LEIPZIGER ZUSTÄNDEDEZ2012 - chronik.LE - Dokumentation und Analyse faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig
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DEZ2012 LEIPZIGER ZUSTÄNDE chronik.LE - Dokumentation und Analyse faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig
chronik.LE - Dokumentation & Analyse Faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig chronik.le TEXT w w w. c h r o n i k L E . o r g
LEIPZIGER Zustände 2012 01 RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG 04 Editorial An unsere Leser_innen 06 Der schmale Grad zwischen Stimmungsmache und Gewalt Leipzig rassistisch – von den 1990er Jahren bis zur Gegenwart Von der Kampagne Rassismus Tötet 11 „Die Leute standen hinter uns“ Zum Angriff auf Asylsuchende in Wurzen und Leisnig im August 1991 Von chronik.LE 12 Geschlossene Gesellschaft Die Leipziger Asyldebatte Von Initiativkreis: Menschen. Würdig. 18 Leipzigs lokale Kämpfe zwischen Rassifizierung und (De-)Klassifizierung Zur Auseinandersetzung um die dezentrale Asylunterbringung in Leipzig Von Forum Kritische Rechtsextremismusforschung 21 Unsere gemeinsame postkoloniale Welt? Kolonialismus, Rassismus und Mehrheitsgesellschaft Von Stefan Kausch und Karolin Reinhold / AG Postkolonial 24 Am Rande des Landkreises Zur Situation von Asylsuchenden in Nordsachsen Von chronik.LE 26 Islamfeindlichkeit als Türöffner Antimuslimischer Rassismus ist inzwischen konsensfähig Von Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus (NIR) 30 Rassismus in „uns“ Warum wir uns so schwer damit tun, uns mit eigenem Rassismus zu beschäftigen Von Anja Treichel, Verband binationaler Familien und Partnerschaften 34 Rassismusfreie und machtkritische Kinderbücher sind Mangelware „Würden sie dieses Buch einem schwarzen Kind vorlesen?“ Von Madeleine Rau 37 Fight for your right to party Rassismus im Leipziger Nachtleben Von Daniel Bartel, Antidiskriminierungsbüro Leipzig 40 Offener Brief an die Stadt Leipzig, Referat für Migration und Integration Eine Rechnungsstellung für Rassismusaufklärung Von Meena Ka. 42 Schwarzsein als Corpus Delicti? Über die polizeiliche Praxis des „Racist Profiling“ Von Katja Sternberger 02 NEONAZISMUS 46 „Hinterm eisernen Vorhang“ Zum Stand der Dinge in der Odermannstraße 8 Von chronik.LE 48 „Die Reihen fest geschlossen“ Nazistrukturen in Nordsachsen Von chronik.LE 52 Leipziger Traditionen Neonazis in der Fanszene des 1. FC LOK Leipzig Von chronik.LE 03 ZUSTÄNDE 58 Obdachlose als Opfer... ...sozialdarwinistischer Gewalt Von Lucius Teidelbaum 61 Was ist Antiziganismus? Ein kulturell tief verankertes Ressentiment im Aufwind von Lucius Teidelbaum 62 Es ist immer noch deutsch in Kaltland Zur Verdrängung Wohnungsloser in Leipzig Von der AG Sozialdarwinismus 65 Eine Schnittstelle zwischen rechtem Rand und Mainstream Verschwörungstheoretisches Denken auf dem Vormarsch Von Tilmann Loos 68 chronik 2012 Eine Auswahl der auf www.chronikLE.org dokumentierten Ereignisse Von chronik.LE 05 SERVICE 74 Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Diskriminierung und Gewalt RAA und ADB stellen sich vor 75 Weitere Informationen Webhinweise, Impressum und Informationen über „Nordsächsische Zustände“ 3
Editorial LIEBE LESERINNEN UND LESER, TEXT seit 2008 dokumentieren wir, die Redaktion von chronik.LE, Ereignisse mit neonazistischem und menschenverachtendem Im Teil „Neonazismus“ werfen wir einen Blick auf die ak- tuellen Entwicklungen der Naziszene in Leipzig und Nord- Hintergrund in Leipzig und den umliegenden Landkreisen. sachsen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Thematik Sozialdar- Schon damals wurde schnell klar: Eine reine Auflistung von winismus. So werden im Teil „Zustände“ die Morde an den Ereignissen reicht nicht, um die komplexen Problemlagen zu Obdachlosen André K. (Ende Mai 2011, Oschatz) und Karl- erfassen. Da wir uns – anders als beispielsweise der Verfas- Heinz T. (August 2008, Leipzig) näher betrachtet. Die Texte sungsschutz – intensiv mit Einstellungen und Ideologien der gehen auf die Ideologie der Täter ein sowie auf eine sich ent- Ungleichwertigkeit von Menschen beschäftigen, sind wir be- solidarisierende Gesellschaft, die diese Taten und Ideologien müht, über sichtbar werdende Ereignislagen hinaus „hinter erst ermöglicht. Daran knüpft der Artikel der AG Sozialdar- die Kulissen“ zu schauen. Das tun wir freilich nicht allein. winismus an, in dem versucht wird, ein Zusammenhang Diese Broschüre versammelt Beiträge von verschiedenen zwischen Stadtplanung, der unkritischen Affirmation von Leipziger Initativen und Ein-zelpersonen. Als Betroffene Konsum, gesellschaftlichen Normierungen und daraus resul- und/oder als Engagierte gegen Diskriminierung, Rassismus tierenden Verdrängungs- sowie Ausschlussmechanismen und und Neonazismus beschreiben sie ein umfangreiches Bild der den vorher dargestellten Morden aufzuzeigen. „Leipziger Zustände“. Zusätzlich zur gedruckten Broschüre gibt es den bereits von Nachdem 2009 und 2010 bereits zwei Ausgaben der Broschüre der letzten Ausgabe bekannten und erweiterten „Theorieein- erschienen sind, kommt es im Jahr 2012 gleich doppelt: Im leger“ auf unserer Webseite www.chronikle.org. Dort finden Oktober 2012 wurden die „Nordsächsischen Zustände“ Sie auch diese wie alle anderen „Zustände“ in digitaler Form. veröffentlicht, gefördert durch den „Lokalen Aktionsplan Nordsachsen“ und die Hans Böckler Stiftung. Nun folgt Wir wünschen unseren Leser_innen eine erkenntnisreiche die dritte Ausgabe der „Leipziger Zustände“. Diese wurde Lektüre und die Einsicht, dass die aufgegriffenen Themen für gefördert im Rahmen der „Kommunalen Gesamtstra- die Betroffenen konkrete Nachteile, Einschränkungen und tegie für Vielfalt und Demokratie“. Während des Pro- Leid bedeuten. Daran wird sich nur dann etwas ändern, wenn jekts ist nicht nur diese Broschüre entstanden. Seit September viele Leute bereit sind, Menschenfeindlichkeit keinen Platz gibt es einmal monatlich die Rubrik „chronik.LE-Radio“ auf mehr in unserer Gesellschaft einzuräumen. Ebenso sollen die Radio Blau zu hören. Ebenso wurde die Website www.chro- gewählten Themen als Anregung zum Weiterlesen und Kriti- nikle.org überarbeitet und auch Twitter sowie Facebook sieren sowie als Möglichkeit der Selbstreflektion dienen. werden zur Verbreitung der Dokumentation und Analysen mit eingebunden. Zudem wurde der chronik.LE-Vorstel- Die chronik.LE-Redaktion lungsflyer und die Vorstellung auf der Website in insgesamt neun Sprachen übersetzt. Diese Flyer sollen ermöglichen, das Wir danken allen Menschen, die auf vielfältige Weise zur Ent- Projekt auch in nicht-deutschsprachigen Zusammenhängen stehung dieser Broschüre beigetragen haben. Insbesondere bekannter zu machen. den zahlreichen Gruppen, Initiativen und Einzelautor_innen, die diese Broschüre mit ihren Texten bereichert haben. Da- Ähnlich wie 2010 bildet der Teil Rassismus und Diskriminie- rüber hinau ein großer Dank an alle Diskutant_innen, Für- rung den Schwerpunkt dieser Broschüre. 