Essen als Mission Der verkündigende Charakter christlicher Mahlgemeinschaft
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Essen als Mission Der verkündigende Charakter christlicher Mahlgemeinschaft Alle Rechte liegen beim Autor. Hausarbeit zum Basismodul-Unterseminar mit Tutorium “Migration als Herausforderung für die christliche Praxis” (WiSe 2006/2007) bei Dr. Arnd Bünker an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster Von Philipp König
2 Essen als Mission Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 3 II. Arbeitsteil 5 1. Soziologisches, Kulturelles und Kurioses zum “Essen“ 5 1.1 Bedenkenswertes zur Ess-Kultur im Wandel der Zeit 5 1.2 Menschen essen in Gemeinschaft 7 1.3 Ein besonderer Blick: Tischgemeinschaft im orientalischen Raum 8 1.4 Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Ausblick 9 2. Essen in Bibel und Christentumsgeschichte 11 2.1 Biblische Zeugnisse zur Mahlkultur 11 2.2 Beispiele aus der Praxis der Kirche 14 3. Heutige Lage und Ausblicke 20 3.1 Zwischen Nobelrestaurants und Fast-Food-Industrie: Ansatzpunkte 20 3.2 Aktuelle Perspektiven des missionarischen Essens 22 3.3 Verkündigendes Mahl heute: die Agape als Chance 23 III. Résumé 24 IV. Literaturverzeichnis 25 Anhang: Internetquelle http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
3 Essen als Mission I. Einleitung “Christ sein heißt miteinander essen”1 - auf diese knappe und präzise Formel bringt Franz Mussner in seinem Kommentar zum Galaterbrief das Bezeichnende des christlichen Glaubens, wie es sich für ihn darstellt. Die Häufigkeit, in der Mahlszenen oder Bilder aus dem Bereich der Nahrung in der Bibel auftreten, der hohe Stellenwert gemeinsamen Essens in der kirchlichen Pastoral, oder ganz einfach die unverzichtbare Bedeutung der Nahrungsaufnahme für das alltägliche Leben aller Frauen und Männer lassen vermuten, dass Essen eine wichtige Rolle auch im Glauben der Christen spielen muss. Allerdings mag das Programmwort Franz Mussners beim ersten Lesen ob seiner Schlichtheit und implizierten Radikalität verwundern. Doch bei näherer Betrachtung der biblischen Texte und des kirchlichen Handelns von Anbeginn an erschließen sich Tiefe und umfassender Kern seiner Aussage.2 Es frappiert, wie sehr der Akt des Essens bei richtiger Betrachtungsweise in seinen unterschiedlichen Facetten die entscheidenden Grunddimensionen der christlichen Botschaft umfassend zum Ausdruck bringt und grundlegend wirkt für die christologische Dimension des Mahls: Wer wollte vom Christus-Mahl, der Christus-Gemeinschaft, der Christus-Herrschaft, dem Kreuz Christi reden, wenn er nicht zuvor schon etwas von Mahl, Gemeinschaft, Macht und Tod erfahren hätte? Aber auch umgekehrt gilt: Was sich auf der christologischen Ebene an Sinn zeigt, läßt die anderen Ebenen nicht unberührt. Es greift die dort gegenwärtigen kulturellen, auch kultisch-religiösen Gehalte und Gestalten an, wandelt sie um, gewinnt selber - immer wieder von neuem - eine kulturelle Gestalt.3 Ein solchermaßen deutlicher Ausdruck christlicher Existenz wie das Mahl muss notwendig die Grundfunktionen des kirchlichen Handelns implizieren: Liturgie, Verkündigung und Weltdienst.4 Schon beim ersten Betrachten lassen sich Verbindungen aufzeigen, so etwa zur Liturgie in der Abendmahls- bzw. Eucharistiefeier, oder zum Weltdienst in der Speisung der Hungernden. In dieser missionswissenschaftlichen Arbeit soll es darum gehen, besonders die Dimension der Verkündigung am Glaubens- und Lebensvollzug des gemeinsamen Essens aufzuzeigen. Wo und wann wirkt Essen, besonders mit den Fremden, als Glaubenverkündigung, als missionarischer Akt? Wie können soziologische Aussagen über das Essen mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift korrespondieren? Wo berühren sich in diesem Kontext Soziologie und christlicher Glaube, wie er in der Schrift, sowie im Dienst der Kirche vermittelt wird? Wo lassen sich Besonderheiten ausmachen? Welche Folgerungen lassen sich ziehen im Hinblick auf aktuelles kirchliches Handeln? Welcher Nahrungskultur sind Christen heute gegenübergestellt; wie können sie dieser sinnvoll und schöpferisch begegnen? Die Arbeit soll helfen, diese Leitfragen zu beantworten. Nach der Darstellung einiger entscheidender soziologischer und kultureller Komponenten des Essens im ersten Kapitel soll im zweiten Kapitel der biblische Bedeutungskosmos des Themas behandelt und an den Ergebnissen des ersten Kapitels gespiegelt werden. Außerdem werden 1 MUSSNER, Franz: Der Galaterbrief, in: Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament, IX, Freiburg 1974, 423. 2 Dies wurde im folgenden Beitrag sehr klar herausgearbeitet: KERN, Walter: Christ sein heißt miteinander essen, in GuL 49 (1976), 241-249 [Künftig zitiert: KERN: Christ sein heißt miteinander essen]. 3 BIERITZ, Karl-Heinrich: Eucharistie und Lebensstil, in: LJ 43 (1993), 163-181, hier: 175 [Künftig zitiert: BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil]. 4 Oft wird zu diesen dreien eine vierte Grundfunktion, die der Koinonia (Gemeinschaft), gezählt. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
4 Essen als Mission exemplarisch Beispiele gezeigt, wo und wie durch konkretes christliches Tun die bisher gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt worden sind. Ein Unterkapitel über das Tischgebet schlägt die Brücke zum letzten Kapitel des Arbeitsteils, das ausblickenden Charakter hat. Es befasst sich mit Erscheinungen heutiger Esskultur und stellt diese in einen Dialog mit christlicher Mahlkultur. Die Frage, wie christliches Kerygma durch Essen mit Fremden gerade heute gelebt werden kann, erfährt Behandlung. Neue Chancen, die sich auftun, wenn die Bedeutungstiefe des Miteinander-Essens ernst genommen und voll ausgeschöpft wird, sollen dargelegt werden. Der Schlussteil, hier Résumé genannt, soll ein abschließendes Fazit über die Arbeit ausstellen, Wichtiges hervorheben und auch weitere Aspekte des Themas aufzeigen, die hier nicht bearbeitet werden können. Von einem umfassenden Missionsbegriff ausgehend werden Ansätze aufgezeigt, die, ausgehend von den Überlegungen der Arbeit, als Resonanz auf die Fragestellungen erarbeitet sind. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
