Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?

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Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Das Magazin der
Nr. 3                              Aerztegesellschaft des
Juni 2018                                  Kantons Bern

Themen dieser Ausgabe

 Ein Bundesrat im
­Landgasthof

Esther Hilfiker im
Interview

An App a day keeps
the doctor away?

                        doc.be 03/2018 Editorial       1
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Technologischer Fortschritt
                               und freie Berufe – ein Widerspruch?

                               Patientinnen und Patienten haben längst damit begonnen, ihren
                               ­Gesundheitszustand mit mobilen Apps selber zu überwachen. Den Arzt
                                braucht es scheinbar nur noch, damit die bereits beschlossene Behand-
                                lung durchgeführt und anschliessend mit der Krankenkasse ab­gerechnet
                                werden kann. Oder für eine sogenannte second opinion. Welche
                                ­Konsequenzen hat der technologische Fortschritt demnach für die freie
                                 ärztliche Berufsausübung?

                               Tatsächlich wird die Digitalisierung teilweise neue G
                                                                                   ­ eschäftsmodelle
                               hervorbringen, welche das klassische Berufsverständnis aller freien
                               Berufe verändern. Um die Digitalisierung erfolgreich zu bewältigen,
                               genügt aber nicht alleine eine Automatisierung. Es muss gelingen, die
                               Patienten unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel besser
                               abzuholen, direkter anzusprechen und so zusammen mit ihnen einen
                               neuen Standard der Kollaboration zu entwickeln.

                                 Näher zur Patientin zu gehen bedeutet, dass neue Werbe- und Begeg-
                                 nungsformen ermöglicht werden. Mit entsprechenden Veranstaltungen
                                 könnten neue Patienten mit den Erfahrungen und positiven Meinungen
                                 von bestehenden Patienten konfrontiert werden. «Put yourself in the
                                 ­client’s shoes» würde hier vielleicht bedeuten, dass die H
                                                                                           ­ ausärztin für
                                  bestehende und potentielle neue Patienten eine sogenannte Meetup-­
                                  Serie, also regelmässige kurze Informationsveranstaltungen zu aktuel­
                               len Gesundheitsthemen, durchführt. Verzeihen Sie mir, dass ich
                               ­ausnahmsweise den Fokus nicht auf die rechtliche Zulässigkeit solcher
                                Veranstaltungen lege – denn solche oder ähnliche Entwicklungen
                                ­werden nicht aufzuhalten sein.

                               Wichtig ist nun aber Folgendes: Das Kerngeschäft der notwendigen
                               ärztlichen Fachkompetenz, welche nicht nur auf theoretischem Wissen,
                               sondern vor allem auch auf Empathie und viel Lebenserfahrung beruht,
                               wird von den erwähnten Entwicklungen gar nicht oder nur am Rande
                               tangiert. Insoweit sind technologischer Fortschritt und ­Industrialisierung
                               reproduzierbarer Vorgänge zwar ein notwendiges Übel. Diese Not­
                               wendigkeit ist aber bei richtiger Betrachtung dem admini­strativen
                               Bereich zuzuordnen und stellt demzufolge keine Gefahr für die freien
                               Berufe und die weiterhin freie ärztliche Berufsausübung nach bestem
                               Wissen und Gewissen dar.

                               Dr. iur. Thomas Eichenberger
                               Sekretär Aerztegesellschaft des Kantons Bern

2   doc.be 03/2018 Editorial
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Inhalt                                      DOCUPASS-
                                                 Vorsorgedossier

4    Die Politik riskiert zu zer­
     stören, was gut funktioniert
                                                 Mit dem DOCUPASS-Vorsorgedossier
                                                 bietet Pro Senectute eine anerkannte
                                                                                               Pro Senectute steht Ihnen beim Verfas-
                                                                                               sen Ihrer Wünsche, beim Ausfüllen der
     Die neue BEKAG-Präsidentin Esther           Gesamtlösung für alle persönlichen Vor-       Formulare sowie bei Fragen gerne zur
     Hilfiker will den Dialog fördern.           sorgedokumente von der Patientenverfü-        Seite.
                                                 gung bis zum Testament. Im DOCUPASS

7    Ein Bundesrat im Landgasthof
     Sein Einstieg in die nationale Politik
                                                 halten Sie alle Ihre persönlichen Anliegen,
                                                 Bedürfnisse und Wünsche im Zusam-
                                                                                               T 031 924 11 00
                                                                                               info@be.prosenectute.ch
     geschah zufällig – und heute ist Ignazio    menhang mit Krankheit, Pflege, Sterben        www.be.prosenectute.ch
     Cassis Aussen­minister der Schweiz.         und Tod individuell fest. Nutzen auch Sie
     Als Arzt wie auch als Politiker gehe es     diese Gelegenheit und sorgen Sie recht-
     darum, Erwartungen und Stimmungs­           zeitig vor! Mehr über den DOCUPASS er-
     lagen wahrzunehmen.                         fahren Sie im beigelegten Flyer oder auf
                                                 www.docupass.ch.

9    Der Countdown läuft –
     2020 soll das EPD stehen                     Den DOCUPASS erhalten Sie für CHF 19.–
     2018 ist ein entscheidendes Jahr             bei allen Beratungsstellen von Pro
     für die ­Einführung des elektronischen       Senectute im Kanton Bern persönlich
                                                  ­
     ­Patientendossiers: Es geht an die           am Schalter oder via Bestellung per Mail,
      konkrete Umsetzung in den Stamm­           ­Telefon oder im Webshop.
     gemeinschaften.

11   Weitere Präzisierungen
     für das EPD
     Beispiele erzielter Verbesserungen zur
     Strategie eHealth Schweiz.

12   Süsser Verführer Zucker
     Wir essen viel zu viel Zucker. Das macht
     uns krank. Verschiedene Akteure
     wollen den Zuckerkonsum senken –
     doch wie?

16   An App a day keeps the
     doctor away?
     Die Anzahl Gesundheits-Apps steigt
     täglich. Wo liegen Gefahren, wo Chancen                                                   Impressum
     dieser Entwicklung?
                                                                                               doc.be, Organ der Aerztegesellschaft des Kantons

18   Eine Auszeichnung für
     die ­Begeisterung
                                                                                               Bern; Herausgeber: Aerztegesellschaft des Kantons
                                                                                               Bern, Postgasse 19, 3000 Bern 8 / erscheint
     Die Pathologin Dr. Yara Banz ist Teacher                                                  6 × jährlich; Verantwortlich für den Inhalt:
     of the Year 2018.                                                                         Vorstands­ausschuss der Aerztegesellschaft des
                                                                                               Kantons Bern; Redaktion: Marco Tackenberg,

21   Dem dritten Lebensabschnitt
     ­gelassen entgegenblicken
                                                                                               Simone Keller und Markus Gubler, Presse- und
                                                                                               ­Informationsdienst BEKAG, Postgasse 19,
      Die Pro Medico Stiftung bietet selbstän­                                                 3000 Bern 8, T 031 310 20 99, F 031 310 20 82;
      dig erwerbenden Ärztinnen und                                                            ­tackenberg@forumpr.ch, keller@forumpr.ch,
     Ärzten bedarfs­gerechte und attraktive                                                    ­gubler@forumpr.ch; Inserate: Simone Keller,
      Vorsorgelösungen.                                                                        keller@forumpr.ch; Gestaltung / Layout: Definitiv
                                                                                               Design, Bern; Druck: Druckerei Hofer Bümpliz AG,
                                                                                               3018 Bern; Titelbild: Martin Bichsel

                                                                                                  doc.be 03/2018 Neuigkeiten                       3
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Die Politik riskiert
                               zu zerstören, was
                               gut funktioniert
                               Seit bald 100 Tagen ist Esther Hilfiker ­Präsidentin
                                der Aerztegesellschaft des Kantons Bern. Sie will
                               Strukturen, in denen sich Frauen engagieren
                               ­können, und eine gesundheitspolitische Diskussion,
                                die den Nutzen nicht vergisst.

