"Gefragt ist der politische, mündige Christ, nicht der politisierende Hirte" - Bistum Chur
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5. April 2018 | 14 Der Islam weckt auf. Kirchenrechtler Martin Grichting erklärt, warum das Verhältnis zwischen Kirche und Staat überdacht werden muss. Seite 8 „Gefragt ist der politische, mündige Christ, nicht der politisierende Hirte“ 4 Medien Wie sich „Der Beobachter“ vertan hat | 7 Presseschau Das leise Staunen über ein österliches Pressewunder | 12 Interview Artur Siegert: „Gott will Wachstum“ 22 Zeitgeschichte Das umstrittene Erbe der 1968er www.ideaschweiz.ch
EDITORIAL KOLUMNE 3 Kirche und Staat BIBLISCH Liebe Leserin, lieber Leser Er aber, unser Herr Jesus Ein Katholik auf der Titelseite von ideaSpektrum? Ja, aber nicht, weil wir Christus, und Gott, unser die römisch-katholische Kirche umarmen wollen! Es geht uns um ein Thema, das Generalvikar Martin Grichting in seinem Buch „Im eigenen Vater, der uns geliebt und Namen, in eigener Verantwortung“ behandelt. Er liefert einen kompak- uns gegeben hat einen ten Diskussionsbeitrag zum Thema Religion und Staat. Dass sein Buch ewigen Trost und eine gute vom fontis-Verlag herausgegeben wird, deutet auf die Relevanz des Hoffnung durch Gnade, Themas auch ausserhalb des katholischen Kontextes hin. Globalisierung und Digitalisierung führen zu einer weltanschaulichen der tröste eure Herzen und Durchmischung der Gesellschaft. Für den Staat wird es anspruchsvol- stärke euch in allem guten ler, die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen. Wie passt eine Wort und Werk. Glaubensgemeinschaft, die sich an absolute Wahrheiten hält, in einen 2. Thessalonicher 2,16 und 17 Rechtsstaat, der für ein Nebeneinander unterschiedlichster Weltan- schauungen steht? Grichtings Vorschlag zielt innerhalb der katholischen Diese zwei Verse beinhalten für mich Kirche darauf ab, dass sich die Kirchenhierarchie auf ihren Kernauftrag das ganze Evangelium. Wir sind geliebte der Verkündigung und Seelsorge fokussiert, während die Kirchbürger Kinder des ewigen Vaters. Wir haben sich ihrem Gewissen gemäss in den politischen Alltag einbringen. einen unverdienten, von den Umständen Der Anstoss zu dieser Diskussion kommt von aussen. Der Islam kennt unabhängigen, ewigen Trost – egal wie keine kirchenähnlichen Strukturen. Er manifestiert sich im Gemein- furchteinflössend die Zukunft aussehen wesen. Wie verträgt sich eine solche Verflechtung mit dem demokra- mag. Ich habe Hoffnung, mein Herz wird tischen Rechtsstaat? Die islamischen Gemeinschaften sind gefordert, getröstet und gestärkt. Mit dieser ihre Haltung zu deklarieren. Das gilt für Christen genauso. Wie ist es ermutigenden Gewissheit bin ich möglich, zum säkularen Rechtsstaat mit seinen demokratischen Grund- täglich im Dienst für meine Mitmenschen regeln zu stehen und gleichzeitig an absoluten Glaubenswahrheiten und für unsere Stadt. Wir sind aufgefor- festzuhalten? Was bedeutet es, „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers dert, auferbauende Worte zu sprechen ist und Gott, was Gottes ist“? und gute Werke zu tun. Beide gehören Die komplexen Themen um Religion und Staat gewinnen in unseren unzertrennlich zusammen! Tagen an Brisanz. Ein Beispiel aus dem Berner Grossen Rat: Eine Moti- on forderte, alle islamischen Prediger im Kanton zu überwachen. Das Mark Eberli ist heisst, ihre Predigten abzuhören und ihr Leben unter die Lupe zu neh- Stadtpräsident von men. Bei Anzeichen von Radikalismus, Hass oder Sozialmissbrauch soll- Bülach und Unterneh- ten sie sofort ausgeschafft werden. In der Diskussion waren sich selbst mer im internationalen die im Rat als bekennende Christen bekannten