20 Jahre nach den sprecher_innen und Spender_innen, Redakteur_innen, Foto- Pogromen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und graf_innen, Layouter_innen und Lektor_innen. Mölln werfen wir einen Blick in die Region: Auch in Leipzig und im Umland gab es zu Anfang der 90er Jahre Angriffe auf Übrigens haben wir uns bemüht, in allen Artikeln den ver- Asylsuchenden-Heime. Damals wie heute gilt: Der Grat zwi- schiedenen Geschlechtsidentitäten gerecht zu werden, statt schen rassistischer Stimmungsmache und Gewalt ist ein sch- durch die deutsche Grammatik nur Männer anzusprechen maler. So haben wir auch die Debatten aufgearbeitet, die es oder das beschränkte Mann-Frau-Schema zu bemühen. 2012 in Leipzig um die sogenannte dezentrale Unterbringung Daher verwenden die Autor_innen die Schreibweise „_ von Asylsuchenden gab. Oft genug gehört: „Ich habe nichts innen“. Falls Sie beim Lesen darüber stolpern sollten, war das gegen Flüchtlinge / Ausländer / …“. Doch wendet man den unsere Absicht. Diese Schreibweise wenden wir bei den Per- Blick bei der Beschäftigung mit Rassismus auf diejenigen, die sonen nicht an, die auf den patriarchalen Vorstellungen der urteilen (weg von denjenigen, die beurteilt wer-den), nämlich Geschlechter beharren. weiße Menschen, dann bleibt festzuhalten: ein gewisser Ras- sismus ist in „uns“ allen. Nur auf dieser Erkenntnis kann eine selbstkritische Auseinandersetznug aufbauen. 4
photo: CC Flickr by Elias Wolffang LEIPZIGER Zustände 2012 01KAPITEL RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG 5
photo: Leipzig ganz rechts Der schmale Grat zwischen Stimmungsmache und Gewalt Leipzig rassistisch – Von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart Von der Kampagne „Rassismus Tötet!“ die auch in Leipzig präsent war, als auch Motivation Am 1. Mai 1990 zogen Neonazis Viel wurde im Jahr 2012 über die rassistischen Pogrome der für Nachfolgetaten von Neonazis. durch die Innenstadt und griffen dutzende Menschen an. 1990er Jahre im wiedervereinigten Deutschland geredet. Erinnerung und Gedenken an Ereignisse von 1991/1992 trieben Rückblick: die rechte Szene und deren gesell- dabei sonderbare Stilblüten wie die Pflanzung einer deutschen schaftliche Einbettung in Leipzig Anfang der Eiche vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. 1990er Jahre Von den krassen Auswirkungen der damaligen rassistischen Erhebungen sprach von den offiziellen Redner_innen jedoch Im Zuge der politischen Wende 1989 erstarkte die niemand: der faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf rechte Szene in ganz Ostdeutschland und somit eben- Asyl durch die Änderung des Artikel 16 GG, beschlossen mit falls in Leipzig. Rechte Parteien aus Westdeutschland den Stimmen von CDU, FDP und SPD im Mai 1993. Trotzdem begannen umgehend damit, im Osten auf Stimmen- die Zahl der Menschen, die in Deutschland um Asyl bitten, fang zu gehen. Die westdeutschen Nazis fanden schnell nach diesem heftigsten Einschnitt in die deutsche Asylpolitik Unterstützer_innen in Ostdeutschland und fingen un- rapide gesunken ist, sind Stimmungsmache und Gewalt gegen verzüglich an, Strukturen auf- und auszubauen, welche geflüchtete Menschen in der Gegenwart wieder verstärkt teilweise noch bis heute existieren. DVU und FAP wahrnehmbar. buhlten um Anhänger_innen und konnten vor allem in Grünau organisierte Strukturen etablieren. Leipzig [1] goo.gl/tZBWT und In der gesamten Bundesrepublik hetzen Bürger_innen hatte lange Zeit den größten Kreisverband der NPD. /ZCBtH und Nazis gegen die Errichtung von Unterkünften für Sachsen ist auch heute das wichtigste Bundesland für Asylsuchende. Der Bundesinnenminister redet, wie in die bedeutendste neonazistische Partei nach 1945, die [2] Vgl.: Mareth, Connie ; den 90er Jahren, von angeblichem „Asylmissbrauch“ hier erstmalig in ihrer Geschichte zwei Mal hinterein- Schneider, Ray: Haare auf und behauptet, dass die infolge eines Urteils des Bun- ander (2004 und 2009) den Einzug in ein Landesparla- Krawall : Jugendsubkultur in desverfassungsgerichtes angehobenen Leistungen ment schaffte. Die DSU als Partei in der Grauzone zwi- Leipzig 1980 bis 1991. Leipzig: für Asylsuchende auf Hartz-IV-Niveau „Wirtschafts- schen rechtskonservativer CDU und neonazistischer Connewitzer Verlagsbuch- flüchtlinge“ anziehen würden.[1] Nazimobs ziehen prü- NPD war zwischen 1999 und 2009 mit einem Abge- handlung, 2010. gelnd und mordent durchs Land. Vieles erinnert an die ordneten im Leipziger Stadtrat vertreten. 1990er Jahre auch die in Leipzig im Sommer 2012 aus- Vor allem die Leipziger Montagsdemonstrationen für gebrochene Stimmungsmache gegen Unterkünfte für die Wiedervereinigung 1989/90 wurden immer mehr Flüchtlinge, angeheizt und flankiert durch Teile der lo- zur Bühne für nationalistisches und neonazistisches kalen Medien. Gedankengut. Die Republikaner starteten zu dieser Doch nicht erst die jüngsten Ereignisse zeigen, dass Zeit eine Werbeoffensive und verteilten mehr als 15.000 Leipzig nicht die Insel der Weltoffenheit und Toleranz Flyer in Leipzig. „Die Massen [haben denen] das Zeug ist, wie Medien es gern darstellen und wie es auch von nur so aus den Händen gerissen, weil sie so unverblümt der Stadt selbst gern propagiert wird. Auch in Leipzig den Haß der Massen, die mittlerweile dazu gestoßen herrsch(t)en „ganz normale“ deutsche Zustände. So waren, rüberbrachten“ illustriert Conny M., regelmä- kam es auch in Leipzig seit Beginn der 1990er Jahre zu ßige Teilnehmerin der Montagsdemos zu dieser Zeit.[2] Bei einer Vielzahl von rassistischen und rechts motivierten den letzten Montagsdemonstrationen bildeten Nazis Übergriffen, Gewalttaten und Morden. Die pogromar- zeitweise einen eigenen Block an der Spitze des Zuges tigen Ausbrüche in Rostock 1992 waren dabei sowohl und machten Jagd auf vermeintlich Linke und Mig- Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung, rant_innen. Auf Protest gegen dieses Auftreten wurde 6