                               Interview: Marco Tackenberg und Simone Keller,      habe ich bereits als Vize-Präsidentin mitgewirkt.
                               Presse- und Informationsdienst                      Neu ist, dass ich den Lead habe; ich konnte aber
                               Bild: Martin Bichsel                                im Vorfeld einigermassen gut abschätzen, was das
                                                                                   bedeutet. Womit ich nicht gerechnet hätte, ist, dass
                               doc.be: Sie sind seit März dieses Jahres            viele Arbeitsgruppen erwarten, dass die BEKAG
                               Präsidentin der BEKAG. Was hat Sie zu               immer durch die Präsidentin vertreten wird. Ich
                               diesem Engagement bewogen?                          versuche dieser Tendenz entgegen zu halten, die
                               Esther Hilfiker: Der Reiz dieser Aufgabe besteht    Präsidentschaft ist kein Vollzeitamt. Im Vorstand
                               für mich darin, etwas bewegen zu können. Der        sind wir ein Team. Wir arbeiten zusammen und das
                               standespolitische Aspekt ist ein wichtiger, nicht-­ wollen wir so nach aussen tragen.
                               fachlicher Bestandteil unserer Arbeit. Und er wird
                               immer bedeutsamer, weil wir Ärztinnen und Ärzte     Ebenfalls überraschend war für mich die Kurz-
                               immer mehr in den Fokus der Politik rücken. Ich     fristigkeit: Teilweise ohne Ankündigung sollen
                               denke da an unterschiedliche Vorlagen auf natio- komplexe Themen diskutiert und sofort Lösungen
                               naler wie auf kantonaler Ebene. In jeder Session    präsentiert werden. Das finde ich nicht richtig und
                               werden gesundheitspolitische Vorstösse diskutiert, nicht seriös. Positiv überrascht war ich von den
                               in die wir uns vielschichtig einbringen und somit   vielen guten und ermutigenden Feedbacks, die ich
                               etwas bewegen können. Jüngstes Beispiel ist das     nach meiner Wahl erhalten habe. Ich merke, dass
                               Praxisassistenz-­P rogramm. Solche Erfolge können   man mir wohlwollend gegenübersteht; das bestärkt
                               wir nur als ­Verband, als Team erreichen.           und motiviert mich.

                               Und persönlich?
                               Persönlich haben mich zwei Aspekte motiviert:        «Der Solidaritäts­gedanke
                               Erstens lerne ich an jeder Sitzung etwas Neues –     geht in der Politik
                               das ist eine riesige Bereicherung und erweitert
                               meinen Horizont. Zweitens steckt in mir sportli-
                                                                                    ­zunehmend verloren.»
                               cher Ehrgeiz. Ich möchte mir beweisen, dass ich so
                               etwas kann.
                                                                                    Wie gehen Sie das Amt als BEKAG-­
                               Sie sind seit bald 100 Tagen im Amt.                 Präsidentin an? Wo setzen Sie Akzente?
                               Wie haben Sie diese Anfangszeit erlebt?              Die Leitlinie für mein Handeln ist das Wohl der
                               Für mich ist dieses neue Amt sehr aufregend – und    Patientinnen und Patienten, das steht für mich
                               dementsprechend bin ich auch aufgeregt. Vieles       an erster Stelle. Darum richte ich ein besonderes
                               habe ich so erwartet. Bei den meisten Dossiers       Augen­merk auf eine hohe Versorgungsqualität mit

4   doc.be 03/2018 Interview
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Esther Hilfiker ist keine      einer starken Grundversorgung, aber auch mit spe-       ­fachlichen Tätigkeit ausgeübt werden können. Das
­Einzelkämpferin: «Ich stehe   zialisierter und universitärer Medizin – dort, wo sie   geht nur, wenn standespolitisches Engagement fair
zwar an der Spitze des         nötig ist. Ich bin Präsidentin von allen Ärztinnen      vergütet wird. Für die Rekrutierung neuer Vor-
Verbands, aber ich habe ein    und Ärzten im Kanton Bern; von den Spezialisten          standsmitglieder stehen für mich aber nach wie vor
gutes und motiviertes Team     genauso wie von den Grundversorgern.                    die Qualifikation und das Interesse an der Sache
hinter mir. Im Vorstand                                                                 im Vordergrund, nicht das Geschlecht.
­arbeiten wir zusammen.»       Bringen Sie das unter einen Hut?
                               Ich bin mir bewusst, dass ich mich in einem Span-
                               nungsfeld befinde und mich beide Seiten kritisch        «Bei Diskussionen, die
                               begutachten. Ich erhoffe mir einen kleinen Vorteil      nicht zielführend sind,
                               davon, dass ich selber Spezialistin bin und ein gu-
                               tes Netzwerk habe. Trotzdem ist das keine einfache
                                                                                       muss man auch mal einen
                               Aufgabe.                                                Schlussstrich ziehen.»

                               Was wollen Sie in der BEKAG verändern?
                               Ich möchte eine grössere Solidarität unter Ärzten       Wo sehen Sie Ihre Stärken, die Sie in
                               erreichen. Ich sehe mich selber als Brückenbauerin,     ­ ieses Amt einbringen können?
                                                                                       d
                               die den Dialog sucht und fördert: zwischen Grund-       Ich bringe eine neue, eine weibliche Optik ein.
                               versorgern und Spezialisten ebenso wie zwischen         Frauen ticken anders, gehen anders mit Menschen
                               jungen Medizinern am Anfang ihrer Laufbahn              um und hinterfragen sich selber öfter. Sie sind
                               und älteren Ärztinnen und Ärzten.                       «gschpüriger», insbesondere wenn etwas im Argen
                                                                                       liegt. Eine weitere Stärke ist, dass ich sehr fokus-
                               Ihrem Vorgänger Beat Gafner war                         siert bin. Ich mag keine endlosen Debatten, bei de-
                               die Frauenförderung ein grosses Anliegen.               nen man sich im Kreis dreht. Bei Diskussionen, die
                               Setzen Sie sich auch dafür ein?                         nicht zielführend sind, muss man auch mal einen
                               Die Feminisierung der Medizin ist ein Fakt; bei         Schlussstrich ziehen. Das kann ich.
                               den Studienabgängern sind die Frauen bereits in
                               der Überzahl. Ich gehe davon aus, dass wir diesen       Welches sind Ihrer Meinung nach aktuelle
                               Trend auch in der Standespolitik spüren werden.         gesundheitspolitische Herausforderungen
                               Es ist wichtig, dass die Frauen im Berufsverband        im Kanton Bern?
                               vertreten sind. Wir müssen unsere Strukturen so         Der Solidaritätsgedanke geht in der Politik zuneh-
                               anpassen, dass Frauen sich engagieren können.           mend verloren. Der Kanton Bern hat sich auf eine
                               Standespolitik soll nicht immer eine zusätzli-          Sparpolitik versteift, die vor allem der gesunden
                               che Aufgabe sein, sondern teilweise anstelle der        Mehrheit zu Gute kommt. Auch die Diskussion

                                                                                                           doc.be 03/2018 Interview      5
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Esther Hilfiker ist die erste        um Qualität und Nutzen geht manchmal verges-            Das klingt nach einer Einzelkämpferin.
Frau an der Verbandsspitze in        sen. Die Politik riskiert etwas zu zerstören, was      Das könnte man meinen, aber ich arbeite gerne
der über 200-jährigen                gut funktioniert. Denn unsere Patienten sind sehr       und gut im Team. Früher habe ich Volleyball ge-
­G eschichte der BEKAG.              zufrieden mit dem Gesundheitswesen. Es ist zwar         spielt. Doch als Medizinerin mit unregelmässigen
                                     teurer als früher, aber es geht uns auch besser. Die   Arbeitszeiten und fixen Dienstplänen wird man
                                     Menschen werden immer älter. An einem Herz­            ­irgendwann zur Einzelkämpferin.
                                     infarkt stirbt heutzutage fast niemand mehr. In der
                                     Gesundheitsstrategie des Kantons sind diese medi-
                                     zinischen Errungenschaften nicht abgebildet. Aber
                                     vor dem medizinischen Fortschritt können wir uns       Neue Vorstandsmitglieder
                                     nicht verschliessen!                                   An der Delegiertenversammlung vom 15. März 2018 wurden
                                                                                            einstimmig zwei neue Mitglieder in den Vorstand der Aerzte-
                                                                                            gesellschaft des Kantons Bern gewählt.
                                     «Das Gesundheitswesen
                                     ist zwar teurer als ­früher,                            Dr. med. François Moll ist neuer Vizepräsident der BEKAG.
                                                                                             Er hat einen Facharzttitel in Psychiatrie und Psycho­therapie.
                                     aber es geht uns auch                                   Moll betreibt eine Privatpraxis in Biel und engagiert sich
                                     ­besser!»                                               seit 2008 als Vorstand des (ärztlichen) Bezirksvereins Biel-­
                                                                                            Seeland. Seit 2012 ist er Vertreter des Bezirksvereins
                                                                                            ­Seeland im Vorstand der BEKAG.
                                     Sie sind neben Ihrem standespolitischen
                                     Engagement als Radiologin tätig. Bleibt da             Dr. med. Doris Zundel-Maurhofer war bisher als Vertreterin
                                     noch Zeit für Privates?                                des Vereins Berner Haus- und Kinderärzte VBHK im Vor-
                                     Zeit für Privates nehme ich mir, weil ich das will     stand der BEKAG (ohne Stimmrecht). Neu ist sie gewählte
                                     und weil ich es brauche. Am wichtigsten sind mir       Vertreterin des ABV Emmental. Sie ist Fachärztin ­Allgemeine
                                     gemeinsame Aktivitäten mit meinem Partner und          Innere Medizin. Zundel-Maurhofer betreibt eine Gemein-
                                     Sport. Ich bin eine leidenschaftliche Joggerin.        schaftspraxis in Bätterkinden und ist L­ ehrbeauftragte für
                                     Meine Joggingschuhe habe ich immer dabei, auch         Hausarztmedizin an der Universität Bern.
                                     auf Reisen. Beim Joggen kann ich abschalten und
                                     schöpfe Kraft. Das Gute daran: Joggen kann ich
                                     alleine und dann, wann es mir gerade passt.

