Die bilDer vOn früher - null41

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Die bilDer vOn früher - null41
Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender
NO 2 Februar 2014 CHF 8.– www.null41.ch

        Die bilder
       von früher
Die bilDer vOn früher - null41
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 matthew mcconaughe Y
       JennIFer garner                    und   Jared Leto

      Golden Globe Gewinner
      bester darsteller Matthew McConauGhey
      bester nebendarsteller Jared leto

                                     “eIner der packendsten
                                   und InspIrIerendsten F ILme
                                                                                                    
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                                           des J ahres .”
                                        the new York observer
                                                                                                                  
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                                     I ch habe nur eIn L eben .                
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                                    u nd es soLL was bedeuten .
                                                                                             
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                                                                                                             Pawel A. Mazurkiewicz, Piano
                                                                         
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                                                                                
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                                                                                                                                     A. Mazurkiewicz,
                                                                                                                                   Pawel Mazurkiewicz,  Piano
                                                                                                                                            A. Mazurkiewicz,
                                                                                             PianoPiano
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               20. Februar im Kino
                                                                                                            Abendkasse ab 16.00 Uhr
                                                                         
                                                                         
                                                                               

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editorial

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Auf Strassen, Bildschirmen, Handys und Zeitungen,               Mit dem Reiz alter Fotografien beschäftigt sich mo-
überall leuchtet sie uns farbig entgegen, die Bilderflut.       mentan der Historiker Valentin Groebner. In seinem
Wir sind umgeben von Fotografien, und auch wir                  Essay geht er der Wirkung von historischen Bildern
selbst lichten die Welt seit der Erfindung der Digital-         auf den Grund und zeigt auf, was für eine wichtige
kamera pausenlos ab. Und als erfahrene Fotokonsu-               Rolle sie für eine Touristenstadt wie Luzern spielen.
menten lassen wir uns nicht so leicht täuschen: Wir             (Seite 8)
wissen, dass das Produkt auf dem Werbeplakat schö-              Etwas nostalgische Stimmung herrscht zurzeit auch
ner aussieht als in der Wirklichkeit, genauso wie die           in der 041-Redaktion, denn Catherine Huth, Ge-
Frau mit Schnute auf dem Selfie.                                schäftsführerin der IG Kultur (Herausgeberin dieses
Bei Fotografien von früher sind wir weniger kritisch,           Magazins), verlässt Ende Februar ihren Posten. Zum
im Gegenteil – die vergilbten Bilder bezaubern uns              Abschied haben wir mit ihr über das Zentralschwei-
auf eigenartige Weise. Wie klein die Welt damals doch           zer Kulturleben und ihre Zeit bei der IG Kultur ge-
war, denken wir, wie leer die Strassen. Wir mustern             sprochen. In dieser hat sie uns bestärkt, kritisiert, be-
diese Menschen, die längst tot sind und uns trotzdem            kocht, verwöhnt, herausgefordert. Danke, Catherine!
anblicken. Was sie wohl in genau diesem Moment
gedacht haben? Die Bilder der Vergangenheit faszi-
nieren. Sonst würden wir unsere Wohnungen nicht
damit schmücken, es gäbe keine Flohmarktstände mit
alten Postkarten und Familienfotos oder Kamera-
                                                                Martina Kammermann
funktionen mit Altmach-Effekt.                                  kammermann@kulturmagazin.ch

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Inhalt

15 verzwickte lage
Die Mindestlohndebatte betrifft auch Kultur­
häuser. Höhere Löhne würden teilweise weniger
Stellen bedeuten.

                                                18   huth tritt ab
                                                     Catherine Huth verlässt die IG Kultur.
                                                     Ein Gespräch zur Lage der Zentral-
                                                     schweizer Kultur.

                                                     KOLUMNEN
                                                6    Gabor Feketes Hingeschaut
                                                7    Lechts und Rinks: Auf ins Disneyland
                                                20   Gefundenes Fressen: Die Österreicher
                                                37   11 Fragen an: Jürg Lischer
                                                65   Kämpf / Steinemann
                                                66   Käptn Steffis Rätsel
                                                67   Vermutungen

16 am tatort                                    21
                                                     SERVICE
                                                     Bau. Ein alternativer Blick auf den Gütsch
Die Zwischennutzung an der Bernstrasse läuft    23
                                                26
                                                     Kunst. Die neue «Regionale»
                                                     Musik. Zwei Babys kehren zurück
nun gut drei Monate. Zeit für einen Besuch.     30   Wort. Lyrik will besprochen sein
                                                32   Kino. Der Goalie auf der Leinwand
                                                35   Bühne. Zell:Stoff im Südpol
                                                62   Namen / Notizen / Ausschreibungen
                                                63   Impressum
                                                64   Kultursplitter. Tipps aus der ganzen
                                                     Schweiz

                                                     KULTURKALENDER
                                                38   Kinderkulturkalender
                                                39   Veranstaltungen
                                                57   Ausstellungen
23 zurück in
der heimat                                      Titelbild: Umbau der Seebrücke in Luzern durch Val-
                                                laster J. & Co: Bauzustand, Blick vom Schwanenplatz,
                                                18.11.1935. Staatsarchiv Luzern (PA 1264/87.36).
Erstmals nach
ihrem Tod werden
in Luzern Werke
von Bessie Nager
gezeigt.                                             PROGRAMME DER KULTURHÄUSER
                                                22   Natur-Museum Luzern / Historisches Museum
                                                40   Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau
                                                42   Romerohaus
                                                44   HSLU Musik  / Stattkino
                                                                                                       Bilder: UFO im Tatort / zvg

                                                48   LSO / Luzerner Theater
                                                50   Kleintheater
                                                52   Kulturlandschaft
                                                56   Kunstmuseum Luzern
                                                58   Kunsthalle Luzern / Museum im Bellpark
                                                60   Nidwaldner Museum

                                  4
schön gesagt

  «Der Zuschauer muss die
  			 Privatsphäre verletzen.»
                                                                                                            Patric Gehrig (seite 35)

                                             guten tag                                                                     Aufgelistet

Guten Tag, Neuenkircher                               Guten Tag, IV-Stelle Luzern                          Zum Anhören beim Lesen unserer
Höckeler-Zunft                                        Um zu prüfen, ob deine Klienten tatsächlich IV-      Titelgeschichte – eine Auswahl der
Bestimmt freust du dich schon auf die Fasnacht,       (un-)tauglich sind, führst du seit 2013 Hirnstrom-   nostalgischsten Songs:
die – wie immer wieder versichert wird – neben        messungen durch, wie man Anfang Jahr erfahren
Alkoholausschweifungen ja auch eine kulturelle        durfte. Auf die vielen Einwände von Experten         • Mary Hopkin – Those Were The Days
Seite hat. Tradition, Kostüm et cetera. Die Schnit-   und Professoren, welche die Messungenauigkeit
zelbänke, in denen Politik und High Society ihr       und Unreife solcher neuropsychologischen Tests       • Eric Burdon – Good Times
                                                      betonen, kam kürzlich postwendend deine Stel-
Fett abbekommen, sind hierzulande leider nicht                                                             • Wang Chung – Dance Hall Days
so üblich wie in Basel. Aber Reimen können wir        lungnahme: Es werde sich «sicherlich eine wis-
auch!, hast du dir gesagt und für die diesjährige     senschaftliche Diskussion über die Möglichkeiten     • Edith Piaf – Non, Je Ne Regrette Rien
Neuenkircher Fasnacht ein klingendes Motto kre-       und Grenzen dieser Methoden ergeben». Hä? Die
iert: «Eusi Chüe ond Söi düend rocke, wenn d Bü-      wissenschaftliche Diskussion ist doch eben in vol-   • Oasis – Don’t Look Back In Anger
ri a de Fasnacht hocked.» Wir verstehen zwar den      lem Gange, trotzdem wird die Methode ange-
                                                                                                           •	The Godfathers – Those Days Are Over
Sinn nicht ganz, aber die Sphären der Poesie sind     wandt. Doch damit nicht genug. Auch wehrst du
halt nicht allen immer zugänglich – das sehen wir     dich gegen den Vorwurf einiger Medien, du wür-       • Patti Smith – 1959
ein, l’art pour l’art muss sein (um auch unserer-     dest «Lügendetektoren» benutzen. Da hast du na-
seits noch einen Reim beizusteuern). Wenn die         türlich recht – die Hirnstrommessungen dienen        • Motörhead – 1916
Kühe und Säue dann gehörig rocken, raten wir          allerdings demselben Zweck wie diese Geräte,
                                                      nämlich demjenigen der Abschreckung. Will-
                                                                                                           • Fleetwood Mac – Never Going Back
aber, auf die Lautstärke im Stall zu achten und den                                                        	Again
Tieren auf jeden Fall die Glocken abzunehmen.         kommen im letzten Jahrtausend.
Schliesslich hat nur eine einzige Reklamation aus                                                          • Joni Mitchell – Both Sides Now
der Bevölkerung gereicht, um die Läutordnung          Unter Strom, 041 – Das Kulturmagazin
der Neuenkircher Kirche über den Haufen zu wer-
fen – seit Kurzem läutet der Kirchturm nachts lei-
ser und nicht mehr im Viertelstundentakt. Also
Vorsicht, sonst heissts dann plötzlich: Bam Bam
Fasnacht.