LEIPZIGER Zustände 2012 von Seiten der demonstrierenden Bürger_innen mit nnen konnten sich der Unterstützung aus der Nachbar- [3] Vgl. Monitor: Angriff auf Schmähungen und Gewalt reagiert. schaft des Plattenbauviertels gewiss sein. Ein Großteil eine Flüchtlingsunterkunft in Auch im Alltag transformierte sich die Deutschtü- der Bürger_innen nahmen die Täter_innen in Schutz Leipzig 1991, www.youtube. melei in gewaltsame Neonaziübergriffe. Immer wieder und bestärkten diese somit in ihrem Handeln. In einer com/watch?v=3PDMWrqgrqg wurden Jugendclubs wie der Sack, ein ehemaliges Reportage des ARD-Magazins Monitor bekundeten auf FDJ-Kulturhaus in Schönefeld, oder die Villa, da- der Straße befragte Grünauer_innen allen Alters, dass sie mals noch ansässig in der Karl-Tauchnitz-Straße im auf der Seite der Nazis stehen und sich möglicherweise Zentrum, Ziel von Naziangriffen. Die Nazis kamen zu- an nächsten Angriffen sogar beteiligen würden. Bei der meist in Gruppen bis zu 30 AngreiferInnen, bewaffnet Frage nach Mitleid winkten die Befragten ab, wetterten mit Steinen, Schlagstöcken, Totschlägern, Reizgas und stattdessen freimütig gegen die Asylsuchenden und auch Schusswaffen. In Connewitz, das sich damals zum schreckten auch vor Beschimpfungen wie „Viehzeug“ links-alternativen Stadtteil zu entwickeln begann, war nicht zurück. Mit diesem Wissen planten die Neonazis regelmäßig „Fascho-Alarm“, eine Art Frühwarnsystem, direkt nach der Tat einen nochmaligen Angriff auf die wenn ein Naziangriff auf besetzte Häuser oder Projekte Unterkunft, bekannten sich öffentlich im Fernsehen zu bekannt wurde. ihren rassistischen Einstellungen und auch den Tod Die Aktionen der Neonazis häuften sich nicht nur, son- der Bewohner_innen des Heims in Kauf zu nehmen.[3] dern sie wurden auch zunehmend militanter und ge- Die Bilder der Monitor-Reportage bringen die rassis- fährlicher. Als trauriges Indiz dafür können mehrere tische Grundstimmung dieser Zeit sehr eindrücklich Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen in dieser zutage: Nazis führten auch in Leipzig das aus, was ein Zeit gelten. großer Teil der Bevölkerung dachte und die Polizei ließ Solche rassistischen Angriffe hatten sich in jener Zeit sie weitestgehend gewähren, ob aus Angst, wegen Per- bundesweit und auch in Leipzig zum „nationalen sonalmangels oder aufgrund stiller Zustimmung. Dass Volkssport“ entwickelt. So griffen beispielsweise am sowohl die soziale Betreuerin der Flüchtlinge als auch 4. Mai 1990 mehrere rechte Jugendliche das Wohn- heim in der Liliensteinstraße im Stadtteil Leipzig- Grünau an. Sie zerstörten dabei Türen und Fenster- Die Kampagne „Rassismus tötet“ scheiben. Fünf Tage später wurde das Flüchtlingsheim im Leipziger Vorort Liebertwolkwitz angegriffen. Be- „Rassismus tötet“ Leipzig ist Teil reits vorher hatte es innerhalb kurzer Zeit zwei An- der gleichnamigen bundesweiten griffe auf das Gebäude gegeben, ohne dass die Polizei Kampagne, die sich aus Anlass des ihren Schutz verstärkt und öffentlich Stellung dazu be- 20. Jahrestages der rassistischen Po- zogen oder Initiative ergriffen hätte. Ein weiterer Über- grome in Rostock-Lichtenhagen ge- fall ereignete sich am 31. August 1991. An diesem Tag gründet hat, staatlichen und ge- spielte die Naziband Störkraft im Grünauer Jugend- sellschaftlichen Rassismus gestern und heute zum Thema macht und club Arena. Im Anschluss griffen ca. 80 Nazis die nahe bekämpft. Mit Veranstaltungen und Aktionen nahm und nimmt die gelegene Unterkunft mit Steinen, Flaschen, Knüppeln Kampagne zudem Alltagsrassismus in Leipzig in den Fokus. Ein wei- und Brandsätzen an. Der Tod der darin lebenden Men- terer Schwerpunkt ist die Aufarbeitung von und Erinnerung an rechts schen wurde billigend in Kauf genommen. Die Polizei motivierte Morde in Leipzig und Umgebung. griff während des Überfalls nicht ein, sondern nahm im Nachgang nur vereinzelt Personalien auf. Die Täter_ 7
RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG die Redakteur_innen des Magazins selbst das Bild von Herkunftsländern geflohen waren - dies waren da- „stehlenden, lauten und die Ordnung störenden“ Sinti mals vor allem Roma aus Südosteuropa - wurden von und Roma und damit mehr oder weniger subtil Ver- den zuständigen Behörden abgewiesen und sich selbst ständnis für die Abneigung gegenüber „Nicht-Deut- überlassen. Die CDU brachte in dieser Situation ihre schen“ wecken, macht das Bild komplett. bereits seit 1988 erhobene Forderung nach der Ab- schaffung des Grundrechtes auf Asyl in Stellung. Vorbildwirkung und Folgen Hatten sich SPD und FDP anfangs dagegen gewehrt, war Rostock der Dammbruch für deren Umorientie- Das erste rassistische Pogrom im wiedervereinigten rung, so dass im Mai 1993 die Änderung des Grundge- Deutschland ereignete sich im September 1991 in Ho- setzes, Artikel 16, mit einer Zweidrittelmehrheit durch yerswerda. Neonazis griffen damals in der ostsächsi- den Bundestag ging. schen Stadt unter Mithilfe und Applaus vieler Bürger_ Das vollständige Versagen der Polizei, die in jenen Au- innen zwei Wohnheime von Vertragsarbeiter_innen gusttagen in Rostock die Migrant_innen dem mord- bzw. Asylsuchenden an. Mehrere hundert Menschen willigen Mob überließ, und dass die Politik schließlich belagerten die Unterkünfte fünf Tage lang, bis schließ- zugunsten dieses Mobs einlenkte, motivierte diesen lich alle Heimbewohner_innen aus der Stadt gebracht noch weiter. Mit drastischen Konsequenzen: von Ja- wurden. Die Ereignisse von Hoyerswerda verschärften nuar bis November 1992 zählt die Polizei 1.900 neo- die rassistische Stimmung nicht nur im Osten Deutsch- nazistische Gewalttaten, darunter 608 Brandanschläge lands. In der Folge wurden bundesweit Wohnstätten und 15 Sprengstoffattentate. 16 Menschen starben in von Migrant_innen angegriffen. In der Nacht des 2. dieser Zeit infolge von Anschlägen. August 1992 überfielen ca. 50 Nazis nach einem Disco- In den sieben Tagen nach den Ausschreitungen in Ros- besuch das Flüchtlingslager im Leipziger Vorort Holz- tock gab es bundesweit mindestens 40 Anschläge auf hausen. Sie verwüsteten es systematisch und schlugen Wohnheime von Flüchtlingen. Rostock diente dabei zwei Menschen aus Rumänien zusammen, die sich auch Leipziger Neonazis als Vorbild. Das Flüchtlings- ihnen entgegenstellten. heim in Markkleeberg wurde am 26. August 1992 in Die rassistische Hatz in Rostock-Lichtenhagen im Au- den frühen Morgenstunden von Neonazis angegriffen. gust 1992 stellte den vorläufigen Höhepunkt der Stim- Gezielt fuhren sie mit ihren Autos vor und warfen mung dieser Zeit dar. Rostock-Lichtenhagen war ein Brandsätze auf das Gelände. Dieses Szenario wieder- Pogrom und Ergebnis staatlichen Handelns. Denn die holte sich in den folgenden Nächten, ohne das die Po- offiziellen Stellen hatten die Situation drastisch zuge- lizei einschritt. Der 28. August 1992 wurde zur Hor- spitzt. Die Menschen, die vor Krieg und Not aus ihren rornacht für Migrant_innen und Antifaschist_innen. Im August 1991 berichtete ARD- Etwa 80 Neonazis versuchten Mit Pflastersteinen zerschmissen In dem Heim leben vor allem Sie fürchten weitere, „Monitor“ über die Stimmung in das Asylsuchendenheim sie die Scheiben. Auch Brandsät- Sinti und Roma-Familien. noch heftigere und besser Leipzig - Grünau. zu stürmen. ze wurden geworfen. organisierte Angriffe. 8
