GOSSAUER INFO - ABSCHIED ab Seite 6 Thema

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GOSSAUER INFO - ABSCHIED ab Seite 6 Thema
Nr. 146 September 2021            www.gossauerinfo.ch

                         GOSSAUER
                             INFO

                          Thema

                          ABSCHIED         ab Seite 6
GOSSAUER INFO - ABSCHIED ab Seite 6 Thema
EDITORIAL

                                        Liebe Leserin, lieber Leser
                                        Für unser Hauptthema haben wir den Abschied gewählt. Wir haben uns
  Gossauer Info                         mit jenem Abschied auseinandergesetzt, der uns vom Leben trennt, der
                                        uns zwingt, Liebstes loszulassen. Barbara Stauber aus dem Grüt hat uns
  35. Jahrgang
  Nr. 146 – September 2021
                                        Einblick gewährt, was es heisst, den eigenen unausweichlichen Tod vor
                                        Augen zu haben, und die Hinterbliebenen schildern auf eindrückliche Wei-
  Impressum
                                        se, wie sie mit dieser Situation umgegangen sind.
  Herausgeber
  Verlag Gossauer Info
                                        Vor beinahe 25 Jahren verloren Karin, Alexander und Tobias Herrmann
                                        ihren Ehemann und Vater Beat. Im einfühlsamen Gespräch mit unserer Re-
  Redaktion
                                        daktorin Geneviève Bichsel reflektieren sie über diesen Schicksalsschlag.
  rg   Rita Gröbli (Leitung)
  kh Karin Herrmann                     Wir lassen auch Menschen zu Wort kommen, die mit Palliative Care eine
  gb Geneviève Bichsel                  würdevolle Betreuung in der letzten Lebensphase ermöglichen. Ein Seel-
  dc   Daniela Clerici
                                        sorger erzählt über die Vorbereitungen für eine Abdankung, Gemeindean-
  Korrespondenzadresse                  gestellte, wie vorgegangen werden muss bei einem Todesfall, der Fried-
  Verlag Gossauer Info                  hofsgärtner, wie sorgsam er mit dem Thema Tod umgeht.
  Gewerbestrasse 18, 8132 Egg
  Tel. 044 986 10 00                    Schicksale, die niemanden unberührt lassen, aber auch Informationen, die
  E-Mail: gossauerinfo@textaid.ch       dazu dienen sollen, Betroffenen aufzuzeigen, wo sie Hilfe und Unterstüt-
  www.gossauerinfo.ch                   zung finden können.
  Konzept, Herstellung, Inserate
                                        Corona und die Covid-19-Impfung sind immer noch präsent und scheiden
  Textaid Buch- und Kunstverlag
  Verlag Gossauer Info
                                        die Gemüter. Die Gemeinde Gossau hat sich sehr engagiert und mitgehol-
  Gewerbestrasse 18, 8132 Egg           fen, das Impfzentrum auf die Beine zu stellen. Über 86 000 Impfungen wur-
  Tel. 044 986 10 00                    den seit April 2021 im Covid-19-Impfzentrum Wetzikon an 64 Impftagen
  Mail: gossauerinfo@textaid.ch         verabreicht. Eine eindrückliche Zahl. Gemeindepräsident Jörg Kündig meint
  www.gossauerinfo.ch                   nicht ohne Stolz: Mission erfüllt.
  Druck
                                        Anfang Juni haben wir Ihnen einen schönen Sommer gewünscht. Dieser
  FO-Fotorotar AG
  Ein Unternehmen der FO-Gruppe
                                        hat sich aber geziert und uns nur häppchenweise warmes und sonniges
  Gewerbestr. 18, 8132 Egg b. Zürich    Wetter beschert. Dafür hat sich die Spanische Wegschnecke – auch Nackt-
                                        schnecke genannt – an unserem Gemüse und den Blumen gütlich getan
  Auflage
  25 000 Ex. pro Jahr. Erscheint        und sich dank den guten, feuchten Bedingungen kräftig vermehrt. Eine
  vierteljährlich und wird gratis per   regelrechte Schneckenplage ist ausgebrochen. Das Tier hat ja kaum natür-
  Post in alle Haushaltungen in der     liche Feinde wegen des Schleims, den es aussondert. Einzig Enten finden
  Gemeinde Gossau ZH verteilt           sie lecker. Woher aber all die Enten nehmen?
  Nächste Ausgabe                       Wir wünschen Ihnen Zeit und Musse in dieses nicht alltägliche Thema
  Anfang Dezember 2021
                                        einzutauchen und viele sonnige Herbsttage.
  Redaktionsschluss: 30. Oktober 2021
                                                                                   Für das Redaktionsteam,
  Titelbild                                                                                       Rita Gröbli
  Der Waldfriedhof in Gossau
  Aufnahme: Daniel Wartenweiler           Für eingesandte Manuskripte und Fotos besteht bei Verlust keine Haftung seitens des
                                          «Gossauer Infos». Für gewünschte Rücksendung legen Sie bitte ein adressiertes und fran-
                                          kiertes Kuvert bei. Der Redaktion steht es frei, Manuskripte teilweise zu kürzen, zu ändern
                                          oder zurückzuweisen. Nachdruck, ganz oder auszugsweise, ist nur auf Anfrage gestattet.

Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                                      3
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Wir halten Sie immer warm
                                  und installieren Ihnen ein zeit-
                                  gemässes Heizsystem.
                                     Heizungen aller Art für Neubauten und
                                     Sanierungen: Wärmepumpenanlagen,
                                     Erdsondenbohrungen oder Sonnen-
                                     kollektoren
                                     Umfassende Beratung auf der Basis einer
                                     eigens für Sie erstellten Energiebilanz
                                     Pikettdienst bei Notfällen

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    Leutenegger Installations AG Industriestrasse 39     8625 Gossau
    044 936 65 65 www.leutenegger-insta.ch

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INHALT

Thema                                              Schule Gossau
                                                   63     Zweite Durchführung der Veloprüfung
Abschied                                                  in Gossau
 6    Nie mehr …                                   66     Pumptrack auf dem Pausenplatz
 8    «Wir können dem Leben nicht mehr Tage 		            im Männetsriet
      geben, aber dem Tag mehr Leben!»             68     Projektwoche im Schulhaus Wolfrichti, Grüt
10    «Alles passte zu Mami»                              Thema: «Reise um die Welt»
13    Die Trauer feiern – ein wichtiges Ritual     70     Schulzeit beendet – Oberstufe 3. Sek
15    Als sei es gestern gewesen                   72     Eintritte ab September 20 bis Ende August 21
18    Würdevolle Betreuung in der letzten          73     Austritte ab September 20 bis Ende August 21
      Lebensphase
20
22
      Ein Spaziergang im Waldfriedhof
      Friedhöfe im Wandel
                                                   Sport
23    Todesanzeigen – ein Auslaufmodell?           75     Zürcher Oberländer siegen in Gossau
24    Todesfall – was nun? Formalitäten und
      erste Schritte                               60plus
                                                   77
Gemeinde
                                                          Ein Erfahrungsbericht im Umgang
                                                          mit Corona vom Team Gym/Fit 60+
27    Die Seite des Gemeindepräsidenten            81     Pro Senectute Kanton Zürich
30    Gossau hat gefeiert
32
35
      1.-August-Feier in der Altrüti, Gossau
      Dynamisch, effizient – die Finanzabteilung
                                                   Gesundheit
36    Das persönliche Sitzbänkli in Gossau         82     Mobiles Impfangebot und Impfaktionen
37    Aufforderung zum Pflanzenrückschnitt                in Gemeinden
39    Neues Mehrzweckfahrzeug für die Sicherheit
41
42
      Schutzanlagen in der Gemeinde Gossau
      Rundweg «Bertschikon»
                                                   News
                                                   83     Das Kulturleben erwacht wieder
43    Heckenpflanzen-Bestellaktion 2021
                                                          in Bertschikon
45    «Musik und Provence»
                                                   85     30 Jahre Chris & Mike in der Altrüti
47    Lesetipps aus der Gemeindebibliothek
                                                   87     Kolumne von Andrea Gisler
48    Geburten
                                                   85     Die Seite des Gewerbevereins Gossau
49    Geburtstagsjubilare
                                                   91     Die Seite des Vereins FiZGo
51    Todesfälle
                                                   93     Publireportage: Mehr Lebensqualität
51    Ehejubiläen
                                                          durch bessere Beweglichkeit

Kirchen                                            94
                                                   94
                                                          Vorschau Thema: Hier bin ich zuhause
                                                          Vorschau Porträt: Gabriela Mäder
53    Gemeinsame Anlässe
55    Reformierte Kirche Gossau                         Den Veranstaltungskalender
57    Evangelische Freikirche Chrischona
59    Katholische Pfarrei
                                                            zum Herausnehmen
61    Die kath. Kirche erstrahlt in neuem Glanz           finden Sie in der Mitte
                                                               eingeheftet.
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THEMA
                                         ABSCHIED

Nie mehr…
Nie mehr zusammen lachen und feiern, zusammen weinen und die Last teilen. Sich gemeinsam freuen
und ärgern, die Wut und das Glück aushalten, essen und trinken, das Leben teilen. Abschiede, die so
unendlich schwer sind. Die so furchtbar weh tun. Dieses «nie mehr».

