Es kann jeden treffen - Die Rolle der Kommunikation im Ernstfall Patrick Suppiger

Die Seite wird erstellt Toni Hesse
 
WEITER LESEN
Es kann jeden treffen   | Erfahrung

Es kann jeden treffen
Die Rolle der Kommunikation im Ernstfall
Patrick Suppiger

Reputation und Image sind wichtig für Unternehmen, denn fehlendes Vertrauen in Produkte und Organisationen
schlägt sich rasch in den Verkaufszahlen nieder. Aufgrund dieser Ausgangslage sollte man annehmen, dass Firmen alles
daransetzen, um ihre Reputation zu schützen – eine Art Versicherung in Form eines Krisenmanagements aufbauen
und betreiben. Doch weit gefehlt: Viele Unternehmen sind kaum oder gar nicht auf Krisen vorbereitet und geraten so-
mit nach dem eigentlichen Krisen-Ereignis zusätzlich in eine Kommunikationskrise.

Es lohnt sich, sich in «Friedenszeiten» die nötige Zeit zu neh-   glieder gehört ins Portemonnaie oder aufs Handy. Nur so kön-
men, um ein Krisenmanagement aufzubauen, wozu auch die            nen die Mitglieder des Krisenstabs schnell reagieren. Weiter
Krisenkommunikation zählt.                                        müssen die Personen wissen, wo sich der Krisenstabsraum
    Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht über neue Unter-     befindet und welche Mittel sie mitnehmen müssen, um die
nehmenskrisen berichtet wird. Ob die Abstürze zweier Boe-         Krisenstabsarbeit zu tätigen. Dazu zählen beispielsweise Lap-
ing-Maschinen vom Typ 737 Max, die Manipulationsvorwürfe          top mit Ladekabel, Handy oder einen USB-Stick mit allen
bei Volkswagen oder der Streit zwischen Umweltaktivisten          Checklisten, sollte ein elektronischer Zugang zum Unterneh-
und dem Energiekonzern RWE rund um dem Hambacher                  menssystem nicht mehr möglich sein.
Forst. Dabei überrascht, dass gemäß einer Studie von Deloitte
gerade einmal 37 Prozent der Unternehmen bereit sind, Inves-      Die zentrale Rolle der Krisenkommunikation
titionen und Entwicklungen im Rahmen von Krisenmanage-            Jede Krise ist anders und der Verlauf kaum abschätzbar. Doch
mentprozessen und -fähigkeiten zu planen und umzusetzen.          was können Unternehmen und Einzelpersonen tun, wenn in
                                                                  der Krise kommuniziert werden muss?
Wie kann sich ein Unternehmen vorbereiten?                           Zentral ist der Aufbau eines professionellen Krisenmanage-
Zu einer guten Vorbereitung zählen die entsprechenden             ments, zu dem auch die Krisenkommunikation gehört. Kri-
Strukturen, die kontinuierlich auf ihre Belastbarkeit überprüft   senkommunikation soll bei den Zielgruppen, wie der Öffent-
und trainiert werden müssen. Es braucht dazu einen Krisen-        lichkeit, den Behörden oder Kunden, Vertrauen und Glaub-
stab mit klaren Rollen und Aufgaben. Dieser muss im Vorfeld       würdigkeit schaffen. Gute Krisenkommunikation bedeutet al-
definiert und die Mitglieder «beübt» werden. Welche Funktio-      so, in Krisen strategisch zu steuern, wie man wahrgenommen
nen im Krisenstab vertreten sind, sollte dem Unternehmen          wird, um Image und Reputation wahren zu können. Erreicht
entsprechend angepasst werden.                                    wird dies durch eine offene und transparente Kommunika­
   Oftmals sind es aber ähnliche oder gleiche Funktionen: Bei-    tion. Diese sollte mit entsprechender Geschwindigkeit und
spielsweise der Krisenstabsleiter, der Stabschef, die Kommu-      kon­tinuierlich erfolgen.
nikationsabteilung, die Abteilung für Recht & Compliance und         Dazu stehen dem Unternehmen neben der klassischen Me-
der so genannte Führungssupport. Weitere Funktionen, wie          dienmitteilung die eigenen Kanäle zur Verfügung. Einer dieser
etwa Human Ressourcen, werden im Rahmen des erweiterten           Kanäle ist eine so genannte Darksite. Damit ist ein Bereich in-
Krisenstabs hinzugezogen.                                         nerhalb der Website des Unternehmens gemeint, der erst
   Alle Krisenstabsmitglieder müssen sich ihrer Rolle und Auf-    dann für die Öffentlichkeit sichtbar wird, wenn eine Katastro-
gaben bewusst sein. Eine Kontaktliste aller Krisenstabsmit-       phe oder Krise eingetreten ist. Dark Sites werden erstellt, um