6         doc.be 03/2018 Interview
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Ein Bundesrat im
Landgasthof
 Im März leitete Beat Gafner seine letzte
­Vorstandssitzung. Zu diesem speziellen Moment
 lud er Bundesrat Ignazio Cassis ein.

Text: Marco Tackenberg und Sandra Küttel,             Medizin.» Der heutige Aussenminister verzichte-
­P resse- und Informationsdienst                      te in jener Zeit auf eine Weiterbildungsstelle an
 Bild: Martin Bichsel                                 einer HNO-Klinik in Zürich. Er entschied sich
                                                      für eine Stelle am Institut für Sozial- und Prä-
An Selbstbewusstsein fehlt es der Aerztegesell-       ventivmedizin der Universität Lausanne, wo er
 schaft des Kantons Bern nicht. Da kommt man          promovierte.
 schon mal auf die Idee, einen Bundesrat an eine
Vorstandssitzung in den Landgasthof Schönbühl         Kantonsarzt im Tessin
einzuladen. Vor mehr als einem Jahrzehnt getraute     Im Alter von 35 Jahren ergab sich eine neue be-
 sich der damalige Innenminister Pascal Couchepin     rufliche Herausforderung: Ignazio Cassis bewarb
 in die Höhle der Bären. An der heurigen März-Sit-    sich für die Stelle des Kantonsarztes in B
                                                                                               ­ ellinzona.
 zung folgte Bundesrat Ignazio Cassis der Einla-      Er war der einzige Kandidat im Kanton, der über
dung unseres Präsidenten. Für den A­ ussenminister    die notwendigen Weiterbildungen verfügte. Er war
war es freilich ein Heimspiel. Die Sympathien be-     auch der Einzige ohne politische ­Unterstützung.
 ruhen seit vielen Jahren auf Gegenseitigkeit. Der    Aus diesen Gründen wurde er gewählt – trotz
 heutige Bundesrat nahm in der Vergangenheit          wenig beruflicher Erfahrung. Elf Jahre lang
­öfters an Klausurtagungen der BEKAG teil. 2009       war Ignazio Cassis Kantonsarzt im Tessin. Eine
erwies uns der damalige Nationalrat an der Feier in   Heraus­forderung, denn «es gibt kein Lehrbuch für
Burgdorf zum 200-Jahre-Jubiläum unserer Gesell-       Kantonsärzte», wie der Bundesrat es ausdrückt.
 schaft die Ehre. Die BEKAG-Präsidenten Schlup        Frisch von der Uni, war der junge Akademiker es
 und Gafner tauschten sich in all den Jahren regel-   sich gewohnt, evidenzbasiert zu arbeiten. Doch
 mässig mit Ignazio Cassis aus.                       fand er sich als Kantonsarzt in einer Welt wieder,
                                                      die komplett anders funktionierte. Er musste sein
Bundesrat Cassis, begleitet von seiner persönli-      Denken umstellen.
chen Mitarbeiterin Anna Fazioli und seinem Fah-
rer, berichtete im Landgasthof von seinem Weg in      Der Einstieg in die nationale Politik geschah zufäl-
die Politik. 1987 schloss er sein Medizinstudium      lig: Der Parteipräsident der kantonalen FDP rief
mit dem Staatsexamen in Zürich ab. Ende der           ihn an und sagte frank und frei, die anderen Par-
1980er-Jahre begann er, Aids-Patienten zu betreu-     teien hätten Ärzte auf ihren Nationalratslisten, die
en. Er führte in Lugano eine HIV-Sprechstunde         FDP brauche jetzt auch einen. Cassis ahnungslos,
und sah, wie wichtig die soziale Dimension der        wie ein Wahlkampf zu führen sei, sagte zu. Er wur-
Medizin ist: «Die Patienten waren zwar klinisch       de 2003 zwar nicht gewählt, erreichte aber den ers-
krank, brauchten Medikamente, aber für die man-       ten Ersatzplatz und rückte 2007 in den Nationalrat
nigfaltigen Schwierigkeiten im Leben gab es keine     nach. Zehn Jahre später wählte in die ­Vereinigte

                                                         doc.be 03/2018 Vorstandssitzung März 2018       7
Ein Bundesrat im Landgasthof Esther Hilfiker im Interview An App a day keeps the doctor away?
Bundesrat Ignazio Cassis:       Bundesversammlung in die Landesregierung. Sei-         ­ igentliche ­Ursachenbekämpfung. Und in beiden
                                                                                       e
«Wir müssen uns von der Idee    ne berufliche Karriere nahm damit eine andere          Berufen gehe es darum, Erwartungen und Stim-
verabschieden, dass jemand      Wendung.                                               mungslagen wahrzunehmen.
für uns die Probleme löst.
Das müssen wir schon selber     Viel weniger Freiraum                                  Ratschläge
machen.»                        Inwiefern unterscheidet sich Ignazio Cassis’ heu-      Welche Ratschläge kann Bundesrat Ignazio Cassis
                                tiges Amt von der standespolitischen Tätigkeit ei-     standespolitisch engagierten Ärztinnen und Ärz-
                                nes Milizlers? Als Bundesrat und Aussenminister        ten geben, er, der die Welt der Milizorganisationen
                                besitze er viel weniger Freiräume, sagt er. «Früher,   wie der hochprofessionalisierten Politik kennt?
                                als Milizparlamentarier, konnte ich verschiedene       Wie verhilft man seinen Anliegen zum Durch-
                                Funktionen gleichzeitig ausüben. Als Lehrbeauf-        bruch?
                                tragter an der Universität, Verbandsfunktionär
                                und Fraktionspräsident war ich mit dem Ruck-           Für den Aussenminister ist die politische Arbeit
                                sack unterwegs und arbeitete im Zug. Die ganze         der ärztlichen Tätigkeit in einem Punkt ähnlich:
                                Schweiz war mein Büro!» Auch als Aussenminis-          Am Anfang steht eine präzise Analyse des Prob-
                                ter widme er sich aber innenpolitischen Themen         lems. Im ärztlichen Alltag folgt ja auch die Diagno-
                                wie den Gesundheitskosten und der Revision des         se auf die Anamnese. Dann folgt die erste Frage:
                                Tarmed. Jeder Bundesrat, so Cassis, müsse sich an      Wer ist wirklich zuständig? Die zweite Frage lau-
                                den wöchentlichen Sitzungen mit allen Themen der       tet: Wie bringen wir uns in den Umsetzungsprozess
                                Regierung befassen.                                    ein? Wir müssen uns von der Idee verabschieden,
                                                                                       dass jemand für uns die Probleme löst. Das müs-
                                Einem Placebo komme in der Politik bisweilen           sen wir schon selber machen. Wir brauchen aktive
                                genauso eine Funktion zu wie in der Medizin,           und fähige Leute für die verschiedenen Gremien.
                                glaubt der Bundesrat. Eine Massnahme könne             Die dritte Frage, die wir uns stellen müssen, lautet
                                vermeintlich noch so wirkungslos sein, wenn sie        darum: Wer ist geeignet, den operativen Prozess
                                glaubwürdig daherkomme, könne sie eine positive        mitzugestalten? Dazu braucht es fähige Kollegen –
                                Wirkung entfalten. Bundesräte wie Ärzte hätten         Menschen, die unser tägliches Business kennen
                                Erwartungen zu erfüllen. Sie sollen Probleme lö-       und keine Funktionäre. Last, but not least, müssen
                                sen und Beschwerden beseitigen – mit Pillen res-       die Prozesse koordiniert und überwacht werden.
                                pektive Gesetzen. Die Prävention sei bei beiden
                                Berufen zentral: Es gelte Probleme zu verhindern,
                                bevor sie auftauchten. Doch Präventionsarbeit sei
                                undankbar. Die Verabreichung einer Pille werde,
                                so Bundesrat Cassis, oft mehr gewürdigt als die

8        doc.be 03/2018 Vorstandssitzung März 2018
Der Countdown
läuft – 2020 soll
das EPD stehen
Am Swiss eHealth Forum in Bern diskutierte
 die Gesundheitsbranche den Stand der Dinge in
 der Umsetzung des EPDG bis 2020. Es wird
­konkreter.

