Die in der Regel einheit- liche und schlichte Gestaltung von Kriegsgräber- stätten war nicht darauf ausgerichtet, Unterschie- de zwischen den Schicksalen der Toten sichtbar zu machen. Alle Toten gleichermaßen für die erlittene Gewalt in Krieg und Diktatur in Erinnerung zu hal- ten, war an die Stelle eines rein militärischen Toten gedenkens getreten. Schlichtheit und Einheitlich- keit, die halfen, den monumentalen Heldenkult der NS-Zeit auf den Kriegsgräberstätten zu überwinden, verdeckten zugleich, dass ein Teil der Toten, derer öffentlich gedacht wurde oder die gar nebeneinan- der begraben lagen, in einer widersprüchlichen Be- ziehung zueinander standen. Zwischen ihnen stand das Verhältnis von Tätern zu Opfern. Vor allem die Benennung von Kriegs- und NS-Verbrechen durch die historische Forschung und in der öffentlichen Debatte konfrontierte die bestehende Praxis im 8 Lernort Kriegsgräberstätte
Friedhofserkundung Erste erkundende Schritte auf einer Kriegsgräberstätte ANKE BÜT TGEN Friedhofserkundung Foto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Berlin „Kriegsgräberstätten sind Stätten würdigen Gedenkens. Auf vielen Friedhöfen sind nicht nur Soldaten be- Sie stellen eine eindrucksvolle Mahnung für den Frieden stattet, sondern auch zivile Opfer, hierzu zählen bei- dar; die eindrucksvollste Mahnung, die ich mir über- spielsweise Opfer der Bombenangriffe sowie aus haupt vorstellen kann.“ Konzentrationslagern oder der Euthanasieaktion (Prof. Dr. Karl Carstens, Bundespräsident 1979 – 1984) T 4. Auch Zwangsarbeiter:innen, Widerstandskäm pfer:innen, Angehörige des sogenannten „letzten Aufgebots“, Rot-Kreuz-Schwestern, politisch Verfolg- Die Kriegsgräberstätte als Lernort te und Geflüchtete haben in Deutschland Anspruch auf ein Kriegsgrab. Dessen Besonderheit ist das ewi- In nahezu jeder Gemeinde, jedem Bezirk, jeder Stadt ges Ruherecht, das den dort Bestatteten ein dauern- findet man Zeugnisse der Weltkriege, Zeugnisse des Grab garantiert. nationalsozialistischer Gewaltherrschaft und Kriegs- Für die meisten Menschen ist der Besuch eines gräberstätten. Friedhofs mit persönlicher Trauer verbunden. Dabei Lernort Kriegsgräberstätte 9
beschränkt sich die Wahrnehmung nicht selten auf und Lebenswege nachzuzeichnen und so den Grab- einzelne Gräber von Familienangehörigen. Ein Fried- zeichen eine Identität geben. Die Schüler:innen er- hof kann jedoch nicht nur Ort der individuellen Trau- halten kein fertiges Geschichtsbild, sondern können er sein, sondern auch ein Ort des geschichtlichen eigenständig erforschen und entdecken. Die indivi- Lernens, des Erinnerns und des Gedenkens. duelle Forschung auf der Kriegsgräberstätte ermög- Kriegsgräberstätten, die oft auch auf zivilen licht eine große Nachhaltigkeit der historischen Er- Friedhöfen zu finden sind, sind Zeugen unserer Ge- kenntnisse und weckt den Wissensdurst der Lernen- schichte und Mahnmale für den Frieden. Sie erzäh- den. Die Schüler:innen können eigene Fragen stellen len Geschichten und berichten über Schicksale, sie und durch weitere Recherchen versuchen, Antwor- lassen uns Spuren suchen und verfolgen, sie werfen ten darauf zu finden. Auch eine anschließende Pro- Fragen auf. Eine Kriegsgräberstätte bietet einen gu- jektpräsentation ist möglich und bietet sich gerade ten Zugang zum Prinzip des entdeckenden-forschen- bei der zusätzlichen Arbeit mit einzelbiografischen den Lernens. Materialien