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2020                                                                                          41
Erfahrung | Es kann jeden treffen

im Ernstfall schnell reagieren zu können. Airlines oder Flughä-              Kom­  munikationsverantwortlichen müssen wissen, was ge-
fen bereiten häufig Dark Sites vor, um im Fall eines Absturzes               schehen ist, aber auch die Stimmungsbilder in der Öffentlich-
oder Anschlags ohne zeitliche Verzögerungen Notruf-Hot-                      keit erfassen und bewerten. Letztere können durch Monito-
lines, Kontaktinformationen für Angehörige und Seelsorge-                    ring mit kostenlosen Tools wie «Google Alerts» oder durch
Informationen bereitstellen zu können. Diese Seite wird also                 professionelles Monitoring externer Unternehmen erfasst
aufgeschaltet, sobald eine Krise eingetreten ist. Neben der                  werden. Nur durch gezieltes Monitoring ist es den Kommuni-
Darksite sollten die eigenen Social-Media-Kanäle genutzt                     kationsverantwortlichen möglich, Trends zu erfassen und die
werden, um den Dialog mit den Zielgruppen in einer Krise                     Krisenkommunikation gezielt zu steuern. Das wichtigste Gut
aufrecht zu erhalten. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die-              in einer Krise sind Informationen.
se Kanäle bereits zu «Friedenszeiten» betrieben werden und                      Doch was gilt es zu kommunizieren? In der Krise, vor allem
eine entsprechende Community vorhanden ist. Anderenfalls                     in der Anfangsphase, herrscht Chaos, Informationen sind
sind diese Kanäle nutzlos.                                                   nicht gesichert und der Krisenstab muss sich erst finden. In
                                                                             Krisen, bei denen die Blaulichtorganisationen involviert sind
«Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind                                          – etwas Brände, Personenschäden etc. – übernehmen Polizei
                                                                             und Feuerwehr die anfängliche Kommunikation. Dies ist je-
die wichtigsten Ziele einer professionellen                                  doch oft nicht ausreichend. Die Medien wollen Personen des
Krisenkommunikation.»                                                        betroffenen Unternehmens sehen und hören. Häufig wird
                                                                             gleich nach einem Schuldigen gesucht. Daher ist es zwingend
Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind die wichtigsten Ziele, die                notwendig sich vorab zu überlegen, wer in so einem Fall vor
mit einer professionellen Krisenkommunikation erreicht wer-                  den Medien spricht – ein/e Medienverantwortliche/r oder
den sollen. Für die Kommunikation sind gesicherte Infor­ma­                  gleich der oberste Chef?
tionen die Grundlage in der Krisenbewältigungsarbeit. Die                       Eine goldene Regel in der Krisenkommunikation gilt für al-
                                                                             le Auskunftsgebende, und zwar, dass nach dem Kommunikati-
                                                                             onsprinzip «ZDF» kommuniziert werden soll: Zahlen, Daten