Köpfe uneins. Am Ende Handel. Er wohnt in wurde die Motion entschärft und als Postulat formuliert. Bülach ZH. Kontrollen verschärfen oder Freiheit verteidigen? In diesem Span- nungsfeld ist Weitsicht gefragt. Klar, es geht um den Islam. Doch wenn der Staat eine systematisch vorgehende „Religionspolizei“ aufbaut, dann gerät die Glaubensfreiheit generell unter Druck. Rolf Höneisen Impressum Idea Schweiz Redaktion: Rolf Höneisen (rh, Chefredaktor), Aboservice: Jordi AG – das Medienhaus, Christof Bauernfeind (chb), Helena Gysin (hg) Shenja Graber, Aemmenmattstr. 22, 3123 Belp, Herausgeber: Idea Information AG, 4410 Liestal Redaktionelle Mitarbeiter: Mirjam Fisch-Köhler (mf), Tel. 031 818 01 20, Fax 031 819 38 54 Verwaltungsrat: Heiner Henny, Präsident, Rolf Frey (rf), Fritz Imhof (fi), Willy Zurbrügg (wz) E-Mail: abo@ideaschweiz.ch Paul Beyeler, Hans Lendi, Helmut Matthies, Peter Schnee- Verantwortlich für die internationalen Seiten: Abopreise: Jahresabo Fr. 154.–, berger, Eric Sollberger Matthias Spiess, Andrea Vonlanthen idea e.V., DE-35578 Wetzlar, Matthias Pankau Seniorenabo Fr. 127.–, Halbjahresabo Fr. 79.–. 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8 BRENNPUNK T „Ob es die SRG braucht oder nicht, steht nicht in der Bibel“ KIRCHE UND POLITIK Es ist der Islam, der eine alte Frage neu Martin Grichting: aufwirft: Wie ist das richtige Verhältnis zwischen Religion und Politik, „Problematisches Ineinander zwischen Glauben und Rechtsstaat? Der katholische Kirchenrechtler Martin von Religion und Politik.“ Grichting leistet mit seinem Buch einen Beitrag zu einer Diskussion, die im welt- anschaulichen Pluralismus unserer Zeit wieder geführt werden muss. Von Rolf Höneisen Herr Grichting, immer lauter wird gesagt, ohne Religi- onen gäbe es weniger Krieg. Wie antworten Sie? Allein Stalinismus und Nationalsozialismus haben als Sie sagen, Säkularität sei ein religiöses Konzept. Das ist klingt „Anti-Religionen“ zusammen wohl mehr Kriegstote paradox. Der Säkularismus formt sich ja die Welt scheinbar ent- verursacht als alle anderen Kriege der Menschheit. Der spannt ohne Gott. Wie ist das zu verstehen? Mensch selbst hat leider die Neigung zur Gewalttätigkeit. Es ist das Proprium von Judentum und Christentum, dass Gefährlich sind deshalb alle Weltanschauungen und Ideo- es eine der Offenbarung durch Gott – durch die Propheten logien, die diesem Hang eine Legitimation geben. Leider und Jesus Christus – vorausgehende Schöpfungsordnung gibt es auch Religionen, die so etwas tun. Das Christen- gibt. Diese hat ihre Bedeutung vor der Offenbarung und tum zähle ich nicht dazu. behält sie auch danach. Es gibt also eine Ordnung der Natur, die bereits mit der Schöpfung gegeben ist und die Sie plädieren dafür, dass sich die Kirche auf ihren eigentlichen gut ist. Dazu gehört die Natur mit ihren Gesetzen, der Auftrag besinnt und sich aus der Politik zurückzieht. Ist eine sol- Mensch mit seiner Würde, der Staat, die Wirtschaft und che Kirche noch gesellschaftsrelevant? Ich sage, dass man bei „Kirche“ differenzieren muss. Sie ist Hierarchie (Papst, Bischof, Pfarrer) und Laien – getauft Beitrag zur Debatte um Religion und Staat und gefirmt. Letztere sind auch Kirche. Und sie sollen sich Ist eine Religionsgemeinschaft mit absoluten Glau- sehr wohl politisch einbringen. Es geht also nicht um eine benswahrheiten kompatibel mit dem säkularen „unpolitische“ Kirche, sondern um eine Aufgabenteilung. Rechtsstaat, der für einen Pluralismus der Anschau- ungen steht? Die Antwort auf diese Frage gewinnt Das heisst, Sie wollen keine politisierenden Hirten, sondern poli- mit Blick auf den Islam an Brisanz. Am Beispiel der tisch individuell