5 Essen als Mission II. Arbeitsteil 1. Soziologisches, Kulturelles und Kurioses zum “Essen” Die Nahrungsaufnahme prägt und strukturiert Leben und Tagesablauf eines jeden Menschen. Von Beginn der Menschheitsgeschichte an hat das Essen Kultur beeinflusst und wurde wiederum von dieser geprägt. Das erste Kapitel will diese Entwicklungen, so weit es im Rahmen dieser Arbeit möglich ist, ausleuchten und Blickrichtungen aufzeigen, an denen entlang der weitere Prozess der Arbeit verlaufen soll. 1.1 gibt allgemeine Informationen und deutet Verflechtungen von Essen und Kultur an Fallbeispielen aus der Geschichte an. Das Unterkapitel 1.2 nimmt besonders die Faktoren in den Blick, die sich ergeben, wenn Menschen miteinander essen, da es in dieser Arbeit um Essen in Gemeinschaft und im Speziellen Essen mit den Fremden gehen soll. Die Betrachtung des orientalischen Raumes, die in 1.3 erfolgt, ist für unsere Überlegungen von entscheidender Bedeutung, da sich speziell in die Region Israel/Palästina hinein die göttliche Offenbarung, die durch das Zeugnis der Heiligen Schrift unsere Religion(en) inspiriert, ereignet hat. 1.4 fasst zusammen und zeigt an, welche Linien im weiteren Fortgang relevant sind. 1.1 Bemerkenswertes zur Ess- Ess-Kultur im Wandel der Zeit Ganz offensichtlich bedeutet Essen zu allen Zeiten ein Kulturereignis. Lebens-Mittel... sind [darin] Sinnbilder des Lebensstils, den diese Kultur vorschreibt. Dieser Lebensstil findet seine Grundlage wie seinen Ausdruck in dem, was die Menschen jeweils zu sich nehmen und wie sie es zu sich nehmen. Beides hat neben einem materiellen auch einen kulturellen und sozialen Bezug: Es geht nicht nur um Fleisch und Früchte, um Getreide, Brot und Wein und die ihnen zugeschriebenen ‘natürlichen’ Signifikate; es geht zugleich um die Bedeutungen, die sich in der Produktion, vor allem aber in der Art und Weise der Konsumption der kulturtypischen Lebens-Mittel herstellen und ausdrücken.5 Unweigerlich wird Kultur einverleibt, und in der Nahrung wird Leben aufgenommen, das diese in sich trägt. Alle möglichen Assoziationen lassen sich mit ihr in Verbindung bringen: “lebenserhaltend, sozial kontrolliert, symbolisch, mystisch, politisch, sinnlich, destruktiv, erotisch, religiös, musikalisch, zeremoniell usw.”6 Schon im alltäglichen Leben finden sich zahlreiche Beschreibungen aus dem Nahrungsbereich, die auf andere, ganz verschiedene Lebensbereiche angewendet werden. Ausdrücke wie “Zuckerpuppe”, “jemanden durch den Kakao ziehen”, “jemanden zum Fressen gern haben”, “im eigenen Saft schmoren” oder “aalglatt sein” illustrieren dies auf bisweilen unterhaltsame Weise.7 In magischen “Diätideologien”8 wie Zaubertränken oder Aphrodisiaka werden grundlegende Sicherheitsbedürfnisse des Menschen, “sowohl in der sozialen Interaktion (Liebe und Zuwendung) als auch im persönlichen Bereich (Gefahrenvermeidung und Gesundheit)”9 kompensiert. 5 BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil, 164f [Kursivierungen im Original; Klammer durch den Verfasser]. 6 GNIECH, Gisla: Essen und Psyche. Über Hunger und Sattheit, Genuss und Kultur, Berlin/Heidelberg 22002, 162 [Künftig zitiert: GNIECH: Essen und Psyche]. 7 Vgl.: ebd., 142f. 8 Ebd., 142. 9 Ebd., 144. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
6 Essen als Mission Bereits zu frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte äußern sich grundlegende kulturelle Entwicklungen sichtbar in der Form der Nahrungskonsumierung.10 Unabhängig vom biologisch gesteuerten Hungergefühl bildete sich im Laufe der Evolution ein stimulierbares Appetitverlangen aus, wodurch der Mensch mehr Speisen und Getränke zu sich nehmen kann, “als seinem physiologischen Bedürfnis zuträglich sind.”11 Dadurch kam zwar erstmals Fettleibigkeit auf, doch kulturelle Entwicklung wurde ermöglicht, die sich in Verfeinerungen und Geschmacksausprägungen zeigt.12 Beim Blick auf die Geschichte zeigt sich, dass prägende kulturelle Denkstrukturen durch Bilder aus dem Bereich der Nahrung ausgedrückt werden. So bezeichnet der Schöpfungsmythos über die Entstehung neuen Lebens durch Gefressenwerden und Wiederausspeien der Götter das zyklische Weltbild der alten Griechen.13 Auch unsere Märchen beschäftigen sich in der Bildsprache von Essen und Gefressenwerden sowohl mit konkreten Nöten der Entstehungszeit (so die Nahrungsmittelknappheit in Zeiten des Biedermeier bei Hänsel und Gretel), als auch mit grundlegenden menschlichen Erfahrungen wie Trennungsängsten, sexueller Lust und Schlaraffenland-Phantasien.14 Bis in die heutige Zeit hinein können Belege dafür angeführt werden, dass Nahrungsaufnahme in ihren unterschiedlichsten Formen Kultur sowohl prägt als auch ausdrückt. Im dritten Kapitel, insbesondere in 3.1 soll die heutige Perspektive gezeigt werden. 1.2 Menschen essen in Gemeinschaft Besonders im Raum der Ernährung zeigt sich das reiche und spannungsgeladene Bedeutungsfeld menschlicher Beziehungen. Bereits Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel können, so zeigen es Untersuchungen Benett G. Galefs15 aus den Jahren 1977 und 1988, “durch Umweltzusammenhänge beeinflusst werden”16. Ekelgefühle lassen sich auf gesellschaftliche Ursachen zurückführen.17 Statistische Erhebungen belegen, dass sich Einkommensunterschiede am Konsum bestimmter Lebensmittel festmachen lassen.18 Rohrzucker beispielsweise wurde “im frühneuzeitlichen Europa zu einem Statussymbol sozialer Eliten”19 Durch Tischkultur wird die Wichtigkeit des entsprechenden Anlasses, zu dem man sich zusammenfindet, angedeutet. Die Feierlichkeit des Rahmens sowie der Menufolge rekurriert auf die Festlichkeit der Situation. Geräte und Dekoration zeigen dies an. Solche Accesoires haben aber nicht nur schmückenden Charakter, sondern ihre Bedeutung gründet tiefer: eine gemeinsame Stimmung, die Einsamkeit überbrücken soll, wird geschaffen. Die feinen Essgeräte wurden aus hygienischen, ästhetischen und sozialen Gründen eingeführt. Mit einem Löffel aus einem Topf zu essen ist sicher praktischer, als mit den Fingern und erzeugt ein Gemeinschaftsgefühl. Das Besteck führt den Bissen zum Mund, genauso wie das 10 TEUTEBERG, Hans Jürgen: Kulturpsychologie des Geschmacks, in: THIMM, Utz/WELLMANN, Karl-Heinz (Hg.): Essen ist menschlich. Zur Nahrungskultur der Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, 42-50. [Künftig zitiert: TEUTEBERG: Kulturpsychologie des Geschmacks]. Sozialanthropologisch und kulturethnologisch kann festgestellt werden, dass “die sich allmählich ausbildende Berührungsscheu vor Leichen, die einen Rückgang des zunächst vorhandenen Kannibalismus einleitete, als die entscheidende Wurzel für die erste Tabuisierung von Nahrungsmitteln angesehen werden.” ebd., 47. 11 Ebd. 12 Vgl.: ebd. 13 Vgl.: GNIECH: Essen und Psyche, 157. 14 Vgl.: ebd., 158-160. 15 Vgl.: LOGUE, Alexandra W.: Die Psychologie des Essens und Trinkens, Heidelberg/Berlin/Oxford 1995, 146ff. 16 Ebd., 50. 17 Vgl.: TEUTEBERG: Kulturpsychologie des Geschmacks, 50. 18 Vgl.: GNIECH: Essen und Psyche, 116. 19 TEUTEBERG: Kulturpsychologie des Geschmacks, 43. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
