FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...

 
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NEUE SEIDENSTRASSE

                                                            2021-08

 FAST FASHION AUF
DER SEIDENSTRASSE
 Von „Made in China“ zu „Managed by China“

             VON SABINE FERENSCHILD
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

                                                                       ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
                                                                       AFWA	Asia Floor Wage Alliance
                                                                             (Asiatische Grundlohn Allianz)
                                                                       BCI   Better Cotton Initiative
                                                                       BRI	Belt and Road Initiative
                                                                             (Initiative Neue Seidenstraße)
                                                                       CPEC	China-Pakistan Economic Corridor
                                                                             (Chinesisch-Pakistanischer Wirtschaftskorridor)
                                                                       DIT   Duisburg Intermodal Terminal
                                                                       ILO	International Labour Organization
                                                                             (Internationale Arbeitsorganisation)
                                                                       KP    Kommunistische Partei
                                                                       OAR	Open Apparel Registry

                                                                                                                                      Fotos: Titel: Dmitry P via Flickr; Wiki Commons
                                                                             (Offene Datenbank Bekleidungsunternehmen)
                                                                       RMB   Renminbi
                                                                       SDG	Sustainable Development Goals
                                                                             (Ziele für nachhaltige Entwicklung)
   AUTORIN                                                             SSEZ	Sihanoukville Special Economic Zone
                                                                             (Sonderwirtschaftszone Sihanoukville)
DR. SABINE FERENSCHILD                                                 WTO	World Trade Organization
                                                                             (Welthandelsorganisation)
                                                                       XPCC	Xinjiang Production and Construction Corps
Dr. Sabine Ferenschild arbeitet seit 2011 als
                                                                             (Produktions- und Aufbaukorps Xinjiang)
wissenschaftliche Mitarbeiterin bei SÜDWIND.                           XUAR	Xinjiang Uyghur Autonomous Region
Ihre Schwerpunkte sind Arbeitsbedingungen                                    (Autonome Region Xinjiang)
in der textilen Wertschöpfungskette mit Fokus
auf asiatische Produktionsländer. Seit 2013                            ABBILDUNGSVERZEICHNIS
setzt sie sich mit Arbeitsbedingungen in China                         Grafik 1: 	
                                                                                  Anzahl größerer Textil- und Bekleidungsbetriebe
auseinander. In der Studie „Von weißem Gold                                       u. Beschäftigte in China
und goldenem Öl“ (2013) publizierte sie erstmals                       Grafik 2: Textilproduktion in Xinjiang, 2012 – 2018
zum Baumwollanbau in Xinjiang. 2020 veröf-                             Grafik 3:	Mindestlohn 2021 und Asiatischer Grundlohn im
fentlichte sie mehrere Blogbeiträge zur „Neuen                                    Vergleich (2020/21)
Seidenstraße“.
                                                                       KARTENVERZEICHNIS
SÜDWIND setzt sich für wirtschaftliche, soziale                        Karte 1: 	
                                                                                 Die Landverbindungen der Neuen Seidenstraße
und ökologische Gerechtigkeit ein – weltweit.                                    nach Europa
Wir recherchieren, decken ungerechte Strukturen                        Karte 2: Knotenpunkte der Neuen Seidenstraße in Xinjiang
auf, machen sie öffentlich und bieten Handlungs-                       Karte 3: Demographische Verteilung in Xinjiang (2018)
alternativen. Wir verbinden entwicklungs­                              Karte 4: BRI-Projekte in Kambodscha
politische Bildungs-, Öffentlichkeits- und Lobby-
                                                                       TABELLEN
arbeit und tragen Forderungen in Kampagnen,
Gesellschaft, Unternehmen und Politik.                                 Tabelle 1: Monatliche Mindestlöhne im Vergleich (2015, 2021)
Seit 30 Jahren.

     FÖRDERER                          IMPRESSUM

                                    Bonn, April 2021               AUTORIN:                                        studie
                                                                   Dr. Sabine Ferenschild                          Fast Fashion auf
                                    HERAUSGEBER:
                                                                   REDAKTION UND LEKTORAT:                         der Seidenstraße
                                    SÜDWIND e.V.
                                                                   Nathalie Grychtol, Patrick Wulf,                2021-08
                                    Kaiserstraße 201, 53113 Bonn
                                    Tel.: +49(0)228-763698-0       Vera Schumacher, Bjarne Beh-
                                    info@suedwind-institut.de      rens
                                                                   V.i.S.d.P.: Dr. Ulrike Dufner
                                    www.suedwind-institut.de
                                                                   GESTALTUNG:
                                    BANKVERBINDUNG SÜDWIND:
                                                                   twotype design, Hamburg
                                    KD-Bank
Für den Inhalt dieser Publikation   IBAN:                          DRUCK UND VERARBEITUNG:
ist allein der Herausgeber          DE45 3506 0190 0000 9988 77    Brandt GmbH, Bonn
verantwortlich.                     BIC: GENODED1DKD               Gedruckt auf Recycling-Papier

                                                                   2
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Der Karakorum Highway
                                                                                     verbindet China über

INHALTSVERZEICHNIS                                                                   Xinjiang mit Pakistan.

EINFÜHRUNG                                                                     4

1. D
    ER KAMPF UM DIE SPITZE:
   CHINA ALS GLOBAL PLAYER IM WELTMARKT FÜR TEXTILIEN                          6
      1.1 Übersicht über die chinesische Textilindustrie                       6
      1.2 Go West – Vorläuferin der „Neuen Seidenstraße“                       7
      1.3 Going Out – noch eine Vorläuferin                                    8
      1.4 Go sustainable?                                                      9
      1.5 Ausblick                                                             9
      1.6 Soziale Auswirkungen der chinesischen Textilindustrie                10

2. EIN BLICK IN DIE REGIONEN                                                   12
      2.1 Pulverfass Xinjiang: Ruhe und Stabilität für die Neue Seidenstraße   12
                 Ein Blick in Geschichte und Gegenwart                         12
                 Eine neue Phase der Repression                                14
                 Beispiel Huafu Fashion                                        15
      2.2 „Niemanden zurücklassen“ – Kambodscha und die Seidenstraße           15
                 Energie und Infrastruktur                                     16
                 Sihanoukville – das kambodschanische Shenzhen                 16

3. AUSBLICK                                                                    18

                                                            3
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Dem Szenario von See-
                                                                                                        weg-Blockaden durch
                                                                                                       die USA möchte China
                                                                                                        mit neuen Landrouten
                                                                                                                  vorbeugen.

                                                                                                                                           Fotos: Tolga Türkmenoğlu/ Unsplash
          EINFÜHRUNG

          M
                   it dem Begriff „Seidenstraße“ verbinden             strecke der „Neuen Seidenstraße“ ist zwar doppelt
                   viele eine alte Handelsroute zwischen               so teuer wie die Fracht per Schiff, benötigt aber
                   Europa und Asien aus lange vergangenen              nur rund 12 Tage im Vergleich zu den 45 Tagen, die
          Zeiten. Doch neben der historischen Seidenstraße,            ein Schiff auf der maritimen Seidenstraße benö-
          die vom 2. Jahrhundert v. Chr. bis zum 13. Jahrhun-          tigt (vgl. Oltermann 2018: o.p.). Das weitere Wachs-
          dert die wichtigste Handelsverbindung zwischen               tum des Güterzugverkehrs zwischen China und
          Europa und Asien war (vgl. Gaspers / Heilmann                Duisburg ist also – erst recht nach den Handelsver-
          2017: o.p.), treibt die Volksrepublik China seit eini-       einbarungen zwischen der EU und China von Ende
          gen Jahren ein global angelegtes Infrastrukturpro-           2020 – sehr wahrscheinlich, trotz der im Vergleich
          jekt unter dem Namen „Neue Seidenstraße“ oder                zum Schiffsverkehr immer noch bescheidenen
          „Belt and Road Initiative“ voran. Die „Neue Seiden-          Gütermengen.
          straße“ liegt geographisch näher als manch eine*r                Während es also aus der Perspektive Duisburgs
          zunächst denken mag. Dies macht das Beispiel                 bei der Beteiligung an der „Neuen Seidenstraße“
          Duisburg deutlich. Dort endet einer der Eisen-               vor allem um die wirtschaftlichen Chancen als Lo-
          bahnstränge der „Neuen Seidenstraße“. Die eigene             gistik-Drehkreuz geht, sind die Interessen Chinas
          Bedeutung für die „Neue Seidenstraße“ sieht die              an dem Projekt vielfältiger:
          Stadt Duisburg so: „Mit der Seidenstraßeninitiati-               Außen- und wirtschaftspolitisch will
          ve „One Belt – One Road“ baut China ein globales             China durch vielfältigere und bessere               DIE „NEUE
          Infrastrukturnetz, Duisburg ist dabei integraler Be-         Transportwege die globale Nachfrage nach            SEIDEN­
          standteil. Die Zugverbindung ist die erste schnelle          chinesischen Produkten steigern, sich den           STRASSE“
          Güterzugverbindung zwischen Europa und China                 Zugang zu Rohstoffen sichern und nicht              LIEGT NÄHER
          und gilt daher als das Symbol der neuen Seiden-              zuletzt auch durch den Ausbau von Han-
Siehe                                                                                                                      ALS MANCH
Karte 1   straße.“ (vgl. Stadt Duisburg 2020: o.p.)                    delsverbindungen über Land das Risiko
                                                                                                                           EINE*R DENKT.
              Duisburg hat sich in den letzten Jahren zu ei-           möglicher Blockaden von Seewegen (zum
          nem wahren Logistik-Drehkreuz der „Neuen Sei-                Beispiel durch die USA) minimieren (vgl.            EINER DER
          denstraße“ entwickelt. Elektronik, Textilien und             Turowski 2020: 4). Für eine (noch) bessere          STRÄNGE
          Bekleidung oder Spielzeug für den deutschen und              Integration Chinas in globale Wertschöp-            ENDET IN
          europäischen Markt werden hier umgeschlagen                  fungsketten bildet die „Neue Seidenstra-            DUISBURG.
          und an ihre Zielorte weitertransportiert. Allein             ße“ also die infrastrukturelle Grundlage.
          zwischen 2016 und 2018 hat sich der Güterverkehr             Entlang der verschiedenen Routen werden
          zwischen Duisburg und China von 20 auf 35 Gü-                Produktionszentren geschaffen, über die Roh-
          terzüge pro Woche nahezu verdoppelt (vgl. Statista           stoffe, Vorprodukte und Endprodukte schneller
          2020: o.p.). Der Güterverkehr auf der Eisenbahn-             und verlässlicher transportiert und mit den Ziel-