LEIPZIGER Zustände 2012 Zum an diesem Tag in Leipzig stattfindenden Fußball- wurden die Flüchtlinge auch von dort weggebracht. Zum weiterlesen: spiel des VFB Leipzig (1. FC Lok Leipzig) gegen Ros- Der damalige Leipziger Ordnungsdezernent Hans- Leipzig ganz rechts. Eine Do- tock luden Leipziger Nazis ihre Rostocker Kamerad_ Eberhard Gemkow zeigte sich entsetzt über die ras- kumentation rechtsextremer innen ein, mit ihnen ein Flüchtlingsheim zu überfallen. sistisch aufgeladene Stimmung in der Stadt. Bei einem Aktivitäten in Leipzig 1989 Engagierte Antifaschist_innen konnten dies zuerst ver- Besuch in Leipzig-Grünau aus Anlass der Angriffe in - 1995, Antifaschistisches hindern, indem sie sich einer Gruppe Rostocker Nazi- der August-Nacht, schlugen ihm Hass und Drohungen Broschürenkollektiv Leipzig Hools entgegenstellten. Wenig später gelang es etwa entgegen. „Ganz normale Bürger_innen“ bekundeten, 1995. 100 Nazis nichtsdestotrotz das Flüchtlingsheim in dass sie selbst Hand anlegen würden, wenn die Flücht- Grünau anzugreifen. Mehrere Hundertschaften der linge weiter in der Nachbarschaft verbleiben würden. Polizei konnten verhindern, dass Schlimmeres pas- siert, zumindest an diesem Ort. Doch die Nazis ließen Step forward nicht locker: wenig später in dieser Nacht brannten 30 Nazis das Flüchtlingslager in Holzhausen nieder und Zwanzig Jahre danach hetzen Nazis, Bürger_innen und zündeten eine Handgranate. Die Flüchtlinge konnten offizielle Politik bundesweit wieder und weiter gegen entkommen und wurden von einigen Anwohner_ Flüchtlinge. Aktuell sind insbesondere in Sachsen ver- innen versteckt. Die Nazis, unbehelligt von der Polizei, stärkt Mobilisierungen gegen die Errichtung von Un- trafen sich nach diesen „Erfolgen“ an der Tankstelle terkünften für Flüchtlinge festzustellen. Ob in Gröditz in der Marschnerstraße, bewaffneten sich dort mit im Landkreis Meißen, wo die NPD Ideengeberin einer mit Benzin gefüllten Flaschen und fuhren im Konvoi schließlich vom dortigen Stadtrat getragenen Unter- in Richtung Connewitz. Diesmal war das Marklee- schriftenkampagne gegen eine Asylsuchenden-Unter- berger Flüchtlingsheim Ziel der Brandsätze. Die Nacht kunft war; ob in Chemnitz, wo Rechtspopulist_innen wurde mit dem Wurf von Brandflaschen auf das Dach zu „Bürgerstreifen“ gegen die sächsische Erstaufnah- des Kulturzentrums Conne Island beendet. Das Feuer meeinrichtung für neu ankommende Asylsuchende konnte rechtzeitig gelöscht werden. aufrufen oder auch in Leipzig, wo es in einzelnen Die Flüchtlinge aus dem Lager in Holzhausen wurden Stadtvierteln mobhafte Erhebungen gegen Unterkünfte nach dem Überfall am 28. August 1992 in ein ehema- für Asylsuchende gab und gibt - das Aggressionspo- liges Kulturhaus in Lindenthal bei Wahren gebracht. tential wächst. Mit ihrer „Brandstifter“-Tour steu- Dort sammelten sich bereits am nächsten Tag wieder erte die NPD im November 2012 gezielt Unterkünfte Nazis und warfen Steine gegen das Gebäude. Erst als für Asylsuchende in Sachsen an und versuchte die so- das Auto eines Flüchtlings im Flammen aufging, ver- wieso ablehnende Stimmung weiter aufzuheizen. Mit trieb die Polizei die Angreifer_innen. Zwei Tage später Blick auf Leipzig lässt sich allerdings konstatieren, screenshots: Monitor, siehe [2] Die Meisten der Angreifer Leipziger_innen äußern sich zu „Alles Viehzeug!“ „Nein, ich würde niemanden, „Ich würds vielleicht auch wohnen in der unmittelbaren den Angriffen: „Nee, da hab ich den ich erkannt habe, an die mitmachen, dass sag ich ihnen Nachbarschaft. kein Mitleid mit den Asylanten.“ Polizei mitteilen, warum denn?“ ganz ehrlich.“ 9
RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG dass die Bürger_innen, die sich seit dem Frühjahr „Elend“ dann nicht vor ihrer eigenen Haustür sehen gegen die Unterbringung von wenigen Flüchtlingen in müssen. ihrer Nachbarschaft engagieren, die NPD nicht brau- “Ein zweites Rostock wollen wir hier nicht“, war in chen und den öffentlichen Schulterschluss mit ihr ver- einem der zahlreichen Protestbriefe an Stadt und Po- meiden. Wie ehrlich die nominelle Abgrenzung ange- litik zu lesen. Doch „Rostock“ gilt den bürgerlichen sichts des Bekenntnisses gegen „jeden Extremismus“ Rassist_innen zwanzig Jahre danach als Sinnbild der ist, sei dahingestellt. Es waren eben jene Bürger_innen, Störung der öffentlichen Ordnung und nicht als dras- die dem NPD-Stadtrat Rudi Gerhardt für einen Rede- tisches Beispiel für die Bedrohung der Unversehrtheit beitrag in einer Ratsversammlung Applaus spendeten. und der Würde von Menschen. Flankiert wurden die Fakt ist, dass die eher besser gestellten Bürger_innen, jüngsten Aufwiegelungen gegen Flüchtlinge in Leipzig insbesondere im Stadtteil Wahren, die rassistische übrigens von der CDU. Dieselbe CDU, die die de-facto- Stimmungsmache selbst bestens beherrschen. An- Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl massiv voran- stelle von realen Brandsätzen und Steinwürfen prak- getrieben und schließlich mit Stimmen der FDP und tizieren sie geistige Brandstiftung par excellence. Mit SPD umgesetzt hat. Die CDU, die in persona des Bun- propagandistisch vorgetragenen Unterstellungen vom desinnenministers Friedrich heute wieder gegen ver- „Anwachsen der Kriminalität und des Unsicherheits- meintliche „Wirtschaftsflüchtlinge“ Stimmung macht. gefühls für Frauen und Kinder, Drogen, Müll und der Mit solcherlei Argumentation steht die CDU aller- Wertminderung ihrer Grundstücke“ durch den Zuzug dings nicht alleine da, sondern kann sich auf ein, be- von Flüchtlingen haben Bürger_innen in Wahren, aber reits beschriebenes, gesellschaftliches Klima berufen. auch in Grünau und Portitz einen lupenreinen Ras- Personen des öffentlichen Lebens, wie der ehemalige sismus zur Schau gestellt, der dem der NPD im Kern Bundesbanker und Sozialdemokrat Thilo Sarrazin, in nichts nachsteht. welcher mit seinen rassistischen und sozialdarwinisti- Die Stimmung auf den zahlreichen Bürgeransamm- schen Thesen eine ganze Zeit lang die öffentliche De- lungen im Sommer 2012 erinnerte an das progrom- batte prägte, sprechen das aus, was viele Menschen hafte Klima der frühen 1990er Jahre. Die Differenz in Deutschland denken. Dabei sind Benachteiligung lässt sich in Art und Präsentation der vorgetragenen und Diskriminierung von Asylsuchenden in Sammel- Argumente ausmachen. Von den Wortführer_innen lagern, das Aufrechterhalten der Residenzpflicht, Ar- der