Festbankerprobt, 041 – Das Kulturmagazin

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                                          Fotografien von Peter Dammann
      Ausstellung: 20. 2. bis 4. 4. 2014 – Vernissage: 20. Februar, 19 Uhr
                               MAZ Galerie, Murbacherstrasse 3, Luzern
                                                       www.mazgalerie.ch

                                                                                  In der ehemaligen Wohnstätte Richard Wagners in Tribschen führt
                                                                                  die Stadt Luzern das Richard Wagner Museum. Zur Unterstützung
                                                                                  der Museumsleitung suchen wir per 1. Mai 2014 eine/einen Museums-
                                                                                  mitarbeiter/in als

                                                                                  Mitarbeiter/in Administration/Empfang
                                                                                  Pensum 40 %

                                                                                  Gerne stellen wir Ihnen diese interessante Stelle auf unserer
                                                                                  Homepage detailliert vor: www.stellen.stadtluzern.ch

                                                                              5
Hingeschaut

Der ruhende Pol
Da es noch nicht richtig Winter war und ziemlich warm, nutzte          netter Gastgeber, oder? Jedenfalls, in diesem ganzen Wirrwar ent-
ich die Gelegenheit, meine müden und faulen Beine mal wieder in        deckte ich einen eleganten Herrn auf dem Schiff, versunken in
Bewegung zu setzen und auf Fotopirsch zu gehen.                        seiner Zeitung. Ein in sich ruhender Pol. Was für eine geniale Ver-
    Wie so oft ging ich am Quai entlang – ich liebe es, dem See        wendung dieser Zeitung, als Schutz, als Hut und als Lektüre. Hut
zuzusehen, und fühle mich dann oft wie am Meer. Wolken, tolle          ab! Multitasking in Vollendung.
Bäume und verrückte Touristen, die besonders gerne die Schwäne
ins Visier nehmen. Wenn ich ein Schwan wäre, dachte ich, würde         Bild und Text Gabor Fekete
ich zurückschiessen oder zubeissen, aber das macht man nicht als

                                                                   6
lechts und rinks

Es werde Licht im Disneyland

Mit einer Lichtinszenierung von Kapellbrücke und Wasserturm soll das idyllische
Luzern noch schöner werden. Wozu eigentlich?
Die Stadt. Der See. Die Berge. Das ist unser    serturm unter der Präsidentschaft von Alt-   Jagdgebiet. Der Wasserturm wiederum be-
Luzern, wie es beworben wird. Stimmt:           stadtrat Ruedi Meier vorschwebt: Mit ei-     herbergt eine Alpensegler-Kolonie von et-
Luzern ist schön. Es stellt sich nur die Fra-   nem gross angelegten Ideen-Wettbewerb        wa 60 Brutpaaren. Zwischen April und
ge, ob alles, was schön ist, noch schöner       wird derzeit das beste Beleuchtungskon-      September können die Vögel beim Anpei-
werden soll. Oder ob es einfach mal so blei-    zept für ebendieses Ensemble gesucht. Der    len des Turms in der Abenddämmerung
ben darf, wie es ist. Noch besser, noch         Wirkungsbereich soll den Abschnitt See-      gehört und gesehen werden. Niemand
schöner kann schnell ins Gegenteil kippen:      brücke bis Reusssteg sowie die dazugehöri-   weiss, ob die geschützten Fiederlinge aus
Irgendwann ist der Höhepunkt erreicht           gen Uferpartien umfassen. Im Frühsom-        dem schönen Luzern verschwinden, wenn
und es geht bergab. Analog dazu könnte          mer wird das Siegerprojekt bekannt gege-     da noch mehr Disneyland wird. Warum
aus dem schönen Luzern plötzlich ein kit-       ben. Die Chose kostet rund 1,2 Millionen     nicht aus diesem faszinierenden Natur-
schiges Disneyland werden. Das mag zwar         Franken. Wer das bezahlt und ob es von       schauspiel eine «stille» Attraktion machen,
ein paar Tausend Touristen mehr anlo-           den Einheimischen goutiert wird, ist noch    die vielleicht bei den Touristen gut an- und
cken, aber davon leben die wenigsten Ein-       ungewiss.                                    ohne Licht auskommt? Das wäre mal was
heimischen. Sogar das Forum Wirtschaft              Nebst der Frage nach Sinn und Unsinn     Aufregenderes als diese kitschige Histori-
Luzern merkt in seiner kürzlich erstellten      einer solchen Lichtinszenierung gibt es      eninszenierung, wie es jedes Kaff macht.
Broschüre «Markenkern Luzern», dass sich        handfeste Bedenken: Die Kapellbrücke ist     Apropos: Ironischerweise kämpfen die
Luzern viel zu sehr auf die touristischen       das Fortpflanzungsquartier der grössten      Quartiervereine Altstadt und Kleinstadt
Aspekte ausrichte. Hingegen fehle es an ei-     Kolonie von Wasserfledermäusen im Kan-       (IG Kronenbeleuchtung) damit, dass sie
ner umfassenden Strategie, die den Fokus        ton. Bis zu 200 Tiere nutzen die Holzver-    ihre traditionelle Weihnachtsbeleuchtung
auf die wirtschaftlichen Vorzüge legt. Dass     schalung der Brücke zwischen März und        kaum mehr finanzieren können. Möglich
sich Unternehmen nicht alleine durch die        Oktober für ihre Wochenstuben, der an-       also, dass wir künftig während der Ad-
Senkung der Unternehmenssteuern anzie-          grenzende Flussraum dient als wichtiges      ventszeit im Dunkeln shoppen und uns im
hen lassen, zeigt sich jetzt schon deutlich.                                                 Anschluss auf der Kapellbrücke im Licht
Dazu braucht es bessere Argumente und                                                        baden. Halleluja!
eben nicht nur touristische. Es gibt also
Wichtigeres zu tun, als die zwei Wahrzei-                                                        PS: Empfinden Sie dekorative Beleuch-
chen an der Reuss in Licht zu tauchen, wie                                                   tungen als Lichtverschmutzung oder Be-
es der IG Inszenierung Kapellbrücke/Was-                                                     reicherung? Das Bundesgericht hat kürz-
                                                                                             lich bestimmt, dass Hausbesitzer verpflich-
                                                                                             tet werden können, Zierbeleuchtungen um
                                                                                             22 Uhr auszuschalten.

                                                                                             Christine Weber, Illustration: Stefanie Dietiker

                                                                    7
Bildernostalgie

        Weisst du noch,
als in Luzern das Tram fuhr?
          Alte Bilder üben auf uns einen ganz eigenen Zauber
         aus. Nicht nur weil sie uns etwas Vergangenes zeigen,
          sondern weil sie Erinnerungen neu erzeugen. Diese
              Wirkung macht sich der Tourismus zunutze.
                                                 Von Valentin Groebner*

 Tourismus geht nicht ohne die gute alte Zeit. Und die              Fotografie macht offenbar nicht einfach nur Bilder.
 geht nicht ohne Fotos: Herren mit Zylinder, Damen in           Sie erzeugt die lllusion, es habe diesen schönen Au-
 hochgeschlossenen Blusen unter Sonnenschirmen,                 genblick gegeben, den sie eingefangen hat. Alte Fotos
 Kinder mit Dienstboten. Strassen fast ohne Autos,              erzeugen das etwas unwirkliche Gefühl des «Dagewe-
 Trams vor Fassaden, die es heute nicht mehr gibt. Die          senseins», in dem die eigene Gegenwart des Betrach-
 braunstichigen Fotos, die Luzern als mondänen Ur-              ters, hier und jetzt, mit diesem eingefrorenen Augen-
 laubsort vor dem Ersten Weltkrieg zeigen oder als              blick vor fünfzig, achtzig oder hundertzwanzig Jahren
 schon leicht ramponierte Idylle in den 1930ern und             vermischt wird. So sehen wir in ihnen etwas eigent-
 1940ern, wirken heute anders als damals. Sie sind zum          lich Unerreichbares. Erzeugt worden sind diese Bilder
 Versprechen einer vergangenen, heilen Welt geworden.           durch sorgfältige Inszenierungen oder glückliche
    Aber wenn das alles nicht mehr da ist, warum setzt          Schnappschüsse, die nicht für uns bestimmt waren,
 dann die Gefühlsindustrie Tourismus so beharrlich              sondern für ganz andere Betrachter, und zwar ge-
 auf diese Bilder von gestern, um damit Werbung zu              wöhnlich solche, über die wir nicht viel wissen – und
 machen? Hotelrestaurants heissen «1871»; die Vereini-          zwar umso weniger, je privater diese Bilder aus den Le-
 gung Swiss Historic Hotels bringt ein Buch heraus, das         bensgeschichten anderer Leute sind.
 «Zeitreisen» heisst; und je frischer ein Café renoviert            Mit persönlichen Gefühlen aufladen lassen sie sich
 worden ist, desto zuverlässiger ist es dekoriert mit Ab-       trotzdem. Denn jedes alte Foto sagt zwar «Ich habe
 zügen von alten Postkarten, verschwundenen Häusern             nichts mit dir zu tun», flüstert aber gleichzeitig: «So
 und Gründerzeithotels.                                         war es früher wirklich.» Die geringe Entfernung des

                                                            8
Flanieren in einer scheinbar heilen Welt.
                                                                     Der Schweizerhofquai, undatiert.