                                                                   4
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

                                                                NÖRDLICHE                              TRANSSIBIRISCHE
KARTE 1: DIE LANDVERBINDUNGEN
                                                              SEIDENSTRASSE                                ROUTE
DER NEUEN SEIDENSTRASSE NACH EUROPA                                                  Perm

                                                  Moskau
                                                                              Jekaterinburg
                                                                                                                                         Irkutsk             Sabaikalsk

                                                                                                               Astana

                                          Minsk
                               Warschau                                                                                                                                                  Shenyang
                                                                                                          Almaty               Khorgos
                                                                                                                                                                               Yingkou
                    Duisburg
                                                                                                                                Ürümqi                               Peking
                                                              Poti                   Aktau                                                                             Tianjin
                                                                     Tiflis
                                                                                                                                                                           Qingdao
                                                                                                                                                                                                           Verbindu
                                                                                                                                                                                                           nach Süd
                                                                                                                                                                   Xian                                    und Japa
                                                                                                                                                                               Suzhou
                                                   Istanbul                                       SÜDLICHE                                    Lanzhou
                                                                                                                                                                                               Schanghai
                                                                       Teheran                 SEIDENSTRASSE
                                                                                                                                                                               Wuhan Yiwu
                                                                                                                                                   Chengdu
                                                                                                                                                       Chongqing
                                                                                                                   Neu Delhi                                        Changsha

                                                                                                                                                                          Shilong

                                                                                                                   Mumbai

                                                                                                        DIE LANDVERBINDUNGEN DER NEUEN
                                                                                                        SEIDENSTRASSE NACH EUROPA
                                                                                                        In Wuhan, der chinesischen Partnerstadt Duisburgs,
                                                                                                        nimmt eine der Bahnstrecken der „Neuen Seiden-
                                                                                                        straße“ ihren Anfang. Sie führt von Wuhan in der
                                                                                                        Provinz Hubei über Xian und Lanzhou in den chine-
                                                                                                        sischen Provinzen Shaanxi und Gansu, durch Urumqi
                                                                                                        und Khorgos in der zu China gehörenden Autono-
                                                                                                        men Region Xinjiang weiter über Almaty und Astana
                                                                                                        in Kasachstan, Jekaterinburg, Perim und Moskau in
        märkten verbunden werden können. Chinesische                                                    Russland, das weißrussische Minsk und Warschau
        Konzerne werden dadurch in ihrer internationa-                                                  zur Endstation Duisburg. Die südliche Seidenstraße
        len Expansion unterstützt. Inwiefern sich diese                                                 verläuft von Almaty aus über Teheran im Iran und
        Verknüpfung auf die Textil- und Bekleidungsin-                                                  Istanbul in der Türkei nach Duisburg.
                                                                                                        Auch die direkt der Zentralregierung unterstellte
        dustrie auswirkt, wird in Kapitel 1 betrachtet.
                                                                                                        chinesische Stadt Chongqing ist einer der Start-
            Innenpolitisch sollen die Infrastrukturprojek-
                                                                                                        punkte der in Duisburg endenden Bahnverbindun-
        te unter dem Dach der „Neuen Seidenstraße“ Ent-                                                 gen. Die Bahnverbindung zwischen Chongqing und
        wicklungsunterschiede zwischen chinesischen                                                     Duisburg wurde bereits im Jahr 2011 als Teil der
        Regionen verringern sowie neue Wachstums-                                                       „Go-West-Strategie“ (s. Kap. 1.2) der chinesischen
        perspektiven schaffen und so den erreichten                                                     Regierung zur Entwicklung der inneren (westlichen)
        Wohlstand sichern (vgl. Hoering 2020: 12ff.). Neue                                              Provinzen, Städte und Autonomen Regionen Chinas
        Verbindungen in die asiatischen Nachbarländer                                                   aufgenommen. Später wurden sowohl die Bahnver-
        sollen wirtschaftliche Impulse für die ärmeren                                                  bindung als auch die „Go-West-Strategie“ in die
        chinesischen Provinzen und Grenzregionen wie                                                    „Neue Seidenstraße“ integriert. Im Jahr 2018 liefen
        zum Beispiel die Autonome Region Xinjiang brin-                                                 80 % der für Europa bestimmten 1.400 Güterzüge
        gen und dadurch u.a. zur Schlichtung innerer                                                    aus Chongqing über den am Duisburger Hafen gele-
        Konflikte beitragen wie zum Beispiel des Konflikts                                              genen DIT-Terminal (Duisburg Intermodal Terminal).
        zwischen der chinesischen Zentralregierung und                                                  Quellen: Rundschau Duisburg 2019: o.p.; Mardell 2019: o.p.
        der in Xinjiang lebenden Ethnie der Uigur*innen.
        Gerade letzteres kann nur gelingen, wenn die Ui-
        gur*innen auch von den Projekten im Kontext der                                       Projekten. Inwiefern die BRI zu besseren Arbeits-
        „Neuen Seidenstraße“ profitieren (vgl. Gaspers /                                      standards beiträgt, lässt sich aus einem Vergleich
        Heilmann: o.p.). Inwiefern die „Neue Seidenstra-                                      der Bedingungen in der Sonderwirtschaftszone
        ße“ dazu beiträgt, innere Konflikte zu entschärfen,                                   mit den Bedingungen an anderen Textilstandor-
        wird in Kapitel 2 am Beispiel des Uigur*innenkon-                                     ten in Kambodscha schlussfolgern.
        flikts erörtert. Ein weiteres regionales Beispiel in                                      Ein Hauptaugenmerk dieser Studie liegt auf
        Kapitel 2 ist Kambodschas Rolle in der „Neuen                                         den Auswirkungen der „Neuen Seidenstraße“ auf
        Seidenstraße“. Kambodscha ist eines der Schlüs-                                       Arbeitsstandards. Da menschenwürdige Arbeits-
        selländer der BRI im südostasiatischen Raum und                                       standards ein zentrales Element nachhaltiger
        verspricht sich starke Entwicklungsimpulse durch                                      Entwicklung sind (SDG 8.7), bilden sie ein Kern-
        die BRI-Projekte. Die kambodschanische Sonder-                                        kriterium in der Bewertung dieses chinesischen
        wirtschaftszone Sihanoukville, in der vor allem                                       Großprojekts. Daher werden die Auswirkungen
        Textilbetriebe angesiedelt sind, gehört zu den BRI-                                   auf Arbeitsstandards in Kapitel 3 diskutiert.

                                                                                       5
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
Die wachsende konsumfreudige Mittelklasse Chinas ist als Absatzmarkt hochinteressant; auch für ausländische Unternehmen

1. DER KAMPF UM DIE SPITZE:
CHINA ALS GLOBAL PLAYER
IM WELTMARKT FÜR TEXTILIEN

D
         ie Volksrepublik China ist seit dem Jahr            ist deutlich gestiegen. Sie könnten deshalb zu den
         2001 Mitglied der Welthandelsorganisa-              größten Nutznießenden der „Neuen Seidenstra-
         tion (WTO) und seitdem zum Land mit dem             ße“ gehören (vgl. Barrie 2019: o.p.).
größten Anteil an den Weltexporten aufgestiegen
(vgl. / Holzmann / Wesseling / Zenglein 2020: 12). Das
gilt auch für die Textil- und Bekleidungsexporte
(s. Kap. 2.1). Mit einer wachsenden Mittelklasse in
                                                             1.1 ÜBERSICHT
China wächst zugleich die Binnennachfrage nach               ÜBER DIE CHINESISCHE
Konsumgütern, zu denen auch Textilien und Be-
kleidung gehören. Für internationale Modean-                 TEXTILINDUSTRIE
bieter ist China deshalb nicht nur als „Werkbank
der Welt“ von Bedeutung, sondern wird auch als               Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation
Absatzmarkt immer interessanter: In den letzten              und dem Ende des Welttextilabkommens ab dem
Jahren wurde China zu einem der wichtigsten Ab-              Jahr 2005 erfolgte ein beispielloses Wachstum der
satzmärkte u.a. von Fast Fashion-Anbietern wie               chinesischen Textil- und Bekleidungsindustrie.
Zara, H&M oder C&A (vgl. Irun 2017: 19).                     Laut Chinas Statistischem Jahrbuch existierten
     China ist zwar weltweit führend bei Produkti-           im Jahr 2008 rund 50.000 größere chinesische
on, Handel und Konsum von Textilien und Beklei-              Textil- und Bekleidungsbetriebe mit rund 11 Mio.
dung. Doch kämpfen chinesische Textilunterneh-               Beschäftigten (vgl. China Statistical Yearbook 2009,
men in den letzten Jahren zunehmend mit für sie              Tab. 13-2). Mit dieser starken Industriebasis stieg
problematischen Entwicklungen wie zum Beispiel               China zum wichtigsten Akteur im globalen Tex-
steigenden Produktionskosten. Letztere führten               til- und Bekleidungshandel auf und erreichte im
zu Auftragsverlagerungen in günstigere asiati-               Jahr 2013 einen Anteil von rund 40 % (177 Mrd.
sche Länder. Der internationale Wettbewerbs-                 US-Dollar) an den globalen Bekleidungsexpor-
druck für chinesische Textilexportunternehmen                ten und 35 % (106 Mrd. US-Dollar) an den globa-

