Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

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147              8

Die Vergütung
von Krankenhäusern
nach der Pandemie
Wulf-Dietrich Leber und Ronald Schwarz

Inhaltsverzeichnis

8.1         Reformstau und kollektive Pandemieerfahrung – 149

8.2         Komponenten der Krankenhausfinanzierung
            im Status quo – 150
8.2.1       Die Vergütungskomponenten im Überblick – 150
8.2.2       DRG-Systematik – 151
8.2.3       Investitionsfinanzierung – 154
8.2.4       Pflegefinanzierung – 154
8.2.5       Vergütung psychiatrischer Leistungen – 155
8.2.6       Weitere Vergütungselemente – 155
8.2.7       Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen – 157

8.3         Finanzierung in der Pandemie – 157
8.3.1       Freihaltepauschale – 157
8.3.2       Corona-Ausgleich für 2020 und 2021 – 160
8.3.3       Aufbau von Intensivbetten – 161
8.3.4       Weitere Corona-Folgenfinanzierung – 161
8.3.5       Das Goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung – 162

8.4         Reformen nach der Pandemie – 163

8.5         Vorhaltefinanzierung – 165
8.5.1       Abkehr von der reinen Leistungsfinanzierung – 165
8.5.2       Grundprinzipien einer Vorhaltefinanzierung – 165
8.5.3       Modell einer Vorhaltefinanzierung der Kinder-
            und Jugendmedizin – 166
© Der/die Autor(en) 2022
J. Klauber et al. (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2022, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64685-4_8
8.6     Weitere Modifikationen
        der Krankenhausfinanzierung – 167
8.6.1   Qualitätsorientierte Krankenhausfinanzierung – 167
8.6.2   Regionalbudgets – 168
8.6.3   Finanzierung von Versorgungsstufen – 169

8.7     Zukünftige Vergütung von Pflegeleistungen – 170
8.7.1   Probleme des „Pflexit“ – 170
8.7.2   Pflegepersonal: Untergrenzen und Bedarfsermittlung – 171

8.8     Vergütungsstruktur und Versorgungsstruktur – 172

8.9     Fazit: Allgemeinpolitischer Handlungsbedarf
        nach der Pandemie – 173

        Literatur – 174
8.1  Reformstau und kollektive Pandemieerfahrung
                                                                               149                8
2Zusammenfassung                                    for keeping beds free and classic investment
Die kollektive Pandemieerfahrung wird abseh-        financing. Other reform options (e.g., quality
bar einen Einfluss auf die Reformdebatte zur        orientation, regional budgets) are described in
Vergütung von Krankenhausleistungen haben.          this article but regarded with skepticism. Re-
Nicht zuletzt aufgrund des starken Fallzahl-        forming the structure of care is likely to be
rückgangs steigt die Kritik an einer leistungs-     more important than reforming the structure of
orientierten Vergütung und der Ruf nach einer       reimbursement.
Budgetgarantie wird lauter. Eine Analyse der
gegenwärtigen Vergütungssystematik zeigt zu-
nächst, dass die DRG-Fallpauschalen durch           8.1   Reformstau und kollektive
zahlreiche weitere Vergütungskomponenten er-              Pandemieerfahrung
gänzt wurden. In der Pandemie kamen, insbe-
sondere durch die Freihaltepauschalen, wei-
tere Instrumente hinzu. Bedeutsam ist der           Eine Reform der Krankenhausvergütung und
Wiedereinstieg des Bundes in die Kranken-           eine Neustrukturierung der Krankenhausland-
hausfinanzierung. Ein zentraler Reformschritt       schaft in Deutschland gelten seit längerem als
in Richtung einer weniger fallzahlabhängi-          überfällig. Bislang wurden jedoch keine ge-
gen Vergütung könnte die Vorhaltefinanzierung       setzgeberischen Konsequenzen gezogen aus
aus Bundesmitteln sein. In ihrer Systematik         der Erosion der Investitionsfinanzierung, der
müsste sie sich klar von Freihaltepauscha-          mangelnden Ambulantisierung, der nach wie
len und klassischer Investitionsfinanzierung        vor unzulänglichen Konzentration des Leis-
unterscheiden. Andere Reformoptionen (u. a.         tungsgeschehens sowie den Überkapazitäten
Qualitätsorientierung, Regionalbudgets) wer-        in den Ballungszentren. Auch die Notfallver-
den dargestellt, aber eher skeptisch beurteilt.     sorgung gilt zu Recht als reformbedürftig.
Bedeutsamer als eine Reform der Vergütungs-         Möglicherweise waren die sprudelnden Bei-
struktur dürfte die Reform der Versorgungs-         tragsgelder der letzten zehn Jahre ursächlich
struktur sein.                                      für den Reformstau.
                                                        Das Spektrum an Reformvorschlägen ist
The collective pandemic experience will fore-       extrem heterogen und reicht von der Abschaf-
seeably have an impact on the reform debate         fung des DRG-Systems über die Aufhebung
on the remuneration of hospital services. Not       von Sektorengrenzen bis hin zu einer komplett
least because of the sharp drop in the num-         neuen Krankenhausplanung. Inmitten dieser
ber of cases, there is an increased criticism       Reformdebatte kam die Coronapandemie. Die
of performance-based remuneration and calls         folgende Argumentationskette geht davon aus,
for a budget guarantee are growing louder.          dass die kollektive Pandemieerfahrung wirk-
An analysis of the current remuneration sys-        mächtig den Gang der gesundheitspolitischen
tem shows that the DRG flat rates per case          Diskussion zur Neuordnung der stationären
have been supplemented by numerous other re-        Versorgung beeinflussen wird.
muneration components. Further instruments              Zunächst wird das bestehende Vergütungs-
were added during the pandemic, in particular       system dargestellt, das einige für zahlrei-
through the lump sums for beds kept free. The       che Versorgungsmängel verantwortlich ma-
re-entry of the federal government into hos-        chen. Es zeigt sich, dass auf Basis der
pital financing is significant. The provision of    DRG-Fallpauschalen ein hochkomplexes Ver-
financing from federal funds could be a central     gütungssystem mit zahlreichen Komponenten
reform step in the direction of a reimburse-        entstanden ist, das zahlreiche ergänzende An-
ment that is less dependent on the number of        reizwirkungen enthält, so z. B. die Verschie-
cases. In terms of its systematics, it would have   bung von Kosten in das Pflegebudget (siehe
to be clearly distinguished from lump sums          7 Abschn. 8.2).
150    Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