                                                                             und Fakten. Spekulationen sind in einer Krise immer zu unter-
  Fehler im Krisenmanagement bzw.                                            lassen. Eine Sprachregelung hilft allen involvierten Personen,
  in der Krisenkommunikation                                                 die gleiche Botschaft nach außen zu tragen. Diese sollte gleich
                                                                             zu Beginn durch die Kommunikationsverantwortlichen mit
  • keine Prävention betreiben und am Frühwarnsystem sparen. Ein profes-     dem Stab erarbeitet werden.
    sionelles Instrumentarium, das frühzeitig potenzielle Krisen erkennt,       Zu Beginn einer Krise sind Informationen jedoch sehr spär-
    kann eine Eskalation verhindern.                                         lich. Trotzdem sollte das Unternehmen mit einer kontinuierli-
  • den Kopf in den Sand stecken, sich verstecken, leugnen, negieren oder    chen Kommunikation den Dialog mit den Zielgruppen för-
    die Emotionen der Betroffenen ignorieren bzw. nicht auf die Ängste der   dern. Aussagen wie «no comment» funktionieren heute nicht
    Menschen eingehen                                                        mehr. Wird nicht durch das Unternehmen kommuniziert, su-
  • Aussagen wie «kein Kommentar» sind heutzutage nicht mehr adäquat         chen sich die Medien entsprechende externe Experten. So ver-
    und führen dazu, dass von den Medien externe Fachexperten gesucht        liert ein Unternehmen schnell den Kommunikationslead und
    werden, die keinen Bezug zur Unternehmung und unter Umständen gar        kann seine Botschaften kaum mehr absetzen.
    keine inhaltlichen Fachkenntnisse haben, aber trotzdem zum Thema            Unternehmen können bereits frühzeitig entsprechende In-
    Auskunft geben.                                                          formation kommunizieren, ohne dass sie Präjustiz betreiben.
  • kopfloses, voreiliges Kommunizieren ohne Abstimmung mit dem Kri-         Sind beispielsweise Personen zu Schaden gekommen, stehen
    senmanagement. Blinder Aktivismus oder Kurzschlusshandlungen ma-         diese im Mittelpunkt. Die Anteilnahme als Botschaft ist dabei
    chen die Krise noch schlimmer.                                           sehr entscheidend.
                                                                                Weitere Informationen, wie etwa Tätigkeiten rund um ein
  Krisenmanagement ist Chefsache und muss vom Management getra-              Ereignis, geben den Medien «Futter» und zeigen, dass das Un-
  gen werden. Das ist einfacher, hat das Management bereits Krisen miter-    ternehmen bemüht ist, die Krise zu bewältigen. Beispielsweise
  lebt. Anderenfalls heißt dies oftmals sehr viel Überzeugungsarbeit von     bei Löscharbeiten kann kommuniziert werden, dass die Feu-
  «Bottom-up». Denn Anregungen und Inputs zur Sensibilisierung und Initi-    erwehr noch aktiv beschäftigt ist, ein Ereignis zu bewältigen
  ierung eines Krisenmanagements kommen oft seitens der Kommunikati-         und das Unternehmen den Einsatzkräften mit Fachspezialis-
  onsabteilung oder der Sicherheitsverantwortlichen, da diese den Puls der   ten zur Seite stehe.
  Zeit erkannt haben.                                                           Weiter können Unternehmen bereits Zukunftsabsichten
                                                                             be­kannt geben, wie etwa: Wir werden alles daransetzen, die