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FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

                                           GRAFIK 1: ANZAHL GRÖSSERER TEXTIL- UND
                                           BEKLEIDUNGSBETRIEBE U. BESCHÄFTIGTE IN
                                           CHINA (2015–2018)                                                             KURZER ÜBERBLICK ÜBER DAS BRI-PROJEKT
                                                                                                                         Mit der „Belt & Road-Initiative“ (BRI), besser
                                           Anzahl der Betriebe                                                           bekannt als „Neue Seidenstraße“, hat der chi-
                                                                                                                         nesische Präsident Xi Jinping im Jahr 2013 ein
                                           40.000                                                                        ehrgeiziges Infrastrukturprojekt angekündigt. Der
                                           35.000                                                                        Ausbau von Schienen- und Straßenverbindungen
                                           30.000                                                                        sowie von Meeresstraßen und Häfen soll der An-
                                           25.000                                                                        kurbelung des Welthandels, aber auch geopoliti-
                                           20.000
                                                                                                                         schen Zielen dienen. Wickelte China zuvor seinen
                                           15.000
                                                                                                                         Außenhandel primär über den Seeweg ab, so wird
                                           10.000
                                                                                                                         im Rahmen der BRI der Ausbau von Schienen-
                                                                                                                         trassen über Zentralasien Richtung Europa massiv
                                           5.000
                                                                                                                         vorangetrieben (vgl. Morazán 2020: 1ff). Über
                                                           2015         2016          2017       2018                    die verbesserte Infrastruktur und die zahlreichen
                                                                                                                         chinesischen Investitionen in die Partnerländer
                                                                                                                         der BRI baut das Land seine Position als führende
Fotos: Zhang Kaiyv/ Unsplash.

                                           Anzahl der Beschäftigten                                                      Handelsmacht in Konkurrenz zu und im Wettbe-
                                                                                                                         werb mit den USA und der EU aus.
                                           10.000.000
                                                                                                                         Für den Globalen Süden bergen die Infrastruktur-
                                           8.000.000                                                                     projekte der BRI sowohl Chancen als auch Risiken:
                                                                                                                         Einerseits verbessern die BRI-Projekte den Zu-
                                           6.000.000                                                                     gang dieser Länder zu Wasser, Transport, Energie
                                                                                                                         und anderen grundlegenden Dienstleistungen,
                                           4.000.000
                                                                                                                         andererseits erhöhen sie deutlich das Risiko der
                                           2.000.000
                                                                                                                         Überschuldung. Dies betrifft insbesondere afrika-
                                                                                                                         nische Partnerstaaten der BRI – mit allen bekann-
                                                                                                                         ten sozialen und ökologischen Folgen, die daraus
                                                           2015         2016          2017       2018                    resultieren, dass Staaten ihre Haushaltsmittel in
                                                          Textilbetriebe            Bekleidungsbetriebe*                 den Schuldendienst statt in menschliche Entwick-
                                                                                                                         lung stecken müssen. Außerdem gibt es etliche
                                                                                                                         BRI-Investitionen, die ökologisch problematisch
                                           *Manufacture of Textile, Wearing Apparel and Accessories                      sind, z.B. in Kohle- und Atomkraftwerke, sowie
                                           Quelle: China Statistical Yearbook 2016 - 2019                                Berichte über schwere Arbeitsrechtsverletzungen
                                                                                                                         beim Bau von BRI-Infrastrukturprojekten, die vor
                                                                                                                         allem die lokalen Beschäftigten treffen. Ob die
                                                                                                                         Chancen der besseren Anbindung afrikanischer
                                                                                                                         und zentralasiatischer Staaten an den Welthandel
                                           len Textilexporten (vgl. WTO 2014: 58). Fünf Jahre
                                                                                                                         letztlich die Risiken überwiegen, lässt sich noch
                                           später sind Chinas Bekleidungsexporte zwar auf
                                                                                                                         nicht abschließend bewerten, da nicht einmal
                                           rund 31 % (158 Mrd. US-Dollar) Weltmarktanteil                                zehn Jahre seit dem Startschuss vergangen sind
                                           gefallen, die Textilexporte aber auf knapp 38 %                               und das letzte dieser Jahre von der Corona-Pan-
                                           (119 Mrd. US-Dollar) gestiegen (vgl. WTO 2019:                                demie überschattet wurde.
                                           119f). Außerdem sank die Zahl der chinesischen
                                           Textil- und Bekleidungsunternehmen bis 2018
                                           deutlich, wie Grafik 1 zeigt. Obwohl die Interpre-
                                           tation dieser Zahlen schwierig ist, unter anderem,
                                           weil sich die Kategorien der statistischen Erfas-                   1.2 GO WEST –
                                           sung über die Jahre geändert haben, lässt sich ein
                                           Trend beobachten. Die Zahl der größeren Betriebe                    VORLÄUFERIN DER
                                           der chinesischen Textil- und Bekleidungsindust-
                                           rie nahm ab und es fand ein deutlicher Abbau von
                                                                                                               „NEUEN SEIDENSTRASSE“
                                           Arbeitsplätzen statt. Im Jahr 2018 gab es landes-                   Hinter dem o.g. Rückgang der Bekleidungsexpor-
                                           weit noch knapp 34.000 Unternehmen mit einem                        te verbergen sich sowohl interne als auch externe
                                Siehe
                                Grafik 1   Jahresumsatz von mehr als 20 Mio. RMB (ca. 2,5                      Zusammenhänge. Zu den zentralen internen Zu-
                                           Mio. Euro). Die Zahl der Beschäftigten sank von                     sammenhängen gehört die sog. „Go West-Strate-
                                           9 Mio. im Jahr 2015 auf 6,7 Mio. im Jahr 2018. Die-                 gie“ der chinesischen Führung (vgl. GTAI 2019: 1),
                                           se Entwicklung scheint sich weiter fortzusetzen.                    die zwar alle Wirtschaftssektoren betraf, sich am
                                           So gaben etwa ein Drittel der marktführenden                        Beispiel der Textil- und Bekleidungsindustrie aber
                                           Unternehmen in einer Umfrage an, ihre Produk-                       gut veranschaulichen lässt.
                                           tion bereits teilweise ausgelagert zu haben oder                        Der Aufbau des exportorientierten Textilsek-
                                           dies in den nächsten zwei bis drei Jahren tun zu                    tors erfolgte in China bereits mit den Wirtschafts-
                                           wollen (vgl. Russell 2020).                                         reformen der chinesischen Führung unter Deng

                                                                                                           7
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

              Xiaoping ab 1978 (vgl. Ferenschild / Schäfer 2012:            Für die Autonome Region Xinjiang, die im folgen-
              27f). Basierend auf Staatsbetrieben und der Be-               den Kapitel ein Schwerpunkt sein wird, brachte
              schäftigung von Wanderarbeiter*innen entstan-                 die Entwicklungsstrategie der Zentralregierung
              den Textilindustriecluster vor allem in den östli-            einen massiven Ausbau der textilen Kette. Xinji-
              chen Küstenprovinzen (Hebei, Shandong, Jiangsu,               ang wurde in der letzten Dekade zum wichtigsten
              Zhejiang, Fujian, Guangdong). Die ersten Sonder-              Baumwollanbaugebiet Chinas entwickelt. Mehr
              wirtschaftszonen, u.a. Shenzhen in Guangdong                  als 80 % der chinesischen Baumwolle werden
              und Xiamen in Fujian, profitierten von ihrer geo-             mittlerweile dort angebaut. Dies entspricht mehr
              graphischen Nähe zu Schnellstraßen oder Häfen                 als 20 % der globalen Baumwollproduktion. Tex-
                      sowie zu den international angebundenen               tilbetriebe aller Verarbeitungsstufen - von Spinne-
                      Metropolen Hongkong, Shanghai oder                    reien über Stoffherstellung bis zur Bekleidungs-
                                                                                                                                              Siehe
                      Guangzhou (vgl. Irun 2017: 16f). Durch die            produktion - wurden in Xinjiang aufgebaut. Allein               Grafik 2
 DIE „GO WEST-        Konzentration der industriellen Entwick-              die Produktion von Garnen und Stoffen stieg in
STRATEGIE“ ALS        lung auf die Küstenprovinzen entstand                 den letzten Jahren um 450 %(vgl. Wulff 2020: 1f).
  ANTWORT AUF         aber im Laufe der Jahre zwischen den sich
DIE WACHSENDE         wirtschaftlich entwickelnden östlichen
POLARISIERUNG
     ZWISCHEN
                      Provinzen Chinas und den zurückfallen-
                      den westlichen Provinzen und Regionen
                                                                            1.3 GOING OUT – NOCH
   CHINAS KÜS­        eine starke soziale und ökonomische                   EINE VORLÄUFERIN
                      Polarisierung. Getrieben von dieser Pola-
 TENPROVINZEN
                      risierung sowie steigenden Produktions-               Um Chinas Stellung auf dem Weltmarkt für Tex-
UND DEN ÄRME­         kosten in den Küstenprovinzen schuf die               tilien und Bekleidung zu behaupten, reichte die
 REN REGIONEN         Regierung im Rahmen der „Go West-Stra-                Suche nach günstigeren Produktionsstandorten
    IM INNEREN        tegie“ Anreize für den Aufbau weiterer                innerhalb Chinas aber nicht aus. Denn unter dem
                      Textilcluster in den westlichen Provinzen,            Druck steigender Produktionskosten in China be-
                      die in einem ersten Schritt die Provinzen             gannen westliche Textil- und Bekleidungsunter-
              Anhui, Jiangxi, Shanxi, Henan, Hubei und Hunan                nehmen in den letzten Jahren zunehmend Auf-
              umfassten, aber schließlich auch die noch weiter              träge an chinesische Nachbarländer zu vergeben.                    siehe
                                                                                                                                            Kasten 1
              westlich gelegenen Regionen Nigxia, Qinghei und               Dieser Trend hält an und wird verstärkt durch die               auf S. 11
              Xinjiang einschlossen (vgl. a.a.O.: 26). So sollten ei-       Corona-Krise, aber auch durch den Handelskrieg
              nerseits Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten                 zwischen den USA und China, der zu steigenden
              für die Bevölkerung dieser Provinzen geschaffen               Zöllen geführt hat (vgl. Taylor 2020: o.p.; Gartner
              werden, andererseits boten die dortigen niedrigen             2020: o.p.).
              Lohn- und Standortkosten attraktive Bedingungen                    Auf den Abzug westlicher Aufträge aus China
              für die arbeitsintensive Textil- und Bekleidungs-             und deren Verlagerung in Länder mit niedrigeren
              industrie. Diese „Go West-Strategie“ kann (neben              Produktionskosten hat China längst reagiert. Die
              der „Going Out-Strategie“, s.u.) als eine der Vor-            nach innen gerichtete „Go West-Strategie“ Chinas
              läuferinnen der „Neuen Seidenstraße“ verstanden               wurde in den letzten zwei Jahrzehnten von einer
              werden. Beide verbindet das Interesse der ökono-              ebenso intensiv verfolgten „Going Out-Strategie“
              mischen Entwicklung und Integration der inneren               begleitet. Im Rahmen dieser Strategie werden
              Regionen Chinas.                                              die chinesischen Unternehmen darin unterstützt

