GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENT-WICKLUNGSOPTIONEN IN REGIOPOLEN AM BEISPIEL ...

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GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG                    gis.Science 3 (2021) 69-85

Biota GmbH, Bützow; Universität Rostock

GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM
FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENT-
WICKLUNGSOPTIONEN IN REGIOPOLEN AM BEISPIEL DES
STADT-UMLAND-RAUMS ROSTOCK
Tim Hoffmann, Dietmar Mehl, Jannik Schilling, Siling Chen, Jens Tränckner, Matthias Hinz, Ralf Bill

Zusammenfassung: Der Beitrag befasst sich mit der Entwicklung eines GIS-basierten Entscheidungsunterstützungssystems (GIS-EUS)
zur Unterstützung von räumlichen Planungsprozessen in Stadt-Umland-Räumen auf der Maßstabsebene der Flächennutzungsplanung
nach BauGB. Das GIS-EUS soll einen Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit der Ressource Land ermöglichen und in praxis- und
anwendungsorientierter Form zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen beitragen. Neben den
hard- und softwaretechnischen und strukturellen Belangen wird auf drei fachliche Schwerpunkte eingegangen: (1) ein modelltech-
nisch umgesetzter Ökosystemleistungsansatz zur Bewertung der Veränderung von Flächennutzungen und damit zur Optimierung des
Ressourcenschutzes, (2) modelltechnisch umgesetzte Prüf- und Bewertungsroutinen zur Kapazitätsbewertung in den wasserwirtschaft-
lichen Feldern Trinkwasser, Abwasser sowie Hochwasserschutz sowie (3) ein modelltechnisch umgesetzter Prüf- und Auswertealgo-
rithmus zur optimalen räumlichen Positionierung von Wertstoffhöfen als Beitrag in der Kreislauf-/Abfallwirtschaft. Für ein konkretes
fiktives Beispiel der Flächennutzungsplanung werden die entwickelten Werkzeuge getestet.

Schlüsselwörter: GIS-gestütztes Entscheidungsunterstützungssystem, interkommunal, Stadt und Umland, räumliche Entwicklungsoptio-
nen, kommunale Flächennutzungsplanung, Ökosystemleistungen, Wasserwirtschaft, Kreislaufwirtschaft, Abfallwirtschaft

A GIS-BASED DECISION SUPPORT SYSTEM FOR THE PROSPECTIVE SYNERGISTIC
PLANNING OF DEVELOPMENT OPTIONS IN REGIONAL CENTRES USING THE
EXAMPLE OF ROSTOCK AND ITS PERI-URBAN AREA

Abstract: The article describes the development of a GIS-based decision support system (GIS-EUS) to support spatial planning pro-
cesses in urban-rural areas at the scale level of zoning planning according to the German Federal Building Code (BauGB). The
GIS-EUS is intended to contribute to the sustainable use of land as a resource and, in a practical and application-oriented form, also
enable the implementation of the United Nations Sustainable Development Goals. In addition to the hardware, software and struc-
tural concerns, three technical focal points are addressed: (1) a model-based ecosystem service approach for evaluating changes
in land use and thus optimising resource protection, (2) model-based testing and evaluation routines for capacity evaluation in the
water management fields of drinking water, wastewater and flood protection, and (3) a model-based testing and evaluation algo-
rithm for the optimal spatial positioning of recycling centres as a contribution to recycling/waste management. The developed tools
are tested for a concrete example of land use planning.

Keywords: GIS-based decision support system, inter-municipal, urban and peri-urban, spatial development options, municipal land
use planning, urban and peri-urban, ecosystem services, water management, system of recycling, waste management

                                                                                                                       gis.Science 3/2021   I 69
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GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENTWICKLUNGSOPTIONEN

         Autoren

         Dr. Tim Hoffmann                                  M. Sc. Jannik Schilling                        M. Sc. Matthias Hinz
         Dr. Dr. Dietmar Mehl                              Prof. Dr.-Ing. Jens Tränckner                  Prof. Dr.-Ing. Ralf Bill
         M. Sc. Siling Chen                                Universität Rostock                            Universität Rostock
         biota – Institut für ökologische Forschung und    Professur für Wasserwirtschaft                 Professur für Geodäsie und Geoinformatik
         Planung GmbH                                      Satower Straße 48                              Justus-von-Liebig-Weg 6
         Nebelring 15                                      D-18059 Rostock                                D-18059 Rostock
         D-18246 Bützow                                    E: jannik.schilling@uni-rostock.de            E: matthias.hinz2@uni-rostock.de
         E:	tim.hoffmann@institut-biota.de                   jens.traenckner@uni-rostock.de                 ralf.bill@uni-rostock.de
            dietmar.mehl@institut-biota.de
            siling.chen}@institut-biota.de

     1 EINLEITUNG UND MOTIVATION                          der ökonomischen Bewertung ab (z. B.             Einwohnern zugeordnet (Abbildung 1). Der
                                                          Marktpreis für Grund und Boden). Für das         Stadt-Umland-Raum Rostock ist der sozio­
     1.1 NOTWENDIGKEIT UND HERAUS-                       Gemeinwohl wichtige Funktionen und Leis-         ökonomische Kern der Regiopolregion
          FORDERUNGEN FÜR EINE SYSTEM-                    tungen der Ressourcen Land, Boden und            Rostock (www.regiopolregion-rostock.de)
          ­UND RAUMÜBERGREIFENDE                          Gewässer werden deshalb immer noch               und steht exemplarisch für Regiopolen des
           PLANUNG VON STADT-UMLAND-­                     vorrangig durch gesetzliche Normative im         Norddeutschen Tieflands mit charakteristi-
          RÄUMEN                                          Sinne von Verboten, Geboten, Grenzwer-           schen landschaftlich-naturräumlichen, wirt-
     Die sektorenübergreifende, integrale Ent-            ten und anderen Konventionen bestimmt            schaftlichen und sozio-demografischen Ver-
     wicklung von großen Städten und ihres                (z. B. WRRL, FFH-RL, BNatSchG, BBoden-           hältnissen. In naturräumlicher und land-
     Umlands ist zunehmend zur Kernfrage für              SchG, WHG, UVPG, ROG, BBauG). Dies               schaftlicher Sicht ist die Region Rostock
     die Zukunftsfähigkeit von Regionen gewor-            führt bei der Frage einer geplanten konkre-      bestimmt durch die glaziale Landschaftsge-
     den. Dies gilt umso mehr für Regiopolen,             ten Flächennutzung häufig zu sektoralen          nese und die postglaziale Entwicklung ein-
     welche außerhalb der großen Wirtschafts-             und räumlich begrenzten Prüfungen einzel-        schließlich der anthropogenen Landschafts-
     regionen mit eher agrarisch geprägtem                ner Landschaftsfunktionen und ihrer mögli-       veränderungen. Das wichtigste landschafts-
     Umland liegen. Gerade diese müssen zur               chen Beeinträchtigung, was eine konsisten-       prägende Talsystem bildet die Warnow mit
     Sicherung des Wirtschaftsstandorts attrakti-         te system- und raumübergreifende Planung         ihrem Talmoor, die in Rostock in das Unter-
     ve Bedingungen für Gewerbe und Lebens-               des Stadt-Umland-Raums erschwert.                warnow-Ästuar übergeht. Natürliche und
     qualität bieten und als Motor für wirtschaft-             Rechtlich bestimmend ist die Bauleitpla-    naturnahe Flächen (insbesondere Feuchtge-
     liche und sozioökonomische Entwicklung               nung entsprechend §§ 1 ff. BauGB und             biete und Niedermoore) sind im Regelfall
     weit in das Umland ausstrahlen. Gleichzei-           die parallele Landschaftsplanung gemäß           als geschützte Bio- und Geotope nach
     tig bieten diese Regionen vielfach aber              § 9 Absatz 1 BNatSchG. Als strategi-             BNatSchG bzw. NatSchAG M-V ausge-
     noch eine hohe Ausstattung mit naturnahen            schem Bauleitplan kommt dem Flächennut-          wiesen. Zudem besteht im Raum eine be-
     Kulturlandschaften, verbunden mit einem              zungsplan eine Schlüsselrolle zu (s. hierzu      deutsame NATURA-­2000-Gebietskulisse.
     hohen Maß an Ökosystemleistungen für                 ausführlich bei Mehl et al. 2021), wes-              Rostock und der umgebende Landkreis
     den Einzelnen und die Gesellschaft. Ein              halb hier der ebenfalls strategische Ansatz      weisen nach erheblichen Bevölkerungsver-
     konsequent wissensbasierter Ausgleich                des (unterstützenden) GIS-EUS erfolgen           lusten in den 1990er-Jahren inzwischen
     zwischen wirtschaftlich und sozioökono-              soll.                                            eine leichte aber stabile Zuwanderung mit
     misch bedingten Interessen und dem Erhalt                                                             räumlich differenzierten Gradienten auf.
     essenzieller Landschaftsfunktionen ist damit         1.2 U  NTERSUCHUNGSGEBIET UND                   Die begrenzte Verfügbarkeit von bezahlba-
     entscheidend für die Zukunftsfähigkeit sol-                KOOPERATIONSSTRUKTUREN:                    rem Wohnraum und Gewerbeflächen mit
     cher Regionen.                                             DER STADT-UMLAND-RAUM                      guter Verkehrsanbindung und bedarfsge-
         Im Zentrum steht dabei der möglichst                   ROSTOCK                                    rechter infrastruktureller Ausstattung wird
     sparsame Umgang mit der Ressource Land               Die o. g. Herausforderungen gelten auch          durch den regionalen Planungsverband als
     (§ 1 a Absatz 2 BauGB, Bock et al.                   für den raumordnerisch bestimmten Stadt-         Risikofaktor für das Wirtschaftswachstum
     2011). Die Abhängigkeit von Prozessen                Umland-Raum der Hanse- und Universitäts-         wahrgenommen. Insbesondere in Rostock
     räumlicher Entwicklung der Urbanisierung             stadt Rostock (EM M-V 2016). Administra-         wird die zunehmende bauliche Verdich-
     und verstärkt auch der Suburbanisierung ist          tiv sind der Stadt-Umland-Region die Han-        tung und Erschließung neuer Flächen zum
     dabei extrem hoch. Der Begriff „Land“ wird           se- und Universitätsstadt Rostock mit ca.        Problem für die Stadtnatur sowie die Ver-
     durch die Gesellschaft grundsätzlich nut-            210.000 Einwohnern sowie 18 Um-                  kehrs- und leitungsgebundene Infrastruktur.
     zungsbezogen interpretiert. Der Nutzen               land-Gemeinden mit starker räumlicher Ver-       Parallel werden in den Umlandgemeinden
     bzw. Wert bildet sich aber nur teilweise in          flechtung zur Kernstadt und ca. 50.000           zum Teil umfangreiche Gewerbeansiedlun-