42                                                                                                      OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2020
Es kann jeden treffen   | Erfahrung

Ursache zu finden und entsprechende Maßnahmen einzulei-
ten. Wichtig ist, dass diese dann auch tatsächlich umgesetzt        Eckpunkte einer erfolgreichen
werden.                                                             Krisenkommunikation

Auswirkung auf Reputation und Image
Gerät ein Unternehmen plötzlich in der Krise, sollen es die         Vor der Krise:
Kommunikationsfachleute richten und das «Schiff aus der Kri-        • Signale einer krisenhaften Entwicklung frühzeitig Erkennen
se führen». Doch eine unzureichende, z. B. zu späte oder nicht      • Vorbereitende Kommunikationsmaßnahmen auf den Ernstfall: Erstel-
authentische, Kommunikation erzielt genau den gegenteili-             lung einer Dark Site, regelmäßige Pflege der Social-Media-Kanäle
gen Effekt: Die Kommunikationskrise spitzt sich zu. Zur Dees-       • Festlegen von Kommunikationsverantwortlichen und Medienkontakten
kalation braucht es eine zeitnahe, transparente und umfassen-
de Information der Öffentlichkeit, die auf die Gefühle der          In der Krise:
Menschen eingeht.                                                   • Gesicherte Informationen sammeln durch gezieltes Monitoring
   Oft – gerade wenn Unternehmen sich in ruhigen Zeiten             • Erarbeiten einer Sprachregelung mit dem Krisenstab
nicht entsprechend vorbereitet haben – zieht das eigentliche        • rasche und kontinuierliche Kommunikation, den Kommunikationslead
Krisen-Event eine zweite Krise nach sich, welche einen weit            halten
größeren Schaden anrichtet, nämlich die Kommunikations-             • offene und transparente Kommunikation
krise. Vor allem aufgrund der Wirkung der Medien entsteht ein       • frühzeitige Information und Einbindung aller Mitarbeitenden als Multi-
immenser Reputationsschaden. Oftmals ist eine investigative            plikatoren
Medienberichterstattung gar die eigentliche Ursache einer           • tatsächliche Umsetzung angekündigter Maßnahmen
Krise. Diese Form des Journalismus setzt die Themenschwer-
punkte auf Ereignisse, die in der Öffentlichkeit als skandal­
trächtige Vorgänge aus Politik oder Wirtschaft angesehen wer-
den. Vertrauen und Glaubwürdigkeit werden zerstört, das jah-      miert werden. Gut informierte Mitarbeitende dienen als Mul-
relang aufwendig aufgebaute Image innerhalb kürzester Zeit        tiplikatoren für ein Unternehmen. Gerade in unruhigen Zeiten
vernichtet. Zahlreiche KMU und andere Organisationen ha-          setzen sich gut informierte und dem Unternehmen wohlge-
ben dies bereits schmerzhaft erfahren müssen. Dies kann bis       sinnte Mitarbeitende in ihrem Umfeld für die Organisation ein.
zur Insolvenz führen.                                                Am allerwichtigsten ist aber, dass das Management erkennt,
                                                                  dass das Thema Krisenmanagement aufgrund steigender
Rasche Reaktion                                                   Komplexität in verschiedensten Bereichen an Wichtigkeit ge-
Die erste Reaktion im Krisenfall ist also Match-entscheidend.     winnen wird und daher dringend umgesetzt werden sollte. Ei-
Dabei ist zentral, dass man in dieser außerordentlichen Situa-    ne Krise kann jeden treffen.
tion Ruhe bewahrt, sich einen Überblick verschafft, die Ereig-
nisse in einem Krisentagebuch dokumentiert, die Berichter-
stattung verfolgt und analysiert, sofort eine Sprachregelung      «Gerade in unruhigen Zeiten setzen sich
aufsetzt und erste Informationen gegenüber den Medien und         gut informierte und dem Unternehmen wohl­
der Öffentlichkeit absetzt.
                                                                  gesinnte Mitarbeitende in ihrem Umfeld für
   Denn keine Reaktion zu zeigen impliziert oft Schuld und
löst dementsprechend Verwirrung, Unverständnis oder gar Wut       die Organisation ein.»
aus, sowohl intern wie auch extern. Schweigen fördert die Ver-
breitung von Gerüchten, die sich gerade im Zeitalter von so­      Wie kommuniziert man heute?
zialen und Online-Medien blitzschnell selbständig machen          Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass sich der Kommuni-
können.                                                           kationsverlauf in der heutigen Gesellschaft deutlich verändert
   Selbstverständlich ist es aber im Interesse des betroffenen    hat. Es sind nicht mehr nur die Journalisten, die Informatio-
Unternehmens, die Fakten zu kennen, bevor kommuniziert            nen verbreiten. Mit den heutigen Geräten kann jeder rund um
wird. Als erste Reaktion bietet es sich darum im Ernstfall an,    die Uhr Informationen und Bilder verbreiten. Unternehmen
die Öffentlichkeit und die Mitarbeitenden darüber zu infor-       müssen sich dieser neuen Herausforderung stellen. Kanäle wie
mieren, was geschehen ist und welche nächsten Schritte getä-      Social Media sind nicht mehr kontrollierbar. Sie können aber
tigt werden.                                                      auch seitens Unternehmen genutzt werden, um Botschaften
   Der Einfluss der Mitarbeitenden wird häufig unterschätzt.      direkt an die Öffentlichkeit abzusetzen, ohne wie der klassi-
Sie sollten im Ereignisfall vor den externen Zielgruppen infor-   schen Medienberichterstattung durch einen Filter zu gehen.

