FAST FASHION Dossier eine Bilanz in 3 Teilen - Christliche Initiative Romero eV
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Dossier FAST FASHION eine Bilanz in 3 Teilen
Inhaltsverzeichnis —— Teil 1: Arbeitsbedingungen Einleitung 2 Arbeitsbedingungen in der Lieferkette von Primark und C&A in Sri Lanka 4 Stellungnahmen von C&A und Primark 6 Sri Lankas Bekleidungsindustrie – Grundlegende Informationen 7 Nationaler Rechtsrahmen und internationale Standards 8 Ergebnisse der Befragung 11 Fazit und Empfehlungen 20 Forderungen und Handlungsoptionen der Christlichen Initiative Romero 23 Endnoten Teil 1 25 —— Teil 2: Einkaufspraktiken Einleitung 2 Einkaufspraktiken – Unter dem Druck von Preis, Zeit und Qualität 4 Der Einkauf in der Fast-Fashion-Industrie 6 Einkaufspraktiken und ihre Auswirkungen 11 Der Weg nach Vorn 17 Forderungen und Handlungsoptionen der Christlichen Initiative Romero 20 Endnoten Teil 2 22 Literaturverzeichnis Teil 2 25 —— Teil 3: Die Folgen in Zahlen Einleitung 2
So entwickeln sich Konsum und Umsatz von Kleidung weltweit 4 So entwickeln sich Konsum und Preise von Kleidung in Deutschland 5 Infografik: Die wahren Kosten der Fast Fashion 6 So viel Wasser kostet uns die Fashion Industrie 7 So viel Erdöl kostet uns die Fashion Industrie 8 So viele Treibhausgase stößt die Fashion Industrie aus 9 So viel Chemikalien verbraucht die Fashion Industrie 10 So viel Land kostet uns die Fashion Industrie 12 So viele Arten kostet uns die Fashion Industrie 13 So viel Müll erzeugt die Fast Fashion 14 So viel Arbeitskraft kostet uns die Fashion Industrie 15 Die Fashion Industrie kostet (viele von) uns unsere Gesundheit 16 So WENIG Lohn zahlt die Fashion Industrie 17 So viel Mikroplastik produziert die Fashion Industrie 19 Forderungen und Handlungsoptionen der Christlichen Initiative Romero 20 Endnoten Teil 3 22 Literaturverzeichnis Teil 3 25 —— Impressum 28
Dossier FAST Fast FASHION Fashion eine Bilanz in 3 Teilen Teil 1: Arbeitsbedingungen Fast Fashion 1 Teil1: Arbeitsbedingungen
Teil 1: Arbeitsbedingungen Fast-Fashion-Marken reagieren ganz kurzfris- tig auf neue Trends, bringen fast wöchentlich neue Kollektionen auf den Markt und das zu absoluten Niedrigpreisen. Spätestens seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes in Bangladesch 2013 steht dieses Wirtschafts- modell in der Kritik, weil es den Preis- und Zeitdruck in der Lieferkette weitergibt – bis zu den Arbeiter*innen, die die Mode unter menschenunwürdigen Bedingungen fertigen. Unter dem Druck dieser öffentlichen Auf- merksamkeit haben viele Marken beteuert, in ihren Lieferketten sei alles in Ordnung. Die Arbeiter*innenorganisation Shramabhiani Kendraya hat nun im Auftrag der CIR in zehn sri-lankischen Zulieferfabriken von Primark und C&A überprüft, ob die von den Marken versprochenen Arbeitsrechte und existenzsi- chernden Löhne eingehalten werden. Fazit: Es gibt massive Verstöße gegen das sri-lankische Arbeitsrecht und die Zulieferkodizes der Mar- ken. Doch das ist, wie in Teil 2 zu lesen ist, keinesfalls nur den Zulieferern anzulasten. Fast Fashion 2 Teil1: Arbeitsbedingungen
Arbeitsbedingungen in der Lieferkette von Primark und C&A in Sri Lanka Rajitha Anuradha Somarathna und Lakmali Hemachandra (beide von Shramabhimani Kendraya); aus dem Englischen von Martin Schu Shramabhimani Kendraya (Würde der Arbeit) ist eine Arbei- ter*innenorganisation, die einen auf juristischer Grundlage basierenden Ansatz zur Stärkung armer Bevölkerungsgrup- pen und zur Bekämpfung von Armut verfolgt. Wir sind hauptsächlich in Textilfabriken, aber auch in anderen Be- trieben in Sri Lanka aktiv. Diese Befragung führten wir für die Christliche Initiative Romero in 10 Fabriken in Sri Lanka durch, die für Primark und/oder C&A produzieren. 76 Ar- beiter*innen wurden dabei Fragen zu folgenden Themen gestellt: Lohn, Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Vereinigungsfreiheit und Recht auf Tarifverhandlungen. Die Befragung wurde in folgenden Fabriken durchgeführt:1 —— Produzenten für C&A: •• Eskimo Pvt Ltd - Negombo (3500 Beschäftigte) —— Produzenten für Primark: •• Norwood Fashion - Hatton (700 Beschäftigte) •• Timex Garment - Wattala (350 Beschäftigte) •• Rich Light Apparel - Rathanapura (400 Beschäftigte) •• Timex Garment - Kadawatha (500 Beschäftigte) •• Triple Safety Private Ltd - Narammala (1250 •• EAM Maliban Textile - Wattala (500 Beschäftigte) Beschäftigte) •• Lanka Washing Unit - Seeduwa (200-300 •• Lanka Washing Unit - Seeduwa (200-300 Beschäftigte) Beschäftigte) •• Regal Calibre - Kiriella (400 Beschäftigte) •• Regal Calibre - Kiriella (400 Beschäftigte) •• Paradise Toys Private Limited - Mabola (1300- •• Paradise Toys Private Limited - Mabola (1300- 1500 Beschäftigte) 1500 Beschäftigte) Fast Fashion 4 Teil1: Arbeitsbedingungen
Die Ergebnisse des Berichts basieren ausschließlich Die Befragungsdaten geben die Grundlöhne und auf den Aussagen der befragten Arbeiter*innen. Überstunden der Arbeiter*innen wieder. Daten zu den Aufgrund der Zurückhaltung vonseiten der Arbei- Löhnen für Überstunden und Arbeitszeiten zeigen, ter*innen (vor allem aus Angst vor negativen Kon- dass die Löhne der Arbeiter*innen inklusive Über- sequenzen), sich zu ihren Arbeitsbedingungen zu stunden über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, äußern, können die Informationen jedoch lückenhaft der jedoch für die Standard-Arbeitswoche ohne sein. Beim Befragen von Arbeiter*innen von Regal Überstunden zu bezahlen ist. Es besteht jedoch eine Calibre in Gampaha versuchte eine Personengruppe, erhebliche Diskrepanz zwischen dem Lohn, den die die sich selbst als Dorfbewohner*innen ausgab, die Arbeiter*innen mit nach Hause nehmen, und einem Rechercheure einzuschüchtern. Deshalb können die existenzsichernden Lohn. In keiner der Fabriken ist Informationen dieser Befragung nicht als vollständig eine Gewerkschaft aktiv. Aussagen der Arbeiter*in- angesehen werden, da sie nur ein unzureichendes nen zeigen auch, dass viele sich des Vorhandenseins Bild der differenzierteren Aspekte der Arbeitsbedin- von Gewerkschaften im Allgemeinen nicht bewusst gungen in der Bekleidungsindustrie darstellen. Da es sind. In einigen Fabriken trafen Versuche, eine in den Betrieben keine Gewerkschaften gibt, sind die gewerkschaftliche Präsenz aufzubauen, auf Wider- Arbeiter*innen besonders anfällig für eine ungerech- stand, und zwar bei Regal Calibre, Norwood Fashion te Behandlung vonseiten des Managements