        Die Coronapandemie hat eine völlig neue           risch keinen Bestand haben wird und deshalb
    Situation geschaffen: Statt der allgemein er-         neue Instrumente zur Bestimmung von Pfle-
    warteten Überlastung des Gesundheitswesens            gebedarf und Pflegeleistung entwickelt werden
    zeigte sich eine bis dato beispiellose Fall-          müssen.
    zahlreduktion im Krankenhausbereich. Inwie-               Abschließend stellt sich die Frage, ob
    weit dies ursächlich auf die Freihaltepauscha-        Deutschland vorrangig eine Reform des Ver-
    len zurückzuführen ist, muss der rückblicken-         gütungssystems braucht oder ob vielmehr eine
    den gesundheitspolitischen Analyse überlas-           Reform der Versorgungsstrukturen im Vor-
    sen bleiben. Faktum ist eine Vielzahl neu-            dergrund stehen sollte (siehe 7 Abschn. 8.8).
    er Finanzierungsinstrumente (Förderung von            Durch eine veränderte Krankenhausplanung
    Intensivbetten, Freihaltepauschalen, Corona-          der Länder wird diese nicht zu erwarten sein.
    Mehrkostenfinanzierung) und ein Novum: Der            Vielmehr dürften bundeseinheitliche Quali-
    Bund steigt wieder in die Krankenhausfinan-           tätsanforderungen geeignet sein, die notwendi-
    zierung ein (siehe 7 Abschn. 8.3)!                    ge Trendwende zu einer stärker spezialisierten
        Noch ist die Pandemie nicht zu Ende. Es           und konzentrierten Versorgung einzuleiten.
    deutet sich aber an, dass „das neue Normal“
    nicht der Zustand vor der Pandemie sein wird.
    Natürlich ist vieles Spekulation, aber höchst-                Komponenten der
8   wahrscheinlich wird es nie wieder so viele
                                                          8.2
                                                                  Krankenhausfinanzierung
    innerdeutsche Flüge geben und höchstwahr-
    scheinlich werden nie mehr so viele Menschen
                                                                  im Status quo
    gleichzeitig im Büro arbeiten. Vermutlich wird
    auch die Fallzahl im Krankenhaus nicht wie-           8.2.1    Die
    der dem Vorkrisentrend folgen. Die kollektive                  Vergütungskomponenten
    Pandemieerfahrung wird die Diskussion ver-                     im Überblick
    ändern: In Zeiten steigender Fallzahlen waren
    die Fallpauschalen populär, in Zeiten rückläu-
    figer Fälle wird der Ruf nach Budgeterhaltung         Der Kern des Vergütungssystems für deutsche
    lauter (siehe 7 Abschn. 8.4).                         Krankenhäuser sind die DRG-Fallpauschalen
        Einige Reformoptionen zur Vergütung               (siehe 7 Abschn. 8.2.2). Insgesamt gibt es je-
    werden diskutiert. Im Zentrum steht eine Vor-         doch eine vielfältige Vergütungsstruktur, die in
    haltefinanzierung (siehe 7 Abschn. 8.5), die          der Pandemie sogar noch um einige Kompo-
    aus der Pandemie heraus eine breite Reso-             nenten erweitert wurde. Da viele dieser Kom-
    nanz erfahren hat, weil Krankenhäuser aufge-          ponenten Gegenstand der Reformdiskussion
    fordert waren, für Covid-19-Patientinnen und          sind und die Reform vorrangig in einem ande-
    -Patienten Intensivkapazitäten freizuhalten. Es       rem „Mischungsverhältnis“ der Komponenten
    wird gezeigt, dass Vorhaltefinanzierung nicht         bestehen könnte, lohnt ein kurzer Überblick
    mit Freihaltepauschalen gleichzusetzen ist.           und der Versuch einer Quantifizierung.
        Andere Modifikationen der Krankenhaus-                Die ursprüngliche bedeutsamste zwei-
    finanzierung sind Qualitätsorientierung, Re-          te Finanzierungskomponente neben den
    gionalbudgets und Finanzierung von Versor-            DRG-Fallpauschalen war die Investitions-
    gungsstufen (siehe 7 Abschn. 8.6). Eine quan-         förderung durch die Bundesländer (siehe
    titativ durchaus bedeutsame Finanzierungs-            7 Abschn. 8.2.3). Sie ist inzwischen zu
    komponente stellt nach dem DRG-Pflege-Split           einer Marginalie geworden. Durch die
    die zukünftige Vergütung von Pflegeleistun-           Ausgliederung der Pflegekosten aus den DRG-
    gen dar (siehe 7 Abschn. 8.7). Es ist da-             Fallpauschalen im Jahre 2019 ist inzwischen
    von auszugehen, dass die jetzige Finanzierung         das Pflegebudget zur zweitwichtigsten Finanz-
    nach dem Selbstkostendeckungsprinzip histo-           komponente avanciert (siehe 7 Abschn. 8.2.4).
8.2  Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo
                                                                                151                8
Ein eigenständiges Vergütungssystem mit Ta-           pandemie flossen den Krankenhäusern wei-
gespauschalen existiert für die Psychiatrie.          tere Milliardenbeträge zu, was den DRG-
Inwieweit es ebenfalls als leistungsorientierte       Anteil weiter reduzierte. Das gilt auch für
Vergütung bezeichnet werden kann, ist eine            die rund 3 Mrd. C KHZG-Förderung (siehe
Frage des Betrachtungswinkels. Nach wie vor           7 Abschn. 8.4).
dominiert eine budgetorientierte Bestimmung
des Finanzvolumens (siehe 7 Abschn. 8.2.5).
    Das DRG-System hatte – jenseits der               8.2.2   DRG-Systematik
psychiatrischen Versorgung – von Anfang an
eine Reihe ergänzender Finanzierungsinstru-
mente, mit denen jene Komponenten vergütet            Systematik und Wirkungsweise des DRG-
werden sollten, die in einem Fallpauschalen-          Fallpauschalensystems sind inzwischen Lehr-
system nicht adäquat abgebildet sind (siehe           buchwissen. Die jährlichen Berichte des In-
7 Abschn. 8.2.6):                                     stituts für das Entgeltsystem im Kranken-
4 Sicherstellung ländlicher Krankenhäuser             haus (InEK), die schwergewichtige (und we-
4 Funktion von Zentren                                nig erkenntnisreiche) Begleitforschung und
4 Neue Untersuchungs- und Behandlungs-                rund tausend Seiten im Krankenhaus-Report
    formen (NUB)                                      seit 2000 erübrigen eine nochmalige Darstel-
4 Besondere Einrichtungen                             lung an dieser Stelle. Das wesentliche Mo-
                                                      tiv zur Einführung der leistungsorientierten
Neu hinzugekommen ist inzwischen die diffe-           Vergütung war die Abkehr vom Selbstkosten-
renzierte Finanzierung von Notfallstufen.             deckungsprinzip, dessen Anreizwirkung vor-
    An Bedeutung gewinnen inzwischen die              nehmlich die Produktion von Kosten bewirk-
ambulanten Krankenhausleistungen (siehe               te. Die ersten Versuche eines Leistungsbezugs
7 Abschn. 8.2.7). Sie haben eine erstaunli-           durch Fallpauschalen und Sonderentgelte ab
che Formenvielfalt und eine zum Teil wenig            1995 blieben Stückwerk und führten schließ-
transparente Vergütungssystematik – sofern            lich zum Initialbeschluss im § 17b KHG, der
dieses Wort überhaupt die Sachlage zutreffend         Einführung des DRG-Systems. Die Vergütung
beschreibt (Leber und Wasem 2016).                    von Leistungen statt der Vergütung von Kos-
    In der Coronapandemie sind einige quan-           ten stieß zunächst auf massiven Widerstand der
titativ bedeutsame Finanzierungskomponenten           Krankenhäuser, erfreute sich aber angesichts
hinzugetreten: Freihaltepauschalen, Förderung         steigender Fallzahlen alsbald allgemeiner Be-
von Intensivbetten, Mittel für coronabeding-          liebtheit. Die Einführung eines „lernenden
te Mehrkosten sowie Prämien für Pflege-               Systems“ mit professioneller Weiterentwick-
kräfte. Da sie nicht zum klassischen Vergü-           lung durch das InEK auf Basis (einer später
tungssystem gehören, werden sie gesondert in          repräsentativen Auswahl) von kalkulierenden
7 Abschn. 8.3 dargestellt.                            Krankenhäusern war stilbildend.
    Eine Reihe von weiteren Vergütungskom-
ponenten regelt quantitativ eher nachrangige 2Zahl der DRG-Fallgruppen
Tatbestände und soll im Folgenden nicht näher Die Grundidee des DRG-Systems ist die Kon-
diskutiert werden, so z. B. diverse Zuschläge densation von Abermillionen Prozeduren- und
oder Entgelte im Falle einer Organentnahme.   Diagnosekombinationen auf eine überschau-
    Der Versuch einer Quantifizierung ist bare Zahl von Fallpauschalen vermittels ei-
. Tab. 8.1 zu entnehmen. Sie zeigt, dass die nes Gruppierungsprozesses. Inwiefern dies in
DRG-Fallpauschalen im Jahr 2019 nicht ein- zufriedenstellender Weise gelingt, ist Gegen-
mal mehr 60 % der Krankenhausvergütung stand einer nach wie vor virulenten Reformde-
ausmachten. Bei der Reformdebatte sollte dies batte. So sieht z. B. der Bundesrechnungshof
berücksichtigt werden. Infolge der Corona- (BRH) die Anzahl von DRGs ursächlich für
152           Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

          . Tab. 8.1 Krankenhaus-Finanzierungskomponenten (2019)

          #                                              Erläuterungen                              In Mio. Euro In %
                                                     a                                    b
              1    aG-DRG-äquivalente Fallpauschalen     ohne Pflegeanteil; 21er-Daten              56.097       57
                                                                                      b
              2    Zusatzentgelte                        nur Somatik; 21er-Daten                     3.002        3
                                                                                  c
              3    Investitionsförderung                 Nominale KHG-Mittel                         3.129        3