Im Paradiesgarten: Für wen hat die Dame mit Fell wohl posiert?
Im Park des Hotels Seeburg um 1930. Laut Hotel-Website ab 1900 ein beliebtes Ziel
britischer Reise-Aristokraten.

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Bildernostalgie

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                                                                                   ihnen nahe: «Wie man es auch dreht
                                                                                   und wendet, Fotografie hat etwas mit
                                                                                   Auferstehung zu tun», schrieb Philosoph
                                                                                   Roland Barthes Ende der 1970er.
                                                                                   Begutachtung der Rapsernte durch den
                                                                                   Bauernverein bei Rothenburg, 1944.

Betrachters von der Bildfläche verstärkt ein Gefühl der        Jahrhundert später Walter Benjamin weiter, seien
Nähe. Ironischerweise erscheinen Fotos umso intim-             doch ohne Zweifel die Nachfahren der Wahrsager, die
berührender, je kleiner ihre Formate sind. Und ob-             Omen läsen und die Zukunft vorhersagten. Noch ex-
wohl wir keine dieser gepflegten Damen, ihre Dienst-           pliziter macht das einer der vertracktesten und schöns-
mädchen und niemanden der Herren mit Zylinder, der             ten Texte zur Fotografie, den Roland Barthes Ende der
Portiers und Kofferträger und der barfüssigen Kinder           1970er-Jahre geschrieben hat. Was fotografiert wird,
kennen können, kommt es uns vor, als seien diese Bil-          meinte er, werde dadurch eine Art kleines Götzenbild,
der mit unseren eigenen Erinnerungen verbunden.                versehen «mit dem etwas unheimlichen Beige-
                                                               schmack, der jeder Fotografie eigen ist, der Wieder-
                 Der magische Effekt                           kehr der Toten.» Daher die magischen Effekte: «Von
                                                               einem realen Objekt, das einmal da war, sind Strahlen
Kein Zufall, dass die Fotografie nicht einfach nur als         ausgegangen, die mich erreichen (...) eine Art Nabel-
Technik der Bildfixierung mit lichtempfindlichen Sil-          schnur verbindet den Körper des fotografierten Ge-
bersalzen gilt, sondern beharrlich mit den Kategorien          genstands mit meinem Blick.» Und er wird noch deut-
des Magischen beschrieben worden ist. «Selbstein-              licher: «Wie man es auch dreht und wendet, Fotografie
schreibung der Natur» sei sie, so ihr stolzer Erfinder         hat etwas mit Auferstehung zu tun.»
Henry Fox Talbot 1839, und gleichzeitig «natural ma-               Da glaubte einer ganz fest an die Bilder. Apropos
gic», ein bisschen übernatürlich: «ein Bild, das sich          Auferstehung: Die mittelalterlichen Theologen hatten
selber macht». Die Fotografen, so denkt das fast ein           sich dafür das coole Konzept der acheiropoeita ausge-

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Bildernostalgie

  Fotografie lässt die Zeit scheinbar
stillstehen – Verschwindendes wird
 daher besonders gern fotografiert.
    Sprengung der alten Kaserne, 1971.

           dacht. Es gebe Bilder, die durch das erzeugt worden              Wendell Holmes 1859 die neue Technik. Verschwin-
           seien, was sie zeigten, lehrten sie. Von menschlicher            dendes wird seither besonders gern fotografiert: Das
           Hand unberührt, könnten sie genau deswegen das                   gilt nicht nur für die Bilder der luxuriösen Hotelpaläs-
           Überirdische sichtbar machen.                                    te und der schönen alten Häuser, die im Luzern der
               Gute Fotos können dies bis auf den heutigen Tag.             1940er- bis 1970er-Jahre so flott abgerissen wurden,
           Denn ein wirklich wirkungsvolles Foto lässt denjeni-             sondern auch für Gesichter. Nur: Wen haben die ele-
           gen, der es gemacht hat, Fotografen oder Fotografin              ganten Touristen und die lachenden Kinder vor hun-
           plus das ganze aufwendige technische Drumherum                   dert oder vor siebzig Jahren eigentlich angeschaut, als
           samt Kamera, Beleuchtung und Dunkelkammer, ein-                  die Kamera sie festgehalten hat?
           fach verschwinden. Als wären sie nie dagewesen. Da-                  Uns nicht. Die Verbindung zwischen den Fotografi-
           bei gäbe es ohne alle diese Dinge – fragiles, zerbrechli-        en von früher und den eigenen Erinnerungen ist trü-
           ches Zeug – das Foto gar nicht.                                  gerisch. Denn tatsächlich hat das menschliche Ge-
                                                                            dächtnis mit der Vergangenheit selbst nicht viel zu
                  Die Fotografie als Erinnerungsmaschine                    tun, sondern erzeugt die Erinnerungen sozusagen lau-
                                                                            fend neu durch ständiges Aufdatieren. Erinnerungen,
           Weil Fotografien versprechen, die Zeit magisch stillzu-          die man nicht benutzt, verblassen und verschwinden
           stellen, werden sie seit sehr langer Zeit dafür verwen-          deshalb; häufig aufgerufene Erinnerungen verfestigen
           det, Bilder von dem zu machen, das bald nicht mehr da            sich und verändern sich durch den Gebrauch. Gespei-
           sein wird. «The mirror with a memory» nannte Oliver              chert wird nämlich nicht die Erinnerung an das ver-

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Bildernostalgie

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                                                                                                     den Bildern von früher und
                                                                                                     eigener Erinnerung ist trüge-
                                                                                                     risch. Erinnerungen werden
                                                                                                     laufend neu erzeugt. Jesuiten-
                                                                                                     kirche mit Freienhof, vor 1948.

gangene Ereignis selbst, sondern an das letzte Mal, als             Das kennen wir natürlich von unseren eigenen Ur-
man es erinnert hat. Fotografien bringen nicht irgend-          laubsbildern. Wir erinnern uns mithilfe von Bildern,
etwas zurück oder machen es «wieder» sichtbar, son-             und irgendwann im Wesentlichen an die Bilder: Sie
dern erzeugen Erinnerung.                                       bringen das, was unfotografiert geblieben ist, ziemlich
                                                                effizient zum Verschwinden und setzen sich an seine
    So lautet jedenfalls das etwas ernüchternde Ergeb-          Stelle. Die Kamera wird so zum Instrument vom Um-
nis der Gedächtnisforschung und der Befragung von               bau dessen, was wir gesehen haben. Und ihre Bilder
Zeitzeugen. Diejenigen, die dabei gewesen sind, wissen          sind stets Auswahl, Seh-Anleitung und Seh-Anwei-
es sehr oft nicht besser. Denn das Gedächtnis unter-            sung: «Schau, da!»
scheidet nicht zwischen Bildern im eigenen Kopf und
denen aus Fotoschachteln. So ist es relativ einfach,                            Gefilterte Wirklichkeit
Personen mit manipulierten Aufnahmen Erinnerun-
gen einzupflanzen: Und weil neue Erinnerungen alte              Damit wird gleichzeitig immer ziemlich viel zum Ver-
überschreiben, erinnern sich viele Zeitzeugen nicht an          schwinden gebracht. Denn zu zeigen heisst, anderes
das, was sie vor dreissig oder fünfzig Jahren selbst ge-        auszuschliessen, das Unpassende. Eine wirklich ver-
sehen haben. Sondern an die Bilder, die andere von              lässliche Fotografie wäre also eine, auf der man sieht,
diesem oder anderen Ereignissen gemacht und die sie             dass fotografiert worden ist. Aber wieso empfinden
selbst später gesehen und in ihr eigenes Gedächtnis             wir solche Bilder, die ihr eigenes Gemacht-werden ver-
eingebaut haben, ohne es zu merken.                             raten, als weniger ästhetisch? Weil wir als gute Katho-

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Bildernostalgie

                                                         So war es früher wirklich, flüstert das Bild uns zu.
                                                         Luzerner Schwanenplatz, um 1940.

