E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern

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E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
E&W
PLUS
Das Bildungsmagazin
für Mecklenburg-Vorpommern

              UNGESCHMINKT

                             OKTOBER 2021
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
INHALT

                                                                   Forderungen der                       Inklusion geht alle an:
                                                                   GEW an die künftige                   Kleine Nachlese von der
                                                                   Regierung für den                     Hochschul-politischen
                                                                   Bereich Schule                        Konferenz des Landes
                                                                                                         2021
                                                                   Seiten 10 - 16
                                                                                                         Seiten 18

Der Mindestpersonal-                                               Buchempfehlung:                       Termine und
schlüssel: Und täglich                                             All that‘s left: Roman                Veranstaltungen
grüßt das Murmeltier…                                              von Sarah Raich – Ein
                                                                                                         Seite 19
                                                                   dystopisches Jugend-
Seiten 5 - 8                                                       buch für die Generation
                                                                   »Fridays for Future«
Shortcuts:
                                                                   Seite 17
Kitas in MV: So kann
und darf es nicht weiter        IMPRESSUM                                                              Namentlich gekennzeichnete Bei-
                                                                                                       träge vermitteln nicht zwingend
gehen!                                                                                                 die Positionen der Redaktion oder
                                Herausgeberin                      Erscheinungsweise                   der GEW MV. Für den Abdruck
                                Gewerkschaft Erziehung             E&W kompakt 6 x jährlich            eingesendeter Beiträge behält
Studie belegt: Digitali-        und Wissenschaft im DGB            E&W plus -Magazin- 3 x jährlich     sich die Redaktion das Recht auf
sierung an Schulen geht         Landesverband M-V                  Abdruck oder Übernahme in an-       Kürzungen vor.
                                www.gew-mv.de                      dere Medien (auch auszugsweise)
nur ungleich voran              V.i.S.d.P. Annett Lindner          nur nach vorheriger Genehmi-        Herstellung
                                und Maik Walm                      gung durch die Redaktion.           Layout:
                                                                                                       Maik Scheler
Digitalpakt: Schulen            Redaktion                          Das nächste Magazin erscheint       Kommunikationsdesign
                                                                   E&W plus/Magazin: Februar 2022      post@maikscheler.de
können Endgeräte an-            Lübecker Straße 265a
                                19059 Schwerin                     E&W kompakt: November 2021
schaffen                                                           Druckauflage: 4.650 Exemplare       Druck
                                Kontakt                                                                Steffen Media GmbH
                                Telefon: 0385 48527-0              Verlag mit Anzeigenabteilung        www.steffen-media.de/
Gesucht: Der Vorstands-         Fax: 0385 48527-24                 Stamm Verlag GmbH
                                                                   Goldammerweg 16                     Bildnachweise
bereich Schule braucht          presse@gew-mv.de
                                                                   45134 Essen                         Titel: inkje/photocase.de;
                                Redaktionsleitung: Katrin Zschau
Verstärkung!                    Redaktion: Michaela Skott (ms)                                         S.5: tilla eulenspiegel/photocase.de;
                                Schlusskorrektur: H. Gutzmann      Gültige Anzeigenpreisliste unter:   S.6: pontchen/photocase.de;
Seite 4                                                            www.stamm.de                        S.10: chrisfink/photocase.de
                                                                                                       S.11: estherm/photocase.de
                                Anzeigen Regionalverbände
                                Bianka Beerbalk                    Verantwortlich für Anzeigen:        S.12: Eliza/photocase.de
                                Telefon: 0385 485-2727             Mathias Müller                      S.13: zettberlin/photocase.de
                                bianka.beerbalk@gew-mv.de          Telefon 0201 843000                 S.14: Rainer Fuhrmann/photocase.de
                                Redaktionsschluss                  Fax: 0201 472590                    S.15: shape/photocase.de
                                15. d. Vormonats                   anzeigen@stamm.de                   S.18: seventyFour/istock.com

2   E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
UNGESCHMINKT – DER ALLTAG IN UNSEREN
BILDUNGSEINRICHTUNGEN

Liebe Kolleg*innen,

diese Ausgabe unseres Bildungsmagazins ist eine besondere. Bei ihrer Erscheinung hat
MV bereits gewählt, der Redaktionsschluss selbst liegt jedoch knapp zwei Wochen vor die-     Annett Lindner
sem 26. September. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen auf Landes- und Bundesebene             und Maik Walm,
befinden wir uns nun im Prozess der Verhandlungen um Regierungskoalitionen. Als mit-         Landesvorsitzende
gliederstärkste Interessenvertretung für alle Beschäftigten in der Bildung wollen wir uns    der GEW Mecklen-
mit unseren Schwerpunkten und Forderungen in diese Verhandlungen einmischen und              burg-Vorpommern
wir wollen eine Bildungspolitik eröffnen, die allen Beschäftigten und unseren Kindern
positive Zukunftsaussichten bietet und dabei niemanden zurücklässt.

Wir meinen: Wer gute und richtungsweisende Entscheidungen treffen will, muss wis-
sen, worum es wirklich geht. Mit diesem Heft haben wir es uns zur Aufgabe gemacht,
ungeschminkt über die Zustände in der Bildung in MV zu berichten. Wir haben unsere
Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen um Berichte gebeten und nutzen diese
Plattform, um ihnen ein Sprachrohr zu sein.

Oft werden wir auch von der Presse gefragt: Haben Sie für dieses oder jenes ein Beispiel
aus der Praxis? Hier liegt nun ein ganzes Magazin voller Eindrücke vor.

Dabei haben wir in die Texte jeweils nur so wenig wie möglich redaktionell eingegriffen
– das betrifft auch die Schreibstile. Die Fragestellung war offen: Wie erlebst du deinen
Arbeitsalltag? Was muss sich ändern? Die hier geschilderten Eindrücke stellen also ein
individuelles Erleben und persönliche Meinungen dar. Nicht alle machen wir uns als Ge-
werkschaft zu eigen. Dennoch wollten wir zeigen, wie vielfältig auch die Sichtweisen sind.

Ihr werdet von Problemen lesen, die euch bekannt vorkommen. Vielleicht nickt Ihr an
der einen Stelle und schüttelt an einer anderen mit dem Kopf. Insgesamt wird deutlich:
Wir alle sitzen im selben Boot. Ganz gleich ob Krippe, Kita, Hort, Schule und berufliche
Schule oder Hochschule. Doch trotz aller Widrigkeiten sind wir uns sicher; ganz gleich ob
Erzieher*in, Pädagog*in, Schulsozialarbeiter*in, upF, Integrationsfachkraft, Professor*in
oder Dozent*in: Wir alle haben den schönsten Beruf der Welt gewählt!

Dafür, dass Veränderung möglich wird, setzen auch wir uns ein. Deshalb bitten wir euch
auch dieses Mal: Engagiert euch für eine starke Gewerkschaft!

GEWerkschaftliche Grüße!

Eure Landesvorsitzenden
Annett Lindner und Maik Walm

                                                                                                                 3
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
Kitas in MV:                                                   Digitalpakt: Schulen
So kann und darf es                                            können Endgeräte
nicht weiter gehen!                                            anschaffen
D                                                              R
         ie Kitabetreuung im Land ist nicht kindgerecht. Zu
         diesem Urteil kommt der aktuelle Ländermonitor               und 100 Mio. Euro erhält MV aus Mitteln des Digi-
         „Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertels-                 talpakts bis zum Ende des Jahres 2024. Das Land
mann-Stiftung. „Uns fehlen 2.000 Fachkräfte zu einem                  gibt selbst noch einmal etwa 10 Mio. Euro dazu. Bis
ausreichenden, kindgerechten Personalschlüssel. Kinder         zum September waren lediglich 25,2 Mio. Euro abgerufen.
aus MV haben damit schlechtere Bildungschancen als jene        Diese vergleichsweise niedrige Summe führt das Bildungs-
aus anderen Bundesländern. So kann und darf es nicht           ministerium u.a. auf das Erstattungsprinzip zurück. Schul-
weitergehen!“, erklärt die GEW-Landesvorsitzende Annett        träger investieren zunächst selbst und reichen erst nach
Lindner. Von der neuen Landesregierung muss aus Sicht          Abschluss der Projekte die Abrechnungen ein. Deshalb
der GEW MV sofort ein klares Signal ausgehen, das in ei-       sollen die Abrufzahlen nicht den tatsächlichen Fortschritt
nem Stufenplan die Anpassung des Personalschlüssels und        der Digitalisierung an den Schulen widerspiegeln. Bis zum
die dafür notwendigen Ausbildungskapazitäten vorsieht.         Ende dieses Jahres erwartet das Land einen Mittelabruf bis
                                                               zur Hälfte der Digitalpaktsummen. Das Bildungsministeri-
                                                               um weist außerdem auf eine vereinfachte Antragstellung
                                                               hin. Schulen müssen das Medienbildungskonzept nicht

Studie belegt:
                                                               mehr vor der Beantragung einreichen. Es ist ausreichend,
                                                               wenn dies während des Umsetzungsprozesses passiert.