              4    Pflegebudgeta, d                      21er-Datenb                                18.035       18

              5    Psychiatrische Leistungen             Ausgaben für vor-, teil- und vollstatio-    8.839        9
                                                         näre psychiatrische Fälle; 21er-Datenb

              6    Sicherstellungszuschläge              21er-Datenb                                   18         0
                                                                      b
              7    Zentrumszuschläge                     21er-Daten                                    92         0

              8    NUB                                   21er-Datenb                                  620         1

              9    Besondere Einrichtungene              21er-Datenb                                  618         1

          10       Ambulante Krankenhausleistungen       Hochrechnung                                3.543        4
8                                                        GKV-Abrechnungsdatenf

          11       Sonstige (Ausbildung etc.)            21er-Datenb                                 4.791        5

                   Summe                                                                            98.785      100
          a
            Ausgliederung des pflegebudgetrelevanten Anteils aus den berechneten Kosten (bewertete und unbewertete
          fallbezogene Entgelte) der somatischen vollstationären Fälle mit Aufnahme im Jahre 2019 durch Gewichtung
          von Relativgewicht und Pflegerelativgewicht der jeweiligen Fallpauschale im Katalog 2021 mit den Bezugsgrö-
          ßen für das Jahr 2021 (3.284,50 C bzw. 151,97 C)
          b
            Berücksichtigung aller Kostenträger
          c
            Quelle: DKG, Bestandsaufnahme zur Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung in den Bundesländern
          2020
          d
            einschließlich Pflegesonderprogramm und Ausgaben für Pflegezuschlag nach § 8 Absatz 10 KHEntgG
          e
            Gesamtkosten aller somatischen Fälle mit dokumentierter Behandlung in einer besonderen Einrichtung sowie
          Vorhaltekosten für besondere Einrichtungen
          f
            Daten für GKV-Ausgaben hochgerechnet auf alle Kostenträger
          Krankenhaus-Report 2022

    die Häufigkeit strittiger Abrechnungsfragen                   wieder zur weiteren Differenzierung des Sys-
    (BRH 2019). De facto bewegt sich die Anzahl                   tems und wird stark gefördert durch den jähr-
    von DRGs auf einem seit ca. zehn Jahren stabi-                lichen Extremkostenbericht des InEK.1 Der
    len Niveau (. Abb. 8.1). Handlungsleitend bei                 Streit um die einst mangelnde Repräsentati-
    der Einführung einer weiteren Differenzierung                 vität der Kalkulationsstichprobe wurde zwi-
    sind in der Regel die Forderungen von Spezial-                schenzeitlich entschärft, seit das InEK zur
    versorgern (z. B. Universitäten), hochpreisige                Verbesserung der Repräsentativität Kranken-
    Versorgung besser abzubilden.                                 häuser im Rahmen einer Stichprobenziehung
        Gegenstand einer anhaltenden Debatte ist                  zur Kalkulation verpflichten kann.
    zudem die Frage, ob das DRG-System stärker
    diagnoseorientiert oder aber stärker prozedu-
    renorientiert ausgerichtet sein sollte (Stich-
    wort: DRG versus PRG). Die Forderung, die
    wirklichen Kosten abzubilden, führt immer                     1       Vgl. 7 www.g-drg.de.
8.2  Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo
                                                                                                           153                           8

   1.400                                                                                                           1.318 1.292
                                                                                                     1.255 1.292                 1.275
                                                   1.192 1.200 1.194 1.193 1.187 1.196 1.200 1.220
   1.200                                   1.137
                                   1.082
   1.000                     954
                       878
                 824
    800
           664
    600

    400

    200

       0
           V1.0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021
                                                                                                            Krankenhaus-Report 2022

 . Abb. 8.1 Anzahl der DRGs in Deutschland seit 2003 (Datenquelle: InEK)

2Abbildung von Kinder- und                                           in den Kalkulationshäusern. Wird die glei-
 Jugendmedizin                                                       che Leistung über DRGs finanziert, so wer-
 Schon in den ersten DRG-Versionen wurde                             den die Sachkosten ca. 15 % höher vergü-
 die gesonderte Abbildung von Leistungen der                         tet. Laut Krankenhausstrukturgesetz (KHSG)2
 Kinder- und Jugendmedizin angegangen. In-                           hatte deshalb die Selbstverwaltung mit Wir-
 zwischen gibt es via Alterssplit rund 300 Grup-                     kung ab 2017 die Kalkulationssystematik so zu
 pen für Kinder. Gleichwohl gibt es vernehm-                         ändern, dass dieser Effekt abgeschwächt wur-
 bare Forderungen, die Finanzierung von statio-                      de (laut Vereinbarung zunächst 50 %, ab 2018
 närer Kinderversorgung aus dem DRG-System                           bis 2021 60 %).3
 auszugliedern, so z. B. die gesundheitspoliti-
 sche Forderung in den Wahlprogrammen der 2Gezielte Absenkung von
 SPD. Die Herausnahme aus dem DRG-System            mengenanfälligen Leistungen
 würde die Frage eines alternativen Vergü- Im Grundsatz ist die Weiterentwicklung des
 tungssystems aufwerfen. Nach den Erfahrun- DRG-Systems regel- und kalkulationsbasiert:
 gen mit der Selbstkostendeckung im Pflege- Maßgeblich für die Relativgewichte sind die
 budget dürfte eher nach anderen Alternativen Ergebnisse aus kalkulierenden Krankenhäu-
 gesucht werden. In 7 Abschn. 8.5.3 wird die sern. Die medizinisch nicht indizierten Men-
 Sicherstellung der Kinderversorgung durch ei- genausweitungen haben den Gesetzgeber be-
 ne gezielte Finanzierung von Vorhaltekosten wogen, mit dem KHSG gegenzusteuern: Bis
 empfohlen.                                      zum 31.05.2016 hatten die Spitzenverbands-

2Korrektur aufgrund der Überbewertung                                2    Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhaus-
 von Sachkosten                                                           versorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG)
 Durch die Steigerung der Basisfallwerte über                             vom 10.12.2015.
 die Kostendaten der Krankenhäuser hinaus er-                        3    Vereinbarung gemäß § 17b Absatz 1 Satz 6 KHG
                                                                          zur Korrektur der Anteile der Sachkosten in den
 gibt sich eine Diskrepanz in der Kalkulati-                              Bewertungsrelationen (Sachkostenvereinbarung) vom
 on: Wird eine Leistung über ein Zusatzent-                               09.04.2020 für das Systemjahr 2021, abrufbar auf
 gelt finanziert, entsprechen die Kosten denen                            7 www.gkv-spitzenverband.de.
154       Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