7 Essen als Mission Glas das Getränk dem Mund nahe bringt. Dies bedeutet, dass Sets, Teller, Gläser und Bestecke eine Distanz und Abgrenzung zum Tischnachbarn sowie zu Speisen und Getränken auf dem Tisch schaffen: Jeder sitzt einsam vor seiner Nahrung. Gegessen ist einverleibt, d.h. aus dem sozialen Rahmen entnommen. Ob es schmeckt, oder bekömmlich ist, entscheidet der eigene Körper. Um eine solche Einsamkeit und Leere beim Essen aufzulockern, werden Tische geschmückt und verziert.20 Esskultur drückt aus, welches Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen den Anwesenden herrscht. So erzeugen große Tischaufbauten und zahlreiches Geschirr bei offiziellen Anlässen eine eher kühle und reservierte Atmosphäre. Doch auch innige Nähe kann durch Handlungen rund ums Essen gezeigt oder unterstützt werden. Eine Verbindung, die häufig in der Literatur aufgestellt wird, ist die zwischen Erotik und Essen. “Das erotische Mahl wird in vielen Romanen als Mittel benutzt, um soziale Beziehungen zu verdeutlichen.”21 Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Platons Gastmahl22, wo der Aufstieg zum Schönen selbst im Rahmen eines Gelages, einer Nahrungsaufnahme geschildert wird. Hier soll “die Unentbehrlichkeit des anderen im philosophischen Erkenntnisprozess”23 gezeigt werden. Es fällt auf, dass die höchste Seinsschau ausschließlich in Gemeinschaft mit anderen erreicht werden kann, im sozialen Raum verankert ist, und dass diese für Platons Werk bedeutende Lehre im Zusammenhang mit einem Essen erzählt wird. Diese Überlegung wird für die folgenden Kapitel entscheidend sein. Essen hat “gemeinschaftsbildende Kraft”24. Unweigerlich wird Kultur einverleibt; die Einverleibung selber ist Kultur. Essen erhält Leben, schafft Lebensräume, drückt Lebensverhältnisse aus, bildet Lebensgemeinschaft ab und führt dem Essenden Leben zu. Menschen hungern nach dem, was sie begehren. Dieses bildliche Wort hat reale Bezüge und kann sich real auswirken. Alles menschliche Verlangen wird durch Bildworte aus der Nahrung bezeichnet und nimmt bisweilen erschreckend echte Züge an. Der Drang zum anderen hin kann auch im Bereich des Essens zerstörerische Züge entwickeln. Durch den Kannibalismus kann sich, in seltenen Fällen durch Hunger, in anderen Fällen durch real-symbolische Vernichtungswut oder den Wunsch, sich einen anderen einzuverleiben, das Bedürfnis nach Verschmelzung und Totalidentifikation Raum verschaffen.25 Mit dem Essen in Gemeinschaft werden oftmals Ziele verbunden, die über die bloße Nahrungsaufnahme hinausgehen. So wird bisweilen versucht, in friedlicher Atmosphäre, die Wohlbefinden auslöst, das Gegenüber momentan zu beeinflussen. “Gemeinsames Essen glättet Differenzen und macht empfänglich für Botschaften.”26 Ein wichtiges Faktum, wenn über Essen als Verkündigung gesprochen wird. 20 GNIECH: Essen und Psyche, 114f. 21 Ebd., 162. 22 PLATON, Sämtliche Dialoge. Übersetzt und erläutert von Otto APELT, Bd. III, Leipzig 2004 (unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage von 1922). 23 REHN, Rudolf: Der entzauberte Eros: Symposion, in: KOBUSCH, Theo/MOJSISCH, Burkhard (Hg.): Platon. Seine Dialoge in der Sich neuer Forschungen, Darmstadt 1996, 81-95, hier 91. 24 JOSUTTIS, Manfred: Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissen- schaftlicher Grundlage, Gütersloh 21993, 254. 25 Menschenfresserei wird meist in frühere Zeiten oder ferne Länder verlegt, doch kommt sie noch heute in den westlichen Industrienationen vor (beispielsweise im Fall Fritz Haarmann), und das Thema spielte im Verlauf der Menschheitsgeschichte eine große Rolle. Rein symbolisch findet sich noch im allgemeinen Sprachgebrauch die Formel “mit den Augen verschlingen”, die hinweist auf diese drastische Zuspitzung einer totalen Identifikation mit dem anderen (vgl.: GNIECH: Essen und Psyche, 153f). 26 GNIECH: Essen und Psyche, 116f. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
8 Essen als Mission 1.3 Ein besonderer Blick: Tischgemeinschaft im orientalischen Raum Die Mahlzeiten der Bibel, besonders hervorzuheben sind die, in denen Jesus zum Akteur wird, sind verortet "nicht nur allgemein an die antike, sondern auch sehr konkret an die jüdisch- palästinensische Mahl-Kultur"27. Der Stellenwert der Mahlgemeinschaft und der Gastlichkeit im orientalischen Raum kann ganz sicherlich nicht unterschätzt werden. Gastgeschenke sind unverzichtbar. Dem nomadischen Leben entsprungen, sichert Gastfreundschaft dem und der Fremden Schutz und Überleben, deren er bedarf.28 Er erwächst aus dem allen gemeinsamen Wunsch nach Leben. Es handelt sich hierbei nicht um bloße Freundlichkeit, sondern um ein viel höheres Gut: den Ausdruck tiefster Hochachtung und enger Gemeinschaft. Noch heute ist die Einladung ins eigene Haus die größte Ehre, die ein Orientale gewährt. “Jede Tischgemeinschaft ist für den Morgenländer Gewährung des Friedens, des Vertrauens, der Bruderschaft; Tischgemeinschaft ist Lebensgemeinschaft”29. 1.4 Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Ausblick Für die weiteren Überlegungen werden im Folgenden die entscheidenden Komponenten genannt, die sich aus dem ersten Kapitel ergeben: Essen und Kultur prägen sich wechselseitig, zeigen Grunddimensionen, elementare Bedürfnisse und Ängste des Menschseins an. Da Nahrung eng mit Leben zusammenhängt, wohnt der Ernährung eine Mitteilung von Leben, eine "Einverleibung"30, inne, die sowohl in der Tischgemeinschaft als auch in der Art und Herkunft der Nahrungsmittel gründet. Besonders in dem für die christliche und jüdische Religion prägenden orientalischen Raum werden Lebensgemeinschaft und Freundschaft aus der Tischgemeinschaft erworben. Gastfreundlichkeit gehört hier zu den höchsten menschlichen Tugenden. Gast und Gastgeber sind gleichzeitig Gebende und Empfangende, was sich beispielsweise in Geschenken ausdrückt. Das Betreten einer intimen, persönlichen Sphäre bei der Tischgemeinschaft mit Fremden setzt ein Maß an Diskretion und Offenheit voraus. Beim stärkenden Essen in einem angenehmen Umfeld entsteht Empfänglichkeit für Neues. Nachfolgend wird gezeigt, wie eng verwoben das Zeugnis der Schrift (2.1) mit den bisherigen Erkenntnissen ist, und die Besonderheiten, die das biblische Zeugnis entlang ausgewählter Stellen aus dem Alten (2.1.1) und Neuen Testament (2.1.2) markiert, werden hervorgehoben. In 2.2 werden exemplarisch Beispiele gegeben, die nachweisen, auf welche unterschiedlichen Weisen die spezifisch christlichen Formen von Mahlkultur, wie sie in der Bibel grundgelegt sind, in der Christentumsgeschichte fruchtbar gemacht wurden. 27 BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil, 178. 28 Vgl.: DELL, Katharine: Art. Gastfreundschaft. IV. Altes Testament, in: Religion in Geschichte und Gegenwart III (42000), Sp. 475 [Künftig zitiert: RGG]. 29 JEREMIAS, J.: Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 31960, 196, zit. nach: KERN, Walter: Christ sein heißt miteinander essen, in GuL 49 (1976), 241-249, hier 242. 30 BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil, 168f. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