Text: Benjamin Fröhlich, Presse- und                     wichtig, dass alle Beteiligten an das System ange-
­Informationsdienst                                      schlossen sind. Alle Spitäler der Region sowie die
 Bild: zVg                                               meisten Pflegeheime sind mittlerweile Mitglied
                                                         von eHealth Südost. Im ambulanten Bereich hinge-
2018 ist ein entscheidendes Jahr für die Einfüh-         gen sind erst wenige beigetreten. Um die Stammge-
rung des elektronischen Patientendossiers (EPD).         meinschaft auch für die Ärzte attraktiv zu machen,
Denn nun geht es an die konkrete Umsetzung in            ist nun eine Mitgliedschaft ohne Verpflichtung
den Stammgemeinschaften. Im Jahr 2015 verab-             zum EPD möglich.
schiedeten die eidgenössischen Parlamentarier das
Bundesgesetz über das elektronische Patienten-           Eine Umfrage bei den Mitgliedern ergab näm-
dossier (EPDG). Spitäler und Pflegeheime sind            lich, dass für viele das EPD nicht der wichtigste
dadurch verpflichtet, EPD zu führen; ambulant            eHealth-­P rozess ist. Viel wichtiger erschien den
behandelnde Ärztinnen und Ärzte sowie Patien-            Teilnehmenden der Umfrage der eBerichtsversand
ten hingegen sind noch frei, ob sie zum EPD wech-        und -empfang, gefolgt von der eZuweisung und
seln möchten.                                            eÜberweisung. Erst an dritter Stelle folgt das EPD.

Die EPD-Netzwerke werden nicht national, son-            Bei der Einführung von eHealth Südost konzent-
dern in Regionen organisiert. Dies stösst bisher         riert man sich deshalb auf sogenannte B2B-­Prozesse
auf breite Akzeptanz. Jede Region bildet so ein fö-      (business to business), also Prozesse zwischen den
derales Labor und gute Modelle können von einer          verschiedenen Anbietern. Erst mit zweiter Priorität
Region in eine andere exportiert werden.                 wird das EPD eingeführt. Dadurch hofft man, den
                                                        Austausch langsam zu verbessern und die ambu-
Bündner Ärzte sind kritischer als                        lant tätigen Ärzte für die Stammgemeinschaft zu
ihre Spitäler                                            gewinnen. Doch viele Haus­ärzte sind kritisch und
Wie ein Spitalverbund dem EPDG nachkommt und             sehen keinen Mehrwert für sich, sondern nur mehr
bis 2020 ein EPD-System auf die Beine gestellt hat,     ­Aufwand.
zeigte Richard Patt aus dem Kanton ­Graubünden
am eHealth Forum in Bern.                                Genfer Patienten sind langsamer als
                                                         ihre Region
Patt ist mit dem Aufbau der Stammgemeinschaft            Wie wichtig der Aufbau der eHealth-Regionen ist,
eHealth Südost betraut. Diese Region umfasst die         unterstreicht Adrian Schmid, Leiter der Geschäfts-
Kantone Glarus und Graubünden und zeichnet               stelle eHealth Suisse. Für ihn ist die Organisation
sich durch ein weit verzweigtes Netz kleiner (Tal-)      innerhalb von Regionen essentiell. ­Momentan sind
Spitäler aus. Gerade in einer solchen Struktur ist es    elf Stammgemeinschaften bekannt; der Bund hat

                                                        doc.be 03/2018 Elektronisches Patientendossier    9
Die treibenden Kräfte hinter       zehn Gesuche für Finanzhilfe erhalten. Die bis-   Unnötige Behandlungen verhindern,
dem EPD sind die Kantone,          herigen Vorbereitungen ergaben, dass in vielen    ­Notfälle sichern
am kritischsten sind die Ärzte.    Regionen technische Verbesserungen nötig sind.    Lukas Golder von gfs.bern kann bestätigen, dass
Diese fürchten unabsehbare        ­Wichtig ist, dass die Regionen jetzt mit den inter-
                                                                                     das Wissen in der Bevölkerung um das EPD genau
Folgen und Kosten.                 nen Arbeiten beginnen. Am besten solle man mit    so klein ist wie eh und je. Das belegen die Umfra-
                                   der Zertifizierung beginnen; das Ausführungs-     gen von Anfang 2018. Allerdings nimmt die Be-
                                   recht hingegen soll erst später angepasst werden. reitschaft zu, ein elektronisches Patienten­dossier
                                                                                     zu eröffnen. Die Studie identifiziert übrigens die
                                  Was man laut Schmid nicht erwarten könne, sei      zahlreichen Gesundheits-Apps als Grund für
                                  eine rasche Einbindung der Patienten ins eHealth-­ eine grössere Aufgeschlossenheit gegenüber dem
                                  System. Genf hat seine Stammgemeinschaft be- EPD. Ihre Inhalte möchten die Patienten aber
                                  reits 2014 lanciert. 2017 hatte die Gemeinschaft   nicht mit jedem teilen, sondern primär mit ihrem
                                  31 600 Patientinnen und Patienten an Bord. Das     Arzt oder ihrer Ärztin. Dafür haben sie auch kla-
                                  entspricht zwar 800 Neueintritten pro Monat, auf   re Anspruchshaltungen wie beispielsweise eine
                                  den Kanton betrachtet ist das aber nur ein klei- ­Online-Terminkartei.
                                  ner Teil der Bevölkerung (knapp 16 Prozent der
                                  500 000 Einwohner). Das hängt primär damit zu- Die Umfrage von gfs.bern zeigt auch, was im
                                  sammen, so Schmid, dass die Leute meist durch      doc.be bereits mehrfach erwähnt wurde: Die trei-
                                  eine Behandlungssituation vom EPD erfahren, benden Kräfte sind die Kantone, am kritischsten
                                  hingegen in der Gesellschaft sonst kaum darüber    sind die Ärzte. Diese fürchten unabsehbare Folgen
                                  gesprochen wird. Da es keine Vorgaben gibt, wie    und Kosten. Sowohl Ärztinnen als auch Patienten
                                  weit die Patienten bis 2020 in die Gemeinschaften  sind sich allerdings einig in den Nutzungserwar-
                                  eingebunden sein sollen, stellt die langsam voran- tungen: Unnötige Behandlungen sollen vermieden
                                  schreitende Einbindung der Patienten allerdings    werden und im Notfall soll die nötige Information
                                  kein Problem dar.                                  und Infra­struktur bereitstehen.

                                  Genf, fügt Schmid an, hat zudem erhoben, was die       Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Koopera-
                                  Patienten bewegt, der Gemeinschaft beizutreten.        tion des doc.be und dem Swiss Dental Journal SSO.
                                  Der Hauptgrund war der Zugang zu den eigenen
                                  Daten, gefolgt von der Erwartung einer besseren
                                  Koordination der Behandlungsanbieter.

10       doc.be 03/2018 Elektronisches Patientendossier
Weitere ­Präzisierungen
für das EPD
Wie in der letzten Ausgabe (doc.be 2/2018) angekündigt,
finden Sie nachstehend weitere Beispiele erzielter Verbesserungen
oder Präzisierungen im Beirat eHealth Suisse zum Bericht
«Strategie eHealth Schweiz 2.0, 2018–2022».