    partner gezielte Absenkungen vorzunehmen,                  nisierungen aus den DRG-Fallpauschalen zu
    bei denen es Anhaltspunkte für im erhöhten                 finanzieren.
    Maße wirtschaftlich begründete Fallzahlstei-
    gerungen gab. Im Rahmen einer Schiedsstelle
    wurden schließlich operative Hüftendoprothe-               8.2.4   Pflegefinanzierung
    tik und Eingriffe an der Wirbelsäule abgesenkt
    bzw. abgestaffelt.4
                                                               Die Regierungskoalition hat im Jahre 2018
                                                               beschlossen8 , die Pflegepersonalkosten besser
    8.2.3     Investitionsfinanzierung                         und unabhängig von Fallpauschalen zu ver-
                                                               güten. Die DRGs wurden mit Wirkung zum
                                                               01.01.2019 um die Pflegepersonalkostenver-
    Das Prinzip der dualen Krankenhausfinanzie-                gütung bereinigt und die Personalkosten in
    rung wurde 1972 mit dem Krankenhausfi-                     Form eines Pflegebudgets nach Selbstkosten-
    nanzierungsgesetz (KHG)5 eingeführt: Inves-                deckung finanziert. Es handelt sich um den
    titionskosten werden von den Ländern (und                  mit Abstand schwerwiegendsten Eingriff in
    zunächst dem Bund) finanziert, Betriebskos-                das DRG-System, der bemerkenswerterweise
    ten von den Krankenkassen. Voraussetzung                   ohne jegliche konzeptionellen Vorarbeiten er-
8   dafür war eine Änderung des Grundgeset-                    folgte. Die Umsetzungsschwierigkeiten sind
    zes, mit der in Artikel 74 Nummer 19a dem                  beträchtlich und führen bis heute zu einem er-
    Bund die konkurrierende Gesetzgebung „über                 heblichen Vereinbarungsstau: Bis Mitte 2021
    die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäu-              konnte nicht einmal für ein Drittel der Kran-
    ser und die Regelung der Krankenhauspfle-                  kenhäuser ein Budget für 2020 vereinbart wer-
    gesätze“ ermöglich wurde. Während sich in                  den. Die Kritik der Autoren an dieser Regel
    den Anfangsjahren der dualen Finanzierung                  soll hier nicht wiederholt werden.9
    Bund und Länder an der Investitionsfinanzie-                   Die Umsetzung erforderte eine Viel-
    rung beteiligten, baute der Bund seinen Anteil             zahl von Vereinbarungen der Spitzenver-
    schrittweise ab und mit dem Krankenhaus-                   bandspartner (Leber und Vogt 2020), oh-
    Neuordnungsgesetz6 wurde diese ab 1985 al-                 ne dass die grundlegenden Probleme da-
    leinige Länderangelegenheit.7 Die Gesetzge-                mit gelöst worden wären: Es gibt Anzei-
    bung verpflichtet die Länder allerdings nicht              chen dafür, dass die Krankenhäuser in ho-
    zu einem bestimmten Förderniveau, weshalb                  hem Ausmaß Kosten in den Pflegebereich
    die Investitionsförderung ein kontinuierlich               verschieben und so die Gefahr einer Doppel-
    sinkendes Finanzvolumen zu verzeichnen hat                 finanzierung droht (siehe 7 Abschn. 8.7.1).
    – eine Erosion der dualen Finanzierung, die                Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterent-
    die Träger dazu zwingt, notwendige Moder-                  wicklungsgesetz (GVWG)10 ist die Entwick-
                                                               lung eines Instruments zur Ermittlung des indi-
                                                               viduellen Pflegebedarfs auf den Weg gebracht
    4     Vereinbarung gemäß § 17b Absatz 1 Satz 5 zweiter     worden (§ 137k SGB V). Inwieweit dies künf-
          Halbsatz KHG i. V. m. § 9 Absatz 1c KHEntgG zur
          gezielten Absenkung von Bewertungsrelationen vom
          29.08.2016, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband.   8  Vgl. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dy-
          de.                                                     namik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für
    5     Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Kranken-      unser Land. – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
          häuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesät-       und SPD, 19. Legislaturperiode, 12.03.2018, S. 99,
          ze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) vom           abrufbar auf 7 www.bundesregierung.de.
          29.06.1972.                                          9 Vgl. diverse Vorträge, Kolumnen und Artikel auf
    6     Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzie-          7 www.Wulf-Dietrich-Leber.de.
          rung (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz – KHNG)          10 Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversor-
          vom 20.12.1984.                                         gung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsge-
    7     Vgl. zur Historie Tuschen und Trefz 2009.               setz – GVWG) vom 11.07.2021.
8.2  Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo
                                                                                 155                8
tig bei der Bemessung des Pflegebudgets eine          gungsangebots (Sicherstellungszuschläge für
Rolle spielt, ist noch offen.                         ländliche Krankenhäuser) oder besondere Auf-
                                                      gaben bestimmter Krankenhäuser (Zentrums-
                                                      zuschläge) zu finanzieren. Die wichtigsten er-
8.2.5   Vergütung psychiatrischer                     gänzenden Komponenten seien im Folgenden
        Leistungen                                    skizziert.

                                                     2Sicherstellungszuschläge
Zehn Jahre nach dem initialen DRG-                    Krankenhäuser, die für die regionale Basis-
Beschluss11 hat der Gesetzgeber im Jahre 2009         versorgung der Bevölkerung notwendig sind,
mit § 17d KHG12 versucht, die psychiatrische          aber aufgrund geringer Fallzahlen in der Re-
Vergütung neu zu regeln. Dies geschah nicht           gion ihre relevanten Fachabteilungen nicht
nach Fallpauschalen, sondern nach leistungs-          kostendeckend finanzieren können, können ein
bezogenen Tagessätzen, deren Regelungen in            strukturell bedingtes Defizit aufweisen. Sofern
vielen Fällen Analogien zum DRG-Prozess               kein anderes Haus diese Versorgung über-
zeigten (Relativgewichte, ein krankenhausbe-          nehmen kann und ein Defizit besteht, kann
zogener Entgeltwert, InEK-Kalkulation und             mit den Krankenkassen ein Sicherstellungszu-
vieles mehr) (Haas und Leber 2011). Der               schlag vereinbart werden. Um die Sicherstel-
Weg zur Einführung des pauschalierenden               lungsrelevanz eines Hauses feststellen zu kön-
Entgeltsystems für psychiatrische und psy-            nen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss
chosomatische Einrichtungen (PEPP) nahm               (G-BA) bundeseinheitliche Vorgaben festge-
allerdings mehr als ein halbes Jahrzehnt in           legt. Diese betreffen insbesondere die Gefähr-
Anspruch und kann im eigentlichen Sinne               dung der flächendeckenden Versorgung auf
nach wie vor nicht als abgeschlossen betrach-         Grundlage von Erreichbarkeitsmaßen sowie
tet werden. Ursächlich waren unter anderem            des geringen Versorgungsbedarfs aufgrund ei-
erhebliche Widerstände der psychiatrischen            ner geringen Bevölkerungsdichte im Versor-
Krankenhäuser („PEPP muss weg!“) und eine             gungsgebiet. Als für die Basisversorgung not-
völlig unzureichende Weiterentwicklung der            wendige Vorhaltungen wurden für die Grund-
Prozedurenklassifikation (OPS). Die ökonomi-          versorgung die Fachabteilungen Innere Me-
sche Anreizwirkung des Systems ist schwer zu          dizin und Chirurgie, die auch die Kriterien
beurteilen, weil die Budgetbestimmung mehr            der Basisnotfallstufe erfüllen müssen, und Ge-
als ein halbes Dutzend Einflussgrößen hat.            burtshilfe bzw. Gynäkologie und Geburtshil-
                                                      fe festgelegt. Zur Verbesserung der regiona-
                                                      len Versorgung von Kindern und Jugendlichen
8.2.6   Weitere Vergütungselemente                    wurde 2020 der Kreis der sicherstellungsre-
                                                      levanten Fachabteilungen um die der Kinder-
Das DRG-System wurde von Anfang an                    und Jugendmedizin erweitert.
durch zusätzliche Finanzierungskomponenten
ergänzt. Diese adressieren Fälle, in denen das 2Ländliche Krankenhäuser
Fallaufkommen nicht ausreicht, um die Auf- Durch das eng verwandte Instrument der Liste
rechterhaltung eines angemessenen Versor- ländlicher Krankenhäuser hat sich der An-
                                                       wendungsbereich des eigentlichen Sicherstel-
11 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversiche- lungzuschlags jedoch verkleinert. Denn die-
    rung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformge- ses basiert auf den gleichen G-BA-Vorgaben
    setz 2000) vom 22.12.1999.                         zur Beurteilung der Gefährdung der flächen-
12 Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Kran-
    kenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Kran-
                                                       deckenden Versorgung sowie des geringen
    kenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG) vom Versorgungsbedarfs und erstreckt sich auf
    17.03.2009.                                        die gleichen drei Fachabteilungsfestlegungen
156     Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

