Dokumentation der Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024
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Oliver Reinhard Kira Barbara Johannes Martin Tobias Julian Fatih Theresa Julia Katharina Nesa Ivo Alexandra Sonja Michael Nadja Stefania Karin Frauke Christian Mathias Roland Alice Peter Dieter Heike Lukas Herwig Jürgen Aurelia Laura Heinz Matthias Kirstin Stefanie Richard Ingo Paula Kathrin Sabine Monika Iskender Sara Markus Lara Elmar Petra Gerold Johny Lisa Jutta Ralf Winfried Murat Hans Peter Marie- Annette Isabella Margarethe Veronika Louise Ulrike Nora Doris Bettina Andreas Necla Christoph Verena Sabrina Pu Thomas Nadine Ursula Hedi Yenar Raimund Meena Anna Miriam Niklas Zaker Guido Zita Christa Klaus Christiane Maria Katrin Alma Elisa Edgar Johann Brigitte Wolfgang Wilfried Sigi Dominik Sina Renate Charlotte Jakob Ines Guntram Hanno Jimmy Harald Werner Angelika Olivia Ruth Mirjam Eva Angela Marc Aaron Marie Stefan Emanuel Christine Oskar Beate Andrea Björn Fritz #ihrseidgroßartig #gemeinsamaufdemweg
Inhalt Europa braucht mehr Mutausbrüche Martin Selmayr 6 Vom Anfangen, fast Gewinnen und Weitermachen Theresa Bubik 68 Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich Projektmanagerin Dornbirn plus Vorwort Andrea Mayer 7 #mutigeschritte Lisa-Maria Alge 74 Kunst- und Kulturstaatssekretärin Österreich Projektmanagerin Dornbirn plus Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Andrea Kaufmann Wolfgang Matt 9 Übersicht europäischer Kulturtipps und Blogbeiträge 78 Bregenzerwald: Eine Kooperation über Bürgermeisterin Stadt Dornbirn Bürgermeister Stadt Feldkirch Dieter Egger Guido Flatz Gemeindegrenzen hinweg Bürgermeister Stadt Hohenems Obmann Regio Bregenzerwald Outburst of Courage – Jürgen Weishäupl 84 Oder: Das Kulturprogramm Künstlerischer Leiter Dornbirn plus Vom Gewinnen einer Option Bettina Steindl 10 Leiterin Dornbirn plus Dornbirn plus als Motor Stefania Pitscheider Soraperra 94 für Geschlechtergerechtigkeit Direktorin Frauenmuseum Hittisau Eine verpasste Chance für den Bregenzerwald Gemeinsam auf dem Weg 14 Juppe trifft Sari Nesa Gschwend 96 Expert*innen aus Kunst und Kultur zum Bewerbungsprozess Geschichten über Stoffe und Begegnungen Künstlerin Rückblick nach vorne: Kulturämter der Städte Dornbirn, Feldkirch, 16 Europäische Ausflüge und internationale Alexandra Hefel 100 Ein Jahr nach dem ECoC-Entscheid Hohenems und Regio Bregenzerwald Juryvisits #gemeinsamaufdemweg Initiative Ausflugsbüro The Winner Takes It All – Nadja Grizzo Hanns-Dietrich Schmidt 22 Kulturhauptstadt über den Tellerrand gedacht Emanuel Moosbrugger 104 Oder: Vom Gewinn des Scheiterns Kulturhauptstadt-Beraterin Kulturhauptstadt-Berater Hotelier #Spannungen konstruktiv nutzen. Stefan Hagen 106 Zurück zu den Anfängen Christoph Thoma Andrea Fink 26 Gemeinsam voranschreiten. Systemischer Organisationsentwickler Wir fragen nach: Kulturmanager und -politiker Kuratorin und Kunsthistorikerin Stadt Land Fluss Kultur Winfried Nußbaummüller Bettina Steindl 32 Interview von Peter Niedermair Leiter der Kulturabteilung Leiterin Donbirn plus Europa wir kommen trotzdem 108 des Landes Vorarlberg Unser Netzwerk für die Zukunft Mut zum Ausbruch? Hanno Loewy 42 Direktor Jüdisches Museum Hohenems Das Entdecken von Möglichkeiten Bettina Steindl Jürgen Weishäupl 110 Europa zuhören. Erinnerungen an einen Mirjam Steinbock 45 Ein E-Mail-Ping-Pong Leiterin Dornbirn plus Künstlerischer Leiter Dornbirn plus intensiven Prozess, der weitergeht. Geschäftsführerin IG Kultur Vorarlberg, Mitglied Netzwerkgruppe Kultur Vom mutigen Scheitern! Dominik Nostitz 120 Dornbirn und Umraum: Die visionäre Reinhard Kannonier 48 Dornbirn plus als Saatgut Künstler, Kulturmanager, Jurymitglied Kraft der Bewerbung weitertragen! Musikwissenschafter, Universitätsprofessor, ehemaliger Rektor Kunstuniversität Linz Stimmen unserer Unterstützer*innen 124 Der Tritt in den Allerwertesten – Ruth Swoboda 50 Was man so sagt über uns Oder: Die schönen neuen Andockstellen Direktorin Museum inatura ECoC als Stadtentwicklungsinstrument? Jakob Redl 128 Ein Laborbericht aus St. Pölten Projektleiter Bewerbung St. Pölten 2024 Outburst of Courage 52 „Saltiness“ im Bewerbungsprozess Marie Gruber 132 Titel, Motto und Haltung der Bewerbung – warum es einen Mutausbruch braucht Gastbeitrag aus Bad Ischl, ECoC 2024 Kunst- und Theaterpädagogin, Schauspielerin Kunst und Kultur als Mission und Haltung Bettina Steindl 54 Kultur als Motor der Zukunft Sonja Zobel 134 Leiterin Dornbirn plus Gastbeitrag aus Bad Ischl, ECoC 2024 Schauspielerin und Kulturmanagerin Übersicht umgesetzter Projekte 56 Zukunft 138 Impressum 139
Europa braucht mehr Mutausbrüche Vorwort Martin Selmayr Andrea Mayer Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich Kunst- und Kulturstaatssekretärin Österreich „In Vielfalt geeint“ – so lautet seit dem Jahr 2000 das Motto der zu denken und zu gehen. Dass es gerade die Kultur ist, die mutige Die COVID-19-Krise führt uns schmerzlich vor Augen, wie verletz- Europäischen Union. Es bringt zum Ausdruck, dass unterschiedli- Schritte setzt, lehrt uns die Geschichte mit zahllosen Beispielen. lich unser System eigentlich ist. Für mich als Kunst- und Kultur- che Kulturen, Sprachen und Traditionen unseren Kontinent aus- Ein sehr prominentes ist Ludwig van Beethoven, der als Komponist staatssekretärin ist es daher oberstes Ziel, die Resilienz des Kunst- machen und gegenseitiger Respekt die Basis unseres gemeinsa- der Europahymne „Ode an die Freude“ ein europäisches Aushän- und Kultursektors zu stärken. Wir brauchen perspektivisch eine men Europas ist. geschild für mutiges Schaffen ist. neue Nachhaltigkeit, die auf wirtschaftliche und soziale Gerech- Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat uns auf drastische Dass nun ein Mutausbruch gerade aus Vorarlberg kommt, tigkeit genauso abstellt wie auf einen verantwortungsbewussten Weise daran erinnert, dass wir die Herausforderungen unserer überrascht nicht. Die einzigartige geografische Lage des Ländles Umgang mit unserer Umwelt. Initiativen wie die „Europäische Kul- Zeit nicht im Alleingang bewältigen können. Wir erreichen unsere im alpinen Herzen Europas erfordert seit jeher mutig denkende turhauptstadt“ bieten hier einzigartige Möglichkeiten für die ge- Ziele nur, wenn wir gemeinsam und solidarisch handeln. und handelnde Bewohnerinnen und Bewohner. Hier müssen seit meinsame Erarbeitung von tragfähigen Lösungen. Dass gemeinsames Engagement viel bewegen kann, zeigt auch Jahrhunderten Grenzen überwunden werden, sei es in Form von Auch Dornbirn plus hat sich auf die Suche nach den dring- die vorliegende Dokumentation der großartigen Gemeinschafts- natürlichen Barrieren wie Bergketten, sei es in Form von Staats- lichsten Fragen unserer Zeit begeben und wendet sich den The- bewerbung aus Vorarlberg um die Europäische Kulturhauptstadt grenzen im wirtschaftlichen Austausch mit den Nachbarländern. men Digitalisierung, Klimawandel, Stellung von Frauen und dem 2024: „Outburst of Courage“ oder auch „Mutausbruch“. Die unab- Eine der mutig Denkenden und Handelnden ist die Bürgermeiste- sozialen