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gis.Science 3 (2021) 69-85

Abbildung 1: Stadt-Umland-Raum Rostock

gen und Wohngebietsausweisungen vor-                 Auch die zentrale Rostocker Kläranlage    und bedienen sich verschiedener Betriebs-
angetrieben, mit entsprechendem Druck           liegt bereits deutlich über der ursprüngli-    führer. Effektive und nachhaltige Abfallwirt-
auf naturnahe und landwirtschaftlich ge-        chen Bemessungsgröße. In Verbindung mit        schaftskonzepte bedürfen einer verbesser-
nutzte Flächen, Ver- und Entsorgungsstruktu-    der ebenfalls hoch ausgelasteten Netzinf-      ten Kooperation. Mit den gesplitteten Ver-
ren und die Gewässersysteme.                    rastruktur und begrenzten Aufnahmekapa-        antwortlichkeiten geht auch eine entspre-
    Bis heute ist Rostock die einzige deut-     zität der Fließgewässer ergeben sich auch      chende heterogene Datenhaltung und
sche Stadt, welche ihr Trinkwasser direkt aus   wasserwirtschaftlich begründete Raumwi-        -verarbeitung einher.
der „fließenden Welle“ eines Flusses (War-      derstände, die kooperativ erarbeitete Ent-
now) entnimmt, verbunden mit erheblichem        wicklungskonzepte erfordern.                   1.3 KONKRETE ZIELSTELLUNGEN
technologischem       Aufbereitungsaufwand           Ebenso sind im Bereich der Abfall-/       Die o. g. Herausforderungen lassen sich nur
und einer grundsätzlich hohen Vulnerabilität    Kreislaufwirtschaft strategische Weichen-      durch eine wissensbasierte, regions- und ak-
dieser Ressource. Die großräumige Trink-        stellungen erforderlich, insbesondere zur      teursübergreifende Zusammenarbeit lösen.
wasserschutzzone wird gleichzeitig von ei-      Umsetzung gesetzlicher Anforderungen zur       Hierfür haben sich im vom BMBF geförder-
nigen betroffenen Gemeinden als Entwick-        flächendeckenden Erfassung und Verwer-         ten Projekt PROSPER-RO (Prospektive syner-
lungshindernis wahrgenommen. Entspre-           tung von Bioabfällen sowie für die Wert-       gistische Planung von Entwicklungsoptionen
chend existieren seit Jahren Überlegungen       stofferfassung und -nutzung. Aktuell agieren   in Regiopolen – am Beispiel des Stadt-Um-
zur Nutzung des nur begrenzt verfügbaren        die Aufgabenträger der Hansestadt Rostock      land-Raums Rostock) maßgebliche Verwal-
Grundwasserdargebots in der Region.             und des umgebenden Landkreises getrennt        tungseinheiten des Stadt- und des Landkrei-