Digitalisierung an
Schulen geht nur
ungleich voran                                                 Gesucht:
                                                               Der Vorstandsbe-
I                                                              reich Schule braucht
    n Bezug auf die Digitalisierung der Schulen ist Deutsch-
    land dabei auch im europäischen Vergleich aufzuholen,

                                                               Verstärkung!
    das zeigte das Forschungsprojekt „Digitalisierung im
Schulsystem – Herausforderung für Arbeitszeit und Arbeits-

                                                               U
belastung von Lehrkräften“ bei der Veröffentlichung eines
ersten Zwischenstandes im Juni auf. Die bundesweite                     nsere Vorstandsbereiche und Fachgruppen sind
Forschung wird durch die Max-Traeger-Stiftung und die                   die bildungspolitischen Denkfabriken der GEW
BGAG-Stiftung Walter-Hesselbach gefördert. Die Gewerk-                  MV. Hier kommen interessierte Kolleg*innen
schaft Erziehung und Wissenschaft hat beim Zugang zu den       zusammen, tauschen sich aus und beraten gemeinsam,
Lehrkräften Unterstützung geleistet. Die Erhebungsphase        welchen Themen wir uns verstärkt widmen müssen. Sie
dauerte über sechs Wochen, von Januar bis Februar 2021 an.     planen konkrete Aktionen, Projekte und Veranstaltungen
2.750 Lehrkräfte haben sich zuvor registriert und Auskunft     für die Mitglieder in ihren Arbeitsbereichen. Über enga-
über ihre Arbeitssituation im Rahmen der Digitalisierung       gierte Mitstreiter*innen aus allen Schularten und Berufs-
gegeben. Die erste Veröffentlichung zeigte aber auch, dass     gruppen an Schulen freuen wir uns sehr, denn je mehr wir
sich kein einheitliches Bild zu den Digitalisierungsfort-      sind, desto mehr Perspektiven und gute Ideen kommen
schritten zeichnet. Vielmehr geht die Schere zwischen          zusammen und die selbstauferlegte Arbeit lässt sich auf
„Digitalen Vorreiter-Schulen“ und „Digitalen Nachzügler-       viele Schultern verteilen. Interessierte erfahren alles, was
Schulen“ sehr auseinander. Die abschließenden Ergebnisse       sie dazu wissen möchten, bei: Anja Dornblüth-Röhrdanz,
wurden für den September erwartet und sollen unter             Telefon 0175 1848938, Email: anja.dornblueth-roehrdanz@
www.arbeitszeitstudie.de veröffentlicht werden.                gew-mv.de

4    E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
Der Mindestpersonalschlüssel

Und täglich grüßt das
Murmeltier…

W
              ährend um die Zehnerjahre herum unser ge-
              werkschaftliches Streben im Wesentlichen da-
              rin bestand, für die Kindertageseinrichtungen
gute Arbeitsverträge und eine Vergütung zu erreichen, die
einen Zweitjob nicht zwingend notwendig machte, wan-

   Erzieherin, 48 Jahre: Fast 30 Jahre ist es her, da startete
   ich als junge Erzieherin ins Berufsleben. Erzieherin in
   einer Kita - mein absoluter Traumberuf! 30 Jahre, in denen
   sich vieles verändert hat, geblieben sind die schlechten
   Rahmenbedingungen. Mecklenburg-Vorpommern hat
   bundesweit den schlechtesten Personalschlüssel. „Im
   Durchschnitt“ (Kifög) betreue ich 16 Kinder im Alter
   zwischen drei und sechs Jahren. 16 Kinder mit unterschied-
   lichsten Bedürfnissen: 16 Kinder mit unterschiedlichem
   Entwicklungsstand, Kinder mit Inklusionsbedarf, Kinder           delte sich das Bild zu den 20-iger Jahren hin zunehmend.
   mit Migrationshintergrund. 16 Kinder, die alle ein Recht auf     Ja, noch immer lässt die Bezahlung bei vielen Trägern zu
   einen schönen Kita Alltag haben!
                                                                    viel Platz hin zu einem fairen Angebot. Doch insgesamt
                                                                    steigen die Gehälter, auch weil es mehr und mehr in der
   Diese täglichen Herausforderungen sind für mich, für alle
                                                                    GEW organisierte Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit
   meine Kolleg*innen, ein unglaublicher Spagat! Einen gro-
                                                                    uns gemeinsam Tarifverträge erkämpfen.
   ßen Teil des pädagogischen Alltags macht mittlerweile die
   Arbeit am Schreibtisch aus. Es müssen Beobachtungsbö-
   gen, Entwicklungsgespräche, Portfolios und Projekte regel-       Nun sorgten wir uns, beginnend im Jahr 2017, um die sich
   mäßig schriftlich dokumentiert werden. Elterngespräche,          stetig verschlechternden Arbeitsbedingungen. Denn mit
   Elternabende sowie die täglichen pädagogischen Angebote          der besseren Fach-Kraft-Kind-Relation ging nicht automa-
   müssen vor- und nachbereitet werden. Kommen dann                 tisch auch eine ausreichende Personalausstattung einher.
   Krankheits-/Urlaubstage dazu, besuchen Kolleg*innen              Als das so genannte „Gute-Kita-Gesetz“ vom Bund kam,
   Weiterbildungen, dann bricht der sowieso schon eng               machten wir deutlich, dass das Geld dringend in einen
   gestrickte Dienstplan ganz zusammen. Wieviel Zeit bleibt         landesweit einheitlichen, gesetzlichen Mindestpersonal-
   hier noch für das einzelne Kind?! Individuelle Zeit für jedes    schlüssel fließen muss. Das Ende ist bekannt. Nahezu alle
   Kind?! Zeit für ein Gespräch, für ein Pflaster, für ein Lied -
                                                                    Mittel flossen in die beitragsfreie Kita, mit dem Ergebnis,
   Zeit für meine jungen Traumberuf-Vorstellungen von vor
                                                                    dass MV auch weiterhin das Schlusslicht in Sachen Betreu-
   30 Jahren….
                                                                    ungsqualität im Bundesvergleich bleibt. Deshalb fordert
                                                                    die GEW MV für die neue Legislaturperiode erneut den
   Der Personalschlüssel muss gesenkt werden!
                                                                    landesweit einheitlichen, gesetzlichen Mindestpersonal-
   Erzieher*innen müssen eine finanzielle Wertschätzung er-
   fahren! Dienstjahre müssen vollständig anerkannt werden!         schlüssel, der auskömmlich bemessen ist und das Kindes-
   Wenn nicht ein ganz schnelles Umdenken in der Politik            wohl präventiv schützt. Der Beruf der Erzieher*innen muss
   stattfindet, dann wird für die nächste junge Generation          durch bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen
   Erzieher*innen der Traum vom Beruf zum Albtraum.                 deutlich attraktiver gemacht werden. Dafür brauchen

                                                                                                             www.gew-mv.de        5
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
wir sowohl auf Bundes-          Erzieherin, 45, Wohngruppe: Ein paar Worte zum „Hei-

                                     als auch auf Landesebene        malltag“ in einer Wohngruppe mit Bewohnern im Alter
                                                                     zwischen 13- 17 Jahren und eigentlich sechs Betreuern, seit
                                     starke politische Bemü-
                                                                     langem allerdings bis jetzt ersatzlos mit fünf Betreuern im
                                     hungen zur langfristigen
                                                                     Schichtsystem. Trotz vereinbarter betreuungsfreier Zeit am
                                     Finanzierung. Gute Bildung
                                                                     Vormittag, gibt es diese nicht, da es Schulverweigerer oder
                                     braucht einen hohen
                                                                     kranke Jugendliche gibt, die betreut werden müssen. Die
                                     Standard, mindestens auf        Arbeitsverträge der Mitarbeiter laufen alle auf 32h Stamm-
                                     dem Niveau des DQR 6. Die       arbeitszeit, um ihre Stunden nach Bedarf zu legen. Dem
Autorin:                             Ausbildung zur staatlich        entgegen steht, dass der Betreuungsaufwand/ Zeit nicht
Annett Lindner, GEW-                 anerkannten Erzieherin/         weniger wird, wenn die Gruppe nicht voll ausgelastet ist, es
Landesvorsitzende                    zum staatlich aner-             muss trotzdem gearbeitet werden und es müssen Betreuer
                                     kannten Erzieher muss           vor Ort sein. Daraus ergeben sich „Überstunden“, die nicht
kostenfrei ermöglicht werden. Wir brauchen ausreichend               vergütet werden. Bei Langzeiterkrankten wird aufgrund
Ausbildungskapazitäten. Wir fordern das Land auf, eine               von Personalmangel kein adäquater Ersatz gestellt. Mög-