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2020                                                                                                       43
Erfahrung | Es kann jeden treffen

Es reicht also nicht mehr aus, eine Einwegkommunikation zu          Dies hätte zur Stabilisierung von Image und Reputation beige-
führen. Die Zielgruppen wollen den Dialog über möglichst al-        tragen und wohl größere Kursrutsche der Aktie vermieden.
le Kanäle.                                                             Besser gelungen ist dies der Lufthansa im Fall der German-
   Dabei wird oftmals vergessen, dass die eigenen Mitarbei-         wings, als 2015 eine Maschine in Südfrankreich abgestürzt war.
tenden auch auf den neuen Kanälen aktiv sind. Damit diese           Hier wurde schnell ersichtlich, dass das Unternehmen sehr
Multiplikatoren bei der Krisenbewältigung sein können, müs-         gut auf Krisen vorbereitet ist. Die Reaktionszeit war sehr kurz,
sen sie rechtzeitig über ein Ereignis informiert werden. Entwe-     die Kommunikation sehr transparent und mittels des Einsat-
der bevor die externe Krisenkommunikation stattfindet oder          zes verschiedener Kanäle, wie etwa auch Social Media, hat es
mindestens zeitgleich.                                              das Unternehmen geschafft, eine kontinuierliche Kommuni-
                                                                    kation aufrecht zu erhalten und nicht abbrechen zu lassen.
Signale erkennen                                                       Geschafft hat es das Unternehmen, indem die Medienbe-
Krisen entstehen meist nicht kurzfristig, sondern kündigen          richterstattung gezielt analysiert wurde, entsprechende Kom-
sich im Vorfeld an. Diese Signale gilt es frühzeitig zu erfassen,   munikationsinhalte erstellt und der Presse und in den entspre-
um rechtzeitig und konsequent gegensteuern zu können. Vie-          chenden Social-Media-Kanälen kontinuierlich ausgespielt
le Beispiele aus der aktuellen Wirtschaftspraxis zeigen, dass       wurden.
auch im Bereich des reaktiven Krisenmanagements Schwä-
chen bestehen und das Management oftmals zögert, die er­for­        Digitalisierung als Beschleuniger der
derlichen Gegenmaßnahmen umzusetzen. Die großen Krisen              Krisenkommunikation
haben wir alle auf dem Radar: Dieselskandal, Flugzeugabsturz,       Unternehmen rücken heute dank der Digitalisierung und der
Rücktritte. Doch bei kleineren und mittleren Betrieben spricht      Möglichkeit uneingeschränkter Interaktion immer schneller
man schon früher von Krisen, wenn es beispielsweise «knallt         ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Es kann kaum mehr etwas
und raucht»: Seien dies Brände oder Produktrückrufe, die ein        verheimlicht werden.
KMU blitzartig ins Scheinwerferlicht einer breiten Öffentlich-          Komprimiert man also die Veränderung der heutigen Digi-
keit rücken. Die Folge: Mitarbeitende bangen um ihre Jobs,          talisierung in Bezug auf die Kommunikation in drei Schlag-
Kunden um ihre Lieferungen. Neben den klassischen Ereig-            worten, sind es: Interaktion, Transparenz und Geschwindig-