9 Essen als Mission 2. Essen in Bibel und Christentumsgeschichte Christentumsgeschichte In diesem Kapitel kommt die christliche Rezeption ins Spiel. Es wird deutlich, wie die in 1.4 zusammengefassten Prinzipien ganz natürlich vom christlichen Zeugnis aufgegriffen und umgesetzt werden, in welchen engen Dialog die beiden treten und welche Zuspitzungen sich durch die christliche Realisierung ergeben. 2.1 erzählt von Dimensionen und vom Gewicht der Mahlgemeinschaft, wie sie im Zeugnis der für alles kirchliche Handeln verbindlichen Heiligen Schrift ausgedrückt werden. Exemplarisch werden in 2.2 Beispiele gezeigt, wo christliche Gastfreundschaft an unterschiedlichen Stationen der Kirchengeschichte gelebt wurde und welche Konnotationen sie, je nach historischem oder geographischem Kontext, zusätzlich erwerben kann. 2.1 Biblische Zeugnisse zur zur Mahlkultur Mahlszenen und Nahrungssymbolik haben in der Heiligen Schrift enormes Gewicht. Nachfolgend soll, je aus der Perspektive der beiden Testamente, aus der Bedeutungsfülle von Gastlichkeit und aus dem Symbolgehalt rund ums Essen heraus gezeigt werden, wie die Ergebnisse aus dem ersten Kapitel hier wieder zu finden sind. Es wird sich zeigen, dass Essen nicht losgelöst von Verkündigung, von Heils-Mitteilung gesehen werden kann, was die Verbindung zum Thema „Essen als Mission“ schlägt. 2.1.1 Fremdenfreundlichkeit Fremdenfr eundlichkeit als Pflicht und gemeinsame Gotteserfahrung: Das Alte Testament Abraham ist der Urbeginn der biblischen Gastfreundlichkeit. In seiner demütigen Aufnahme der drei Männer bei den Terebinthen von Mamre erfährt er Gottes Präsenz. Gastfreundschaft ist im Alten Testament solchermaßen bedeutsam, dass Lot sogar die eigenen Töchter nicht verschonen will, um seine drei unbekannten Gäste vor Gewalt zu bewahren (vgl.: Gen 19,1-8). Für Abraham wie für alle Glaubenden eröffnet sich die Perspektive der Zukunft, wenn Isaaks Geburt verkündet wird (vgl.: Gen 18,1-19). Auch die nachbiblische jüdische Literatur entfaltet das Bild Abrahams, der “in seiner vorbildlichen Gastfreundschaft zum erfolgreichen Werber des Monotheismus“31 wird. Es handelt sich hierbei um eine werbende Handlung, in der Gott erspürt wird. Im Zusammenhang mit dem Aufruf, herauszugehen aus dem gewohnten Umfeld hin in das Land der Verheißung, der an Abraham ergeht (vgl.: Gen 12,1), wird verständlich, weshalb die Gotteserfahrung, die Abraham beim Mahl mit den drei Männern macht, danach strebt, weitere Kreise zu ziehen und andere einzubeziehen in die Gemeinschaft Gottes. Er selbst will mit seinem Volk Mahl halten. “Die Israeliten aßen vierzig Jahre lang Manna” (Ex 16,35), als sie sich in der Wüste aufhielten. Gott in persona ist im biblischen Denken der Gastgeber (vgl.: Ps 15,1), daher wird – aus Identifikation mit den Eingeladenen – die freundliche Aufnahme von Fremden zur sittlichen Verpflichtung.32 “Mal 3,5 droht das Gericht Gottes denen an, die Fremde abweisen.”33 Aus dem Schatz des Alten Testamentes ist die Verpflichtung zur guten Behandlung der Gäste nicht wegzudenken. Wie religionsgeschichtlich gesehen Schutz gewährt wird, “indem der Gast formal zum Mitglied [der Gastfamilie] wird”34, so erfährt der Eingeladene beim Gastmahl auf 31 STEMBERGER, Günter: Art. Abraham. III. Im Judentum, in: Lexikon für Theologie und Kirche I (32006), Sp. 64 [Künftig zitiert: LThK]. 32 Vgl.: DELL, Katharine: Art. Gastfreundschaft. IV. Altes Testament, in: RGG, Sp. 475. 33 Ebd., Sp. 475f. 34 AUFFAHRT, Christoph: Art. Gastfreundschaft. I. Religionsgeschichtlich, in: LThK IV, Sp. 299. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
10 Essen als Mission dem Zion Aufnahme in die Gottesfamilie. Es handelt sich um eine göttliche Eigenschaft, die göttliche Fülle eröffnet, und als solche weitergegeben werden will. So verstanden kann Freundlichkeit dem Gast gegenüber niemals bloß Erfüllung eines Gebotes sein, sondern Gott wird im gemeinsamen Mahl mit dem Fremden mitgeteilt, sowohl dem Gast als auch dem Gastgeber. Die Handlung des Essens wird damit geheiligt. 2.1.2 Jesus als ersehnter Gastherr und beschenkender Besucher: Neue Das Ne ue Testament Mit Selbstaussagen Jesu wie Tür, guter Hirte und wahrer Weinstock (vgl.: Joh 10.14.15) entwickelt das Johannesevangelium eine Christologie der Gastfreundschaft.35 Jesus wählt Essen als Bestätigung für von ihm geschenktes Leben. Unmittelbar nach ihrer Heilung stand die Schwiegermutter des Petrus auf, “und sie sorgte für sie.” (Mk 1,31) In gewissem Sinne stiftet Jesus “Leben, um zu essen”36. In den Evangelien begegnet Jesus dem Leser mehrfach als Gastgeber, beispielsweise in der Erzählung von der Speisung der Fünftausend (vgl.: Mk 6,30-40 parr.), aber sehr oft auch als Eingeladener. Auch wenn er zu Besuch in fremden Häusern ist, offenbart sich Jesus selbstbewusst als derjenige, der mit dem Wort Gottes und seiner Königsherrschaft die eigentlichen Gaben austeilt an die Menschen in seiner Nähe, bei denen er zu Gast ist. Er kehrt ohne Scheu bei Zöllnern (vgl.: Lk 19,1-10) und Pharisäern (vgl.: 7,36) ein, “und ißt sogar mit ihnen“ (15,1), nutzt diese Gelegenheiten aber, um Heilstaten zu vollbringen: “Heute ist diesem Haus das Heil geschenkt worden” (19,9). Das gemeinsame Mahl mit Sündern ist Zeichen für die verzeihende Erlöserliebe Gottes und mit ihm wird der Rahmen für Jesu Selbstoffenbarung geschaffen, als der, der sagt: “Ich bin gekommen, um die Sünder zur Umkehr zu rufen, nicht die Gerechten.” (5,32) Das Essen mit Jesus verwandelt, da er sein Leben verschenkt. Alle Zöllner und Sünder kommen zu Jesus, weil sie etwas von ihm begehren, teilhaben wollen an der von ihm verheißenen Lebensfülle. Sie nähern sich “Jesus, ‘um ihn zu hören’, also heilsbegierig, umkehrwillig.”37 Es passiert etwas mit ihnen, wenn ihnen beim Essen das Gottesreich verkündet wird. Offenbar kann es zu der beschriebenen Situation, dem jesuanischen Heils-Zuspruch im Mahl, nicht automatisch kommen. Es gibt Einige, die vor der Tür stehen, zu denen der Herr im Gleichnis aber sagt: “Ich weiß nicht, woher ihr seid.” (Lk 13,25). Andererseits lehnen es manche ab, die Einladung anzunehmen (14, 18-20). Diese