Zusammenleben zu. Die Kulturstrategie, die sich räumlich hängige Jury hat sich letztlich nach einem knappen Rennen für rin von Dornbirn, Frau Andrea Kaufmann. Sie hat als kreative Inspi- über Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und den Bregenzerwald, und Bad Ischl – Salzkammergut entschieden. Das sollte kein Grund für ratorin und unermüdliche Antreiberin wesentlich zum bemer- zeitlich bis ins Jahr 2030 erstreckt, beweist großen Willen und Lei- Entmutigung sein: Denn wie so oft ist auch bei der Bewerbung für kenswerten Mutausbruch beigetragen. denschaft für die langfristige Kulturentwicklung in der Region. Die die Europäische Kulturhauptstadt der Weg das Ziel, zumindest ein Ich hoffe, dass das Vorarlberger Beispiel über die Landes- und Jury durfte bei ihrem Besuch vor Ort begeisterte und engagierte gutes Stück weit. Und so hoffe ich, dass die erarbeiteten Inhalte Staatsgrenzen hinweg Furore macht. Denn Europa braucht Mut- Menschen kennenlernen, die den europäischen Gedanken auf und Projekte weiterhin verfolgt und auch realisiert werden. Es ausbrüche derzeit mehr denn je – und zwar auf allen Ebenen. Den vielfältige und berührende Art und Weise lebendig werden ließen. freut mich jedenfalls, dass die Ideen im „European Creative Insti- Mutigen gehört die Zukunft. Gemeinsam können wir Änderungen Zur Erinnerung: 2016 hat das Kunst- und Kulturressort den Bewer- tute“ weiterentwickelt werden und an einer Umsetzung gearbeitet anstoßen, neue Wege beschreiten und unser Europa jeden Tag ein bungsprozess um den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2024 in wird. Das wäre ein Gewinn für die Region, für Österreich und für Stückchen besser machen. Österreich“ gestartet. Es folgte eine mehrteilige Veranstaltungs- ganz Europa. reihe, an der zu Beginn 17 interessierte Städte aus ganz Österreich Der Zusammenschluss von Dornbirn, Feldkirch, Hohenems Prof. Dr. Martin Selmayr teilgenommen und wesentlich zu einem positiven, freundschaft und dem Bregenzerwald zeigt auf regionaler Ebene vor, wie Vertreter der Europäischen Kommission in Österreich lichen Wettbewerb beigetragen haben. Alle drei finalen Bewerber- Europa gelebt und gestärkt werden kann. In dem engagierten städte – Bad Ischl-Salzkammergut, Dornbirn plus und St. Pölten – Gemeinschaftsprojekt finden sich auch die Prioritäten der Euro- haben ihre Konzepte, Ideen und Visionen in den Bewerbungs päischen Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen wie- büchern, bei den Jurybesuchen und Hearings eindrucksvoll der: das Überwinden von Trennendem und das Zusammenwach- präsentiert. Die Entscheidung oblag schließlich einer 12-köpfigen sen der Regionen, ein Miteinander in Vielfalt und über Generatio- europäischen Jury – und fiel, wie bekannt auf Bad Ischl-Salzkam- nen hinweg, das harmonische Zusammenspiel von Land, Natur mergut. und Mensch, neue Ideen in Sachen Mobilität und Architektur. Vier Vorarlberger Gemeinden bilden das Fundament des Pro- Ich bin vom Weg, den die Region mit dem Projekt Dornbirn plus in jekts „Outburst of Courage“, und auch für Europa ist das Mitein- den letzten Jahren eingeschlagen hat, sehr beeindruckt. Es wurde ander alternativlos. Nur mit gemeinsamen Antworten können wir viel Arbeit, Zeit und Leidenschaft investiert. Die vorliegende Publi- der Pandemie und ihren Folgen begegnen, denn das Coronavirus kation zeugt davon und ich möchte allen Menschen, die dazu bei- kennt weder Grenzen noch Nationalitäten. Ebenso können wir nur getragen haben und dahinterstehen, herzlich gratulieren und sie mit gemeinsamen Entschlüssen und Taten bis spätestens 2050 als ermutigen, weiter an diesen Ideen und Visionen zu arbeiten! Kontinent klimaneutral werden. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Das Gemeinsame braucht allerdings immer häufiger mutige Befürworter, das hat sich gerade im vergangenen Jahr gezeigt. Es braucht Unterstützung aus den verschiedensten Bereichen der Mag.ª Andrea Mayer Gesellschaft und es braucht Menschen, die bereit sind, neue Wege Kunst- und Kulturstaatssekretärin 6 Einleitung 7
Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald: Eine Kooperation über Gemeindegrenzen hinweg Andrea Kaufmann Wolfgang Matt Bürgermeisterin Stadt Dornbirn Bürgermeister Stadt Feldkirch Dieter Egger Guido Flatz Bürgermeister Stadt Hohenems Obmann Regio Bregenzerwald Im Prinzip ist es noch zu früh, ein Fazit aus der gemeinsamen Be- In Feldkirch wird dies der Humanismus-Schwerpunkt und die Neu- werbung der Städte Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und der Regio positionierung des Palais Liechtenstein sein. Hohenems bereitet Bregenzerwald für die österreichische Kulturhauptstadt Europas in Partnerschaft mit Feldkirch, Lustenau, dem Land Vorarlberg 2024 zu ziehen. Doch eines steht fest: Mit der Entscheidung der und weiteren Einrichtungen unter dem Titel „Über die Grenze – EU-Jury Ende 2019 für Bad Ischl haben wir unsere Bücher sicher Fluchtstationen in Vorarlberg 1938 bis 1945“ einen Radweg entlang nicht einfach zugemacht und sind zum Alltag übergegangen. Im der Vorarlberg-Schweizer Grenze vor. Ein weiterer Schwerpunkt Gegenteil. Viel zu wertvoll sind die in rund vier Jahren gemeinsam ist die Etablierung des Vorarlberger Literaturhauses in der ehe- erarbeiten Überlegungen, die künstlerischen und kulturellen Pro- maligen Rosenthal-Villa, ebenso das Projekt „Europe in a Nutshell“ jekte und die neuen Ansätze zu übergreifenden Kooperationen sowie die Erstellung eines Kulturleitbildes. Der Bregenzerwald hat unserer Städte und Region, die durch diesen Prozess entstanden aus dem Bewerbungsprozess heraus eine Kulturkoordinations- sind. Wir haben den Austausch untereinander intensiviert und stelle geschaffen und macht sich an die Entwicklung einer Kul unsere Energie auf ein gemeinsames Ziel gelenkt. Das verbindet – turstrategie und an die wissenschaftliche Aufarbeitung und Doku- und darauf können wir mit einem guten Gefühl zurückschauen. Mit mentation des Erbes der Bregenzerwälder Barockbaumeister. wir meine ich in erster Linie meine ehemalige Bürgermeister-Kol- legin aus Lingenau, Annette Sohler, sowie meine Bürgermeister- In Dornbirn werden wir uns in den nächsten Jahren der Umset- Kollegen aus Feldkirch, Wilfried Berchtold und seinen Nachfolger zung des Industrie-Pfades „Stadtspuren – Industrie und Wandel“ Wolfgang Matt, Dieter Egger aus Hohenems und den Obmann der mit damit verbundenen Kunstprojekten im öffentlichen Raum wid- Regio Bregenzerwald, Guido Flatz aus Doren, die sich in den zahl- men. Ein großer Schritt ist auch die Entwicklung der „CampusVäre“ reichen gemeinsamen Sitzungen und Besprechungen immer kons- in einem ehemaligen Industrieareal zu einem überregionalen Zen- truktiv und kooperativ eingebracht haben. Ihnen möchte ich trum der Kreativwirtschaft in der Nähe zu Fachhochschule Vor- ebenso danken wie dem gesamten „Dornbirn plus“ – Bewerbungs- arlberg und Postgarage. Vorangetrieben wird dieses Projekt vom büro mit Bettina Steindl, Theresa Bubik und Lisa-Maria Alge und „European Creative Institute“, dem ehemaligen Bewerbungsbüro Andrea Fink (in der Anfangsphase), den Kulturbeauftragten der „Dornbirn plus“ in Partnerschaft mit dem Land Vorarlberg. Ein Städte bzw. der Regio, unseren Berater*innen, namentlich Nadja zentrales Kunstprojekt aus dem Bidbook wird über die kommen- Grizzo, Hanns-Dietrich Schmidt und Jürgen Weishäupl, weiters den Jahre vorbereitet: das „Opus Magnum Europaeum“, ein gro- allen, die Teil unseres Präsentationsteams waren, allen Künst- ßes analoges und digital-synchronisiertes Orgelkonzert mit meh- ler*innen, die sich mit kreativen Projekten eingebracht haben und reren Partnern und an mehreren Schauplätzen in ganz Europa. natürlich all jenen, die uns interessiert begegnet sind, uns ange- Für die ganze Region von Bedeutung sind die „Spot on…!