und und Timex Garment in Wattala. Es herrscht still- viele Arbeiter*innen trauen sich nicht, Informationen schweigende Übereinkunft unter den Beschäftigten, preiszugeben. dass der Versuch zur Organisation einer Betriebsge- werkschaft mit Entlassung geahndet wird. Sechs der untersuchten Fabriken liegen in den städ- tischen Gebieten der Westprovinz und näher an der Alle Fabriken werden regelmäßig von einem Be- Handelshauptstadt des Landes, Colombo. Vier liegen triebsarzt besucht. Zudem gibt es medizinische in ländlichen Gemeinden außerhalb der Westprovinz. Pflegekräfte. Obwohl die Antworten der Arbeiter*in- Die Befragung zeigt, dass die Entfernung zwischen nen auf deren Zufriedenheit mit der medizinischen Arbeits- und Herkunftsort Folgen für die vielen Ar- Versorgung hindeuten, klagen doch die meisten beitsmigrant*innen aus den ländlichen Gebieten hat, von ihnen über körperliche Schmerzen beziehungs- im Hinblick auf die Fahrtkosten und die Zeit, die sie weise Rückenschmerzen aufgrund ihrer stehenden mit ihren Familien verbringen können. Die Löhne an Tätigkeit. In einer Fabrik wurde eine Hauterkrankung den städtischen Standorten sind etwas höher als in festgestellt, die durch den Einsatz von Chemikalien —— den ländlichen Bereichen. verursacht wird. Arbeiter*innen reagieren positiv auf Sozialaudits von Ländliche Standorte Auftraggebern in den Fabriken. Dies liegt vor allem •• Rich Light Apparel - Rathanapura daran, dass sie während des Audits weniger arbeiten •• Regal Calibre - Kiriella müssen und besser behandelt werden. Arbeiter*in- nen assoziieren die weniger strengen Arbeitsbedin- •• Norwood Fashion - Hatton gungen mit dem Sozialaudit. Sie waren jedoch nicht —— •• Triple Safety Private Ltd - Narammala davon überzeugt, dass sich ihre Arbeitsbedingungen dadurch dauerhaft positiv verändern würden. Städtische Standorte - Westprovinz Dieser Bericht bietet eine rechtliche und soziologi- •• Timex Garment - Wattala sche Analyse der Lieferkette und zeigt die Folgen •• Eskimo Pvt Ltd - Negombo (Sonderwirtschaftszone) illegaler Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen. •• Paradise Toys Private Limited - Mabola •• Lanka Washing Unit - Seeduwa (Sonderwirtschaftszone) •• EAM Melbdn Textile - Wattala •• Timex Garment - Kadawatha Fast Fashion 5 Teil1: Arbeitsbedingungen
Stellung- —— Die CIR hat C&A und Primark vorab über die nahmen von Rechercheergebnisse informiert und um Stellungnahme gebeten. C&A und Primark C&A bestätigte die Produktion in fünf der genann- ten Fabriken, bestritt jedoch die Produktion in den Fabriken von Timex in Wattala und Kadawatha und verweist auf die veröffentlichte Zulieferer-Liste, in der die beiden Produktionsstätten nicht aufgeführt sind. Diese Liste deckt aber nur die Fertigungsstufen 1 und 2 ab. Unsere mehrmalige Nachfrage, ob es sich um eine niedrigere Produktionsstufe oder eine Unterauftragsvergabe handeln könnte, beantwortete C&A nicht. Sowohl die Arbeiter*innen der Timex-Fa- briken und die Unternehmenswebseite von Timex nennen C&A als Auftraggeber. Deshalb werden die zwei Timex-Fabriken hier aufgeführt. Primark bestätigte einige der von der CIR doku- mentierten Missstände in den Fabriken Rich Light Apparel, Triple Safety Private Ltd und Regal Calibre. Bezüglich zu ergreifender Maßnahmen beteuerte Primark, schon eng mit den Lieferanten zusammen- zuarbeiten und dass sie die Entwicklung weiter be- obachteten. Primark teilte zudem mit, die Geschäfts- beziehungen zu Norwood Fashion 2018 eingestellt zu haben. Lanka Washing Unit und Paradise Toys Private Ltd seien keine von Primark autorisierten Zu- liefer-Fabriken. Die befragten Arbeiter*innen hatten die Produktion von Primark-Produkten jedoch klar bestätigt. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass es sich um eine Unterauftragsvergabe handelt. Aus diesen Gründen werden die drei Fabriken hier aufge- führt. Fast Fashion 6 Teil1: Arbeitsbedingungen
Sri Lankas Sri Lankas Bekleidungsindustrie gehört zu den drei bedeutendsten Exportwirtschaftssektoren des Lan- des und ist für 40 % der gesamten Exporteinnahmen Bekleidungs- Sri Lankas verantwortlich. Zudem zählt sie auch zu den drei größten Devisenbringern des Landes. An industrie der weltweiten Bekleidungsindustrie hat Sri Lanka jedoch nur einen Anteil von weniger als 5 % und ist daher auf globaler Ebene kein wichtiger Akteur. In Grundlegende Sri Lanka hergestellte Kleidung wird von den lokalen Herstellern gerne als „fair gehandelt“ angepriesen Informationen und viele von ihnen sind Mitglied einer Unternehmen- sinitiative namens „Garments without Guilt“. Mehr als 80 % der Beschäftigten in der Bekleidungs- industrie sind Frauen. Eine typische Arbeiterin ist unter 30 Jahre alt und in die Sonderwirtschaftszone in Katunayaka oder Biyagama migriert. Seit der zu- nehmenden Ansiedlung von Betrieben in ländlichen Gebieten sind die Migrationszahlen von Arbeitsu- chenden jedoch gesunken. INDIA 40% der Exporteinnahmen durch Bekleidungs- industrie SRI LANKA 80% der Beschäftigten in der Bekleidungs- industrie sind Frauen Katunayaka Biyagama Fast Fashion 7 Teil1: Arbeitsbedingungen
Nationaler Rechtsrahmen und internationale Standards —— Nationaler Rechtsrahmen Sri Lankas Bekleidungsindustrie hat im Zuge der Liberalisierung der Wirtschaft in den späten 1970er Der Industrial Disputes Act und die Trade Union Or- dinance befassen sich vor allem mit der Einrichtung eines Systems der industriellen Arbeitsbeziehungen unter Einbeziehung von Arbeitgebern, Gewerkschaf- Jahren ein deutliches Wachstum erfahren. Dem neu- ten und Regierung. Gemäß dem Industrial Disputes eingerichteten Board of Investment, das sich damit Act ist ein ausgeklügeltes System zur Streitschlich- befasst, ausländische Direktinvestitionen ins Land zu tung vorgesehen, das auch Tarifverhandlungen, Ver- bringen, wurden weitreichende Befugnisse verliehen, mittlung, Schiedsverfahren und Rechtsstreitigkeiten sogenannte „Export Processing Zones“ (Sonderwirt- umfasst. schaftszonen) einzurichten. Zwei der ersten Zonen dieser Art, die durch den Board of Investment Act Die wichtigsten Rechtsvorschriften zur Regelung eingerichtet wurden, waren Katunayaka und Biyagama. von Löhnen und Arbeitsbedingungen in der Beklei- dungsindustrie sind: Termination of Employment of Der Board of Investments Act verfolgte anfangs das Workmen‘s Act (TEWA), Factories Ordinance, Wages Ziel, Exportzonen von der Zuständigkeit des nati- Boards und Workmen‘s Compensation