Entscheidung wird von Jesus akzeptiert, wenn er die Ignorierung seines Heilsangebotes auch verurteilt (vgl.: 17,30f). So ist das Heils-Mahl des Neuen Testaments ein wechselseitiger Prozess, kein einseitiger Zwang. Der Christ ist herzlich dazu eingeladen, aus freiem Entschluss Christus anzunehmen, der selbst Geschenk ist, der nicht bedient werden will, sondern ist “wie der, der bedient.” (22,27) Dies kann nicht erkauft, sondern muss notwendig aus eigenem Antrieb angenommen werden. Es muss eine Öffnung für ihn erfolgen, den Gastherrn, der göttliche Gaben spendet. Grundsätzlich sind Mähler, bei denen Jesus Gastgeber ist, universal und offen, doch es kann „[...] niemand Gemeinschaft mit Jesus haben, ohne gleichzeitig ja zu sagen zu den Tischgenossen und Gästen Jesu und sich ihrer freudig anzunehmen. Paulus hat durch die Verbindung von 1Kor 10 mit 1Kor 11 gezeigt, dass Christusgemeinschaft ohne Gemeinschaft der Gäste untereinander unmöglich 35 Vgl.: KOENIG, John: Art. Gastfreundschaft. V. Neues Testament, in: RGG III, Sp. 476. 36 BARTH, Markus: Das Mahl des Herrn. Gemeinschaft mit Israel, mit Christus und unter den Gästen, Neukirchen-Vluyn 1987, 146 [Künftig zitiert: BARTH: Das Mahl des Herrn]. 37 KERN: Christ sein heißt miteinander essen, 246. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
11 Essen als Mission (1Kor 11,20) ist. Bei Jesu Mahlen im Hause von Zöllnern und von Pharisäern wird dasselbe deutlich: Der Herr entscheidet sich für die Schwachen, ruft dadurch aber auch die Starken zur Buße.“38 Also beinhaltet christliches Mahl eine hohe soziale Forderung: Tischgemeinschaft fördert die Eintracht in der Christengemeinde (vgl.: Apg 2,46). Die Eingeladenen müssen sich untereinander in Liebe annehmen. “Wo Liebe ist, da ist auch Tischgemeinschaft. Ohne Gemeinschaft mit zuvor Verachteten und Verstoßenen keine Gemeinschaft mit dem Herrn.”39 In Jesus wird Essen zu einem Symbol des Glaubens: Es geht “ein in einen Prozeß, in den lebenslangen Vorgang des Gläubigwerdens und -bleibens [...]. Es ist Keim und Frucht des Glaubens, es ist dessen steter Gefährte.”40 Fähig, Jesus aufzunehmen, ist nur, wer den andern und die andere annimmt. Nicht umsonst sind viele Vermittler des Evangeliums, so zum Beispiel die Mitglieder der Bettelorden oder Pilger, in ihrem Wirken auf Gastlichkeit angewiesen.41 In der Gesamtschau bleibt festzuhalten, dass sich im Essen Umkehr ereignet und Heil vermittelt wird. Christus ist als Gast und Gastgeber unter denen, die in seinem Namen essen. Sie nehmen teil an seinem Leben, werden zu seinem Leib, der Kirche. Im christlichen Mahl enthalten sind wesentliche soziale Anforderungen, die nicht aus dem Blick verloren werden dürfen. Klare Prinzipien werden aufgestellt. So kann christliches Essen verbinden, aber auch trennen, es kann grenzüberschreitend Heil verkünden, aber auch Schrei nach Gerechtigkeit sein. 2.2 Beispiele aus der Praxis der Kirche Sehr auffallend heben wichtige Zeugen der Kirchengeschichte, sowie bedeutsame Träger des kirchlichen Handelns den hohen Stellenwert des Mahles hervor. Diese Tradition lässt sich leicht an unzähligen Beispielen aus der Kirchengeschichte erkennen. Schon in apostolischer Zeit wird Gastfreundlichkeit zur Vorschrift für Amtsträger: 1 Tim 3,2 verlangt sie vom Bischof. Ununterbrochen befassen sich christliche Autoren mit der Art und Weise der Nahrungsaufnahme, mit den Lebensmitteln, der Haltung, mit der gegessen werden soll, sowie mit den Gästen, die aufgenommen werden. Im Folgenden sollen exemplarisch drei Zeugen skizziert werden, von denen der erste, Clemens von Alexandrien, noch aus dem Altertum stammt. Mit der Regula Benedicti wird eine Quelle behandelt, die entscheidend die gesamte monastische und gesamtchristliche Tradition geprägt hat. Mutter Teresa als Beispiel aus dem vergangenen Jahrhundert zeigt die Brisanz auf, die das Thema Essen im Zusammenhang mit den Notleidenden gerade in unseren Tagen erhält. Als Verbindung von Christen aller Bekenntnisse über Orts- und Zeitgrenzen hinweg ist das Tischgebet bekannt, das im Anschluss auf seine Bedeutung untersucht wird. Sowohl anhand der drei Zeitzeugen als auch anhand der Praxis des Tischgebetes soll nachgewiesen werden, wie sehr dem Essen neben anderen entscheidenden Bedeutungen auch die Funktion der Verkündigung zukommt, und wie sich dies durch die gesamte Christentumsgeschichte hindurch sehen lässt. 38 BARTH: Das Mahl des Herrn, 158. 39 Ebd., 159. 40 KERN: Christ sein heißt miteinander essen, 246. 41 Vgl.: PEZZOLI-OLGIATTI, Daria: Art. Gastfreundschaft. I. Religionsgeschichtlich, in: RGG III, Sp. 474. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
12 Essen als Mission 2.2.1 Eine Aussage aus den “Teppichen” des Clemens von Alexandrien Der Kirchenvater Clemens von Alexandrien zitiert im vierten Buch seiner Stromateis42 aus dem Brief an die Korinther des gleichnamigen Apostels Clemens. Dort wird auf die Wirkung der christlichen Gastfreundschaft hingewiesen. Clemens fragt: „Denn wer, der für kurze Zeit als Gast bei euch weilte, hätte sich nicht von eurem vortrefflichen und unerschütterlichen Glauben überzeugt, eure verständige, in Christus begründete Frömmigkeit nicht bewundert, die großzügige Art eurer Gastfreundschaft nicht gerühmt und eure vollkommene und zuverlässige Erkenntnis nicht gepriesen?“43 Der Gast wird durch den Eindruck seines christlichen Gastgebers von der Glaubenskraft, der Güte und der Großzügigkeit überzeugt, die seinen Gastgeber erfüllen. Durch Einladungen zum Essen wird demonstriert und verkündigt, was das Leben eines vorbildlichen Christen ausmacht. Seine Vorzüge werden geradezu plakativ vor Augen geführt. Auch hier wird besonders hervorgehoben, dass der Gastgeber alles tut, “ohne nach Rang und Stand zu fragen”44, und auf diese Weise “in Gottes Satzungen”45 wandelt. Der Zusammenhang von Frömmigkeit, Gastfreundschaft, Gleichbehandlung und Glaube wird hier sehr augenfällig illustriert. Ganz klar handelt es sich bei einem Gastmahl um eine vorzügliche Gelegenheit, den christlichen Glauben, eingebettet in die Haltung der Gastfreundschaft, also in eine praktische Tätigkeit, zu verkündigen und seine Qualitäten aufzuzeigen. In der Mahlgemeinschaft bei Tisch zeigen sich christliche Tugenden und wird der Glaube, der sich in Taten der Liebe und der Gastfreundschaft erweist, verkündet. 