Text: Beat Gafner, Vorstand BEKAG                Erhalten auch Hilfspersonen wie               Nachher: «Bund und Kantone sorgen im
und Beirat eHealth Suisse                       medizinische Praxis- oder Pharma­              Rahmen ihrer Zuständigkeiten und in Ab-
                                                assistentinnen Zugriff auf die                 stimmung mit den verantwortlichen Bil-
Wie werden Gesundheitsfach­                     ­Inhalte des EPD?                              dungsorganisationen dafür, dass eHealth
personen für ihre Aufwände mit dem             Vorher: «Ja. Gesundheitsfachpersonen kön-       und die je nach Berufsgruppe relevanten
EPD entschädigt?                                nen solche Hilfspersonen einsetzen, um         Anwendungsfragen im Umgang mit digita-
Vorher: «… Auch diese Aufwände können          ­Daten und Dokumente im EPD bearbeiten          len Gesundheitsdaten in die Ausbildungs-
nicht zulasten der OKP weiterverrechnet         zu können.»                                    gänge aller Gesundheitsberufe aufgenom-
werden, sondern müssen der Patientin oder      Nachher: «Ja. Gesundheitsfachpersonen           men sowie im Rahmen von Weiter- und
dem Patienten selbst oder der Stammge-         können andere Personen einsetzen, um            Fortbildungen thematisiert werden.»
meinschaft der Patientin oder des P
                                  ­ atienten   Daten und Dokumente im EPD bearbeiten
in Rechnung gestellt werden.»                  zu können. Sie werden gemäss Art. 101 OR        Vorher: «Bund und Kantone setzen sich im
Nachher: Idem! Immerhin kann aber die          als ‹Hilfspersonen› b
                                                                   ­ ezeichnet.»               ­Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür ein,
Frage um die Anreizbildung im Beirat                                                            dass mehr Fachpersonen mit vertieften
eHealth Suisse des BAG tabulos diskutiert       Wie verbindlich sind die zukünftig              Kenntnissen in Medizin­informatik ausge­
werden. Dabei wird auf die KPMG-Studie           im Anhang 4 der EPDV-EDI                       bildet werden (z. B. Master­lehrgang für
«Mögliche Organisations- und Finanzie-          ­festgelegten Austauschformate?                 Medizininformatik).»
rungsmodelle von Gemeinschaften und             Die Frage betrifft bereits entwickelte Aus-    Nachher: «Bund und Kantone setzen sich
Stammgemeinschaften – Empfehlung an             tauschformate, die auf der jetzt ausgearbei-    im R­ ahmen ihrer Zuständigkeiten dafür
die öffentliche Hand – Schaffung von ge-        teten Vorlage beruhen.                         ein, dass die für die Umsetzung des elekt-
eigneter Anreizstruktur im ambulanten          «Von den national empfohlenen und den zu-        ronischen Patientendossiers notwendigen
Bereich» hingewiesen.                           künftigen Austauschformaten fl  ­ iessen die   Fachpersonen ausgebildet werden.»
                                                behandlungsrelevanten Typen schrittweise
 Braucht es eine gesetzliche Grund­             in das Ausführungsrecht zum Bundes­gesetz      Die Beispiele mögen Ihnen zeigen, auf
 lage für die Sekundärnutzung der               über das elektronische Patienten­dossier ein   welchen Ebenen und mit welchen kom-
 Daten aus dem elektronischen                  (Anhang 4). Eine von eHealth Suisse geführ-     plexen Fragen sich die Interessierten, d. h.
 Patientendossier (z. B. ­anonymisierte         te Arbeitsgruppe ‹AG Austausch­formate›        die Kantone und ihre KÄGs, GDK, BAG,
Auswertung zur ­Steuerung des                  ­erarbeitet die zugrundeliegende Strategie      BFS, EDI, eHealth Suisse, IT-und Soft-
­Gesundheitssystems)?                           und setzt sich auch mit Austauschformaten,     warefirmen, Betriebsgesellschaften und
Vorher: «Ja, da die Sekundärnutzung der        die nicht Teil des EPD sind, auseinander.»      Anbieter von Plattformen wie die POST,
 Daten des elektronischen ­Patientendossiers                                                   Swisscom Health AG, AD Swiss / Health
 im EPDG nicht geregelt ist.»                  Weitere Beispiele                               Info Net etc., wenn möglich untereinander
Nachher: Idem! Immerhin werden gemäss          Vorher: «Bund und Kantone sorgen im             koordiniert auseinander­setzen müssen.
BAG die Voraussetzungen bezüglich Se-          Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür, dass
 kundärnutzung nochmals detailliert ange-      eHealth und die Grundlagen der medizini-
 schaut.                                       schen Informatik in die Ausbildungsgänge
                                               aller Gesundheitsberufe aufgenommen so-
                                               wie im Rahmen von Weiterbildungen ver-
                                               mittelt werden.»

                                                                                      doc.be 03/2018 Elektronisches Patientendossier    11
Süsser Verführer
                          Zucker
                           Zucker schadet der Gesundheit. Steigendes
                          ­Übergewicht in der Bevölkerung veranlasst immer
                           mehr Länder zu Massnahmen, die den Zucker­
                           konsum senken. Public Health Schweiz hat
                           am 26. April 2018 ein Symposium organisiert, um
                           solche Massnahmen zu diskutieren.

                          Text: Rahel Brönnimann, Presse- und                    ­setzen sie auf Aufklärung, um die Ernährungs-
                          ­Informationsdienst                                    kompetenzen der Bevölkerung zu stärken. Sie wol-
                           Bild: iStockphoto                                     len aber auch die Rahmenbedingungen verbessern
                                                                                 und die gesunde Wahl vereinfachen, zum Beispiel
                          Egal, mit welchen verfügbaren Zahlen wir schät-        mit gesundem Essen in Kantinen.
                          zen oder rechnen – das Resultat bleibt: Wir essen
                          viel zu viel Zucker. Die Weltgesundheitsorgani-        Weniger versteckte Zucker
                          sation WHO empfiehlt, der Gesundheit zuliebe           Die Schweiz setzt bei den Bemühungen zur Zucker­
                          nicht mehr als fünf Prozent der täglich benötigten     reduktion vor allem auf freiwillige Vereinbarungen
                          Energiemenge mit Zucker zu decken. Das wären           mit der Industrie. Zum Beispiel lässt sich die kon-
                          für eine erwachsene Person, die tagsüber viel sitzt,   sumierte Menge Zucker senken, indem man die
                          rund 25 Gramm Zucker. Durchschnittlich konsu-          Zusammensetzung von Lebensmitteln verändert.
                          mieren wir aber das Vierfache davon: Das Bundes­       Mit der Erklärung von Mailand im Jahr 2015 ha-
                          amt für Lebensmittelsicherheit und Veterinär­          ben sich verschiedene Firmen in der Schweiz bereit
                          wesen BLV schätzt den Schweizer Zuckerkonsum           erklärt, den Zuckergehalt in Joghurt und Müsli
                          auf 110 Gramm pro Person und Tag. Diese hohe           zu senken. Mit erstem Erfolg: Bei 461 untersuch-
                          Zuckerdosis macht krank: Karies, Übergewicht,          ten Joghurts ist der Anteil an zugesetztem Zucker
                          Diabetes, Gicht, Bluthochdruck oder Herz- und          im Schnitt um drei Prozent auf 16.2 Gramm pro
                          Gefässerkrankungen hängen mit zu hohem Zu-             Becher gesunken. Das entspricht immer noch der
                          ckerkonsum zusammen. Ziel von Gesundheits­             Menge von durchschnittlich über vier zugefügten
                          organisationen, aber auch vom BLV ist deshalb,         Zuckerwürfeln pro Becher, einige 180-grämmige
                          den Zuckerkonsum der Bevölkerung zu senken.            Joghurts enthalten sogar über acht zugefügte Zu-
                          Das ist allerdings alles andere als einfach. Denn      ckerwürfel. Mehrere neu lancierte Joghurts weisen
                          die Zuckerproduktion ist auch in der Schweiz ein       jedoch einen geringeren Zuckergehalt auf als der
                          beachtlicher Wirtschaftszweig und die Lebens­          Durchschnitt – aus Sicht der Gesundheitsförde-
                          mittelindustrie hat kein Interesse, weniger Zucker     rung zwar ein kleiner Schritt, aber in die richtige
                          zu verarbeiten und zu verkaufen. Zudem ist Zucker      Richtung.
                          eine Währung der Zuneigung, damit belohnen
                          und beschenken wir uns. Ob Geburtstagskuchen,          Doch wie finden die Konsumenten in den langen,
                          Weihnachtsguetzli oder Schoggi-Osterhase – es          mit Joghurt gefüllten Regalen im Supermarkt
                          gibt kaum eine Feierlichkeit, bei der Zucker nicht     jene, die wenig Zucker haben? Selbst wenn sich
                          eine wesentliche Rolle spielt. Was also unterneh-      jemand die Zeit nehmen würde, die Deklarati-
                          men Staaten und Akteure im Gesundheitswesen,           onen auf den Joghurts zu vergleichen – er müss-
                          um den Zuckerkonsum zu senken? Zum einen               te auch «versteckte» Zucker erkennen. Einige