“-Pro- spornt, sich mit uns gefreut und mitgefiebert haben, aber auch jekte, wo sich zwei Gemeinden aus Vorarlberg mit einer weiteren jenen, die uns gelegentlich kritisch gegenüber standen. Gemeinde aus dem Bodenseeraum über ein gemeinsames Kultur- projekt vernetzen. Ein wichtiger Punkt im Vermittlungsbereich Grundlegend war im Zusammenhang mit der Bewerbung auch die wird auch die Etablierung von „Kulturlotsinnen und -lotsen“ sein. Erstellung des auf das Jahr 2030 erweiterte Kulturleitbild der Stadt Dornbirn, in dem erstmals in gemeinsamer Abstimmung mit Feld- Es gibt also genug zu tun! Der gesamte Bewerbungsprozess bildet kirch, Hohenems und der Regio Bregenzerwald unter dem Titel nun ein tragfähiges Fundament, worauf wir die Kulturarbeit der „Gemeinsam in die Zukunft“ Handlungsfelder einer Kulturstrategie kommenden Jahre aufbauen können. Und dies gilt unisono für alle formuliert wurden. beteiligten Städte und die gesamte Region. Nun gilt es weiter nach vorne zu schauen. 2020 war das Jahr, um Dipl.-Vw. Andrea Kaufmann die Fäden weiterzuspinnen. Ein Jahr des Ordnens, des Sortierens Bürgermeisterin der Stadt Dornbirn und des Herausfilterns von Projekten und Vorhaben, die nun – verteilt auf unsere Städte und die Region – im Fokus der kommen- den Jahre stehen sollen. 8 Einleitung 9
Vom Gewinnen einer Option Bettina Steindl Leiterin Dornbirn plus Ich freue mich, dass Sie heute diese Dokumentation eines den und zwei Bidbooks abgegeben, zwei Präsentationen vor der Zukunft ist. Ein Thema übrigens, das neben Digitalisierung ein langjährigen und einzigartigen Prozesses in Vorarlberg in internationalen Jury gehalten, einen Juryvisit organisiert, Forma- Hauptanliegen im Bewerbungsprozess war. Alexander Hefel vom Händen halten. lien, Absichtserklärungen, politische Stellungnahmen und Budgets Ausflugsbüro beschreibt die Organisation des Juryvisits und die vorgelegt und 172 Letters of Intent eingeholt. Dazwischen haben Zukunft der Kulturlandschaft und Emanuel Moosbrugger vom Sie dient dazu, einen Prozess zu erklären und dessen Umfang zu wir als Team einen breiten Bevölkerungsbeteiligungsprozess ange- Biohotel Schwanen blickt mit uns weit über den touristischen Tel- vermitteln, der in dieser Art wohl einzigartig bleiben wird. Dorn- stoßen, Netzwerkgruppen und Kooperationen gesponnen, START- lerrand Vorarlbergs hinaus. Stefan Hagen ermutigt zu strategi- birn, Feldkirch, Hohenems und der Bregenzerwald bewarben sich projekte umgesetzt und Inhalte, Projekte, Konzepte, Visionen und scher Zukunftsgestaltung und Dominik Nostitz als Jurymitglied um den gewichtigsten Titel im Kulturbereich, die Kulturhauptstadt ganz Konkretes für eine Kulturhauptstadt, die ihrem Motto Out- und Kulturmanager zum Ernten der gesäten Früchte. Europas. Mit Mut, Begeisterung und Können sind wir als Team burst of Courage gerecht wird, geschrieben. Dass wir das einzige Unsere Mitstreiter*innen aus Bad Ischl und St. Pölten erzäh- gemeinsam mit vielen engagierten und kritischen Menschen in Frauenteam in Europa waren, dazu eines der kleinsten, mit einem len uns in ihren Gastbeiträgen von deren Weg und Umgang mit diesem Land auf eine Reise mit ungewissem Ausgang gegangen. der geringsten Budgets, erwähne ich dabei gerne. Ich bin stolz auf dem Bewerbungsprozess. Dass wir den Titel schließlich nicht gewonnen haben, enttäuscht all das Erreichte, Gelernte und Verhandelte. Wir werden wahrge- Theresa Bubik und Lisa-Maria Alge #bestesteam beschrei- sehr, das möchten wir nicht verbergen. Outburst of Courage ist nommen in Europa und darauf bauen wir. ben auf sehr persönliche Weise ihre Erlebnisse und Erfahrungen allerdings Haltung und Motto. Wir haben Schmerz und Trauer über die letzten Jahre und formulieren klare Forderungen für die überwunden und begegnen der Enttäuschung inzwischen auf kulturelle Zukunft des Landes #outburstofcourage. Jürgen Weis Augenhöhe. Wir haben hart gearbeitet nach der Entscheidung „Mutig werden wir uns häupl als künstlerischer Leiter des Bewerbungsprozesses be - und politische Entscheidungsträger*innen und private Unterneh- schreibt sein mutiges, zeitgenössisches künstlerisches Programm. men von unseren Ideen für nachhaltige Schritte aus dem Bewer- weiterhin der besten Formuliert und erarbeitet mit über 100 Partner*innen in Vorarl- bungsprozess heraus überzeugen können. Am Ende steht also Zukunft von allen widmen – berg und Europa und fertig zur Umsetzung – jederzeit. nicht der Verlust einer Titelmöglichkeit, sondern der Gewinn einer Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 soll nicht Option. Die Gründung des European Creative Institutes (ECI) und mit und über die Mittel leise verblassen, weil wir einen Titel nicht gewonnen haben. Men- die Entwicklung eines pulsierenden Kreativwirtschaftszentrums in schen, ihre Themen und unsere Herausforderungen sind es immer Dornbirn im Herzen Europas sind das Ergebnis. von Kunst und Kultur.“ wert, mit gemeinsamer Stimme laut und deutlich einen Outburst of Courage zu fordern. Mutig werden wir uns weiterhin der besten Zukunft von allen widmen – mit und über die Mittel von Kunst und „Am Ende steht also nicht Für diese Dokumentation haben wir Wegbegleiter*innen um ihren Kultur. Blick und ihre Einschätzung gebeten. Zugewandt oder kritisch, frei der Verlust einer Titel in ihren Inhalten und Aussagen, keiner kuratorischen Vorgabe fol- Wir hoffen sehr, gemeinsam mit Ihnen allen. gend. Lediglich die Kapitel geben den Inhalt leicht vor, ansonsten Bettina Steindl möglichkeit, sondern der ist die Publikation was der gesamte Prozess war: Eine Absichtser- Gewinn einer Option.“ klärung Europa zu zeigen, welche Schätze Vorarlberg in Form von engagierten, mutigen, einzigartigen Menschen hat: Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museum Hohenems, Mit dieser Publikation möchten wir Sie mit ins Boot holen, um ein und Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarl- Stück in der Zeit zu reisen. Wir beginnen unsere Reise am Anfang – berg, sind Unterstützer*innen der ersten Stunde und reflektieren wo sonst – und blicken gemeinsam mit den Kulturamtsleiter*in- in ihren Beiträgen den gemeinsamen Weg. Ruth Swoboda, Direk- nen, mit Reinhard Kannonier, Christoph Thoma und Andrea torin der inatura Dornbirn, tritt uns allen kräftig in den Allerwer- Fink zurück auf die Anfänge. Wie kam es zu der Idee und warum testen und damit ein weites Stück die Zukunft. Die Textilkünstlerin überhaupt eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas in dieser und STARTprojekt-Teilnehmerin Nesa Gschwend nimmt uns mit Konstellation? Von den Gründen für die ablehnende Haltung der auf eine künstlerische Reise von Indien über Dornbirn nach Hitti- Kulturabteilung des Landes Vorarlberg gegenüber der Bewerbung sau und weiter nach Europa. Stefania Pitscheider Soraperra erzählt Winfried Nußbaummüller als Leiter der Abteilung im als Direktorin des einzigen Frauenmuseums Europas im ländli - Interview mit Peter Niedermair. Eitelkeiten hin, Befindlichkeiten chen Raum erinnert uns vehement und beständig daran, dass her, mit einem Outburst of Courage haben wir diese überwun- Ge schlechter gerechtigkeit die einzige Alternative für eine gute 10 Einleitung 11