Ordinance. onalen Arbeitsrechts auszunehmen, welches von Abgesehen von TEWA stammen alle anderen Ge- den Investoren wie auch vom privaten Sektor als zu setze in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der streng angesehen wurde. Jedoch wurde einer Klage Bekleidungsindustrie noch aus der Kolonialzeit beim Obersten Gerichtshof gegen diese Ausnah- beziehungsweise aus der Zeit vor der Liberalisierung mestellung stattgegeben, sodass die Sonderwirt- der Wirtschaft. Entwicklungen in der Bekleidungs- schaftszonen weiterhin in den Zuständigkeitsbereich industrie wurden somit nicht berücksichtigt und der nationalen Arbeitsgesetzgebungen fallen. insbesondere Mechanismen zum Schutz der Arbeit- nehmer*innenrechte nicht aktualisiert, um gegenwär- Sri Lankas Arbeitsrecht stammt noch aus der Zeit tige Formen des Missbrauchs und der Ausbeutung vor der Liberalisierung der Wirtschaft des Landes —— von Arbeitnehmer*innen zu erfassen. und basiert auf einem starken dreigliedrigen Mecha- nismus der industriellen Arbeitsbeziehungen gemäß den Forderungen der Internationalen Arbeitsorgani- Löhne sation (IAO). Die wichtigsten Rechtsvorschriften der Im Jahr 2016 verabschiedete die Regierung von Sri Bekleidungsindustrie sind: Lanka den National Minimum Wages of Workers •• Industrial Disputes Act No. 43, 1950 Act No. 3, 2016, der 10.000 LKR (Sri-Lanka-Rupien, •• Termination of Employment of Workmen‘s Act No. 51 Euro1) als Mindestlohn vorsieht. In der Beklei- 45, 1971 (TEWA) dungsindustrie gilt aufgrund des Systems der Wages Boards jedoch ein etwas höherer Mindestlohn. Der •• Factories Ordinance No. 45, 1942 aktuelle Mindestgrundlohn in der Bekleidungsindust- •• Wages Boards Ordinance No. 43, 1941 rie beträgt 15.500 LKR (79 Euro). •• Trade Union Ordinance No. 14, 1935 •• Workmen‘s Compensation Ordinance No. 19, 1934 Fast Fashion 8 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz Wages Boards und Factories Ordinances geben auch —— Internationale Standards Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat 8 Übereinkommen als Kernarbeitsnormen zur Gewähr- Rahmenvorgaben hinsichtlich Arbeitsbedingungen leistung grundlegender Arbeitsrechte identifiziert. und Gesundheit am Arbeitsplatz vor. Deshalb sind für Diese Normen sind auch in der IAO-Erklärung über Belange im Zusammenhang mit Arbeitszeit, Über- die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der stunden, Nachtarbeit und Arbeitssicherheit diese Arbeit (1998) enthalten. beiden Regelwerke maßgeblich. Die Kernarbeitsnormen sind: Gemäß dem für die Textilindustrie relevanten Wages Board darf eine normale Arbeitswoche maximal 45 •• Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und Stunden und ein Arbeitstag maximal 9 Stunden inklu- den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948 (Nr. 87) sive einer Stunde Pause betragen. Abschnitt 67 der •• Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und Factories Ordinance räumt maximal 12 Überstunden das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949 (Nr. 98) pro Woche für weibliche Beschäftigte ein. Somit be- •• Übereinkommen über Zwangsarbeit, 1930 (Nr. 29) trägt die maximale Wochenarbeitszeit einschließlich •• Übereinkommen über die Abschaffung der Überstunden für weibliche Beschäftigte 57 Stunden. Zwangsarbeit, 1957 (Nr. 105) Für Männer dagegen ist die Zahl der wöchentlichen •• Übereinkommen über das Mindestalter für die Überstunden nicht beschränkt. Zulassung zur Beschäftigung, 1973 (Nr. 138) Bei Unfällen oder Arbeitsrisiken sieht die Workmen‘s •• Übereinkommen über das Verbot und unverzügli- Compensation Ordinance Entschädigungszahlungen che Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit, 1999 (Nr. 182) vor. •• Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts Der Termination of Employment of Workmen‘s Act männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleich- (TEWA) regelt die Beendigung des Arbeitsverhältnis- wertige Arbeit, 1951 (Nr. 100) ses für alle Arbeiter*innen und sieht eine Entschädi- •• Übereinkommen über die Diskriminierung in Be- —— gungsregelung für den Fall einer Kündigung vor. schäftigung und Beruf, 1958 (Nr. 111) Zusätzlich zu den Kernarbeitsnormen gibt es zahlreiche Gewerkschaftliche Organisierung andere Übereinkommen in Bezug auf Arbeitsbedingun- Die Trade Union Ordinance und der Industrial Dispu- gen, Löhne sowie Arbeitsbeziehungen. Die wichtigsten tes Act sind die wichtigsten Rechtsvorschriften in Be- Übereinkommen sind jedoch Nr. 87 und 98, welche das zug auf Arbeitsbeziehungen. Der Industrial Disputes Recht auf Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Act schützt zudem auch das Recht auf Tarifverhand- Tarifverhandlungen schützen. Sie bilden zusammen lungen sowie das Vereinigungsrecht. Darüber hinaus einen verbindlichen internationalen Rechtsrahmen zum erkennt auch die Verfassung von Sri Lanka die Verei- Schutz des Rechts von Arbeiter*innen, Gewerkschaften nigungsfreiheit als Grundrecht an. zu gründen und Tarifverhandlungen zu führen. Fast Fashion 9 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, 1948 (C87) Artikel 2 des Übereinkommens über die Vereini- gungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrech- tes beschreibt das Recht von Arbeiter*innen, eine Organisation ihrer Wahl zu gründen und einer sol- chen Organisation beizutreten. Dies bedeutet, dass Arbeiter*innen das Recht haben, Gewerkschaften zu gründen und diesen beizutreten, ohne Einmischung oder Einflussnahme durch den Arbeitgeber oder die Regierung. Gewerkschaften sind autonome und unabhängige Körperschaften, die den Regeln unter- —— liegen, welche ihre Mitglieder ihnen vorgeben. Übereinkommen über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949 (C98) C87 (Vereinigungsfreiheit) und C98 (Vereinigungs- recht und Recht auf Kollektivverhandlungen) gewähr- leisten den Schutz von Arbeiter*innen vor gewerk- schaftsfeindlicher Diskriminierung. Artikel 1(2) des Übereinkommens beschreibt spezifische Hand- lungen, durch die Arbeiter*innen daran gehindert werden sollen, einer Gewerkschaft beizutreten. Die Beschäftigung von Arbeiter*innen nur unter der Vor- aussetzung, dass sie keiner Gewerkschaft beitreten beziehungsweise ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft aufgeben sowie die Entlassung von Arbeiter*innen oder jegliche andersgeartete Benachteiligung von Arbeiter*innen aufgrund ihrer Mitgliedschaft oder Tä- tigkeit in einer Gewerkschaft sind als gewerkschafts- —— feindliche Diskriminierung definiert. Nationaler und internationaler Rechtsrahmen zur Beurteilung der Lieferkette von Primark und C&A Die von den Arbeiter*innen bereitgestellten Informa- tionen werden in erster Linie anhand der Aspekte Löhne, Arbeitssicherheit und gewerkschaftliche Or- ganisierung betrachtet, um zu sehen, ob inländische Rechtsvorschriften in Bezug auf Löhne und Arbeits- bedingungen sowie internationale Vorgaben (insbe- sondere C87 und C98) in der Lieferkette von Primark und C&A in Sri Lanka eingehalten werden. Fast Fashion 10 Teil1: Arbeitsbedingungen