                                                                                                                            gis.Science 3/2021   I 71
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     ses, wasserwirtschaftliche Aufgabenträger,      naler Planungsverband, Wasser-/Ab-              NA-Vorhabens „Umsetzung der Leitinitiative
     Forschungsgruppen der Universität Rostock       wasserzweckverband, Planer u. a.) ge-           Zukunftsstadt“ zur nachhaltigen Entwick-
     und privatwirtschaftliche Planungs-/For-        testet und weiterentwickelt. Langfristiges      lung urbaner Siedlungs- und Raumstrukturen
     schungseinrichtungen zusammengeschlos-          Ziel ist eine nachhaltige Nutzung und           an. Die hier zu untersuchenden prioritären
     sen. Ein entscheidendes Projektziel ist dabei   Weiterentwicklung auf der beschriebe-           Innovationsfelder (BMBF 2015) gelten
     die konsistente Zusammenführung, fachbe-        nen strategischen Planungsebene bei al-         grundsätzlich analog für die Kernstädte der
     zogene Aufbereitung und modellgestützte         len Beteiligten.                                Regiopolen, müssen aber auf die Strukturen
     Bewertung der verteilten Datenbestände in                                                       und Bedarfe des ländlichen Umlandes er-
     einem GIS-basierten Entscheidungsunterstüt-     2S  TAND DER FORSCHUNG                         weitert werden und die besonderen Anfor-
     zungssystem (GIS-EUS). Das System soll alle        UND TECHNIK                                  derungen zum Erhalt der wertvollen Kultur-
     planungsrelevanten Daten in einer einheitli-    Konzepte für ein nachhaltiges Land- und         und Naturlandschaften berücksichtigen.
     chen Geodatenstruktur verwalten, wichtige       Flächenmanagement werden insbesondere           Dies erfordert sowohl die Entwicklung an-
     topologische und funktionale Zusammen-          seit Veröffentlichung des Brundtlandt-Re-       gepasster oder sogar neuer Planungs- und
     hänge sachgerecht abbilden und die Aus-         ports seit mehreren Jahrzehnten entwickelt      Bewertungswerkzeuge als auch innovati-
     wirkung von Planungsalternativen durch ef-      und breit diskutiert (WCED 1987). Eine          ve, möglichst synergistische Systemlösun-
     fektive Bewertungsalgorithmen bewerten.         entscheidende Basis hierfür sind die Be-        gen, welche wiederum nur über einen Satz
     Schwerpunkt bilden hier fachliche Werk-         rücksichtigung und der Ausgleich verschie-      vergleichbarer Indikatoren für multiple Wir-
     zeuge in den drei Bereichen Ökosystemleis-      denster Akteure und Interessensvertreter        kungen gefunden werden können.
     tung/Flächennutzungsplanung,         Wasser-    („Stakeholder“), (Diller 2010, Schwilch et
     wirtschaft und Kreislaufwirtschaft. Da die      al. 2012). Hierfür wurden verschiedene          2.1 ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN
     Endnutzer des GIS-EUS in den Planungs-          methodische und wertvolle Konzepte entwi-       Das Konzept der Ökosystemleistungen hat
     und Verwaltungseinheiten häufig nicht über      ckelt, unter anderem auch im Rahmen der         in den 1980er-Jahren Einzug in den Main-
     vertiefte GIS-Kenntnisse verfügen, soll das     BMBF-Fördermaßnahmen „Perspektiven für          stream der Umweltökonomik gefunden und
     GIS-EUS webbasiert über eine nutzerfreund-      das Land. Dies betrifft innovative Systemlö-    wurde vor allem im englischsprachigen
     liche Oberfläche bedient werden können.         sungen für ein Nachhaltiges Landmanage-         Raum angewandt und methodisch weiter-
     Angesprochen wird entsprechend dem For-         ment“ (BMBF 2016), auf welche auch              entwickelt (Costanza et al. 1997, Daily
     schungskonzept nur ein regionaler Nutzer-       PROSPER-RO aufbauen kann. Diese fokus-          1997, Pearce et al. 2006, Freeman et al.
     kreis im oben genannten Sinne, der einen        sieren aber meist auf fachliche klar ab-        2014). Je nach zu bewertender Ökosys-
     Online-Zugang erhält. Gegen ein vollstän-       grenzbare Fragestellungen (Forst, Bioener-      temleistung (ÖSL) stehen verschiedene Be-
     dig offen verfügbares System spricht das        gie, Abwasser) oder Standortspezifika           wertungsmethoden zur Verfügung. Grund-
     notwendige Fachwissen, welches für die          (Moorstandorte). Angesichts der Komplexi-       sätzlich wird unterschieden zwischen markt-
     Nutzung eines solchen Systems unabding-         tät der Einflussgrößen und Wirkungen von        preisbasierten und kosten­     basier­
                                                                                                                                          ten Me­
     bar ist, um Fehlinterpretationen zu vermei-     Nutzungen erfordern möglichst ganzheitli-       thoden sowie Methoden, die direkt
     den.                                            che Lösungen System-, Akteurs- und Fach-        Zahlungs­ bereitschaften für ÖSL messen.
          Gerade im Bereich der Regionalpla-         disziplin-übergreifende Informationen und       Zur Bewertung von Ökosystemleistungen,
     nung ist ein einheitlicher Bewertungsmaß-       Auswertungen. National und international        die nicht auf Märkten gehandelt werden,
     stab der Ressource Land erforderlich. Des-      wurden in den letzten Jahren zahlreiche in-     werden seit ca. 20 Jahren „Stated preferen-
     halb sollen in PROSPER-RO die nicht han-        teressante GIS-basierte Lösungen entwi-         ces“ Methoden genutzt (Bateman et al.
     delbaren Funktionen der Ressourcen Land         ckelt, welche z. T. auch für PROSPER-RO         2002). Nach anfänglicher Kritik im Hin-
     und Gewässer für das Gemeinwohl über            nutzbar sind (Azuara et al. 2017, Grêt-Re-      blick auf die Validität dieser umfragebasier-
     das Konzept der Ökosystemleistungen er-         gamey et al. 2017, Hemidat et al. 2017,         ten Methoden mit hypothetischen Entschei-
     fasst und bewertet werden. Auch eine mo-        Hiloidhari et al. 2017, Karimi et al. 2017,     dungen (Diamond & Hausman,1994) sind
     netäre Bewertung ist vorgesehen und könn-       Wuestemann et al. 2017). Auch im Rah-           die Methoden mittlerweile weiterentwickelt
     te den zuvor erläuterten Widerspruch zu         men von BMBF-Vorhaben wurden bereits            worden und lassen bei richtiger Anwen-
     den marktwirtschaftlich bewerteten Nut-         GIS-Algorithmen entwickelt, deren Nutz-         dung valide Ergebnisse erwarten (Johnston
     zungsaspekten auflösen helfen. Dies erfor-      barkeit für die weitere Bearbeitung gezielt     & Duke 2009, Haab et al. 2013). Der
     dert die Entwicklung und Kalibrierung ent-      zu prüfen ist (z. B. „Regioprojektcheck“,       Ökosystemleistungsansatz wird inzwischen
     sprechender Bewertungsalgorithmen, wel-         „Null-Emissions-Gemeinden“). Wertvolle          auch in Deutschland in verschiedenen Pro-
     che konsequent an die Informationen des         Planungsinstrumente und beispielhafte Lö-       jekten, insbesondere mit Bezug auf die
     GIS-EUS gekoppelt werden.                       sungen wurden auch durch das REFI-              Wasserwirtschaft (z. B. BMBF-Projekte RESI,
          Das GIS-EUS mit dem eingebetteten          NA-Vorhaben (Bock et al. 2011) erarbei-         FLUSSHYGIENE, InStröhmung, KOGGE)
     Bewertungsansatz für maßgebliche Öko­           tet, u. a. ein indikatorbasierter Bewertungs-   sowie Landmanagement (Weller et al.
     systemleistungen und den Planungswerk-          rahmen für strategische Standortplanung         2014, Hirschfeld et al. 2017, Sagebiel et
     zeugen wird nun nach der dreijährigen           (Kötter et al. 2009) und Fernerkundungs-        al. 2017) genutzt.
     Erforschungs- und Entwicklungsphase in          verfahren zur teilautomatisierten Erfassung         Teilweise wurden auch landnutzungs-
     einer zweijährigen Umsetzungsphase bei          der Flächennutzung. Parallel laufen gerade      bedingte Stoffflüsse (z. B. Nahrungsmittel,
     den Praxispartnern (Umweltämter, Regio-         Forschungsarbeiten im Rahmen des FO-            Biomasse, Schadstoffe) quantifiziert und

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GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENT-WICKLUNGSOPTIONEN IN REGIOPOLEN AM BEISPIEL ...
gis.Science 3 (2021) 69-85

