Branche übernimmt Verantwortung - Fair Toys Organisation

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Branche übernimmt Verantwortung - Fair Toys Organisation
F o k us

     Branche übernimmt
       Verantwortung
          Seit 2018 arbeiten engagierte Spielzeugunternehmen zusammen mit dem Deutschen
     Verband der Spielwarenindustrie, kurz DVSI, und zivilgesellschaftlichen Organisationen, den
      so genannten NGOs, daran, eine in der Öffentlichkeit vertrauenswürdige und glaubwürdige
                     Kontrollinstanz für die Branche zu schaffen: die Fair Toys Organisation.

         Arbeitsrechtsverletzungen, das erleben      an gutes, „sauber“ produziertes Spielzeug      IETP, nur mäßigen Erfolg zeitigte. Denn die
     wir in Zeiten der Pandemie verstärkt in         ist heute ungleich höher als noch vor eini-    Audits dieser Programme bilden die tat-
     Großbetrieben, sind auch hierzulande            gen Jahren. Tendenz weiter steigend. Es        sächlichen Zustände vor Ort oftmals nicht
     noch nicht ausgemerzt. Zu viele Schlupflö-      war also höchste Zeit, hier zu reagieren und   in Gänze ab.
     cher und zu laxes Handeln seitens des           sich „am runden Tisch“ auf das gemeinsa-           Heute erkennen die meisten Unterneh-
     Gesetzgebers öffnen skrupellosen Unter-         me Ziel der Fair Toys Organsation, kurz FTO,   men, dass trotz der Auslagerung der Pro-
     nehmern und ihren allein auf Profit orien-      zu fokussieren. Das Anliegen des DVSI, hier    duktion ein gewichtiger Teil der Verant-
     terten Praktiken Tor und Tür. Man denke         an entscheidender Stelle mitzuwirken und       wortung in ihren Händen bleibt. Eine unab-
     nur an Tönnies, Wiesenhof, an zahlreiche        der Kritik an verbesserungswürdigen Pro-       hängige und transparente Überprüfung der
     Großbetriebe aus der Landwirtschaft und         duktionsbedingungen klare Maßnahmen            Lieferkette gab es jedoch bislang nicht.
     Viehzucht. In der globalen Spielwaren-Lie-      und ein gemeinsames Engagement der her-        Den Verbrauchern blieb so nur das Vertrau-
     ferkette, obschon scheinbar lückenlos kon-      stellenden Unternehmen und NGOs entge-         en darauf, dass die Unternehmen selbst
     trolliert und dokumentiert, sind leider         genzuhalten, wird erheblich dazu beitra-       Mindeststandards in der Spielwarenpro-
     ebenfalls immer noch zu viele Arbeits- und      gen, die Wahrnehmung der Spielwaren-           duktion durchsetzen.
     Sozialrechtsverletzungen festzustellen.         branche als Gesamtheit in der Öffentlichkeit       Mit der Gründung der FTO entsteht eine
     Das Image der Branche leidet erheblich          deutlich zu verbessern.                        glaubwürdige Kontrollinstanz, die die wich-
     unter diesen schwarzen Schafen, auch                In der Vergangenheit zeigte sich leider,   tigen Akteursgruppen vereint: Spielwaren-
     wenn deren Anzahl rückläufig ist, aber die      dass die verstärkte Nutzung von Fabrik-        produzenten, Spielwarenhändler und zivil-
     Sensibilisierung der Öffentlichkeit, der        Zertifikaten wie dem Ethical Toy Program       gesellschaftliche Organisationen. Mit eini-
     Anspruch der Generation der jungen Eltern       des Weltspielwarenverbandes ICTI, dem          gen Beteiligten haben wir gesprochen.

                           Nachgefragt
     Herr Pflaum, Nachhaltigkeit und Sicher-         ziert und teilweise von BSCI auditiert. 140
     heit sind in aller Munde, aber auch sehr        und mehr Überstunden im Monat, unhygie-
     dehnbare Begriffe. Warum war die Grün-          nische Schlafsäle für bis zu 15 Personen,
     dung der Fair Toys Organisation längst          hoher Arbeitsdruck, mangelnde Schutzaus-
     überfällig?                                     rüstung. Die Kontrollsysteme, die es in der
     Spielzeug ist ein „globales Produkt“. Und       Branche gibt, entfalten immer noch viel zu
     immer noch erreichen uns Berichte über teil-    häufig kaum Wirkung.
     weise unhaltbare Zustände in den weltwei-
     ten Produktionsstätten. Seit 2017 geben wir     Worum geht es Ihnen in der Hauptsache?
     selbst Recherchen zu Arbeitsrechtsverlet-       Um eine transparente und glaubwürdige Ein-
     zungen im wichtigsten Herstellungsland Chi-     schätzung von Spielzeugunternehmen in
     na in Auftrag. Alle dokumentierten Fabriken     den Bereichen Arbeitsrechte und Umwelt-        Maik Pflaum, Bereichsleitung CIR
     waren nach ICTI Ethical Toys Program zertifi-   standards und deren Umsetzung.                 für Spielzeug und Bekleidung