bundesweit anerkannte, schulische und praxisintegrierte              liche Springer gibt es nur für Tagdienste, aber gerade für
                                                                     die Nächte, in denen kaum ein Betreuer wirklich schlafen
(dual-orientierte) Ausbildung zu staatlich anerkannten
                                                                     kann, müsste es Aushilfen geben ( z.B. studentische Hilfs-
Kindheitspädagog*innen für 0- bis 13-jährige an den
                                                                     kräfte o.Ä.). Außerdem sind die Schlafräume der Betreuer
höheren Berufsfachschulen zu etablieren. Auszubildende
                                                                     extrem klein und nur durch eine Rigipswand vom Zimmer
der praxisintegrierten Ausbildung dürfen nicht auf den
                                                                     der Jugendlichen abgetrennt und extrem hellhörig. Durch
Fachkräfteschlüssel angerechnet werden. Mentor*innen                 häufige Abgängigkeit der Jugendlichen entsteht regelmä-
                                                                     ßige Nachtarbeit. Die vor-Ort-Bereitschaft wird nur mit
                                                                     20% der normalen Stunde entlohnt. Durch die kurze Nacht-
    Erzieherin, 34 Jahre, Krippe: Ich arbeite seit sechs Jahren
                                                                     ruhe legt sich jeder Betreuer nach seinem Dienst zu Hause
    in einer Krippengruppe. Der Alltag sieht meistens so aus,
                                                                     nochmal hin, die Life-Work-Balance ist nicht gegeben.
    dass im Durchschnitt 16 von 18 Kindern anwesend sind.
                                                                     Kollegen müssen oft Aushilfe in anderen Gruppen leisten.
    Oft arbeiten wir nur zu zweit (drei Fachkräfte wären laut
                                                                     Zunehmende Probleme der Jugendlichen wie etwa, Drogen,
    Schlüssel erforderlich/Anm. d. Red.) in der Gruppe mit
                                                                     Alkohol oder kriminelle Handlungen und eine Heimzulage
    den 0-3-Jährigen. Das kommt daher, weil Kollegen durch
                                                                     in lächerlicher Höhe von nicht mal 35 € …
    Krankheit ausfallen, Urlaub haben, sich auf Weiterbil-
    dung befinden oder durch ihre Wochenarbeitsstunden
    und Dienstabdeckung später zur Arbeit erscheinen. Der
    Mindestpersonalschlüssel lässt im Krippenbereich mit
    vier Gruppen einen Springerkollegen zu. Daher ist es
    oft unmöglich alle Krippengruppen personalgerecht
    abzudecken. Selbst wenn alle Gruppen abgedeckt sind, ist
    der Alltag mit 18 Kindern eine Herausforderung. Es ist auf
    dieser Basis nicht einfach auf die individuellen Bedürfnis-
    se der Kinder einzugehen und sie in ihrer Individualität zu
    stärken und zu fördern. Dazu kommt die Eingewöhnung
    von Kindern in der Gruppe. Die Eingewöhnungskinder
    müssen sich erst an die neue Umgebung, den Tagesrhyth-
    mus und die neuen Personen gewöhnen. Wir sind auch
    im regelmäßigen Austausch mit den Eltern zu den Themen
    ihrer Kinder. Egal ob es die täglichen Gespräche bei der      brauchen mehr Zeit und kostenlose Weiterbildungen,
    Abholung von den Kindern ist, die halbjährlichen Entwick-     um ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir fordern außerdem die
    lungsgespräche oder durch Elternabende. Für die Eltern        Erhöhung der mittelbaren pädagogischen Arbeitszeit für
    nehmen wir eine erziehungsunterstützende und beratende        Inklusion (1. Schritt: 5 Stunden pro Fachkraft, 2. Schritt:
    Rolle ein, die die meisten Eltern annehmen. Ich bin gerne     langfristig 8 Stunden) sowie den Einsatz des Landes für
    Erzieherin im Krippenbereich, weil man immer ein Lächeln      einen flächendeckenden (Mindest-)Tariflohn. Integrations-
    von den Kindern zurückbekommt und sieht, wie schnell sie
                                                                  Helfer*innen müssen zu Erzieher*innen und Lehrkräften
    selbstständig werden. Dazu kommt, dass man ihnen trotz
                                                                  gleichgestellt werden. Die Anerkennung muss sich in der
    der widrigen Umstände einen guten Start in einem neuen
                                                                  Bezahlung zeigen.
    Lebensabschnitt ermöglicht.

6     E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
M., 19 Jahre, Erzieher: Als frisch ausgebildeter „Staatlich
                                                                          anerkannter Erzieher für 0-10 jährige“ bin ich vor etwa
Integrationshelferin, 36 Jahre: Jeden Tag begleiten wir
                                                                          einem Monat in den Arbeitsalltag eines Erziehers im
Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten im
                                                                          Kindergarten gestartet. Während meiner Ausbildung habe
Krippen- , Kita- und Hortalltag. Die Anzahl unserer zu erfül-
                                                                          ich gelernt, individuell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen
lenden Fachleistungsstunden werden in einem Hilfege-
                                                                          Kindes der Gruppe einzugehen, attraktive Bildungsinter-
spräch besprochen und vom Fachdienst Soziales entweder
                                                                          aktionen für sie zu gestalten und diesen so wichtigen Weg
genehmigt oder abgelehnt. Oft reichen diese Stunden nicht
                                                                          vom Erkunden und Lernen professionell zu dokumentie-
aus, da wir nach den geleisteten Stunden noch mit Netz-
                                                                          ren. Doch leider sieht die Realität in der Kindertagesstätte
werkarbeit beschäftigt sind. Das sind u.a. Gespräche mit
                                                                          ganz anders aus. Es ist kaum Zeit jedes einzelne Kind aus
Erzieher*innen, Lehrer*innen, Eltern und Therapeut*innen.
                                                                          einer der überfüllten Gruppen in seiner Individualität
Da der Beruf der Integrationshelfer*innen noch nicht lange
                                                                          wahrzunehmen, geschweige denn qualitativ hochwertige
besteht, mangelt es u.a. an Aus- und Weiterbildung, der
                                                                          Bildungsinteraktionen zu planen oder die persönlichen
tariflichen Zuordnung, inklusive Anerkennung einer selbst-
                                                                          Entwicklungsschritte im Portfolio zu dokumentieren.
finanzierten Ausbildung (z.Bsp. Fachkraft für Integrations-
                                                                          Alles muss immer ganz schnell gehen, egal ob die Qualität
pädagogik) sowie einer einheitlichen Berufsbeschreibung
                                                                          darunter leidet. So gut die neuen Fachkräfte auch ausge-
mit festgelegten Rahmenbedingungen. Es werden immer
                                                                          bildet werden, so lange sich die Arbeitsbedingungen der
mehr Integrationshelfer*innen benötigt, doch leider ist
                                                                          Erzieher*innen in den Kindertagesstätten nicht ändern,
der Beruf aufgrund der Mängel nicht sehr attraktiv. Hinzu
                                                                          wird keine qualitative Bildung möglich sein.
kommen fehlende Informationen an die beteiligten Institu-
tionen wie Krippe, Kita, Schule oder Hort über den Nutzen
und die Befugnisse eines Integrationshelfers. Traurig ist
ebenso, dass wir als externe Beschäftigte an den genannten
Institutionen während der Corona-Pandemie von der Politik
„vergessen“ wurden. Wir mussten bei Beschlüssen, Tests
und Impfungen auf uns aufmerksam machen, damit wir
auch bedacht werden.

