Dossier Politik und Jugend - Jugendstiftung Baden-Württemberg
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© Jugendstiftung Baden-Württemberg Dossier Politik und Jugend Erstmalig wurden in der Jugendstudie Baden-Württemberg Fragen zum Themenbereich „Politik“ gestellt. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie Jugendliche in Baden-Württemberg Demokratie sehen, inwiefern sie sich selbst aktiv poli- tisch beteiligen und wenn ja, in welchen Themenfeldern sie dies tun. Die Ergebnisse zu diesem Themenfeld haben ein breites Medienecho ausgelöst und zu Diskussionen unter politischen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern und bei Fachkräften der Jugendbildung geführt. Diese Diskussionen, die sicher- lich fortgeführt werden, möchten wir mit weiteren Informationen begleiten. Deshalb haben wir die Ergebnisse von „Politik und du“ mit weiteren Ergebnissen der Jugendstudie korreliert. Diese Darstellung finden Sie im Anschluss an die bisher ver- öffentlichten Daten. Des Weiteren stellen wir Ihnen eine kurze Auswertung weiterer Studien zur Verfügung, die sich mit gleichen oder ähnlichen Fragestellungen in den letzten Jahren beschäftigt haben. Damit wird teilweise eine „Trendbewertung“ der Ergebnisse der Jugendstudie Baden-Württemberg ermöglicht. Diese kann die Jugendstudie Baden-Württemberg für das Themenfeld Politik nicht leisten, da es erstmals erhoben wurde.
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Jugendstudie Baden-Württemberg 2020: Politik und du Abb. 60: Engagierst du dich in deinem Umfeld (Schule oder Wohnort) Politisches Interesse und Engagement bei politischen Themen? (Ergebnisse allgemein und nach für politische Themen Geschlecht) Im Zusammenhang mit der Fridays-for-Future-Bewegung N = 2.311 Alle Angaben in Prozent wurde das Politikinteresse von Jugendlichen vielfach thema tisiert. Die Ergebnisse der Jugendstudie Baden-Württem- ja 21,2 berg 2020 bestätigen nun, dass ein erheblicher Teil der nein 75,9 Jugendlichen sich für Politik interessiert. Mehr als ein Fünf- keine Angabe 2,8 tel der Befragten geben an, sich in ihrem Umfeld (Schule oder Wohnort) bei politischen Themen zu engagieren. In 0 25 50 75 100 absoluten Zahlen sind dies 491 Jugendliche. männlich weiblich Interessant ist, dass im Themenfeld „Engagement“ der vor- liegenden Studie bei einer ähnlichen Fragestellung1 etwas ja 22,8 weniger als 1 Prozent der Befragten sagen, sich im Be- 19,6 reich „Politik“ ehrenamtlich zu engagieren. Dies stellt je- 73,9 nein 78,0 doch keinen Widerspruch dar, da beim Thema „Engage- keine Angabe 3,3 ment“ die Übernahme einer verantwortlichen Funktion 2,4 abgefragt wurde. Stellt man diese Ergebnisse gegenüber, 0 25 50 75 100 lässt sich vermuten, dass ein Fünftel der Jugendlichen im eigenen Umfeld politisch aktiv ist, ohne dies in ehrenamt- lich organisierter Form zu tun. Darunter könnte zum Bei- spiel fallen, im Klassenverband, im Freundeskreis, in der Familie oder vielleicht in Konversationen in sozialen Netz- werken zu politischen Fragen Position zu beziehen oder sich generell an Debatten zu politischen Fragestellungen zu beteiligen. Vermutlich fassen Jugendliche auch die Teil- nahme an Demonstrationen oder Flashmobs tendenziell nicht als ehrenamtliches, jedoch als politisches Engage- ment auf, wenn sie dies nicht mit einer institutionalisierten Gruppe wie einem Verein tun. Zur empirischen Über prüfung dieser Hypothesen wären bei künftigen Jugend studien Zusatzfragen nach der Form des Engagements in Betracht zu ziehen. 1 Im Kapitel „Engagement“ des Fragebogens wird den Jugendlichen als Erstes die Frage gestellt: „Arbeitest du in deiner Freizeit ehrenamtlich mit, das heißt, ohne dafür, „richtig“ Geld zu bekommen“. Bejahen sie diese Fragen, sind sie dazu aufgefordert, den Bereich, in dem sie sich engagieren, zu nennen (Frage 4b des Fragebogens). Hier gibt es 12 Themenbereiche zur Auswahl, darunter „Politik“, von denen sie bis zu drei ankreuzen können. 2 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Abb. 61: Engagierst du dich in deinem Umfeld (Schule oder Wohnort) Die familiäre Herkunft hat offenbar keinen erkennbaren bei politischen Themen? (Ergebnisse nach Schulart und Einfluss auf das politische Engagement im eigenen Um- nach familiärer Herkunft) feld: Sowohl bei den Jugendlichen, bei denen ein Eltern- teil oder beide Elternteile nicht in Deutschland geboren N = 2.311 Alle Angaben in Prozent sind als auch bei den Jugendlichen, deren Eltern beide in Gymnasium Realschule Werkrealschule/Hauptschule Deutschland geboren sind, liegt der Anteil derer, die von Gemeinschaftsschule sich sagen, dass sie sich im eigenen Umfeld politisch enga gieren, bei rund 21 Prozent. 