          Luzern in seiner ganzen Pracht – oder
              vielleicht doch eine Fotomontage?
                       Luzerner Bahnhof, vor 1971.

liken so weniger leicht daran glauben können, dass das            so etwas wie die offizielle Hauptstadt des Tourismus
Bild sich vielleicht doch selber gemacht hat? Aus der             und der historischen Illusionen ist. In ihr kann die Bil-
Sicht eines strengen Historikers ist deswegen oft dasje-          derwalze Fotografie gar nicht anders, als historische
nige an den alten Aufnahmen am interessantesten,                  Wirklichkeit ununterbrochen neu zu erzeugen: Vene-
das der Fotograf gar nicht zeigen wollte – aufschluss-            dig wird von 25 Millionen Touristen jährlich besucht,
reiche Details, die man erst beim zweiten oder dritten            und alle, alle machen Fotos.
Hinschauen überhaupt bemerkt. Kameras halten so-
zusagen aus technischem Eigensinn immer mehr fest,                            Die Vergangenheit der Zukunft
als der Fotograf sehen konnte und zeigen wollte, als er
auf den Auslöser gedrückt hat.                                    Und das seit 150 Jahren. Der organisierte Tourismus,
    Fotografie als theatralischer Vergangenheitszauber            nur ein paar Jahre jünger als die Fotografie, hat sich
hat also eine Rückseite, und der italienische Philosoph           von Anfang an darauf spezialisiert, seinen Kunden
Massimo Cacciari hat sie auf eine etwas barsche For-              Dinge anzubieten, die man nicht kaufen kann: Erleb-
mulierung gebracht. Die Fotografie, meint er, zeige               nisse, Aussichten, Erinnerungen. Die Geschichte des
nicht einfach, was da sei, sondern auch das, was es               Tourismus ist deswegen auch von Anfang an die Ge-
nicht gebe, und zwar dadurch, dass sie die Zeit stillstel-        schichte von Standardisierung, Massenproduktion
le – scheinbar. Philosophen sind ja noch viel strenger            und Wiederholbarkeit. Heute ist die Branche, je nach
als Historiker. Aber Cacciari weiss, wovon er spricht:            Zahlenbasis, die zweit- oder drittgrösste Dienstleis-
Er war zwölf Jahre lang Bürgermeister jener Stadt, die            tungsindustrie des Planeten. Tourismus ist eine Agen-

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Bildernostalgie

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                                                                                      oft mehr fest, als der Fotograf zeigen wollte.
                                                                                      Mädchen auf dem Rathausquai, 1963.

        Es sind die Bilder von früher, die auch heute
                     noch täglich produziert werden.
                   Mann auf der Kapellbrücke, vor 1930.

tur für geträumte Zeitwiederbeschaffung, mit der Ver-           ner eigentlich tun, die immer an der Seebrücke und
gangenheit als vermeintlich unerschöpflichem Reser-             am Löwendenkmal herumstehen – fünfeinhalb Milli-
voir an Authentizität: «Dort war es echter.»                    onen Besucher jährlich. Sie machen die Bilder von frü-
    Zeigen das nicht die alten Aufnahmen? Luzern                her. Aber jetzt mit ganz viel Megapixeln. Und mit sich
hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur          selbst darauf.
künstliche Alpenwelten, Dioramen und Souvenirlä-
                                                                    * Valentin Groebner lehrt Geschichte an der Universität Luzern. Ein
den zugelegt, sondern auch viele, viele Fotostudios.                aktuelles Forschungsprojekt, 2013 gestartet, beschäftigt sich mit
Denn ohne die hat der Fremdenverkehr schon damals                   touristischer Bilderproduktion und der Neuinszenierung von Mittelalter
                                                                    im 21. Jahrhundert. Der Text ist die gekürzte und überarbeitete Versi-
nicht funktioniert. Die offizielle Agentur Schweiz Tou-             on eines Vortrags am Staatsarchiv Luzern in der «Langen Nacht der
rismus propagiert seit einigen Jahren eine «Via Cook»,              Museen» im Herbst 2013.
auf der man den Spuren der Belle Époque folgen kön-
ne und sich in eine englische Touristin des 19. Jahr-
hunderts verwandeln. Oder anders gesagt, in ein altes
Foto.                                                           Bilder: Staatsarchiv Luzern (FDC 45/41, 55, 61, 63, 64, FDC 76/1075, FDC 90/98,
                                                                FDC 102/2533, PA 1270/237)
    Jetzt wissen Sie auch, was all die freundlichen Chi-        FotografInnen: Emil Goetz, Max A. Wyss, Lisa Meyerlist
                                                                Urheberrechte: Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Luzern, Stiftung Fotodokumentation
nesen, Inder und die etwas ratlosen deutschen Rent-             Kanton Luzern

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aktuell

Mindestlöhne – auch für Kultur-
schaffende?
Im Zusammenhang mit der Mindestlohninitiative, über die am 9. Februar in der Schweiz
abgestimmt wird, ist viel von den schlecht bezahlten Angestellten im Detailhandel und
Gastgewerbe die Rede. Kaum jemand spricht hingegen von den Kulturschaffenden. Welche
Konsequenzen hätte ein Ja des Souveräns zum Beispiel für das Luzerner Theater?
    Von Pirmin Schilliger

Genaue Zahlen über die Löhne auf den öffentlichen Bühnen in                Mindestlöhne gelten aber ausschliesslich für blutige Anfänger;
der Schweiz sind zwar nicht bekannt. Aber viele der an den Thea-           länger als zwei Jahre muss sich niemand mit dieser Mindestgage
tern tätigen Künstler und Techniker dürften zu jenen 330 000 Be-           begnügen», betont Adrian Balmer, Verwaltungsdirektor des Lu-
schäftigten gehören, die weniger als die mit der Initiative von den        zerner Theaters. Überdies erhielten sämtliche Mitarbeitenden ei-
Gewerkschaften geforderten 4000 Franken monatlich oder 22                  nen 13. Monatslohn, schiebt er nach. Aufgerechnet «steigt» damit
Franken in der Stunde verdienen. Beispiel Sandra K.*, die vor an-          der Mindestlohn auf 3800 Franken. So oder so liegt dieser Ansatz
derthalb Jahren ihre Ausbildung zur Balletttänzerin abgeschlos-            unter den Forderungen der Mindestlohninitiative. Höhere Gagen
sen und nun seit einigen Monaten ihr erstes Engagement am Lu-              zahlen in der Schweiz einzig die grössten Theater. «Aber mit Zü-
zerner Theater hat. Die 24-Jährige erhält einen Bruttolohn von             rich und Basel können wir nicht mithalten», erklärt Balmer, der
3500 Franken. «Ich komme damit gerade mal so über die Run-                 die Verhältnisse in der Branche bestens kennt. Er ist nämlich Prä-
den», sagt die junge Frau. Weil die Miete einer kleinen Wohnung            sident des SBV und damit eine der einflussreichsten Persönlich-
mit zwei Zimmern mehr als ein Drittel ihres Lohnes wegfrisst,              keiten auf Arbeitgeberseite. Freimütig räumt er ein, dass in Luzern
sucht sie jetzt ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft.                      nicht nur die Mindest-, sondern auch die Maximallöhne beschei-
                                                                           den seien. Ein Solist etwa, der bereits auf eine mehrjährige Karri-
Unterschiedliche Mindestlöhne                                              ere an renommierten Bühnen zurückblicken kann, darf am Lu-
Immerhin können Schauspieler, Sänger oder Tänzer an den öf-                zerner Theater unter Umständen mit über 5000 Franken rechnen.
fentlichen Theatern auf ein festes Salär zählen. Sie befinden sich         «Eine Sechs an erster Stelle, wird er aber nie auf seinem Lohnzet-
damit in einer komfortableren Situation als jene vielen freien Kul-        tel vorfinden», so Balmer.
turschaffenden, die in steter Ungewissheit dem Geld nachrennen
müssen. Trotzdem erstaunt es, wie wenig auch das angestellte               Gefährliche Auswirkungen
künstlerische Personal verdient, denn in der Branche gibt es seit          Wie stellt sich der Verwaltungsdirektor nun zur Mindestlohniniti-
Jahren schon einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Diesem unter-               ative? «Deren Annahme hätte für viele Theater höchst gefährliche
stehen rund 5000 Mitarbeitende von 31 professionellen Bühnen.              Auswirkungen», warnt er. Er stellt klar, dass die Aufwendungen
Abgeschlossen wurde der GAV zwischen dem Schweizerischen                   fürs Personal bei den Bühnenbetrieben rund 80 Prozent der ge-
Bühnenverband (SBV) als Arbeitgeberorganisation und dem                    samten Kosten ausmachen. Weil die den Theatern zur Verfügung
Schweizerischen Bühnenkünstlerverband (SBKV), der die Inte­                stehenden Mittel mit Annahme der Initiative nicht automatisch
ressen der Arbeitnehmer wahrnimmt. In Bezug auf verbindliche               grösser würden, kämen die meisten Betriebe kaum darum he­
Saläre bleibt der GAV allerdings vage. In einer knappen Formulie-          rum, nach einem Ja am 9. Februar Stellen und Angebote abzubau-
rung wird darauf verwiesen, Mindestlöhne festzulegen sei Aufga-            en. «Das liegt wohl weder im Sinne unserer Angestellten noch in
be der einzelnen Häuser. In der Praxis führt dies – nicht überra-          demjenigen unserer Besucherinnen und Besucher», ist Balmer
schend – zu beträchtlichen Unterschieden. Ein junger Schauspie-            überzeugt.
ler an einer grösseren Bühne, etwa in Zürich oder Basel, kann mit              Fazit also: Wer auf einen Mindestlohn pocht, der wird wohl
einem Mindestlohn von rund 4000 Franken rechnen. An kleine-                auch in Zukunft besser nicht Schauspieler, Balletttänzer oder Sän-
ren Stadttheatern muss er sich hingegen mit 3300 Franken begnü-            ger. Nicht ganz auszuschliessen ist, dass bei verbindlichen und für
gen. Der Spielraum, den der GAV bei der Ausgestaltung von Lohn-            alle geltenden Mindestlöhnen den Theatern letztlich doch mehr
modellen den einzelnen Bühnen gewährt, soll dem Umstand                    Mittel zufliessen würden: Über die von der Mindestlohninitiative
Rechnung tragen, dass eben nicht überall gleich viele Mittel zur           profitierende Arbeitnehmer, die sich dann vielleicht auch mehr
Verfügung stehen.                                                          Kultur leisten könnten, zum Beispiel den Besuch einer Theater-
    Kein Geheimnis sind die am Luzerner Theater ausbezahlten               vorstellung. Auch wenn dies natürlich für die wenigsten überle-
Mindestlöhne. Sie liegen für das künstlerische Personal bei 3500           bensnotwendig ist.
Franken pro Monat, für das technische Personal leicht höher. «Die            * Richtiger Name der Redaktion bekannt