an. Der Besuch einer Kriegsgräberstätte kann als au- Zu Beginn einer Führung auf der Kriegsgräber- ßerschulischer Lernort einen interaktiven Zugang stätte stehen zunächst im Regelfall allgemeine Infor- bieten und praktische und theoretische Anteile der mationen zum Gedenkort und der lokalen Orientie- historisch-politischen Bildung miteinander verbin- rung durch die/den Bildungsreferent:in. Wer wurde den. Zudem lässt sich an den Besuch eine Vielzahl hier bestattet? Wie viele Menschen haben hier ihre möglicher Projekte anschließen. letzte Ruhe gefunden? Woran starben diese Men- Es gibt verschiedene Zugänge, die sich je nach Al- schen? Warum sind sie gerade hier bestattet worden? tersgruppe, Gruppengröße und historischer Vorbil- Was erzählen die Grabsteine über die Geschichte der dung anpassen lassen. Im Folgenden werden die In- Menschen? Sind alle Menschen, die im Krieg ums Le- teraktive Spurensuche und das Projekt „Mit dem Han- ben kamen, Opfer oder finden wir auf der Kriegs- dy in die Vergangenheit“ genauer vorgestellt. gräberstätte in unserer Umgebung auch Täter:innen? Die inhaltliche Arbeit auf einer Kriegsgräberstät- Und wenn ja, wie gehen wir mit ihnen um? te lässt sich an alle Jahrgänge ab Klassenstufe 7 an- Der Zeitaufwand richtet sich ganz nach der Vor- passen. Tiefergehende Rechercheprojekte eignen stellung der Lehrenden, nach der Größe der Kriegs- sich besonders für Oberstufenschüler:innen und Stu- gräberstätte und den Inhalten, die besprochen und dierendengruppen. erarbeitet werden sollen. So kann eine Führung auf Die Schüler:innen sollten im Vorfeld auf die The- einer regionalen Gedenkanlage auf einem zivilen men Erster und Zweiter Weltkrieg vorbereitet wer- Friedhof ca. 1,5 bis 2 Stunden dauern, der Besuch den. Je nach Kriegsgräberstätte und je nach Opfer- einer großen Kriegsgräberstätte hingegen mehrere gruppen sind intensivere Unterrichtseinheiten zum Stunden. Die Gruppengröße sollte dabei 30 Personen Thema Euthanasie und Verbrechen der Nationalso- nicht überschreiten. zialisten notwendig. Es bietet sich zudem an, im Vor- Die jeweiligen zuständigen Bildungsreferent: feld über regionale Besonderheiten, beispielsweise innen des Volksbundes unterstützen gerne bei der über große Bombenangriffe oder auch Konzentrati- Entwicklung und Durchführung der Friedhofs onslager, die sich in der Nähe befanden, aufzuklären. erkundung, auch können Materialien, wie beispiels- weise Informationen zu Einzelschicksalen, übermit- telt werden. Auch bei der Vor- und Nachbereitung des Forschendes Lernen als Zugang Projekts kann unterstützt werden. Die inhaltlichen Führungen über die Kriegsgräberstätten werden in „Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lern- der Regel vom hauptamtlichen Personal des zustän- formen dadurch aus, dass die Lernenden den Pro- digen Landesverbands übernommen. zess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewin- Die Kosten für die Friedhofserkundung sind bei nung von auch für Dritte interessanten Erkenntnis- den zuständigen Bildungsrefernt:innen zu erfragen. sen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen von Je nach Material oder bei Einsatz mobiler Endgerä- der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über te durch den Volksbund können geringe Gebühren die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prü- anfallen. fung und Darstellung der Ergebnisse in selbstständi- ger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem über- Literatur greifenden Projekt (mit-)gestalten, erfahren und re- Huber, L. (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In L. Huber, J. Hellmer & F. Schneider (Hg.): Forschendes Lernen im flektieren“ (Huber 2009, S. 11). Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen. Bielefeld, S. 9 – 35. Ziel der Friedhofserkundung ist zum einen der Abbau von Distanz und die Reflexion über den ei- genen Umgang mit Erinnerung und Gedenken. Die Erkundung kann zum anderen auch dazu anregen, sich mit der eigenen wie der lokalen Geschichte aus- einanderzusetzen, Einzelschicksale zu recherchieren 10 Lernort Kriegsgräberstätte
Friedhofserkundung Interaktive Spurensuche – Erkunden einer Kriegsgräberstätte Schulform/ alle Schulformen, ab Klassenstufe 9; Wie kann das Interesse heutiger Gene- Papier und Klebezetteln – erkunden die Jahrgangsstufe: Vorwissen zu den Themen Zweiter rationen für diese fast vergessenen Orte Schüler:innen bei dem von uns geführ- Weltkrieg und NS-Zeit bzw. Erster geweckt werden? Wie nähert man sich ten Friedhofsrundgang im Rahmen ei- Weltkrieg wünschenswert diesen fast vergessenen Orten mit heu- ner interaktiven Spurensuche in Klein- Dauer: (2 –) 3 Schulstunden; Vertiefung von tigen Generationen an? Wie verdeut- gruppen die Kriegsgräberstätten. Themenschwerpunkten oder Pflege- licht man Schüler:innen, für die die Fra- Anhand eines eingangs erteilten Ar- einsatz auf dem Friedhof möglich ge „Was hat das Ganze mit mir zu tun“ beitsauftrages mit leitenden Fragen ent- Gruppengröße: 10 – 30 Teilnehmende nicht eine rein rhetorische ist, die Ver- decken die Schüler:innen die Spuren der Kosten: ggf. Kosten für die Fahrt zu einer bindung zwischen heute und der Ver- Geschichte vor ihrer Haustür, nicht nur örtlichen Kriegsgräberstätte gangenheit? Wie kann man Zugänge für im Geschichtsbuch, und lernen ihre ei- Schüler:innen schaffen, die zum ersten gentlich vertraute Umgebung neu ken- Mal eine Kriegsgräberstätte, vielleicht nen. Dabei sind sie mit einem Fried- In Berlin ruhen auf 171 Friedhöfen und sogar erstmals einen Friedhof besu- hofsplan, einer Einzelbiografie, einem Begräbnisplätzen rund 150.000 Opfer von chen und damit auch das erste Mal mit Steckbriefformular, der Gräberdatei der Krieg und Gewaltherrschaft. Obwohl die- dem Thema Tod konfrontiert werden? toten Person sowie weiteren Materia se Begräbnisstätten für die Öffentlich- Auf der Kriegsgräberstätte „In den lien, wie Briefe, Bilder oder Tagebuch- keit zugänglich sind, werden nur wenige Kisseln“ in Berlin-Spandau hat Ge- einträgen, ausgestattet. wahrgenommen, rücken oft nur im Rah- schichte ihre Spuren hinterlassen. Jeder Grabstein, jeder Name er- men ritueller Gedenkfeiern für einen Mo- Hier haben fast 6.000 Tote von Krieg zählt eine Geschichte, unter jedem ment ins Bewusstsein. Die Mehrheit der und Gewaltherrschaft dauerhaft ih- Grabstein verbirgt sich eine Geschich- Kriegstoten bleibt unsichtbar, unabhän- re letzte Ruhestätte. Bereits mit ein- te. Bei ihrer Spurensuche entdecken gig von Herkunft, Alter und Schicksal. fachen Mitteln – Stift, Klemmbrett, die Schüler:innen schnell, dass auf den Foto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Berlin Vertieft in Gruppenarbeit Lernort Kriegsgräberstätte 11