ökonomisch bewertet (Hirschfeld et al.           SDSS in der Regel aus fünf Komponenten,          und freien Nutzung maschinenlesbar zu
2017). Auch das TEEB-Projekt hat diese           darunter ein Geoinformationssystem, eine         veröffentlichen. In Deutschland gibt es mit
Stoffflüsse breit diskutiert und Bewertungs-     Modellmanagementkomponente, eine Dia-            der Geodatennutzungsverordnung Geo-
ansätze zusammengetragen (TEEB 2010,             logmanagementkomponente, eine Wissens-           NutzV sowie mit § 11 des Geodatenzu-
2016a, b).                                       managementkomponente (einschließlich ei-         gangsgesetzes GeoZG Regelungen für
    Eine wichtige Dimension der ökonomi-         ner Wissensdatenbank und einer Inferenz-         Geodaten des Bundes. Auf Ebene der Bun-
schen Bewertung ist der Raum. Werte vari-        maschine) und eine Stakeholder-Komponente        desländer ist der Zugang zu Geodaten je-
ieren räumlich aufgrund verschiedener Fak-       (einschließlich Methoden und Werkzeugen,         doch unterschiedlich geregelt. Während
toren, wie geologischen oder hydrologi-          die die Beteiligung von und die Kommunika-       u. a. die Bundesländer Baden-Württem-
schen Gegebenheiten, Status quo der              tion zwischen verschiedenen Akteuren unter-      berg, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nie-
Ausstattung an ÖSL oder auch administrati-       stützen).                                        dersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein-
ven Grenzen, Abstand zur bewerteten ÖSL               Ein entscheidender und anspruchsvoller      land-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
oder der Anzahl von Substituten (Brouwer         Schritt zur Lösung eines räumlichen Ent-         Thüringen bereits ähnlich freizügige Geset-
et al. 2010, Sagebiel et al. 2017). Diese        scheidungsproblems ist daher die Entwick-        ze erließen und umsetzten, stellen andere
Einflussgrößen müssen bei der räumlich dif-      lung eines mathematischen Modells, das           Bundesländer bislang nur vereinzelte Geo-
ferenzierten Bewertung von ÖSL und der           die Kriterien des Problems in Form von Be-       daten zur freien Nutzung bereit. Gegen-
Aggregation von ökonomischen Werten              schränkungen und potenziell konkurrieren-        wärtig müssen hochauflösende Geobasis-
berücksichtigt werden. Die Einbeziehung          den Zielen formalisiert. Ein weiterer Schritt    daten wie ALKIS, DGMs und Gebäudemo-
der räumlichen und zeitlichen Dimension          ist die Berechnung eines optimalen Kom-          delle in Mecklenburg-Vorpommern bis auf
für die Analyse und ökonomische Bewer-           promisses zwischen diesen Zielen unter Be-       Ausnahmeregelungen für Forschungszwe-
tung von Daten wurde bisher nur teilweise        rücksichtigung der Randbedingungen des           cke i. d. R. käuflich erworben werden. Öf-
systematisch verfolgt. Konsequent raumbe-        Problems. Darüber hinaus wird die räumli-        fentlich verfügbar, jedoch nutzungsbe-
zogen und mit einheitlichem Zeitschritt bei      che Entscheidungsfindung in der Regel als        schränkt, sind in Mecklenburg-Vorpommern
ÖSL-Fragestellungen des Gewässer- und            ein iterativer Prozess betrachtet, z. B. da      u. a. Digitale Orthophotos als Webservice
Auenschutzes agierten aber z. B. Mehl et         eine Bewertung der Lösung die Notwen-            (DOP 20). Mit ORKa.MV (https://www.
al. (2018) oder Podschun et al. (2018).          digkeit einer Überarbeitung des Modells          orka-mv.de/) stellen die Landkreise und
Aktuell gibt es auf nationaler und europäi-      aufzeigen kann.                                  kreisfreien Städte in Mecklenburg-Vorpom-
scher Ebene Bemühungen zur Vereinheitli-              Die Arten von Entscheidungsproble-          mern auch eine offene Regionalkarte auf
chung und Weiterentwicklung entsprechen-         men, die mit SDSS adressiert werden, be-         Basis von Katasterdaten und OpenStreet-
der Methoden, wozu PROSPER-RO einen              inhalten die Standortzuweisung von Res-          Map-Daten bereit.
wissenschaftlichen Beitrag leisten kann.         sourcen (z. B. eine Entscheidung über die            Das Projekt OpenGeoEdu hat bislang
                                                 Zuteilung von Land zur Realisierung eines        etwa 100 kommunale Datenportale in
2.2 R  ÄUMLICHE ENTSCHEIDUNGS­                  Bauprojekts), Netzwerkrouting und Erreich-       Deutschland erfasst (https://portal.open-
      UNTERSTÜTZUNGSSYSTEME                      barkeit (z. B. der beste Pfad von A nach B       geoedu.de/), die neben Bund und Län-
Räumliche Entscheidungsunterstützungssys-        oder Versorgungsgebiete), Entscheidungen         dern zumindest teilweise offene Daten
teme (SDSS) können Raumplanern helfen,           über den Zustand von Ressourcen (z. B.           oder Geodaten veröffentlichen. Dazu ge-
Situationsanalysen durchzuführen und an-         eine Entscheidung über den Zeitpunkt der         hört auch das Open Data Portal der Han-
gemessene Entscheidungen zu treffen.             Ernte eines Felds) und politische Entschei-      sestadt Rostock OpenData.HRO (https://
SDSS sind definiert als „interaktive compu-      dungen (z. B. eine Entscheidung über Sub-        www.opendata-hro.de/) als eine relevan-
tergestützte Systeme, die einen Benutzer         ventionen zur Förderung von Windenergie)         te Datenquelle für das GIS-EUS.
oder eine Gruppe von Benutzern bei der           (Keenan & Jankowski 2018).
Erreichung einer höheren Effektivität der                                                         2.3.2 GEODATEN IN PROSPER-RO
Entscheidungsfindung während der Lösung          2.3 GEODATENLAGE                                 Die Basisdaten des GIS-EUS wurden teil-
eines halbstrukturierten räumlichen Entschei-                                                     weise für PROSPER-RO neu erhoben, teil-
dungsproblems unterstützen sollen“ (Malc-        2.3.1 RAHMENBEDINGUNGEN                         weise aus vorhandenen Datensätzen ab-
zewski 1999). In diesem Zusammenhang                    INSPIRE UND OPEN DATA                     geleitet. Neben den vorher genannten of-
ist ein „semi-strukturiertes“ Problem ein Pro-   Der Zugang zu qualitativ hochwertigen            fenen Geodaten, z. B. aus OpenStreetMap
blem, dessen Kriterien nicht a priori gut de-    Geodaten, deren Austausch und Nutzungs-          und OpenData.HRO, sind dies Geobasis-
finiert sind, z. B. aufgrund mangelnden          potenzial werden durch den Trend zu              daten des Landes Mecklenburg-Vorpom-
Wissens oder weil verschiedene Beteiligte        Open Data und die Umsetzung der INSPI-           mern sowie Daten der Projektpartner und
unterschiedliche Ziele haben. SDSS kombi-        RE-Direktive zur Schaffung einer europäi-        mittels fachlicher Auswertungen selbst er-
nieren räumliche und nichträumliche Daten        schen Geodateninfrastruktur stetig verbes-       stellte Daten. Die Aufbereitung der Geoda-
sowie die Analyse- und Visualisierungsfunk-      sert. Mit einer Frist zum 17. Juli 2021 hat      ten erfolgte hauptsächlich mit dem Open-
tionen von GIS und Entscheidungsmodellen         die    Novellierung      der    PSI-Richtlinie   Source-GIS „QGIS“ (QGIS 2021). Zusätz-
in bestimmten Domänen (Crossland 2008,           2019/1024 (EU 2019) europaweit den               lich wurden für das EUS zentrale Datensätze
Keenan & Jankowski 2018). Nach Sugu-             Druck auf öffentliche Verwaltungen erhöht,       vorprozessiert.
maran & DeGroote (2011) besteht ein              hochwertige Geodaten zur kostenlosen             Die Datenbasis umfasst:

                                                                                                                              gis.Science 3/2021   I 73
GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENT-WICKLUNGSOPTIONEN IN REGIOPOLEN AM BEISPIEL ...
GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENTWICKLUNGSOPTIONEN

     X Realnutzungskartierung inkl. Flächen-            che, die Auswirkungen von geplanten oder         Menü können Orthophotos oder Grundla-
       versiegelung,                                    szenarienhaft entworfenen Landnutzungs-          genkarten der Fachbereiche Wasserwirt-
     X Digitales Geländemodell (DGM),                   änderungen auf Infrastrukturen und Ökosys-       schaft, Abfallwirtschaft und Ökosystemleis-
     X Flächennutzungspläne (F-Pläne) mit Flä-          temfunktionen sowie -leistungen auf der          tungen als zusätzliche Layer hinzugefügt
       chenkategorien nach PlanZV,                      Raum- und Maßstabsebene von Flächen-             werden. Über interaktive Schaltflächen
     X Digitales Gewässer- und Feuchtgebiets-           nutzungsplänen (F-Plänen) abzuschätzen.          rechts der Karte kann der Nutzer Planob-
       kataster (Chen et al. 2021),                     Die räumliche Differenzierung ergibt sich        jekte einzeichnen, ihre Geometrien bear-
     X Wasserrechtliche Erlaubnisse / Einleit-          auf Basis der planerisch zugeordneten Flä-       beiten bzw. Geometrien per Upload von
       genehmigungen,                                   chennutzungskategorien nach PlanZV.              Shapefiles in einer Zip-Datei in die Karte
     X Abwasserinfrastruktur, Schmutzwasser-                 Zu diesem Zweck wurde das GIS-EUS           einfügen. In den darunterliegenden Drop-
       aufkommen (Mehl & Hoffmann 2017,                 als Webanwendung entwickelt (Abschnitte          down-Menüs werden die vorgesehene Flä-
       Schilling & Tränckner 2020),                     3.1 und 3.2). Diese ermöglicht autorisierten     chennutzung sowie ggf. Maßnahmen und
     X Hydrologisch-hydraulische     Modelle            Nutzern eingegebene Flächeninformationen         Details zur Flächengestaltung (z. B. Dach-
       (Kachholz & Tränckner 2020),                     und vorprozessierte Geodaten (Ab-                begrünung, Baum-Rigolen etc.) als Attribu-
     X Trinkwasserschutzzonen und weitere               schnitt 2.3) durch eigens entwickelte Bewer-     te hinzugefügt. Die gewünschten Auswer-
       Schutzgebiete,                                   tungsfunktionen zu verarbeiten, welche den       tungsfunktionen werden durch Auswahl der
     X Lage und Ausstattung von Recyclinghö-            Themenbereichen         Ökosystemleistungen,     entsprechenden Checkboxen aktiviert.
       fen (Vettermann et al. 2020, 2021),              Wasserwirtschaft und Abfallwirtschaft zuge-          Nach dem Ausführen der Bewertungs-
     X Verkehrsnetz,                                    ordnet werden können. Auf Basis dieser Be-       routinen öffnet sich die Ergebnisansicht als
     X Abfallaufkommen und Abfallpotenziale             wertungsfunktionen und der zugrunde lie-         neues Browserfenster. Die einzelnen Ergeb-
       (Vettermann et al. 2020, 2021),                  genden methodischen Ansätze (Ab-                 nisdaten lassen sich für die lokale Weiter-
     X Versorgende, regulative und kulturelle           schnitt 3.3) können Erkenntnisse gewonnen        verarbeitung exportieren. Sie werden zu-
       Ökosystemleistungen (Mehl et al.                 werden, die planerische Entscheidungen un-       dem über eine eindeutige Session-ID auf
       2021).                                           terstützen und im Beitrag anhand fiktiver Sze-   dem Server zwischengespeichert, sodass
                                                        narien verdeutlicht werden (Abschnitt 3.4).      die Berechnung beim nächsten Aufruf noch
     3G IS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGS-                                                                     zur Verfügung steht.
       UNTERSTÜTZUNGSSYSTEM                             3.1 BENUTZEROBERFLÄCHE                               Die Benutzeroberfläche wurde unter
     Das GIS-EUS ermöglicht es Planern und              In der Startansicht des GIS-EUS (siehe Ab-       Berücksichtigung der Ansprüche zukünfti-
     Entscheidungsträgern der regionalen Ver-           bildung 2) ist der Projektraum als topogra-      ger Nutzer in Abstimmung mit der Umwelt-
     waltung und der Ver- und Entsorgungsbran-          phische Karte dargestellt. Im linksseitigen      verwaltung der Hanse- und Universitäts-