                                                                      15
Mal chaotisch,
                                                                              mal aufgeräumt
                                                                              Noch mindestens bis März 2015
                                                                              wird das ehemalige Gallati-Haus
                                                                              an der Bernstrasse als «Tatort
                                                                              Bernstrasse» zwischengenutzt.
                                                                              Ein Augenschein zeigt: Nach
                                                                              rund drei Monaten ist man noch
                                                                              daran, sich kennenzulernen.
                                                                                  Von Patrick Hegglin

Am Anfang war die Ausschreibung. Wobei, man müsste vielleicht          was zu malen gibt, berichtet Adriana Zürcher. «Aber übrig blieben
sagen: Am Anfang war der Überbauungsplan. Wenn 2015 die ABL            dann wir drei.» Die beiden anderen sind Lukas Geisseler und Bea-
und die Baugenossenschaft von Matt die Überbauung an der               trice Stierli, und das Projekt, das letzten Sommer in die Bernstra-
Bernstras­se realisieren, wird auch das Haus mit der Nummer 94 –       sse 94 einzog, nennt sich «Tatort Bernstrasse».
im Besitz der letzteren – abgerissen. Anstatt aber die dreistöckige
Liegenschaft bereits vorzeitig abzureissen oder leer stehen zu las-    Erst mal raus mit dem Teppich
sen, entschied man vergangenen April, sie für die Übergangszeit        Hier wird gearbeitet. Das ist das wenig überraschende Fazit eines
als Zwischennutzung auszuschreiben. Womit wir wieder beim              Besuchs im ehemaligen Gallati-Haus. Im Keller treiben sich eine
Anfang angelangt wären und an dem Punkt, wo Menschen be-               Handvoll HSLU-Studenten herum und bauen Installationen für
ginnen, sich zusammenzusetzen und Konzepte zu schmieden.               die nicht öffentliche Semesterausstellung «Tabloo», die im «Tat-
Sich wieder zusammensetzen und besprechen, wer denn über-              ort» einen ihrer fünf Standorte hat. Im Ausstellungsraum stehen
haupt die Kapazität hätte, um Verwaltungsaufgaben zu überneh-          gute zwanzig Klebebandrollen herum, einige hängen von der De-
men. Jemand sage dann etwa, dass er gerne helfe, falls es mal et-      cke. Hier ein bisschen Draht, dort ein Einkaufswagen mit Klein-

                                                                  16
zwischennutzung

teilen. Wenn er herkomme, dann schaue er als Erstes jeweils in
den Ausstellungsraum, meint Lorenz Hegi, der hier nach dem Ba-
chelor in Kunst und Vermittlung sein erstes Atelier bezogen hat.
Auch das scheint dazuzugehören: dass man nicht so genau weiss,
woran im Haus sonst noch gearbeitet wird. Die meisten Türen
sind zu. Wo man aber doch einen Blick erhaschen kann, zeigt sich
ganz Unterschiedliches: vom ikonischen kreativen Chaos aus
Farbtöpfen und diversem Allerlei bis zum gut aufgeräumten Raum
eines Fotografen-Kollektivs. Nach dem Austausch untereinander
im Haus gefragt, lautet der Grundtenor: Nach rund drei Monaten
befinde man sich am Anfang eines Prozesses. Es ist eher noch die
Kennenlernphase.
    Vincenzo, der ein Atelier im 2. Stock mietet, schätzt die Auto-
nomie, und dass alle herkommen, um zu arbeiten. Damit scheint
die wichtigste Funktion des Hauses, jene als Arbeitsplatz, schon
einmal erfüllt. Auch die Tatsache, dass die Nutzung befristet ist,
wird durchaus positiv gesehen. Das Spannungsfeld zwischen dem
Wissen um die befristete Zeit und dem sich einstellenden Besitz-
anspruch des Raums findet Vicenzo interessant. Lorenz Hegi
schätzt den freien Umgang mit dem Raum und seiner Gestaltung.
Wie die meisten hat er gleich mal den Teppich herausgerissen – so
kann man Prozesse auch starten.

Ein Raum nicht nur für bildende Kunst
Acht Ateliers sind am «Tatort Bernstrasse» entstanden und bezo-
gen worden. Besonders interessant macht das Projekt aber ein
Ausstellungs- und Veranstaltungsraum. «Die Idee ist, dass der
Raum da ist und zur Verfügung steht. Man kann uns anfragen,
wenn man etwas machen möchte und ohne finanziellen Druck
eine Veranstaltung realisieren. So etwas ist rar», sagt Adriana Zür-
cher. Man schaue einfach, dass die Veranstaltung einigermassen
zum Haus passe. Nebst der Eröffnungsausstellung wurden bislang
zwei weitere realisiert: «Leichte Kunst und schwere Kost» mit
Fondueessen bei der Vernissage und «Wanderbilder», eine Kunst-
tauschaktion.
    Durch den geringen finanziellen Druck könne man solche ex-
perimentelleren Formate wagen und sich erlauben, damit zu
scheitern, meint Geisseler. Bislang scheinen die Veranstaltungen
aber Anklang zu finden. «Die Vernissagen waren gut besucht. Die
Leute bleiben ein bisschen länger, es wird viel geredet und sich
ausgetauscht», sagt Zürcher. Was Geisseler besonders gefällt, ist
die Durchmischung des Publikums: «Das Interesse beschränkt
sich nicht auf eine gewisse Altersklasse oder Kunsti-Studenten,
sondern es kommen auch viele Leute, die ich noch nie gesehen
habe.» Da frage man sich jeweils, woher die überhaupt kämen,
fügt Zürcher lachend hinzu. Durchmischung erhofft man sich
auch bei weiteren Veranstaltungen. Andere Sparten nebst der bil-
denden Kunst sind ausdrücklich erwünscht – durchmischt sind ja
auch die Tätigkeiten in den Ateliers. Eines ist aber allen gemein-
sam: Man macht Kunst.
                                                                            Verschiedene Ateliers an der Bernstrasse. Unten rechts: Ausstellungsraum im
  www.tatortbernstrasse.ch                                                                                               Parterre der Zwischennutzung.
                                                                                                                                       Bilder: UFO im Tatort

                                                                       17
ig kultur

Catherine Huth hat das Zentralschweizer Kulturleben in den letzten zehn Jahren
als Vorstandsmitglied und Geschäftsleiterin der IG Kultur eingehend kennengelernt.
Ende Februar verlässt sie ihren Posten. Wir fragen zum Abschied: Auf was ist sie
stolz? Was hat sie genervt?
    Von Pirmin Bossart

«Es wird zu viel
geklönt»
Catherine Huth, ist Luzern eine Kulturstadt, die
diesen Namen verdient?
Catherine Huth: Ja, bestimmt. Die Klein-
räumigkeit und Überblickbarkeit schafft ei-
nen Boden, der vieles möglich macht, auch
wenn nicht immer alles geht. Das Klima ist
sympathisch und herzlich. Das hat mich
hier gehalten, auch wenn es oft beengend
ist. Es sind hier sehr viele Kulturschaffende
aktiv. Es ist eine riesige und auch fruchtbare
Szene, gemessen an der Grösse der Stadt.