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Branche übernimmt Verantwortung - Fair Toys Organisation
Wie „sauber“ ist die Spielwarenbranche
im Vergleich zu anderen Branchen?
Die Probleme in vielen Produktionsstätten            Was lange währt, wird endlich gut. Nach zwei Jahren Vorberei-
ähneln teilweise denen in der Bekleidungs-           tung durch eine Multistakeholder-Initiative aus engagierten
oder IT-Industrie. Gleichzeitig gibt es Unter-       Unternehmen, dem Deutschen Verband der Spielwarenindus-
nehmen, die schon einiges vorzuweisen                trie, DVSI, dem Handel und zivilgesellschaftlichen Organisatio-
haben im Bereich „Fairness“. Wer wo steht            nen fiel am 14. Juli 2020 in Nürnberg der Startschuss für die
– das will die FTO transparent machen und            Fair Toys Organisation (FTO). Der Verein nahm mit seiner Grün-
die nötigen Handreichungen bieten in Rich-           dung von diesem Tag an offiziell seine Arbeit auf. Ziel der über-
tung „saubere Produktion“.                           parteilichen und interdisziplinären Kontrollinstanz ist es, der schon vor Jahren mit
                                                     dem ICTI-Care-Prozess (heute: The Ethical Toy Program) begonnenen Transformation
Eigentlich haben wir ja schon ein gutes              zu faireren Arbeitsbedingungen und einer stärkeren ökologischen Nachhaltigkeit an
Regelwerk, sollte man meinen. Wird die               den globalen Produktionsorten weitere Impulse im Sinne größerer Glaubwürdigkeit
Umsetzung oder Anwendung zu lax                      beim Endverbraucher zu geben. Die Organisation will zukünftig ein Label vergeben,
gehandhabt?                                          das nicht nur ein weiteres im „Label-Dschungel“ ist, sondern die Interessen aller
Die Vorgaben und die gesetzlichen Grund-             Akteure im Markt gleichermaßen berücksichtigt, um eine breite Akzeptanz zu finden.
lagen sind eigentlich gut. Aber es mangelt           Finanziell unterstützt wird die neue Fair Toys Organisation vom Bundesministerium
an der Umsetzung, an verlässlichen Kon-              für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
trollen und empfindlichen Sanktionen. Hier           Der DVSI saß von Beginn an als Interessenvertreter der deutschen Spielwarenbran-
wäre eigentlich „der Staat“ gefragt. Ich hof-        che mit am Tisch und arbeitete zuletzt intensiv an Statut und Satzung mit. Die bereits
fe sehr auf ein gutes und strenges Liefer-           bestehenden Auditierungs- und Zertifizierungssysteme zur Sicherstellung der Sozial-
kettengesetz.                                        und Umweltstandards wie etwa das Ethical Toy Program oder amfori (früher BSCI)
                                                     werden in die Arbeit der „Dachorganisation“ einbezogen. Als wichtig erkannt wurde
In der Fair Toys Organisation haben sich             hierbei die Bewertung, was durch diese bestehenden Verfahren abgedeckt ist, sowie
herstellende Unternehmen sowie der                   die Analyse von Defiziten. Aus Sicht des Verbandes ist Kooperation zielführender als
Verband der Spielwarenindustrie DVSI                 Konfrontation. Über das Bestreben, und das möchte ich hier noch einmal deutlich
formiert. Das ist ein klares Zeichen, dass           unterstreichen, herrscht, glaube ich, Konsens, denn wir alle, ob Hersteller, Händler
hier Handlungsbedarf erkannt wird. Wie               oder Verbraucher, wollen Verbesserungen in der gesamten Lieferkette und mehr
werten Sie das aus Ihrer Perspektive?                Nachhaltigkeit. Den Weg dorthin wollen wir als Verband mitgestalten und nicht nur
Ich freue mich sehr, dass dieser Handlungs-          vom Rand aus zusehen, wie der Zug Fahrt aufnimmt.
bedarf erkannt wird. Bisher ist aber nur ein                                                        Ulrich Brobeil, Geschäftsführer DVSI
kleiner Teil der Branche Mitglied in der FTO.
Ich hoffe sehr, dass auch die anderen bald
folgen, denn gemeinsam sind die Probleme
viel leichter in den Griff zu bekommen.          riBSCI, Sedex, Smeta und andere, eventuell     zen. Kommen diese gemeinsam zu einer Aus-
Arbeits- und Menschenrechte dürfen kein          auch firmeneigene Systeme. Die FTO erfasst     sage oder Einschätzung, haben diese hohe
Betätigungsfeld für Vorreiterunternehmen         und beurteilt bei den Mitgliedsunternehmen     Glaubwürdigkeit.
sein, sondern müssen zu ganz normalen Qua-       und deren Lieferketten bestehende Doku-
litätskriterien der Ware Spielzeug werden.       mentations- und Kontrollverfahren. Im Falle    Was sind Ihre Nah- und Fernziele?
                                                 von Defiziten benennt sie diese. Auf der       Die FTO wurde am 14.7.2020 gegründet.
Wie „funktioniert“ die Fair Toys Organi-         Grundlage einer regelmäßigen Ist-Analyse       Wir hoffen auf weiteren Mitglieder-
sation? Ist sie als eine Art „Kontrollgre-       einschließlich Audits entwirft die Fair Toys   Zuwachs. Gleichzeitig müssen wir unsere
mium“ gedacht oder geht Ihr Auftrag              Organisation gemeinsam mit dem jeweiligen      Werkzeuge etablieren: Schulungen, Fair
weit darüber hinaus?                             Unternehmen Lösungsstrategien und legt die     Performance Check, Beschwerdesystem.
Die Fair Toys Organisation ist eine Dachins-     notwendigen Verbesserungsmaßnahmen             Und unsere Geschäftsstelle ausbauen. Mit-
tanz, die auch die Anwendung bereits beste-      fest. Die Organisation wird getragen von       telfristig wollen wir ein Label vergeben, das
hender Programme und Verfahren zur Verbes-       unterschiedlichen Akteursgruppen: Spiel-       die Unternehmen ausweist, die das Mögli-
serung und Sicherstellung der Sozial- und        zeughändlern, Spielzeugproduzenten, zivil-     che tun, um Umwelt- und Sozialstandards
Umweltstandards berücksichtigt. Dazu gehö-       gesellschaftlichen Gruppen und Kommunen,       sicherzustellen. Und natürlich denken wir
ren Auditierungs- und Zertifizierungssysteme     die sich seit Jahren für Arbeits- und Men-     auch die Europäisierung der FTO mit – aber
wie das Ethical Toy Program von ICTI, amfo-      schenrechte sowie Umweltbelange einset-        das ist aktuell noch Zukunftsmusik.