Ergebnisse der Befragung —— Löhne und Überstunden Laut den gesetzlichen Bestimmungen in Sri Lanka darf eine normale Arbeitswoche maximal 45 Stunden betragen. In dieser Regelzeit müssen die Arbeiter*innen im Bekleidungssektor einen Lohn von mindestens 15.500 LKR (79 Euro) bekommen. Außerdem gilt ein gesetzliches Maximum von 12 Überstunden pro Woche für weibliche Beschäftigte. Somit beträgt die maxi- male Wochenarbeitszeit einschließlich Überstunden für weibliche Beschäftigte 57 Stunden. Die Realität weicht davon teils gravierend ab. 14.500 LKR Geringster Lohn unter den Befragten 73 € 15.500 LKR gesetzlicher Mindestlohn 79 € 15.912 LKR Durchschnittlicher Lohn der Befragten in der regulären Arbeitszeit 81 € 22.965 LKR Durchschnittlicher realer Lohn der Befragten inkl. Überstunden 117 € 30.000 LKR Geschätzter Basis-Existenzlohn laut den Befragten 153 € 58.093 LKR Existenzsichernder Lohn nach Berechnung der Asia Floor Wage Alliance 2 296 € 45 Std Gesetzliche Höchstgrenze Wochenarbeitsstunden: 45+12 + 12 Überstunden 59 Std Durchschnittliche Wochenarbeitsstunden der Befragten 80 Std Maximale Wochenarbeitsstunden der Befragten —— —— Grafik 1: Vergleich zwischen Gesetz und Wirklichkeit: Löhne (pro Monat) und Arbeitsstunden (pro Woche) Über 50 % der befragten 28 von 76 Arbeiter*innen weiblichen Beschäftigten machen mehr (37 %) stempeln nach der maximal —— Überstunden als gesetzlich erlaubt. erlaubten Anzahl von 45 Wochenstunden aus, arbeiten dann aber trotzdem ohne 35 von 76 (46 %) verdienen Überstundenzuschlag weiter. in der regulären Arbeitszeit weniger als den Mindestlohn. Fast Fashion 11 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Die Übersicht der Löhne und Überstunden zeigt jeweils im Durchschnitt die monatlichen Löhne der Befragten, die tatsächlichen Arbeitsstunden pro Woche und wie viele davon als Überstunden vergütet wurden. Die befragten Arbeiter*innen waren im Mittel 21 Jahre jung. —— Lohn: 117 Euro Eskimo Fashion —— In der C&A- Zulieferfabrik Timex gab eine 18-jährige Arbeiterin an, trotz Arbeitsstunden: 60 Überstunden: 14 15 Überstunden pro Woche nur —— 18.500 LKR (94 Euro) im Monat zu verdienen. In der regulären Timex Arbeitszeit (also abzüglich Monatslohn: 141 Euro Überstunden und Zuschlägen) Arbeitsstunden: 67 verdient sie mit 11.807 LKR (61 Überstunden : 16 Euro) weniger als der gesetzlich —— dafür vorgesehene Mindestlohn von 15.500 LKR (79 Euro). EAM Maliban —— Lohn: 133 Euro Arbeitsstunden: 60 Bei Puppenhersteller Überstunden: 13 Paradise Toys verdient ein 18-Jähriger nach eigenen Angaben trotz regelmäßigen Überstunden —— weniger als den gesetzlichen Lanka Washing Mindestlohn. Um annähernd genug zu verdienen, um die Lohn: 119 Euro Familie zu ernähren, machen Arbeitsstunden: 55 hier alle Befragten Überstunden. Überstunden: 12 Ein Mann und eine Frau gaben —— an, wöchentlich 80 Stunden zu Regal Calibre arbeiten – weit über die gesetzliche Höchstarbeitsdauer für Frauen in Lohn: 109 Euro Sri Lanka. Arbeitsstunden: 58 Überstunden: 11 Fast Fashion 12 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Seite 2 der Übersicht —— Lohn: 112 Euro Paradise Toys Pvt Ltd —— Eine der Befragten bei Eskimo Fashion gab an, 72 Stunden pro Woche zu arbeiten, Arbeitsstunden: 64 Überstunden: 19 was die gesetzliche Höchstzahl an Überstunden um mehr als 100 % überschreitet. —— Lohn: 112 Euro Norwood Fashion —— Eine der Befragten bei EAM Maliban gab an, 69 Stunden pro Woche zu arbeiten, Arbeitsstunden: 55 Überstunden: 12 was die gesetzliche Höchstzahl —— an Überstunden um 100 % überschreitet. —— Rich Light Lohn: 113 Euro Arbeitsstunden: 56 Regal Calibre beliefert Überstunden: 9 sowohl Primark als auch C&A. —— Hier arbeiten drei der befragten Arbeiterinnen mehr als die Triple Safety gesetzlich erlaubten 57 Stunden Lohn: 100 Euro pro Woche. —— Arbeitsstunden: 55 Überstunden: 8 Bei Primark-Zulieferer Triple Safety kommt ein Drittel der Befragten nur mit 5 Überstunden pro Woche auf den staatlichen Mindestlohn, was gesetzeswidrig ist. Bei zwei Arbeiterinnen wird die gesetzliche Grenze von 57 Arbeitsstunden pro Woche überschritten. Fast Fashion 13 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ist Sri Lanka eines der Exportländer für Bekleidung, in dem ungelernten Arbeiter*innen die niedrigsten Mindestlöhne gezahlt werden. Unter den 76 befragten Arbeiter*innen mussten Überstunden zu leisten, um einen existenzsichernden 82 % mehr als 10 Überstunden leisten, um ihren Lohn zu verdienen. Überstunden sind sozusagen momentanen Monatslohn zu verdienen. 88 % der fester Bestandteil der Arbeitszeit der Arbeiter*innen, Arbeiter*innen verdienen einen Monatslohn zwischen was einen Verstoß gegen die Vorgabe von 8 Stunden 20.000 LKR und 30.000 LKR (102-153 Euro). Der pro Arbeitstag bedeutet (Übereinkommen Nr. 1 der durchschnittliche Monatslohn beträgt 23.090 LKR IAO über die Arbeitszeit in gewerblichen Betrieben, (118 Euro) bei durchschnittlich 12 Überstunden pro 1919). Woche. Dies bedeutet, dass jede Arbeiter*in täglich etwa 2 zusätzliche Stunden in Form von Überstunden Übermäßige und verpflichtende Überstunden führen arbeitet. Lediglich für die Buchführung wird nach auch zu erhöhten Gesundheitsrisiken und beschnei- acht Stunden ausgestempelt und danach weitergear- den die Freizeit, welche die Arbeiter*innen mit ihren beitet. Oft werden diese regelmäßigen Überstunden Familien verbringen können. Mehrere weibliche ohne Überstundenzuschlag vergütet. Beschäftigte mit Kindern gaben an, dass sie, seit sie Kinder bekommen haben, keine Überstunden mehr In 8 Fällen wurde die gesetzliche Obergrenze für leisten, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Doch Überstunden (12 Stunden pro Woche für Frauen3) ohne das zusätzliche Geld, das sie zuvor mit den überschritten, in 2 Fällen sogar um das Doppelte. Überstunden verdienten, ist ihr Lohn nun erheblich Beide Fälle