Aber du weisst doch sicher auch etwas Böses über
das Kultur­leben hier zu sagen.
Ach, es nervt mich auch vieles. Die Kultur-
schaffenden sind oft einfach zu lethargisch
und selbstbezogen – und würden besser mal
den Finger rausnehmen.

Welchen Finger?
Den Finger der Solidarität, der Gesamtsicht.
In ihrer eigenen Arbeit haben sie Pfupf, aber
wenn es darum geht, sich zusammenzu-
schliessen, für etwas einzustehen, gemein-
sam etwas mehr zu erreichen, verharren sie
im eigenen Gärtchen.

Sonst noch etwas zu bemängeln?
Es wird zu viel geklönt, statt dass einfach
mal gemacht wird. Machen, das ist die bes-
sere Haltung. Nicht alle haben automatisch
das Anrecht, unterstützt zu werden. Ich fin-
                                                                                     Bild: Franca Pedrazzetti

de zum Beispiel, dass Luzern nicht auch
noch eine Tanzstadt werden muss, nur weil
es hier vier oder fünf Tanzschaffende gibt.
Mich nervt auch, dass viele Kulturschaffen-

                                                      18
IG Kultur

de den Unterschied zwischen Verwaltung             umsetzen konnten, war ein grosses High-             Zehn Jahre engagiertester Einsatz auf der kultur-
und Politik nicht begreifen.                       light. Aber auch die Mitarbeit bei der Kultu-       verwaltenden Ebene: Hat dir all das Bürokrati-
                                                   ragenda 2020, dem Planungsbericht der               sche nicht oft den Garaus gemacht?
Wo stehen sich die Kulturschaffenden manchmal      Stadt, war für mich persönlich eines. Zudem         Doch, ständig. Die vermeintliche Professio-
selber im Weg?                                     ist es uns mit viel Hintergrundarbeit gelun-        nalität mittels Projektmanagement, Jahres-
Es gibt hier eine gewisse Tendenz zur Stur-        gen, etwa beim Thema Salle Modulable,               plänen, Protokollen, Aktennotizen, Evalua-
heit. Man hängt verpassten Gelegenheiten           grosse Kultur-Player wie das Lucerne Festi-         tionen. Synergien schaffen. Kreativwirt-
nach (Boa), lamentiert über mögliche Ver-          val an den Tisch zu holen und ihr Vertrauen         schaft. Ich kann es nicht mehr hören. Mehr
änderungen (Theaterwerk Luzern) oder               und ihre Wertschätzung zu gewinnen.                 Herz, Mut und individuelleres Denken wür-
stört sich daran, wie etwas entstanden ist         Wenn die kleinen und alternativen Szenen            den die Kultur wohl weiter bringen.
(Südpol/Neubad), statt einfach mal hinzu-          oftmals meckern, wir müssten doch mehr
gehen und teilzunehmen. Mir fehlt oft das          für sie da sein, muss ich entgegnen: Gerade         Zurück zur Szene: Du sprachst von der sympathi-
Vorwärtsschauen, das Über–den–eigenen–             indem wir als IG Kultur in der engeren Zu-          schen Kleinräumigkeit, aber auch von der Enge.
Schatten–Springen.                                 sammenarbeit und Beratung der grossen In-           Wenn man alle kennt, wird vieles ermög-
                                                   stitutionen an Legitimation gewinnen, sind          licht, aber auch vieles verhindert. Der finan-
In welchen Kulturlokalen hast du dich in den       auch für die Kleinen wieder mehr Sachen             zielle Topf ist sehr begrenzt, alle sind aufei­
letzten zehn Jahren am meisten herumgetrieben?     möglich. Dieser Zusammenhang wird leider            nander angewiesen, man muss ständig
Im Kultur-Forum natürlich (lacht). Nein, im        viel zu wenig wahrgenommen.                         Rücksicht nehmen und Kompromisse ma-
Kleintheater, im Mullbau, im Luzerner The-                                                             chen. Wer ausbrechen will, muss sich trotz-
ater, im Sedel, im KKL Luzern, im alten La         Was ist dir in dieser Zeit weniger oder gar nicht   dem einfügen oder weggehen.
Fourmi, in der Loge. Zu wenig wohl im Süd-         gelungen, wo gab es Frustrationen?
pol, kaum je im Kunstmuseum Luzern.                Es ist mir zu wenig gelungen, allen Kultur-         Gehst du weg?
                                                   schaffenden zu vermitteln, dass die IG Kul-         Ich habe nicht vor, Luzern zu verlassen. Ich
Hast du, als ehemalige Kunstschaffende, etwas      tur einzigartig ist in ihrer Art und das Po-        würde gerne bleiben, aber habe noch keine
gegen das Kunstmuseum Luzern?                      tenzial hätte, die Luzerner Bevölkerung auf-        Ahnung, wohin es mich treibt. Die Luzerner
Luzern hat eine gute Kunstszene. Es wäre           zumischen. Auch in der Bevölkerung                  Kultur interessiert mich weiterhin und es
die Aufgabe des Kunstmuseums, diese Leute          wissen viele noch immer nicht, was wir ma-          gibt auch schon einige verlockende Angebo-
stärker hervorzubringen, ihnen Raum zu             chen. Frustrierend ist, dass die Ressourcen         te für Mandate. Aber von Ehrenamtlichkeit
geben, aber dieses Bestreben merke ich nir-        trotz riesigem Engagement des ganzen IG-            allein kann auch ich nicht leben.
gends. Die Jahresausstellung ist eine Qual         Teams nie ausreichen. Und jede nicht ver-
für alle, weil es die einzige Gelegenheit ist,     hinderte Sparmassnahme beim Kulturgeld
vielleicht doch plötzlich wahrgenommen zu          war und ist ein grosser Frust.
werden. Die lebendige Kunstszene in Luzern
hätte mehr verdient als dieses unsägliche          Gibt es Dinge, die du heute anders machen wür-
Ritual Ende des Jahres. Ich sehe dort null         dest?                                                 Catherine Huth (40) ist seit 2004 im Vor-
Profil, null Mut. Da ist das Verhältnis in der     Natürlich, viele! Ich habe immer «gemacht»            stand der IG Kultur Luzern tätig und übernahm
                                                                                                         2009 deren Geschäftsleitung. Davor war sie
Musikszene, etwa zwischen der Hochschule           und machen dürfen. Dabei durfte ich viele
                                                                                                         als Künstlerin im Duo HUTH UND FREY und
und kleinen Lokalen wie dem Mullbau,               Auseinandersetzungen führen und musste
                                                                                                         als Ausstellungsgestalterin tätig. Ende Februar
deutlich kooperativer und durchlässiger.           manchmal auch berechtigte Kritik einste-              verlässt sie das Kultur-Forum. Per 1. Mai nimmt
                                                   cken. Wenn ich irgendwo Gelassenheit kau-             nach einer Übergangsphase die Kulturmana-
Auf was bist du stolz, wenn du auf deine Zeit in   fen könnte, würde ich dort investieren.               gerin und Betriebswirtschafterin Edina Kurja-
der IG Kultur zurückblickst?                                                                             kovic (33) ihren Posten ein. Sie ist bekannt als
Ich habe tolle und kreative Leute einstellen       Was muss die IG Kultur in Zukunft noch stärker        Mitbegründerin des B-Sides-Festivals Luzern
                                                                                                         und arbeitet aktuell als Co-Geschäftsleiterin des
und mit ihnen zusammenarbeiten können.             anpacken? Braucht es eine Veränderung in der
                                                                                                         Internationalen Comix-Festivals Fumetto. (mak)
Eindrücklich war auch die Sondernummer             Ausrichtung?
des Kulturmagazins, bei dem Kunstschaf-            Die IG Kultur muss man nicht verändern. Es
fende an einer Zwei-Tage-Aktion 3500 Ori-          ist schon genug herausfordernd, den erreich-          Wunderkammer KUFO:
ginal-Covers gestaltet haben. Dass so viele        ten und guten Status quo zu halten und                Eine Ausstellung anlässlich des Abschieds
verschiedenste Leute mitgemacht haben,             wenn möglich weiter auszubauen. Wichtig               von Catherine Huth zeigt Kuriositäten und Ge-
war eine Freude und hat extrem viel Good-          wird jetzt sein, mit den Kulturschaffenden            schichten aus fünf Jahren Kulturalltag im Kultur-
                                                                                                         Forum. Vom 24. bis 28. Februar, täglich 13 bis
will geschaffen.                                   auf der Landschaft eine gemeinsame Lobby-
                                                                                                         17 Uhr im Kultur-Forum Luzern an der Bruch-
                                                   arbeit zu betreiben. Dass wir zentrumslastig          strasse 53. Catherine Huth heisst Interessierte,
Gibt es kulturpolitische Highlights?               seien, wurde uns zu Recht vorgeworfen. Der            Freunde und Bekannte willkommen und lädt ein,
Sicher doch: «Mitsteuern», die Kampagne            Vorstand hat das erkannt und wird das an-             einen Kaffee auf ihre Zeit als Geschäftsleiterin
zur Steuererhöhung, die wir letztes Jahr           packen.                                               der IG Kultur zu trinken.