     Abbildung 2: Startansicht des GIS-EUS mit zentraler Web-GIS-Oberfläche

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Abbildung 3: Grundsätzlicher Aufbau des GIS-EUS

stadt und des Landkreises Rostock entwor-         dung aus Leaflet und proj4js (proj4js           2021); GeoDjango unterstützt zudem die
fen und umgesetzt und wird in der weiteren        2021) ermöglicht Darstellungen nach             Verwaltung und Verarbeitung räumlicher
Projektphase optimiert. Im bisherigen Ent-        ETRS89/UTM Zone 33N (EPSG:25833),               Daten mit der PostgreSQL-Erweiterung Post-
wicklungsprozess wurden neue Funktionen           dem offiziellen Koordinatenreferenzsystem       GIS. Die Python-Serveranwendung und zu-
regelmäßig allen Beteiligten zum Testen auf       u. a. von Mecklenburg-Vorpommern für            gehörige Dateien sind in einen Do-
einem Demo-Server bereitgestellt und in           großmaßstäbige konforme Kartenabbildun-         cker-Container eingebettet. Dieser isoliert
Meetings sowie in schriftlicher Korrespon-        gen. Die JavaScript-Bibliotheken DataTab-       einerseits den Anwendungsserver von an-
denz diskutiert, wodurch die Entwickler           les (SpryMedia Ltd 2021), Chart.js (CjC         deren Systemkomponenten und trägt somit
konstantes Feedback erhielten.                    2021) und plot.ly (Plotly Inc. 2021) gestat-    zur IT-Sicherheit bei. Andererseits kann mit
                                                  ten moderne, teils interaktive Visualisierun-   Docker und Docker-Compose die Laufzeit­
3.2 TECHNISCHE UMGEBUNG                           gen von Daten als Tabellen und Diagram-         umgebung, bestehend aus vielen unterein-
Das GIS-EUS ist als Client-Server-System          me.                                             ander abhängigen Python-Bibliotheken,
aufgebaut. Wie in Abbildung 3 erkennbar,              Als Teil der Logikschicht werden die        verwaltet durch pip und conda, leichter re-
liegt dem System eine Dreischichtenarchi-         Aufgaben Authentifizierung, Geoprozessie-       produziert oder neu erstellt werden. Durch
tektur zugrunde mit aufeinander aufbauen-         rung und Datenhaltung auf dem Server            ein Git-Repository werden die Versionsver-
den, technisch unabhängigen Datenhal-             durchgeführt. Die Implementierung dieser        waltung, externe Back-ups und kollaborati-
tungs-, Logik- und Präsentationsschichten.        Logik basiert auf der Programmiersprache        ve Weiterentwicklung des EUS ermöglicht.
Die Funktionen des EUS sind für den An-           Python (PSF 2020) und dem Web-Frame-                Neben der Python-Anwendung existiert
wender direkt im eigenen Webbrowser               work Django (DSF 2020) mit der Erweite-         serverseitig auch eine Instanz der Open-Sour-
(Client/Präsentationsschicht) nutzbar.            rung GeoDjango. Mit dynamischen HT-             ce-Software Geoserver (OSGEO 2020),
    Das allgemeine Layout der Webseiten           ML-Templates und einer Vielzahl wiederver-      welche der Verwaltung der projekteigenen
basiert auf CSS und den JavaScript-Biblio-        wendbarer      Website-Bausteine       bildet   Geobasis- und Geofachdaten dient und ab-
theken Bootstrap (Otto et al. 2020) und           Django das Bindeglied zwischen serversei-       geleitete Webkarten als OGC-konforme
JQuery (OJF 2021). Zur Visualisierung von         tiger Prozessierung (PostGIS, Python) und       Web Map Services (WMS) und Web Fea-
Geodaten und zum Einbinden von                    der browserbasierten Nutzungsoberfläche.        ture Services (WFS) bereitstellt. Diese wer-
WMS-Services wurde die JavaScript-Biblio-         Django unterstützt den Zugriff auf diverse      den clientseitig in das EUS eingebunden
thek Leaflet (Agafonkin 2020) mit verschie-       Datenbanken, hier PostgreSQL (The Post-         und können in verschiedenen Webkar-
denen Erweiterungen benutzt. Die Verbin-          greSQL Global Development Group                 ten-Ansichten interaktiv aus- und eingeblen-

                                                                                                                               gis.Science 3/2021   I 75
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     det werden. Vereinzelt sind im EUS auch ex-           der Geodaten und GeoServer zur zentra-                Mehl et al. (2021) erläutert. Im Programm
     terne WMS-Dienste eingebunden, wie z. B.              len Datenhaltung für das EUS.                         wird jeweils die Veränderung einer ÖSL
     die Offene Regionalkarte Mecklenburg-Vor-                                                                   des vorgegebenen Planzustands im Ver-
     pommern (ORKa.MV) als Grundkarte. Die                 3.3 AUSWERTUNGSFUNKTIONEN                             gleich zum nach Mehl et al. (2021) vorpro-
     Geoserver-Instanz und die Python-Anwen-               Die durch den Nutzer eingegebenen Flä-                zessierten Istzustand (Abbildung 4) auf Ras-
     dung greifen teilweise auf dieselben Kom-             cheninformationen werden für das Geo-                 terbasis mit einer Auflösung von 10 x 10 m
     ponenten aus der Datenhaltungsschicht zu,             processing an den Server übergeben. Die               bewertet. Die relevanten Indikatoren, Ana-
     insbesondere auf eine gemeinsame Post-                in Python implementierten Auswertungsfunk-            lyse-/Klassifizierungsmethoden bzw. Mo-
     greSQL DBMS-Instanz.                                  tionen nutzen als Basisbibliotheken Geo-              dellkonzepte und diesbezügliche Daten-
         Für den projektinternen Datenaustausch            Pandas (Jordahl et al. 2020), Georasters              grundlagen für die Analyse und Bewer-
     wurde eine webbasierte Geodateninfra-                 (Özak 2020), Rasterio (Mapbox 2018),                  tung der einzelnen Ökosystemleistungen
     struktur (GDI) aufgebaut (Koldrack et al.             Rasterstats (Rasterstats 2021) und Shapely            (s. u.) sind bei Mehl et al. (2021) im Über-
     2016, 2017), in der Metadaten, Geoda-                 (Adair et al. 2021).                                  blick dargestellt. Alle ÖSL werden qualita-
     ten, Dienste und Zugriffsregelungen organi-               Bislang sind in das GIS-EUS Auswer-               tiv mithilfe einer ordinalen 6-stufigen Skala
     siert werden und die auf die Konformität              tungsfunktionen für die Bewertung der Ver-            bewertet (s. hierzu Mehl et al. 2021).
     von OGC-Diensten, ISO-Normen und IN­                  änderung von Ökosystemleistungen sowie                Klasse 0 entspricht einer „äußerst gerin-
     SPIRE setzt. Diese nutzt CKAN (CKAN                   für die Fachbereiche Wasserwirtschaft und             gen/fehlenden“ und Klasse 5 einer „sehr
     2021), eine offene webbasierte Datenka-               Kreislaufwirtschaft integriert.                       hohen“ Leistung. Für eine Reihe von ÖSL
     talog-Software, sowie GeoNetwork als                                                                        steht zudem eine monetäre Bewertung der
     serverseitige    Metainformationssoftware,            3.3.1 ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN (ÖSL)                       Veränderung zur Verfügung, z. B. für die
     eine PostgreSQL-Datenbank mit verteilten              Die gewählten Ansätze bei der Auswer-                 Landschaftsästhetik über eine Präferenz­
     Zugriffsrechten zum Speichern und Abrufen             tung von Ökosystemleistungen werden bei               analyse.