12   doc.be 03/2018 Symposium Zuckerkonsum
Ob Geburtstag, Ostern oder      Produzenten umschreiben das Wort «Zucker»               eine Frucht­portion durch zwei Deziliter Fruchtsaft
Weihnachten – wird ­gefeiert,   durch Unter­kategorien wie «Saccharose» oder            zu ersetzen.
dann kommt ordentlich           «­
                                 Glukose» oder listen Zutaten wie Ahornsirup
­Zucker auf den Tisch.          oder Apfelsaft­konzentrat auf, die grösstenteils aus    Von der Lebensmittelindustrie verlangen mehre-
                                Zucker bestehen. Barbara Pfenninger vom Konsu-          re Symposiums-Teilnehmer insbesondere Mass-
                                mentenverband der Romandie FRC fordert für den          nahmen, um Kinder besser zu schützen. Nathalie
                                Zuckergehalt deshalb eine klare, farbliche Kenn-        Farpour-Lambert fordert unter anderem ein ver-
                                zeichnung von Produkten.                                nünftiges Marketing und den Verzicht auf u
                                                                                                                                 ­ nwahre
                                                                                        Werbeversprechen: Stark zuckerhaltige Lebens-
                                  Füssige Zuckerbomben                                  mittel dürfen nicht als gesund verkauft werden.
                                Einen sehr hohen Zuckergehalt weisen Süss­              Zudem sollten solche Produkte im Laden nicht auf
                                getränke auf. Der Konsum von Süssgetränken und          Augenhöhe der Kinder platziert werden.
                                die Zunahme des Körpergewichts hängen eng zu-
                                  sammen – das zeigen 97 Prozent von 30 Studien,
                                die in den letzten drei Jahren zum Thema durchge-
                                  führt worden sind. Einige Länder, Regionen oder
                                 ­Städte versuchen nun den Zuckerkonsum durch
                                 Besteuerung von Süssgetränken einzudämmen.
                                Wo bereits längere Zeit eine solche Steuer erhoben
                                wird, zeigen sich Effekte: In Mexiko, Berkeley und
                                ­Philadelphia hat sich das Konsummuster verändert.
                                 Die Bevölkerung trinkt weniger Süssgetränke und
                                  mehr Wasser. Seit Februar 2017 haben Katalonien,
                                 Portugal, San Francisco, Seattle, Irland und Süd-
                                afrika eine Zuckersteuer eingeführt. Die Ärztin
                                 Nathalie Farpour-Lambert vom Universitätsspi-
                                  tal Genf weist auf den hohen Fruchtsaftkonsum
                                  in e
                                     ­ inigen Ländern hin. Fruchtsaft gilt als gesun-
                                des Getränk, strotzt aber vor Zucker: Ein halber
                                Liter Apfelsaft enthält 14 Würfelzucker. Wenn
                                also weniger Süssgetränke aber mehr Fruchtsaft
                                getrunken wird, ist das Problem nicht vom Tisch.
                                Das Getränk der Wahl ist Wasser. Gesundheits-
                                organisationen empfehlen, pro Tag nicht mehr als

                                                                                            doc.be 03/2018 Symposium Zuckerkonsum       13
Die Auswirkungen                                         Schwierig ist allerdings zu erkennen, wo überhaupt
                                                                                   überall Zucker drinsteckt. Während Süssigkeiten,
                          des Zuckers                                              Süssgetränke oder süsse Backwaren offensichtlich
                          auf unseren Körper                                      Zucker enthalten, erwarten wir das nicht unbe-
                                                                                  dingt in Fertigsaucen und Tiefkühlpizzas. Schwie-
                          Bild: zVg                                                rigkeiten bereiten auch die vielen verschiedenen
                                                                                  ­Namen, hinter welchen sich Zucker verbergen. Die
                          Nachgefragt bei PD Dr. Bettina Wölnerhanssen,            sogenannten «versteckten» Zucker lassen sich am
                          Leiterin ad interim, St. Clara Forschung AG,             besten vermeiden, wenn man die Mahlzeiten mög-
                          St. Claraspital Basel.                                   lichst selber zubereitet. Das ist zwar zeitaufwendig,
                                                                                  aber man weiss am Ende, was man isst.
                          Braucht unser Körper Zucker aus
                          der Nahrung?                                            Spielt es für unseren Körper eine Rolle,
                          Tatsächlich braucht unser Körper Zucker. Die            welche Art von Zucker wir ­konsumieren?
                          roten Blutkörperchen (= Erythrozyten) beispiels-        Ist beispielsweise Fruktose für unseren
                          weise können ohne Glukose (= Traubenzucker)             Körper ­gesünder als ­Saccharose?
                          nicht funktionieren. Allerdings brauchen wir in         Der Zweifachzucker Saccharose wird im ­Körper
                          der Nahrung keinen Zucker. Glukose können wir           relativ rasch zu den Bestandteilen Fruktose und
                          glücklicherweise aus verschiedenen Nahrungssub-         Glukose abgebaut und so w     ­ eiterverarbeitet. Bei
                          straten wie zum Beispiel Stärke, Fett oder Protein      akutem Konsum von Fruktose wird der Blutzucker­
                          im Körper selber herstellen. Den modernen Men-          spiegel nicht erhöht, im Gegensatz zur Glukose.
                          schen (Homo sapiens) gibt es seit 100 000 Jahren        Dafür steigen bei der Fruktose die Blutfette an
                          und die Spezies hat sich ohne Zucker prächtig           und Fruktose hat im Gegensatz zu Glukose kaum
                          entwickelt. Zucker ist erst seit 150–200 Jahren         einen sättigenden Effekt. Gewisse Studien liefern
                          Bestandteil unserer täglichen Nahrung. Er ist ein       Hinweise, dass Fruktose sogar den Appetit stimu-
                          reines Luxusprodukt, auf das wir nicht angewiesen       liert. Bei regelmässigem, übermässigem Konsum
                          sind.                                                   wirken sowohl die beiden Einfachzucker Glukose
                                                                                  und Fruktose als auch der Zweifachzucker Saccha-
                           Ist Zuckerkonsum eine Kopfsache? ­                     rose schädlich auf diverse Organsysteme. Es macht
                           Können wir unseren Appetit auf ­Zucker                 keinen Sinn, den einen Zucker dem anderen vor-
                           durch Selbstkontrolle steuern?                         zuziehen. Grundsätzlich sollten alle reduziert wer-
                           Im Körper ist der Appetit und die Sättigung kom-       den. Die gegenwärtige Tendenz, Saccharose durch
                           plex reguliert. Das ist wichtig, denn der Körper ist   Fruktose zu ersetzen, ist allerdings keine gute Idee,
                           immer um ein Gleichgewicht bestrebt: nicht zu viel     denn Fruktose erweist sich als besonders unvorteil-
                           Energie, nicht zu wenig. Der Blutzucker­spiegel        haft.
                           muss ebenfalls in einem engen Rahmen bleiben.
                           Die meisten Prozesse laufen hier unbewusst ab.         Sind alternative Süssstoffe eine ­Option?
                           Nur ein kleiner Teil geht über das Bewusstsein         Oder: Ist Cola Zero für ­unseren Körper
                           und kann so gezielt kontrolliert werden. Das be-       besser als Cola?
                           deutet aber nicht, dass man den Zuckerkonsum           Der Zuckerkonsum sollte zweifellos reduziert wer-
                           nicht bewusst einschränken kann. Das ist am            den. Der Ersatz durch andere süssschmeckenden
                          ­A nfang schwer, wird dann aber einfacher. Die Ge-      Substanzen, die weniger schädlich sind, ist eine
                           schmacksknospen auf der Zunge gewöhnen sich            Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Aller­
                           bei hohem Konsum an die süsse Nahrung und              dings werfen gewisse Studien mit künstlichen
                           stumpfen ab. Wenn man den Zucker reduziert oder        Süssstoffen Fragen auf. Ein chronischer Konsum
                           sogar einige Zeit ganz darauf verzichtet, stellt man   grösserer Mengen sollte zumindest kritisch be-
                                                                                  ­
                           fest, dass süsse Speisen plötzlich viel süsser emp-    trachtet werden. Möglicherweise wäre es günstiger,
                           funden werden. So bekommt man schneller genug          eine breite Palette an v­erschiedenen Süssungs­
                           und der Verzicht fällt einem leichter.                 mitteln zu verwenden und auch vermehrt auf