Kitaleitung, 60 Jahre: Meine Leitungstä-      von Pandemiekonzepten und Informati-           (Bildungskonzeption) und Eltern, die in
tigkeit begann mit der Vorstellung und        onen an Eltern und Mitarbeiter. Einer der      Diskrepanz zum Personalschlüssel stehen,
großer Motivation unsere Kita zu einer        größten Zeitfresser im Arbeitsalltag ist       umzusetzen. Die Umsetzung der BIKO
Bildungseinrichtung „wie sie im Buche         der hohe Verwaltungsaufwand und eine           erfordert das Einführen neuer Standards,
steht“ zu entwickeln. Und dann begann         völlig überzogene Bürokratie.                  das Erarbeiten von verbindlichen Zielen
der Alltag mit den täglichen Herausforde-                                                    und Strukturen und die Weiterbildung
rungen: der zeitaufwändigen, fast tägli-      Es ist ein bisschen wie „Schule“ – jeder       des Personals. Dies bindet Zeit und
chen, Neuorganisierung der Dienstpläne        Lehrer (jedes Amt / Entscheidungsträger)       passiert nicht in der Freizeit. Es erstaunt
durch Krankheit, der hohen Kunst, Lücken      glaubt es sei das/der Einzige und gibt         mich, dass wir trotz aller Widrigkeiten
zu stopfen und dabei vielleicht noch Mög-     wunderbare „Hausaufgaben“ auf. Wir             mit unserem Team Reserven mobilisie-
lichkeiten zu finden, um für die gesetzlich   verlieren uns in Listen, Verordnungen,         ren, um professionell und kontinuierlich
vorgeschriebenen Vorbereitungszeiten          Mails, Statistiken usw. Die Erfüllung von      an der qualitativen Weiterentwicklung zu
und Weiterbildungen zu sorgen und per-        Verwaltungsaufgaben lässt kaum Zeit für        arbeiten.
sönliche Bedürfnisse von Mitarbeitern zu      die individuelle Betreuung neuer Eltern,
berücksichtigen. Hinzu kommt, dass von        die qualitative Mitarbeiter- und Teament-      Leider wird von Seiten der Entschei-
unserem ohnehin schon sehr geringen           wicklung und fachliche Weiterentwick-          dungsträger übersehen, dass es eine
Personalschlüssel auch noch die Stunden       lung der Einrichtung. Als größte Heraus-       Verbindung zwischen geforderten
der Auszubildenden, als auch Betriebs-        forderung gilt es in meinem Arbeitsalltag,     Bildungsangeboten und den verfügbaren
ratsstunden abzuleisten sind.                 Zeitfenster zu finden, um den sehr hohen       Personalressourcen gibt und durch die
                                              gesellschaftlichen Erwartungen, die an         gegebenen Rahmenbedingungen kaum
Es geht weiter mit den „tausend kleinen       Kindertagesstätten gestellt werden, ge-        gute qualitative, sondern nur quantitati-
Dingen“, die für jeden einzelnen Mitar-       recht zu werden. Es ist der tägliche Kampf     ve Betreuung ermöglicht werden kann.
beiter bzw. Elternteil sehr wichtig und       unseres engagierten und ambitionierten         Und die Politik, Entscheidungsträger und
unaufschiebbar sind. Und dann kam             Teams, die eigenen Qualitätsansprüche,         Öffentlichkeit verlassen sich darauf und
Corona mit den Verordnungen, Schreiben        die Qualitätsanforderungen durch BIKO          meinen: „Na, geht doch trotzdem“

                                                                                                                      www.gew-mv.de        7
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
Erzieher*in, Kita:
                                                              Ein zweijähriges Kind geht nach dem
                                                              Frühstück auf das Töpfchen. Nachdem
                                                              das Kind aufsteht, liegt ein Zäpfchen
                                                              darin…

                                                              Erzieher*in, Kita:
                                                              Ich freue mich, dass es Träger gibt, die
                                                              bspw. ein Dienstradleasing anbieten.
                                                              Ich wünsche solche Form von Wert-
                                                              schätzung auch für unsere Kolleginnen
                                                              und Kollegen.

                                                              Erzieher*in, Jugendhilfe:
                                                              Wir werden für 24-Stunden-Schichten
     GEW MV:                                                  eingesetzt, auch wenn es diese gar
     Schildert eine kurze                                     nicht geben darf. Mitarbeiter werden
     Situation aus eurem Alltag!                              unter Druck gesetzt.

    Erzieher*in, Jugendhilfe:                         Erzieher*in, Kita:
    Heute war ich arbeiten obwohl ich frei hätte,     Die drei größten Probleme liegen aus meiner
    um ein Abschlussgespräch zu führen. Morgen        Sicht in der fehlenden Wertschätzung des Be-
    erfolgt eine Neuaufnahme, so dass meine Grup-     rufs, dem hohen Betreuungsschlüssel und dem
    pe voll belegt ist. Am Wochenende werden mir      Fachkräftemangel. Ich wünsche mir, dass unser
    zwei Elfjährige zur Übernachtung ins Wohn-        Träger seinen Mitarbeitern mehr Anerkennung
    zimmer gelegt, die aus einer anderen Gruppe       schenkt und hinter ihnen steht, und sich nicht
    stammen, in der der Nachtdienst aufgrund von      mit dem Betriebsrat „bekriegt“ sondern sich
    Personalmangel nicht abgedeckt werden kann.       mit den Problemen auseinandersetzt. Außer-
    Kenne die Kinder nur vom Sehen. Beide müssen      dem müssen wir früher in Rente gehen dürfen.
    Medikamente nehmen.                               Oder sollen wir mit 67 Jahren noch den Kleinen
                                                      „hinterherrennen“?

            Erzieher*in, Kita:
            Ist ja toll mit dem neuen Personal-
            schlüssel, aber ich habe mehrere
            Kinder mit ein, zwei oder drei Förder-
            einheiten die Woche. Dass die stattfin-
            den können, war lange Arbeit mit/an
            den Eltern. Die Kinder bräuchten einen
            Heilerziehungspfleger, den gibt das
            Kitakonzept aber nicht her.

8     E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
„WIR
SCHAFFEN
DAS.“

     ANGELA MERKEL, 31. AUGUST 2015
         BUNDESPRESSEKONFERENZ

                      www.gew-mv.de   9
E&W PLUS UNGESCHMINKT - Das Bildungsmagazin für Mecklenburg-Vorpommern
Wir hatten die Wahl – Jetzt wird die politische
Agenda der nächsten Jahre verhandelt!

Forderungen
der GEW an die
künftige
Regierung für
den Bereich
Schule                                                               Lisa, 37, Lehrerin an einer IGS im SAB Schwerin: Ein Lehrer
                                                                     ist: Wissensvermittler, Erzieher, Aufsichtsperson, Seelen-
                                                                     tröster, Sachbearbeiter, Krankenschwester, Psychologe,
                                                                     Familienhelfer, Konfliktlöser, Berater, Kummerkasten,
                                                                     Ratgeber, Motivator, Übersetzer, Inklusionshelfer, „Lösungs-
                                                                     finder“... usw. Während der ganzen Pandemiezeit wird/
                                                                     wurde er im Crashkurs zudem: Informatiker, Softwareken-
                                                                     ner, Präsentationstechnikenbeherrscher, Online-Coach,
                                                                     Technikzauberkasten ... und leider noch einmal mehr: Fuß-
Die Wahlen sind erfolgt, Ergebnisse akzeptiert und an                abtreter der Nation. Oft kam von allen Seiten der Vorwurf,

einem Koalitionsvertrag wird gearbeitet. Für uns als                 wir würden „nicht richtig arbeiten“ oder „zu Hause nur
                                                                     auf der faulen Haut liegen“. Gerne werden viele Aufgaben
GEW ist mit Blick auf die aktuell dramatischen Folgen der
                                                                     des Lehrers in die „nicht messbare Arbeitszeit“ geschoben.
Pandemie, wie der fehlenden Bildungszeit und der hohen
                                                                     Leider wird auch gerne dafür gesorgt, dass viele Aufgaben
Belastung durch Mehrarbeit, und der unzureichenden Bil-
                                                                     eines Lehrers im für „Nicht-Lehrer“ im nicht sichtbaren
                                                                     Bereich liegen.

     Daniel, 37, Lehrer an einem Fachgymnasium in MV: Als
     Lehrkräfte sind wir schon seit einigen Jahren immer mehr
     mit bürokratischen oder schulorganisatorischen Problemen
                                                                  dungspolitik der vergangenen Jahrzehnte klar, dass in die-
     und Herausforderungen beschäftigt. Der Unterricht verliert
                                                                  ser Wahlperiode Bildung notwendig Priorität haben muss.
     immer mehr an Relevanz. Haushaltsbestellungen, Schüle-
     rInnenverwaltung und in der Coronazeit der dauerhafte
                                                                  Wir brauchen eine erste ambitionierte Phase hin zu einem
     Abgleich von sich immer wieder ändernden Formularen          Jahrzehnt der Bildungsreform in MV. Als GEW haben wir
     sind mittlerweile als selbstverständlich angenomme-          vielfältige konkrete Forderungen in den vergangenen
     ne Tätigkeiten, deren Fristen mit den Arbeitszeiten des      Jahren für die Entwicklung der Schulen – gleichermaßen
     Landkreises und des BM zusammenfallen - also vormittags      der allgemein- wie berufsbildenden Schulen – vorgelegt.
     während des Unterrichts. Es scheint, dass Sachbearbeite-     Davon ausgehend stellen wir in sechs zentralen Bereichen
     rInnen und Verwaltung zu teuer geworden sind, die Lehr-      – als Leitplanken für die Bildungspolitik der kommenden
     kräfte aber parallel zum Unterricht problemlos jeglichen     Jahre – Kernforderungen an die Koalitionsverhandlungen
     Schriftverkehr und Computerinstallationen übernehmen         der zukünftigen Landesregierung.
     können. Das, meiner Meinung nach, größte Problem dabei
     ist die unendlich anstrengende Bürokratie, welche die Be-
                                                                  MEHR GELD: GUTE SCHULE BENÖTIGT EINE AUSKÖMM-
     schaffung und Freigabe von Haushaltsmitteln dermaßen
                                                                  LICHE FINANZIERUNG UND EINE LEISTUNGSFÄHIGE
     erschwert, dass man selbst 1,5 Jahre nach Beantragung oder
                                                                  VERWALTUNG.
     aktuell 2 Jahre nach Digitalpakt nicht ein einziges Gerät
     angeschafft werden konnte.
                                                                  Die Reformaufgabe ist immens. Zuletzt haben uns die
                                                                  Pandemie und ihre Folgen deutlich gemacht, wie zentral