19,8 ja 21,3 21,6 27,7 78,6 Abb. 62: Wenn ja, bei welchen Themen? nein 75,4 70,9 68,4 1,7 N = 2.311 Alle Angaben in Prozent Mehrfachnennungen möglich keine Angabe 3,2 7,5 3,9 Natur/Umwelt 13,6 0 25 50 75 100 Menschenrechte 9,5 Interessen von Jugend- 4,6 beide Eltern in Deutschland geboren lichen am Wohnort beide Eltern oder ein Elternteil nicht in Deutschland geboren Gestaltung des 4,5 Schullebens 21,1 ja Integration 4,2 21,4 76,5 nein 75,3 0 10 20 30 40 50 2,4 keine Angabe 3,3 0 25 50 75 100 Von den Jugendlichen, die angeben, sich in ihrem Umfeld bei politischen Themen zu engagieren, wollten wir wissen, Die familiäre Herkunft hat auf das politische Engagement im eigenen Umfeld offensichtlich keinen Einfluss. in welchen Themenbereichen sie aktiv sind. Angesichts der zum Zeitpunkt der Durchführung der Befragung präsenten Fridays-for-Future-Bewegung überrascht es nicht, dass das Themenfeld „Natur/Umwelt“ mit rund 14 Prozent das Ausgewertet nach Schularten, fallen die Antworten zum am häufigsten genannte ist.2 Rund zehn Prozent aller Be- Thema politisches Engagement nicht sehr unterschiedlich fragten sagen, dass sie sich in ihrem Umfeld beim Thema aus: Bei den Gemeinschaftsschülerinnen und -schülern ist „Menschenrechte“ engagieren. der Anteil jener, die angeben, sich im eigenen Umfeld poli tisch zu engagieren mit 27,7 Prozent etwas höher als bei den anderen Befragten. Jugendliche an Haupt- und Werk realschulen liegen mit Werten knapp über 21 Prozent im Schnitt, die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit einem Anteil von 19,8 Prozent geringfügig unter dem Schnitt. 2 Auf Seite 92 der Jugendstudie Baden-Württemberg 2020 werden zentrale Ergebnisse einer SINUS-Studie zu „Fridays for Future und Klimaschutz“ vorgestellt. | Dossier Politik und Jugend 3
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Abb. 63: Wie wichtig sind dir politische Themen? Bei dieser Gegenüberstellung der Studienergebnisse sollte (Ergebnisse allgemein und nach Geschlecht) jedoch berücksichtigt werden, dass die befragte Alters- gruppe nicht identisch ist3 und die Fragestellungen sowie N = 2.311 Alle Angaben in Prozent die Antwortmöglichkeiten zwar ähnlich, jedoch nicht exakt gleich sind.4 sehr wichtig 11,3 wichtig 54,3 Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass unwichtig 29,6 der Anteil derer, die kein Interesse für politischen Themen keine Angabe 4,8 zeigen, mit rund 30 Prozent nicht unerheblich ist. Er stellt deshalb gleichzeitig einen Indikator für den Bedarf an 0 25 50 75 100 qualitativ hochwertigen und auf die Zielgruppe der Jugend- lichen zugeschnittene Angebote der politischen Bildung männlich weiblich und der Demokratieförderung dar. 13,6 sehr wichtig 9,0 Abb. 64: Wie wichtig sind dir politische Themen? 49,8 (Ergebnisse nach Schulart) wichtig 58,8 31,8 unwichtig 27,4 N = 2.311 Alle Angaben in Prozent 4,8 keine Angabe 4,7 Gymnasium Realschule Werkrealschule/Hauptschule Gemeinschaftsschule 0 25 50 75 100 14,1 Ungefähr zwei von drei Jugendlichen sind politische Themen 8,3 sehr wichtig 11,9 wichtig oder sehr wichtig. 9,1 60,8 wichtig 49,2 38,8 51,1 Über 65 Prozent der in der Jugendstudie Baden-Württem- 21,9 berg 2020 befragten Jugendlichen sagen, dass ihnen poli unwichtig 36,4 38,8 tische Themen „wichtig“ oder „sehr wichtig“ sind. Damit 35,5 3,1 liegen sie im Trend: Die aktuelle Shell Jugendstudie 2019 6,0 keine Angabe 10,4 trägt den Untertitel „Eine Generation meldet sich zu Wort“ 4,3 und bescheinigt der aktuellen Jugend einen relativ hohen Politisierungsgrad. 45 Prozent der Befragten bezeichnen 0 25 50 75 100 sich in der Shell Jugendstudie selbst als politisch „interes- Gymnasiastinnen und Gymnasiasten zeigen ein deutlich siert“ oder „stark interessiert“. Stellt man diesen Werten die höheres Interesse an politischen Themen als Jugendliche an Ergebnisse der Jugendstudie Baden-Württemberg 2020 anderen Schularten. gegenüber, wonach 65 Prozent der Jugendlichen politische Themen wichtig oder sehr wichtig sind, scheinen Jugend liche in Baden-Württemberg überdurchschnittlich stark an politischen Themen interessiert zu sein. 3 Bei der Jugendstudie Baden-Württemberg werden Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren befragt. In der Shell Jugendstudie differieren die Altersgruppen teil- weise je nach Fragestellung. Bei der Frage nach dem politischen Interesse wurden 15- bis 24-jährige Jugendliche befragt. 4 Die Fragestellung in der Shell Jugendstudie 2019 lautete: „Interessierst du dich ganz allgemein für Politik? Würdest du sagen, du bist stark interessiert, interessiert, wenig interessiert, gar nicht interessiert?“ (vgl. 18. Shell Jugendstudie 2019, S. 49). 