Text: Geneviève Bichsel
Es gibt keine Aufzählung für Din-          mand sonst. Trauer kann verbinden         starb mein Onkel. Noch gar nicht
ge, die uns mit Menschen verbinden         aber auf ganz grausame Art tren-          alt. Nun lag er da im Sarg, mit An-
und die durch den Tod so schreck-          nen. Trauer kennt kein Richtig oder       zug und Krawatte. So kannte ich
lich endgültig verloren gehen. In un-      Falsch, kümmert sich nicht um Kon-        ihn gar nicht, wir waren doch immer
serer Erinnerung noch lebendig und         ventionen, sollte es auch nicht tun.      zusammen auf dem Feld gewesen
kostbar und doch im Leben nicht            Kulturen und Religionen haben ei-         und er hatte die Pferde geführt. Und
mehr greifbar, nicht mehr sinnlich         nen sehr unterschiedlichen Umgang         doch, da lag er, die Hände gefaltet,
erlebbar, nur Lücke und Leere.             mit Abschied und Tod. Betrauert als       aufgebahrt auf dem Esstisch, mitten
Und die quälenden Gedanken, ob             Verlust und doch gefeiert als Über-       im Wohnzimmer. Die Läden waren
man bis zum Ende das Richtige              gang. Trauer über die Endgültigkeit       geschlossen, die Taufkerze flackerte,
getan hat, «alles» getan hat, nichts       des Todes, Trauern über den Tod           die Luft stickig und erfüllt von ei-
übersehen oder vergessen hat, alles        und doch tiefes Vertrauen auf ein         nem mir fremdem süsslichem Duft.
geklärt ist. Die bohrende Frage, ob es     Wiedersehen und ewiges Leben.             Ich war fasziniert, schaute in das
denn genug gewesen sei …                   Trauern über das Ende und doch            vertraute und doch immer fremder
Als ob wir das alles könnten. Als ob       Hoffnung auf Auferstehung, Trans-         werdende Gesicht. Und kam aus
es nicht genug wäre, den Schmerz           formation oder Wiedergeburt. So           dem Staunen nicht mehr heraus.
und die Trauer auszuhalten. Als ob         verschieden sind die Überzeugun-          Einer um den anderen, eine um die
es nicht schwer genug wäre, am Mor-        gen, so verschieden die Rituale und       andere strömten die Dorfbewohner
gen aufzustehen und weiterzugehen,         Ausdrucksformen bis hin zur Frage,        in die kleine Stube, blieben am Sarg
irgendwie, und darauf zu hoffen und        welche Farbe trägt die Trauer?            stehen, verneigten sich vor dem Ver-
zu vertrauen, dass es mit der Zeit et-                                               storbenen, murmelten einige Worte
was leichter wird.                         Rituale verändern sich                    oder Gebete, bekreuzigten sich und
Und zu erkennen, dass der vor einem        Viele Rituale rund um Abschied und        gingen aus der Stille des Wohnzim-
liegende Weg ein ganz eigener sein         Tod haben über sehr lange Zeit Be-        mers in die Enge der Küche. Hier gab
wird, sein muss. Einen, den wir noch       stand gehabt. Ein Jahr lang trauern       es etwas zu trinken und ganz schnell
nicht kennen und erst finden müs-          war gesellschaftlich anerkannt. Die       wurde es hier lebhaft und laut
sen. Und den andere nicht für einen        trauernde Witwe in Schwarz wurde          Hatte man uns Kindern am Morgen
gehen können, trotz eigener Erfah-         in ihrer Trauer respektiert, aber auch    nicht eingebläut, dass es heute keine
rungen. Dass man Hilfe, die guttut,        gefangen gehalten. Rituale können         Musik zu hören gebe, dass wir nicht
in Anspruch nehmen darf, aber auch,        Schutz und Struktur geben, aber           laut singen, lachen und ja nicht strei-
dass man sich abgrenzen darf, wenn         auch den Menschen in ein Korsett          ten dürften und uns ganz still zu ver-
es einem zu viel wird. Dass man sich       zwängen. Und wenn dazu Erwartun-          halten hätten?
in der Gesellschaft von Familie und        gen und Druck von aussen kommen,          Dass die ganze Dorfgemeinschaft
Freunden wohlfühlen und lachen             wie Trauern auszusehen hat?               später den Gottesdienst besuchte,
darf, sich ganz zurückziehen und           In meiner Kindheit beobachtete ich        hinter dem Sarg bis zum Friedhof
allein sein darf und sich doch im          interessiert und ohne jegliche Angst      einherging, sich dort alle umarm-
nächsten Moment ins Leben stürzen          die Rituale um den Tod in einer klei-     ten und trösteten und sich später
und vergessen möchte.                      nen dörflichen Gemeinschaft in ei-        im Gasthof mitten im Dorf wie-
Niemand weiss besser als die Trau-         nem entlegenen Zipfel des Juras.          der trafen, machte dies alles für
ernden selbst, was ihnen guttut, nie-      Es waren heisse Augusttage. Da            mich spannend und liess mich den