                                                                          19
Gefundenes fressen

Völkerverständigung aus dem Milchchessi
                                                                                                 dann ist dessen Konsistenz noch meist zu
                                                                                                 feucht zum Topfenpalatschinkenglück.
                                                                                                     Sepp Barmettler, einer der ganz innova-
                                                                                                 tiven Käser der Zentralschweiz und Erfin-
                                                                                                 der des Stanser Fladä, hat nach einigen
                                                                                                 Jahren österreichischen Drängens nachge-
                                                                                                 geben. Anfänglich habe er sich schon ge-
                                                                                                 fragt, was die jetzt auch noch Komisches
                                                                                                 wollen, meint Sepp Barmettler. Dann habe
                                                                                                 er sich schlau und an die Produktion ge-
                                                                                                 macht. Labsäuregerinnung und Abhängen
                                                                                                 in einem grossen Sack, dies sei das Ge-
                                                                                                 heimnis des richtigen Topfens, sagt Bar-
                                                                                                 mettler. Ein paar weitere Geheimnisse kä-
                                                                                                 men noch dazu … Nicht nur die vom kuli-
                                                                                                 narischen Heimweh geplagten Österreicher
                                                                                                 hat er mit seinem Topfen überzeugen kön-
                                                                                                 nen: Heute steht auch Daniela Barmettler,
                                                                                                 Sepp’s Frau, mit dem krümeligen Quark in
                                                                                                 der Küche und fabriziert Knödel und Stru-
Ich bin mir sicher: Die verfressensten un-         del, Topfenknödel, Topfenpalatschinken,       del nach österreichischem Vorbild. Aber
ter unseren Nachbarn sind die Österrei-            Topfenschmarrn ... Topfen ist ein Sauer-      auch polnische Pierogi oder Puschlaver Ra-
cher. Mit welcher Überzeugung die sich             milchquark mit reduziertem Wasserge-          violi gelingen mit Barmettlers Topfen bes-
der Völlerei hingeben können, ist ein we-          halt. Und genau dieser Wassergehalt ist für   tens.
nig beängstigend. Da können die Franzo-            Exilösterreicher das grosse Problem. Mit          In den kommenden Jahren wollen sich
sen einpacken, die Italiener sowieso. Mit          unserem Quark gelingen ihnen ihre Leib-       Sepp und Daniela Barmettler aus dem Ver-
ein bisschen Pasta und Pizza von Mama              speisen aus der alten Heimat nur schwer-      kaufsgeschäft zurückziehen, um sich aus-
werden die den Österreichern unmöglich             lich. Die Wiener Mutter einer Freundin        schliesslich der Produktion zu widmen.
das Wasser reichen: Gröstl, Beuschel, Ta-          soll jeweils verzweifelt in der Küche ge-     Sepp Barmettler ist ein experimentierfreu-
felspitz an Apfelkren, Gulasch, Rouladen           standen sein, jammernd und fluchend           diger Mensch. Glücklich machen wird er
und Geselchtes an Kümmelkraut. Oder                (das können die Österreicher, fast ebenso     mit seinen künftigen Produkten bestimmt
die ganzen Süss- und Mehlspeisen: Buch-            gut wie kochen und essen) ob der Untaug-      jemanden. Ich freue mich.
teln, Nudeln, Nockerl, Knödel, Krapfen,            lichkeit des hiesigen Quarks für ihre Ge-
Strudel und Palatschinken! Omnipräsent             richte. Man kann ihn ausdrücken und           Text und Bild: Sylvan Müller
in diesen Gerichten: Topfen. Topfenstru-           über Nacht abtropfen lassen, aber auch
                                                                                                   Sylvan Müller ist Fotograf und Kochbuchautor.

                                                                                                   Topfen gibt es in der Molkerei Barmettler, Dorfplatz 9,
                                            muhle sarnen                                           6370 Stans, www.cheesenet.ch
                                                                                                   oder samstags am Luzerner Markt bei Rolf Beeler am
                                       die Gaststube                                               Rathausquai.
                                                                                                   Rezepte für Topfenpalatschinken, Puschlaver Ravioli
                                                                                                   und polnische Pierogi:
                                                                                                   «MAMA KOCHT» von Sylvan Müller www.at-verlag.ch
 Das Bio-Restaurant der Zentralschweiz
 Giglenstrasse 2 • 6060 Sarnen • Tel. 041 661 12 31 • www.muehlesarnen.ch
                                                                                                                                               ANZEIGEN

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Bau

Die Schlange im Wald
Verdichten nach innen bedeutet oft den Abriss und Neubau alter Häuserzeilen – oft
genug, ohne das Gelände zu berücksichtigen. Die Überbauung der Gütschhöhe aber
ist ein gutes Beispiel, wie ein Neubau ein Gelände aufwerten kann.

Das Areal liegt abgelegen und fällt nach Norden ab.
Die Sonne dringt nur spärlich durch den nahen
Gütschwald auf die Lichtung. Sie ist von der Alt-
stadt her gut einsehbar und liegt direkt neben der
Top-Sehenswürdigkeit der Touristenstadt Luzern,
dem Chateau Gütsch. Ein idealer Standort also für
den Bau von preisgünstigem Wohnraum?
    Ja, denn hier hatte die Genossenschaft für Ar-
beiterwohnungen GEFA bereits 1946 eine Wohn-
siedlung erstellt und damit günstigen Wohnraum
für Arbeiter und Familien mit tiefen Einkommen
geschaffen. Noch heute verfügt die GEFA über ver-
schiedene Liegenschaften an den Rändern der
Stadtgemeinde Luzern und in Kriens mit insgesamt
225 Wohnungen. Als gemeinnützige Wohnbauge-
nossenschaft fördert auch sie den sozialen Woh-
nungsbau und vermietet ihre Wohnungen an Fami-               Die Holzfassade aus vorbewittertem Fichtenholz fügt sich gut in die Umgebung ein. Bild: Gerold Kunz

lien, Alleinerziehende und Alleinstehende unter-
schiedlichen Alters.
    Ihre Gewinne investiert die GEFA unter anderem in Sanie- einem Gartenhäuschen aus. Damit lebt ein Stück des ehemaligen
rungen und Neubauten. 2010 wurde deshalb die Siedlung Gütsch- Quartiercharakters wieder auf, denn die vormaligen Bewohne-
höhe abgebrochen und durch Neubauten ersetzt, um das Angebot rinnen hatten das gesamte Gelände mit Schrebergärten in Be-
an günstigem Wohnraum in der Stadt Luzern zu erhalten. (Das schlag genommen. Jede Wohnung hat eine zimmergrosse Loggia,
Projekt von Monika und Martin Jauch-Stolz setzte sich gegen sie- die als Eingangshof dient und den Wohnungen zu mehr Privatheit
ben Konkurrenzvorschläge durch.) Hatte man hier zu wenig kri- verhilft.
tisch reflektiert, was ein Abriss und ein Neubau für das Leben vor         Der 200 Meter lange Massivbau wurde mit vorbewittertem
Ort bedeuten?                                                          Fichtenholz verkleidet, um ihn gut in die Umgebung zu integrie-
    Die GEFA hatte nicht vorgegeben, wie mit den vorhandenen ren. Das Gebäudevolumen ist an den Verlauf des Geländes ange-
Bauten umzugehen ist. Den Architekten erschien es aber wenig passt und nimmt in der Kontur das Motiv der Zinnen auf, wie sie
realistisch, die bestehenden Häuser so umgestalten zu können, am Chateau Gütsch und der Museggmauer vorhanden sind. Von
dass ein Wohnen nach heutigen Bedürfnissen ohne Kompromisse unten kaum sichtbar, ist dank der souveränen Anwendung dieser
möglich gewesen wäre. Sie erkannten das Potenzial, mit einem einfachen Mittel ein Neubau entstanden, der zwar auf den ersten
Neubau den Wohnwert zu verbessern.                                     Blick nicht an die Vorgängerbauten erinnert, aber dennoch we-
                                                                       sentliche Elemente aus deren Nutzungsgeschichte aufnimmt. Den
Der Quartiergeschichte verpflichtet                                    Architekten ist es hier gelungen, einen eher unwirtlichen Ort auf-
Die Architekten hatten sich für einen schlangenlinienförmigen zuwerten und für kommende Generationen weiterhin bewohnbar
Neubau entschieden und diesen teilweise bis an die Krete gerückt. zu machen. Und es wäre wünschenswert, dass mit solch unkon-
Damit lässt sich die Belichtung der Wohnungen verbessern. Der ventionellen Projekten andere Areale vom Erneuerungsdruck
Wohn- und Essbereich ist beidseitig belichtet, was sowohl eine entlastet werden könnten.
Ausrichtung zur Sonne aber auch den Blick auf die Stadt zulässt.
Das Dach machen sie allen Mietern zugänglich und rüsten es mit Gerold Kunz