        GRAFIK 2: TEXTILPRODUKTION IN XINJIANG, 2012 – 2018

                                                                                                                                Baumwolle
        5.000.000
                                                                                                                                (in 10.000 t)

        4.000.000

        3.000.000
                                                                                                                                Stoff
                                                                                                                                (in 100m)
        2.000.000
                                                                                                                                Garn
                                                                                                                                (in 10.000 t)
        1.000.000
                                                                                                                                Kunststofffaser
                                                                                                                                (in 100m)

                    2012        2013            2014           2015                2016            2017               2018

                                                                                                     Quelle: China Statistical Yearbook 2010 - 2019
                                                                        8
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
und ermutigt, im Ausland zu investieren, globale
                          Ressourcen zu nutzen und chinesische Produkte,
                          Dienstleistungen und Technologien international
                          zu verbreiten (vgl. Hederer 2015: o.p.; Holzmann /
                          Wessling / Zenglein 2020: 7ff.).
                              Chinesische Textil- und Bekleidungsunter-
                          nehmen beteiligen sich seit vielen Jahren an die-
                          ser „Going Out-Strategie“, die ebenso wie die „Go
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                          West-Strategie“ heute Teil der Seidenstraßen-Phi-
                          losophie geworden ist. Der Export von Überschuss-
                          produktion in wichtigen Branchen wie Stahl, Bau-
                          industrie oder Textilien bleibt eines der Hauptziele
                          der BRI. Chinesische Unternehmen haben massiv
                          in den Ausbau und die Entwicklung der Textil- und
                          Bekleidungsproduktion in anderen asiatischen
                          Ländern investiert. Bangladesch war das erste                 Zahlreiche Herstellungsprozesse werden zunehmend in
                          Land, in dem chinesische Textilunternehmen Joint              Länder mit noch niedrigeren Arbeitskosten ausgelagert.
                          Ventures aufbauten, um den steigenden Produk-
                          tionskosten in China auszuweichen. Aber auch die
                          Textilsektoren Vietnams und Kambodschas und
                          jüngst auch Usbekistans ziehen chinesische In-                Während China im Inland auf Klima-
                          vestitionen an (vgl. Fibre2Fashion 2019: o.p.). So ver-       freundlichkeit setzt, fördert es im Zuge
                                                                                                                                           „GO WEST“
                          bergen sich zum Beispiel hinter vietnamesischen               der „Neuen Seidenstraße“ den Ausbau von
                                                                                                                                           UND „GOING
                          Bekleidungsexporten nach China oder in die EU                 Kohlekraftwerken in den Partnerländern,
                          häufig chinesische Unternehmen, die in Vietnam                zum Beispiel in Pakistan, Bangladesch
                                                                                                                                           OUT“ SIND
                          produzieren (vgl. Schmitt 2020a: 2).                          oder Kambodscha (vgl. Urgewald o.J.: o.p.).        HEUTE TEIL
                                                                                        Dabei müsste China gerade bei den Projek-          DER SEIDEN­
                                                                                        ten der „Neuen Seidenstraße“ seine Füh-            STRASSEN-
                          1.4 GO SUSTAINABLE?                                           rungsrolle bei einer ökologischen Trans-
                                                                                        formation unter Beweis stellen. Nach
                                                                                                                                           PHILOSOPHIE.

                          Neben den Bemühungen Chinas, im Rahmen der                    Ansicht von Expert*innen spielt deshalb
                          „Go West-Strategie“- und der „Going Out-Strate-               die „Neue Seidenstraße“ eine entscheidende Rol-
                          gie“ seine Position im Binnen- und Weltmarkt für              le bei der Erreichung der globalen Klimaziele (vgl.
                          Textilien und Bekleidung zu behaupten, gewann                 Shepherd 2020: o.p.).
                          ökologische Nachhaltigkeit in den letzten Jahren
                          an Bedeutung für die chinesische Politik. Die chi-
                          nesische Führung will das Land bis 2060 CO2-neu-
                          tral machen und China gehört zu den Unterzeich-
                                                                                        1.5 AUSBLICK
                          nern des Pariser Klimaabkommens. Für ein Land,                Schon vor Corona wurde der eigene Binnenmarkt
                          dessen ökonomisches Wachstum seit 1978 im We-                 für die chinesische Textil- und Bekleidungsindus-
                          sentlichen von Kohleenergie angetrieben wurde                 trie wichtiger als der Weltmarkt. Gingen um 2010
                          und dessen über viele Jahre kaum (ökologisch) re-             noch etwa die Hälfte der chinesischen Textil- und
                          gulierte Industrialisierung zu schweren Schäden               Bekleidungsprodukte in den Export, so waren es
                          an Land, Luft und Wasser geführt hat, ist das eine            2019 nur noch ein Viertel. Chinesische Anbieter
                          gewaltige Herausforderung. Denn bereits im Jahr               konkurrieren aber auch im Binnenmarkt und da
                          2006 hat China die USA als größten Emittenten                 vor allem im gehobenen Marktsegment mit aus-
                          von Treibhausgasemissionen (TGE) überholt und                 ländischen Anbietern (vgl. Schmidt 2020b: 1). So-
                          ist heute für ein Viertel der globalen TGE verant-            wohl für die Behauptung auf dem Binnenmarkt
                          wortlich. Um diesem Problem entgegenzuwirken                  als auch auf den Exportmärkten ist deshalb die
                          enthalten die chinesischen Fünfjahrespläne seit               „Neue Seidenstraße“ eine wichtige Unterstützung
                          dem Jahr 2001 soziale und ökologische Ziele. Um-              für chinesische Textil- und Bekleidungsunter-
                          weltregulierung und Emissionsstandards sind                   nehmen. Im Binnenbereich verbindet die „Neue
                          seitdem strikter geworden und grüne Technolo-                 Seidenstraße“ die neuen Textilproduktionszent-
                          gien werden gefördert (vgl. Grünberg / Holzmann               ren z.B. in Xinjiang mit den anderen chinesischen
                          2021: 4f.). Die chinesische Textil- und Bekleidungs-          Provinzen und dem Weltmarkt. Im Exportbereich
                          industrie steht in diesem Kontext vor gewaltigen              unterstützen Seidenstraßenprojekte die Entwick-
                          Herausforderungen. Denn sie gehört zu den In-                 lung von Textilclustern in den Partnerländern der
                          dustrien in China mit dem höchsten Energiever-                „Neuen Seidenstraße“. Kapitel 2 wirft deshalb ex-
                          brauch und den größten umweltschädigenden                     emplarisch einen vertiefenden Blick auf Xinjiang
                          Emissionen (vgl. Ying et.al. 2017: 9).                        und auf das BRI-Partnerland Kambodscha.