ereigneten sich bei Paradise Toys (Pvt) geringer. Dadurch vergrößert sich auch das Lohnge- Ltd. Die Daten zeigen auch, dass die Arbeiter*in- fälle zwischen weiblichen und männlichen Beschäf- nen, die keine Überstunden leisteten, meist deutlich tigten. weniger als 25.000 LKR (127,50 Euro) erhielten, und zwar eher den Mindestgrundlohn von 15.500 LKR Verheiratete Arbeiterinnen sind besonders benachtei- (79 Euro). Überstunden dienen also inzwischen zum ligt, weil es in erster Linie an ihnen liegt, der elterli- Aufstocken des Grundlohns, um Grundbedürfnisse chen Sorgepflicht nachzukommen und sie dadurch erfüllen zu können. in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sind. So berichtete zum Beispiel eine Arbeiterin von Paradise Dies wird auch bestätigt durch die Aussagen der Toys (Pvt) Ltd, eine alleinerziehende Mutter, dass ihr Arbeiter*innen. Die meisten von ihnen gaben an, ein Grundlohn von 20.000 LKR (102 Euro) erlauben dass sie Überstunden machen, um genügend Geld zu würde, weniger Überstunden zu leisten und so mehr verdienen, um für Grundbedürfnisse wie Lebensmit- Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Im Augenblick tel und Bildung für sich und ihre Familie aufkommen arbeitet sie 35 Überstunden pro Woche, das heißt 23 zu können. Stunden über dem gesetzlichen Höchstwert. In Ermangelung eines angemessenen Mindestlohns Da die Arbeitskräfte in der sri-lankischen Beklei- in der Lieferkette sind die Arbeiter*innen gezwungen, dungsindustrie in erster Linie Frauen sind, würden Fast Fashion 14 Teil1: Arbeitsbedingungen
höhere Mindestlöhne dazu beitragen, die Armut unter müssen ihre Kinder, unverheiratete Arbeiter*innen weiblichen Beschäftigten zu reduzieren. ihre Eltern versorgen. Viele unverheiratete Arbei- ter*innen schicken ihren Eltern regelmäßig einen In Sri Lanka sind mehr als 80 % der Beschäftigten festen Geldbetrag. in der Bekleidungsindustrie weiblich und nur 20 % männlich. Von den Befragten waren 65 % Frau- Viele Arbeiter*innen sagten aus, dass ihre Löhne en und 35 % Männer. Wenn sowohl weibliche als nicht ausreichten, um ihre Familie mit nahrhaften auch männliche Beschäftigte höhere Mindestlöhne Lebensmitteln zu versorgen. Eine weibliche Beschäf- verdienen würden, wären viele nicht mehr gezwun- tigte mit Kleinkind gab an, dass sie die Bedürfnisse gen, so viele Überstunden zu leisten, womit eine ihres Kindes über ihre eigenen Bedürfnisse bezüglich durchschnittliche tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden Lebensmittel und Kleidung stelle. problemlos möglich wäre. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ist Sri Lanka eines der Exportlän- Andere sagten, dass ihr Lohn gerade für Lebensmit- der für Bekleidung, in dem ungelernten Arbeiter*in- tel und Kleidung reiche, jedoch nicht für das Finan- nen die niedrigsten Mindestlöhne gezahlt werden4. zieren der Bildung ihrer Kinder, um ein Haus zu bauen und gar um etwas beiseitezulegen. Eine Arbeiter*in —— Die Mehrheit der Arbeiter*innen gab an, dass sie von Triple Safety in Narammala erzählt: nur sonntags Zeit mit ihrer Familie und ihren Lieben verbringen können. Arbeiter*innen, die infolge von Arbeitsmigration in die Fabriken gekommen sind, „Ich arbeite nun seit sagten aus, dass sie aufgrund der langen bezie- 8 Jahren, aber nichts hat sich hungsweise übermäßig langen Arbeitszeiten kaum geändert. Ich würde diese Arbeit Zeit fänden, in ihre Dörfer zurückzureisen und ihre keinem empfehlen. Unsere Löhne Eltern und Familie zu besuchen. Eine weitere Sorge, die sie von regelmäßigen Besuchen zu Hause abhält, sind sehr niedrig. Sogar zum sind die Reisekosten. 68 % der Befragten sind der Kaufen der Grundausstattung Meinung, dass ihre übermäßig langen Arbeitszeiten für unsere Häuser mussten wir ihre Beziehung zu ihrer Familie beeinträchtigen. einen Kredit aufnehmen. Unsere 95 % der Arbeiter*innen in ländlichen Betrieben Gehälter reichen aber nicht aus, pendeln zwischen ihrem Zuhause und ihrem Arbeits- um die anfallenden Raten zu platz. 80 % der Arbeiter*innen in städtischen Betrie- ben wohnen dagegen in Wohnheimen. Sie kommen zahlen. Wir können nicht einmal aus ländlichen Gebieten und glauben, dass das Ge- die Lebensmittel kaufen, die wir haltsniveau höher ist als in ländlichen Textilfabriken brauchen. Wir wollen doch nur der Westprovinz. Sie reisen nicht regelmäßig nach einen existenzsichernden Lohn.“ Hause. In der Regel tun sie dies nur einmal im Monat für einen oder zwei Tage. An Vesakh, hinduistischen Feiertagen und Weihnachten erhalten sie Urlaub, Selbst mit übermäßig vielen Überstunden (manch- jedoch meist nur ein oder zwei Tage. Im Rahmen un- mal unter Verletzung der nationalen gesetzlichen serer Befragungen sprachen wir mit drei tamilischen Obergrenzen) haben Arbeiter*innen zu kämpfen, Arbeiter*innen von Timex, die sogar an Weihnachten genügend zu verdienen, um den Lebensunterhalt für arbeiten mussten. ihre Familie zu bestreiten. Wohnraum, Bildung und Gesundheit treten dabei in den Hintergrund oder die Die meisten Arbeiter*innen gaben an, dass ihre Arbeiter*innen sind gezwungen, zur Erfüllung von aktuellen Löhne gerade dafür reichten, Lebensmittel Grundbedürfnissen Kredite (gegebenenfalls auch zu kaufen und andere Grundbedürfnisse für sich und „informeller“ Art) aufzunehmen. Mehrere Arbeiter*in- ihre Familie zu erfüllen. 65 % der Befragten antwor- nen sagten, dass sie mit ihrem Lohn auch Ratenrück- teten, dass sie ihre Familie versorgen müssten. Sie zahlungen für Schulden beglichen. Eine Arbeiterin seien zwar nicht die einzigen Brotverdiener in ihrer gab an, dass sie die Leasingrate für das motorisierte Familie, jedoch sei ihr Beitrag unerlässlich, damit ihre Dreirad ihres Bruders bezahlen müsse, mit dem Familie überleben könne. Arbeiter*innen mit Kindern dieser seinen eigenen Lebensunterhalt verdient. 42 Fast Fashion 15 Teil1: Arbeitsbedingungen