4 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Wie stark das politische Interesse bei Jugendlichen aus- Mädchen zeigen in der Jugendstudie ein geprägt ist, hängt wesentlich vom Bildungsgrad ab: etwas größeres Interesse an politischen 74,9 Prozent der an Gymnasien befragten Jugendlichen Themen als Jungen, setzen es aber seltener sagen, dass ihnen politische Themen „wichtig“ (60,8 Pro- in Engagement im eigenen Umfeld um zent) oder „sehr wichtig“ (14,1 Prozent) sind. Auf Platz 2, mit deutlichem Abstand, folgen die Gemein- Mit 68 Prozent ist der Anteil der Mädchen, die in der schaftsschülerinnen und -schüler mit einem Anteil von Jugendstudie Baden-Württemberg sagen, dass ihnen 60,2 Prozent, denen politische Themen „wichtig“ (51,1 politische Themen „wichtig“ oder „sehr wichtig“ sind, um Prozent) oder sogar „sehr wichtig“ (9,1 Prozent) sind. Die 5 Prozentpunkte höher als bei den Jungen (63 Prozent). Jugendlichen, die wir an Realschulen befragt haben, sagen Dass ihnen Politik unwichtig sei, sagen 32 Prozent der nur zu einem Anteil von 57,5 Prozent, dass ihnen politische Jungen und 27 Prozent der Mädchen. Themen wichtig sind – davon entfallen knapp 50 Prozent Dieses etwas größere Interesse der befragten Mädchen auf die Antwort „wichtig“ und 8,3 Prozent auf die Antwort für politische Themen schlägt sich aber offensichtlich nicht „sehr wichtig“. Bei den befragten Haupt- und Werkrealschü- in einem höherem Engagement für politische Themen im lerinnen- und -schülern interessiert sich nur jede/r Zweite eigenen Umfeld nieder. Ein solches Engagement bestäti- für politische Themen, 38,8 Prozent von ihnen finden politi- gen 20 Prozent der Mädchen und 23 Prozent der Jungen. sche Themen „wichtig“ und 11,9 Prozent „sehr wichtig“. Damit gibt es wohl bei Jungen als auch bei Mädchen eine Lücke zwischen der Aussage, dass sie politische Themen Analog dazu fällt die Reihenfolge umgekehrt aus, wenn „wichtig“ oder „sehr wichtig“ finden und einem tatsäch man die Anteile der Jugendlichen, die sagen, dass ihnen lichen Engagement im eigenen Umfeld bei politischen politische Themen unwichtig sind, nach Schularten be- Themen. Diese Lücke ist bei den Mädchen etwas größer trachtet: Hier ist der Anteil bei den Befragten an Haupt- als bei den Jungen. und Werkrealschulen am höchsten (38,8 Prozent) und bei den Jugendlichen an Gymnasien am niedrigsten (21,9 Pro- Dieser geschlechtsspezifische Unterschied ist nicht ganz zent). Die Unterschiede zwischen Jugendlichen an Real- überraschend. Denn bei der Bewertung der eigenen poli- schulen, Werk-/Hauptrealschulen und Gemeinschafts tischen Kompetenzen gibt es einen „Gender Gap“, der sich schulen fallen bei dieser Antwort gering aus. in einer Studie des SVR-Forschungsverbunds unter ande- rem darin zeigt, dass bei den befragten Männern das Zu- Bei den Antworten fällt außerdem auf, dass jede/r Zehnte trauen, sich „an einem Gespräch über politische Fragen zu von uns befragte Jugendliche an Werk-/Hauptrealschulen Deutschland aktiv zu beteiligen“ sowie die Aussage „wich- die Frage nach dem eigenen politischen Interesse unbeant- tige politische Fragen kann ich gut verstehen und ein- wortet gelassen hat. Die Frage nach der Zufriedenheit mit schätzen“ deutlich höhere Zustimmungswerte erreichen unserer Demokratie in Deutschland ließ sogar ein Siebtel als bei den befragten Frauen.6 der Haupt- und Werkrealschülerinnen und -schüler un beantwortet. Dies könnte auf ein geringeres Zutrauen oder Interesse hinweisen, sich zu Fragen im Themenbereich „Politik“ einzubringen, wie es in Untersuchungen zum Thema „politische Selbstwirksamkeit“ bei Menschen mit geringerem Bildungsgrad beobachtet wird.5 5 Vgl. zu diesem Konzept die Ausführungen weiter unten in diesem Kapitel. 6 Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungsbereich) 2019: Mit der Politik auf Du und Du? Wie Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ihre politische Selbstwirksamkeit wahrnehmen“, Policy Brief des SVR-Forschungsbereichs und des DeZIM- Instituts, Berlin, S. 14-16. Dossier Politik und Jugend | 5
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Hier sind Angebote der politischen Bildung gefragt, die zufrieden“ oder „zufrieden“. Unzufrieden sind hingegen die politische Selbstwirksamkeit von Mädchen fördern 23 Prozent der Befragten. und Mädchen darin bestärken, sich zu politischen Frage stellungen zu äußern. Politisch interessierte junge Frauen Die Shell Jugendstudie 2019 fragte Jugendliche im Alter von sollten dazu ermutigt und darin unterstützt werden, sich 15 bis 25 Jahren nach ihrer Zufriedenheit mit der Demo in Jugendorganisationen von Parteien oder anderen Orga- kratie in Deutschland. Dabei äußerten sich 12 Prozent der nisationen politisch zu engagieren. Dabei sind Bildungs befragten westdeutschen Jugendlichen als „sehr zufrieden“ angebote zentral, die Mädchen darin fördern, öffentlich das und 65 Prozent als „zufrieden“ und „eher zufrieden“ mit der Wort zu ergreifen. Hier bestehen offenbar geschlechtsspe- deutschen Demokratie. Das sind etwas höhere Zufrieden- zifische Unterschiede, dergestalt, dass Jungen sich dies eher heitswerte, als sie die baden-württembergischen 12- bis zutrauen – und dies obwohl Mädchen gemeinhin im Schnitt 18-jährigen Jugendlichen zeigen.7 eine höhere Kommunikationskompetenz zugeschrieben wird. Abb. 66: Wie zufrieden bist du mit unserer Demokratie in Deutschland? (Ergebnisse nach familiärer Herkunft) Abb. 65: Wie zufrieden bist du mit unserer Demokratie in Deutschland? N = 2.311 Alle Angaben in Prozent beide Eltern in Deutschland geboren N = 2.311 Alle Angaben in Prozent beide Eltern oder ein Elternteil nicht in Deutschland geboren sehr zufrieden 8,5 sehr zufrieden 8,8 7,9 zufrieden 61,5 63,9 unzufrieden 22,7 zufrieden 58,6 keine Angabe 7,2 unzufrieden 21,0 24,7 6,3 0 25 50 75 100 keine Angabe 8,8 70 Prozent der baden-württembergischen Jugendlichen sind mit der Demokratie in Deutschland „sehr zufrieden“ bzw. „zufrieden“. 