                                                                                    9
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE - Von "Made in China" zu "Managed by China" - SÜDWIND ...
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

            1.6 SOZIALE                                            TABELLE 1: MONATLICHE MINDESTLÖHNE
                                                                   IM VERGLEICH (2015, 2021)
            AUSWIRKUNGEN DER
            CHINESISCHEN                                              Provinz/Region                     2021                           2015

            TEXTILINDUSTRIE                                           Xiamen                    1.700 RMB 212 Euro             1.500 RMB 200 Euro

            Wenn von steigenden Produktionskosten in der              Shenzhen                   2.200 RMB 274 Euro            2.030 RMB       272 Euro
            chinesischen Textil- und Bekleidungsindustrie ge-         Aksu                       1.540 RMB 193 Euro             1.390 RMB      186 Euro
            sprochen wird, dann sind steigende Lohnkosten
            ein bedeutender Faktor dieser Steigerung. Veran-          Kambodscha              730.002 Riel 146 Euro 512.000 Riel               102 Euro
            schaulichen lassen sich die steigenden Lohnkosten         Bangladesch               8.000 Taka        76 Euro      5.300 Taka        55 Euro
            an der Entwicklung der gesetzlichen Mindestlöh-
            ne in China über die letzten Jahrzehnte. Der jeweils
                                                                            Quelle: WageIndicator.org; Umrechnung nach oanda.com jeweils zum 01.01.2015/21.
            gültige gesetzliche Mindestlohn ist ein guter Re-
            ferenzwert für die Lohnentwicklung, da er die je-
            weilige Lohnuntergrenze markiert. In China gibt
            es ein sehr komplexes Mindestlohnsystem, das
            u.a. den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten        und 2021 mit den Kalkulationen der Asiatischen
            Rechnung tragen soll und insgesamt aus Hunder-         Grundlohn Allianz (AFWA – Asia Floor Wage Al-
            ten unterschiedlichen Mindestlöhnen besteht. Um        liance) für einen existenzsichernden Lohn in den
            eine Vorstellung der unterschiedlichen Mindest-        drei betrachteten Ländern Bangladesch, Kambod-
            lohnhöhen in China und im Vergleich auch zu            scha und China.
            zwei Partnerländern der „Neuen Seidenstraße“ zu            Innerhalb Chinas existiert also nicht nur ein
Siehe
Tabelle 1   vermitteln, enthält Tabelle 1 die für 2015 und 2021    Lohngefälle zwischen den östlichen und westli-
            gültigen monatlichen Mindestlöhne                      chen Textilclustern, gravierender ist der Abstand
                                                                   der Mindestlöhne von einer existenzsichernden
            ▸    er Sonderwirtschaftszonen Xiamen, Provinz
                d                                                  Lohnhöhe. Dies gilt auch für Bangladesch und
                Fujian, und Shenzhen, Provinz Guangdong (in        Kambodscha, weswegen die „Neue Seidenstraße“
                beiden Provinzen liegen Textilcluster).            vielleicht erfolgreich zur Schaffung von Jobs bei-
            ▸   der Stadt Aksu in der Autonomen Region            trägt, aber nicht zur Schaffung menschenwürdi-
                 Xinjiang, einem regionalen Zentrum der            ger Arbeitsplätze. Ohne dies für Bangladesch und
                 Textilindustrie;                                  Kambodscha hier weiter ausführen zu können, soll
            ▸    von Bangladesch und Kambodscha, zwei Län-        der Blick auf die Lohnentwicklung in China doch
                  der mit bedeutender Textil- und Bekleidungs-     ergänzt werden durch die Ergebnisse einer Befra-
                  industrie und Investitionsziele chinesischer     gung der Hongkonger Arbeitsrechtsorganisation
                  Textilunternehmen.                               Globalisation Monitor zu den Arbeitsbedingun-
                                                                   gen von mehreren hundert Wanderarbeiter*in-
            Die Entwicklung der Mindestlöhne zeigt (1) das         nen, die in den Provinzen Fujian, Guangdong,
            kontinuierliche, allerdings in China relativ lang-
            same Wachstum der Mindestlöhne über die letz-
            ten sechs Jahre, (2) die deutlich niedrigeren Löh-
            ne im Westen Chinas (Aksu) im Vergleich zu den         GRAFIK 3: MINDESTLOHN 2021 UND ASIATISCHER
            Produktionszentren im Osten Chinas (Xiamen,            GRUNDLOHN IM VERGLEICH (2020/21)
            Shenzhen ) sowie (3) das starke Mindestlohngefäl-
            le zwischen China einerseits sowie Kambodscha          Euro
            und Bangladesch andererseits. Wenn chinesische
                                                                      700
            Textilunternehmen im Zuge der „Go West-Strate-
            gie“ oder im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“           600
            in Bangladesch und Kambodscha investieren oder
                                                                   500
            dorthin Aufträge vergeben, bedeutet dies also
            nicht zugleich, dass auch die Textilarbeiter*innen     400
            in den Partnerländern von diesen Investitionen
                                                                   300
            profitieren oder dass die Unterstützung der Be-
            schäftigten das Ziel dieser Investitionen ist. Es      200
            geht aus Sicht der Unternehmen vielmehr darum,
                                                                      100
            von den niedrigen Lohnkosten in den Partnerlän-
            dern zu profitieren (s. auch Kapitel 2).
Siehe                                                                         Xiamen          Shenzhen           Aksu       Kambodscha Bangladesch
Grafik 3
                Dies zeigt auch der Vergleich der jeweiligen
            gesetzlichen Mindestlöhne in den Jahren 2015                                       Mindestlohn 2021           Asiatischer Grundlohn 2021

                                                                                                                      Quelle: AFWA 2021; WageIndicator.org
                                                                 10
THEMA MARKE

                                Jiangsu und in Chongqing in verschiedenen In-
                                dustriesektoren, u.a. Schuhe und Bekleidung, ar-
                                beiten. Die Befragung, die von Juni 2018 bis Januar
                                2019 durchgeführt wurde, zeichnet trotz einiger
                                Verbesserungen in den letzten Jahren (z.B. reale
                                Lohnzuwächse) dieses Bild (vgl. Globalisation Mo-
                                nitor 2019: 2ff.):
Foto: Wikimedia Commons

                                ▸   1 7 % der interviewten Arbeiter*innen (N =
                                     651) gaben an, dass ihre Löhne nicht ihre
                                     grundlegenden Bedürfnisse erfüllten.
                                ▸    93 % berichteten von regelmäßig mehr als 50
                                      Arbeitsstunden wöchentlich, 27 % von mehr              Die Löhne von vielen Wanderarbeiter*innen - wie hier im
                                      als 70 Arbeitsstunden wöchentlich. Laut Arti-          Bausektor – haben sich zwar verbessert, aber noch kein
                                                                                             existenzsicherndes Niveau erreicht.
                                      kel 36 des Chinesischen Arbeitsgesetzes sind
                                      regelmäßig 8 Arbeitsstunden am Tag und nicht
                                      mehr als 44 Arbeitsstunden pro Woche erlaubt.          trugen laut China Labour Bulletin dazu bei, dass
                                ▸     Nur knapp über die Hälfte der Befragten er-           die Industrielöhne in China in vielen Fällen dras-
                                       hielt alle vom Gesetz vorgeschriebenen Sozial-        tisch gesunken sind (vgl. AsiaNews 2020: o.p.).
                                       versicherungen.                                       Lohngewinne aus der Vergangenheit sind also
                                ▸      51 % der Befragten hatten keine Kenntnis von         zumindest temporär verloren gegangen. Und das
                                        einer Gewerkschaft im Betrieb.                       Aussetzen der jährlichen Mindestlohnerhöhun-
                                                                                             gen in allen chinesischen Provinzen für das Jahr
                                Der Handelskrieg mit den USA und die wirtschaft-             2021 zeigt, dass die Krise noch lange nicht vorbei
                                lichen Folgen des coronabedingten Lockdowns                  ist (vgl. CLB 2021: o.p.; s. Kasten).

                          KASTEN 1:                                 hatte auch eine deutliche Reduktion                Unterstützung haben, sowie Wander-
                          VON CORONA HART GETROFFEN                 der Exporte zufolge und führte dazu,               arbeiter*innen, denen es an sozialen
                                                                    dass die Investitionen in die chinesi-             Netzwerken wie familiärer Unterstüt-
                          Chinas Textil- und Bekleidungsindust-
                                                                    sche Textil- und Bekleidungsindustrie              zung fehlt, sind von den Kürzungen
                          rie wurde von den Folgen der Corona-
                                                                    um über 50% einbrachen (vgl. a.a.O.).              besonders negativ betroffen.
                          Pandemie besonders schwer getrof-
                                                                    Die Corona-Pandemie hat damit den                  Der Spielraum chinesischer Textil-
                          fen (vgl. Sedex 2020). Die regional
                                                                    Prozess der Verlagerung der Tex-                   unternehmen auf den vereinbarten
                          verhängten strengen Ausgangsbe-
                          schränkungen haben im Januar und          til- und Bekleidungsproduktion in                  Bestellmengen und Abnahmepreisen
                          Februar 2020 einen starken Einbruch       günstigere asiatische Länder weiter                gegenüber den Marken- und Han-
                          in der Produktion verursacht, mit         beschleunigt.                                      delsunternehmen zu bestehen, ist
                          negativen Folgen entlang der ge-          Der Nachfrageeinbruch ab Mitte März                angesichts der Angst vor weiteren
                          samten Lieferkette. Ab April hat die      hat die Situation der Textil- und Be-              Produktionsverlagerungen und den
                          Ausbreitung der Pandemie in Europa,       kleidungsindustrie weiter verschärft.
                                                                                                                       damit einhergehenden Schließungen
                          den USA und Japan zudem zu einem          Die Beschränkungen im Einzelhandel
                                                                                                                       von chinesischen Produktionsstätten,
                          starken Nachfragerückgang geführt.        in Europa, aber auch in Japan, führten
                                                                                                                       begrenzt. Chinesische Unternehmen,
                          Beide Effekte zusammen haben die          zu einem Rückgang der Bestellungen
                                                                                                                       die für den westlichen Absatzmarkt
                          ohnehin schwierige Lage der Textil-       bei den Zulieferbetrieben aus China
                                                                                                                       produzieren, sind daher von kurzfris-
                          und Bekleidungsindustrie in China         um etwa 74% (vgl. Scheper 2020,
                                                                                                                       tigen Stornierungen bereits bestellter
                          deutlich verschärft.                      Abb. 2). Viele Unternehmen reagier-
                                                                                                                       Waren sowie nachträglichen Preis-
                          Der im Januar in mehreren Regionen        ten mit Zwangsurlaub, reduzierten
                                                                    Arbeitszeiten oder Entlassungen (vgl.              nachlässen besonders stark betroffen.
                          Chinas verhängte Lockdown führte
                                                                    ILO 2020: 3f.). Die Kosten des plötz-              Bis Mitte des Jahres 2020 war fraglich,
                          zu einer massiven Einschränkung
                                                                    lichen Nachfrageeinbruchs wurden                   ob es diesen Unternehmen gelingt,
                          der Produktion in der Textilindustrie.
                                                                    dabei überwiegend auf die Produkti-                die bereits produzierten Waren auf
                          Millionen von Arbeiter*innen durften
                          über Wochen ihre Wohnung nicht            onsbetriebe und deren Beschäftigten                dem chinesischen Markt zu verkaufen.
                          verlassen und die Produktionsstätten      abgewälzt. Frauen sind dabei stärker               Ohne gezielte finanzielle Unterstüt-
                          blieben geschlossen. Dies führte al-      von den negativen Folgen betroffen,                zung durch den chinesischen Staat
                          lein in den ersten beiden Monaten des     da sie einen größeren Anteil der Be-               droht daher nicht nur eine weitere
                          Jahres 2020 zu einem Einbruch von         schäftigten in der Textilproduktion                Prekarisierung der Arbeitsbedin-
                          über 35% in der chinesischen Textil-      ausmachen (vgl. Scheper 2020: 16).                 gungen, sondern auch ein massiver
                          und Bekleidungsindustrie (vgl. Zhang      Aber auch informell Beschäftigte, die              Arbeitsplatzverlust im Textilsektor in
                          2020). Der Produktionsrückgang            oft keinen Anspruch auf staatliche                 China. Text: Bjarne Behrens