Gemein sa m au f de m Weg Expert*innen aus Kunst und Kultur zum Bewerbungsprozess von Dornbirn plus Feldkirch Hohenems Bregenzerwald
Rückblick nach vorne: 4. Jul 2. und 3. Mär Ein Jahr nach dem ECoC-Entscheid re e 2015 2016 Vo eh am r g re in g m ins un nb rg m rb en un me ze e rg iu ge a“ we ar lb e nd tz ge os p hw r nz Be Sc ra s B ro f mp ei si 1. Roland Jörg Martin Hölblinger und Elisa Rosegger lh Eu m ngs ch re e y am S Ge tu is sp ür au Kulturamt Dornbirn Kulturamt Hohenems d re tor ns Fe n ie un ert His ei ee m st Id ge Harald Petermichl Veronika Sutterlüty – ne rt te tv ei rO Kulturamt Feldkirch Kulturbüro Bregenzerwald äd ad r vo fü St St n r tu ee ul Id „K e st Er Normalerweise sind die Kulturabteilun- Vor fünf Jahren, als es aus unterschiedlichen Ecken erste Gedan- ken und Anregungen zu einer städteübergreifenden Bewerbung gen der Städte und Stadtmarketings der Rheintalstädte (das Rheintal als der viertgrößte Ballungsraum vorwiegend mit der Durchführung des Österreichs) und des angrenzenden Bregenzerwaldes gab, waren wir – ohne bereits das künftige Bewerbungsmotto „Mutausbruch“ vor Jahren Geplanten oder mit dem für zu reflektieren – manchmal überrascht, wenn nicht gar erschro- cken über den eigenen Mut, diesen Schritt vorzubereiten und die kommenden Jahre zu Planenden schließlich auch gemeinsam mit den politischen Kräften zu setzen. Es begann eine Zeit, die uns, neben allen herkömmlichen Aufga- beschäftigt. Wenn wir kurz innehalten, ben eines Kulturbüros, in einen stimulierenden und höchst moti- um einen äußerst intensiven Prozess, vierenden „Ausnahmezustand“ versetzte. Und das sollte über Jah re anhalten. Bis bekanntermaßen Bad Ischl im finalen Auswahlver- die gemeinsame Bewerbung der Städte fahren Mitte November 2019 die Nasenspitze vorne hatte. Dornbirn, Feldkirch und Hohenems „Es begann eine Zeit, (übrigens war anfänglich auch die Stadt die uns, neben allen her Bregenz mit im Boot) sowie der Regio kömmlichen Aufgaben Bregenzerwald zur Kulturhauptstadt eines Kulturbüros, Europas 2024 Revue passieren zu in einen stimulierenden lassen, dann deshalb, um klar Schiff zu und höchst motivier- machen, die Segel neu zu setzen und enden Ausnahmezustand D+ wieder Fahrt aufzunehmen in Richtung versetzte.“ Roland Jörg, Harald Petermichl, Martin jener Ziele, die wir – auch ohne höhere Hölblinger, Annette Sohler. Hier gedruckt mögen es „nur“ Namen sein – für uns Kulturhauptstadtweihen – für die Als Initialzündungen für den Bewerbungsprozess sollen hier – ne- bung zu erörtern, insbesondere im Hinblick auf Themenkreise wie und den Bewerbungsprozess sind sie eine Schatzkiste voller Können, Offenheit, weitere Zukunft als sinnvoll erachten. ben allen informellen und regelmäßigen Treffen auf politischer und amtlicher Ebene vor allem die Klausuren der Arbeitsgruppe Kultur und Identität, Raum- und Siedlungsentwicklung und Krea- tivwirtschaft. Zum anderen das nur wenige Wochen danach vom Menschlichkeit und Mut. Als Kulturamts- der Städte etwa mit Oliver Scheytt (RUHR.2010) und Hanns-Diet- Bregenzer Stadtmarketing (damals noch in partnerschaftlicher leiter und Kultursprecherin der Regio rich Schmidt (Folkwang Universität Essen) gemeinsam mit Reprä- Verbundenheit unserer interkommunalen AG) organisierte Sym- Bregenzerwald trugen sie Dornbirn plus in sentant*innen der Vorarlberger Kulturszene im Herbst 2015 und posium „Kultur vor Ort – Ideen für Europa“ im Bregenzer Fest- ihre Städte und Gemeinden, vermittelten zwei Veranstaltungen Anfang 2016 hervorgehoben werden. Zum spiel- und Kongresshaus. Hier fanden sich im europaweiten Aus- und reicherten die Bewerbung mit um- einen war dies ein Workshop-Tag mit anschließender Podiumsdis- tausch führende Köpfe jener Städte (Pafos, Plovdiv, Kalamata, Graz, fassendem Wissen an. Gemeinsam haben kussion zum Thema „Kultur: Kunst, Lebensraum und Wirtschaft“ Liverpool, Linz, Essen) ein, die erfolgreich ihr Kulturhauptstadtjahr wir intensive und einzigartige Jahre mit über 100 Besucher*innen in der inatura. Am Podium tauschten durchgeführt hatten oder in Vorbereitung dazu standen, aber erlebt, unser Dank gebührt ihnen. Und das sich Verena Konrad (vai Vorarlberger Architektur Institut), Roland auch eine Stadt wie Sonderborg, die mit ihrer Bewerbung geschei- Beste daran: Elisa Rosegger und Veronika Gnaiger (Architekt), Thomas Macho (Int. Forschungszentrum Kul- tert war. Für rund 100 Teilnehmer*innen waren es zwei intensive Sutterlüty arbeiten in diesem Sinne in turwissenschaften Wien) und Reinhard Kannonier (Kunstuniversi- Tage mit unzähligen inspirierenden Vorträgen, Diskussionsrunden Hohenems und im Bregenzerwald weiter. tät Linz) aus, um Potenziale der Region für eine mögliche Bewer- und Gesprächen. Unserer Arbeitsgruppe wurde damit erst so 16 Gemeinsam auf dem Weg 17
Frühjahr Dez Frühjahr Aug 22. Feb Mär–Dez de “ a u t. n Feb Dez en n 2017 2018 ss ad 20 e tte al nte Aug n tic s. r ze st ä 18 de c a k er ro er st ng ar Pra g Sep/Okt rk sp nn un op a ltu en lbe ft ltu I Nov ur rop we Ku k ng Ba uw est tz tiv ar kra ta 20 e un oo r 24 . nk 20 rg se us tic tE u ns B bu d ek or tiv ar – E b 17 “ Um De er wir ra rh ac un id n d sp s V ea te ve rK B Aa Pr n oo en 5 e ew irn er au Kr d st ät äe fü e ns Le un se st db g um ab st I s B nb r P en llte rs Bi tun io ei Be k se rk St er g ll at au or tu Ab Ca ul hm ba we ei e rm ul D vo rtr tr Jun–Dez „K rne Ge e og „K ad fo e ve kt ist al In in . tr e st je te int ab dt n m Di gn ad t pt ro pe es bg Sta ig un pr pa nd 10 au Tp st te ro I tu tiv S Bu k pt m zs rA r rh AR Eu oo ea ive zu “ de au Ka ltu en ST db Kr at ive rh Ku eg go n re 10 Bi ltu t ea Br s„ vo C Ku Cr le na Fi Im Frühjahr 2017 ging es weiter mit fünf „Denkwerkstätten“, zu wenn, wie sich herausstellte, das Interesse von dieser Seite am denen Expertinnen und Experten eingeladen wurden, die fol- Bewerbungsprozess gelinde gesagt eher bescheiden war. Eben- gende Themenkreise vertieft beleuchten sollten: „Spiel- und Pro- so fanden im selben Takt regelmäßig Netzwerktreffen mit einer duktionsstätten“, „Kulturhauptstadt und regionale Kunst- und Kul- Netzwerkgruppe, die sich aus Mitgliedern verschiedener kulturel- turszene“, „Regionalität versus Internationalität“, „Integration, Mi ler Interessensverbände zusammensetzte, statt und es wurden, gration und Diversität“ sowie „Regional- und Stadtentwicklungen – um eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen, drei