0 25 50 75 100 Jugendliche mit Migrationsgeschichte sind fast so zufrieden mit unserer Demokratie wie Jugendliche, deren Eltern beide in Deutschland geboren sind. Die Zufriedenheit mit der Demokratie überwiegt Betrachtet man die Ergebnisse nach familiärer Herkunft Auch zum „großen Ganzen“ haben wir Jugendliche in fallen die Unterschiede recht gering aus: Jugendliche, deren Baden-Württemberg befragt. Wie zufrieden sie mit Eltern beide in Deutschland geboren sind, sind mit 72,7 unserer Demokratie sind? Prozent etwas zufriedener mit unserer Demokratie (Ant- Mit einem Anteil von genau 70 Prozent zeigt sich eine worten „sehr zufrieden“ und „zufrieden“ in Addition) als deutliche Mehrheit der baden-württembergischen die Jugendlichen, bei denen dies nicht der Fall ist (66,5 Pro- Jugendlichen mit der Demokratie in Deutschland „sehr zent). 7 In der Shell Jugendstudie zeigt sich, dass die ostdeutschen Jugendlichen weniger mit der Demokratie in Deutschland zufrieden sind als die gleichaltrigen West- deutschen: 10 Prozent sagen, dass sie „sehr zufrieden“ sind, jedoch nur vergleichsweise geringe 56 Prozent sind „zufrieden“ mit unserer Demokratie (vgl. 18. Shell Jugendstudie, S. 91). 6 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Abb. 67: Wie zufrieden bist du mit unserer Demokratie in Abb. 68: Wie zufrieden bist du mit unserer Demokratie in Deutschland? (Ergebnisse nach Schulart) Deutschland? (Ergebnisse nach Geschlecht) N = 2.311 Alle Angaben in Prozent N = 2.311 Alle Angaben in Prozent Gymnasium Realschule Werkrealschule/Hauptschule männlich weiblich Gemeinschaftsschule 10,4 sehr zufrieden 6,7 9,0 sehr zufrieden 8,3 55,7 8,2 zufrieden 7,4 67,5 67,9 27,7 56,9 unzufrieden zufrieden 17,6 48,5 56,7 6,2 keine Angabe 8,2 17,3 unzufrieden 27,0 29,1 28,6 0 25 50 75 100 5,9 keine Angabe 7,8 Die Jungen sind mit unserer Demokratie weniger zufrieden als 14,2 7,4 die Mädchen. 0 25 50 75 100 Bei dieser Frage zeigen sich deutliche Geschlechterunter Bei der Demokratiezufriedenheit zeigen sich deutliche Unter- schiede nach Schulart. schiede: Bei den Mädchen ist der Anteil derer, die mit unserer Demokratie „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“ sind, um mehr als zehn Prozent höher als bei Jungen. Wie zufrieden die befragten Jugendlichen mit unserer Woher dieser Unterschied rührt, ist unklar. Vielleicht Demokratie sind, schwankt hingegen stark nach Schul- spielt eine Rolle, dass Jungen (wie oben dargelegt) eher art. So sagen nur knapp über die Hälfte der Jugendlichen als Mädchen geneigt sind, ihre Missbilligung bei politischen an Haupt- oder Werkrealschulen, dass sie mit unserer Themen zum Ausdruck zu bringen. Wünschenswert wäre, Demokratie „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ sind – da- wenn sich diese deutlich positivere Grundhaltung von Mäd- mit liegen sie fast 15 Prozentpunkte unter dem Schnitt. chen gegenüber demokratischen Werten in einer paritäti- Aufgrund der relativ geringen Fallzahl der an Werk-/ schen Mitwirkung in politischen Gremien künftig wider- Hauptrealschulen befragten Jugendlichen sollten diese spiegelt. Ergebnisse mit entsprechender Zurückhaltung analysiert werden. Um allgemeingültige Aussagen treffen zu kön- nen, müsste eine deutlich größere Anzahl von Haupt- und Werkrealschülern zu Grunde gelegt werden. 67 Prozent der an Gymnasien befragten Jugendlichen sind mit unserer Demokratie „zufrieden“, 9 Prozent sogar „sehr zufrieden“. Jugendliche an Realschulen und Gemein- schaftsschulen zeigen mit Zustimmungswerten von rund 64 Prozent (Gemeinschaftsschulen) respektive 65 Prozent (Realschulen) ähnliche Zufriedenheitswerte. | Dossier Politik und Jugend 7