agierende Christen. Aber ohne klare Signale der katholischen Kirche, auf der Grundlage des Zweiten Kirchenhierarchie wird die Basis individuell politisieren – allen- Vatikanischen Konzils (1962–1965), leistet Martin falls gegen ihren Willen … Grichting mit dieser Schrift einen aktuellen Beitrag. Durch Globalisierung und Digitalisierung nimmt die Die Aufgabe der Hierarchie ist es, den Glauben und die weltanschauliche Durchmischung von Positionen und Denkfiguren zu und damit zusammenhängenden Gebote zu lehren. Was de- polarisiert zunehmend. Wie kann eine Religionsgemeinschaft – in diesem ren Umsetzung in der Praxis angeht, gibt es sehr viele Falle die katholische Kirche – klar zum säkularen Rechtsstaat sowie zu den Fragen, die man als Christ so oder anders sehen kann. demokratischen Grundregeln stehen und gleichzeitig an ihren absoluten Glau- Ob es die SRG braucht oder nicht, steht nicht in der Bibel. benswahrheiten festhalten? Und was ist vom Einzelnen gefordert, der zugleich Aber es gibt natürlich schon Fragen, die sehr direkt mit Bürger und Christ ist? dem Glauben zusammenhängen. Dort sollen die Christen kohärent mit ihrem Glauben in der Politik wirken, etwa Martin Grichting: Im eigenen Namen, in eigener Verantwortung. Eine katholische Antwort in der Frage der Abtreibung. Gottes Geschöpfe darf man auf den Pluralismus. Verlag fontis 2018. ISBN 978-3-03848-143-0. nicht töten. Foto: zvg ideaSpektrum 14.2018
BRENNPUNK T 9 haben mittels Verträgen auch die Waldenser, die Baptisten Martin Grichting und die Lutheraner eine rechtliche Anerkennung ihrer Rechtspersonen erlangt. Das ist auch kein Privileg, son- Martin Grichting, geboren 1967 in Zürich, studierte Theologie in Fulda, München dern einfach Anerkennung ihrer vom Glaubensbekennt- und Rom. Nach der Priesterweihe im Jahr 1992 promovierte er 1996 in Rom in Kir- nis geprägten Struktur. chenrecht. 2006 wurde er in München im Fach Kirchenrecht habilitiert. Von 1998 bis 2006 arbeitete er als Pfarrer. Seit 2009 ist er Generalvikar des Bistums Chur. Sie plädieren auch für einen Kulturwechsel und sagen, die Kirche b www.bistum-chur.ch solle der Gesellschaft nicht mehr belehrend entgegentreten. Wie soll dieser Wechsel vor sich gehen, ohne die hierarchische Struk- tur zu verändern? Kultur. Diese Sichtweise ist die Voraussetzung dafür, dass Die Struktur muss sich nicht verändern. Sie ist sogar die es so etwas wie Säkularität gibt, auch den säkularen Staat, Voraussetzung dafür, dass es eine Rollenteilung geben welcher Teil der Schöpfungsordnung ist. Unsere Aufgabe kann, die mit der pluralistischen Demokratie kompati- als Christen ist es dann, diese von Gott geschaffene Wirk- bel ist: Die mit religiöser Autorität ausgestattete Leitung lichkeit mit christlichem Geist zu erfüllen. Das ist die Sen- der Kirche soll den Glauben unverkürzt verkünden. Es dung aller Christen. ist dann Aufgabe der Laien als Bürger, im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Gesellschaft und Politik dem Nach- achtung zu verschaffen, was ihrem Glauben entspricht. So ist die kirchliche Hierarchie nicht mehr ein belehrendes „Die Islam-Problematik gibt uns Gelegenheit, Gegenüber, was heute ja besonders schlecht ankommt. Sondern die Kirche ist mitten in der Gesellschaft und Po- über das problematische Ineinander von litik drin, durch den Laien, der allein und im Verbund mit anderen politisch aktiv ist, auf der Basis eines christlich Religion und Politik nachzudenken.