14   doc.be 03/2018 Symposium Zuckerkonsum
natürlich vorkommende Substanzen wie Inulin             Wieso sind Kinder besonders
 oder Birkenzucker und Erythrit zurückzugreifen.        ­schutzbedürftig?
 Grundsätzlich sollte man den Anteil an süssschme-      Kinder sind uns ausgeliefert und essen das, was wir
 ckenden Nahrungsmitteln reduzieren und nicht            ihnen anbieten. Sie vertragen weniger Zucker als
­versuchen Zucker 1:1 zu ersetzen.                      Erwachsene, weil ihr Körpervolumen viel geringer
                                                         ist und sie zudem durch die ­Wachstumshormone
Ein Glas Wasser wäre also sowohl Cola Zero als           besonders empfindlich auf Zucker reagieren.
auch Cola vorzuziehen. Vor die Wahl Cola oder           Gleichzeitig sind sie sehr empfänglich für W
                                                                                                   ­ erbung,
Cola Zero gestellt, würde ich Cola Zero wählen.         was auch rege genutzt wird: Sie werden als Ziel­
Denn über die schädlichen Effekte von Zucker be-         publikum von allen Seiten umworben. Gewisse
stehen keine Zweifel.                                    Schäden, die durch den Zuckerkonsum entstehen –
                                                        wie beispielsweise Karies oder AGEs – begleiten
Was ist der «Verzuckerungsgrad» (AGE),                   sie ein Leben lang. Wir haben hier eine grosse
was sagt der Wert aus?                                 ­Verantwortung und müssen mehr dafür tun, die
Wenn Proteine in Zucker gebadet werden, dann            Kinder zu schützen.
legen sich spontan Zuckergruppen an das Protein
und formen stabile Komplexe, die man AGE nennt         Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Koopera-
(für «­Advanced g  ­ lycation endproducts»). Diese     tion des doc.be und dem Swiss Dental Journal SSO.
Zuckergruppen können das Protein in seiner Funk-
tion einschränken. Unser Körper ist aus P­ roteinen
aufgebaut und diese werden regelmässig in Zu-
cker gebadet, dem Blutzucker. Die Entstehung
von AGE ist an sich ein gewöhnlicher Alterungs­
prozess. Ist allerdings der Blutzuckerspiegel oft
erhöht, dann entstehen mehr AGEs und reichern
sich im Körper an, und das gilt es zu vermeiden.
Insbesondere das Kollagen, das für die Elastizität
beispielsweise der Haut und der Gefässe wichtig
ist, wird durch die Zuckergruppen geschädigt. Wer
also über einen längeren Zeitraum öfter einen er-
höhten Blutzuckerspiegel hat, bezahlt dies mit vor-
zeitiger Alterung der Haut und der Gefässwände.

Ist Zucker eine Droge?
Zucker ist eine psychoaktive Substanz, die einige
Eigenschaften mit anderen D ­ rogen teilt. So werden   PD Dr. Bettina Wölnerhanssen
im Gehirn Dopamin-­     Rezeptoren stimuliert, ge-     Seit 2016 betreibt PD Dr. Bettina Wölnerhanssen klinische
nau wie bei anderen Drogen. Weiter kommt es zu         Forschung am St. Claraspital Basel. Sie hat Medizin an der
Entzugssymptomen, wenn jemand, der vorgängig           Universität Basel studiert und 2010 ihren Facharzttitel in
regelmässig viel Zucker konsumiert hat, plötzlich      Chirurgie erlangt. Ihre Schwerpunkte sind die Erforschung
ganz auf Zucker verzichtet. Auch sind Verschie-        von Appetit- und Sättigungsmechanismen, Übergewicht und
bungen von Süchten beschrieben: Alkoholiker, die       die Erforschung von den Effekten der gewichtsreduzieren-
beispielsweise auf Zucker ausweichen. Während          den (bariatrischen) Chirurgie sowie von Zucker und Zucker­
der Prohibition stieg der Zuckerkonsum in den          ersatzstoffen.
USA stark an. Im Gegensatz zu anderen Drogen
sind allerdings keine direkten Wirkungen sichtbar:
Man bekommt keinen offensichtlichen Rausch­
zustand.

                                                           doc.be 03/2018 Symposium Zuckerkonsum             15
An App a day
                           keeps the doctor
                           away?
                           Viele Menschen benutzen heutzutage Gesund-
                           heits-Apps. Was bedeutet das? Von Chancen und
                           Gefahren.

                            Text: Benjamin Fröhlich, Presse- und                   Noch delikater wird es, wenn die Frage nach dem
                            ­Informationsdienst                                    Finanzierungsmodell der App gestellt wird. Viele
                             Bild: iStockphoto                                     Apps sind «gratis»; was bedeutet das für die Ver-
                                                                                   lässlichkeit einer Anwendung? Diese Apps werden
                            Vor ungefähr zehn Jahren kam das erste Smart­          über Werbung bezahlt oder durch Firmen gespon-
                             phone auf den Markt. Das Mobiltelefon und vor         sert. Welche Interessen verbergen sich hinter einem
                            ­allem dessen Gebrauch haben sich dadurch stark        scheinbar neutralen Programm?
                            gewandelt. Eine der zahlreichen Änderungen ist
                             die App. Schätzungsweise gegen vier Millionen         Regulierung muss sein
                            Apps gibt es heute, Tendenz stark steigend. Von        Es sind Fragen, die sich nicht so einfach beantwor-
                             2014 bis 2015 nahm die weltweite App-Nutzung          ten lassen. In Sachen Regulierung besteht Hand-
                             um mehr als 60 Prozent zu. Viele dieser Apps dre-     lungsbedarf. Die Benutzerin muss wissen können,
                             hen sich um Gesundheit. Allein im App-Store von       ob eine App verlässlich ist. Die weitverbreitete
                            Apple gibt es mehr als 100 000 Apps, die sich mit      App-Bewertung mit Sternchen ist es jedenfalls
                             Lebensqualität, Fitness und Gesundheit beschäfti-     nicht; diese Sternchen lassen sich nämlich kaufen.
                            gen. Es gibt Diät-Apps, Diabetes-Apps oder Herz-       Es gibt zwar gewisse staatliche Regulierungen,
                             rhythmus-Apps.                                        aber mit der schnelllebigen Welt der Apps kön-
                                                                                   nen diese kaum mithalten. Die Bundesrepublik
                            Gefahren und Probleme                                  Deutschland versuchte es mit der Vergabe von
                            Solche Apps sind noch vergleichsweise einfach zu       Siegeln. Das hat aber nicht funktioniert; weder
                            bedienen. Andere entsprechen mittlerweile kom-         die Nutzer noch die Hersteller kennen diese Sie-
                            plexen Programmen der Diagnostik und Therapie.         gel. Zudem hat sich gezeigt, dass auch solche Siegel
                            Das ist nicht unproblematisch. Schnell stellt sich     nicht wirklich verlässlich sind.
                            die Frage: Wie verlässlich sind diese Apps?
                                                                                   Die klassischen Qualitätsprüfungen greifen also
                            Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Klar ist ein-   nicht. Eher bräuchte es eine Struktur, die der Dy-
                            zig, dass zahlreiche Gefahren existieren. Es beginnt   namik des Marktes angepasst ist. Möglich wäre
                            damit, dass die App möglichweise nicht macht, was      etwa eine Sensibilisierung der Nutzer durch Auf-
                            sie soll: Technische, inhaltliche oder programmier-    klärung. Achten sich die Nutzer mehr auf die Ge-
                            technische Schwächen können auftreten, aber auch       fahren und Probleme solcher Apps, liesse sich die
                            falsche Handhabung durch den Benutzer. Es kann         Qualitätskritik und -sicherung intrinsisch realisie-
                            auch sein, dass eine App mehr macht, als sie soll;     ren. Die Sensibilisierung müsste aber auch bei den
                            zum Beispiel, dass sie Daten weitergibt und damit      Herstellern und Stakeholdern greifen.
                            gegen die Persönlichkeitsrechte verstösst.

16   doc.be 03/2018 Swiss eHealth Forum
Ärztinnen und Ärzte können      What’s App, doctor?                                    Soll die Ärzteschaft sich also mit Apps beschäfti-
wichtige Orientierungs-         Spätestens an diesem Punkt wird klar: Medizi-          gen und versuchen, die Spreu vom Weizen zu tren-
hilfe bei der Beurteilung von   nische Fachpersonen können sich nicht aus der          nen? Es ist zumindest wahrscheinlich, dass ihre
Gesundheits-Apps leisten.       Debatte raushalten. Eine Ärztin muss heute da-         Stimme gehört würde. Denn sie ist für Patienten
                                mit rechnen, dass ihr Patient Gesundheits-Apps         in Hinblick auf Gesundheit erste Anlaufstelle und
                                verwendet. Für die ärztliche Behandlung könnten        Vertrauensperson. Eine Ärztegesellschaft könnte
                                Apps unter Umständen eine sinnvolle Ergänzung          Leitkriterien für Apps festlegen, welche Zweckmäs-
                                darstellen – vorausgesetzt, der genutzte Dienst        sigkeit, Rechtskonformität, ethische Unbedenk­
                                funktioniert korrekt und sinnvoll. Bereits heu-        lichkeit, Transparenz usw. grob definieren. Ob dies
                                te verwenden laut Studien knapp 80 Prozent der         viel Licht in den Wildwuchs des App-Dschungels
                                US-Ärzte regelmässig Apps für den Berufsalltag.        bringt, bleibt jedoch fraglich.
                                Ein Beispiel hierfür ist die App zu Arzneimit-
                                telsicherheit während der Schwangerschaft und          Dieser Artikel stützt sich in grossen Teilen auf den
                                Stillzeit. Apps können Vorteile für die ärztliche      Vortrag «Apps & Co: Patientennutzen, Kommerz,
                                Behandlung bringen. Sie helfen bei der digitalen       Kontrolle» von PD Dr. med. Urs-Vito Albrecht,
                                Transformation des Gesundheitswesens, sind für         Medizinische Hochschule Hannover, anlässlich
                                Patienten niederschwellig zugänglich und bieten        des Swiss eHealth Forum am 08.03.2018 in Bern.
                                handfeste Vorteile, vor allem in Hinblick auf die      Der Artikel entstand im Rahmen einer Kooperati-
                                Mobilität und zeitliche Verfügbarkeit.                 on des doc.be und dem Swiss Dental Journal SSO.