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Angebote der politischen Bildung aus Sicht [ohne Grafik] Aufgeschlüsselt nach familiärer Herkunft der Jugendlichen zeigen sich bei dieser Fragestellung keine Unterschiede. Bei beiden Antwortmöglichkeiten liegen die beiden ge- Die Rolle von Angeboten der politischen Bildung wurde bildeten Gruppen maximal 0,9 Prozentpunkte über oder bereits mehrfach angesprochen. unter dem Gesamtergebnis. Wir haben die Jugendliche in der Jugendstudie Baden- Württemberg auch genau nach diesem Punkt gefragt: wie sie das vorhandene politische Bildungsangebot für Abb. 70: Ist deiner Meinung nach das jugendgerechte Angebot zur Jugendliche beurteilen. politischen Bildung ausreichend? (Ergebnisse nach Schulart) N = 2.311 Alle Angaben in Prozent Abb. 69: Ist deiner Meinung nach das jugendgerechte Angebot zur Gymnasium Realschule Werkrealschule/Hauptschule politischen Bildung ausreichend? Gemeinschaftsschule 34,5 N = 2.311 Alle Angaben in Prozent ja 39,9 29,9 39,0 ja 36,7 57,7 nein 48,9 55,2 nein 53,8 52,8 keine Angabe 9,5 7,8 keine Angabe 11,2 14,9 8,2 0 25 50 75 100 0 25 50 75 100 54 Prozent der befragten Jugendlichen sind der Auffassung, dass es kein ausreichendes jugendgerechtes politisches Bildungs angebot gibt. Die Unzufriedenheit mit dem Angebot zur politischen Bil- dung ist unter allen Jugendlichen an allen Schularten aus- Um die Bedarfslücken aus Sicht der Jugendlichen zu iden- geprägt. Am größten ist sie bei den Jugendlichen, die ein tifizieren und die Interessen und Informationsbedarfe bei Gymnasium besuchen. Von ihnen sagen 57,7 Prozent, der Angebotserstellung zu berücksichtigen, wird Trägern dass das jugendgerechte Angebot zur politischen Bildung von politischen Bildungsangeboten empfohlen, mit Jugend nicht ausreicht. lichen darüber in Dialog zu treten. Jugendliche sollten ein Möglicherweise stellen Gymnasiastinnen und Gymnasias- Forum dafür bekommen, sich aktiv mit ihren Vorschlägen ten höhere Ansprüche im Bereich politische Bildung an das und Wünschen einzubringen. Dies gewährleistet, dass die Bildungssystem als die Jugendliche an anderen Schularten, tatsächlichen Bedarfe getroffen werden und Formate ent- da sie – wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie zei- wickelt werden, die Jugendliche ansprechen.8 gen – ein deutlich größeres Interesse an politischen The- men haben. 8 Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die 2019 unter dem Titel „Wer hat, dem wird gegeben. Politische Bildung an Schulen“ erschienen ist, bietet eine breit an- gelegte Bestandaufnahme der politischen Bildung an Schulen in Deutschland, unter Berücksichtigung von Angeboten außerschulischer Akteure. Die Veröffent lichung zeigt dabei auch Ungleichheiten auf und beschreibt konkrete Handlungsempfehlungen für die politische Bildung. Für die Studie wurden 3.378 Schülerinnen und Schüler in 15 Bundesländern (alle mit Ausnahme von Bayern) befragt, darunter 269 Schülerinnen und Schüler aus Baden-Württemberg. Eine pdf-Version der Veröffentlichung ist abrufbar unter http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/15611.pdf (letzter Aufruf: 01.04.2020). 8 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Abb. 71: Hast du schon einmal ein Angebot zur politischen Bildung Abb. 72: Hast du schon einmal ein Angebot zur politischen Bildung außerhalb der Schule wahrgenommen? außerhalb der Schule wahrgenommen? (Ergebnisse nach Schulart) N = 2.311 Alle Angaben in Prozent N = 2.311 Alle Angaben in Prozent ja 19,0 Gymnasium Realschule Werkrealschule/Hauptschule nein 76,5 Gemeinschaftsschule keine Angabe 4,5 22,4 ja 15,5 16,4 0 25 50 75 100 16,9 75,3 Fast ein Fünftel der befragten Jugendlichen hat schon einmal 78,4 nein 70,1 ein außerschulisches Angebot zur politischen Bildung wahr 78,8 genommen. 2,3 keine Angabe 6,0 13,4 4,3 Ein Angebot der politischen Bildung außerhalb der Schule 0 25 50 75 100 hat fast ein Fünftel der Befragten schon einmal wahr Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben schon häufiger genommen. Wie Jugendliche zu außerschulischen Ange- ein externes politisches Bildungsangebot wahrgenommen als boten der Demokratieförderung oder politischen Bildung Jugendliche an den anderen weiterführenden Schulen. kommen, welcher Art diese Angebote sind und mit wel- chen Motiven und Ergebnissen die Jugendlichen daran teil- nehmen, wären interessante Fragen für künftige Untersu- Mehr als ein Fünftel aller befragten Gymnasiastinnen und chungen zu politischen Bildungsangeboten für Jugendliche Gymnasiasten hat schon einmal außerhalb der Schule ein in Baden-Württemberg. Angebot der politischen Bildung wahrgenommen. Bei den Jugendlichen, die eine Realschule, Werk-/Hauptrealschule oder eine Gemeinschaftsschule besuchen, trifft dies etwas seltener zu. Hier liegen die Werte bei 15,5 Prozent (Real- schule), 16,4 Prozent (Werk-/Hauptrealschule) und 16,9 Prozent (Gemeinschaftsschule). [ohne Grafik] Bei der Auswertung nach familiärer Herkunft zeigen sich ebenfalls leichte Unterschiede: Der Anteil der Jugendlichen, die bereits an einem außerschulischen An gebot zur politischen Bildung teilgenommen hat, ist bei den Jugendlichen, deren Eltern beide in Deutschland geboren sind, mit 20,5 Prozent etwas größer, als bei den Jugend lichen, die mindestens einen nicht in Deutschland gebore- nen Elternteil haben (16,5 Prozent). Dossier Politik und Jugend | 9