Engagierten v.a. in Wahren wird nicht offen gegen beitsverbote und minimale Sozialleistungen nach wir „Ausländer“ gehetzt, sondern mehr oder weniger vor bittere Realität. subtil zwischen den Zeilen. Fadenscheinig bleibt aller- dings auch ihre Parteinahme für die sonst von antiras- Der Grad zwischen rassistischen Einstellungen, men- sistisch oder humanitär ausgerichteten Initiativen er- schenverachtender Politik und brachialer Gewalt ist hobene Forderung nach eigenen Wohnungen für alle auch in Leipzig nur sehr schmal. Asylsuchenden („dezentrale Unterbringung“). Nicht Humanismus treibt sie an, sich der Forderung anzu- Rassismus tötet! Leipzig www.rassismus-toetet-leipzig.org schließen sondern die Hoffnung, das unerwünschte screenshots: Monitor, siehe [2] „Es waren so ziemlich alle „Ja, mein Gott, mit Toten ist zu „Die kommen auf eigene Gefahr „Das sind viel zu viele, da muss „Warum müssen sie schlagen Anwohner dafür, und die wollen rechnen“, „Angst haben brau- her! An uns liegts nicht, die Null stehen! Da sollte Null und Ausländer töten? beim nächsten mal auch mit chen wir keine, die Anwohner haben angefangen, weil die Komma Null dastehen, echt!“ Das sind Barbaren!“ anpacken.“ sind alle auf unserer Seite.“ hergekommen sind.“ 10
LEIPZIGER Zustände 2012 screenshots: The Truth lies in Rostock TEXT „Die Leute standen hinter uns“ Zum Angriff auf Asylsuchende in Wurzen und Leisnig im August 1991 von chronik.LE Der Ordnungsamtsleiter des Landratsamtes erklärte 2012 jährte sich das rassistische Pogrom auf die Zentrale Auf- Im Jahr 2012 wurde vielfach an die Pogrome vor 20 den Überfall mit sozialen Problemen und der stei- nahmestelle für Asylsuchende in bzw. 21 Jahren in Rostock-Lichtenhagen und Hoyers- genden Arbeitslosigkeit. Ein an dem Übergriff betei- Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. werda erinnert. Neben diesen beiden, bis heute nicht ligter „Nationalist“ aus Wurzen erklärte neun Jahre vergessenen Ereignissen gab es kurz nach der „Wieder- später rückblickend gegenüber Journalisten: „Ich Zur Erinnerung an die damaligen Ereignisse empfehlen wir den vereinigung“ an vielen weiteren Orten, vor allem in den hatte damals schon den Eindruck, die Leute standen Film „The Truth lies in Rostock“, zu „neuen Ländern“, Bedrohungen, Übergriffe und An- hinter uns und waren froh, dass wir die Reinigungsar- finden auf youtube. schläge auf Unterkünfte von Asylsuchenden, Vertrags- beiten übernommen haben.“ Das Radiofeature wurde Eine aktuelle Einschätzung des arbeiter_innen und anderen „Ausländern“. So auch in am 24. März 2000 unter dem Titel „Das sind doch un- Pogroms liefert die Ausgabe #95 Wurzen (heute: Landkreis Leipzig). Hier wurde in der sere Jungs. Rechtsextremismus und Alltagskultur“ im des Antifaschistischen Infoblatts (AIB): „Das Pogrom von Rostock Nacht vom 23. auf den 24. August 1991 – also noch vor WDR ausgestrahlt. - Reaktionen, Rückblicke, Refle- den tagelangen Ausschreitungen im September 1991 Eine Unterkunft für Asylbewerber_innen gibt es in xionen“, erschienen im Sommer 2012, aib.nadir.org . in Hoyerswerda – das Flüchtlingsheim in der Albert- Wurzen seit dem Überfall vom August 1991 nicht Kuntz-Straße von einer größeren, mit Pistolen, Base- mehr. Auf dem ehemaligen Standort in der Albert- ballschlägern und Schlagringen bewaffneten und teil- Kuntz-Straße wurde bald darauf ein Altersheim neu weise vermummten Gruppe Neonazis angegriffen. errichtet. Bereits im April 1991 hatte es entsprechende Dro- In der offiziellen Chronik auf der Homepage der Stadt hungen gegeben. Die Bewohner_innen wurden da- Wurzen werden für das Jahr 1991 zwei einschneidende mals kurzfristig in Privatwohnungen untergebracht – Ereignisse genannt: „Die Molkereigenossenschaft e.G. der Angriff blieb zunächst aus. Am 17. August wurde ist als erster größerer Betrieb der Stadt in Konkurs ge- die Asylsuchendenunterkunft im nicht weit entfernten gangen. Etwa 100 Beschäftigte verlieren ihren Arbeits- Leisnig bei Döbeln (heute: Landkreis Mittelsachsen) platz.“ Und: „Die ersten Asylbewerber kommen nach mit Brandsätzen beworfen. Ein Bewohner erlitt Ver- Wurzen.“ Warum diese bald wieder aus der Stadt brennungen. fliehen mussten, wird verschwiegen. Eine Woche später wurden die Bewohner_innen des Wurzener Heims zusammengeschlagen und zum Teil Zum Weiterlesen und Hören: schwer verletzt, die Inneneinrichtung des Hauses zer- stört. Auf der Straße postierte Wachen warnten die An- • Chronik des NDK Wurzen (www.ndk-wurzen.de) greifer vor der ca. zehn Minuten später anrückenden • Antifa-Broschüre „Wurzen - das Ende faschistischer Polizei, die keinen der Schläger mehr antraf. An dem Zentren, wie wir sie kennen. Entwicklung im Mul- Überfall nahmen vermutlich Wurzener und auswär- dentalkreis 1991-1996“, Online: www.nadir.org/ tige Nazis teil, die für die Aktion extra einen Bus ange- nadir/archiv/Antifaschismus/Regionen/Sachsen/ mietet hatten. Die vom Angriff Betroffenen flohen an- wurzen_broschuere schließend mit Unterstützung von Flüchtlingsgruppen • Hörfunkfeature „Das sind doch unsere Jungs. in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hessen. Am Rechtsextremismus und Alltagskultur“ von Bettina 28. August 1991 wurde gegen das bereits geräumte Rühl und Jürgen Salm (www.horizonte-journalisten.de) Flüchtlingsheim eine telefonische Bombendrohung • Chronik der Stadt Wurzen: www.wurzen.de/die- ausgesprochen. Zwei Tage später ermittelte die Polizei stadt-wurzen/stadtgeschichte.html einen 54jährigen Wurzener als Täter. 11
photo: chronik.LE Geschlossene Gesellschaft Die Leipziger Asyldebatte Von Initiativkreis: Menschen. Würdig. eine Diskussion darüber, wie Asylsuchende in Leipzig Kundgebung des In Leipzig leben ungefähr 1100 Menschen (Stand Oktober künftig wohnen sollen. Initiativkreis: Menschen. Würdig. vor dem Leipziger Rathhaus. 