nissen sind es heute jedoch immer stärker die «weichen» The-        keit. Der sich abzeichnende Trend hin zur totalen Interaktion,
men, wie Compliance oder Shitstorms aber auch Cyberatta-            also von der einseitigen unternehmenskontrollierten Bot-
cken oder Blackouts, die einer Organisation ohne Krisenma-          schaft hin zum öffentlichen, individuellen Mitmachdialog, hat
nagement klare Grenzen aufzeigen.                                   zugenommen. Was früher den Journalisten vorbehalten war,
                                                                    ist heute dank der Digitalisierung einer breiten Öffentlichkeit
                                                                    möglich. Jeder kann als Berichterstatter auftreten.
«Der Trend zur totalen Interaktion, also von                            In einer zunehmend interaktiven Gesellschaft hat also der
der unternehmenskontrollierten Botschaft                            Bedarf an Kommunikation eines Unternehmens mit seinem
zum öffentlichen, individuellen Mitmach­                            Umfeld massiv zugenommen. Kunden, Lieferanten oder Behör­
                                                                    den wollen umgehend und in Echtzeit informiert wer­den. Dies
dialog, hat zugenommen.»                                            verlangt von der Unternehmenskommunikation eine schnelle
                                                                    Reaktion. Ein kontinuierlicher Dialog ist nötig – nicht nur in
Kommunikationslead halten                                           der Alltags-, sondern auch in der Krisenkommunikation.
Hätte also beispielsweise Boeing rund um die beiden Abstürze            Steigende Ansprüche der Stakeholder, zunehmender Kos-
nicht so lange zugewartet und proaktiv kommuniziert, hätte          tendruck und eine stetig wachsende Dynamik und Komplexi-
dies nicht dazu geführt, dass andere den Takt angeben. Die Fol­     tät des Umfelds: Unternehmensentscheider stehen heute vor
ge war, dass ein Land nach dem anderen Startverbote für diese       der Herausforderung immer komplexerer Situationen, in de-
Maschinen ausgesprochen hat. Wäre der Flugzeughersteller            nen sie mit ihrem Sach- und Fachwissen oder einfachen Stan-
mit gutem Beispiel vorangegangen und hätte Boeing von sich          dardlösungen an ihre Grenzen stoßen. Der öffentliche Druck
aus kommuniziert, dass das Unternehmen ein Startverbot              auf das Unternehmen steigt zusehends.
empfehlen würde, hätte dies das Vertrauen in die Unterneh-              Nicht nur die Medienlandschaft, sondern auch die Unter-
mung und die Luftfahrt in der Öffentlichkeit wahrscheinlich         nehmen haben sich verändert. Die Globalisierung und die mo­
stark gefördert. Darüber hinaus hätte Boeing sein Engagement        dernen Technologien verstärken die Komplexität und die Un-
kommunizieren können, sich mit allen möglichen Ressourcen           ternehmensrisiken. Sie sind zwar operativ – in ihrem Kernge-
bei der Ursachenfindung und Problemlösung zu beteiligen             schäft – professionell unterwegs, scheitern jedoch in der Kri-
und einzusetzen, eine rasche und sichere Lösung zu finden.          senprävention. Trotz Omnipräsenz von Krisen in den Medien