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Unzufrieden mit der Demokratie – was steckt dahinter? 22,7 Prozent der befragten Jugendlichen sagen, sie seinen wünschen und damit die aktuelle persönliche Skepsis be- unzufrieden mit der Demokratie. Die Jugendstudie Baden- gründen. Ebenso ist es möglich, dass bei den Unzufriede- Württemberg hat nicht nach den Gründen gefragt. Deshalb nen das Interesse an Politik unterdurchschnittlich ist. Die ist die Vermutung, rund ein Fünftel der Jugendlichen, seien Korrelationen mit anderen Ergebnissen der Jugendstudie mit der demokratischen Organisiertheit von Gesellschaft liefern für diese Vermutungen zumindest Hinweise und und Staat als solche unzufrieden, Spekulation. Ebenso machen ein Profil der „Unzufriedenen“ in groben Zügen gut könnte ein Teil der „Unzufriedenen“ mehr Demokratie kenntlich. Mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedene Jugendliche unter den Befragten Gesamtheit der befragten Jugendlichen 74,1 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 74,1 Jugendlichen sind der Meinung, dass es nicht ausreichend jugend 53,8 gerechte Angebote zur politischen Bildung gibt. Von allen Befragten sagen das lediglich 53,8 %. 35,6 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 35,6 Jugendlichen sind politische Themen unwichtig. Von allen Befragten 29,6 sagen das lediglich 29,6 %. 28,1 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 28,1 Jugendlichen, die Soziale Netzwerke nutzen, sind länger (4 Stunden 20,8 und mehr) in Sozialen Netzwerken unterwegs. Von allen Befragten sagen das lediglich 20,8 % . 21,1 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 21,1 Jugendlichen fühlen sich in ihrer Klasse nicht wohl. Von allen Befragten 12,5 sagen das lediglich 12,5 %. 24,4 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 24,4 Jugendlichen fühlen sich in ihrer Schule nicht wohl. Von allen Befragten 15,9 sagen das lediglich 15,9 %. 4,6 % der mit der Demokratie in Baden-Württemberg unzufriedenen 4,6 Jugendlichen fühlen sich in ihrem Freundeskreis nicht wohl. Von allen 3,2 Befragten sagen das lediglich 3,2 %. 10 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendliche, die äußern, sie seien unzufrieden mit der Demokratie, deut- lich überdurchschnittlich der Meinung sind, es gäbe nicht genügend jugendgerechte Angebote zur politischen Bil- dung. Gleichzeitig ist das Interesse an politischen Themen unterdurchschnittlich ausgeprägt. Unzufriedene Jugendliche verbringen deutlich mehr Zeit in sogenannten Sozialen Netzwerken, fühlen sich in ihrer Schulklasse, in ihrer Schule und im Freundeskreis unwoh- ler als die befragte Grundgesamtheit. Im folgenden finden Sie Jugendstudien, die sich mit ähnli- chen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. | Dossier Politik und Jugend 11
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Politik und Jugend – Studien im Vergleich Zunächst eine kurze Anmerkung zum Begriff der „Demo- Ganz allgemein an Politik bin ich kratiezufriedenheit“. in % Shell 2015 Shell 2019 Damit kann eine Bewertung von Demokratie als Staats- form und als gesellschaftliches Regelungssystem ver- stark interessiert 7 8 standen werden oder aber die Zufriedenheit mit dem tat- interessiert 36 33 sächlichen Funktionieren von Demokratie in der allgemei- wenig interessiert 39 39 nen Lebenspraxis. Die letztgenannte pragmatische Be- gar nicht interessiert 18 20 stimmung entspricht der Fragestellung der Jugendstudie weiß nicht / keine Angabe 0 0 Baden-Württemberg. Quelle: Shell Jugendstudie 2019, S. 50 Politisches Interesse nach Geschlecht Die Shell Jugendstudien 2015 und 2020 in % Shell 2015 Shell 2019 Die Shell Jugendstudie untersucht die Lebenswelt der 12- männlich 49 44 bis 25-Jährigen in Deutschland. Wichtig ist hier der Hin- weiblich 36 38 weis, dass es sich im Gegensatz zur Jugendstudie Baden- Prozentzahlen der jungen Männer bzw. Frauen, die auf die Frage „Interessierst du dich ganz allgemein für Politik?“ mit „stark interessiert“ oder „interessiert“ ge- Württemberg um keine Jugendstudie im eigentlichen antwortet haben, zusammengerechnet. Sinne handelt, sondern um die Befragung Jugendlicher Quelle: Shell Jugendstudie 2019, S. 51 und junger Erwachsener. So sind die Fragestellungen ver- gleichbar, die Befragten weisen jedoch eine abweichende Altersstruktur auf. Politisches Interesse nach Alter in % Shell 2015 Shell 2019 Die Frage nach politischem Interesse wird in der Shell Jugendstudie seit 1984 gestellt. Die Fragestellung lautet: 12-14 Jahre 21 19 „Interessierst du dich ganz allgemein für Politik? Würdest 15-17 Jahre 39 38 du sagen, du bist stark interessiert, interessiert, wenig in- 18-21 Jahre 48 45 teressiert oder gar nicht interessiert?