10     E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Schulen eine Säule gelingenden Lebens sind und wie stark
S., 35, Lehrkraft im Seiteneinstieg an einer Förderschule        Kinder, gerade aus Familien mit wenig Ressourcen, auf ein
im SAB Neubrandenburg: Ich bin an einer Förderschule             leistungsfähiges Schulsystem angewiesen sind. Deshalb
mit kleinem Kollegium als Seiteneinsteigerin tätig. Wenn
                                                                 braucht es beständig mehr Geld, um sächlich, personell
der Fall eintrifft, dass mehr als ein/e Kollege/Kollegin
                                                                 und inhaltlich notwendige Entwicklungen abzusichern.
krank ist, werden dafür die Förderstunden der Schüler
                                                                 Darüber hinaus muss geklärt werden, wie eine handlungs-
als Vertretungsstunden genutzt und somit fällt dann der
                                                                 fähige Schulträgervielfalt und effektive Schulverwaltung
Förderunterricht aus. Nach der Schließung der Schulen
                                                                 aussehen muss, damit Bildung nach landesweit gültigen
weisen viele Schüler einen hohen Lernrückstand auf, da
viele die Distanzaufgaben nicht erfüllt haben. Nun wird          Standards sichergestellt werden kann.
„itslearning“ (digitale Lernplattform/Anm. d. Red.) einge-
führt. Für mich als Seiteneinsteigerin ist es eine zusätzliche   MEHR FACHKRÄFTE: GUTE SCHULE GEHT NUR MIT
Belastung die von der Schulleitung dort angewiesenen             ATTRAKTIVEN BEDINGUNGEN FÜR ARBEIT UND AUSBIL-
Aufgaben zu erfüllen. Ich bin für 27h beschäftigt, Klassen-      DUNG FÜR ALLE. SIE LEBT VON EINEM QUALITÄTSVOLLEN
lehrerin und habe Vor- und Nachbereitungen des Schul-            STUDIUM UND REFERENDARIAT UND GEWINNT DURCH
alltags zu erfüllen, hinzu kommt die GPQ. Da noch Zeit für       EINEN HOCHWERTIGEN SEITENEINSTIEG UND FORTBIL-
zusätzliche Aufgaben zu finden, ist eine große Belastung.        DUNGEN.
Die Arbeit mit den Kindern bereitet mir viel Spaß, gerade
mit der eigenen Klasse. Jedoch ist es auf Grund von der
Pandemie so, dass wir (Lehrkräfte) keine wirklichen Pausen
zwischen den Stunden haben, da wir jede Pause die Schüler           Sandra, 38, GS-Lehrerin im SAB Neubrandenburg + Vor-
beaufsichtigen müssen, damit diese sich an die begehrten            stand Grundschullehrerverband MV:
Hygiene-Coronaregeln halten.
                                                                    I-N-K-L-U-S-I-O-N

                                                                    Ich würde gern alle Kinder abholen, wo sie stehen,
                                                                    doch kann ich bei 25 Erstklassenkindern nicht wirklich
Lisa, 31, Berufseinsteigerin als Lehrkraft am Gymnasialen           jedes sehen!
Schulteil im SAB Rostock: Lehrerin zu sein ist wirklich
                                                                    Nur im Team, versprach man einst, klappt‘s ideal,
unfassbar sinnstiftend und abwechslungsreich, aber eben
                                                                    doch bleiben wir nun Einzelkämpfer aufgrund des Mangels
auch unfassbar umfangreich. Gestern beispielsweise bin
                                                                    an Personal.
ich morgens in die Klasse und schon stand ein Junge vor
mir, der sich beschwerte, dass ein anderer Videos und               Kein Kind bleibt zurück, so wurde laut krakeelt.
Bilder von ihm auf TikTok veröffentlicht hat. Dann haben            Wir halten stattdessen alle klein, weil es an Räumen, Teams
wir das natürlich aufgenommen und über Medienrecht                  und Material so fehlt.
gesprochen, aber Unterricht war nicht mehr möglich. Dann
                                                                    Lehren nach Kontingent, mit Köpfen - statt Lehrer:Innen,
kommt heraus, dass ein anderer noch Fotos auf der Toilette
                                                                    das rechnen sich die Ämter schön und verrechnen sich
gemacht hat. Und dann beginnt die Kommunikation mit
                                                                    dabei wie von Sinnen.
Eltern, Schulsozialarbeiter:innen, Familienhelfer:innen und
vor allem den Fachkolleg:innen. So kommen dann natürlich            Unterricht wird ständig vertreten ohne Pause zum Ver-
auch die Ursachen ans Licht. Und wenn ich dann auf den              schnaufen, während der Aufsicht hätte man ja Zeit an der
Klassenkonferenzen sitze und merke, dass so viele Kinder            frischen Luft beim Umherlaufen.
schon so große Päckchen zu tragen haben, dann frage ich             Sind wir jetzt alle plötzlich Sonderpädagogen?
mich ernsthaft: Wie soll Schule das kompensieren können?            Die Unterstützungen, die man den Regelschulen als Förder-
Oder: Gerade in den ersten Wochen hatte ich das Gefühl,             schulersatz versprach, waren alle erlogen.
ich teile permanent Zettel aus und sammle sie unterschrie-
                                                                    In ALLEN Schulen müssen wir jetzt ALLES können,
ben wieder ein - meine Achtung gehört allen, die sich nicht
                                                                    unterstützende Fachkräfte kann man dabei aber nur eini-
verzetteln.
                                                                    gen Schulen gönnen.

                                                                    Ohne ausreichend Know-How und Fachpersonal
                                                                    läuft die allgemeine Bildung zurzeit alles andere als ideal.

                                                                    Nur die Bürokratie mit Anträgen, Anzeigen und Co. wird
                                                                    immer mehr, so läuft Inklusion aktuell und daran zerbre-
                                                                    chen wir immer mehr.

                                                                                                               www.gew-mv.de       11
Wir fordern einen attraktiven „Arbeitsplatz Schule“. Ganz
     M.L., 30, Studienrat an einer Gesamtschule im SAB Greifs-       oben steht hier für uns als GEW die Senkung der Arbeits-
     wald: Inklusion kann nur dann gelingen, wenn sich alle
                                                                     belastung. Die Zahl der Pflichtstunden muss reduziert
     beteiligen. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass wir als
                                                                     werden. Alle Aufgaben, die nicht in erster Linie zu päd-
     Schule mit zehn Prozent Schüler*innen nichtdeutscher Her-
                                                                     agogischen Kernaufgaben gehören, müssen wegfallen
     kunft vorrangig eben diese Kinder oftmals nicht erreichen
                                                                     oder durch andere Fachkräfte geleistet werden. Aktuell
     - trotz Kulturmittler und Schulsozialarbeit. Ich erlebte wie-
                                                                     verhandeln wir das Thema Mehrarbeit. Erstes Ziel muss
     derholt, dass Schüler (v.a. Jungen) schwänzen, keine oder
     nur kaum Anstrengungsbereitschaft zeigen und teilweise          sein, Mehrarbeit zu reduzieren! Fällt sie unvermeidbar
     den Unterricht stören oder Streit auf dem Schulhof (mit-)       dennoch an, muss Mehrarbeit zuverlässig und vollumfäng-
     verursachen. Wir wären „nur deutsche Lehrer“ und hätten         lich erfasst und honoriert werden. Schulen mit besonderen
     daher nichts oder nicht viel zu sagen. Der Aufwand, Konse-      Herausforderungen bei der Personalgewinnung und –bin-
     quenzen aufzuzeigen, ist mit viel Zeit verbunden; Verweise      dung müssen zusätzlich unterstützt und gestärkt werden.
     nutzen nichts, denn sie sind nur formal. Außerdem werden        Auch die Zahlung von Zulagen, insbesondere auch für
     sie von Eltern oftmals wegen sprachlichen Schwierigkeiten       Schulleitungen, darf kein Tabu sein. Grundsätzlich braucht
     nicht verstanden. Derartiges Verhalten beobachte ich aber       es eine Personalplanung und -zuweisung, die sich nicht
     auch seit inzwischen fünf Jahren meiner Tätigkeit an dieser
                                                                     nur nach der Kontingentstundentafel bemisst, sondern die
     Schule bei deutschen Schüler*innen: Ein Schüler legte den
                                                                     landesweit pädagogischen Notwendigkeiten für eine in-
     Kopf auf den Tisch und beteiligte sich nicht am Unterricht.
                                                                     klusive Schul- und Unterrichtsentwicklung und erwartbare
     Nach persönlicher Anrede mit der Frage, wieso er wieder-
     holt nicht mitarbeite und was er denn mal in Zukunft nach
     der Schule machen wolle, erhielt ich die Antwort: „Ach wis-
                                                                        H.P., 57, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Schwerin:
     sen Sie, ich mache es später wie meine Eltern: Ausschlafen
                                                                        3. Klasse mit 24 Kindern (19 Kinder + 5 Kinder aus der DFK
     und Fernsehen gucken. Das frühe Aufstehen ist eh nichts
                                                                        Klasse), dazu täglich noch drei Kinder aus DFK-Bereich
     für mich.“ Derartiges Verhalten erlebe ich zunehmend. Ler-
                                                                        dazu, zugeteilt, weil Lehrer fehlt. Kein Platz im Raum. Kein
     nen lohnt sich offenbar nicht und die Konsequenzen sind
                                                                        Material von der Schule (weil man sich ja einen Akku-
     oftmals aus meiner Sicht nicht ausreichend oder zielfüh-
                                                                        Schrank für 1.500,00 Euro für die Laptops kaufen musste,
     rend. Stattdessen verschwenden wir Zeit, um ergebnislos
                                                                        die UNGENUTZT in diesem Schrank stehen). Trotz Bestel-
     aber voller Hoffnung Schüler*innen in die Gesellschaft zu
                                                                        lung vom Schuljahresbeginn – kein Material um differen-
     integrieren, damit die entstehende Parallelgesellschaft
                                                                        ziert arbeiten zu können. Migranten: DaZ findet nicht statt.
     (nicht oder kaum gesellschaftlich integriert) nicht weiter-
                                                                        Förderunterricht: Findet nicht statt. Ich bin jetzt schon am
     wächst. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass es viele
                                                                        Ende meiner Kräfte und fühle mich hilflos dem nichtfunk-
     positive Beispiele bei Jungen und Mädchen, bei ausländi-
                                                                        tionierenden Bildungschaos ausgeliefert.
     schen und deutschen Schüler*innen gibt!