                                                                                        11
2. EIN BLICK IN DIE REGIONEN

          E
                 in Blick in die chinesischen Regionen und                 BRI entwickelt. In Urumqi, der Hauptstadt der Re-
                 die Partnerländer der BRI macht deutlich,                 gion, kommen die Güterzüge aus verschiedenen
                 dass die BRI nicht nur ein weltumspan-                    Regionen Chinas zusammen und verlassen China
           nendes Infrastrukturprojekt ist, sondern auch                   über die Knotenpunkte Khorgos oder Alashankou,
           politische, geostrategische und ökonomische In-                 beide an der Grenze zu Kasachstan (vgl. HKTDC
           teressen Chinas in diesen Regionen und Partner-                 2020: 2). Khorgos lässt sich als Pendant zum Sei-
           ländern voranbringen soll.                                      denstraßen-Drehkreuz Duisburg bezeichnen. In
               Die innere Verzahnung dieser Interessen kann                der Stadt Khorgos an der Grenze zu Kasachstan
           besonders gut am Beispiel der Autonomen Region                  entstand mit dem „Khorgos-East Gate“ ein inter-
           Xinjiang verdeutlicht werden: Die Region wird                   nationaler Handels- und Logistikknotenpunkt in-
           geostrategisch für den Ausbau der BRI benötigt                  klusive Freihandelszone, in der Unternehmen von
           und die BRI setzt zugleich wirtschaftliche Impul-               Zöllen befreit und Steuern vereinheitlicht sind
           se zur Entwicklung der Region. Und um das poli-                 und Duty-Free-Einkauf ermöglicht ist (vgl. Hägele
           tische Interesse der Zentralregierung an innerer                / Kramer 2016: 3). Khorgos ist als Drehkreuz auch
           Stabilität und Sicherheit zu wahren, will sie ethni-            deshalb so wichtig, weil auf dem Weg nach Europa
           sche Minderheiten wie die Uigur*innen assimilie-                und Zentralasien die Schienenwege über unter-
           ren und übt dazu Zwang und Druck aus.                           schiedliche Spurbreiten verfügen und die Fracht
               Eine Kombination von geostrategischen und                   mit dem Ziel Europa deshalb mehrmals umgela-
           ökonomischen Interessen Chinas drückt sich aber                 den werden muss (vgl. Hoering 2018: 50).
           auch in der Kooperation der BRI mit Kambodscha                      Auch für den „Chinesisch-Pakistanischen Wirt-
           aus. Kambodscha ist als Teil des Mekong-Beckens                 schaftskorridor“ (CPEC) ist der Brückenkopf Xinji-
           von großem Interesse für China – wegen der geo-                 ang von elementarer Bedeutung, denn dieser ver-
           graphischen Nähe zu den südlichen chinesischen                  läuft über Kashgar in Xinjiang zum internationalen
           Provinzen und seinem dynamischen Wirtschafts-                   Hafen Gwadar in Pakistan (vgl. Le Quoc / Nguyen
           wachstum, das im Exportsektor insbesondere auf                  2019: 4). Einerseits braucht die chinesische Zentral-
           boomenden Bekleidungsexporten aufbaut (vgl. Le                  regierung also die Autonome Region Xinjiang als
           Hong Hiep 2020: o.p.).                                          Handelstor nach Asien und Europa, andererseits
                                                                           sollen die BRI-Maßnahmen auch der Entwicklung
                                                                           in Xinjiang dienen und „das Pulverfass politischer

           2.1 PULVERFASS XINJIANG:                                        Unruhen durch ökonomische Entwicklung beruhi-
                                                                           gen“ (Hoering 2018: 17).
           RUHE UND STABILITÄT
                                                                           EIN BLICK IN GESCHICHTE
           FÜR DIE NEUE                                                    UND GEGENWART
Siehe      SEIDENSTRASSE                                                   Seit die Volksrepublik China 1949 gegründet wur-
                                                                           de, hielt sie die frühere Republik Ostturkestan
Karte 2
           Die Autonome Region Xinjiang im Nordwesten                      militärisch besetzt und gliederte sie 1955 als Auto-
           Chinas wurde von der chinesischen Zentralregie-                 nome Region Xinjiang (Xinjiang = neue Grenze) in
           rung zu einem der logistischen Drehkreuze der                   ihre administrative Struktur ein. Dazu gründete
                                                                           die Volksrepublik bereits ein Jahr zuvor formell
                                                                           das militärisch strukturierte „Xinjiang Production
                                                                           and Construction Corps“ (XPCC), in China auch als
                                                                           „Bingtuan“ (= Corps) bekannt (vgl. Ferenschild 2013:
 KARTE 2: KNOTENPUNKTE DER NEUEN                                           13; UHRP 2018: 7ff).
 SEIDENSTRASSE IN XINJIANG
                                                                               Das XPCC ist quasi ein Staat im Staat, betreibt
                                                                           eigene Städte, verfügt über mehr als ein Drittel der
                                                 CHINA                     Ackerfläche in Xinjiang und übt Kontrolle über die
                                                                           wichtigsten Wasservorkommen aus. Es betreibt
                                                                           eigene Unternehmen in verschiedensten Sektoren
                     ALASHANKOU                                            und unterhält ein eigenes Gefängnissystem. Das
                   KHORGOS                                                 Hauptquartier des XPCC ist in der Hauptstadt Xin-
                                                                           jiangs, Urumqi, angesiedelt. Es ist in 14 Divisionen
                           URUMQI
                                                                           und 176 Regimenter unterteilt und es betreibt 143
                                                                           Farmen sowie 4.391 Unternehmen. Der 1. Kommis-
                   XINJIANG                                                sar des XPCC ist zugleich auch Parteisekretär von
          KASHGAR                                Quelle: d-maps.org        Xinjiang (vgl. UHRP 2018: 9).