“ 22-25 Jahre 53 52 Quelle: Shell Jugendstudie 2019, S. 51 Die Shell Jugendstudie stellt seit dem Jahr 2002 eine Trend- wende fest. Ab 2002 ist ein zunehmendes politisches Inte- resse bis 2016 (17. Shell Jugendstudie 2015, Schneekloth, Politisches Interesse nach Statuspassage9 S. 157) zu verzeichnen. in % Shell 2015 Shell 2019 2019 ist ein leichter Rückgang festzustellen, dennoch bleibt das gestiegene Interesse an Politik weitgehend sta- Schüler insgesamt 32 32 bil (18. Shell Jugendstudie 2019, S. 49). Der Anteil jener, die an Nicht-Gymnasien 23 25 von sich sagen, sie seien an Politik „stark interessiert“, hat an Gymnasien 43 41 sogar leicht zugenommen. Quelle: Shell Jugendstudie 2019, S. 51 9 „Statuspassage“ bezeichnet die Schulart der Befragten. 12 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Die Fragestellung lautet: „Wie zufrieden oder unzufrieden bist du – alles in allem – mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht?“ In % Shell 2015 Shell 2019 Bund West Ost Bund West Ost sehr zufrieden 12 13 5 12 12 10 eher zufrieden 63 64 49 65 66 56 eher unzufrieden 18 16 33 17 16 24 sehr unzufrieden 4 3 10 3 3 6 keine Angabe 3 4 3 3 3 4 Quelle: Shell Deutschland Holding (Hg.): JUGEND 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. 18. Shell Jugendstudie. Beltz, Weinheim. Bemerkenswert ist der deutliche Sprung bei den mit der Hier wurde die Bewertung der Bedeutung von Politik, im Demokratie in Deutschland sehr Zufriedenen in Ost- Vergleich zu acht anderen Lebensbereichen vorgenommen: deutschland von 5 auf 10 % in den Jahren 2015 bis 2019; Eltern und Geschwister, Freizeit und Erholung, Freunde ebenso bei den „eher Zufriedenen“ (von 49 % auf 56 %), und Bekannte, eigene Familie und Kinder, Engagement in während diese Werte bei den Jugendlichen in West- Vereinen/Verbänden, Religion. deutschland weitgehend auf dem gleichen Level bleiben. Während 2015 nur etwas mehr als jeder zweite ostdeut- Politik landet hier auf dem vorletzten Platz (vor Religion). sche Jugendliche mit der Demokratie in Deutschland „eher“ Von den Mädchen wird dieser Lebensbereich noch niedri- oder „sehr“ zufrieden war, sind es 2019 etwa zwei Drittel. ger bewertet als von den befragten Jungen. Mit Verweis auf eine Zeitreihenstudie van Deth bemerken Diese Ergebnisse decken sich in etwa bei leicht abgewan- die Autoren, dass das relativ geringe Interesse von Jugend- delter Fragestellung und nicht ganz deckungsgleicher Ziel- lichen an Politik kein jugendspezifisches Phänomen ist, gruppe mit den Werten der Jugendstudie Baden-Württem- sondern auch für Erwachsene gilt. berg. Als wesentliche Einflussfaktoren auf das politische Inte- Bei den westdeutschen Jugendlichen fallen die Ergebnisse resse nennen die Autorinnen und Autoren Lebensalter, für die Antwortmöglichkeiten „sehr unzufrieden“ und „eher Geschlecht und Bildung. Daraus folgt unzufrieden“ 2015 und 2019 exakt gleich aus: jeweils 16 % • Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Interesse eher unzufrieden, 3 % sehr unzufrieden. an Politik: insbes. vom Jugendalter zum jungen Er wachsenenalter, in abgeschwächter Form auch noch im Erwachsenalter. • Gender Gap: Mädchen und junge Frauen zeigen sich Ergebnisse der FES-Studie weniger interessiert an Politik als Jungen und junge „Jung – politisch – aktiv“ Männer. Politische Einstellungen und politisches Engagement jun- (Siehe S. 35 der Zusammenfassung) ger Menschen, 2015. Wolfgang Gaiser, Stefanie Hanke, Kerstin Ott (Hg.) Befragt wurden über 2.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren. | Dossier Politik und Jugend 13
© Jugendstiftung Baden-Württemberg „Wer hat, dem wird gegeben. Bei den Jugendlichen in den höheren Jahrgangsstufen Politische Bildung an Schulen“ steigen die Zustimmungswerte zur Demokratie: Sabine Achour, Susanne Wagner: „Wer hat, dem wird ge- Befragung unter Schülerinnen und Schülern geben. Politische Bildung an Schulen“. FES-Studie 2019 der Jahrgangsstufen 1 bis 13 in % Gymna- SMBG, Berufliches Berufs- Berufs- In der FES-Studie wurden die Jugendlichen sowohl nach sium IGS Gymna- schule fachschule (n = 918) (n = 180) sium (n = 285) (n = 71) der Zustimmung zur Idee der Demokratie (Demokratie als (n = 69) Staatsform, S. 120ff) als auch zu ihrer Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie tatsächlich umgesetzt wird, be- gute Staatsform 92,3 88,9 82,6 67,0 26,8 fragt (S. 124ff). nicht so gute Staatsform 4,5 4,4 7,2 16,5 32,4 Befragt wurden Jugendliche in allen Bundesländern außer weiß nicht/keine Meinung 2,5 6,1 7,2 14,7 35,2 Bayern, das der Befragung nicht zustimmte. missing values 0,8 0,6 2,9 1,8 5,6 Es liegen Ergebnisse vor zur Zustimmung zur Idee der Demokratie als Staatsform und Ergebnisse zur Zustimmung Die zweite Fragestellung bezieht sich auf die praktische zur tatsächlichen gelebten Demokratie. Umsetzung der Demokratie. Die erste Fragestellung lautet: Ein Großteil der Befragten ist nur teilweise mit der tat- „Hältst du die Demokratie für eine gute sächlichen Funktionsweise von Demokratie zufrieden. oder für eine nicht so gute Staatsform?