                                                                              21
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                                                                                                                                                                                          REMEMBER LUCERNE –
                                                                                                                                                                                          TOURISMUS GESTALTEN

                                                                                                                                                                                                                                                    R Z
                                                                                                                                                                                                                                         M        Ä
                                                                                                                                                                                                                                     9 .
                                                                                                                                                                                                                   B IS
                                                                                                                                                                                                      C          H
                                                                                                                                                                                                  N O
                                                                              www.naturmuseum.ch

                                                                                                   AUSSTELLUNGEN
Natur-Museum Luzern | Kasernenplatz 6 | 6003 Luzern | Tel 041 228 54 11
naturmuseum @ lu.ch | Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr | Montag geschlossen

                                                                                                   BIS 26. OKTOBER 2014
                                                                                                      Überwintern – 31 grossartige Strategien
                                                                                                                                                                                          HEUTE STELLT DER TOURISMUS DAS DESIGN VOR NEUE
                                                                                                   BIS 23. MÄRZ 2014
                                                                                                      35 Jahre Natur-Museum Luzern
                                                                                                                                                                                          HERAUSFORDERUNGEN. WELCHES SIND DIE TOURIS-
                                                                                                                                                                                          TISCHEN BEDÜRFNISSE DER ZUKUNFT? WAS MACHT
                                                                                                   VERANSTALTUNGEN                                                                        LUZERN ATTRAKTIV UND EXKLUSIV? UND WIE KANN DE-
                                                                                                   SAMSTAG 01.02.14                                                                       SIGN DAZU BEITRAGEN? DIE AUSSTELLUNG «REMEMBER
                                                                                                   Naturstreifzug        Überwinternde Wasservögel auf dem                                LUCERNE» ZEIGT ENTWÜRFE VON JUNGEN
                                                                                                   Luzerner See                                                                           DESIGNERINNEN UND DESIGNERN UND KOMMENTIERT
                                                                                                   13.30 Uhr, Anmeldung und Infos bis 31.01.14 unter 041 228 54 11
                                                                                                                                                                                          DIESE MIT OBJEKTEN UND THEMEN AUS DER BLÜTEZEIT
                                                                                                   SAMSTAG 01.02.14 / SONNTAG 02.02.14 / MITTWOCH 05.02.14
                                                                                                   Figurentheater Petruschka             De Has wott ned schlofe
                                                                                                                                                                                          DES MODERNEN TOURISMUS IM 19. JAHRHUNDERT.
                                                                                                   14.30 Uhr, Dauer 1 h, für Kinder ab 5 Jahren, Vorverkauf unter 041 228 54 11
                                                                                                                                                                                          HISTORISCHES MUSEUM LUZERN, PFISTERGASSE 24, 6000 LUZERN 7
                                                                                                   DIENSTAG 04.02.14                                                                      TEL: 041 228 54 24 / 22 WWW.REMEMBERLUCERNE.CH
                                                                                                   Öffentliche Führung Hinter den Kulissen des Natur-Museums:                             KONTAKT: ALEXANDRA.STROBEL@LU.CH
                                                                                                   Die Grönlandsammlung Bachmann                                                          ÖFFNUNGSZEITEN: 10 BIS 17 UHR (MONTAG GESCHLOSSEN)
                                                                                                   18 Uhr, Dauer 1 h, Eintritt frei
                                                                                                   MITTWOCH 05. / 12. / 19. / 26.02.14
                                                                                                   Gwunderstunde           Naturgeräusche
                                                                                                   Für Kinder ab 5 Jahren, 14-17 Uhr, Museumseintritt
                                                                                                   SAMSTAG 08.02.14
                                                                                                   Öffentliche Führungen für Menschen mit und ohne                           KUMA_0214.indd 1   DIE SCHÖNHEIT DES EINFACHEN                                     03.12.2013 17:45:46
                                                                                                   geistige Behinderung Kleine Vögel…
                                                                                                   11 Uhr, Dauer 1.5 h, Eintritts- und Führungspreis CHF 5.–                                    Fotografien von Pater Karl Stadler (1921-2012)
                                                                                                   Anmeldung und Infos bis 04.02.14 unter 041 226 60 56
                                                                                                                                                                                                Dauer der Ausstellung
                                                                                                   SAMSTAG 15.02.14
                                                                                                   Naturstreifzug        Tiere im Winter                                                        14. Dezember 2013 - 27. April 2014
                                                                                                   08 Uhr, Anmeldung und Infos bis 10.02.14 unter 041 228 54 11
                                                                                                   DONNERSTAG, 20.02.14
                                                                                                                                                                                                Öffnungszeiten
                                                                                                   Vortrag Manche mögen‘s kalt –                                                                14./15. Dezember 2013: 14-18 Uhr
                                                                                                   wie Schneeflöhe durch den Winter kommen                                                      21./22. Dezember 2013: 14-18 Uhr
                                                                                                   20 Uhr, Dauer 1 h, Eintritt frei                                                             26. Dezember 2013 bis 5. Januar 2014: täglich, 14-18 Uhr
                                                                                                   SAMSTAG 22.02.14                                                                             8. Januar bis 27. April 2014: Mittwoch bis Sonntag, 14-18 Uhr
                                                                                                   Naturstreifzug        Knospen und Zweige im Winter
                                                                                                   09.30 Uhr, Anmeldung und Infos bis 17.02.14 unter 041 228 54 11

                                                                                                                                                                                   22
Kunst

Subtil und brachial
Eine Doppelausstellung zeigt das facettenreiche Werk der Luzerner Künstlerin Bessie
Nager (1962–2009), die Tag und Nacht arbeitete und als eine der wichtigsten Schweizer
Kunstschaffenden ihrer Generation galt.

      Teil der Installation «This land is your land, this
     land is my land» (2009) von Bessie Nager. Bild: zvg

«Ittoqqortoormiit» – kein Fantasiewort, sondern eine abgelegene               Die Bildserie ist Teil der grösseren Installation «This land is
Siedlung mit ein paar wenigen Hundert Einwohnern im Osten                 your land, this land is my land», die Bessie Nager 2009 fürs Kunst-
Grönlands hat den Titel geliefert für eines von Bessie Nagers Wer-        museum Solothurn realisiert hatte. Nager war damals 46 Jahre
ken, die seit dem 26. Januar in der Kunsthalle Luzern zu sehen            alt, sie galt als eine der wichtigsten Schweizer Kunstschaffenden
sind. Es ist eine Serie von neun grossformatigen Leuchtbildern,           ihrer Generation, konnte viele Kunstprojekte im öffentlichen
die jedoch alles andere als den Eindruck eines verlassenen Kaffs          Raum realisieren und war in Europa und in den USA in Ausstel-
an irgendeinem Ende der Welt wecken: Die Schichtung von un-               lungen präsent. Wenige Tage nach der Eröffnung der Solothurner
zähligen Fotografien städtischer Strukturen und Architekturen,            Ausstellung verunfallte Bessie Nager tödlich. Sie hinterliess ein
Lichterflimmern und Menschengewusel bei Nacht erscheinen wie              kaum überschaubar grosses Werk, an dem sie, so erzählt ihr Le-
hypertrophe futuristische Grossstadt-Visionen. In ihrer Schärfe           benspartner und Nachlassverwalter Alf Hofstetter, Tag und Nacht
und feinen Präzision entfalten sie einen hypnotischen Reiz, der           ihres Lebens arbeitete. Dass jene Installation, die Nager ursprüng-
dazu verführt, in sie hinein auf Entdeckungsreise zu gehen, in            lich für das Kunstmuseum Luzern entwickeln wollte, nun endlich
diese urbane Verdichtung, die dereinst auch Orte wie Ittoqqor-            in ihrer Heimatstadt gezeigt wird, freut Hofstetter besonders.
toormiit erfassen könnte. «Denkreisen» nannte Bessie Nager das,           Auch, weil sich Bessie Nager immer als Luzernerin verstanden
was sie hoffte, würden die Betrachter ihrer Werke erleben.                hat, wenngleich sie vor allem in Zürich aktiv war, wo sie Kunst­

                                                                     23
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