2012), die vom Asylbewerberleistungsgesetz betroffen sind. Nach einem weiteren Stadtratsbeschluss im Juni 2010 Das sind Menschen, die entweder gerade im Asylverfahren wurde das Sozialamt beauftragt, zu untersuchen, inwie- sind oder deren Antrag abgelehnt wurde und die geduldet weit eine dezentrale Unterbringung von Geflohenen in werden, weil eine Abschiebung aus humanitären, gesundheitli- Leipzig umgesetzt werden könnte. Ein Antrag, Betrof- chen oder sonstigen Gründen nicht stattfinden kann. Etwa 650 fene und Initiativen verbindlich in die Konzeptionie- von ihnen wohnen in Wohnungen. Die übrigen 450 Menschen rung einzubeziehen, erhielt jedoch keine Mehrheit im sind etwa zur Hälfte im Heim in Grünau, dort hauptsächlich Fa- Stadtrat. Und so entwickelte das Sozialamt in den fol- milien, und in einer ehemaligen Militärkaserne in der Torgauer genden zwei Jahren seine eigene Auffassung von de- Straße untergebracht. Diese Unterkunft liegt nahe der Auto- zentraler Unterbringung – es entwickelte ein Konzept bahn. Dort müssen vor allem alleinstehende Männer leben. und veröffentlichte es im Mai 2012. Das Konzept sieht sieben neue Unterkünfte mit jeweils 30 bis 70 Plätzen Wie alles anfing vor. Das Heim in der Liliensteinstraße soll beibehalten, das in der Torgauer Straße geschlossen werden[2]. [1] Dazu dokumentierte Im Jahr 2009 existierten in Leipzig zwei zentrale Heime Auch wenn die Stadt es „dezentral“ nennt – die Men- chronik.LE einen Textbeitrag für geflüchtete und asylsuchende Menschen, eines in schen sollen weiterhin in Sammelunterkünften leben. im Conne-Island-newsflyer der Torgauer Straße in Leipzig-Schönefeld, das andere Die Unterbringung in Wohnungen mit nur einem (Ausgabe 168): http://www. in der Liliensteinstraße in Grünau. Doch dann be- Übergangsheim zur ersten Orientierung für Neuan- chronikle.org/dossier/stadt- kundete der Versandwarenhändler Amazon Interesse kommende, so wie es derzeit in Leverkusen praktiziert rand-abgeschoben-neubau- an dem Grundstück in der Torgauer Straße, und die wird, wird offensichtlich nicht in Betracht gezogen. In heims-asylbewerberinnen- Stadt musste nach einem geeigneten Ersatzobjekt su- dieser Angelegenheit verweist die Stadt jedoch auf lan- leipziger-wodanstrasse chen. Nach ersten Vorschlägen sollte eine Container- desweit gültiges Recht, welches die Heimunterbrin- siedlung in der Wodanstraße entstehen, die Platz für gung vorschreibt und die dezentrale Unterbringung [2] Vorlage samt Änderungs- ca. 450 Geflüchtete bieten und an der Autobahn A14 von Asylsuchenden in Wohnungen nur in Ausnahme- anträgen: http://notes. am Stadtrand von Leipzig liegen sollte. Längerfristig fällen zulässt. leipzig.de/appl/laura/wp5/ sollten alle Asylsuchenden Leipzigs dort vereint unter- kais02.nsf/%28WebVorlagen gebracht und die beiden Heime in der Torgauer Straße Die Debatte nimmt ihren Lauf Auswahl%29/0B185DEEF28 und der Liliensteinstraße geschlossen werden. Dieser 54883C125795A002E9AC1? Plan wurde am 17. Juni 2009 in der Stadtratssitzung Am 8. Mai 2012 lud das Sozialamt der Stadt Leipzig opendocument mit 32 (CDU-, SPD- und FDP-)Stimmen gegen 28 und Sozialbürgermeister Thomas Fabian zu einem Stimmen beschlossen[1] – trotz massiver Proteste von Pressetermin ein, bei dem das Konzept ausführlich [3] http://www.lvz-online. Betroffenen und Initiativen. vorgestellt wurde[3]. Es wurde verkündet, dass das de/leipzig/citynews/ Da Amazon sein Angebot zurückzog und die betei- Konzept in den betreffenden Stadtbezirksbeiräten zur stadt-leipzig-schliesst- ligten Initiativen glaubhaft die sinnlosen Kosten dar- Abstimmung gestellt werden solle, und der Stadtrat umstrittenes-asylbewer- legen konnten, die durch die Containersiedlung ent- in seiner Juni-Sitzung über das Gesamtkonzept ab- berheim-fluechtlinge- stehen würden, kam ein Heim in dieser Form niemals stimmen werde. Die LVZ berichtete groß am nächsten dezentral-untergebracht/r- zustande. Das Argument der Unmenschlichkeit zählte Tag. Weitere öffentliche Reaktionen blieben zunächst citynews-a-136028.html in der damaligen Stadtratsdebatte kaum. Dank der aus. Doch im Umfeld der Cradefelder Straße in Portitz Protestwelle entspann sich aber in der Öffentlichkeit und der Pittlerstraße in Wahren, zwei der neuen Stand- 12
LEIPZIGER Zustände 2012 orte, rumorte es gewaltig. Im Mai erschien ein Bericht Mehrheit im Stadtrat. Auch wurde die Grundausrich- [5] siehe Fußnote 2. der MDR-Sendung Hier ab vier[4], in der Wahrener tung des Konzepts durch den Stadtrat mehrheitlich be- Bürger_innen offen ihren Unmut über die neue Unter- stätigt – inklusive aller geplanter Standorte[6]. [6] Der Beschluss sowie die bringung in der Pittlerstraße kundtaten. Auch die CDU-Fraktion brachte vor der Abstimmung Voten: http://tinyurl.com/ Auch in den meisten der anderen Stadtteile, in denen noch einen Änderungsantrag ein, in dem sie die Strei- d2tdnjq Unterkünfte vorgesehen sind, fand eine starke Mobi- chung der Standorte Wahren und Portitz vorschlug. lisierung aufgebrachter Anwohner_innen statt: Sie Dieser Antrag sowie Anträge der Linksfraktion und [7] http://www.leipzig.de/ gründeten eine Bürgerinitiative, veranstalteten Kund- des Migrantenbeirats auf eine Mitbestimmung Asyl- de/buerger/politik/obm/ gebungen und betrieben eine aktive Pressearbeit. Bei suchender in der Frage ihrer Unterbringung fanden Hier-schreibt-Oberbuerger- den angesetzten Stadtbezirksbeiratssitzungen wurde keine Mehrheit. Für letzteren stimmten nur die Partei meister-Burkhard-Jung-Ge- aggressiv interveniert und auch nicht davor zurückge- Die Linke und einzelne Vertreter_innen der Grünen. danken-zur-Asyldebatte-Ju- schreckt, demokratische Abstimmungsprozesse zu ma- ni-2012-23247.shtml, letzter nipulieren: Unter anderem wurden Stadtbezirksbeiräte Die Akteur_innen in der Debatte Abruf 04.12.12, 9.40 Uhr. bedroht um deren Abstimmungsverhalten zu beein- flussen, so ein Augenzeug_innenbericht. Aber wer sind/waren die Akteure der Debatte nun im Nach einer ersten Abstimmung über das Vorhaben der Einzelnen? Diese sollen im kommenden Abschnitt dezentralen Unterbringung in den Stadtbezirksbei- ausführlicher beschrieben werden. räten (SBB), lenkte die Stadt auf den Druck der Bürger_ Die Stadt Leipzig hat als Kommune wie alle anderen innen hin ein und veränderte das Konzept: Der ge- Städte und Gemeinden die Aufgabe, Geflüchtete, die plante Standort in Grünau wurde gestrichen und die ihr nach einem Verteilungsschlüssel zugeteilt werden, Anzahl der geplanten Bewohner_innen in Portitz und unterzubringen. Dabei ist die Stadt der Weisung nach Wahren halbiert. So ging die inakzeptable Strategie der dazu angehalten, die Menschen in Heimen unterzu- Einschüchterung, Bedrohung und Beschimpfung fata- bringen, sie kann jedoch auch das Wohnen in Woh- lerweise auf. nungen erlauben. Der letzte Stadtratsbeschluss vom Auf die vielen Anwohner_innenanfragen an die Stadt Juni 2010 besagt, dass Geflohene in kleineren Ein- reagierte diese gelassen. Sozialbürgermeister Fabian, heiten als den großen Heimen untergebracht werden der in unzähligen Sitzungen das Konzept und sich sollen. Der Oberbürgermeister Leipzigs, Burkhard selbst verteidigen und sich dabei verhöhnen lassen Jung, schaltete sich erst sehr spät und auch dann nur musste, trat in der laufenden Debatte aggressiver auf mit Allgemeinplätzen in die Debatte ein[7]. Zu fast allen und plädierte für eine humanistische Sicht auf Ge- Ereignissen, bei denen es um dieses Thema ging, äu- flüchtete und das Thema Asyl. ßerte sich Sozialbürgermeister Thomas Fabian. Kurz vor der Entscheidung des Stadtrates brachten die In der Stadtverwaltung gibt es verschiedene Akteur_ Stadtratsfraktionen der SPD, Grüne und der Partei innen mit unterschiedlichen Interessen. Das Sozi- Die Linke gemeinsame Änderungsvorschläge zum ur- alamt, das für die Unterbringung Asylsuchender ver- sprünglich vorgelegten Konzept ein[5]. Konkret ging es antwortlich ist, erhebt Besitzansprüche an die Heime, um die Verringerung der Bewohner_innenzahlen für will den rechtlichen Rahmen aus Angst vor Sankti- Portitz und Wahren, die Streichung des Standortes onen der übergeordneten Behörde, dem Regierungs- Weißdornstraße in Grünau und um die Erweiterung präsidium in Dresden, um jeden Preis einhalten und der Vorlage um Objekte in der Riebeckstraße. Wie schließt in vorauseilendem Gehorsam Initiativen aus zu erwarten, fanden diese Änderungsvorschläge eine den Unterkünften aus. Dass hierdurch die Isolierung 13
RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG [8] www.central-ls-w33. der Bewohner_innen noch verstärkt wird, nimmt das oft vorherrschende rassistische Grundstimmung auf- de/?p=584 Sozialamt in Kauf. zubrechen. Zur Abstimmung vor dem Stadtrat nahm Ein zentraler Kritikpunkt, den das Sozialamt sich ge- der Initiativkreis eine zwiespältige Rolle ein, da er ei- [9] Konzeptkritik des fallen lassen muss, ist die schlechte Informationspo- nerseits aus Protest gegen rassistische Bürger_innen Initiativkreis NoHeim:www. litik. Für ein Thema, mit dem sich deutsche Bürger_ der Stadt den Rücken stärken wollte und somit dazu menschen-wuerdig.org/ innen bekanntermaßen schwer tun, veranschlagte es beitrug, dass das Konzept beschlossen wurde, anderer- index.php/konzeptkritik viel zu wenig Zeit für eine öffentliche Diskussion: Die seits mit dem Konzept auch nicht einverstanden war. Vorlage wurde Mitte Mai veröffentlicht und war für die Kritikpunkte[9] sind u.a. der private Wohnraum, der Ratssitzung Mitte Juni zur Abstimmung geplant. Ei- mit 7,5 Quadratmetern pro Person viel zu klein be- nige Bürger_innen beschwerten sich daraufhin, dass messen ist und auch die Sicherheitsdiskussion, die sich die Stadt die Vorlage an ihnen „vorbeischmuggeln“ nicht an den Bedürfnissen der Bewohner_innen orien- wollte. tiert, sondern zu deren Kontrolle führt. Auch die Wahl Im Leipziger Westen gründete sich im Umfeld des einiger Standorte wird kritisiert, da die schlechte Ver- Standortes Markranstädter Straße die Initiative of- kehrsanbindung und die Lage am Stadtrand die zu- fene Nachbarschaft[8], vor allem aus Anwohner_ künftigen Bewohner_innen weiter isoliert. innen des neuen Standorts, die im Gegensatz zu vielen Gleichzeitig versuchte der Initiativkreis, mit Betrof- anderen Anwohner_innen Menschen mit Flucht- und/ fenen zu sprechen bzw. Betroffene hörbar zu machen, oder Migrationsgeschichte ausdrücklich in ihrer Nach- was sich schwierig gestaltete, da das Sozialamt unvor- barschaft begrüßten. hersehbar Einzelpersonen und Gruppen, die gerne im Kontakt mit den Geflüchteten stehen wollten, den Zu- Das Engagement des Initiativkreis: Menschen. Würdig. gang zum Heim verwehrte, indem es Hausverbote ver- hängte. Der Initiativkreis Menschen. Würdig., ein Netz- Der Migrantenbeirat brachte einen Antrag zum werk aus Einzelpersonen und Gruppen, die teilweise Konzept ins Verfahren ein, in dem die Information schon seit Jahren zu den Themen Flucht, Asylrecht und und Mitbestimmung Geflüchteter zum Konzept und Menschenrechte arbeiten oder sich aufgrund der Leip- ihren späteren Wohnorten formuliert wurde. Dieser ziger Debatte für das Thema interessieren, führte meh- Antrag, der auch vom Initiativkreis NoHeim, Men- rere Kundgebungen zum Thema durch, verteilte Argu- schen.Würdig. und der Linksfraktion des Stadtrates mentationsflyer gegen rassistische Argumentationen in unterstützt wurde, fand keine Mehrheit in der Ratsab- den Stadtbezirksbeiratssitzungen und organisierte eine stimmung. Ein zweiter Antrag des Migrantenbeirates Unterschriftenliste, die sich für eine Verbesserung des forderte, zusätzlich zur sozialen Betreuung, finanzi- Wohnens Asylsuchender aussprach und den Rassismus elle Mittel für qualifizierte Sprach- und Kulturmittler_ und andere men- innen bereitzustellen und den Betreuer_innen ein photo: chronik.LE schenverachtende Netzwerk bzw. Pools von Sprach- und Kulturmittler_ Einstellungen kri- innen zur Seite zu stellen. tisierte. Immerhin über 5.400 Men- Und was sag(t)en die Betroffenen? schen solidari- sierten sich in Bei einer Veranstaltung des Initiativkreises Men- dieser Debatte mit schen.Würdig. in der Torgauer Straße und bei per- ihrer Unterschrift. sönlichen Gesprächen mit Heimbewohner_innen äu- Durch Presse- ßerte die überwiegende Mehrheit, dass sie in eigenen mitteilungen und Wohnungen wohnen wolle. Allerdings haben viele Präsenz in den ganz andere Probleme: Residenzpflicht, Arbeitsverbot Beiratssitzungen und geringe Sozialleistungen (bei Redaktionsschluss Auf www.menschen-wuerdig.org und in vielen versuchte der In- am 30. November wird in Leipzig immer noch nicht Geschäften erfolgreich gesammelt. itiativkreis, die der im Juli 2012 vom Bundesverfassungsgericht ge- 14
LEIPZIGER Zustände 2012 forderte SGB II Wohnen im Wohnheim und nicht wie von Bewohner_ screenshot: Bild.de 12.06.2012 - 00:45 Satz an alle Asyl- innen gewünscht, um Leben in Wohnungen handelt. suchende ge- zahlt – Begrün- Wie reagierte die Presse? dung: Umstellung im Computer- Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtete zu- system). nächst in sachlichen Artikeln über die Pläne des So- Weiterhin gibt es zialamtes. Nachdem die Proteste der Bürger_innen in in Leipzig keine Portitz, Wahren und Grünau lauter wurden, räumte die längeren kosten- LVZ diesen Stimmen und Meinungen viel Raum ein losen Deutsch- und reproduzierte mit der unkritischen Übernahme kurse. Ketten- die rassistische Haltung der Bürger_innen. duldungen – also Eine Unterscheidung in LVZ-Print- und Online-Aus- Bild.de-Bericht über die „Wutbürger“ in Grünau: Duldungen, die gabe ist jedoch sinnvoll: Während es auf den On- Sie „kamen, um sich Luft zu machen.