     Abbildung 4: Potenzialdarstellungen einer Auswahl von vorprozessierten Ökosystemleistungen (Bereitstellung von Trinkwasser, l. o., Hochwasserregulation, r. o.,
     Landschaftsästhetik, l. u., Kühlwirkung, r. u.)

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GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENT-WICKLUNGSOPTIONEN IN REGIOPOLEN AM BEISPIEL ...
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Abbildung 5: Fiktives Planszenario in der Gemeinde Dummerstorf mit der Ausweisung von Gewerbe- (G), Wohn- (W) und Waldflächen (WLD)

    Die methodischen Grundlagen finden               • Bereitstellung von Trinkwasser              von Planungsentscheidungen in einer der
sich bei Mehl et al. (2018) sowie Pod-               • Bereitstellung von Brauch- und Pro-         folgenden Sachgebiete verdeutlichen.
schun et al. (2018); inhaltlich entspricht             zesswasser
dies grundsätzlich der in Leitfäden der Euro-                                                      Schmutzwasser
päischen Union angewendeten 6-stufigen           X Regulative ÖSL                                  Für Planflächen im EUS wird entsprechend
Skala von Burkhard & Maes (2017). Das              • Hochwasserregulation                          ihrer Nutzungsart ein zu erwartendes, mitt-
Maximum an Ökosystemleistung (100 %                • Niedrigwasserregulation                       leres tägliches Schmutzwasseraufkommen
Leistung) wird nach dem gewählten Ansatz           • Nähr- und Schadstoffregulation                berechnet. Dieses wird an das nächstgele-
unter der Maßgabe abgeleitet (berechnet            • Wasserrückhaltevermögen                       gene Abwassernetz übergeben. Ein Rou-
oder abgeschätzt), dass es sich um die im          • Bodenrückhalt                                 ting-Algorithmus ermittelt den Fließweg im
gesamten Untersuchungsraum des Stadt-              • Retention von organischem Kohlen-             vorhandenen Abwassernetz von der Plan-
Umland-Raums beste Ausprägung handelt                 stoff (Humusbildung)                         fläche bis zur Kläranlage. Über eine ein-
(vgl. Hartsch & Sandner, 1991).                    • Retention von Stickstoff (Denitrifizie-       deutige Identifikationsnummer der Kanali-
    Die Berechnung der Leistungen für ein-            rung)                                        sationsabschnitte können die entlang des
zelne Plan-Flächen basiert derzeit noch auf        • Rückhalt von Treibhausgasen                   Fließwegs passierten Pumpwerke ermittelt
einer initialen Experteneinschätzung. Aktu-        • Kühlwirkung (Gewässer und Böden)              und deren Auslastung bewertet werden
ell werden diese Beurteilungen anhand der          • Habitatbereitstellung                         (Schilling & Tranckner 2020).
vorprozessierten ÖSL und digitaler F-Pläne
des Untersuchungsraums kalibriert. Be-           X Kulturelle ÖSL                                  Trinkwasserbedarf
trachtet werden aktuell die folgenden ÖSL          • Landschaftsästhetik                           Analog zum Schmutzwasseraufkommen
(vgl. Mehl et al. 2021):                           • Erholung und Tourismus                        lässt sich die künftige Trinkwasserversor-
                                                   • Bildung und Wissenschaft                      gung in einem Planungsszenario bewerten.
X Versorgende ÖSL                                                                                  Der berechnete Trinkwasserbedarf ist ab-
  • Pflanzliche Rohstoffe für Verarbei-          3.3.2 WASSERWIRTSCHAFT                            hängig von der Flächengröße und Nut-
     tung, pflanzliche Energierohstoffe          Das GIS-EUS stellt mehrere voneinander            zungsart. Anhand des Trinkwassernetzes
     aus Landwirtschaft, Kurzumtriebs-           unabhängige Auswertungsfunktionen aus             werden jedem Wasserwerk Versorgungs-
     plantagen, Holzwirtschaft, Bereit-          dem Bereich Wasserwirtschaft zur Verfü-           gebiete zugewiesen. Für jede Planfläche
     stellung von Kulturpflanzen                 gung, welche jeweils die Auswirkungen             kann so abgeschätzt werden, ob die Ver-

                                                                                                                                 gis.Science 3/2021   I 77
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GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENTWICKLUNGSOPTIONEN

     Abbildung 6: Ergebnisansicht Ökosystemleistungen

     sorgungskapazität eines Wasserwerks aus-           werden. Diese zusätzliche Wassermenge           3.3.3 ABFALLWIRTSCHAFT
     reicht, um die zukünftig benötigte Trinkwas-       wird anhand der Gewässereinzugsgebiete          Das GIS-EUS kann anhand der Lage von
     sermenge bereitzustellen.                          einem Gewässerabschnitt zugeordnet. Op-         Wertstoffhöfen und mithilfe von Infrastruktur-
                                                        tional lassen sich auch Einleitpunkt und er-    und Bevölkerungsdaten nachfolgend be-
     Regenwasser                                        wartete Einleitmenge manuell eingeben.          schriebene Informationen über deren Er-
     Die Neuerschließung von Gewerbe- und               Nun wird entlang des Fließwegs geprüft,         reichbarkeit und Abfallaufkommen gewin-
     Bauflächen geht mit einer Zunahme der Flä-         ob die freie Abflusskapazität (= Durchfluss,    nen. Planer haben außerdem die
     chenversiegelung einher. In der Folge neh-         den das Querprofil bei Maximaldurchfluss        Möglichkeit, im GIS-EUS neue Wertstoffhö-
     men Oberflächenabflüsse nach Nieder-               noch zusätzlich aufnehmen könnte) aller         fe zu setzen, die daraus resultierende La-
     schlagsereignissen zu. Aufbauend auf hy-           Gewässerabschnitte unterhalb ausreicht,         gesituation zu bestimmen und sie mit dem
     draulisch-hydrologischen Modellen (Kach­           um die Wassermenge aufzunehmen.                 vorangegangenen Zustand zu vergleichen.
     holz et al. 2020) wird im GIS-EUS das
     durch eine Planfläche veränderte Abfluss-          Überschneidung mit Trinkwasserschutz­           Erreichbarkeit und Abfallaufkommen von
     geschehen abgebildet, um bereits in frühen         zonen                                           Wertstoffhöfen
     Planungsstadien auf notwendiges Regen-             Oberflächen- oder Grundwasserressourcen         Im Projektgebiet befinden sich 14 Recy-
     wassermanagement hinzuweisen. Für ein              werden durch ausgewiesene Trinkwasser-          cling- bzw. Wertstoffhöfe, die durch die
     durch den Nutzer ausgewähltes Nieder-              schutzzonen vor qualitativen und quantitati-    Stadtentsorgung Rostock GmbH (im Auf-
     schlagsereignis berechnet der Algorithmus          ven Beeinträchtigungen geschützt. Zu die-       trag der Hansestadt Rostock, zuständig für
     den Spitzenabflussbeiwert einer Planflä-           sem Zweck sind Einschränkungen bzw. Auf-        das Stadtgebiet, vier Recyclinghöfe) und
     che. Das Produkt aus Spitzenabflussbei-            lagen für die Landnutzung innerhalb der         den Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Landkreis
     wert und maximaler Regenspende ergibt              Schutzgebiete nötig. Im GIS-EUS wird daher      Rostock (zehn Wertstoffhöfe) bewirtschaftet
     die zusätzliche Abflussspende im Planzu-           durch Überschneidungsabfragen geprüft, ob       werden. Die Lage der Wertstoffhöfe ist als
     stand. Aus der Differenz zwischen der künf-        sich eine der Planflächen innerhalb einer       Punktdaten erfasst. Anhand des auf
     tigen und der bisherigen Abflussspende             oder mehrerer Schutzzonen befindet. Ist dies    OpenStreetMap-Daten basierenden Ver-
     kann die Veränderung des Oberflächenab-            der Fall, wird in der Ergebnisanzeige der An-   kehrsnetzes des Projektraums werden Er-
     flusses der jeweiligen Planfläche berechnet        teil der betroffenen Planfläche ausgegeben.     reichbarkeitsisochronen im Einzugsgebiet