2.2.2 Gastfreundschaft Benedikts Gastfre undschaft gegenüber “allen ankommenden Fremden” Die Kapitel 53 und 56 der Benediktusregel regeln mit kleinen Unterbrechungen die Beziehungen der klösterlichen Gemeinschaft zu den Gästen. Übernommen sind die Einzelregelungen aus der vorhergehenden altkirchlichen Spiritualität, doch entscheidende neue Merkmale sind die uneingeschränkte Annahme des Fremden und die christozentrische Ausrichtung.46 Hat man die Gäste aufgenommen, nehme man sie mit zum Gebet; dann setze sich der Obere zu ihnen oder ein Bruder, dem er es aufträgt. Man lese dem Gast die Weisung Gottes vor, um ihn im Glauben zu erbauen; dann nehme man sich mit aller Aufmerksamkeit gastfreundlich seiner an.47 Es ist Aufgabe des Oberen, den Gast nach dem gemeinsamen Gebet zu betreuen. Die Aufmerksamkeit, im Original exhibeatur humanitas genannt, zeigt sich in der großzügigen Bewirtung, mit der sich die Mönche ganzheitlich des Gastes annehmen sollen.48 In Anlehnung an das Christuswort “Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen” (Mt 25,35), ordnet der Heilige Benedikt an, “[a]lle Fremden, die kommen, 42 http://www.unifr.ch/bkv (Stand: 27.01.2007; 15:35 Uhr). 43 CLEMENS VON ALEXANDRIEN, Teppiche (Stromateis), Viertes Buch, XVII. Kapitel, 105.1, auf: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel.php?ordnung=0&werknr=48&buchnr=95 (Stand: 27.01.2007; 15:35 Uhr). 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Vgl.: PUZICHA, Michaela: Kommentar zur Benediktusregel, St. Ottilien, 2002, 442 [Künftig zitiert: PUZICHA: Kommentar zur Benediktusregel]. 47 DIE BENEDIKTSREGEL, 220 (Kursivierung durch den Verfasser). 48 Vgl. ebd. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
13 Essen als Mission soll[t]en aufgenommen werden wie Christus”49, und verlangt daher von den Mönchen eine zuvorkommende und demütige Haltung gegenüber dem Gast.50 Der Gast, in dem Jesus erkannt wird, ist verkündigtes Evangelium; im Gast wird Christus die Ehre erwiesen. Sogar das Fasten soll der Obere dem Gast zuliebe brechen51 (ähnliche Regelungen finden sich auch im Islam52). “Mit ‘sedeat - dazusetzen’ nimmt Benedikt einen Begriff auf, den er im Zusammenhang der Liturgie mit der Hinwendung zur Heiligen Schrift verbindet.”53 Die leibliche Versorgung wird in einem Atemzug genannt mit dem Vorlesen der Weisung Gottes, “ut aedificetur”54 Die Erbauung durch das Hinhören auf das Wort Gottes geht einher mit der Bewirtung der Gäste. Beides zusammen ist Dienst am Nächsten und Verkündigungsdienst. Das Hören und Auslegen der Bibel ist nicht zu trennen von der Zuwendung zum Gast beim gemeinsamen Essen. Noch heute lässt sich in jeder Benediktinerabtei sehr gut mitvollziehen, welche Verbindung aus Liturgie – im Hören des Wortes, Verkündigung – in der Auslegung des Wortes für den Gast, und Bruderdienst – in der ausnahmslosen Gastfreundlichkeit gegenüber allen, hier gelingt. 2.2.3 Die Selige Teresa von Kalkutta: Die Liebe Christi zu den Menschen bringen Bei ihrem Dienst an den Ärmsten der Armen speisen die Schwestern aus der Gemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe täglich hungernde Menschen, und wollen hiermit auch Christus in den Hungernden dienen (vgl. Mt 25,35). Natürlich handelt es sich hierbei im Besonderen um die akute Linderung sozialen Elends. Doch ist ein solcher Dienst gerade bei den Schwestern der von Mutter Teresa gegründeten Kongregation immer zugleich gelebtes und verkündetes Evangelium. In den Empfehlungen an ihre Schwestern benutzt die Selige oftmals Begriffe der Gastlichkeit, um ihre Arbeit zu beschreiben: “Lasst das Licht Christi [...] durch euch in den Behausungen der Armen aufscheinen [...] und ladet sie ein, in euer Haus und in euer Leben einzutreten.”55 Die Sorge der Schwestern für die Armen ist gleichsam Sorge für den ganzen Menschen, nicht nur für seinen Körper. Denen, die Mangel leiden, soll das geschenkt werden, was ihnen fehlt. “In der Dritten Welt ist das einfacher, als hier in Deutschland: [...] Hier [...] fehlen Vertrauen, Liebe und Hoffnung. Das zu geben ist viel schwerer, als Suppe zu verteilen.”56 Schwester Lumina, die in Berlin arbeitet, charakterisiert ihre Aufgabe in Deutschland auf diese Weise.57 Daraus kann geschlossen werden, dass die Schwestern von Mutter Teresa es nicht bei einer materiellen Grundversorgung der Bedürftigen belassen können, sondern gedrängt sind, ihnen zusammen mit der Nahrung das zu geben, was sie in ihrem Leben auch über die körperlichen Bedürfnisse hinaus brauchen. Für die Schwestern ist dies die Botschaft von der erlösenden Liebe Christi: 49 DIE BENEDIKTSREGEL. Der vollständige Text der Regel übersetzt und erklärt von Georg HOLZHERR, Zürich/Einsiedeln/Köln, 1980, 219 (Änderungen durch den Verfasser) [Künftig zitiert: DIE BENEDIKTSREGEL ]. 50 Vgl.: PUZICHA: Kommentar zur Benediktusregel, 448f. 51 Vgl.: ebd., 450. 52 BERGER, Lutz: Art. Gastfreundschaft. VIII. Islam, in: RGG III, Sp. 478. 53 PUZICHA: Kommentar zur Benediktusregel, 450. 54 Ebd., 449. 55 MUTTER TERESA: Worte der Liebe, übersetzt und erweitert von Franz JOHNA, Freiburg im Breisgau 1977, 56f [Künftig zitiert: MUTTER TERESA: Worte der Liebe]. 56 MELTERS, Karl-Heinz/GÖRTZ, Toni/HAEPP, Ingelore: Danke Mutter Teresa, Augsburg 1995, 130. 57 Vgl. ebd., 122-131. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
14 Essen als Mission „Bringt Christus – ohne darin nachzulassen – zu den Menschen, die euch brauchen; bringt ihn nicht durch Worte, sondern durch euer Beispiel, durch die Liebe, die euch mit ihm verbindet; seid ihnen ein Abglanz seiner Herrlichkeit, und verbreitet seine wohltätige Liebe, wo immer ihr auch seid. Bewahrt euch eure Kraft, die in der Freude Christi begründet ist. Seid fröhlich und friedvoll. Nehmt heiter und gelassen an, was immer er gibt, und gebt, was immer er nimmt. [...] Laßt Christus in euch Opfer und Priester sein.“58 Ihr Dienst an den in mehrfacher Hinsicht Bedürftigen hängt in seiner Gestalt von der Umgebung ab, in der sich die Schwestern befinden. Immer aber wird weitergegeben, was sowohl Körper als auch Seele sättigt. Dies tun sie nicht mit Worten, sondern kraft ihrer Taten. Sie sind nicht bloße soziale Dienstleister, sondern einsatzfreudige Missionarinnen, wie es ihr Name schon besagt. In der Sorge für Hungernde und Kranke ereignet sich Weitergabe des Glaubens auf radikale Weise. Bemerkenswert ist bei diesem Beispiel, dass christliche Verkündigung niemals ausschließlich aus Worten bestehen kann, sondern dass die Worte mit Taten der Liebe verbunden sind. Auch Taten alleine können Ausdruck des Glaubens und Erwärmung für ihn sein. 2.2.4 Tischgebet: Ausrichtung des Essens auf Gott hin “Das Tischgebet gehört zum Grundbestand christlicher Sitte und verbindet als solches Christen aller Bekenntnisse.”59 “Die jüdische Sitte, vor und nach dem Essen [...] eine eulogia zu sprechen, ist von den Christen für rituell gehobene Mähler beibehalten worden.”60 Da wir “an keiner Stelle der Liturgie unseren jüdischen Brüdern näher”61 sind, gilt das Folgende in abgewandelter Form auch für unsere jüdische Mutterreligion. Bei jedem Essen hat das Tischgebet die Aufgabe, den gewissermaßen herausgehobenen Charakter der Nahrungsaufnahme zu erinnern. Es drückt “auch eine sakrale Funktion der Mahlzeit aus.