Projekte lan- Ballungsraum Rheintal Vorarlberg 2024“. Daran anknüpfend wurde ciert: die „Europaklasse“, „Grenzmomente“ und „Ich, Oma, Opa von den Kulturbeauftragten der Städte und der Regio ein „Mission und Europa“. Statement“ postuliert, das es auch heute noch wert ist, in Erinne- rung gerufen zu werden: Das Jahr 2017 endete, wenn auch nicht ganz überraschend, mit einem den ganzen Bewerbungsprozess stark verändernden Ein- schnitt: Mit dem Ausstieg der Stadt Bregenz und dem aus zeitli- • „In einer Welt, in der das ,Projekt Europa‘ zunehmend in chen Gründen erfolgten Rücktritt der bisherigen Projektleiterin. Frage gestellt wird, glauben wir, dass Kunst und Kultur dem Es grenzt beinahe an ein Wunder, unterstreicht aber gleich- entgegenwirken können und stellen uns eine Welt vor in zeitig auch die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, dass richtig bewusst, in welchen Dimensionen Bewerbung und Umset- der das Miteinander in der Vielfalt gelebt wird. der Prozess von allen verbliebenen Beteiligten höchst motiviert zung zu sehen sind und welch positive Effekte und Folgewirkungen • Die Bürger*innen aus dem Vorarlberger Rheintal und dem weitergeführt wurde und der Aufbau des Bewerbungsbüros mit durch den Prozess entstehen können. Wir waren daher durch und Bregenzerwald bilden einen polyzentrischen Ballungsraum neuer Leitung (Bettina Steindl) und zusätzlicher Praktikumstelle durch optimistisch gestimmt, auch wenn uns klar war, dass noch im Herzen Europas, umgeben von Grenzen – nationalen, (Lisa-Maria Alge) in Dornbirn als möglicher Bannerstadt der Be- viele Hürden zu nehmen sein würden, um überhaupt bis zu einer geographischen, aber auch gedanklichen. werbung zu einer neuen Dynamik führte: Es galt nun, in einer Tour gemeinsamen politischen Entscheidung für eine Bewerbung zu • Auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 de Force die erste Fassung des Bidbooks, des umfangreichen kommen. Damit war auch der Startschuss gesetzt, um die Grund- bieten wir den Menschen hier und in Europa einen experi- Bewerbungspapiers, bis Ende 2018 gemeinsam mit externen Ex- lagen – etwa in Form eines von der AG formulierten 22-seitigen mentellen Raum für neue Denkweisen, Perspektiven und pertinnen und Experten zu erarbeiten und gleichzeitig die not- Papiers mit dem Titel „Perspektiven, Chancen und Kriterien einer Lösungsansätze. wendigen Unterlagen zur politischen Beschlussfassung der Bewer- Bewerbung der Rheintalstädte Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, • Wir laden ein, individuell und in der Gemeinschaft, ein bung in den Stadtvertretungen im November vorzubereiten. Hohenems und der Regio Bregenzerwald zur Europäischen Kul- gutes (Zusammen-)Leben zu träumen und zu gestalten, Auf die Präsentation des Bidbooks Anfang 2019 in Wien folgten turhauptstadt 2024“ – zu erarbeiten. mit der Chance Identität in der Vielfalt zu finden. die Empfehlungen und Anregungen der internationalen Jury für • In dieser Region wurden nicht zuletzt wegen seiner den finalen Schritt in Form eines überarbeiteten Bidbooks. Diese Im Zeitraffer können hier nur wenige weitere Eckpunkte des Geschichte und seiner geographischen Lage, Fähigkeiten beinhalteten auch die Erweiterung des bestehenden Kulturleit- Bewerbungsprozesses angeführt werden: entwickelt und werden Werte gelebt, die es heute ermög- bildes 2015 bis 2025 der Stadt Dornbirn mit einer auf das das lichen, im Spannungsfeld zwischen Groß und Klein mutig, Zusätzlich war dieses „Mission Statement“ Ausgangspunkt für die Jahr 2030 ausgerichteten Kulturstrategie. Auch wenn die inhalt- Nach der in der Geschichte Vorarlbergs wohl einzigartigen ge lebendig und innovativ zu agieren. Formulierung von acht Thesen zu den Bereichen „Stadt-Land-Le liche Abstimmung mit dem Bidbook-Team Hand in Hand ging, mein samen Stadtvertretungssitzung der vier Rheintalstädte in • Die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024 bensraum“, „Austausch mit Europa“, „Grenz-Region“, „Kulturelle konnten davon losgelöst, in Abstimmung mit den Städten Hohe- Schwarzenberg, bei der im Juli 2016 nahezu einstimmig der Be- ist die Chance, uns diese Werte wieder bewusst zu machen, Vielfalt“, „Kulturelle Bildung“, „Existenzgrundlage Kunst“ und „Sys- nems und Feldkirch sowie der Regio Bregenzerwald, Handlungs- schluss gefasst wurde, gemeinsam mit der Regio Bregenzerwald sie zu stärken und unsere Erfahrungen im Kleinen mit temrelevanz Kunst und Kultur“ inklusive der damit verbundenen felder formuliert werden, die für alle in diesem Bewerbungspro- eine Bewerbung vorzubereiten, wurde im Herbst in Bregenz ein Europa zu teilen. So setzen wir uns ein für ein grenzüber- Zielsetzungen. zess aktiven Partner*innen Gültigkeit haben und somit eine eigenes Bewerbungsbüro eingerichtet (Andrea Fink als Projektlei- greifendes Denken und Handeln, heute und für die Über das ganze Land Vorarlberg verteilt wurden zehn soge- gemeinsame Ausgangsbasis für künftige Kulturstrategien über die terin halbtags und Theresa Bubik als Mitarbeiterin ganztags), das kommenden Generationen!“ nannte Dialogwerkstätten durchgeführt, um mit interessierten kommunalen Grenzen hinweg bilden. Dies fand auch den kultur- als Basis für den Kommunikationsauftritt einen zweitägigen „Crea- Bürger*innen Inhalte und Sinnhaftigkeit einer Bewerbung zu dis- politischen Konsens. Der Titel ist nach wie vor Programm: „Ge- tive Sprint“ vorbereitete, der unter der Leitung von Stefan Hagen kutieren. meinsam in die Zukunft“. gemeinsam mit Fachleuten aus der Vorarlberger Kreativ- und Ge- Alle sechs bis acht Wochen fanden neben dem nahezu wöch staltungsszene (Grafik, Text, Film, Web …) und Mitdenkenden aus entlichen Jour fixe der AG auch Treffen der Bürgermeisterinnen Ohne hier alles im Detail ausführen zu können (dazu wurde ja eine städtischen Fachbereichen Anfang 2017 organsiert wurde. Damit und Bürgermeister zur politischen Abstimmung statt, zu denen eigene Publikation unter dem Titel „Perspektiven 2030“ heraus- war das Label „Kulturperspektiven 2024“ geschaffen. auch immer Vertreter*innen des Landes eingeladen wurden. Auch gegeben), erscheinen ein paar wesentliche Sequenzen aus dem 18 Gemeinsam auf dem Weg 19