“ Hierzu gehören Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Jahrgangsstufe, unabhängig davon, welche Schulform sie Befragung unter Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 9 und 10 besuchen, sowie Jugendliche an beruflichen Gymnasien, Berufsfachschulen und Berufsschulen. in % Gymnasium andere Schularten Lediglich Schülerinnen und Schüler von Gymnasien und der (SMBG, IGS, RS) „sonstigen allgemeinbildenden Schulformen“ der höheren gute Staatsform 83,4 61,8 Jahrgangsstufen (11-13) geben an, eher zufrieden mit der nicht so gute Staatsform 5,2 14,4 Demokratie zu sein, wie sie in Deutschland funktioniert. weiß nicht/keine Meinung 10,0 21,8 missing values 1,4 2,0 (S. 123) Es zeigen sich erhebliche Unterschiede bei der Bewertung der Demokratie als Staatsform zwischen Jugendliche an Gymnasien und Jugendliche an anderen Schularten. Es fällt außerdem auf, dass der Anteil derer, die dazu keine Meinung haben, unter den Nicht-Gymnasiasten weitaus höher ist als bei den Gymnasiasten. 14 | Dossier Politik und Jugend
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Und die Erwachsenen? Das Eurobarometer stellt im Jahr 2018 fest: Die Frage nach zent), Schweden und Irland (jeweils 80 Prozent), Nieder- der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie lande (82 Prozent), Luxemburg (85 Prozent) und Dänemark im eigenen Land beantworten 67 Prozent der Erwachse- (92 Prozent). Frankreich kommt auf 54 Prozent, Staaten nen in Deutschland positiv. Im europaweitem „Ranking“ liegt wie Slowakei (35 Prozent), Rumänien (32 Prozent) und Deutschland damit auf Platz neun, nach den Ländern Bel- Griechenland (28 Prozent) bilden das Schlusslicht. gien (70 Prozent), Österreich (77 Prozent), Finnland (78 Pro- Kein Grund für Skandalisierungen Der Vergleich dieser Daten zeigt im ersten Überblick, dass tion auffordert. Im Blick muss hier der „Gender-Gap“ blei- die Zustimmungsraten zur Demokratie in Deutschland unter ben. Jungen bewerten die Demokratie weniger positiv als Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland und Mädchen, engagieren sich jedoch häufiger als sie. Gleich- in Baden-Württemberg etwas höher sind als unter den wohl zeigen die Daten im Bereich Engagement seit 2011 Erwachsenen. Das bietet Anlass für Optimismus. eine kontinuierliche Verringerung des Gender-Gaps. Ähn- liches könnte im Bereich der Demokratieförderung erreicht Gleichzeitig wird deutlich, dass es in den unterschiedlichen werden. Bildungsmilieus erhebliche Unterschiede gibt. Das ist für politische Bildungsarbeit, für lebensweltorientierte Teil- Ein Grund zur Skandalisierung, nach dem Motto „über ein habeprozesse und für Demokratieförderung als solche Fünftel der Jugendlichen lehnt Demokratie ab“, wie einzelne eine Herausforderung, die gleichzeitig entsprechende Pro- Medien getitelt haben, liefern diese Daten nicht. Sie sind gramme und Aktionen legitimiert und zu deren Evalua- eher Anlass für eine nüchterne und sachliche Analyse. | Dossier Politik und Jugend 15
© Jugendstiftung Baden-Württemberg Quellenverzeichnis Achour, Sabine/Wagner, Susanne 2019: Wer hat, dem Gaiser, Wolfgang/Hanke, Stefanie/Ott, Kerstin (Hg.): wird gegeben. Politische Bildung an Schulen, hrsg. v. Jung – politisch – aktiv. Politische Einstellungen und politi- Friedrich- Ebert-Stiftung, Berlin. sches Engagement junger Menschen, Ergebnisse der FES- http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/15611.pdf Jugendstudie 2015. (Aufruf vom 27.08.2020) Schulmeister, Philipp 2018: „Demokratie in Bewegung. Ein Antes, Wolfgang/Gaedicke, Valerie/Schiffers, Birgit (Hg.) Jahr vor der Europawahl 2019“. Eurobarometer-Umfrage 2020: Jugendstudie Baden-Württemberg. Die Ergebnisse 89.2 des Europäischen Parlaments. von 2011 bis 2020 im Vergleich und die Stellungnahme des 13. Landesschülerbeirats. Schneider Verlag Hohen- Shell Deutschland Holding (Hg.) JUGEND 2015. Eine prag- gehren, Baltmannsweiler. matische Generation im Aufbruch. Fischer, Frankfurt am Main. Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungs Shell Deutschland Holding (Hg.): JUGEND 2019. Eine Gene- bereich) 2019: Mit der Politik auf Du und Du? Wie Men- ration meldet sich zu Wort. 18. Shell Jugendstudie. Beltz, schen mit und ohne Migrationshintergrund ihre politische Weinheim. Selbstwirksamkeit wahrnehmen. Policy Brief des SVR- Forschungsbereichs und des DeZIM- Instituts, Berlin. https://www.svr-migration.de/wp-content/ uploads/2019/04/SVR-FB_Politische_ Selbstwirksamkeit.pdf (Aufruf vom 27.08.2020) Impressum Jugendstiftung Baden-Württemberg Postfach 11 62 74370 Sersheim Datenauswertung: Paul Nollenberger Redaktion: Wolfgang Antes, Valerie Gaedicke Lektorat: Stella Loock Grafik/Design: Oliver Müller Foto: iStock.com/Nutthaseth Vanchaichana (S. 1) 16 | Dossier Politik und Jugend
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