    Innere Medizin und Chirurgie, Geburtshil- und dem Krankenhaus ein entsprechender Ver-
    fe oder Gynäkologie und Geburtshilfe so- sorgungsauftrag seitens der Landesbehörden
    wie Kinder- und Jugendmedizin. Jedoch ent- übertragen wurde, kann das Krankenhaus ei-
    fällt hier die Notwendigkeit, ein Defizit nach- nen Zentrumszuschlag mit den Krankenkassen
    zuweisen, sowie das Genehmigungsverfah- vereinbaren.
    ren bei den Landesbehörden. Stattdessen ver-
    einbaren die Selbstverwaltungspartner GKV- 2Neue Untersuchungs- und
    Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesell-                Behandlungsmethoden (NUB)
    schaft (DKG) und Verband der Privaten Kran-
                                                           Medizinische Innovationen finden über eine
    kenversicherung jährlich eine Liste der Häu-
                                                           Klassifikationsänderung und ggf. neue DRGs
    ser, welche die G-BA-Vorgaben erfüllen. Die
                                                           Eingang in das Fallpauschalensystem. Bis zur
    Krankenhäuser auf dieser Liste gelten als „be-
                                                           Umsetzung einer Innovation im DRG-System
    darfsnotwendiges Krankenhaus im ländlichen
                                                           existiert allerdings eine Lücke von ca. drei Jah-
    Raum“ und haben Anspruch auf eine zusätz-
                                                           ren für hochpreisige Produktinnovationen. Um
    liche pauschale Finanzierung durch die Kran-
                                                           diese „Innovationslücke“ zu schließen, können
    kenkassen in Höhe von 400.000 C jährlich. Für
                                                           für noch nicht mit den Fallpauschalen sachge-
    jede weitere Vorhaltung einer der drei Fach-
                                                           recht abrechenbare neue Untersuchungs- und
    abteilungsfestlegungen erhalten sie seit 2021
8   zusätzlich 200.000 C; somit kann die pauscha-
                                                           Behandlungsmethoden befristete Vergütungen
                                                           (sogenannte NUB-Entgelte) vereinbart wer-
    le Förderung bis zu 800.000 C betragen. Für
                                                           den. Dazu ist ein Antrag beim InEK zu stellen,
    das Vereinbarungsjahr 2021 umfasst die Liste
                                                           das diesen prüft. So darf die Anwendung ei-
    insgesamt 140 Krankenhausstandorte.13
                                                           ner Innovation nicht bereits durch den G-BA
    2Zentrumszuschläge
                                                           ausgeschlossen worden sein und die Entgelte
                                                           sollen sachgerecht kalkulierbar sein. Bei po-
    Als Zentren können Krankenhäuser seit 2020
                                                           sitivem Ergebnis der Prüfung durch das InEK
    finanzielle Zuschläge nach bundeseinheitli-
                                                           verhandeln die Vertragsparteien auf der örtli-
    chen Vorgaben erhalten, sofern die Aufgaben
                                                           chen Ebene mit dem Krankenhaus das NUB-
    über die direkte Patientenversorgung hinausge-
                                                           Entgelt. Dieses gilt dann für ein Jahr und je-
    hen. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz
                                                           weils nur für das beantragende Krankenhaus.
    (PpSG)14 wurde der G-BA beauftragt, bun-
    deseinheitliche Qualitätskriterien für die Zen-
    trumsausweisung und Übernahme besonderer 2Besondere Einrichtungen
    Aufgaben festzulegen. Die Qualitätskriterien Krankenhäuser oder Teile von Krankenhäu-
    müssen sich dabei unmittelbar auf die be- sern können als sogenannte besondere Ein-
    sonderen Aufgaben beziehen und können ins- richtungen unter bestimmten Voraussetzungen
    besondere Vorgaben zu Art und Anzahl von zeitlich befristet vom DRG-Vergütungssystem
    Fachabteilungen, Mindestfallzahlen und Ko- ausgenommen werden. Infrage kommen dafür
    operationen mit anderen Leistungserbringern Einrichtungen, deren Leistungen insbesonde-
    umfassen. Erfolgt ist dies mittlerweile für Zen- re aus medizinischen Gründen, wegen einer
    tren in den Bereichen seltene und onkologi- Häufung von schwerkranken Patientinnen und
    sche Erkrankungen, Trauma, Rheuma sowie Patienten oder aus Gründen der Versorgungs-
    für Herz, Lunge und das neurovaskuläre Sys- struktur mit den Entgeltkatalogen noch nicht
    tem. Wenn die Qualitätskriterien erfüllt sind sachgerecht vergütet werden. Seit Jahren sind
                                                           einige wenige Häuser als besondere Einrich-
    13 Vgl. Vereinbarung der Liste der Krankenhäuser ge- tung definiert, die insbesondere palliativmedi-
        mäß § 9 Absatz 1a Nummer 6 KHEntgG, abrufbar auf
                                                           zinische oder kinder- und jugendrheumatolo-
        7 www.gkv-spitzenverband.de.
    14 Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegeper- gische Fälle sowie Tropenerkrankungen ver-
        sonal-Stärkungsgesetz – PpSG) vom 11.12.2018.      sorgen.
8.3  Finanzierung in der Pandemie
                                                                                    157                  8
2Notfallstufen                                        der Auftrag an die Selbstverwaltungspartner
 In der initialen Finanzierungssystematik des         aus § 115b SGB V erneuert, den AOP-
 DRG-Systems wurde lediglich zwischen                 Katalog in einer dreiseitigen Vereinbarung
 Krankenhäusern „mit bzw. ohne“ Notfall-              von DKG, Kassenärztlicher Bundesvereini-
 aufnahme unterschieden. Da diese binäre              gung und GKV-Spitzenverband fortzuentwi-
 Differenzierung (de facto 50 C Abschlag je           ckeln. Ziel ist die stärkere Ambulantisierung
 Fall für Nichtteilnahme an der Notfallversor-        bislang stationärer Leistungen, unter ande-
 gung) nicht mehr die sehr unterschiedlichen          rem durch die Festlegung der Vorrangigkeit
 Vorhaltekosten abbildet, hat der Gesetzgeber         der ambulanten Leistungserbringung im AOP-
 den G-BA verpflichtet, bis zum 31.12.2017            Vertrag. Grundlage dafür soll ein empirisches
 ein gestuftes System von Notfallstrukturen zu        Gutachten auf Basis von GKV-Routinedaten
 beschließen (§ 136c Absatz 4 SGB V). Die             sein, das derzeit vom IGES Institut ausgearbei-
 Spitzenverbandspartner hatten den Auftrag,           tet wird. Durch die Vorgabe einer entsprechen-
 bis zum 30.06.2018 die Höhe sowie das Nähe-          den Vereinbarung bis Ende Januar 2022 wird
 re zur Ausgestaltung der Zu- und Abschläge           dem gesetzlich Nachdruck verliehen.
 mit Hilfe des InEK zu ermitteln. Der G-BA
 hat in seinem Beschluss vom 19.04.2018
 eine Basisnotfallstufe sowie eine erweiter-          8.3     Finanzierung in der Pandemie
 te und eine umfassende Stufe definiert. Für
 die erweiterte Stufe müssen beispielswei-            8.3.1    Freihaltepauschale
 se zehn Intensivbetten vorgehalten werden
 (umfassende Stufe: 20). Es besteht Aufnah-
 mebereitschaft auch für beatmungspflichtige          Das Leistungsgeschehen in deutschen Kran-
 Intensivpatientinnen und -patienten auf die In-      kenhäusern im Coronajahr 2020 war geprägt
 tensivstation innerhalb von 60 Minuten nach          durch zwei Ereignisse:
 Krankenhausaufnahme.15                               1. Die Aufforderung der Regierung vom
                                                         17.03.202017, elektive Fälle zurückzustel-
                                                         len, um Betten für die Versorgung von
 8.2.7   Vergütung ambulanter                            Coronapatientinnen und -patienten freizu-
         Krankenhausleistungen                           halten
                                                      2. Eine generelle Zurückhaltung der Bevölke-
                                                         rung, sich in der Coronazeit ins Kranken-
 Im Krankenhaus-Report 2016 haben die Au-                haus zu begeben
 toren Leber und Wasem die vielfältigen und
 weitgehend ungeordneten Vergütungssysteme            Beides zusammen bewirkte einen erhebli-
 zur Vergütung ambulanter Krankenhausleis-            chen Rückgang der versorgten Fälle, der in
 tungen dargestellt (Leber und Wasem 2016).           dieser Form wahrscheinlich nicht politisch
 Die seinerzeit skizzierte Charakterisierung          intendiert war, aber großenteils das Ergeb-
 der „Systematik“ ambulanter Krankenhaus-             nis einer politischen Maßnahme sein dürf-
 leistungen hat sich seither nicht verändert.         te: der Freihaltepauschale. Die Bilder von
 Mit dem MDK-Reformgesetz16 wurde jedoch              Bergamo vor Augen, brachte die Regierung
                                                      in atemberaubendem Tempo das Covid-19-
 15 Vgl. Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschus-
    ses zu einem gestuften System von Notfallstruk-
    turen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4     17 Vgl. Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
    des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vom      und den Regierungschefinnen und Regierungschefs
    19.04.2018, abrufbar auf 7 www.g-ba.de.              der Bundesländer angesichts der Corona-Epidemie in
 16 Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen       Deutschland vom 17.03.2020, abrufbar auf 7 www.
    (MDK-Reformgesetz) vom 14.12.2019.                   bundesregierung.de.
158     Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