                                                                        Lehrkraft, anonym: Ich werde im Februar 62 und mag die
                                                                        Arbeit mit den Kindern. Trotzdem habe ich mich entschlos-
                                                                        sen mit 63 zu gehen. Ich will in diesem System kein Lehrer
                                                                        mehr sein. Ich bin Sonderpädagoge und springe seit Jahren
                                                                        für Kollegen ein, die entweder in Rente gehen oder schwan-
                                                                        ger sind. Meiner eigentlichen Arbeit kann ich kaum noch
                                                                        nachkommen. Ein System, in dem lernbehinderte Kinder
                                                                        weniger wert sind, als der Deutschunterricht einer 6. Klasse
                                                                        möchte ich nicht mehr angehören. Ich werde an keiner
                                                                        Weiterbildung mehr teilnehmen, in der es um Digitalisie-
                                                                        rung geht, denn ich habe nur Tafel und Kreide. Ich werde
                                                                        keine Mehrstunden mehr übernehmen, denn ich habe die
                                                                        aus dem letzten Schuljahr noch nicht vergütet bekommen.
                                                                        Alles was nicht zu meinem Unterricht gehört, werde ich,
                                                                        wenn irgend möglich, ablehnen. Sollte es zu Abmahnun-
                                                                        gen kommen, so ist mir das egal. Ich werde danach eine
                                                                        andere Arbeit finden.

12     E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
A. M., 55, Grundschullehrerin, SAB Greifswald: Seit 10 Jah-
   ren lernen Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf
   an unserer Schule. Nach wie vor haben wir keinen Schul-
   sozialarbeiter und nur in einem Schuljahr gab es für vier
   Wochenstunden die Unterstützung eines Sonderpädago-
   gen. Es kam und kommt vor, dass 25 Kinder in einer Klasse
   lernen, plus zwei Kinder mit sonderpädagogischen
   Förderbedarf, kein Stützlehrer, kein Sonderpädagoge, nur
   eine Lehrkraft.

   P., 58, Lehrerin an einer Regionalschule im SAB Greifswald:
   Ich bin nun im 36. Dienstjahr und nehme als Personal-
   ratsmitglied ebenfalls zur Kenntnis, dass sich sehr viele
                                                                    M.F, 54, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Schwerin:
   Kolleginnen und Kollegen (nicht nur die älteren) überfor-
                                                                    Ich leite eine 1. Klasse, in der elf Schulanfänger mit sechs
   dert fühlen. Das Resultat sind u. a. ein erhöhter Kranken-
                                                                    Kindern zusammenlernen, die das Schuljahr wiederholen.
   stand, Unzufriedenheit und Resignation. Damit ich nicht
                                                                    In den vergangenen Wochen habe ich Diagnosetests zur
   unter dieser ständigen Überforderung und Unzufrieden-
                                                                    Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und
   heit leiden und mich aus diesen Gründen von Zeit zu Zeit
                                                                    Problemen im mathematischen Bereich durchgeführt. Die
   krankschreiben lassen möchte, bin ich mit den Stunden
                                                                    Erkenntnis, dass die Leistungen meiner Schüler in einer
   erneut runter gegangen (auf 15 Stunden). Ich weiß um die
                                                                    Leistungspanne von 3 % bis 98 % liegen, erstaunte mich. Sie
   fehlenden Rentenpunkte (wie viele es sein werden - keine
                                                                    schärfte zum einen mein Bewusstsein für die unbedingte
   Ahnung), aber die Aussicht auf noch so viele Jahre (bin jetzt
                                                                    Notwendigkeit dieser Diagnostiken, führt jedoch zum
   58 Jahre) im Schuldienst unter diesen Bedingungen... sind
                                                                    anderen dazu, dass mir der Kopf raucht bei der Vorstellung,
   für mich mit voller Stundenzahl unvorstellbar.
                                                                    meinen Unterricht so differenziert zu gestalten, dass ich
                                                                    jedem Kind gerecht werden kann. Das schaffe ich ohne
                                                                    personelle Unterstützung nicht. Ich habe glücklicherweise
   Kirsten, 61 , Lehrkraft an einer Regionalen Schule im SAB        eine Klasse mit 17 Schülern. Wie mag es da nur Kolleginnen
   Schwerin: Meine Arbeitsbelastung hat sich leider nicht           und Kollegen gehen, die ähnlich wie ich, keine oder kaum
   verringert. Das Paket der Verwaltungsvorschriften zu             Hilfen im Unterricht haben und mit 25 Kindern lernen?
   Schuljahresbeginn ist beispiellos. Diese werden mir dann
   an meine „Dienstmail“ (die als solche nicht mal vom BM
   anerkannt wird) geschickt, damit ich sie dann von meinen
   privaten Geräten ausdrucken kann. Von der Kontrolle der          D.B, 59, Lehrerin an einer Grundschule im SAB Neu-

   Selbsttests, über die Einhaltung der Hygienemaßnahmen,           brandenburg: Inklusion soll kein Kind benachteiligen.

   die an der Schule aufgrund der Räumlichkeiten eh nicht           Die Realität fühlt sich anders in der Grundschule an. Die

   einzuhalten sind, bis hin zu den üblichen Listen, Plänen, Sit-   Anzahl der Kinder mit Förderschwerpunkten nimmt mehr

   zungen und Elternversammlungen, komme ich mir vor wie            und mehr zu. Da beginnt das Unverständnis schon bei

   eine Verwaltungsfachangestellte. Meine Arbeit als Lehrerin       der Dauer der Bearbeitungszeit der Förderanträge vom

   wird fast als Nebensächlichkeit angesehen.                       Diagnostischen Dienst des zuständigen Schulamtes. Eine
                                                                    akrobatische Herausforderung für den Grundschullehrer
                                                                    diese Kinder gleichzeitig neben den anderen optimal zu
                                                                    fördern. Es fehlen der Sonderpädagoge an der Schule, die
                                                                    Räumlichkeiten, um einem Kind eine individuelle notwen-
Vertretungsbedarfe sicherstellt. Studium und Referendari-
                                                                    dige Auszeit zu geben und folglich vor allem die Zeit für ein
at als reguläre Wege in den Schuldienst müssen reformiert
                                                                    spezielles Förderkind. Aufsichtszeiten, Klassenzusammen-
werden. Unser Personalentwicklungskonzept (PEK) spricht
                                                                    legungen mit mindestens 30 Kindern und mehr häufen
sich u.a. für mehr Fachdidaktik und Bildungswissenschaf-
                                                                    sich aufgrund von krankheitsbedingten Lehrerausfällen.
ten sowie lernintensive Praxisphasen aus. Im Referendariat          Der Kraftaufwand für die Wiederherstellung bestehender
muss die Belastung sinken und die Unterstützung der                 Schulregeln für alle Kinder nach der Pandemiezeit ist zu
(Weiter-)Entwicklung der professionellen Persönlichkeit             einem Geduldsspiel geworden.
im Mittelpunkt stehen. Auch der Seiteneinstieg bereits