                                Fragen Sie Ihren Arzt …
                                Gesundheitspersonal und nicht zuletzt auch Ärzte
                                verwenden also Apps oder sind mit dem Gebrauch
                                von Apps durch Patienten konfrontiert. Das be-
                                deutet auch, dass Ärzte früher oder später zumin-
                                dest in die Situation kommen, dass sie von einer
                                App abraten müssen. Möglicherweise kann ein
                                Arzt aber sogar eine App empfehlen. Hierbei ist
                                allerdings Vorsicht geboten. Es liegt in seiner Ver-
                                antwortung, korrekte Mittel anzuwenden. Wenn
                                durch die Anwendung einer nicht geeigneten App
                                Schäden entstehen, haftet er.

                                                                                                doc.be 03/2018 Swiss eHealth Forum      17
Eine Aus­
                            zeichnung für die
                            Begeisterung
                             Dr. Yara Banz ist Pathologin aus Leidenschaft –
                             und genau das will sie auch den Studierenden mit
                             auf den Weg geben.

                             Text: Simone Keller, Presse- und                         weil ich vieles gemacht habe, was für den Titel
                             Informationsdienst                                       nicht angerechnet wurde.» Ausschlaggebend war
                             Bild: zVg                                                schliesslich ein Interview, welches sie für die Stu-
                                                                                      dentenzeitschrift mit dem damaligen Chefarzt für
                             «Meine erste Reaktion? Pure Überraschung! Es             Pathologie geführt hatte. Ob sie denn nicht Patho-
                             gibt so viele gute Dozierende hier an der Univer-        login werden wolle, fragte er sie. Wieso eigentlich
                             sität Bern», sagt die Pathologin Dr. Yara Banz. Sie      nicht, dachte sich Yara Banz.
                             wurde 2018 von den Studierenden als «Teacher of
                             the Year» ausgezeichnet. Die Fachschaft Medizin          Im stillen Kämmerlein
                             vergibt diesen Titel seit 1987 jedes Jahr. Sie begrün-   Bis heute hat sie ihren Entscheid nicht bereut. Das
                             det den Entscheid damit, dass Yara Banz komplexe         Mikroskopieren fasziniert sie. Dieser visuelle As-
                             Themen verständlich präsentiert und dass bei ihr         pekt der Arbeit sei schon sehr spezifisch und nicht
                             eine grosse Begeisterung für ihr Fachgebiet spür-        jedem gegeben: «Pathologie ist ein Randfach. Die
                             bar ist.                                                 meisten studieren Medizin, um am Patienten zu ar-
                                                                                      beiten.» Sie denkt kurz nach, lacht: «Viele haben
                                                                                      ein falsches Bild von uns. Sie denken, dass Patho-
                             «Viele denken, dass Patho­                               logen irgendwie komisch sind – eine Art von Au-
                             logen irgendwie komisch                                  tisten, die den ganzen Tag im stillen Kämmerlein
                                                                                      hinter dem Mikroskop sitzen». Yara Banz ist der
                              sind – eine Art von ­Autisten,                          Beweis dafür, dass dieses Vorurteil nicht stimmt.
                             die den ganzen Tag im                                    Auch ihr fehlt zuweilen der Patientenkontakt, da-
                             ­stillen Kämmerlein hinter                               für geniesst sie den Austausch mit Studierenden
                             dem Mikroskop sitzen».                                   und Assistierenden umso mehr. Da ist es wieder,
                                                                                      dieses Funkeln in den Augen, wenn sie von ihrer
                                                                                      Lehrtätigkeit erzählt. «Der Kontakt mit den Stu-
                             Diese Begeisterung – ja, sie ist zu spüren, auch         dierenden ist nicht nur eine willkommene Ab-
                             wenn Yara Banz gerade nicht vor ihren Studie-            wechslung im Alltag, sondern eine Bereicherung.
                             renden steht. Sie ist lebhaft, auf Fragen antwortet      Noch kein Semester ist vergangen, in dem ich nicht
                             sie rasch und ohne Umschweife. Dass sie ihren            etwas Neues gelernt habe. Immer wieder kommen
                             Facharzttitel in Pathologie gemacht hat, war eher        Fragen, die ich so nicht erwartet und mir bisher
                             Zufall als von langer Hand geplant. Lange wusste         nicht gestellt habe. Das schätze ich sehr».
                             sie nicht, welche Richtung sie einschlagen wollte:
                             «Viele scheuen sich davor, Umwege zu gehen. Ich
                             habe zehn Jahre gebraucht bis zum Facharzttitel,

18   doc.be 03/2018 Teacher of the Year 2018
Alles unter einem Hut
Den Medizinstudierenden rät die Pathologin, sich
 für eine Fachrichtung zu entscheiden, die sie fas-
 ziniert. Ohne Begeisterung sei es kaum möglich,
die hohe Arbeitsbelastung auszuhalten. Auch die
Pathologie ist längst kein typischer 9-to-5-Job
­
 mehr. Die Arbeitsmenge ist angestiegen, viele Zu-
 satzuntersuchungen fordern Fachwissen aus der
Pathologie. Den administrativen Aufwand erledigt
Yara Banz, die Mutter von zwei Kindern ist und
 80 Prozent arbeitet, oft abends, wenn die Kleinen
 im Bett sind. «Der Spagat zwischen Arbeits- und
­P rivatleben gelingt mir nicht immer gleich gut. Es
gibt Tage, an denen ich erst heimkomme, wenn
 meine Kinder schon schlafen. Das ist für sie und
 für mich nicht einfach.» Trotzdem: Ein Wechsel        Yara Banz
an eine Privatpathologie mit geregelteren Arbeits­     Nach abgeschlossenem Zweitstudium mit Erwerb eines
 zeiten ist für sie keine Alternative; zu sehr würde   MD PhD an der Universität Bern und einem Postdoc an der
 ihr die Vielschichtigkeit eines Unispitals fehlen.    Harvard Universität in Boston schloss Yara Banz ihre Patho­
                                                       logieweiterbildung in Bern und Aarau ab. Sie betreut die
Wahrscheinlich ist es genau das, was Yara Banz         Ausbildung der Medizinstudierenden in den Fachgebieten
so viel Energie gibt: Die Interaktivität, die Ab-      der kardiovaskulären Pathologie und Hämatopathologie an
wechslung im Arbeitsalltag. In ihrem Blick ist         der Universität Bern. Seit 2011 leitet sie hauptverantwort-
von ­Müdigkeit oder Überlastung keine Spur. Yara       lich die kardiovaskuläre Pathologie und Hämatopathologie
Banz legt Wert auf ihre Work-Life-Balance: «Auch       in Bern und betreut Forschungsprojekte in Kollaboration mit
wir Mediziner haben ein Leben neben der Arbeit.        nationalen und internationalen Partnern.
Wir sind nur gut, wenn wir eine gewisse Menge an
Schlaf und Erholung haben». Dass sie sich für die-
se Balance einsetzen, das erwartet die Pathologin
auch von ihren Studierenden. Dennoch dürften sie
zuweilen etwas mehr Durchhaltevermögen und
Leidensbereitschaft an den Tag legen: «Es ist nicht
schlimm, wenn etwas nicht beim ersten Anlauf           Ausgezeichnet
klappt. Dann muss man sich halt reinbeissen – und      Alljährlich prämiert die BEKAG die besten Abschlüsse an der
wenn man diese Phase übersteht, lernt man etwas        Medizinischen Fakultät in Bern mit je 1500 Franken. In der
dazu. Und zwar viel mehr, als wenn immer alles         Clinical Skills-Prüfung 2017 brillierte Elias Auer. Die beste
rund läuft».                                           Multiple Choice-Prüfung legte Ursula Patricia Hebeisen ab.
                                                       Herzliche Gratulation zu dieser Leistung!

                                                              doc.be 03/2018 Teacher of the Year 2018           19
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