“62 Es ruft all die Aspekte ins Bewusstsein, die gläubiges Leben, also Leben in Einklang mit der Schöpfungsordnung, mit dem Mahl gemeinsam hat. So das Tischgebet im Familienkreis oder in klösterlichen Gemeinschaften praktiziert wird, “mahnt uns die benedictio mensae vor Mißbrauch von Speise und Trank. In der Anerkennung der largitas Gottes fordert sie uns auf, nicht auf Kosten des Dürftigen [sic!] zu leben, ihn vielmehr teilhaben zu lassen (dispersit, dedit pauperibus) oder mindestens seiner zu gedenken. Wir werden gelehrt, nicht im physischen Genuss zu verharren (obwohl dieser - im Griechischen durch das Wort ‘Fröhlichkeit’ - nicht abgewertet wird), sondern die durch das Mahl gewonnene Erfrischung im Dienste Gottes zu gebrauchen[...]. Indem derer gedacht wird, denen wir die Nahrung verdanken (omnibus nobis bona facientibus), wird das gesamte gesellschaftlich-wirtschaftliche Leben in die Erde und Himmel umspannende Ordnung einbezogen. [...I]n den spezifischen Segnungen der Lebensmittel wird die ganze Vielschichtigkeit und Mannigfaltigkeit von Erzeugung und Verteilung in unserem Gemeinschaftsleben in Betracht gezogen.“63 Neben der liturgischen Bestimmung, die das Gebet vor und nach dem Essen erfüllt, hat das Tischgebet auch eine belehrende Aufgabe, die dem Christen sowohl die Heilszusage Gottes als auch seine Verantwortung für die Schöpfung, die er einzeln oder in Gemeinschaft zu 58 MUTTER TERESA: Worte der Liebe, 64f. 59 HENNING, John: Zur Stellung des Tischgebets in der Liturgie, in: LJ 18 (1968), 87-89, hier 88 [Künftig zitiert: HENNING: Zur Stellung des Tischgebets in der Liturgie]. 60 Ebd., 93 [Kursivierung im Original]. 61 Ebd., 97. 62 MAßMANN, Monika: Und der Dank fällt unter den Tisch? Überlegungen zu Sinn und Gebrauch des Tischgebets, in: Liturgie konkret 10/1988, 1-3, hier: 1. 63 Ebd., 96 [Kursivierungen im Original]. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
15 Essen als Mission erfüllen hat, ins Bewusstsein ruft. Auf diese Weise wird bei jedem Mahl wird das Evangelium verkündigt. Die doppelte Rolle Jesu beim christlichen Essen als Gast und Gastgeber zugleich wird in dem bekannten Gebet: “Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du uns bescheret hast!” deutlich.64 Es weist die ur-menschlichen Handlung der Nahrungsaufnahme auf die Wirklichkeit Gottes hin, richtet das Leben auf Gott aus. Wie es dem Evangelium entspricht, wird für die Speise Dank ausgesprochen und die Not des Nächsten, sowie die eigene Verantwortung für ihn werden erinnert. Es tut sich eine ungeahnte Bedeutungsfülle des Tischgebetes auf. Viele Chancen stecken in einer zeitgemäßen Praxis des Tischgebets. John Henning ruft dazu auf, angesichts der großen Anpassungsfähigkeit und Veränderungsfreude des Tischgebets je nach historischen, geographischen oder gesellschaftlichen Bedingungen, “es nun auch in unserer Welt in angemessener Weise zu verwirklichen.”65 Dafür gibt Monika Maßmann einige Empfehlungen, wenn sie in ihrem Artikel auf Sammlungen von Tischgebeten für jeden Tag verweist.66 64Vgl.: BARTH: Das Mahl des Herrn, 156. 65HENNING: Zur Stellung des Tischgebets in der Liturgie, 97. 66 MAßMANN, Monika: Und der Dank fällt unter den Tisch? Überlegungen zu Sinn und Gebrauch des Tischgebets, in: Liturgie konkret 10/1988, 1-3. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
16 Essen als Mission 3. Heutige Lage und Ausblicke Das dritte Kapitel will typische Erscheinungen des heutigen Umgangs mit Nahrungsaufnahme zeigen und untersuchen, an welchen Stellen sich neue Zugänge für die christliche Bedeutung von Essen anbieten. Diejenigen Aspekte sollen unterstrichen werden, die im Besonderen als Antworten auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit fungieren können. Einige Bewegungsrichtungen, die viel versprechend sind, werden angedeutet. 3.1 Zwischen Nobelrestaurants und Fast- Fast-Food- Food-Industrie: Ansatzpunkte Rainer Horbelt und Sonja Spindler siedeln unsere Esskultur “irgendwo zwischen Fast Food und Feinkost”67 an. Nahrungsmittel werden in ungeheurem Ausmaß produziert und konsumiert; regelmäßig liefern die Medien Meldungen über Bedingungen der Nahrungsmittelproduktion, die viele Zeitgenossen erschüttern. Die Frage: “Ist das Huhn, das wir essen sollen, überhaupt noch ein Tier?”68 erscheint berechtigt. Mit der massenhaften Billigproduktion von Nahrungsmitteln geht eine Ausbeutung sowohl der natürlichen Ressourcen, als auch der in den Produktionsprozess eingebundenen Menschen einher. Opfer der ökonomischen Lenkung sind vielfach Arbeiter und sabotierte Bauern in Entwicklungsländern.69 Wenn man bedenkt, dass bei jedem Essen Kultur und Leben in den eigenen Leib aufgenommen werden, muss gerade vom biblischen Schöpfungsgedanken her eine Verantwortung wahrgenommen werden, die man im Augenblick der Nahrungsaufnahme - ob bewusst oder unbewusst - eingeht. Gerade Christen müssen die Forderung dafür wach halten, “dass an unserer Ernährung nicht der Rest der Welt zugrunde geht”70. Auch der Entfremdungsprozess, den unsere Nahrung durchmacht, kann von christlicher Seite aus kritisch beleuchtet werden. Künstliche Produkte, deren natürlicher Ursprung kaum mehr zu erkennen ist, ersetzten die Grundbestandteile von Mahlzeiten: “statt des festlichen Weins gefärbtes Zuckerwasser, statt der Brotschale ein Stück Pappe, und darauf ein paar heiße, fettige Kartoffelstückchen und ein Hamburger, jene unvergleichliche, seligmachende Hostie des Fortschritts.”71 Was Karl-Heinrich Bieritz hier in einer drastischen, polemisierenden Sprache schildert, kann für die christliche Verkündigung Anlass sein, durch eine neue Essens-Natur den Blick zu schärfen für den Ursprung von Lebensmitteln aus der Schöpfung, für die jeder Sorge trägt. Es zeigt sich auch, wie gerne die konsumorientierte Ernährungskultur den Gebrauch religiöser, nahezu kultischer Bilder und Handlungsmuster pflegt. “Denn die Devotion gegenüber begehrten Konsumgütern lässt sich vortrefflich mit den Verehrungsformeln christlicher Frömmigkeit beschreiben.”72 Der heilige Charakter des Essens, der im zweiten Kapitel präsentiert worden ist, schimmert auch in einer weitgehend säkularen Gesellschaft durch. 67 HORBELT, Rainer/SPINDLER, Sonja: Der neue Trend - Spaß beim Essen, in: THIMM, Utz/WELLMANN, Karl- Heinz (Hg.): Essen ist menschlich. Zur Nahrungskultur der Gegenwart, Frankfurt am Main 2003, 318-329, hier: 327. 68 ANNAS, Max/WAGENHOFER, Erich: WE FEED THE WORLD. Was uns das Essen wirklich kostet, Freiburg 2006, 13 [Künftig zitiert: ANNAS/WAGENHOFER: WE FEED THE WORLD]. 69 Vgl.: ebd., 14. 70 Ebd., 15. 71 BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil, 165 (Kursivierung im Original). 72 SORGO, Gabriele: Abendmahl in Teufels Küche. Über die Mysterien der Warenwelt, Wien/Graz/Klagenfurt 2006, 11 [Künftig zitiert: SORGO: Abendmahl in Teufels Küche]. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