                                                                                                                www.gew-mv.de       13
H., 30, Lehrkraft an einer Regionalen Schule im SAB
                                                                      Schwerin: Medienausstattung: Bereits am Ende des letzten
                                                                      Schuljahres wurde das Serversystem aller Schul-PCs auf
     UpF, anonym: Wir pflegten bis zum vergangenen Schuljahr          „I-Serv“ umgestellt. Ergebnis ist, dass eigentlich kein PC
     eine sehr enge Zusammenarbeit, vor allem in problema-            nutzbar ist. Die Anmeldung an den Accounts funktioniert
     tischen Klassen, mit unseren beiden upF, die beide für           nicht, Wechseldatenträger können nicht gelesen werden,
     jeweils 15 Stunden bei uns im Einsatz waren. Ursprünglich        Drucken ist unmöglich, die Schüler*innen können beliebige
     waren beide PmsA für den DaZ-Bereich eingestellt worden.         Einstellungen verändern. Die Informatikkollegen haben
     Diese Stellen wurden umgewidmet, die upF versetzt und            den Unterricht bereits auf Theorie umgestellt. Das unab-
     wir stehen wieder allein und ohne Unterstützung im Un-           hängig davon arbeitende Sekretariatsnetz hatte bereits
     terricht da. Anzumerken ist, dass am neuen Arbeitsort der        wieder einen mehrtägigen Ausfall. Leider ist der Schult-
     UpF weder eine Aufgabenbeschreibung noch ein konkretes           räger mangels Personals nicht in der Lage, die Probleme
     Einsatzgebiet festgelegt sind. Wie kann das sein?                zeitnah zu beheben. Einziger Lichtblick: Nach 1,5 Jahren
                                                                      der Ausnahmegenehmigung zur Arbeit mit privaten
                                                                      Endgeräten sollen uns nun tatsächlich Dienstlaptops zur
                                                                      Verfügung gestellt werden. Fraglich ist nur noch, ob wir sie
                                                                      wirklich nutzen können, da eigentlich kein Personal für die
                                                                      Wartung vorhanden ist.
     Bianca (Grundschullehrerin seit 1989 mit Spezialisierung
     auf Sprachheilpädagogik) und Petra (Grundschullehre-
     rin seit 1980) im SAB Greifswald: Wir leisten Inklusion
     seit Jahren meist allein. Die räumlichen, materiellen und        DaZ, anonym: Immer wieder kommen neue Schüler*innen
     personellen Bedingungen widersprechen eklatant dem,              zu uns, die keinerlei Kenntnisse der deutschen Spra-
     was in der Verwaltungsvorschrift des BM „Die Arbeit in der       che haben. Durch die Kohorteneinteilung steht uns je
     Grundschule“ vom 12. Juli 2021 festgeschrieben ist: „Auf den     Schüler*innengruppe oft nur eine Wochenstunde DaZ zur
     natürlichen Bewegungsdrang und die Wissbegierde der              Förderung bereit. Viele der Schüler*innen, gelten auch
     Schülerinnen und Schüler ist individuell entwicklungsan-         schon als ausgefördert, da sie bereits länger als zwei Jahre
     gemessen einzugehen. Bei der Gestaltung der Räume und            in Deutschland leben. Durch die Schulschließungen haben
     des Schulhofes müssen die Lernerfordernisse, aber auch die       einige unter ihnen jedoch kaum DaZ-Unterricht gehabt.
     Spiel-, Bewegungs- und Ruhebedürfnisse der Schülerinnen          Wie sollen diese Schüler*innen, gerade wenn sie bereits in
     und Schüler beachtet werden“. Das wäre wirklich schön,           Klasse 8 oder 9 sind, jemals einen Schulabschluss erlangen,
     aber wir können diese Verwaltungsvorschrift nicht umset-         wenn sie kaum unsere Sprache sprechen? Wie sollen diese
     zen. Unsere Räume sind nicht schallgeschützt und bieten          Schüler*innen ohne Deutschkenntnisse im Regelunterricht
     keinen Platz für Differenzierung, frei zugängliche Lernma-       aufgefangen werden?
     terialien oder Ruhe und Entspannung. Hinzu kommt der
     zusätzliche Platzbedarf für Schulbegleiter. Um den Kindern
     in ihrer Individualität gerecht werden können, fehlen uns
     weiterhin die Zweitkräfte in jeder Klasse und jeder Stunde,
     die Fachleute für alle Förderbereiche und feste Zeiten im
     Rahmen des Pflichtstundenkontingents für Absprachen
     und Beratungen in multiprofessionellen Teams, mit
     Kollegen, insbesondere den Kolleginnen und Kollegen im
     Seiteneinstieg und den Referendaren. Wir wären schon zu-
     frieden, wenn maximal 20 Kinder in einer Lerngruppe sein
     würden. Zurzeit leisten wir außerdem die Digitalisierung
     ohne digitale Endgeräte für Lehrer, arbeiten uns in neue
     Rahmenlehrpläne ohne entsprechende Bedingungen und
     völlig neue Lehrmaterialien ein, versuchen irgendwie doch
     den Unterricht zu differenzieren und zu individualisieren.
     Die Begleitung und der Austausch mit unseren Kolleginnen
     und Kollegen im Seiteneinstieg und Referendaren kostet
     auch sehr viel zusätzliche, nicht registrierte Zeit und Kraft.

14      E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Anonym, Universität in MV: In meinem Fach werden
verschiedentlich qualifizierter Menschen ist von zentraler
                                                                   Publikationen üblicherweise bezahlt. Vorher war ich an
Bedeutung. Eine planbare, gut begleitete und weitreichen-
                                                                   Lehrstühlen tätig, an denen der Professor ein eigenes
de Qualifizierung muss das Ziel sein, um schnell und ver-          Budget dafür hatte. In meiner jetzigen Tätigkeit ist das
lässlich den vollen Berufseinstieg und die Anerkennung zu          nicht selbstverständlich. Mein Institut ist finanziell nicht
ermöglichen. Dafür brauchen insbesondere Mentor*innen              ausreichend ausgestattet. Ich dachte nie, dass ich solche
mehr Zeit.                                                         Diskussionen überhaupt führen müsste. Ich bin unbefris-
                                                                   tet angestellt. Aufgrund der Corona-Krise muss ich, um
MEHR INKLUSIVE BILDUNG: GUTE SCHULE IST INKLUSIV.                  den Lehrauftrag überhaupt erfüllen zu können, dauerhaft
Die „Inklusionsstrategie“ des Landes überzeugt nicht, da sie       Mehrarbeit leisten. Ich selbst habe kleine Kinder zu betreu-

keine Antwort auf die Frage gibt, wie Schulen so flexibel auf      en. Damit fallen Tätigkeiten, wie die Klausurkonzeption,
                                                                   digitale Lehraufzeichnung, aber auch meine Forschung in
die individuellen Lernvoraussetzungen reagieren können,
                                                                   die Abend- und Nachtstunden. Mittlerweile bin ich deshalb
um für alle jungen Menschen höchstmögliche Bildung und
                                                                   stark gesundheitlich belastet. Unsere Planungen für das
entsprechende Bildungsabschlüsse möglich zu machen.
                                                                   Wintersemester hingen zu lange in der Schwebe, weil wir
Inklusion braucht Zeit und die Zusammenarbeit in mul-
                                                                   zu wenig Lehrpersonal haben. Die Berufungsverfahren mit
tiprofessionellen Teams. Schule neu zu denken – und zu ma-
                                                                   der Liste der Kandidaten hing zu lange im Bildungsminis-
chen, ist eine Aufgabe, die ermöglicht werden muss. Unsere         terium fest. Damit kommen die Wunschkandidaten nicht
Schulen brauchen u.a. gut ausgebildete Lehrer*innen, unter-        mehr rechtzeitig.
stützende pädagogische Fachkräfte, Sonderpädagog*innen,
Schulsozialarbeiter*innen, Erzieher*innen, medizinisches
Personal und unterstützende verwaltende Fachkräfte.
Aus- und Fortbildungen müssen auf Teamarbeit ausge-
richtet werden, damit alle Fachkräfte in Schulen passend        Schulgelände die pädagogischen Möglichkeiten anspre-
eingesetzt und wirksam werden können. Die Lerngruppen           chend sind und bei Bedarf erweitert werden können. Unter
müssen kleiner sein und Ressourcen systemisch und trans-        energetischen, inklusiven und pädagogischen Gesichts-
parent zugewiesen werden.                                       punkten muss umfänglich um- und neugebaut werden.
                                                                Die Schulgemeinschaft ist bei der Gestaltung frühzeitig zu
MEHR LERNUNTERSTÜTZENDE RÄUME: GUTE SCHULE                      beteiligen, um u.a. Differenzierungs-, Rückzugs- sowie auch
BRAUCHT EINE SINNVOLLE PÄDAGOGISCHE RAUMGE-                     Arbeitsräume für Lehrkräfte in den Fokus zu bekommen.
STALTUNG.                                                       Die Größe der Lerngruppe muss folglich von den verblei-
Lernen gelingt dann gut, wenn durch zukunftsorientierte         benden räumlichen Möglichkeiten in voll eingerichteten
und kluge Raumgestaltung im Schulhaus und auf dem               Unterrichtsräumen abgeleitet werden.