“ gebildeten Gewissens. Wenn – wie Sie in Ihrem Buch schreiben – der „grundrechtsfun- Sie betonen die Trennung von Kirche und Staat gemäss dem dierte säkulare Staat die einzige Gewähr für ein friedliches Zu- Jesuswort, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Damit krat- sammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen ist“, zen Sie gleichzeitig am Anspruch der römisch-katholischen Kir- – dann frage ich mich, welche Rolle die Friedensbotschaft des che, Landeskirche mit ihren entsprechenden Privilegien zu sein. Christentums überhaupt noch spielt? Nehmen Sie das bewusst in Kauf? Der Gegensatz zum grundrechtsfundierten säkularen Wir werfen dem Islam vor, dass er Religion und Politik Staat ist ein religiöser Staat. Dieser hat – sei er katholisch vermischt. Der Vorwurf ist grundsätzlich berechtigt. Ich oder reformiert gewesen – immer Andersgläubige dis- frage mich allerdings, wie glaubwürdig er ist, wenn wir kriminiert. Die Folgen waren Vertreibung und Kriege. einerseits eine kirchliche Hierarchie haben, die sich mit ihrer religiösen Autorität in die Tagespolitik einmischt, und einen Staat, der die Kirche organisiert. Die Islam-Pro- blematik gibt uns Gelegenheit, über das problematische „Es ist unsere Aufgabe als Christen, Ineinander von Religion und Politik bei uns nachzuden- ken und nach besseren Lösungen zu suchen. die von Gott geschaffene Wirklichkeit mit christlichem Geist zu erfüllen.“ Trotzdem fordern Sie für die katholische Kirche nach wie vor Son- derrechte, die künftig auch von der islamischen Gemeinschaft eingefordert werden könnten. Anders als zum Beispiel Freikirchen Die Rolle des Christentums im säkularen Staat ist es, Vo- wollen Sie sich nicht mit dem Vereinsrecht begnügen. Warum raussetzungen zu schaffen, die dieser nicht garantieren nicht? kann. Dazu gehört auch die Friedensbotschaft des Chris- Die Struktur einer Religionsgemeinschaft ist – auch im tentums, die Nächstenliebe, das Leben nach den Geboten Falle der katholischen Kirche – Teil ihres Glaubensbe- Gottes. Die Institutionen des Staates können solche Vor- kenntnisses. Die katholische Kirche ist strukturell weder aussetzungen nicht hervorbringen. Deshalb braucht der eine Landeskirche noch ein Verein. Sie ist in Bistümer und Staat „vorpolitische“ Kräfte wie christliche Gemeinschaf- Pfarreien gegliedert. Was wir uns wünschen, ist, dass die- ten, die dafür besorgt sind. Wir haben auch im säkularen se Strukturen vom Staat Rechtspersönlichkeit erlangen. In Rechtsstaat als Christen mehr als genug zu tun! vielen andern Ländern ist das so. Die Kirche geniesst dort korporative Religionsfreiheit, zum Beispiel in Italien. Dort Vielen Dank für das Gespräch. ideaSpektrum 14.2018
10 BRENNPUNK T PODIUMSGESPRÄCH ZUM THEMA „RELIGION UND POLITIK“ IN CHUR Kirche zwischen Wahrheit und Mehrheit Es stimmt, was CVP-Präsident Gerhard Pfister sagte: Einen sol- chen Aufmarsch angesichts des Themas „Staat und Religion“ hätte es vor 15 Jahren nicht gegeben. Am 28. März war der Rittersaal im Churer Schloss voll. Blick-Chefredaktor Christian Dorer (43) moderierte ein Podium mit FDP-Präsidentin Petra Gössi (42), CVP-Präsident Gerhard Pfister (55), SVP-Nationalrat Gregor Rutz (45) und Generalvikar Martin Grichting (50). Das historische Ambiente passte zum Thema. Die Geschichte des Amtssitzes des Bischofs reicht zurück ins Jahr 1272. Und das 1732 eingebaute monumentale Treppenhaus mit der ver- spielten Decke sowie der Rittersaal zeugen von einer Zeit, in der Altar und Thron, Kirche und Staat, dasselbe waren. Der Bischof war bis zur Französischen Revolution auch Fürst und damit weltlicher Regent. „Eine ungesunde Gemeinschaft“, Christian Dorer (Moderation), Martin Grichting, Petra Gössi, Gerhard stellte der Kirchenrechtler Martin Grichting, Generalvikar des Pfister, Gregor Rutz: Soll die Kirche politisieren? Bistums Chur, fest. Dennoch ist er überzeugt, dass Aufklärung und Religion sich nicht ausschliessen. men. Man kann aus ihr aber nicht ableiten, ob man Steuern er- Wie ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat heute? „Wir höhen oder senken soll“, meinte Gerhard Pfister. Und: „Wenn haben vergessen zu begründen, wie eine religiöse Gemein- früher die Einheit zwischen Altar und Thron war, dann ist die schaft sich in einem Rechtsstaat verhält“, meint Grichting. Einheit heute zwischen Altar und Genosse.