                                                                      12
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

 KARTE 3: DEMOGRAPHISCHE VERTEILUNG IN XINJIANG
 NACH HAN- UND UIGURISCHER BEVÖLKERUNG (2018)
                                                                                           KASTEN 2: XINJIANG, DAS XPCC UND DIE
                                                                                           UIGUR*INNEN. EINE ZEITTAFEL
 MEHRHEITLICH UIGUR*INNEN                                                                  1949	Die Chinesische Volksbefreiungsarmee
 MEHRHEITLICH HAN-CHINES*INNEN                                                                   marschiert in Ost-Turkestan ein.
                                                                                           1955	Die KP Chinas gründet die Autonome
                                                                                                 Region Xinjiang (Xinjiang Uyghur Auto-
                                                                                                 nomous Region, XUAR).
                                                                                           1990	Unabhängigkeitsdemos in Aksu werden
                                                                                                 durch das XPCC niedergeschlagen. Das
                                                                                                 XPCC verfügt über eigene Gefängnisse,
                                                                                                 in denen in den frühen 1990ern rund
                                                                                                 100.000 Gefangene einsitzen.
                                                                                           1997	Proteste von Uigur*innen gegen religiö-
                                                                                                 se Einschränkungen werden vom XPCC
                                                                                                 gewaltsam niedergeschlagen (Ghulja
                                                                                                 Massaker).
                                                                                           1998	Das XPCC wird als „Unternehmen“
                                                                                                 klassifiziert und besitzt 30 % der Acker-
                                                                                                 fläche in Xinjiang. Es kontrolliert aber
                                                                                                 fast die gesamte Ackerfläche, weil es
                                                                                                 die Wasserversorgung kontrolliert. Das
                                                                                                 XPCC-Management erhält denselben
                                                                                                 bürokratischen Status wie die Regional-
                                                                                                 regierung Xinjiangs.
                                                                                           2009	Uigur*innen in der Hauptstadt Urumqi
                                                                                                 protestieren gegen die chinesische
                                                                                                 Zentralmacht. Der Aufstand wird nieder-
                                          Quelle: Eigene Darstellung nach d-maps.com;
                                                                                                 geschlagen, das XPCC kontrolliert die
                                                            China Statistic Press (2019)         Situation mit bewaffneten Milizen.
                                                                                           2014	Xi Jinping reist erstmals nach Xinjiang
                                                                                                 und kündigt „ideologische Heilung“ der
           Der personelle Grundstock des XPCC waren ent-
                                                                                                 Uigur*innen an. Massive Umerziehungs-
           lassene Soldaten, die die Grenzregion sichern und                                     programme der ethnischen Minderheiten
           stabilisieren sollten. Um die mehrheitlich vom                                        im Sinne der Assimilation an die han-chi-
           muslimischen Turkvolk der Uigur*innen bewohn-                                         nesische Mehrkeitskultur beginnen. Zwi-
           te Region zu befrieden, siedelte die Zentralregie-                                    schen 2014 und 2018 werden 350.000
           rung über Jahrzehnte gezielt Han-Chines*innen in                                      Kader in sog. Dorfteams geschickt, um
           Xinjiang an, die in China die Bevölkerungsmehr-                                       die Bevölkerung zu erfassen und für Um-
           heit bilden. Diese Ansiedlungspolitik führte dazu,                                    erziehungsprogramme auszuwählen.
           dass aus einem niedrigen einstelligen Prozent-                                  2016	China will die Armut in Xinjiang durch
           anteil der Anteil der Han-Bevölkerung an der Ge-                                      Industrialisierung und Transfer von
           samtbevölkerung Xinjiangs bereits in den 1980er                                       Arbeitskräften (erstmals erwähnt) be-
           Jahren auf rund 40 % stieg (vgl. Klein 2009: 380).                                    kämpfen und legt dazu einen Aktions-
                                                                                                 plan vor. Uigurische Islamisten verüben
           Mittlerweile hat Xinjiang eine Bevölkerung von
                                                                                                 einen Selbstmordanschlag auf die
           rund 25 Mio. Menschen, von denen knapp 9 Mio.
                                                                                                 chinesische Botschaft in Kirgistan.
           Menschen zur Han-Bevölkerung, 11 Mio. zu den                                    2017	Der XPCC-Parteisekretär Sun Jinlong
           Uigur*innen und die übrigen zu anderen ethni-                                         kündigt an, dass das XPCC sich künftig
           schen Gruppen gehören (vgl. China Statistic Press                                     stärker auf den Süden Xinjiangs konzen-
           2019: 7). Während der Nordosten Xinjiangs mehr-                                       trieren wird, um die Region zu entwi-
           heitlich von Han-Chines*innen bewohnt wird, do-                                       ckeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Die
           miniert in den südwestlichen Regionen die uiguri-                                     Masseninternierung von Uigur*innen
Siehe
Kasten 2   sche Bevölkerung.                                                                     beginnt. Gegenüber dem Vorjahr steigt
               Die Zeittafel zeigt, dass Uigur*innen immer                                       die Inhaftierung unter dem Vorwurf des
           wieder Aufstände und Proteste organisierten.                                          „Extremismus“ um das Fünffache an. 21
           Die chinesische Zentralregierung hat deshalb                                          % aller Inhaftierungen in China erfolgen
           neben dem Versuch der militärischen Kontrolle                                         in Xinjiang
                                                                                           2020	Eine australische Studie weist nach,
           über die Region auch zahlreiche Entwicklungs-
                                                                                                 dass Uigur*innen nicht nur interniert
           anstrengungen unternommen, um Sicherheit und
                                                                                                 werden, sondern auch Zwangsarbeit für
           Stabilität zu stärken. Xinjiang war insofern auch                                     internationale Wertschöpfungsketten
           Teil der „Go West-Strategie“ (s.o.) und ist Teil der                                  leisten müssen.
           „Neuen Seidenstraße“. Aber auch Entwicklungs-

                                                                                                  Quelle: ASPI 2020; UHRP 2018; Zenz 2020; Deuber /
                                                                        13                          Giesen 2020Lehr 2020; Gaspers / Heilmann 2017
Foto: Andrew An/ flickr
                 Immer mehr Polizeikräfte werden in Xinjiang eingesetzt, um die Unterdrückung der Uigur*innen durchzusetzen.

               programme wie das sog. Pairing-Programm sind                    Anfang 2020 wies eine australische Studie nach,
               in diesem Kontext zu verstehen: Das Pairing-Pro-                dass Uigur*innen zur Arbeit für internationale
               gramm verknüpft bereits seit der wirtschaftlichen               Wertschöpfungsketten gezwungen werden (vgl.
               Öffnung Chinas im Jahr 1979 ökonomisch entwi-                   ASPI 2020). Internationale Unternehmen wie
                       ckeltere Provinzen mit armen Regionen in                Apple, BMW, Gap, Huawei, Nike, Samsung, Sony
                       China. Diese Partner- oder Patenschaft soll             oder Volkswagen, aber auch zahlreiche Textil-
 INSBESONDERE          zu Armutsbekämpfung und Fortschritt                     unternehmen, könnten von der ökonomischen
                       in den ärmeren Regionen beitragen. Seit                 Ausbeutung der internierten Personen profitie-
DIE UIGURISCHE
                       1997 wurde für Xinjiang außerdem das                    ren. Zusätzlich wurden in den letzten Jahren min-
 BEVÖLKERUNG
                       ähnlich ausgerichtete „Pairing Assistance               destens 80.000 Uigur*innen als Arbeiter*innen in
        IST VON        Programm“ eingeführt. Sie alle haben in                 verschiedene Provinzen Chinas ‚transferiert‘. Dass
    KONTROLLE,         den letzten Jahrzehnten zu Wirtschafts-                 Uigur*innen zur Teilnahme an diesen Arbeits-
  UMERZIEHUNG          wachstum und steigenden Einkommen                       transferprogrammen gezwungen werden, steht
            UND        beigetragen. Allerdings profitiert davon –              für Beobachter*innen wie die „End Uyghur Forced
 INHAFTIERUNG          wie überall in China – eher die Stadtbevöl-             Labor“-Allianz fest. Die Regierung Xinjiangs ver-
    BETROFFEN.         kerung als die Landbevölkerung und auch                 gab sogar Prämien für die Anstellung bzw. Anfor-
                       eher die Han-Bevölkerung als die anderen                derung uigurischer Arbeiter*innen.
                       ethnischen Gruppen. Auch das Einkom-                         Innerhalb Xinjiangs liegen die Fabriken oft
               mensgefälle zwischen Xinjiang einerseits und                    in der Nähe der sog. Umerziehungslager, weil die
               wohlhabenderen Regionen in China andererseits                   Arbeit in den Fabriken offiziell als Teil der „Erzie-
               ist immer noch erheblich (vgl. Tao Song et.al. 2019:            hung“ der Uigur*innen gilt. Werden Uigur*innen
               9; Xinhua 2020: o.p.).                                          als Arbeitskräfte in andere chinesische Provinzen
                                                                               vermittelt, leben sie in staatlichen Wohnheimen
                 EINE NEUE PHASE DER REPRESSION                                auf dem Firmengelände oder in der Nähe der Fir-
                 Zwar setzt China in Xinjiang verschiedene Ent-                men unter permanenter Überwachung. Zur „Um-
                 wicklungsprogramme um, doch sind die letzten                  erziehung“ gehören das Verbot der Religionsaus-
                 Jahre vor allem von einer stetig zunehmenden                  übung und des Kontaktes zu ihren Familien oder
                 Repression geprägt. Insbesondere die uigurische               zu Freund*innen. Außerdem werden Mandarin
                 Bevölkerung ist von Kontrolle, Umerziehung und                und chinesische Kultur unterrichtet. Das System
                 Inhaftierung betroffen. Ein System von sog. Um-               ist nach Einschätzung des internationalen Bünd-
                 erziehungslagern, in dem nach neueren Schätzun-               nisses zur Abschaffung der Zwangsarbeit von Ui-
                 gen 1-1,8 Mio. Uigur*innen jeweils über Monate                gur*innen, zu dem auch das SÜDWIND-Institut ge-
                 und Jahre festgehalten und ‚umerzogen‘ werden,                hört, so umfassend, dass Zwangsarbeit mit großer
                 umfasst in den letzten Jahren auch zunehmend                  Wahrscheinlichkeit jede Branche in Xinjiang be-
                 Zwangsarbeit (vgl. Ferenschild 2020: o.p.).                   trifft und jedes Produkt, das dort hergestellt wird.