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gis.Science 3 (2021) 69-85

der Wertstoffhöfe berechnet. Diese geben           den in diesem Beispiel nicht betrachtet.        und einer Tabelle werden den quantitativen
näherungsweise an, wie schnell (in Zeitin-         Dem Planzustand liegt eine Entwicklungs-        Klassen der 6-stufigen Skala zugeordnete
tervallen) ein Wertstoffhof mit einem Pkw          zeit von 20 Jahren zugrunde, Näheres be-        Flächenanteile und in drei passenden Kar-
erreichbar ist. Ein Overlay der von den Iso-       schreibt Mehl et al. (2021).                    tenausschnitten die flächenhaften Ausprä-
chronen umschlossenen Einzugsgebiete mit               Die im Szenario angenommene Ände-           gungen der ausgewählten ÖSL sowie de-
räumlichen Bevölkerungsdaten bestimmt              rung der Flächennutzung betrifft fast aus-      ren Veränderungen wiedergegeben (Abbil-
die Anzahl der Einwohner, welche bei ge-           schließlich ursprünglich landwirtschaftliche    dung 6).
gebener Erreichbarkeit als mögliche Nut-           Ackerflächen und wurde hinsichtlich der             Im konkreten Beispiel weisen die ur-
zer des jeweils nächstgelegenen Wertstoff-         Veränderungen von Ökosystemleistungen           sprünglichen Ackerflächen vor allem hohe
hofs infrage kommen. Für genauere Aus-             und wasserwirtschaftlichen Anforderungen        Leistungen bei der Bereitstellung von Kultur-
wertungsergebnisse wurden die auf                  bewertet und ausgewertet.                       pflanzen, Nähr- und Schadstoffregulation
Stadtteil- bzw. Gemeindeebene verfügba-                Nach dem Start der Auswertungsrouti-        und Kühlwirkung auf. Im Planzustand verrin-
ren Bevölkerungszahlen auf die Fläche von          nen wird ein neuer Browser-Tab aufgeru-         gern sich viele Ökosystemleistungen auf-
Hausumringen aus ALKIS-Daten disaggre-             fen, in dem die nach Fachthemen geordne-        grund des hohen Anteils von geplanten
giert. Wird ein einwohnerspezifischer Um-          ten Ergebnisse angezeigt werden. Je nach        Gewerbe- und Wohnflächen ohne ausrei-
rechnungsfaktor zugrunde gelegt, kann zu-          Fortschritt der Berechnungen auf dem Ser-       chende Kompensationsmaßnahmen. Eine
künftig auch ein Schätzwert für das poten-         ver werden entweder Statusanzeigen zu           Steigerung tritt beim (versiegelungsbeding-
zielle Abfallaufkommen bestimmt werden.            laufenden Prozessen oder Ergebnissen an-        ten) Bodenrückhalt und beim Rückhalt von
Diesbezüglich ist das Berechnungsmodell            gezeigt und jeweils in Echtzeit aktualisiert.   Treibhausgasen, bei der Habitatbereitstel-
bisher jedoch noch nicht kalibriert.               Der Nutzer muss nicht auf den Abschluss         lung und bei Bildung und Wissenschaft auf-
                                                   aller Berechnungen warten, sondern kann         grund der hier angenommenen Neuan-
3.4 ERGEBNISSE                                     einzelne Teilergebnisse bereits vorab ana-      pflanzung von Wald auf (Tabelle 1).
Bereits in der Entwicklungsphase des GIS-          lysieren, während im Hintergrund die zeit-
EUS wurden die vorgestellten Werkzeuge             lich aufwendigeren Prozesse abgeschlos-         3.4.2 AUSWIRKUNGEN AUF DIE
anhand von Planflächen auf Flächennut-             sen werden. Für das fiktive Beispielszena-             WASSERWIRTSCHAFT
zungsplanebene getestet. Ein fiktives An-          rio benötigt das System bei geringer            Die Flächeninanspruchnahme durch die
wendungsbeispiel zur Erläuterung der Funk-         Serverauslastung für die Gesamtauswer-          Gewerbegebiete hätte eine steigende Bo-
tionalität besteht aus zwei vor Kurzem aus-        tung ca. 15 s.                                  denversiegelung und einen erhöhten Ober-
gewiesenen Gewerbeflächen in der im                                                                flächenabfluss zur Folge, der nicht ohne
Süden von Rostock gelegenen Gemeinde               3.4.1 A   USWIRKUNGEN AUF                      geeignete Bewirtschaftung in die anliegen-
Dummerstorf. Zu Demonstrationszwecken                       ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN                    den Fließgewässer gelangen dürfte. Die
wurden weitere Planflächen in Form eines           Nach Aufruf einer ÖSL-spezifischen Ergeb-       Auswertung der Planungssituation im EUS
Wohn- und eines Waldgebiets dem hier               nisansicht erscheinen unterschiedliche An-      zeigt für verschiedene Niederschlagssze-
vorgestellten Planungsszenario hinzugefügt         zeigeformen für den Vergleich von Ökosys-       narien eine deutliche prozentuale Steige-
(Abbildung 5). Spezielle Kompensations-            temleistungen der vorgegebenen Flächen          rung des Abflusses. Besonders bei Regener-
maßnahmen für Ökosystemleistungen wur-             im Ist- und Planzustand. In einem Diagramm      eignissen mit hoher Jährlichkeit (z. B. Wie-

Abbildung 7: Ergebnisansicht Regenwasser/Fließgewässer (räumlicher Ausschnitt)

                                                                                                                                gis.Science 3/2021   I 79
GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENTWICKLUNGSOPTIONEN

     derkehrintervall 100 Jahre, Abbildung 7)              lichen beispielsweise der zuständigen Was-            lung der Bevölkerung nach absoluten Ein-
     würden die prognostizierten Abflussspitzen            serbehörde eine erste Einschätzung der Ab-            wohnerzahlen gegenübergestellt. In der
     die Abflusskapazität zahlreicher Abschnitte           flusssituation als Vorbereitung erforderlicher        Spalte Neu ist zudem, soweit vorliegend,
     im weiteren Verlauf des Gewässers überstei-           (hydrologisch-hydraulischer) Machbarkeits-            die prozentuale Veränderung gemessen an
     gen. Für den im EUS prognostizierten Trink-           studien oder vergleichbarer ingenieurfachli-          der Gesamteinwohnerzahl Rostocks ange-
     wasserbedarf könnte die Kapazität der be-             cher Nachweise.                                       geben. Demzufolge wäre für insgesamt
     stehenden Trinkwasserinfrastruktur teilweise                                                                17.306 Einwohner der neue Wertstoffhof
     überschritten sein. Insbesondere das Ver­             3.4.3 A  USWIRKUNGEN AUF DIE                         schneller zu erreichen als der bisher nächst-
     bundnetz der Wasserwerke Reez, Ban-                           ABFALLWIRTSCHAFT                              gelegene Hof in Lütten-Klein. Entsprechend
     delstorf und Niekrenz sowie die Nähe zum              In Abbildung 10 sind beispielhaft die Iso-            könnte dies die Auslastung der Höfe sowie
     Trinkwassernetz des Wasserwerks Rostock               chronen für die Erreichbarkeit der Wert-              die Attraktivität des Angebots an Wertstoff-
     bieten jedoch insgesamt eine gute Versor-             stoffhöfe innerhalb der Stadtgrenzen von              höfen für die Bevölkerung beeinflussen. Es
     gungssicherheit, um den Bedarf zu decken              Rostock abgebildet, welche, wie in Ab-                ist jedoch zu beachten, dass es sich bei
     (Abbildung 8). Weiterhin zeigt sich im EUS            schnitt 3.3.3 erläutert, durch das EUS be-            dem in Tabelle 2 dargestellten fiktiven Fall
     durch den Anschluss an die bereits beste-             rechnet wurden. Es ist erkennbar, innerhalb           noch nicht um kalibrierte Modellwerte han-
     hende Abwasserinfrastruktur eine mögliche             von wie vielen Minuten ein Pkw von den                delt. Die Werte dienen vorerst nur der Ver-
     Überlastung mehrerer Pumpwerke auf dem                abgebildeten Flächen aus den nächstgele-              anschaulichung.
     Fließweg bis zur zentralen Kläranlage in              genen Wertstoffhof (bzw. Recyclinghof) er-
     Rostock (Abbildung 9). Zudem befinden                 reichen kann. Tabelle 2 zeigt ferner an,              4Z  USAMMENFASSUNG UND
     sich die Flächen des Planungsszenarios in-            wie viele Einwohner insgesamt innerhalb                  AUSBLICK
     nerhalb der Trinkwasserschutzzone der                 der Erreichbarkeitsisochronen von 3, 6, 9             Die Entwicklung eines GIS-basierten Ent-
     Warnow. Hier kann das EUS bereits in ei-              oder 12 Minuten liegen (Bezugsjahr                    scheidungsunterstützungssystems (GIS-EUS)
     ner frühen Planungsphase auf potenzielle              2019) und inwiefern sich diese Erreichbar-            für eine system- und raumübergreifende Pla-
     Konflikte hinweisen, die eine Abstimmung              keit mit einem neuen, fiktiven Wertstoffhof           nung des Stadt-Umland-Raums am Beispiel
     mit wasserwirtschaftlichen Aufgabenträgern            in Warnemünde verändern würde. In den                 der Regiopolregion Rostock ist zunächst
     erforderlich machen. Die Ergebnisse ermög-            Spalten Neu und Alt sind jeweils die Vertei-          eine wissenschaftliche Fragestellung. In