12. Feb 5. Mai Aug Okt 12. Nov 6. Mär r we Jun–Dez po er . em l : iti op g ug v 2 ce r d Is ung vo f de en rlb re 2019 2020 2021 zd ite r C ur un le ra sVä sfl di cti liv au inn 9 ! ze e g rO n e l us ven nd ot T fo e E alt ch Ba id ol 01 Au ov ra Jän tr ne r t he #v e“ en r* Vo pu n nE -u m , rt pe tiv st ns tW m “ eu ts Pl t P ge ag eff te n ro ea ran en h om lie tsc te am n r! ee ee ns ne m ho ie ra zd s ur tr tre se s ra ite ei Be irk atu En Gr r io Eu Cr ve st in C ei nz ot ou om Auc C o K K er m we d u G at Nov ns e n W m Jun–Nov aw gr ng fC es nt V un g z orm he e ere le un me tio a of M - itu d : W ien op us u nd e M te st s B EU to sin ac ur pl ünd Bu m ka m a tiv V ns tun Inf es tr ra rm n rs m ea ng ur da r, In ir ad rk st #e irn erk W m bu e tio al n: og fo d “ Cr du be d ea st ge wi un n ca nst ee pr : In ut ie b V ie pt an rün id I# st d ra „O u itgl pa r „O pa er t n ve o g he au te ou u n pe G ro tb d rd o m ro es n rh sc io ee rk e g n fC Eu tio ro nd d rn ry Eu #b t ltu nt Lo ra -F n ta Gr zwe W Ju Do to Eu n u ika u ye Ku en n f II r rs it: EU s bl r u tio ie n ö äs n et’ Ju Feb Feb–Okt bu vis tio Pu fe Pr ep de L ut ry ta ir nz t W „O Ju en Ne Ko it! äs e t II gn m or Pr k zu oo ep pa m m db m yr Ko Ka r Bi Ju Papier im Sinne einer Kooperation und Koordination der kulturel- gen aufgeworfen und (immer im Dialog mit der Bevölkerung) nach len Planung für die Zukunft wichtig: zukunftsfähigen Lösungen gesucht werden wird. Hohenems nimmt sich ein Beispiel am abgeschlossenen Kul- turleitbildprozess von Dornbirn und möchte ab 2021 aktive Schritte Kultur durchdringt nach Ansicht aller Beteiligten in den jeweiligen in diese Richtung setzen. Gemeinsam mit den ansässigen Kultur- Gemeindeverwaltungen viele Bereiche, wie Kunst und Alltagskul- schaffenden, Kulturinstitutionen und -vereinen sowie den Men- tur, Mobilität, Raumplanung, Architektur, sowie die Bereiche Kom- schen, die hier leben, werden thematische Schwerpunkte und munikation und digitale Transformationen, vor allem aber auch Ziele für die kulturelle Zukunft von Hohenems erarbeitet. Dabei das Zusammenleben unterschiedlicher Generationen und kultu- soll der Austausch und die Reflexion mit den Partner*innen beste- reller Prägungen. Es ist ein Bekenntnis dazu, positive gesellschaft- hen bleiben. Parallel dazu werden Projekte aus dem Bidbook liche Potenziale zu stärken und damit wichtige Schritte zu einem gestartet. „Europe in a Nutshell“ ist ein Projekt der Grenzge- besseren Zusammenleben zu setzen. Abgrenzungsmechanismen, schichten: Durch unterschiedliche künstlerische Interventionen die altersbedingt, genderbedingt oder herkunftsbedingt zu iso- wird das höchst gesellschaftlich relevante Thema bearbeitet. Die- lierten Gruppenbildungen oder Meinungshaltungen führen, sollen ses Projekt soll Verbindungen und Brücken vom Hohenemser mit gezielten Programmen überwunden werden. So kann unsere Stadtzentrum zum Alten Rhein entlang des Emsbaches bis in die gesellschaftliche Vielfalt und Buntheit als positiver Lebens- und reiche Bewerbung vieles entstanden ist, das die Handschrift der Schweiz aufbauen. Kreativfaktor unterstrichen werden. wichtigen gemeinsamen Arbeit der letzten Jahre trägt. Cum grano Weiters soll ein Radwanderweg zum Thema „Grenze und „So bleibt am Ende die salis aber auch der Vorwurf, den wir uns alle zusammen gefallen Flucht“ entlang der Grenze vom Bodensee zum Piz Buin entste- lassen müssen, dass der vielbeschworene Plan B zu keinem Zeit- hen. Ausgehend vom Jüdischen Museum Hohenems wird dieser Erkenntnis, dass bei aller „Gemeinsam in die Zukunft“ hat sich auch der Bregenzerwald auf punkt sauber erarbeitet worden ist, wozu es gerade in der Zeit des als gemeindeübergreifendes Projekt umgesetzt werden. An zahl- die Fahnen geschrieben und so soll beispielgebend – neben zahl- ersten Lockdown viel Zeit und gute Gelegenheit gegeben hätte. reichen Stationen soll Geschichten aus der jüngeren Vergangen- Enttäuschung über die reichen kreativen wie innovativen Projekten, welche im Zuge des Die Entscheidung, das Projektbüro „Dornbirn plus“ zum Jahres- heit nachgespürt werden; auch dies ein Projekt, das ohne den schlussendlich nicht Bewerbungsverfahrens entstanden sind – das Kulturbüro Bre- ende 2020 aufzulösen und in den Städten und Gemeinden selbst großen Prozess „Kulturhauptstadt Europas 2024“ wohl nicht ent- genzerwald erwähnt werden. Mit der Bewerbung zur Kultur- die Verantwortung für relevante Projekte zu übernahmen, war standen wäre. erfolgreiche Bewerbung hauptstadt 2024 konnte der von Kreativschaffenden lange gehegte daher bei aller großen Wertschätzung der dort geleisteten her- Wunsch nach einer regionalen Kulturkoordinationsstelle realisiert vorragende Arbeit am Ende zumindest aus Feldkircher Sicht alter- Gerade in dieser herausfordernden Zeit müssen wir den gemein- vieles entstanden ist, werden. Das Kulturbüro Bregenzerwald, welchem im Rahmen der nativlos. Ein internationales Artist-in-Residence-Projekt konn- sam entwickelten Mut weiter unter Beweis stellen! Mut, über die Bewerbung Mittel aus der EU-Leaderprojektförderung zugespro- te entwickelt werden, bei dem im eigens dafür adaptierten mittel- Grenzen zu gehen, dabei alle Mitglieder der Gesellschaft einzubin- das die Handschrift chen wurde, kümmert sich um Kulturangelegenheiten im Bregen- alterlichen Pulverturm ein Atelier eingerichtet wurde, das von den, Missstände und Versäumnisse weiter aufzuzeigen und zu the- der wichtigen gemeinsa zerwald und vernetzt sich überregional. Künstlerinnen und Künstlern aus anderen europäischen Kultur- matisieren, die Mentalitäten zu hinterfragen und unser Zusam- Das Thema „Grenzen“ nahm im gemeinsamen Bewerbungspro- hauptstädten für einige Wochen genutzt werden kann. Auch wenn menleben jetzt aktiv zu gestalten. men Arbeit der letzten zess einen besonderen Stellenwert ein und regte an, mit Mut über die erste Durchführung im Frühjahr 2020 mit Künstler*innen aus „Das Ende von Etwas“ – um einen Titel von Hemingway anders diese zu blicken und neue Perspektiven zu entwickeln. Die Co- Matera (Kulturhauptstadt Europas 2019) wegen der Pandemie aus- zu interpretieren – ist der Anfang von allem. Auch wenn wir mit Jahre trägt.“ rona-Pandemie hat uns im Jahr 2020 jedoch an neue, kaum vor fallen und um ein Jahr verschoben werden musste, zeigt sich, dass unserer Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2024 knapp ge- stellbare Grenzen geführt. Durch den Kulturhauptstadtprozess, in Interesse und Nachfrage in anderen europäischen Städten sehr scheitert sind, haben wir dennoch genügend Grundlagen erarbei- welchem die Notwendigkeit eines kulturellen Wandels intensiv groß sind. tet, um die Zukunft unserer Städte und Regionen hier in Vorarl- herausgearbeitet wurde, können wir nun aber in dieser schwieri- berg, in Österreich und in Europa in eine Richtung zu lenken, die gen und herausfordernden Zeit auf gemeinsame Grundpfeiler Ebenfalls Corona-bedingte Verzögerungen gibt es derzeit noch unser Zusammenleben über Grenzen und Barrieren hinweg besser aufbauen. Ein großes Repertoire an Werkzeugen und neuen Zu- beim großen Projekt, das Palais Liechtenstein – ein zentrales macht. Am besten machen wir in diesem Sinn weiter! Und wir sind gängen wurde erarbeitet, mancherorts bereits erfolgreich ange- und sehr geschichtsträchtiges Gebäude – zu einem Ort des öffent- gut beraten, optimistisch zu bleiben. wandt und umgesetzt. lichen Dialogs und Auseinandersetzung zu Themen, die die Stadt In Feldkirch hat die intensive Arbeit am Prozess einige wich- im europäischen/globalen Zusammenhang betreffen, zu machen. tige Schritte in Gang gebracht. So bleibt am Ende die Erkenntnis, Es soll eine Art Denkraum oder Zukunftslabor werden, in dem dass bei aller Enttäuschung über die schlussendlich nicht erfolg- nicht zuletzt mit Mitteln und Formaten aus Kunst und Kultur Fra- 20 Gemeinsam auf dem Weg 21