                                                                          14
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

             Da in Xinjiang mehr als 80 % der chinesischen              Verbindung hat mit großer Wahrscheinlichkeit
             Baumwolle angebaut werden (rund 20 % der Welt-             Baumwollgarn von Huafu Fashion den europäi-
             produktion), dort massiv in den Ausbau von Spin-           schen Markt erreicht. Huafu Fashion wiederum ist
             nereien und weiterer textiler Verarbeitungsstufen          eins der Unternehmen, das in der schon erwähn-
             investiert worden ist und außerdem textile Er-             ten australischen Studie im Zusammenhang mit
             zeugnisse aus Xinjiang in vielen Ländern der Welt          dem Risiko der Zwangsarbeit benannt wird. Die
             weiterverarbeitet werden, ist die Wahrscheinlich-          Studie berichtet von 2.048 Arbeiter*innen, die aus
             keit von Zwangsarbeit in den Lieferketten europäi-         dem Bezirk Hotan in Xinjiang im Rahmen eines
             scher Textilunternehmen sehr hoch. Denn nahezu             Arbeitstransfers in die Provinz Anhui gebracht
             jedes europäische Textilunternehmen beschafft              worden seien, um dort u.a. für die Garnfabrik von
             zumindest Teile seiner Produkte oder Vorproduk-            Huafu Top Dyed Melange Yarn zu arbeiten, die wie-
             te aus China.                                              derum für Kunden wie Adida, Lacoste, Puma, Zara
                                                                        und H&M produziere (vgl. ASPI 2020: 33).
             BEISPIEL HUAFU FASHION                                         Es ist schwer vorstellbar, dass die „Neue Sei-
             Das lässt sich am Beispiel des Unternehmens Hua-           denstraße“ in Xinjiang einen Beitrag zu nachhal-
             fu Fashion Co. Ltd. gut veranschaulichen. Das              tiger Entwicklung leisten kann, während zugleich
             Unternehmen ist ein chinesischer Garnproduzent,            das XPCC mit seinen militärischen Einheiten für
             das in über 60 Länder der Welt exportiert und ne-          Ruhe und Ordnung sorgt und die Uigur*innen so-
             ben Produktionsstätten in anderen chinesischen             wie andere ethnische Minderheiten von Überwa-
             Regionen und in Vietnam auch in Xinjiang produ-            chung, Internierung, Umerziehung und Zwangs-
             ziert. In Xinjiang ist Huafu seit dem Jahr 2006 tä-        arbeit betroffen sind. Wie lässt sich in diesem
             tig. Huafu bewirtschaftet in Xinjiang in der Region        Klima feststellen, ob außer der Han-Bevölkerung
             Aksu mehr als 5.300 ha Baumwollfelder und hat              Xinjiangs jemand von den Impulsen durch die
             2018 eine moderne Spinnerei mit 1 Mio. Spindeln            ökonomische Entwicklung und die „Neue Seiden-
             aufgebaut. Die Huafu-Produktion allein in Xinji-           straße“ überzeugt sind? Gar nicht. Anzunehmen,
             ang ist auf 160.000 Tonnen Garn ausgelegt. Die             dass in einem solchen repressiven Umfeld die
             Firma präsentiert auf ihrer Website ihr Engage-            Neue Seidenstraße einen Beitrag zu den UN-Ent-
             ment in Xinjiang als eine Aktivität im Rahmen der          wicklungszielen leistet, wäre wirklichkeitsfremd.
             „Neuen Seidenstraße“ und verspricht sich viel von
             der schnellen Zugverbindung nach Europa (vgl.
             Huafu Yarn o.J.: o.p.).
                  Huafu Fashion war das erste chinesische Mit-
                                                                        2.2 „NIEMANDEN
             glied der Nachhaltigkeitsinitiative „Better Cotton         ZURÜCKLASSEN“ –
             Initiative“ (BCI). Die BCI zählt auch europäische
             Unternehmen wie Adidas, Aldi, C&A, Esprit, H&M,            KAMBODSCHA UND DIE
             Hugo Boss u.v.m. zu ihren Mitgliedern. Über diese
                                                                        SEIDENSTRASSE                                           Siehe
                                                                                                                               Karte 4
                                                                        Kambodscha gehört zu den wichtigsten Partner-
                                                                        ländern der BRI in Südostasien. Von der BRI ver-
KARTE 4: BRI-PROJEKTE IN KAMBODSCHA                                     spricht es sich eine Stärkung der nationalen Ent-
                                                                        wicklungsstrategie, die auch auf Nachhaltigkeit
                                                                        setzt. Im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele
                                                                        (SDG) und der Bekämpfung des Klimawandels will
                                                                        Kambodscha einen angemessenen Beitrag leisten.
                                                                        Dabei will es „niemanden zurücklassen“, will also
                                                                        die ganze Bevölkerung an Entwicklung und Wohl-
                     STUNG TRENG               LOWER                    stand teilhaben lassen (UN DESA 2020: 3). Die In-
                                               SE SAN II                frastrukturprojekte der BRI sollen dazu die mate-
                                                                        rielle Grundlage legen. Im Jahr 2018 erreichten die
                                                                        chinesischen Direktinvestitionen in Kambodscha
                 KAMBODSCHA                                             einen Anteil von mehr als 40 % an den internatio-
                                                                        nalen Direktinvestitionen im Land.
                                                                            Die chinesischen Investitionen konzentrieren
                                                                        sich vor allem auf die Landwirtschaft und Agro­
                              PHNOM PENH                                industrie, Industrie sowie Infrastruktur und Dienst-
DARA SAKOR                                                              leistungen/Tourismus. Während chinesische
                                                                        Staats­­­unternehmen länderübergreifend vor allem in
                                 KANDAL
                                                                        Wasserkraftwerke und natürliche Ressourcen inves-
                                                                        tieren, haben sie in Kambodscha erstmals in erheb-
            SIHANOUKVILLE                                               lichem Umfang auch in die kambodschanische Son-

Quelle: Vemaps.com
                                                                   15
FAST FASHION AUF DER SEIDENSTRASSE

                derwirtschaftszone Sihanoukville investiert (SSEZ
                - Sihanoukville Special Economic Zone). Inwiefern
                dieses Investment ein „gutes Modell der Zusammen-
                arbeit zwischen China und Kambodscha im Rahmen
                der BRI und der Nachhaltigkeitsziele Kambodschas“
                (UN DESA 2020: 5) sein kann, wird unten diskutiert.

                ENERGIE UND INFRASTRUKTUR
                  Bis Anfang 2018 wurden im Rahmen der chine-
                  sischen Investitionen zahlreiche Straßen, gro-
                  ße Brücken und ein neuer Containerterminal in
                  Phnom Penh fertiggestellt. Eine Schnellstraße, die
                  die SSEZ mit Phnom Penh verbindet (190 km) und
                  ein Flughafen in Kandal zählen ebenfalls zur BRI
                  und binden Industrieprojekte wie die Sonderwirt-
                  schaftszone effektiv in die neue materielle Infra-
                  struktur der BRI ein. International bekannt wurde
                  insbesondere das Projekt Dara Sakor, für das ein
                  chinesischer Konzern ein großes Küstengebiet für
                  99 Jahre gepachtet hat. Dieses Gebiet nimmt 20 %
                  der kambodschanischen Küste ein, umfasst Flug-
                  häfen, einen Tiefwasserhafen, einen Industrie-
                  park, Kraftwerke und ein bereits fertiggestelltes
                  Tourismus-Ressort. International bekannt wurde
                  es wegen der Proteste aus der kambodschanischen
                  Bevölkerung, die sich u.a. gegen die wachsende
                  chinesische Minderheit im Land richteten, aber
                  auch wegen der Bedenken der USA, es könnten
                  sich militärische Zwecke mit dieser Investition
                  verbinden (vgl. ebd.; Boisseau du Rocher 2020: 41).             nische Wirtschaftsentwicklung. Zum anderen
                  Zu weiteren umstrittenen BRI-Projekten in Kambod-               liegt dies aber daran, dass die chinesische Unter-
                  scha gehören zwei im Februar 2020 außerordentlich               stützung ohne Konditionen menschenrechtlicher
                  zügig genehmigte Kohlekraftwerke von kambod-                    Art gewährt wird, was für die international wegen
                  schanisch-chinesischen Joint Ventures. Sie sollen               Menschenrechtsverstößen unter Druck stehende
                  bis zum Jahr 2024 fertiggestellt sein. Es ist weder             autoritäre Regierung Kambodschas unter Minis-
                            klar, wie die Finanzierung aussieht, noch,            terpräsident Hun Sen besonders wichtig ist (vgl. Le

   160
    vor allem chin.
                            ob es eine gesetzlich erforderliche Überprü-
                            fung der Umweltauswirkungen dieser Kraft-
                            werke gab. Klar scheint nur zu sein, dass
                                                                                  Hong Hiep 2020: o.p.; Boissau du Rocher 2020: 32).

                                                                                  SIHANOUKVILLE –
  Unternehmen in der
Sonderwirtschaftszone
                            diese Kraftwerke die gegenwärtige Nutzung             DAS KAMBODSCHANISCHE SHENZHEN
      produzieren           von Kohlestrom in Kambodscha verdop-                  Im März 2020 kündigte die Regierung Kambod-
  schwerpunktmäßig
      Bekleidung.           peln würden – weswegen ein Bündnis aus                schas an, Sihanoukville, die Hauptstadt der Preah
                            256 Nicht-Regierungsorganisationen an die             Sihanouk Provinz, zum führenden Industriezen-
                            chinesische Regierung appelliert hat, diese           trum Kambodschas zu entwickeln – nach dem

 20.000                     Kohlekraftwerke sowie 59 weitere BRI-Pro-
                            jekte nicht finanziell abzusichern, falls sie
                                                                                  Vorbild des chinesischen Shenzhen. Die Industrie
                                                                                  Sihanoukvilles ist fast vollständig auf die SSEZ kon-
 Beschäftigte arbeiten      wegen der Corona-Pandemie in finanzielle
 unter anderem für die                                                            zentriert. Dort produzieren mehr als 160 vor allem
chin. Unternehmen der       Schieflage geraten würden (vgl. Inclusive De-         chinesische Unternehmen mit mehr als 20.000
Sonderwirtschaftszone.
                            velopment International 2020: 1ff.). Neben den        Beschäftigten schwerpunktmäßig Bekleidung (vgl.
                                                                                                                                            Foto: Wikimedia Commons

                            Kohlekraftwerken hat auch das BRI-Wasser-             Buckley / Eckerlein 2020: 4ff.). In der SSEZ ist aller-
                  kraftwerk Lower Se San II in der Stung Treng Provinz            dings bisher nur eine Minderheit der knapp 500
                  erhebliche negative Auswirkungen zur Folge wie                  Bekleidungsunternehmen Kambodschas ange-
                  den Verlust von Siedlungsgebieten und Biodiversi-               siedelt und dementsprechend arbeitet dort bisher
                  tät (vgl. Boisseau du Rocher 2020: 27).                         nur ein kleiner Teil der rund 700.000 Näher*innen
                       Dass die kambodschanische Regierung trotz                  Kambodschas (Zahlen für 2017; vgl. GMAC 2018:
                  Kritik aus der Bevölkerung und negativer Umwelt-                9). In der SSEZ wird auch für den europäischen
                  auswirkungen einiger Projekte überzeugt von                     Markt produziert, wie das Beispiel der kambod-
                  der engen Kooperation mit China im Rahmen der                   schanischen Niederlassung eines der führenden
                  BRI ist, liegt zum einen an der großen Bedeutung                chinesischen Textilunternehmen, der Hongdou
                  einer besseren Infrastruktur für die kambodscha-                International Garment Co. Ltd, zeigt. Diese Firma

                                                                             16
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