    Krankenhausentlastungsgesetz18 auf den Weg,             Nur Häuser der Notfallstufen 2 und 3 (er-
    in dem neben der Finanzierung von Schutz-               weiterte und umfassende Notfallversorgung)
    kleidung eine bundesfinanzierte Freihaltung             kamen in den Genuss der Freihaltepauschale.
    von Betten geregelt wurde (§ 21 KHG). Kran-             Nimmt man die Folgeabschätzung des G-BA
    kenhäuser erhielten je nicht belegtes Bett (Ver-        als Maßstab, dann handelt es sich um etwas
    gleich war das Vorjahr) einen Betrag von                über 400 Häuser, also weit weniger als die fast
    560 C. Die Beträge wurden zunächst dem                  1.800 Einrichtungen, die in der ersten Wel-
    Gesundheitsfonds entnommen und später aus               le von der Freihaltepauschale profitierten. Von
    dem Bundeshaushalt refinanziert.                        dieser Fokussierung blieb in den folgenden
        In der ersten Welle erfolgte die Leer-              Monaten jedoch nicht viel übrig. Auf Druck
    standsfinanzierung undifferenziert, was zu ei-          der Länder wurde der Kreis der berechtig-
    ner Unterfinanzierung großer Häuser und einer           ten Häuser stetig erweitert, sodass letztlich
    Überfinanzierung von Basisversorgern führte.            wieder über 1.000 Häuser von der Freihal-
    Spektakulär ist die Überfinanzierung psychia-           tepauschale profitierten. Handlungsleitend für
    trischer Krankenhäuser, deren Tagessatz in der          diesen Vorgang dürfte nicht mehr die Covid-
    Größenordnung von 280 C liegt. Nicht zuletzt            19-Versorgung, sondern die allgemeine finan-
    auf Betreiben eines Expertenbeirats, den das            zielle Sicherung der Krankenhäuser gewesen
    BMG zwecks Begleitung der staatlichen Hil-              sein. Eine wochenbezogene Auswertung, wie
8   fen einberufen hatte (§ 24 KHG), erfolgte zum           viele Häuser in welchem Zeitraum Freihalte-
    01.07.2020 eine Differenzierung. Dies sollte            pauschalen erhalten haben, liegt bis heute nicht
    die erste von insgesamt sieben Änderungen der           vor. Die Länder waren zwar aufgefordert, dies
    Freihaltepauschalenregelungen in den Jahren             im Internet zu veröffentlichen, taten das aber
    2020 und 2021 sein (. Tab. 8.2).                        nicht in der notwendigen Differenzierung.
        Für den Zeitraum vom 13.07.2020 bis                      Für das Jahr 2020 haben die Länder ein
    30.09.2020 galt eine Staffelung der Pauschalen          Auszahlungsvolumen von 10,26 Mrd. C ge-
    (360, 460, 560, 660, 760 C und 280 C für die            meldet. Zur Orientierung: Die Investitionsför-
    Psychiatrie). Nach wie vor galt die Freihalte-          derung der Länder für Krankenhäuser beläuft
    pauschale für alle Krankenhäuser – unabhän-             sich auf rund 3 Mrd. C. Dieser (Wieder-)Ein-
    gig davon, ob sie zur Versorgung von Covid-             stieg des Bundes in die Krankenhausfinanzie-
    19-Patientinnen und -Patienten einen Beitrag            rung wird in 7 Abschn. 8.4 näher beleuch-
    leisten können.                                         tet.
        Nach einer kurzen „Auszeit“ wurde die
    Freihaltepauschale zu Beginn der zweiten
    Welle wiederbelebt, aber mit einer Fokussie-
    rung auf Häuser, die wegen ihrer Intensiv-
    stationen einen veritablen Beitrag zu Versor-
    gung von Covid-19-Fällen leisten können. Das
    3. Bevölkerungsschutzgesetz19 griff dabei auf
    die G-BA-Kriterien für Notfallstufen zurück:

    18 Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finan-
       zieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer
       Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhaus-
       entlastungsgesetz) vom 27.03.2020.
    19 Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei ei-
       ner epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom
       18.11.2020.
8.3  Finanzierung in der Pandemie
                                                                                          159                    8

   . Tab. 8.2 Regelungen zur Freihaltepauschale in den Jahren 2020 und 2021

    Nr.    Datum, Art und Rechtsgrundlage

           Geltungszeitraum                                                   Anwendungsbereich und Höhe
                                                                              der Pauschalen

           Voraussetzungen/Bestimmungskriterien
           Erst ab „zweiter Welle“ (Nr. 3), zuvor alle Häuser anspruchsberechtigt

           Pandemielage                                                       Fachliche Voraussetzung:
           Inzidenza und Intensivauslastungb                                  Notfallstufec /Spezialversorgerd
    1.     28.03.2020: Erste Regelung: COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (§ 21 KHG)

           16.03.2020 bis 12.07.2020                                          Somatik/Psychiatrie: 560 C

    2.     08.07.2020: Anpassung: COVID-19-Ausgleichszahlungs-Anpassungsverordnung (AusglZAV)

           13.07.2020 bis 30.09.2020                                          Somatik (5 Gruppen, CMI-
                                                                              abhängig):
                                                                              360, 460, 560, 660, 760 C
                                                                              Psychiatrie: 280 C
                                                                              [Teilstationär: 190 C]

    3.     18.11.2020: Neuregelung zur „zweiten Welle“: 3. Bevölkerungsschutzgesetz (§ 21 Absatz 1a KHG)

           ab 18.11.2020                                                      nur noch Somatik (5 Gruppen,
           (bis zunächst 31.01.2021)                                          CMI-abhängig):
                                                                              360, 460, 560, 660, 760 C

           Inzidenz über 70                 freier Anteil unter 25/15 %       Notfallstufe 2 und 3/in angren-
                                                                              zenden Kreisen

    4.     22.12.2020: Ergänzung: Verordnung zur Anpassung der Voraussetzungen für die Anspruchsbe-
           rechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a KHG

           17.12.2020 bis 14.01.2021 (rückwirkend)                            wie Nr. 3

           Sonderregelung:                  nicht relevant                    Notfallstufe 2 und 3
           Inzidenz über 200                                                  (nachrangig: 1)

    5.     26.01.2021: Anpassung/Ergänzung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Anpas-
           sung der Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a
           KHG

           ab 15.01.2021 (rückwirkend)                                        wie Nr. 3

           Sonderregelung:
           Inzidenz über 150 (zuvor 200)

           Inzidenz über 70/150             freier Anteil unter 15 %/         Spezialversorger
                                            nicht relevant
160         Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

          . Tab. 8.2 (Fortsetzung)

          Nr.     Datum, Art und Rechtsgrundlage

                  Geltungszeitraum                                                       Anwendungsbereich und Höhe
                                                                                         der Pauschalen

                  Voraussetzungen/Bestimmungskriterien
                  Erst ab „zweiter Welle“ (Nr. 3), zuvor alle Häuser anspruchsberechtigt

                  Pandemielage                                                           Fachliche Voraussetzung:
                  Inzidenza und Intensivauslastungb                                      Notfallstufec /Spezialversorgerd
          6.      24.02.2021: Fortschreibung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Anpassung der
                  Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a KHG

                  01.03.2021 bis 11.04.2021                                              wie Nr. 3

          7.      07.04.2021: Anpassung: Verordnung zur Regelung weiterer Maßnahmen
                  zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser

                  05.04.2021 bis 31.05.2021                                              wie Nr. 3

8                 Inzidenz über 50 (zuvor 70)

          8.      02.06.2021: Fortschreibung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung weite-
                  rer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser

                  01.06.2021 bis 15.06.2021                                              wie Nr. 3
          a
            7-Tage-Inzidenz der Coronavirus SARS-CoV-2-Fälle je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner
          b
            Anteil freier betreibbarer intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten in dem Landkreis oder der kreisfreien
          Stadt in einem ununterbrochenen Zeitraum von 7 Tagen
          c
            Notfallstufen Stufe 1 Basis, Stufe 2 erweiterte, Stufe 3 umfassende Notfallversorgung
          d
            Besondere Expertise bei Lungen- und Herzerkrankungen gemäß Zusammenstellung InEK
          Krankenhaus-Report 2022