                                                                                                              www.gew-mv.de       15
MEHR DIGITALE UND
                               SÄCHLICHE AUSSTAT-
                               TUNG: GUTE SCHULE IST
                               RÄUMLICH UND SÄCH-
                               LICH GUT AUSGESTATTET.
                               Nicht nur in einer Pan-       Cornelia Mannewitz, Vorstandsbereich Hochschule und
                               demie brauchen wir eine       Forschung: Uns ist es wichtig, dass studentische Beschäf-
                               hervorragende technische      tigte nach Tarif bezahlt werden. Dafür kann auch das Land
Autor: Maik Walm,              und sächliche Ausstattung.    etwas tun.
GEW-Landesvor-                 Lernmaterial muss für
sitzender                      Schüler*innen ausreichend
                               und mit notwendigen
                                                             K.W., 58, Lehrkraft Gynmasium im SAB Schwerin: In Zeiten
Differenzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die      der Pandemie gab es viel für Schulleitungen und Lehrkräfte
digitale Erschließung jeder Schule muss vorangetrieben       zu lesen: Hinweisschreiben, neue Schulcoronaverordnun-
werden. Alle Pädagog*innen sowie Schülerinnen und Schü-      gen und Änderungen in Hygieneplänen. Die Zahl von 174
ler benötigen Notebooks/Tablets und die dazugehörigen        Corona-Hinweisen in einem Schuljahr spricht für sich.
Datentarife sowie eine beständige IT-Betreuung auf Kosten    Das erzeugt eine extreme Anspannung in Schulleitungen,
des Landes und der Schulträger. Datenschutzfragen müs-       die sich für die Gesundheit von Kollegen und natürlich
sen rechtssicher geklärt und durch das Land verantwortet     insbesondere von Schülern verantwortlich fühlen. Diese

werden. Fortbildungen zum sinnvollen pädagogischen           Anspannung bis hin zur Überlastung führt zu einem unge-
                                                             sunden Klima und gewünschte Gelassenheit fehlt.
Einsatz digitaler Elemente im Unterricht müssen niedrig-
                                                             Hinzu kommen sehr schnelle Berichte in Medien bei auf-
schwellig bereitgestellt werden.
                                                             tretenden Coronafällen, die dem Ruf und dem Ansehen der
                                                             Schule nicht zuträglich (und auch nicht immer gründlich
MEHR DEMOKRATIE UND MITBESTIMMUNG: GUTE SCHU-
                                                             recherchiert) sind. Wichtig wären langfristige Katastro-
LE IST EIN DEMOKRATISCHER LERN- UND LEBENSORT
                                                             phenpläne für Schulen, die ihnen eine gewisse Eigenstän-
UND ERMÖGLICHT ALLEN, DIE DORT ARBEITEN UND                  digkeit ermöglichen.
LERNEN, MITZUBESTIMMEN.
Wir fordern, dass das Land die Entwicklung einer demo-
kratischen Schulkultur stärker im Rahmen der Unterrichts-
                                                             Jana, 54, Lehrerin im SAB Rostock: An unserer Schule
und Schulentwicklung unterstützt und alle Beteiligten
                                                             erhielten wir für zwei Schüler*innen aus unterschiedlichen
angemessen fortbildet. Die Vertretungen der Beschäftigten
                                                             Klassen den Bescheid vom Schulamt, dass diese Jugend-
vor Ort brauchen zudem mehr Zeit für Ihre wichtige Arbeit.
                                                             lichen im Distanzunterricht zu beschulen sind. Leider
                                                             haben wir nicht die technischen Möglichkeiten, um die
                                                             Distanzschüler*innen einfach per Video in jeder Stunde
                                                             „dazuzuschalten“. Wir Lehrer*innen werden also, neben
                                                             unserer Arbeit mit den restlichen Kindern, diese einzelnen
                                                             Distanzschüler*innen zu jeder Stunde per „itslearning“ mit
                                                             dem laufenden Unterrichtsmaterial versorgen, zusätzlich
                                                             die Lösungen in schriftlicher Form oder als Tondokument
                                                             zur Verfügung stellen, per Nachrichtenfunktion von
                                                             „itslearning“ schriftlich kommunizieren, um Probleme zu
                                                             beheben bzw. Inhalte genauer zu erklären und natürlich
                                                             auch Leistungskontrollen durchführen. Viele meiner
                                                             Kolleg*innen teilen die Befürchtung, dass die Beschulung
                                                             im Distanzunterricht für einzelne Schüler*innen durch
                                                             das Schulamt immer häufiger genehmigt werden könnte.
                                                             Gehört diese doppelte Arbeit nun dauerhaft zu unseren
                                                             Pflichten als Lehrer*in, weil wir sie im Wechselunterricht
                                                             des vergangenen Schuljahres auch geleistet haben? Wie
                                                             wird sie honoriert werden?

16   E&W PLUS Mecklenburg-Vorpommern 3/2021
Buchempfehlung

All that‘s left: Roman von
Sarah Raich – Ein dystopisches
Jugendbuch für die Generation
»Fridays for Future«

U
         nsere Welt verändert sich gegenwärtig rasant.              mitzuleiden und mitzuhoffen. Sie trifft mit dem Thema bei
         Das weiß inzwischen Jede und Jeder. „Die Zukunft           der Zielgruppe des Jugendbuches ins Schwarze und Lese-
         kommt nicht – sie wird von uns gemacht“, sagt              rInnen fragen bereits nach einer Fortsetzung.
Richard David Precht. Und wie diese Zukunft aussehen
könnte, beschreibt Sarah Raich in ihrem Roman „All that’s           Clara Meyer, Klimaaktivistin bei Fridays for Future ist
left“. Sie selbst bezeichnet die Autorin als „optimistische         Jahrgang 2001. Für sie ist dies ein Buch, das die Klimakrise
Dystopikerin“. Auf den Internetseiten des Verlags sagt sie:         greifbar macht. „Wir leben nicht in dieser Dystopie. Und
„Es gibt nie nur Gut und Böse. So einfach ist die Welt nicht.       doch ist sie näher, reeller als viele andere.“, schreibt sie im
Und genauso ist es mit der Dystopie. Auch in der schwär-            Nachwort zu Raichs Roman.
zesten Stunde gibt es noch die Erinnerung an das Licht.
Und solange ein Mensch atmet, wird es noch die Hoffnung
auf eine Zukunft im Untergang geben.“
                                                                      Autorin und Buch
Im Jahr 2059 wirkt die Erde fast unbewohnbar: unerträg-
liche Hitze, gewaltige Stürme und tödliche Seuchen. In                REZENSION: CLAUS OELLERKING
ihrem Elternhaus ist die 15jährige Mariana sicher. Sie ist
allein und dank Solaranlage, Luftfiltern, verbarrikadierten           Sarah Raich wurde 1979 geboren und ist im
Fenstern und einer Mini-Farm im Haus kommt sie ganz
                                                                      ländlichen Niedersachsen und Tirol mit viel
gut über die Runden. Sie vermisst ihre Eltern und geht
                                                                      Weite und Natur aufgewachsen. Sie studierte
nicht vor die Tür. Plötzlich bricht der gleichaltrige Ali bei ihr
ein. Dem Schrecken über den Einbruch folgt die gemein-
                                                                      in Berlin Allgemeine und Vergleichende
same Entdeckung von Zimmern im Haus, die für Mariana                  Literaturwissenschaften und arbeitete danach
bisher tabu waren. Sie werden Freunde. Doch Ali hält es in            als Kreative in Agenturen. Sie lebt mit ihrer
der Abgeschlossenheit des Hauses nicht aus. In Triest, auf            Familie in München, hat aber noch ein Stück
der anderen Seite der Alpen, soll es weitere Überlebende              ihres Herzens in Berlin und San Francisco.
geben. Er macht sich auf dem Weg. Ohne Mariana. Wenige
Tage später folgt sie ihm auf eigene Faust. Zu Fuß, allein
und ein bisschen planlos.
                                                                      Titel: All that’s left
Als Anti-Utopie stiftet Marianas Geschichte während des               ISBN: 9783492706070
Fußmarsches in Richtung Süden wenig Hoffnung. Ihr                     Sprache: Deutsch
begegnen Übriggebliebene, Versklavte und eine kleine, to-             Ausgabe: Flexibler Einband
talitär geführte Gruppe, die sich Privilegien verschafft. Und         Umfang: 336 Seiten
sie spürt, dass es einen Ausweg geben könnte.                         Verlag: Piper
                                                                      Preis: 16,00 €
Sarah Raich bedient sich einer Sprache, die es jugendlichen           Erscheinungsdatum: 29.07.2021
Lesenden leicht machen kann, mit Mariana mitzufühlen,

                                                                                                                www.gew-mv.de     17
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