Andruschko, geboren am 15. 02. 1891, verstorben am 02. 04. 1945. Sie war Fin- nin, in Helsinki geboren und zur Zwangs- arbeit nach Berlin verschleppt. „In den Kisseln“ liegen 514 namentlich bekannte Zwangsarbeiter:innen, noch viele ande- re bleiben bis auf Weiteres unbekannt. Durch das Kennenlernen unter- schiedlicher Opfergruppen setzen sich die Schüler:innen mit Ursachen und Fol- gen von Krieg und Gewaltherrschaft aus- einander und erfahren, wie ganz unter- schiedliche Menschen im Krieg zu Tode kommen. Themenschwerpunkte, wie Zwangsarbeit, Luftkrieg, NS-Militärjus- tiz und Flucht und Vertreibung, können auf dem Friedhof „In den Kisseln“ ver- tieft werden. Ein Krieg hat viele Gesichter – Kriegsgräberstätten sind authentische Orte, an denen man sich kritisch mit Fragen über Schuld und Aussöhnung, Täterschaft und Verantwortung ausein- andersetzen kann und die Chance hat, sich dem Unbehagen an der Geschich- te zu stellen. Die Schülerinnen Das Besprechen der Erkundungs finden das Grab ergebnisse im Plenum wird von der Bil- desjenigen, des- sen Biografie sie dungsreferentin/dem Bildungsreferent erforschen wollen geleitet. Dabei werden nicht nur weite- re Informationen zu Friedhof, Gräbern und Menschen ergänzt, sondern es wird Gräberfeldern nicht nur deutsche Sol- Was die Schüler:innen noch nicht wis- auch ganz offen zur weiteren Diskussion daten aus den Weltkriegen liegen. Sie sen: Es war ein erweiterter Suizid. Auf 66 angeregt, in der die Schüler:innen ihre lesen auf einem Grabstein „In den Kis- Grabsteinen ist dasselbe Todesdatum zu Positionen und Perspektiven zu Krieg seln“, dass Eberhard Reitz nicht einmal finden, der 16. 12. 1943. Am Abend die- und Frieden, zu Erinnerung und Geden- vier Monate alt geworden ist und er und ses Tages wurde Spandau bombardiert. ken artikulieren können. seine junge Mutter nur wenige Tage vor Die Schüler:innen lesen den nicht Kriegsende, am 28. 04. 1945, verstarben. deutsch klingenden Namen Klawdija ANNE-SUSANN SCHANNER „Mit dem Tablet in die Vergangenheit“ Foto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Bremen Erkundung von Kriegsgräbern in den beiden Weltkriegen und als Opfer Bounds – anfertigen. Ausgerüstet mit mit der App Actionbound der nationalsozialistischen Gewaltherr- Smartphone oder Tablet, durchlaufen schaft verloren haben. Neben den Grä- die Teilnehmer:innen vielfältige Stati- Auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am berfeldern deutscher Soldaten beider onen, an denen Bildungsinhalte mit- Main befinden sich die Gräber von an- Weltkriege und ziviler deutscher Kriegs- tels multimedialer Elemente, wie QR- nähernd 6.700 Kriegstoten, die ihr Leben toter sind dort darüber hinaus solche von Codes, Karten, Fotos oder Videoaufnah- Opfern der nationalsozialistischen Ge- men, vermittelt werden. Die Nutzung waltherrschaft und polnischer KZ-Häft- digitaler Medien wie der Actionbound- Dauer: ca. 5 Zeitstunden (inkl. Gruppen linge zu finden, die während des Zweiten App in der Bildungsarbeit auf Kriegs- arbeit und Auswertung) Weltkrieges Zwangsarbeit in den Frank- gräberstätten war ursprünglich ein Pi- Zielgruppe: Jugendliche ab 16 Jahren und furter Adlerwerken leisten mussten. lotprojekt des Landesverbandes Hessen, Erwachsene Mit der App Actionbound lassen sich das dieser 2018 für den Kasseler Haupt- Gruppengröße: bis 30 Personen interaktive Lernparcours – sogenannte friedhof entwickelt hat und dort seither 12 Lernort Kriegsgräberstätte
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