der 76 Befragten sind die primären Verdiener in ihrer Familie. Weibliche Beschäftigte teilen die wirtschaft- liche Belastung in ihren Familien gleichberechtigt mit ihrem Partner. —— Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz Alle der 76 Befragten berichteten, dass ihre Fabrik eine medizinische Pflegekraft beschäftige und ein Ein weiterer Grund, warum Arbeiter*innen Überstun- Betriebsarzt regelmäßig das Werk besuche, um den leisten, besteht darin, Zielvorgaben des Arbeitge- sich der gesundheitlichen Anliegen der Arbeiter*in- bers zu erfüllen. Bei Timex gaben Arbeiter*innen an, nen anzunehmen. Die Arbeiter*innen sind mit den dass übermäßig viele Überstunden nach Sozialaudits medizinischen Leistungen ihres Betriebs weitgehend reduziert wurden. Dies zeigte allerdings nur geringe zufrieden. Auswirkungen, da anschließend ihre Zielvorgaben erhöht wurden. So wird auch innerhalb der zulässi- Keine der Arbeiter*innen hatte einen Arbeitsunfall gen Arbeitszeit ein unmenschliches Arbeitspensum erlitten. Eine Arbeiter*in berichtete jedoch von einer verlangt. Eine Arbeiter*in von Timex sagte, dass die Freund*in, die sich bei einem Arbeitsunfall die Hände Arbeiter*innen in ihrem Betrieb keine Pause einlegen verletzt hatte. dürfen, um zu trinken. Dies soll jedoch nicht heißen, dass in den unter- Eine alleinerziehende Beschäftigte von Eskimo Pvt suchten Fabriken keine Arbeitsrisiken bestehen. Bei —— Ltd berichtete: Timex dürfen Arbeiter*innen während der Arbeit nicht trinken. Eine Arbeiter*in sagte, dass zwar ein Arzt regelmäßig die Fabrik besuche, für jegliche Art „Es ist nun 9 Jahre her, von Beschwerden jedoch nichts anderes als Para- dass mich mein Mann verlassen cetamol verabreiche. Eine sorgfältige Betreuung der hat. Ich habe für meine zwei Arbeiter*innen scheint es somit nicht zu geben. Kinder zu sorgen und wohne bei Arbeiter*innen klagen häufig über Rückenschmerzen meinen Eltern. Mein Gehalt reicht beziehungsweise körperliche Schmerzen. Diese wer- den durch ihre über Stunden hinweg gleichbleibende nicht aus, um sie zu versorgen. Arbeitshaltung in stehender Position verursacht. Nur Doch wegen der Kinder kann zum Mittagessen dürfen sie sich setzen. Dies ist vor ich nicht weiter weg arbeiten allem abhängig von der jeweiligen Rolle einer Arbei- und muss deshalb in diesem Job ter*in in der Textilfabrik. bleiben.“ Eine weibliche Beschäftigte steht gegen 5 Uhr mor- gens auf und kümmert sich um den Haushalt. Um 07.30 Uhr geht sie in die Fabrik, wo sie manchmal bis Eine Übersicht über das Lohnniveau in der Lieferkette 22.00 Uhr arbeitet. Durch Arbeit und Haushalt ist sie zeigt, dass die meisten Arbeiter*innen den Mindest- somit überlastet und bekommt zudem nur wenige lohn von 15.500 LKR (79 Euro) erhalten. (Eine Aus- Stunden Schlaf. Zwei der Befragten waren alleiner- nahme stellt Paradise Toys dar. Dort werden „Puppen“ ziehende Mütter, die beide zu kämpfen haben, um produziert. Deshalb wird das Werk von den Menschen über die Runden kommen, da sie auch für ihre betag- dort auch als „Doll Factory“ bezeichnet. Die Fabrik ten Eltern und ihre Kinder aufkommen müssen. produziert keine Textilien, sondern nur Spielzeug für Primark und C&A.) Doch die Lücke zwischen Mindest- Bei Primark-Zulieferer Lanka Washing Unit erwähn- lohn und Existenzminimum zwingt die Arbeiter*innen ten 4 von 8 Arbeiter*innen eine Hauterkrankung, die dazu, obligatorisch Überstunden zu leisten, wodurch durch den Einsatz von Chemikalien verursacht wird. sich ihr regulärer Arbeitstag um mindestens 2 Stun- Detaillierte Informationen stehen diesbezüglich den verlängert. Es gibt auch Fälle, in denen die Über- jedoch nicht zur Verfügung. stundenzahl über der gesetzlich zulässigen Obergren- ze liegt. Die Arbeiter*innen sind der Meinung, dass Bei Krankheit können sich die Arbeiter*innen in allen durch eine Erhöhung des Mindestlohns die Anzahl an Fabriken zwar in einem Raum mit einem Tisch und Überstunden sinken würde und sich so ein 8 Stunden- einem Stuhl ausruhen und bei schlimmeren Erkran- tag nach internationalen Standards einhalten ließe. kungen einen Arzt konsultieren, die Fehlzeit wird Fast Fashion 16 Teil1: Arbeitsbedingungen
ihnen jedoch vom Lohn abgezogen. gungsfreiheit, das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen verstoße (Freedom of Wegen niedriger Löhne können sich Arbeiter*innen Association Cases, Case No. 2255, Sri Lanka). keine nahrhaften Lebensmittel leisten, was sich wie- derum nachteilig auf ihre Gesundheit auswirkt. Viele Das Committee of Experts on Freedom of Associa- wohnen in Wohnheimen mit unzulänglichen Lebens- tion empfahl daraufhin, die Richtlinien des Board of bedingungen und die von den Fabriken bereitgestell- Investment bezüglich Beschäftigtenbeiräten zu än- ten Lebensmittel sind nicht ausreichend nahrhaft. dern und stellte fest, dass für den Fall, dass in einem Im Jahr 2014 hatte eine Lebensmittelvergiftung im Betrieb sowohl ein Beschäftigtenbeirat als auch eine NEXT-Werk in Katunayake den Tod einer Arbeiter*in Gewerkschaft gebildet würden, der Tarifvertrag mit zur Folge. der Gewerkschaft zu unterzeichnen sei. Sicherheit und Gesundheit in der Bekleidungsindust- Das Committee stellte ferner fest, dass, obwohl 149 rie kommt vonseiten der politischen Entscheidungs- von 287 Unternehmen (zum Zeitpunkt der Empfeh- träger und Arbeitgeber jedoch keine angemessene lung) einen Beschäftigtenbeirat hatten, in keinem der Aufmerksamkeit zu. Die betrieblichen Gesundheits- Unternehmen ein Tarifvertrag abgeschlossen worden bedingungen in der Bekleidungsindustrie werden war. durch die Factories Ordinance von 1942 geregelt. Diese Verordnung wurde allerdings 40 Jahre vor der Die Ergebnisse dieser Studie bestätigen auch, dass Entwicklung der Bekleidungsin- bei EAM Maliban und Rich Light trotz Beschäftig- dustrie eingeführt und seitdem tenbeirat kein Tarifvertrag zwischen dem Arbeitge- nicht aktualisiert, um die spezifi- ber und dem Beirat unterzeichnet worden war. Das schen gesundheitlichen Anliegen in der Bekleidungs- Vorhandensein eines Beschäftigtenbeirats in einer industrie zu berücksichtigen. Da die Mehrheit der Fabrik gewährleistet somit nicht die Einhaltung der Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie Frauen Übereinkommen 87 und 98 über die Vereinigungsfrei- sind, besteht Bedarf, die Factories Ordinance um heit, das Vereinigungsrecht und das Recht zu Tarif- Schutzmaßnahmen zu ergänzen, die speziell auf die verhandlungen. gesundheitlichen Anliegen von Frauen eingehen. Artikel 14 (c) und 14 (d) der Verfassung von Sri Lan- —— ka garantieren jedem Bürger die Vereinigungsfreiheit sowie die Freiheit, eine Gewerkschaft zu gründen Gewerkschaftliche beziehungsweise einer Gewerkschaft beizutreten. Abschnitt 32(A) des Industrial Disputes Act No. 43, Organisierung und deren 1950, untersagt Arbeitgebern unfaire Arbeitsprakti- Diskriminierung ken. Das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen bezie- hungsweise einer Gewerkschaft beizutreten sowie In 2 der 10 untersuchten Fabriken (EAM Maliban, Tarifverhandlungen