The Winner Takes It All – Oder: Vom Gewinn des Scheiterns Nadja Grizzo Hanns-Dietrich Schmidt Kulturhauptstadt-Beraterin Kulturhauptstadt-Berater Warum bloß? „Winning or losing is the Oder es kommt ein Virus und legt den Hypertourismus lahm, den de la Musique) ging es nicht anders. Am Londoner Flughafen war- man sich als Anker für das Konzept gewählt hat. Vor allem für die teten sie auf ihre glücklicherweise verspäteten Flüge, tranken viel same catastrophe.“ Mit diesem Satz Städte, die 2020 den Titel tragen sollten, Rijeka und Galway, hat Wein und kamen auf die Idee, ein neues europäisches Kulturpro- verstören wir alle Teams, mit denen wir sich das Gewinnen am Ende als echte Katastrophe dargestellt. Unser Mitgefühl ist ganz bei den Kolleg*innen dort. jekt zu initiieren: Die Kulturhauptstadt Europas. Das gemeinsame kulturelle Erbe als Vision für ein neues, anderes Europa sollte im arbeiten. Das war in Dornbirn nicht Verlieren dagegen fühlt sich natürlich zunächst „doof“ an und Mittelpunkt stehen. Als diese Idee beim nächsten Treffen den Mit- vielleicht auch wie eine Katastrophe. Scheitern passt eben nicht gliedsstaaten vorgestellt wurde, hatten die Politprofis kaum mehr anders. Und auch ganz ohne Beratung ins neoliberale Weltbild. Wer kann sich schon leisten zu scheitern? als ein mildes Lächeln übrig. Aber nach dem Motto: „Melina, mach Vor allem in einer so erfolgreichen Region wie Vorarlberg. ruhig mal …“ stimmten sie dem Plan schließlich zu. Melina machte – konnte das Team Dornbirn plus von und 1985 wurde Athen erste Kulturhauptstadt Europas. Anfang an voraussagen: eine dieser bei- Warum soll sich also eine Stadt für den Titel „Kulturhaupt- stadt Europas“ (überhaupt) bewerben? den Katastrophen würde ganz sicher „Scheitern passt eben Der Bewerbungsprozess dauert mehrere Jahre, Überzeugungsar- eintreten. Den Titel „Kulturhauptstadt beit ist zu leisten bei der Bevölkerung und bei Politiker*innen, nicht ins neoliberale D+ finanzielle und menschliche Ressourcen werden gebunden, flie- Europas“ zu gewinnen ist toll, bringt ßen in ein Projekt, dessen Ausgang man nicht wissen kann. Das Weltbild. Wer kann „Gewinnen tut man gemeinsam, verlieren jedoch oft erst einmal „Erstverschlim- Rennen um den Titel ist und bleibt eben ein Wettbewerb, organi- sich schon leisten zu allein.“ Nadja Grizzo und Prof. Pu siert von der EU Kommission und – im Fall des österreichischen Schmidt haben uns auf vieles vorberei- merungen“ mit sich. Machtkämpfe Bewerbungsprozesses – in Zusammenarbeit mit dem Kulturminis- scheitern?“ tet. Auch auf das Verlieren. Beide, Nadja terium in Wien. Da ist ein langer Atem gefragt, über zwei Entschei- und Pu (Winnie Puuh war Prof. Hanns- sind an der Tagesordnung, die Perso- dungs-Runden, und die Chance zu gewinnen ist bei normaler- Dietrich Schmidts Lieblingsbuch in der weise drei bis vier Mitbewerbern in der Endauswahl entsprechend. Vom Prestige zum Antriebsmotor Kindheit und als anerkannter Professor für nalpolitik schlägt oft hohe Wellen, Und ist es nicht gerade bei diesem Projekt so: The winner takes it Vieles war anders als heute, es gab keinen Wettbewerb, die Staa- Theaterwissenschaften an der Folkwang Universität Essen darf man sich solche die meisten Strukturen müssen zuerst all? Unsere Erfahrungen mit über zwanzig Städten in 10 Jahren, mit Gewinnern und Verlierern zeigt glasklar: Die Städte können dabei ten nominierten die Städte selbst per Kabinettsbeschluss. Um den Titel zu etablieren, waren es zu Beginn die großen Kulturmetropo- Eitelkeiten durchaus leisten) waren geschaffen werden und manchmal nur gewinnen! Auch wenn man den Titel nicht erhält. Warum? len wie Florenz, Amsterdam und Paris, die den Titel eher beiläufig Arbeitskolleg*innen von Bettina Steindl Dazu lohnt sich ein Blick zurück in die Geschichte der Kultur- führten. Der Wandel kam 1990 mit der Nominierung Glasgows. bei der deutschen Kulturhauptstadt stellen die Städte fest, dass ihr Hafen hauptstadt Europas. Damals war die Stadt am Ende, galt als ein korruptes Armenhaus RUHR.2010. Ein gutes Team ist zehn Jahre Europas. Mit dem Titel veränderte sich alles, neue Perspektiven später ein noch besseres Team und so für den Öltanker „Kulturhauptstadt Kurz zurückgespult entstanden, Glasgow ergatterte einen Platz auf der kulturellen haben uns Nadja und Pu auf Jurypräsenta- tionen und den Juryvisit vorbereitet, sie Europas“ viel zu klein ist. Es gibt einen Gründungsmythos … Um das Jahr 1985 war die Euro- päische Gemeinschaft (so hieß sie damals) noch wesentlich klei- Karte Europas. Bis heute gilt in der Stadt das Kulturhauptstadtjahr 1990 als historischer Wendepunkt. In der Folge bestätigen andere haben uns unterstützt in Inhalten, bei ner, aber die Probleme in den Debatten waren dieselben wie Städte mit ähnlichen Problemen, wie Liverpool, Essen für das Projektpartner*innen und Kooperationen. heute. Melina Mercouri, eine weltbekannte, für den Oscar nomi- Ruhrgebiet und Marseille – um nur einige zu nennen – die Idee, Vor allem haben sie uns intensiv mit dem nierte Schauspielerin war nach der Militärdiktatur nach Griechen- dass der Titel kein repräsentatives Aushängeschild ist, sondern ein Gewinnen und dem Verlieren konfron- land zurückgekehrt und wurde 1981 Kulturministerin. Als sie im Motor für Wandel und Veränderung. Es gab erstaunlich wenige tiert. Die Bewerbungsphase für den wich- Jahr 1984 an einer EG-Tagung in London (!) teilnahm, bei der es um Flops und Rückschläge. Auch durch eine starke Strukturierung seit tigsten Kulturtitel in Europa ist aufwän- die Zukunft der Gemeinschaft und Visionen für ein neues Europa 2009: Ein nationaler Wettbewerb um den Titel wurde eingeführt, dig, intensiv und langwierig. Und der ging, überkam sie der große Frust. Es wurde endlos geredet und und die Reihenfolge der Länder, dessen Städte sich bewerben Moment der Entscheidung ist einschnei- gestritten über Geld, Außen- und Wirtschaftspolitik; das Wort Kul- können, wurde bestimmt. Man entschloss sich auch, jährlich zwei dend für die Bewerberstädte, für die tur fiel kein einziges Mal. Ihrem französischen Amtskollegen Jack Städten den Titel zuzusprechen, alle drei Jahre sogar einer drit- Teams und die Menschen, die sich den Lang, einem charismatischen Politiker, der in der Ära Mitterand ten europäischen Stadt, die nicht Mitglied der EU ist. Weiter ent- Titel gewünscht hätten. bahnbrechende Projekte erstritt (European Heritage Days, Fête schloss man sich, den Wettbewerb zweistufig durchzuführen. In 22 Gemeinsam auf dem Weg Berater*innen 23