“ Kein Wort jedoch zu den rassistischen Ausfällen vor Ort. nur für mehrere line-Seiten der Zeitung immer wieder Beiträge über Wochen gelten Befürworter_innen des städtischen Konzepts und Kri- und nach Ablauf wahrscheinlich verlängert werden – tiker_innen des rassistischen Diskurses gab sowie über führen zu großer Zukunftsunsicherheit und machen Aktionen der Befürworter_innen berichtet wurde, es fast unmöglich, langfristige Lebensperspektiven zu wurden diese Artikel nur sehr selten in der Printau- entwickeln. Der Zugang zur hiesigen Infrastruktur ist flage veröffentlicht. Eine Ausnahme war die Ausgabe schlecht. Viel zu wenige Sozialarbeiter_innen können am Tag nach der Entscheidung des Stadtrates für das und dürfen über rechtliche Angelegenheiten infor- Dezentralisierungskonzept: Es fand sich eine ausführ- mieren. Speziell über das Heim in der Torgauer Straße liche Berichterstattung über die Entscheidung des sagten Geflüchtete oft, dass es zu weit außerhalb liege Stadtrates und es wurde den Befürworter_innen des und völlig marode und trostlos sei. Das Wohnen wird Konzeptes Raum gegeben. Im Nachgang der Debatte als sehr beengt wahrgenommen und die Umzäunung veröffentlichte die LVZ indes immer wieder Leser_ erinnere an ein Gefängnis. Diese Zustände werden seit innenbriefe von Gegner_innen des Konzepts, die vor Jahren von der Stadtverwaltung wissentlich so hinge- allem aus Wahren kamen. nommen, die Bewohner_innen als Menschen zweiter Im Printbereich gibt es in Leipzig, außer der Regional- Klasse behandelt. Geflüchtete wurden und werden in ausgabe der Bild-Zeitung, keine nennenswerte Alter- der ganzen Debatte komplett übergangen. Die Heim- native. In den letzten Jahren erlangte aber die nur On- bewohner_innen wurden erst im Nachhinein über den line verfügbare Leipziger Internet Zeitung (l-iz) Stadtratsbeschluss informiert. Andererseits sind einige etwas mehr Bedeutung. Diese verschlief die Debatte Bewohner_innen auf verschiedenen Kundgebungen zunächst vollkommen. Erst kurz vor der Stadtratsent- aktiv und gaben Interviews für Zeitungen, Radios und scheidung wurde die Berichterstattung intensiviert. Fernsehen. Anders als die LVZ (Printausgabe) wurde in der l-iz – Die antirassistischen, bzw. rassismuskritischen Initi- durch Verweise auf Pressemitteilungen von Initiativen ativen, der Flüchtlingsrat Leipzig, Heimbewohner_ und Parteivertreter_innen – der rassistische Grundton innen, der Migrantenbeirat der Stadt und andere der Debatte immer wieder angesprochen und es wurde Akteur_innen der Zivilgesellschaft, wie Stadtratsmit- ein pluralistischeres Bild gezeichnet. Die l-iz blieb glieder aber auch viele Bürger_innen, versuchten, in auch nach der Debatte am Thema dran und berichtete der Debatte eine humanistische Perspektive zu stärken. immer wieder über die Entwicklungen. Auch überre- So thematisierten sie beispielsweise nicht nur die gional erzeugte das Thema Aufmerksamkeit. Dabei Wohnsituation Geflüchteter, sondern gingen auch auf wurde vor allem der Rassismus einiger Anwohner_ Lebensumstände von Geflohenen ein. Oft wurde auch innen skandalisiert und über die menschenverach- Kritik am städtischen „Dezentralisierungskonzept“ ge- tenden Unterkünfte berichtet. >>> äußert, da es sich bei dem neuen Entwurf wieder um 15
RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG Was bleibt? Chemnitz, die Geflohene in die Landkreise verteilt, ist Die eigentliche Debatte dauerte am Ende zwei Monate. überfüllt. Da beide Heime voll sind, könnte jetzt selbst Die intensive Auseinandersetzung endete nach dem die Stadt ohne größere Genehmigungsverfahren Men- Stadtratsbeschluss, danach war kaum mehr etwas da- schen in Wohnungen unterbringen. rüber zu hören oder zu lesen. Am 1. November mar- schierte die NPD zu einer kurzen Kundgebung vor die Der Initiativkreis Menschen.Würdig. verfasst wei- zukünftige Unterkunft in Wahren auf, in der Hoffnung terhin Pressemitteilungen zum Thema dezentrale Un- von den Anwohner_innen dort empfangen zu werden. terbringung und zum Umgang der Stadt Leipzig mit Dies geschah jedoch nicht. Bis auf einige wenige be- Geflüchteten. Wir planen Veranstaltungen in den schränkten sich die Anwohner_innen auf die übliche Stadtteilen, in denen rassistische Statements die De- Strategie im Umgang mit Nazis: Aktives Wegsehen. batte dominierten. Wir beobachten weiterhin die Um- Die Planung der Stadt sah vor, das Heim in der Tor- setzung des Konzepts der ‚dezentralen‘ Unterbringung gauer Straße bis Ende 2013 in Betrieb zu halten. An- bzw. versuchen im engen Kontakt mit den vom Asyl- fang Dezember soll als erstes neues Heim das Objekt bewerberleistungsgesetz Betroffenen die Umsetzung in der Riebeckstraße für insgesamt 115 Menschen in in einer von ihnen gewünschten Richtung zu beein- Betrieb genommen werden, ebenso das Objekt in der flussen. Wir möchten zusammen mit unseren Partner_ Eythstraße für maximal 28 Menschen mit “erhöhtem inneninitiativen offene Angebote in den Heimen Betreuungsbedarf ”. Die anderen Heime sollen im ausbauen und bessere Beratungsmöglichkeiten für Ge- Laufe des Jahres 2013 eröffnet werden. Das Sozialamt flüchtete schaffen. steht jedoch weiter unter Druck, denn bis Jahresende werden zwischen 200 und 400 Menschen erwartet, für Dabei sind wir aber auf die Hilfe anderer angewiesen. die es Unterkünfte finden muss. Um den Druck ab- Es ist wichtig, sich in die Debatten einzubringen, zum zubauen, werden in der Spittastraße in Lindenau Ge- Beispiel durch Leser_innenbriefe. Es ist eine politi- währleistungswohnungen bereitgestellt, in denen nun sche Strategie, das Thema Migration zu marginali- insgesamt 42 Personen wohnen. sieren und Menschen mit Migrationshintergrund zu Durch die Reduzierung der Plätze in Wahren, Portitz isolieren. Wer will, kann sich gerne mit uns in Ver- und Grünau musste die Stadt jedoch weitere Standorte bindung setzen, um gemeinsam Veranstaltungen zu oder Wohnungen finden. Bis zum Redaktionsschluss planen. Wir möchten gerne Asylsuchende in den schlug das Sozialamt drei weitere Standorte für Heime Heimen besuchen und suchen Leute, die mit uns in Lindenau, Gohlis-Süd und Eutritzsch vor. Während dazu Konzepte entwickeln, um auf möglichst gleich- in der Spittastraße explizit temporäre Notunterkünfte berechtigter Ebene mit den Betroffenen in Kontakt zu bereitgestellt werden, handelt es sich bei den drei treten. Eigentlich ist es jederzeit möglich in die Heime neuen Objekten um vorerst dauerhafte, die in das Un- zu gehen – ausgenommen für die Durchführung von terbringungskonzept implementiert werden. Mit einer rechtlichen Beratungen – und die Bewohner_innen sinkenden Zahl von Menschen, die aus ganz verschie- oder die Sozialarbeiter_innen anzusprechen und denen Gründen in Deutschland Asyl suchen, ist gene- mit ihnen etwas zu unternehmen. Es ist wichtig, die rell nicht zu rechnen. Grenze, welche der Staat zwischen Menschen anhand Derzeit kommen viele Geflüchtet aus dem Sudan, Ru- ihres Passes zieht, aufzubrechen und an Stelle dieser anda, Libyen, dem Balkan (vor allem Roma) und aus Grenze Verbindungen auf Augenhöhe aufzubauen. Syrien, Iran, Irak, den palästinensischen Gebieten und Indien an. Die zentrale Aufnahmestelle für Sachsen in www.menschen-wuerdig.org 16
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