      Ökosystemleistung                                                    Istzustand                 Planzustand*                   Veränderung
      Versorgende Ökosystemleistungen
      Bereitstellung von Kulturpflanzen                                    3,7                        1,1                            –2,7
      Bereitstellung von Trinkwasser                                       3,1                        1,5                            –1,6
      Bereitstellung von Brauch- und Prozesswasser                         3,2                        1,5                            –1,6
      Regulative Ökosystemleistungen
      Hochwasserregulation                                                 2,5                        1,5                            –0,9
      Niedrigwasserregulation                                              3,2                        1,5                            –1,6
      Nähr- und Schadstoffregulation                                       4,7                        2,8                            –1,9
      Wasserrückhaltevermögen                                              0,7                        0,7                            0,0
      Bodenrückhalt                                                        1,3                        4,2                            2,9
      Retention von organischem Kohlenstoff (Humusbildung)                 2,0                        1,1                            –0,9
      Retention von Stickstoff (Denitrifizierung)                          2,1                        2,0                            –0,1
      Rückhalt von Treibhausgasen                                          1,0                        1,5                            0,5
      Kühlwirkung (Gewässer und Böden)                                     3,9                        2,1                            –1,8
      Habitatbereitstellung                                                1,2                        2,1                            1,0
      Kulturelle Ökosystemleistung
      Landschaftsästhetik                                                  2,3                        1,3                            –1,0
      Erholung und Tourismus                                               2,7                        1,3                            –1,4
      Bildung und Wissenschaft                                             1,2                        1,5                            0,4
     Tabelle 1: Mittlere quantitative Ökosystemleistungen auf einer Skala von 0 (äußerst geringe/fehlende ÖSL) bis 5 (sehr hohe ÖSL) für das fiktive Planungszenario
     in Dummerstorf (*unkalibrierter Planzustand)

80 I gis.Science   3/2021
gis.Science 3 (2021) 69-85

Abbildung 8: Ergebnisansicht Schmutzwasser (räumlicher Ausschnitt)

Abbildung 9: Ergebnisansicht Trinkwasser/Wasserwerke (räumlicher Ausschnitt)

praktischer Hinsicht wird das Ziel verfolgt,            Hochwasserschutz bereits bei der stra-      pakete zugrunde. Dabei ist die Nutzung
eine Stärkung der Zusammenarbeit von Ak-                tegischen Bauleitplanung (Flächennut-       ohne lokale Installation niedrigschwellig
teuren aus Verwaltung und Verbänden in                  zungsplan).                                 über den Browser möglich. Datengrundla-
Stadt und Umland zu erreichen.                      3. Berücksichtigung kreislauf- bzw. abfall-     gen können dank der implementierten Ser-
Die hier vorgestellten drei Module des GIS-             wirtschaftlicher Aspekte (Wertstoffhöfe).   ver-Client-Struktur zentral und teilweise au-
EUS zielen auf folgende Optimierungen               Der abschätzende Charakter aller Bewer-         tomatisiert aktualisiert werden (Harvesting).
räumlicher Planung:                                 tungen ist zu betonen, was primär eine Fra-     Insofern ist das System für die kommende
1. Berücksichtigung von Ökosystemleis-              ge des Analyse- bzw. Bearbeitungsmaßsta-        Testphase geeignet, in der weitere Anpas-
    tungsansätzen in der Bauleitplanung             bes ist.                                        sungen erfolgen sollen. So werden z. B.
    nach BauGB (hier beim Flächennut-                   Nach einer Entwicklungszeit von drei        die bisher expertengestützt ermittelten
    zungsplan) und damit Erweiterung der            Jahren ist nun das erste Etappenziel reali-     ÖSL-Bewertungen für den Istzustand aktuell
    Entscheidungsgrundlagen, um einen in-           siert, eine lauffähige und umfangreich fach-    für alle Flächenkategorien nach PlanZV un-
    tegralen Ressourcenschutz zu befördern.         lich-inhaltlich „gefüllte“ Testumgebung der     ter Zuhilfenahme statistischer Methoden ka-
2. Frühzeitige Berücksichtigung von was­            Anwendung GIS-EUS. Dem System liegt             libriert. Später sollen auch Möglichkeiten
    serwirtschaftlichen Aspekten in den Fel-        ein quellenoffener, modularer Aufbau auf        implementiert werden, Verluste an ÖSL
    dern Trinkwasser, Abwasser sowie                Basis verbreiteter Open-Source-Software-        durch entsprechende Kompensationsmaß-

                                                                                                                                 gis.Science 3/2021   I 81
GIS-BASIERTES ENTSCHEIDUNGSUNTERSTÜTZUNGSSYSTEM FÜR DIE PROSPEKTIVE SYNERGISTISCHE PLANUNG VON ENTWICKLUNGSOPTIONEN

     Abbildung 10: Erreichbarkeits-Isochronen der bestehenden Recyclinghöfe in Rostock unter Berücksichtigung der administrativen Grenzen

                                               Abdeckung                   Abdeckung                       Abdeckung                      Abdeckung
                                                0 – 3 min                  > 3 – 6 min                     > 6 – 9 min                   > 9 – 12 min
      Hofname                             Alt            Neu             Alt            Neu             Alt            Neu             Alt            Neu
      Warnemünde (fiktiv)                  0           5.734              0           9.538              0           2.034              0               0
                                                     (+2.74 %)                      (+4.55 %)                       (0.97 %)
      Dierkow                          15.110         15.110          25.322         25.322           5.026           5.026           131             131
      Reutershagen                      7.176          7.176          24.854         24.854           1.791           1.791             0               0
      Lütten-Klein                     16.653         16.653          44.287         35.040          11.121           3.062             0               0
                                                                                    (–4.41 %)                       (–3.85 %)
      Südstadt                         13.046         13.046          38.472         38.472           4.757           4.757             0               0

     Tabelle 2: Anzahl der Einwohner innerhalb von Erreichbarkeitsisochronen der jeweils nächstgelegenen Wertstoffhöfe der Hansestadt Rostock und errechnete Ver-
     änderung für einen fiktiven Wertstoffhof in Warnemünde

     nahmen ausgleichen zu können. Auch dif-              gefördert (weitere Informationen: https://           Rostock, Professur Bodenphysik und Res-
     ferenzierte Authentifizierungsmechanismen            prosper-ro.auf.uni-rostock.de). Wir danken           sourcenschutz der Universität Rostock, BN
     sowie die Einführung von Benutzerrollen              dem BMBF für die gewährte Förderung.                 Umwelt GmbH sowie Institut für ökologi-
     sind unterstützend angedacht.                        Die Verantwortung für den Inhalt dieser Ver-         sche Wirtschaftsforschung GmbH Berlin.
                                                          öffentlichung liegt bei den Autoren.
     DANKSAGUNG                                               Unser Dank gilt ebenso den Projektpart-
     Das diesem Beitrag zugrunde liegende Vor-            nern Amt für Raumordnung und Landespla-
     haben „Stadt-Land-Plus-Verbundprojekt PRO-           nung Region Rostock, Staatliches Amt für
     SPER-RO: Prospektive synergistische Pla-             Landwirtschaft und Umwelt (Mittleres Meck-
     nung von Entwicklungsoptionen in Regiopo-            lenburg), Hanse- und Universitätsstadt
     len am Beispiel des Stadt-Umland-Raums               Rostock – Senatsbereich Bau und Umwelt,
     Rostock“ wird mit Mitteln des Bundesminis-           Landkreis Rostock – Umweltamt, War-
     teriums für Bildung und Forschung (BMBF)             now-Wasser- und Abwasserverband, Ei-
     unter dem Förderkennzeichen 033L212                  genbetrieb Abfallwirtschaft des Landkreises

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