sind somit fest im sri-lankischen Rich Light) gibt es einen Beschäftigtenbeirat (Em- Recht verankert. Unfaire Arbeitspraktiken und Diskri- ployees‘ Council). In keiner der Fabriken ist eine minierung gegenüber Arbeiter*innen, die versuchen, Gewerkschaft aktiv. Im Gegensatz zu Gewerkschaf- Gewerkschaften zu bilden, ist jedoch nach wie vor ten, bei denen es sich um freiwillige Arbeiter*innen- weit verbreitet, vor allem in den Sonderwirtschaftszo- organisationen handelt, wird die Wahl der Mitglieder nen, wo sich die Bekleidungsindustrie konzentriert. des „Beschäftigtenbeirats“ stark beeinflusst durch die Werksleitung und das Board of Investment, der Der Status dieser Rechte bei den untersuchten Fab- —— Behörde, welche die Sonderwirtschaftszonen kont- riken lässt sich wie folgt zusammenfassen: rolliert. Lanka Washing Unit: Im Jahr 2003 legte die Gewerkschaft Ceylon Mer- cantile, Industrial and General Workers Union beim Alle acht befragten Arbeiter*innen gaben an, dass Committee of Experts on Freedom of Association Lanka Washing Unit das Bilden von Gewerkschaften Beschwerde ein, da man der Meinung war, dass die nicht erlaube. Beschwerden über die Arbeitsbedin- Schaffung von „Beschäftigtenbeiräten“ die Gewerk- gungen werden gewöhnlich der Personalleitung oder schaftsrechte beschneide und gegen die Vereini- der direkten Führungskraft gegenüber vorgebracht. Fast Fashion 17 Teil1: Arbeitsbedingungen
—— Eskimo Fashion (Pvt) Ltd: Acht Arbeiter*innen berichteten, dass Gewerk- schaften in der Fabrik nicht erlaubt seien. Eine der —— Triple Safety: Es gibt keine Gewerkschaft in der Fabrik und die Arbeiter*innen sind sich ihres Rechts zur Gründung Arbeiter*innen meinte sogar, dass die Arbeiter*innen einer Gewerkschaft nicht bewusst. Im Gegensatz —— überhaupt nicht wüssten, was eine Gewerkschaft ist. zu vielen anderen Betrieben ist in diesem Werk kein Mechanismus für anonyme Beschwerden vorhanden. Paradise Toys (Pvt) Ltd: Alle untersuchten Fabriken zeigten eine ablehnende In dem Betrieb ist keine Gewerkschaft aktiv und Haltung gegenüber Gewerkschaften und hatten ver- Beschwerden werden in der Regel an die Personallei- —— schiedene Maßnahmen ergriffen, um die Arbeiter*in- tung gerichtet. nen an der Bildung von Gewerkschaften zu hindern. Dabei kam es zu präventiven Maßnahmen gegen die Rich Light Apparel: Bildung eines Beschäftigtenbeirats, Abmahnungen in Bezug auf die Bildung von Gewerkschaften bis hin zu Bei Rich Light gibt es zwar keine Gewerkschaft, Gegenmaßnahmen gegen Bemühungen zur Bildung jedoch einen Beschäftigtenbeirat. Die Arbeiter*innen von Gewerkschaften. Es herrscht stillschweigende gaben an, dass das Management einen Beschäf- Übereinkunft unter den Arbeiter*innen, dass der tigtenbeirat vorziehe. Drei der acht befragten Arbei- Versuch zur Bildung einer Gewerkschaft unweigerlich ter*innen bezeichneten den Beschäftigtenbeirat auch mit Entlassung geahndet wird. Viele Arbeiter*innen als Gewerkschaft, was bestätigt, dass die Arbei- —— sind sich nicht bewusst, dass sie ein Grundrecht ter*innen nicht wissen, was eine Gewerkschaft ist. haben, Gewerkschaften zu bilden beziehungsweise einer Gewerkschaft beizutreten. Timex (Pvt) Ltd: Da es keine Gewerkschaften gibt, müssen sich die Gewerkschaften sind in der Fabrik nicht erlaubt und Arbeiter*innen mit ihren Beschwerden an die Perso- Arbeiter*innen werden davor gewarnt, keinen „sabo- nalleitung, ihre Vorarbeiter*in oder ihre Führungskraft tierenden Tätigkeiten“ nachzugehen, wie zum Bei- wenden. Alle untersuchten Fabriken haben einen spiel eine Gewerkschaft zu bilden. Eine Arbeiter*in Mechanismus für anonyme Beschwerden in Form identifizierte die Notwendigkeit einer Gewerkschaft eines „Kummerkastens“. als Mittel, um gegen zu hoch angesetzte Produkti- —— onsziele vorzugehen. Niedriglöhne, Verletzungen von Arbeitsnormen und fehlende Arbeitssicherheit deuten jedoch darauf hin, dass eventuell vorhandene Mechanismen keine EAM Maliban: Wirkung zeigen. Es gibt einen Beschäftigtenbeirat, jedoch keine Ge- —— werkschaft. Keine der Fabriken hat einen Tarifvertrag mit ihren Beschäftigten unterzeichnet. Dies deutet darauf hin, dass die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Norwood Fashion: gänzlich von den Werksleitungen diktiert werden. Die Es gibt keine Gewerkschaft und die Arbeiter*innen Arbeiter*innen haben somit keine Möglichkeit zur glauben, dass das Management keine Gewerkschaft Beeinflussung ihrer Arbeitsbedingungen durch Tarif- will, da der Versuch, eine Gewerkschaft zu bilden, verhandlungen, um bereits identifizierte Probleme in —— vom Management vereitelt wurde. Bezug auf Löhne, Arbeitssicherheit und Produktions- ziele zu beheben. Regal Calibre: Der Schutz von Vereinigungsfreiheit, Vereinigungs- Es gibt keine Gewerkschaft und die befragten Ar- recht und Tarifverhandlungen gemäß nationalen und beiter*innen glauben, dass das Management keine internationalen Rechtsvorschriften ist von entschei- Gewerkschaft will. dender Bedeutung, um den Schutz der Beschäftig- tenrechte zu gewährleisten und die Position von Arbeiter*innen bei Verhandlungen mit dem Arbeit- Fast Fashion 18 Teil1: Arbeitsbedingungen
geber zu stärken. Daher ist es sehr wichtig, sicherzustellen, dass diese Fabriken einen demokratischen Raum schaffen, der frei von unfairen Arbeitspraktiken und Diskriminierung ist, um die Bildung von Gewerkschaften zu fördern. —— Entsprechen die Ergebnisse dem Zuliefererkodex von Primark und C&A? Verhaltensrichtlinien für Lieferanten von Primark und C&A beschreiben die von Lieferanten einzuhaltenden Standards des jeweiligen Unternehmens. Die Verhaltensrichtlinien beider Unternehmen enthalten folgende Vorgaben: a. Die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Tarif- verhandlungen sind zu respektieren, b. Arbeitsbedingungen müssen sicher und hygienisch sein, c. Löhne sollen ausreichen, um Grundbedürfnisse zu erfüllen und ein bescheide- nes frei verfügbares Einkommen zur Verfügung zu stellen, d. Überstunden dürfen nicht regelmäßig verlangt werden, e. Übermäßig lange Arbeitsstunden sind nicht zulässig. Allerdings zeigt die Befragung von sri-lankischen Arbeiter*innen in der Lieferket- te von Primark und C&A, dass die lokalen Lieferanten die von ihnen verlangten Vorgaben nicht erfüllen. Wie vorstehend dargelegt, gibt es eklatante Verstöße in Bezug auf die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen sowie bei Löhnen und Arbeitszeiten. Alle befragten Arbeiter*innen gaben an, dass Auditoren, die sie als Vertreter der Marken, für die sie produzieren, identifizierten, die Fabriken besuchen. Sie be- richteten auch, dass sie während der Besuche der Auditoren weniger zu arbeiten hatten und besser behandelt wurden. Daher sehen die Arbeiter*innen Audits als etwas Positives. Doch abgesehen von einer vorübergehenden Besserung wurden durch Audits keine nachhaltigen Veränderungen bewirkt. So wurden zum Beispiel (wie bereits beschrieben) im Zuge eines Audits die übermäßig vielen Überstun- den reduziert, dafür jedoch anschließend die Zielvorgaben erhöht. Einige der Befragten beklagten, dass die Auditoren nicht mit allen Beschäftig- ten, sondern nur mit den Mitgliedern des Unternehmens- und Behörden-nahen Beschäftigtenbeirats sprechen. Fast Fashion 19 Teil1: Arbeitsbedingungen