44                                                                                              OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2020
Es kann jeden treffen   | Erfahrung

werden kaum Maßnahmen zur Prävention getroffen. Wenn
doch, fehlen oft die nötigen Trainings der im Krisenstab ver-      Die folgenden Fragen können zur Vorbereitung
tretenen Personen.                                                 eines Krisenmanagements helfen:

Cyberattacken — neue Herausforderung
«Die deutsche Industrie steht immer häufiger im Fadenkreuz         •   Verstehen alle das gleiche unter dem Begriff «Krise»?
von Cyberkriminellen: Für gut acht von zehn Industrieunter-        •   Existiert ein Krisenhandbuch und wie aktuell ist es?
nehmen (84 Prozent) hat die Anzahl der Cyberattacken in den        •   Gibt es Checklisten, Vorlagen und Anweisungen?
vergangenen zwei Jahren zugenommen, für mehr als ein Drit-         •   Kennen die Mitglieder des Krisenstabs die Inhalte des Handbuchs?
tel (37 Prozent) sogar stark. Das ist das Ergebnis einer Studie    •   Sind die Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Krisen­stabs­
des Digitalverbands Bitkom.» Der Industrie in Deutschland sei          mitglieder geklärt?
durch Sabotage, Datendiebstahl oder Spionage in den vergan-        •   Werden regelmäßige Trainings durchgeführt?
genen zwei Jahren ein Gesamtschaden von 43,4 Milliarden Eu-        •   Gibt es ein Alarmierungssystem für Krisenstabsmitglieder?
ro entstanden.                                                     •   Existiert ein Monitoring Tool?
   Aus Angst vor Imageschäden entscheiden sich Unterneh-           •   Sind Stellvertretungen geregelt (so können Ausfälle aufgrund von
men oftmals über eine Attacke nicht zu kommunizieren und               Krankheit oder Abwesenheit abgefedert werden)?
die Situation an die Öffentlichkeit zu bringen. Sicher kann eine   •   Gibt einen Krisenstabsraum und wer ist für die Ausstattung verant-
zu frühe Kommunikation den Angreifer warnen. Jedoch sollte             wortlich?
umgehend die entsprechende staatliche Stelle über die Atta-
cke informiert werden.                                             Können Sie diese Fragen beruhigt beantworten, dann können Sie davon
   Ein Beispiel etwa ist die Attacke auf die Fluggesellschaft      ausgehen, dass ein gewisser Standard bezüglich Krisenmanagement vor-
British Airways. Im Herbst 2018 wurden hunderttausende             handen ist. Anderenfalls wäre jetzt der beste Zeitpunkt, mit den Arbeiten
von Kunden von British Airways Opfer eines Cyberattacke. Es        für ein professionelles Krisenmanagement zu starten.
gelang den Angreifern persönliche Daten, wie beispielsweise
Login-Daten oder Kreditkarteninformationen abzuziehen.
Mittlerweile wurde festgestellt, dass das Unternehmen im Be-
reich Security-Vorkehrungen zu wenig geleistet hatte. Diese
Unterlassung wird wohl mit einer Buße geahndet und Einfluss
auf die Reputation des Unternehmens haben.
   Doch was bedeutet eine Cyberattacke für die Kommunika-
tion? Ein reiner Virenbefall kann oftmals schnell kontrolliert
werden und bleibt auch im Verborgenen. Größere Datenpan-
nen hingegen, wie beispielsweise bei British Airways oder Fa-
cebook, benötigen andere Maßnahmen.
   Unternehmen sollten deshalb bereits im Vorfeld unterneh-
mensspezifische Szenarien entwickeln, die nicht nur notwen-
dige IT-Maßnahmen beinhalten, sondern auch die Kunden-
perspektive einbeziehen. Dies hilft der Unternehmenskom-
munikation vs. Krisenkommunikation, im Fall einer Attacke
möglichst umfassend zu informieren. Denn auch wenn das
Vertrauen aufgrund einer Attacke erschüttert wurde, sollte die
Glaubwürdigkeit aufrecht erhalten bleiben.
                                                                                                    Patrick Suppiger
                                                                                                    Leiter Marketing Vertrieb bei der
                                                                                                    Luzerner Kantonalbank AG, Vizepräsident
Es kann jeden treffen                                                                               des Schweizer Verbands für Krisen­kom­mu­
                                                                                                    nikation (VKK), Tätigkeit in verschiedenen
Ob und wie eine Krise ein Unternehmen oder eine Einzelper-                                          Krisenstäben
son trifft, ist nur teilweise beeinflussbar. Die entsprechenden                                     Kontakt:
Vorbereitungen dafür zu treffen, liegt indes in der Hand jedes                                      suppipat@bluewin.ch
einzelnen. Umso wichtiger ist es, dass Materialien zur Krisen-
stabsarbeit auf dem neusten Stand sind. Checklisten regelmä-
ßig geprüft und Adresslisten der Krisenstabsmitglieder ange-
passt werden.

OrganisationsEntwicklung Nr. 1 |2020                                                                                                          45
Sie können auch lesen