17 Essen als Mission Die heutigen Erscheinungsformen beurteilt der Verfasser nicht durchgehend negativ. Es drücken sich in dem Drang, immer mehr zu konsumieren, durchaus positive menschliche Grundbedürfnisse aus, die befriedigt werden wollen. Allerdings vermag der Warenrausch die Zufriedenheit nicht lange zu halten, weshalb der Konsum immer weiter geht. Am Essen ist auch das Problem der Vereinsamung zu beobachten. Angesichts des häufigen “schnellen Imbisses” oder des “Griffs in den Kühlschrank” bleibt entscheidend, dass ständiges Fehlen von Tischgemeinschaft neurotisiert.73 Im Mahlgeschehen erscheint der ichbezogene Charakter von Essen und Trinken in den Zusammenhang gemeinschaftlichen Handelns eingebunden und immerfort in ihm „aufhebbar“.74 Die wichtige Rolle der Tisch-Gemeinschaft im Christentum ist ein Gut, das darum heute als Segen angesichts der sich verstärkenden Anonymisierung, die krank machen kann, fungieren kann. Option christlicher Verkündigung könnte es sein, aus der Spirale von Kaufen und Konsumieren herauszuführen in einen neuen, gelungenen Konsum, der “Leib und Seele wieder auf geordnete Weise zusammen”75 führt. Ein solchermaßen ganzheitlicher Konsum, der die Umwelt, den Anderen und die Fremde in den Blick nimmt, lässt auch die teilweise versteckte Sakralität des Essens76 in einem richtigen Licht erscheinen und erzeugt “Genuss”77. Konkret bedeutet dies eine Vereinfachung des Essens, ein Gewicht auf die Ursprünglichkeit der Nahrung, sowie eine Konzentration auf das Wesentliche, was Nahrung ausmacht: gute Erhaltung des Lebens sowie die Tischgemeinschaft, die im Mittelpunkt steht. Dies schließt selbstverständlich nicht den gelegentlichen festlichen Rahmen aus, distanziert sich jedoch ausdrücklich von übertriebenem Luxus. 3.2 Aktuelle Perspektiven des missionarischen Essens Neben dem bereits erwähnten Gemeinschaftscharakter, der für das Essen typisch ist, sollte missionarisches Essen in heutiger Zeit vor allem auf dem Hintergrund von Wechselseitigkeit zwischen Christen und Fernstehenden gesehen werden. Die Kommunikationsstruktur beim gemeinsamen Essen ist immer dialogisch. Beide Teilnehmer, Gastgeber und Eingeladene sind zugleich Absender und Adressaten. So muss Kirche auch wahrnehmen, was sie, auch bei Gelegenheiten des Mahles, von fremden Frauen, Männern und Kindern lernen kann. Die Begegnung mit dem Fremden ist der Kirche in ihrem Wesen eingestiftet.78 In beide Richtungen kann hier Mission erfolgen. Besonders “[w]eil die Kirche sich heute in einer ‘Welt der Fremden’ vorfindet und ihrerseits von immer mehr Menschen als befremdlich wahrgenommen wird”79, nimmt sie den anderen vermehrt als Ort der Gottesbegegnung wahr. So zeigt das muslimische Fest des Fastenbrechens im Ramadan Christen eine angemessene Form religiöser Mahlgemeinschaft, die alle Faktoren berücksichtigt und Fremde einschließt. Da schon vor einiger Zeit “Liminität für die Menschen zum Alltag”80 geworden ist und Kirche keine starke Wir-Identität mehr liefert81, kann die Kraft, in der Jesus dem neutestamentlichen Zeugnis zufolge grenzüberschreitend Menschen einlädt, zu einem bedeutenden Anhaltspunkt werden. Menschen sind heute in der Regel dazu gezwungen, in verschiedensten Lebensbereichen angemessen zu agieren und müssen die Übergänge je persönlich meistern. 73 Vgl.: BIERITZ: Eucharistie und Lebensstil, 166f. 74 Vgl.: PAUS, Ansgar: Art. Mahl. I. Anthropologisch, in: LThK VI, Sp. 1197. 75 SORGO: Abendmahl in Teufels Küche, 17. 76 Vgl.: ebd., 237. 77 Ebd.: 17. 78 Vgl.: SUNDERMEIER, zit. nach: COLLET, Giancarlo: Art. Missionswissenschaft. 2. Selbstverständnis, in: LThK VII, Sp. 325. 79 ZERFASS, Rolf: Art. Gastfreundschaft. IV. Praktisch-theologisch, in: LThK IV, Sp. 300. 80 SORGO: Abendmahl in Teufels Küche, 79. 81 Vgl.: ebd., 80. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
18 Essen als Mission Im Hinblick auf diese sehr dynamische Lebenswelt ist die grenzüberschreitende Art Jesu, der mit Zöllnern, Pharisäern und Huren isst (vgl. z.B.: Lk 15), aktuell und bewegend. Das Evangelium hat eine universale Bestimmung.82 Christliche Gastfreundschaft muss verkündigend wirken, wenn sie in den kulturellen Kontexten von Gemeinden Afrikas, Südamerikas oder Chinas gepflegt wird. Kulturelle Anpassung ist hier vonnöten. Angesichts der massiven Ströme von Migranten, die auf der Welt existieren, sind die Kirchen aufgerufen, ihrer Verpflichtung zur Gastfreundschaft nachzukommen. Hier kann sich Heil ereignen. An den Flüchtlingsstraßen Mexikos gilt dies genauso wie in etablierten Pfarreien. Ihre Katholizität macht sich u.a. daran fest, wie offen sie für Fremde sind. 3.3 Verkündigendes Mahl heute: Die Agape als Chance Wie im Ganzen der Arbeit gezeigt, kann das gemeinsame Essen mit dem Fremden zur Propädeutik des christlichen Glaubens werden. Um alle Bedeutungen, die das Mahl missionarisch hat, gebündelt aufzugreifen, könnte eine vermehrte Praxis der Agape in Pfarreien, kirchlichen Gruppen und christlichen Familien, eine gute Chance sein. “Aus ihrer Umwelt, vor allem der jüdischen, übernahm die Urgemeinde den Brauch des gemeinsamen Mahles als einer hauptsächlichen Gestalt des Gemeindelebens.”83 Hier könnten - in positivem Kontrast zu aktuellen bedenklichen Nahrungsgewohnheiten - Formen des Essens eingeübt werden, die bewusstes und gemeinschaftliches Handeln markieren und somit das Mahl als biblisch überlieferten Ort der Glaubenserfahrung und -mitteilung wahrnehmen. Der Ausbildung “eucharistischer Monokulturen” wird entgegengewirkt; Gemeindeglieder können untereinander den Auftrag zur Nächstenliebe realisieren84 und es entsteht ein für alle offener Raum der Begegnung. Auch Fremde können unabhängig von ihrer Konfession oder Religion eingeladen werden und das Zusammentreffen mit ihnen kann Moment der Gotteserfahrung sein. 82 Vgl.: COLLET, Giancarlo: Art. Missionswissenschaft. 2. Selbstverständnis, in: LThK VII, Sp. 324-326. 83 HÄUSSLING, Angelus: Art. Agape, in: Handbuch der Pastoraltheologie V, Freiburg/Basel/Wien 1972, Sp. 9. 84 Vgl.: ebd. http://egora.uni-muenster.de/fb2/mission
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