    8.3.2       Corona-Ausgleich                                       Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz
                für 2020 und 2021                                  (KHZG)20 wurde ein gesonderter Corona-
                                                                   Ausgleich eingeführt (§ 21 Absätze 9 bis 11
                                                                   KHG). Im Rahmen einer Ganzjahresbe-
    Das klassische Instrument zum Ausgleich von                    trachtung werden krankenhausspezifisch die
    (unvorhersehbaren) Belegungsschwankungen                       Erlöse von 2020 denen von 2019 gegen-
    sind Mehr- und Mindererlösausgleiche. Sie                      übergestellt. Dabei sind auch die bis zum
    wurden Mitte der 80er Jahre in das Bud-                        30.09.2020 gezahlten Freihaltepauschalen
    getrecht eingeführt. Der Ausgleichsmecha-                      zu berücksichtigen. Unter Missachtung jeg-
    nismus basiert auf einer Fixkostenannahme                      licher Wirtschaftlichkeitsgebote verblieben
    und gleicht Mindererlöse in Höhe eines be-                     Überzahlungen beim Krankenhaus, bei einer
    stimmten Prozentsatzes aus. Umgekehrt flie-                    Unterzahlung hingegen hatte das Krankenhaus
    ßen Mehrerlöse in der Folgeperiode zurück an                   einen Zahlungsanspruch. In einer Verein-
    die Kostenträger.
                                                                   20 Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäu-
                                                                      ser (Krankenhauszukunftsgesetz – KHZG) vom
                                                                      23.10.2020.
8.3  Finanzierung in der Pandemie
                                                                                 161                8
barung einigten sich DKG und GKV auf                re krankenhausbezogene Veröffentlichung der
die 85-85-Regelung: Die bundesfinanzierten          gezahlten Beträge durch das BMG – allerdings
Freihaltepauschalen wurden zu 85 % ange-            mit unvollständigen Daten aus Bayern und
rechnet und die Erlösminderung wird zu 85 %         Thüringen. Die Fördersumme wird aus Bei-
ausgeglichen.21 Ein Haus, das inklusive ange-       tragsgeldern des Gesundheitsfonds entnom-
rechneter Freihaltepauschalen lediglich 90 %        men, aber (anders als die Freihaltepauschalen)
der Erlöse des Vorjahres erreichen konnte,          nicht aus Bundesmitteln refinanziert.
wird also auf 98,5 % der Vorjahressumme an-             In welchem Umfang wirklich betreibbare
gehoben.                                            Betten aufgebaut wurden, ist nach wie vor un-
    Für das Jahr 2021 ist diese Regelung in         klar. Das Finanzvolumen beträgt laut Bundes-
eine Verordnung22 überführt worden, wobei           amt für Soziale Sicherung (BAS) 686 Mio. C,
letztlich alle Eckdaten der Vereinbarung über-      was dem Aufbau von 13.700 Betten ent-
nommen wurden. Zu beachten ist, dass bei            spricht. Destatis weist einen Intensivbestand
den Ausgleichen weder Bund noch Länder in           von 26.319 Betten im Jahr 2019 aus. Stellt
der Finanzierungspflicht sind. Die Ausfallver-      man dem die aktuellen DIVI-Daten gegen-
sicherung für nicht erbrachte Versorgungsleis-      über, so zeigt sich ein ungeklärtes Delta von
tung ist aus den Beitragsgeldern der Kassen         rund 2.400 Betten. Das Gros der neu aufge-
sowie anderer Kostenträger zu begleichen.           stellten Betten findet sich in einer sogenannten
                                                    „Notfallreserve“, also Betten, die angeblich in
                                                    einem Zeitraum von sieben Tagen betreibbar
8.3.3   Aufbau von Intensivbetten                   sind.

Mit dem Covid-19-Krankenhausentlastungs- 8.3.4 Weitere
gesetz haben Krankenhäuser für den Neuauf-
bau von Intensivbetten bis zum 30.09.2020
                                                                 Corona-Folgenfinanzierung
50.000 C je zusätzliches Bett erhalten (§ 21
KHG). Die Zahlung war weder an einen re- Der Vollständigkeit halber seien einige weitere
gionalen Bedarf noch an bestimmte Struktur- Finanzierungstatbestände im Gefolge der Co-
voraussetzungen geknüpft. Da es keine bun- ronapandemie erwähnt: die Finanzierung von
deseinheitliche Definition gibt, was ein In- Mehrkosten, von Tests und von Prämien für
tensivbett ist, und da Nachweispflichten fehl- das Pflegepersonal.
ten, gibt es eine bis heute andauernde De-
batte über die zweckentsprechende Mittelver- 2Mehrkosten
wendung („Geisterbetten“). In einem Bericht
                                                         Für die Mehrkosten, die den Krankenhäusern
hat der Bundesrechnungshof Aufklärung ange-
                                                         insbesondere in der Frühphase der Pande-
mahnt, die die Länder aber verweigert haben.
                                                         mie entstanden, um beispielsweise Schutzaus-
Ergebnis der mannigfaltigen Forderung nach
                                                         rüstung zu beschaffen, hatte das Covid-19-
Transparenz war unter anderem die temporä-
                                                         Krankenhausentlastungsgesetz einen Zuschlag
                                                         von 50 C je Fall bzw. 100 C je Fall bei
21 Vereinbarung nach § 21 Absatz 10 Krankenhausfinan-
    zierungsgesetz über den Ausgleich eines aufgrund des infizierten Patientinnen und Patienten vorge-
    Coronavirus SARS-CoV-2 entstandenen Erlösrück- sehen. Mit Auslaufen dieser Regelung zum
    gangs (Corona-Ausgleichsvereinbarung 2020) vom 30.09.2020 waren der GKV-Spitzenverband
    18.12.2020, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband. und die DKG aufgefordert, eine Anschlussre-
    de.
22 Vgl. § 5 Absätze 1 und 6 der Verordnung zur Rege-
                                                         gelung bis Ende 2021 zu treffen. Sie einigten
    lung weiterer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Siche- sich zunächst auf Fortgeltung der Regelung
    rung der Krankenhäuser vom 07.04.2021.               im vierten Quartal und später auf Absenkung
162     Kapitel 8  Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie

     der Beträge auf 40 bzw. 80 C.23 In der Ver-             zahl der Pflegekräfte und die andere Hälf-
     einbarung wird den Vertragspartnern vor Ort             te nach der Zahl der Covid-19-Fälle ausge-
     empfohlen, die Abschlagszahlungen als end-              zahlt. Mit einer „Betroffenheitsgrenze“ (Min-
     gültigen Betrag zu übernehmen und auf eine              destzahl von Covid-19-Fällen) wurde die Zahl
     detaillierte Aufrechnung mit Nachweisen zu              der Häuser auf 433 eingegrenzt. Nach der
     verzichten. Ende 2021 konnte eine Vereinba-             zweiten Welle erfolgte eine weitere Zahlung
     rung darüber erzielt werden, welche Kosten              mit einem Gesamtvolumen von 450 Mio. C,
     einzubeziehen und welche Nachweise zu er-               für das das BMG erweiterte Verteilungskrite-
     bringen sind.24                                         rien formuliert hat. Für beide Prämien war in
                                                             den Krankenhäusern mit den Arbeitnehmer-
    2Coronatest                                              vertretungen Einvernehmen über die Pflege-
     Die Finanzierung von Tests auf das Corona-              kräfte zu erzielen, die diese Zahlung erhal-
     virus ist vielfältig und zum Teil schwer zu             ten.
     ergründen. Mit dem 2. Bevölkerungsschutzge-
     setz25 wurde Krankenhäusern die Möglichkeit
     eröffnet, Coronatests von Patientinnen und Pa-          8.3.5   Das Goldene Jahr der
     tienten über ein Zusatzentgelt abzurechnen.                     Krankenhausfinanzierung
     Nicht von der Regelung umfasst sind die
8    Tests des Personals. Die Höhe des Zusatz-
     entgelts wurde durch die Bundesschiedsstel-             Das medial pauschal vermittelte Überforde-
     le am 05.06.2020 festgesetzt (52,50 C). Für             rungsszenario der Krankenhäuser kontrastiert
     PCR-Testungen des Personals durch die Ge-               deutlich mit der faktischen Absenkung des sta-
     sundheitsämter hat das BMG die Preise für die           tionären Versorgungsniveaus. Die Auswertung
     Testung festgelegt. Die Preise für die Testung          der Daten für 2020 durch Busse und Augurz-
     von Patientinnen und Patienten im niedergelas-          ky für den Corona-Expertenbeirat (RWI 2021)
     senen Bereich erfolgte durch den (erweiterten)          zeigt, dass lediglich 2 % der Krankenhausbet-
     Bewertungsausschuss. Alle drei Testpreise dif-          ten durch Covid-19-Fälle belegt waren, auf In-
     ferieren.                                               tensivstationen 4 %. Die Auslastung der Betten
                                                             zeigt insgesamt einen erheblichen Leerstand.
    2Coronaprämie für Pflegekräfte                           Insgesamt war 2020 eher ein Jahr der Unter-
     Für die besondere Belastung der Pflegekräfte            auslastung – keines der Überlastung.
     in der Pandemie hat der Bund nach der ers-                  Erstaunlich mag es sein, dass dieses Jahr
     ten Welle ein Finanzvolumen von 100 Mio. C              der verminderten Aktivität nicht zu einem Fi-
     zur Verfügung gestellt (§ 26a KHG). Einem               nanzierungseinbruch und zur Entlastung der
     Vorschlag der Spitzenverbände folgend wur-              Kassenfinanzen geführt hat. Diese sind um
     de die Hälfte des Betrages nach der An-                 1,7 % gestiegen – nicht gesunken. Ursächlich
                                                             war eine ganze Reihe von Einzeleffekten, wie
     23 Vgl. Vereinbarung nach § 9 Absatz 1a Num-            z. B. die Erhöhung der Landesbasisfallwerte,
        mer 9 KHEntgG über vorläufige Zahlungen für die      die höhere Fallschwere, Tariflohnsteigerungen
        Zuschläge nach § 5 Absatz 3i KHEntgG sowie           und eine reduzierte Prüfquote sowie die co-
        nach § 9 Absatz 1 Nummer 3 BPflV (2. Corona-         ronabedingten Mehrausgaben (Leber 2021a).
        Mehrkostenzuschlagsvereinbarung) vom 18.12.2020,
                                                             Insgesamt zeigt sich eine Erlössteigerung von
        abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband.de.
     24 Vereinbarung nach § 9 Absatz 1a Nummer 9             14 % bei einem Fallzahlrückgang von 13 % –
        KHEntgG (Corona-Mehrkosten-Vereinbarung) vom         ein Ergebnis, das rechtfertigt, von einem „Gol-
        21.12.2021, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband.   denen Jahr der Krankenhausfinanzierung“ zu
        de.
     25 Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei ei-
                                                             reden.
        ner epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom       Noch liegen keine endgültigen Daten vor,
        19.05.2020.                                          inwieweit den Erlössteigerungen auch entspre-
8.4  Reformen nach der Pandemie
                                                                                 163                   8
 chende Kostensteigerungen gegenüberstehen,       vestitionskosten.26 Es wäre konsequent, wenn
 aber die gesunkene Insolvenzwahrscheinlich-      der Bund sein finanzielles Engagement mit
 keit lässt nicht vermuten (Augurzky et al.       der Durchsetzung bundeseinheitlicher Vorga-
 2021), dass das Gesamtbild korrigiert werden     ben verbinden würde. Bei der Bund-Länder-
 muss.                                            Mischfinanzierung von 1974 bis 1985 war das
                                                  nicht der Fall. Auch bei der Freihaltepau-
                                                  schale während der ersten Coronawelle und
 8.4   Reformen nach der Pandemie                 beim Aufbau von Intensivbetten überließ man
                                                  die Investitionsentscheidungen den Kranken-
                                                  hausträgern und ließ diese durch Landesbe-
2Wiedereinstieg des Bundes                        hörden bestätigen. Erst bei der Freihaltepau-
 in die Krankenhausfinanzierung                   schale während der zweiten Welle kam in
                                                  Form der Notfallstufen ein bundeseinheitli-
 Was bleibt von dem, was sich während der
                                                  ches Abgrenzungskriterium zur Anwendung.
 Coronapandemie geändert hat? Im Folgenden
                                                  Mit dem KHZG hat der Bund hingegen zur
 werden einige Prognosen formuliert, die ei-
                                                  Förderung der Digitalisierung eigene Kriterien
 nen gewissen spekulativen Charakter haben,
                                                  aufgestellt. Inwieweit die detaillierten Richt-
 aber sehr wohl wertvoll zur Einschätzung der
                                                  linien des BAS27 bei der Bescheidung durch
 anstehenden Reformen sein können. Schließ-
                                                  die Landesbehörden allerdings korrekt ange-
 lich wird man annehmen können, dass sich
                                                  wendet werden, bleibt abzuwarten. Gleich-
 bestimmte kollektive Erfahrungen, wie sie die
                                                  wohl zeichnet sich hier ein neues Politikmuster
 Coronapandemie zweifellos darstellt, in der
                                                  ab, bei dem der Bund eigenständige Vorgaben
 Reformdebatte niederschlagen werden. Nach-
                                                  zur Strukturierung der Krankenhauslandschaft
 haltige Wirkung dürften die rückläufigen Fall-
                                                  macht.
 zahlen haben, die Einsicht in die Notwendig-
                                                      Wie dauerhaft das finanzielle Engagement
 keit konsequenter Digitalisierung, die Bedeu-
                                                  des Bundes ist, ist schwer abzuschätzen. Da
 tung der Krankenhauspflege, die Strukturie-
                                                  allenthalben das Problem der Investitionsfi-
 rung der Krankenhauslandschaft und – hier als
                                                  nanzierung als ungelöst angesehen wird, ist ein
 erstes diskutiert – der Einstieg des Bundes in
                                                  „kalter Entzug“, also eine Rückführung aller
 die Krankenhausfinanzierung.
                                                  Bundesmittel auf null, eher unwahrscheinlich.
     Glaubt man der Zuständigkeit gemäß
                                                  Im Folgenden sprechen sich die Autoren für
 Grundgesetz, dann hätten eigentlich die für
                                                  die Bundesfinanzierung von Vorhalteleistun-
 Epidemien und Katastrophenschutz zuständi-
                                                  gen aus – nach bundeseinheitlichen Kriterien
 gen Länder die finanziellen Lasten der Co-
 ronapandemie schultern müssen. Es kam an-
                                                  26 Vgl. § 22 Absatz 1 KHG in der Fassung vom
 ders: Der Bund hat sich in allen Bereichen
                                                     29.06.1972 im BGBl I, S. 1015, 7 https://www.
 mit milliardenschweren Hilfsprogrammen en-          bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B
 gagiert und die Hauptlast der Pandemie getra-       %40attr_id%3D%27I_1972_60_inhaltsverz%27
 gen. Wie im 7 Abschn. 8.3 dargestellt, betrug       %5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D
 das finanzielle Engagement des Bundes allein        %27bgbl172s1009.pdf%27%5D__1634831849121.
                                                     Zugegriffen: 19. Okt. 2021.
 für die Freihaltepauschalen und den Aufbau       27 Vgl. Richtlinie zur Förderung von Vorhaben zur
 von Intensivbetten in den Jahren 2020 und           Digitalisierung der Prozesse und Strukturen im Ver-
 2021 insgesamt 15,23 Mrd. C – ein Vielfa-           lauf eines Krankenhausaufenthaltes von Patientinnen
 ches der Länderinvestitionen. De facto handelt      und Patienten nach § 21 Absatz 2 KHSFV vom
 es sich um einen Wiedereinstieg des Bundes          03.05.2021,
                                                     7 https://www.bundesamtsozialesicherung.de/
 in die Krankenhausfinanzierung. In der An-          fileadmin/redaktion/Krankenhauszukunftsfonds/
 fangszeit des KHG trug der Bund im Rahmen           20210503Foerderrichtlinie_V03.pdf.      Zugegriffen:
 einer Mischfinanzierung ein Drittel der In-         31. Okt. 2021.
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