Fazit und Die Arbeiter*innen erhalten bestenfalls Minimallöhne, die nicht ausreichen, um Grundbedürfnisse für ihre Kinder und Familie zu erfüllen. Der Mangel an nahr- Empfehlungen haften Lebensmitteln, monotone Arbeit und fehlende Pausen während der Arbeitszeit haben zur Folge, dass Arbeiter*innen unter verschiedenen Krankheiten leiden. Rückenschmerzen beziehungsweise körper- liche Schmerzen sind unter den Arbeiter*innen weit verbreitet. Die Arbeiter*innen erhalten zwar medizini- —— sche Leistungen, die jedoch meist nur in der Verab- reichung von Panadol (eine Art von Paracetamol) bestehen. Arbeiter*innen schätzen, dass ein Monats- Die Ergebnisse lohn von 30.000 LKR (153 Euro) für die reguläre Ar- der Befragung zeigen, beitszeit, also ohne Überstunden, ausreichen würde, dass schwerwiegende ihrer Familie und sich selbst angemessene Lebens- bedingungen zu ermöglichen. Diesen Betrag würden Arbeitsrechtsverletzungen bei sie in etwa erwarten. Er entspricht auch dem Wert sri-lankischen Lieferanten in der des für den Lebensunterhalt notwendigen Grund- Lieferkette von Primark und C&A warenkorbs in Sri Lanka, der derzeit 29.000 LKR (148 weit verbreitet sind. Verstöße Euro) beträgt. Dieser Betrag richtet sich nach der Erhebung über Verbrauchsausgaben der Haushalte gegen Rechtsvorschriften über die des Census and Statistics Department. Beschränkung von Überstunden, Nationale Rechtsvorschriften sehen keine ausrei- obligatorische Überstunden, chenden Schutzmechanismen für die Arbeiter*innen gewerkschaftsfeindliche vor und befassen sich nur unzulänglich mit Aspekten Diskriminierung und mangelnde wie Lebensmittel, Wasser, Wohnraum, Sicherheit Arbeitssicherheit sind nur einige der und Gesundheit. Das Fehlen von Gewerkschaften in den Fabriken verhindert, dass die Arbeiter*innen ihre deutlich ins Auge fallenden Verstöße, Arbeitsbedingungen und Löhne auch jenseits der die in der Lieferkette vorliegen. Unterstützung durch die nationalen Rechtsvorschrif- ten verbessern können, da keine Tarifverhandlung stattfinden. Gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung ist in der Lieferkette weit verbreitet. Werksleitungen zeigen eine stark ablehnende Haltung gegenüber Gewerk- schaften und halten Arbeiter*innen durch Verspre- chen beziehungsweise Einschüchterung davon ab, Gewerkschaften zu bilden. Primark und C&A verpflichten zwar ihre Lieferan- ten zur Einhaltung ihrer Verhaltensrichtlinien, ohne wirksame Sanktionsmechanismen im internationalen oder nationalen Recht können die Marken jedoch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Und auch die Lieferanten selbst werden selten vom sri-lanki- schen Staat zur Rechenschaft gezogen, wenn sie geltende Vorschriften verletzen oder umgehen. Arbeiter*innen in der Lieferkette von C&A und Primark haben nicht genügend freie Zeit für ihre Fast Fashion 20 Teil1: Arbeitsbedingungen
Familie. Die übermäßig vielen Arbeitsstunden stellen Die Werksleitungen bezahlen den von der Regierung zahlreiche Herausforderungen für die Gesundheit vorgegebenen Mindestlohn, um nicht gegen das sowie das Familien- und Sozialleben der Arbeiter*in- Gesetz zu verstoßen. Dementsprechend sind die nen dar. Löhne in den letzten Jahren gestiegen. Regierungs- und andere Beschäftigte können normalerweise über Um ihren geringen Lohn aufzustocken, haben einige Gewerkschaften für bessere Löhne kämpfen. In der Arbeiter*innen (befristete) Nebenjobs angenommen Bekleidungsindustrie von Sri Lanka ist dies jedoch oder einen Kredit aufgenommen, um für Ausbildung, nicht möglich. Wohnraum und den Lebensunterhalt ihrer Familie zu bezahlen. Wir trafen sechs Arbeiter*innen, die in Da es keine Gewerkschaften gibt, sind die Arbei- ihrer Freizeit einen Nebenjob ausüben, zwei davon ter*innen völlig auf sich selbst gestellt und befinden als Taxifahrer*in. Dies ist sehr anstrengend, da sie im sich in einer sehr schwachen Position gegenüber Anschluss an ihre Fabrikarbeit noch bis spät in die ihrem Arbeitgeber. Es gibt kaum signifikante Lohn- Nacht Taxi fahren. Die anderen vier Arbeiter*innen erhöhungen für die Arbeiter*innen und die Arbeits- üben sonntags einen Nebenjob aus. belastung kann abhängig von der Auftragslage stark schwanken. Wenn der Termin zur Fertigstellung Die Arbeiter*innen glauben, dass mit ihrem derzei- eines Auftrags näherrückt, ist es wahrscheinlicher, tigen Lohn ein sozialer Aufstieg hinsichtlich einer dass das Management gegen Arbeitsnormen ver- besseren Ausbildung für ihre Kinder oder um sich stößt und mehr Arbeitsstunden von den Arbeiter*in- besseren Wohnraum zu leisten nicht möglich ist. nen verlangt. Laut Aussagen der meisten Arbeiter*innen reiche ihr Lohn gerade aus, um Lebensmittel und Kleidung zu Das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen bezie- kaufen. hungsweise einer Gewerkschaft beizutreten, so- wie das Recht auf Tarifverhandlungen bergen ein Viele der Arbeiter*innen beabsichtigen nicht, lange in beträchtliches Potenzial zum Verbessern der Ar- den Fabriken zu bleiben. Sie wollen genug verdienen, beitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie. Dies um ein Familiendarlehen zurückzuzahlen oder um gilt auch für Mindestlöhne, die den Arbeiter*innen für einen besonderen Anlass (zum Beispiel Hochzeit) erlauben würden, mehr Zeit mit ihren Eltern, Partnern zu sparen. Einige verlassen die Fabriken nach fünf und Kindern zu verbringen oder sich in einer Gewerk- Jahren, da ihnen dann eine Gratifikationszahlung in schaft zu engagieren. Höhe eines halben Monatslohns pro Dienstjahr beim Unternehmen zusteht. Fast Fashion 21 Teil1: Arbeitsbedingungen
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