“ Die Kirche ma- Mit dem bei fontis erschienenen Buch „Im eigenen Namen, che sich überflüssig, wenn sie bloss die Positionen der Linken in eigener Verantwortung“ stellt er einen Vorschlag zur Dis- übernehme. Das sieht auch Gregor Rutz so. In der politischen kussion, den er auch für andere Kirchen für prüfenswert hält. Diskussion solle man über alles reden. Aber es sei manchmal Grichtings Ausgangsfrage lautet: Wie können Religionen in ei- unklar, in wessen Namen geredet werde. Die Vertreter der ner Demokratie friedlich zusammenleben? Ist eine Religions- staatskirchenrechtlichen Körperschaften würden manchmal gemeinschaft mit einem Anspruch auf absolute Wahrheiten regelrecht mit den Politikern verschmelzen. kompatibel mit dem säkularen Rechtsstaat, der für den Plu- Welches sind Bereiche, in denen die Kirche ihre Stimme erhe- ralismus der Anschauungen steht? Mitunter wegen der Islam- ben muss? „Das fängt beim Recht auf Leben an“, so Grichting. debatte bekommt auch die Frage nach der Trennung von Kir- Die Menschenwürde müsse in jeder Phase des Lebens ge- che und Staat wieder Brisanz. wahrt bleiben. Ja, die Kirche solle sich zu fundamentalen Für Grichting geht es darum, weniger auf die religiöse Institu- Fragen äussern, so CVP-Präsident Pfister. Dennoch müsse sie tion als vielmehr auf den einzelnen Gläubigen zu setzen. Sie Volksentscheide wie die Fristenlösung akzeptieren. SVP-Mann sollen in ihrem eigenen Namen in der Gesellschaft handeln. Rutz warf ein, dass die Kirche gegen die Ausschaffung eines Die kirchliche Hierarchie soll sich in der Tagespolitik zurückhal- Kosovaren gekämpft habe, obwohl es dabei um die Durchset- ten und auf ihren eigentlichen Auftrag besinnen. So muss sich zung der Rechtsordnung gegangen sei. Wenn es um Gerech- eine Religionsgemeinschaft, die sich ans geltende Recht hält, tigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung geht, müssen nicht dem Zeitgeist anpassen. Hingegen werden Ambitionen Kirchenleitungen abwägen, ob sie sich öffentlich einmischen auf einen Gottesstaat oder die Überordnung der religiösen wollen. Lehre über das weltliche Gesetz abgewehrt. Und der Islam? Unterstützen islamische Quellen den demokra- Auf dem Podium herrschte seltene Einheit. Für die Politiker tischen Verfassungsstaat? Während Gössi auf Integration und war völlig klar, dass die Kirche sich nicht in die Politik einmi- Rechtsordnung setzt, sieht Pfister ein Problem, wenn Ausnah- schen soll. Keiner widersprach; Reformierte und Linke fehlten. men im Namen der Religionsfreiheit gemacht werden. Rutz Petra Gössi erzählte, wie sie vom Pfarrer wegen eines neuen warnte, vor lauter Toleranz nicht die eigenen Prinzipien aufzu- Spitalkonzepts im Gottesdienst „abgekanzelt“ worden sei. geben. Dass dies auch eine Gefahr für die Kirche ist, bestätigte Foto: idea/Rolf Höneisen Abstimmungsempfehlungen von Kirchenseite, beispielsweise Martin Grichting. Im Bereich des Lebensrechts stehe sie unter zu Ladenöffnungszeiten, Energiestrategie, No Billag wurden enormem gesellschaftlichen Druck, um mehrheitsfähig zu unisono als nicht hilfreich bezeichnet. „Die Bibel setzt Nor- bleiben und keine Privilegien zu verlieren. (rh) ideaSpektrum 14.2018
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