   Die Christliche Initiative Romero (CIR)
   Die 1981 gegründete Christliche Initiative Romero e. V. ist ein eingetragener Verein mit Sitz in Münster und Außenstellen in Berlin
   und Nürnberg. Im Sinne des Namensgebers Óscar Romero kämpft die CIR gegen Ungerechtigkeitsverhältnisse und ergreift Partei
   für die Armen. Die Initiative setzt sich für Arbeits- und Menschenrechte in Ländern Mittel- und Südamerikas ein. Schwerpunkt
   ihrer Arbeit ist die Unterstützung von Basisbewegungen und Organisationen dort sowie die Kampagnen- und Bildungsarbeit in
   Deutschland. Ziele und Vision der CIR sind es, eine gerechte und solidarische Welt zu schaffen. Es soll eine Welt frei von Diskri-
   minierung und Gewalt sein, die von einer vielfältigen Gesellschaft getragen wird. In dieser Welt steht der Mensch im Mittelpunkt
   eines Wirtschaftssystems, das allen Zugang zu würdiger Arbeit bietet und die natürlichen Lebensgrundlagen erhält.

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     Wir beziehen Stellung
         Gutes und sicheres Spielzeug ist eine Frage der Verantwortung. Nicht auf schnellen
         Erfolg aus zu sein, sondern langfristig und nachhaltig zu handeln und sich selbst treu
         zu bleiben – das macht für uns den Wert der Haba-Firmenfamilie aus. Wir sind uns
         unserer Verantwortung für unsere Mitarbeiter*innen, unsere Umwelt und unsere Kun-
         den bewusst und bemühen uns stets um eine nachhaltige Unternehmensführung.
         Unsere Mitgliedschaft in der Fair Toys Organisation ist ein weiterer Schritt auf unserem
         Weg zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung. Wir möchten dieses wichtige
         Thema aktiv mitgestalten und dafür sorgen, dass es mehr und mehr Aufmerksamkeit
         erfährt.                    Verena Bammert, Director Brand & Product Haba Sales
         