1985 1986 1987 1988 1989 1990 2003 2008 2009 2010 2013 2017 2018 2020 2021 2022 2023 2024 L z IT NL E FR UK AT O T TR SK CY T HR HR RS L NO sL nE is E M nD rN az e ad l ris os m w tta ka ka dø en bu iu he šic ge rli us go Gr da ph Pa iS je je n or lle Bo an Be an e At l Ko as Ri Ri Vi er ov El Pa Fl Va Ist t- av Gl / st / / / / N / E es / IE y IE AT St Am FR / / uE O / DK NL aR HU W ay LU / nz ille a rt UK us en lw lw ar cs Li tte Ta se rh Ga Ga ișo ol rd Pé lze ar / Aa po wa AT m / M rA DE r Ti ur hl ve de / Isc e n Li HU Le se an d Es ém Ba ch pr Es sz / Ve LT as un Ka einer Vorrunde werden aus den oft zahlreichen Bewerberstädten Hier brennen Leute für die Region und wollen sich mutig den und zeitgenössischen Ansätzen eingenommen. Gerade diejenigen ausgewählt, deren Potenzial am größten erscheint. hemen stellen, die anstehen. Ein vergleichsweise kleines, aber T beim Digitalen konnten wir erleben, dass das Team Inzwischen ist eine Jury mit Mitgliedern aus unterschiedlichen äußerst aktives Team arbeitete sich durch Berge von Aufgaben Dornbirn plus gemeinsam mit Partner*innen weltweit ein europäischen Ländern für das Auswahlverfahren verantwortlich. und hielt uns auch noch auf allen Social-Media-Kanälen auf Trab. hervorragendes künstlerisches Programm mit zukunfts- Alles muss auf Englisch geschrieben und präsentiert werden. Wir waren begeistert, dass sich die beteiligten Städte von Dorn- orientierten digitalen Projekten auf die Beine gestellt hat. Die Jury entscheidet nach vorgegebenen Kriterien, die sich auf birn plus für das Konzept „Outburst of Courage!“ (Mutausbruch!) • Geradezu unter dem Schlachtruf „Outburst of Courage“ die Planungen für das Kulturhauptstadtjahr beziehen: Einbindung entschieden hat. Soviel Einigkeit für eine mutige Entscheidung fin- hat sich Dornbirn plus nicht gescheut, heiße Eisen anzufas- in die Langzeitstrategien, europäische Dimension, kulturelle und den wir nicht überall. Man fühlte die Aufbruchsstimmung. Wem sen. Egal ob es um Stadtentwicklung, Zersiedelung, Touris- künstlerische Inhalte, Umsetzungsfähigkeit, Einbindung der Gesell- auch immer wir begegneten – aus der freien Szene, von etablier- mus, hohe Mieten für Künstler*innenateliers oder Frauen schaft sowie Management. ten Kulturinstitutionen und vor allem jungen Leuten – von allen im Beruf und in Führungspositionen ging. Das Verfahren hat sich bewährt, auch in unseren Augen sind hörten wir ähnliche Forderungen und Wünsche. Mehr Mut zum • Dornbirn plus hat mit „Outburst of Courage“ ein sehr gutes die Wettbewerbe fair und neutral verlaufen. Was im Einzelnen zu Scheitern, mehr Platz für Unfertiges, Experimentelles, weniger Bü- Beispiel geliefert, wie man die Erkenntnisse aus dem den Entscheidungen für diese oder jene Stadt führt, wird zwar in rokratie für bessere Zusammenarbeit zwischen Kulturschaffenden Prozess, der lange vor dem ersten Bewerbungsbuch öffentlichen Berichten der Jury dargelegt, ist aber, vor allem in über die Grenzen hinweg … begonnen hatte, in einem Konzept und Motto zusammen- Fällen wie Österreich, wo drei sehr starke Bewerberstädte über- Es ist wichtig, ehrlich und offen zu sein. Denn eine Maxime ist: Man fassen kann. zeugend aufgetreten sind, nicht immer leicht zu rechtfertigen. gewinnt den Titel nicht, weil man etwas hat, sondern weil man noch um, und die Stadt ist bei ihrem Versprechen geblieben und Schließlich und endlich kann eben nur eine Stadt in einem Land etwas braucht. Das ist nicht leicht zu vermitteln. Und für so man- hat das Geld, das für die Kulturhauptstadt eingeplant war, trotz- Kulturhauptstadt Europas sein und die zwölf Jury-Mitglieder stim- che*n mag sich ein Bewerbungsbuch anhören, als versuche je- „Scheitern ist immer dem bereitgestellt. men darüber ab – nach zwei Bewerbungsbüchern, zwei Präsenta- mand, die eigene Stadt oder Region schlechter zu machen als sie Daran zeigt sich: Es kann nur eine Stadt gewinnen, aber alle tionen und einem Besuch in der Stadt/Region. ist. Das sind Vorwürfe, mit der jede Bewerberstadt zu kämpfen hat. erlaubt. Aber nicht das Bewerberstädte können Gewinner sein. Den einen Lorbeerkranz Eine wichtige Tendenz: Im Laufe der Jahre wurden die Bewer- Läuft die Bewerbungsphase so erfolgreich und dynamisch wie Liegenbleiben.“ vergibt die EU-Jury. Alle anderen haben die Städte ganz allein in berstädte kleiner, der regionale Aspekt spielt seitdem eine größ in Dornbirn, ergeben sich dennoch schon hier viele neue Pers- der Hand. Scheitern ist immer erlaubt. Aber nicht das Liegenblei- ere Rolle wie z. B. bei RUHR.2010, Aarhus 2017, Leeuwarden 2018 pektiven aus dem Druck, bestimmte Dinge aufgrund der Bewer- ben. Also: Den Staub von den Kleidern geklopft, das Gras aus der und eben auch Dornbirn plus. bung zu „forcieren“: In unseren Augen ist es wichtig, nicht verbissen zu sein, sondern Coiffure gezupft. „Outburst of Courage“ verpflichtet. Jetzt muss • Institutionen tauschten sich genreübergreifend aus; Dialog Kreativität, Spaß und einen Hauch Selbstironie einzubringen. Diese es heißen: Europa, wir kommen trotzdem! wurde auch jenseits der gewohnten Grenzen zwischen Qualitäten haben wir beim Team Dornbirn plus, aber auch bei den „Man gewinnt den Titel freier Szene und städtischen Playern, zwischen Schaffen- Teilnehmer*innen in den Präsentationsteams und bei den Bürger- nicht, weil man etwas hat, den und Publikum, zwischen Wirtschaft und Kunst geführt. meister*innen und Kulturamtsleiter*innen der beteiligten Städte „Es kann nur eine Stadt Ein Satz, den wir öfter hörten, war: „Wenn die Bewerbung sehr zu schätzen gelernt. sondern weil man etwas nicht wäre, hätten wir in dieser Konstellation heute nicht gewinnen, aber alle zusammengesessen.“ Gewinnen trotz Verlieren? braucht.“ • Dornbirn und die teilnehmenden Städte haben ihre Und wenn trotz aller Bemühungen der Titel nicht gewonnen wird? Bewerberstädte können Position nicht nur im regionalen oder nationalen Kontext Ist dann alles verloren? Nach unserer Erkenntnis ist es so, dass Gewinner sein.“ betrachtet, sondern auch im europäischen Rahmen. Sie Erfahrungen und Ergebnisse des Bewerbungsprozesses auch ohne Eine Bewerbung ist ein Mutausbruch stellten sich der Frage: Was können wir Europa erzählen, den Titel von zentraler Bedeutung für eine Stadt sind. Auch Dorn- Unserer Erfahrung nach verändert eine Bewerbung unabhängig was wollen wir von Europa lernen? birn plus hat das Potenzial zu den besten Beispielen zu gehören. vom Ausgang des Wettbewerbs eine Stadt oder Region. Eine sinn- • Das Team Dornbirn plus war sehr daran interessiert, die Wenn die Politik dem Projekt auch nach der negativen Entschei- volle Vorbereitung beginnt mit einer Bilanz des Ist-Zustandes. Wie Bevölkerung und vor allem diejenigen mit einzubeziehen, dung eine Chance gibt und weiter an den (jetzt nicht minder) rele- steht die Stadt national und auf europäischer Ebene da? Wie ist ihr die noch nicht Besucher*innen von Kulturinstitutionen und vanten Themen gearbeitet werden kann, können die geknüpften Image? Wie arbeiten die Kulturinstitutionen zusammen, wie nah Veranstaltungen sind. Sehr deutlich wurde nach Gründen Fäden weitergesponnen werden. Eins der besten Beispiele ist Cluj sind sie der Bevölkerung? Wie möchte die Stadt in 20 Jahren aus- und Wünschen und Wegen geforscht, um mehr Menschen in Rumänien, das den Titel knapp verpasste. Die Stadt und das sehen? Wie umgehen mit den brennenden Themen Migration, für Kultur in allen Formen zu begeistern. Bewerbungsteam beschlossen gemeinsam, dass die begonnene Identität und Selbstbewusstsein? • Dornbirn plus hat eine sehr fortschrittliche Haltung in der Arbeit gemacht werden muss, ob mit oder ohne Titel. Die Nach- Mit Dornbirn plus hatten wir gleich das Gefühl: Hier geht was. Reflektion von Verbindungen zwischen traditioneller Kultur folgeorganisation setzt jetzt fast alle Projekte der Bewerbung den- 24 Gemeinsam auf dem Weg Berater*innen 25
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