     Gutes und sicheres Spielzeug ist eine Frage der Ver-
     antwortung, ebenso wie die Sicherstellung humaner                   Fair hergestellte Spielwaren sind
     Produktionsbedingungen, besonders in China. Wäh-                    eine Frage der Verantwortung,
     rend andere Branchen, wie etwa Textil, schon längst                 denn am Ende der Wertschöp-
     ein Siegel erfolgreich etabliert haben, ist es für die              fungskette stehen leuchtende
     Spielware, die sich mit ihren Produkten zudem an                    Kinderaugen. Die Auslagerung
     die sensibelste Zielgruppe richtet, nämlich Kinder,                 der Produktion spricht uns nicht von dieser Verantwortung frei
     nun wirklich allerhöchste Zeit.                                     – im Gegenteil. Eine transparente Überwachung der Lieferket-
     Mit Fair Toys wollen wir eine Verifizierungsinstanz                 te ist unverzichtbar. Durch die Fair Toys Organisation und das
     schaffen, die Unternehmen auf ihrem Weg der men-                    Zusammenspiel von Industrie, Handel und Zivilgesellschaften
     schenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der Lie-                wird eine glaubwürdige Kontrollinstanz geschaffen, die es
     ferketten informiert, berät und begleitet. Im Falle                 dem Konsumenten ermöglicht, tatsächlich fair hergestellte
     von Defiziten werden wir versuchen, mit den betrof-                 Spielwaren kaufen zu können.
     fenen Unternehmen Lösungsstrategien zu entwi-                                Barbara Fehn-Dransfeld, Geschäftsführerin Heunec
     ckeln und umzusetzen.
     Besonders wichtig ist uns, dass die Fair Toys Organi-
     sation keine „Veranstaltung“ der Spielwarenbran-
     che, also von Herstellern, Händlern und Verbänden
     ist, sondern von Beginn an zivilgesellschaftliche
     Organisationen und Körperschaften des öffentlichen                                                  Wir freuen uns über die Gründung
     Rechts gleichberechtigt vertreten sind. Nur so kön-                                                 der FTO. Warum? Weil hier eine Ini-
     nen wir wirklich sicherstellen, das wir einen objekti-                                              tiative Fuß fasst, die es schon viel
     ven Blick auf die Verhältnisse entlang der Lieferkette                                              länger geben müsste: eine Verbin-
     bekommen, um entsprechende Handlungsalternati-                                                      dung von verschiedensten Markt-
     ven entwickeln zu können, aber auch Best Practice-                                                  teilnehmern zur Verbesserung der
     Ansätze zu definieren.                                                                              Welt. Das klingt vielleicht jetzt
     Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass wir gera-                                                  erstmal pathetisch, hat aber einen
     de erst am Beginn einer langen Reise stehen. Um                                                     ernsten Hintergrund: In unserer
             einen lang- und mittelfristigen Erfolg von Fair                                             Branche, wie in vielen anderen
                  Toys sicherstellen zu können, ist es nun                                               auch, wird oftmals über das Preis-
                    immens wichtig, dass sich so viele               diktat der Mensch am Ende der Kette unter Druck gesetzt. Dies gilt es
                     Hersteller wie möglich – und hier vor           aufzuzeigen, denn das ist der Grundgedanke von Fair Toys: Menschen,
                      allem auch die Top-Ten Player im               die an Artikeln für Kinder arbeiten, sollen glücklich sein. Dies kann
                       deutschen Spielwarenmarkt – der               man nur, wenn man Arbeitsbedingungen hat, die passen. Angefangen
                       Organisation anschließen. Ansons-             vom Lohn, über die Zeiten bis hin zum Arbeitsumfeld. Und da dies
                        ten besteht durchaus die Gefahr,             auch letztendlich sehr viel mit einer nachhaltigen Produktion zu tun
                          das Fair Toys in den positiven             hat, steht auch das Thema Umwelt hier in einem engen Zusammen-
                           Ansätzen steckenbleibt, was               hang: Ist der Mensch in guter Verfassung, ist es auch die Umwelt. Um
                           wir uns alle nicht wünschen.             diesen Zusammenhang zu unterstützen, im eigenen Unternehmen zu
                                        Thomas Eichhorn,            fördern und weiter zu verbreiten sind wir Mitglied bei dieser Organisa-
                                  Vorstand Zapf Creation            tion geworden.              Axel Gottstein, Geschäftsführer sigikid

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S pe cia l
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