6                                                                                   Gossauer Info 146 | September 2021
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                                                                                     ABSCHIED

                                                                                                  äussersten Fall den Zeitpunkt unse-
                                                                                                  res Todes selbst. Wir versuchen, uns
                                                                                                  über unsere Überzeugungen, über
                                                                                                  unsere Wünsche klar zu werden, da-
                                                                                                  rüber zu sprechen, und müssen uns
                                                                                                  dabei oft eingestehen, dass wir diese
                                                                                                  gar nicht so genau kennen und Ent-
                                                                                                  scheidungen in dieser so unausweich-
                                                                                                  lichen Frage uns zutiefst verunsichern
                                                                                                  können. Wie beeindruckend sind da
                                                                                                  Menschen, die mit ihren Überzeu-
                                                                                                  gungen im Reinen sind und von die-
                                                                                                  sen bis zuletzt getragen werden.
                                                                                                  Es bleibt das Unfassbare, Unaus-
                                                                                                  weichliche des eigenen Todes und des
                                                                                                  Todes unserer Liebsten. Und die Her-
Trauerkarten, mit den auch in der heutigen Zeit noch gern handschriftlich verfassten Ge-          ausforderung, damit leben zu müssen.
danken und Worten, können den Hinterbliebenen Trost und Wärme spenden. Ein kleines                So drückt es Mascha Kaléko in ih-
aber nicht zu unterschätzendes Ritual, das sagt: Ich bin für euch da, ich denke an euch,          rem Gedicht «Memento» aus:
ihr seid mit eurer Trauer nicht allein.  (Trauerkarte mit Aquarell von Brigitte Meili Anderegg)   Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht
                                                                                                  bang,
Grund, den Tod dieses noch jungen                Es bleibt die Suche nach neuen Aus-              nur vor dem Tod derer, die mir nah
Vaters, komplett vergessen. Ich war              drucksformen im Abschiednehmen                   sind.
ja ein Kind …Was es wohl mit den                 und in der Trauer. Die individuelle              Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr
nächsten Angehörigen gemacht hat?                Suche ist eine Herausforderung,                  da sind?
                                                                                                  Allein im Nebel tast ich todentlang
Durften sie trauern, wie sie es gerne            wenn Normen und verbindliche
                                                                                                  Und lass mich willig in das Dunkel
getan hätten? Haben die Rituale, die             Rituale nicht mehr mehrheitsfähig                treiben.
Präsenz einer ganzen Dorfgemein-                 sind. Sie bieten aber auch die Mög-              Das Gehen schmerzt nicht halb so wie
schaft geholfen oder ihnen alle Kraft            lichkeit, einen ganz persönlichen                das Bleiben.
geraubt?                                         Weg zu finden, um Abschied zu                    Du weisst es wohl, dem Gleiches
Vieles hallt nach und wird auch in               nehmen und sich in keiner Weise                  widerfuhr;
Filmen und Büchern zelebriert. Der               einengen zu lassen.                              Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Gottesdienst mit den alten Texten                Gemeinsame, leise Zeichen sind uns               Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt
und Trostgebeten zu Tod, Abschied                geblieben. Das sorgsame Umbetten                 man nur, doch mit dem Tod der ande-
                                                                                                  ren muss man leben.
und Trauer, die Beerdigung und                   und Ankleiden des Verstorbenen,
Verabschiedung am Grab auf dem                   das Fenster, nach dem Tod geöffnet,              aus: Verse für den Zeitgenossen
Friedhof, das Kondolieren, das Lei-              die Kerze, angezündet für das Licht,             Abschiednehmen und innehalten,
chenmahl … Alte Wörter, verbun-                  die Blumen voller Farben und Düfte,              ein Moment auch voller Dankbar-
den mit Teilhabe, gemeinsamem Ab-                die Zeichnungen der Kinder …                     keit. Sollte nicht ein Leben, wenn
schied und dem sehr pragmatischen                                                                 es dann gelebt werden durfte, ein
Ansatz, dass das Leben und das                   Der Tod, kein Tabu mehr                          Leben mit all seinen Höhen und
Miteinander weitergehen. Und heu-                Immerhin, wir sprechen häufiger                  Tiefen, seinen Erfolgen und Misser-
te? Wie passt das zu einem Abschied              und offener über den Tod, auch über              folgen, seinem Glück und Unglück,
im engsten Kreis, im Gemeinschafts-              unseren eigenen. Wir machen uns                  dem Schweren und Leichten, vor al-
grab, ohne Feier, ohne gemeinsames               Gedanken, wie wir sterben möchten,               lem aber mit all der Liebe, die damit
Mahl? Ist es einfacher, allein oder im           versuchen dies festzuhalten, auch                in die Welt kam, gefeiert und ver-
privaten Kreis Abschied zu nehmen                wenn es dann vielleicht ganz anders              abschiedet werden? Und uns diese
und zu trauern, als begleitet von ei-            kommt. Wir loten Grenzen aus,                    Dankbarkeit auch dann halten, wenn
ner Gemeinschaft?                                weiten sie aus und bestimmen im                  es um uns ganz dunkel wird?

Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                                     7
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                                           ABSCHIED

«Wir können dem Leben nicht mehr Ta
Mitten aus einem sehr aktiven Leben erhält Barbara Stauber im September 2017 die Diagnose im
Spital in Wetzikon, dass sie an AML (die wohl aggresivste Form von Leukämie) erkrankt ist. Überle-
benschance ohne Chemotherphie etwa drei Wochen, mit einer «Rosskur» 50 Prozent. Sie nimmt die
Herausforderung an und erlebt Höhen und Tiefschläge, die sie uns eindrucksvoll schildert.
Text: Rita Gröbli, Barbara Stauber; Fotos: zvg

Als ich zufällig im April dieses Jah-        plausch, den Rita Gröbli zehn Jahre     wendige Jugendarbeit. Wir fanden
res in einer «Puls»-Sendung des              früher ins Leben gerufen hatte. Es      unseren Platz beim Schützenhaus.
Schweizer Fernsehens einen Beitrag           folgten Vorstandsarbeit im KGV,         Es fragten einige Eltern an, ob ich
über Palliative Care sehe, bin ich           später acht Jahre in der ref. Kir-      für sie auch etwas Ähnliches anbie-
ganz erstaunt, dass Barbara Stau-            chenpflege, wo ich einiges mitbewe-     ten würde. Drei Jahre später 2003
ber aus dem Grüt die Patientin ist,          gen und initiieren durfte.              gründeten wir einen eigenen, SKG-
die Bluttransfusionen erhält. Da ich         So zum Beispiel auch die Fasten-        anerkannten Verein für Jung und
sie seit vielen Jahren gut kenne und         woche, die Gründung des Vereins         Alt. Die Kinder ermuntern, mit ih-
weiss, dass sie eine sehr offene Per-        Netz und den Dunnschtigstamm.           rem vierbeinigen Kameraden etwas
son ist, frage ich sie an, ob sie bereit     Es freut mich, dass diese Sachen        aus Freude zu machen und damit
wäre, über ihre unheilbare Krankeit          auch heute noch «laufen».               auch zu lernen, Verantwortung zu
zu berichten. Sie ist sofort einver-                                                 übernehmen, das war unser grosses
standen und meint, dass man dieses                                                   Ziel.
Thema ruhig mal anschneiden und                                                      Viele Lager in den Flumserbergen
so die Angst nehmen könnte. Ich                                                      mit jeweils rund 30 Kindern mit
besuche Barbara zu Hause im Grüt.                                                    ihren Hunden haben wir geleitet.
Sie hadert nicht mit ihrem Schick-                                                   Und natürlich einige Erwachsenen-
sal, lässt mir einen Lebenslauf und                                                  kurse. Langsam hatte ich mich aus
viele Fotos zukommen.                                                                der Hauptleitung herausgelöst und
                                                                                     2017 übergab ich dann auch mein
Nachfolgend der eindrückliche                                                        Präsidentenamt.
Bericht von Barbara Stauber                                                          Im Herbst 2017, mitten im sehr
Als Bergbauernmädchen kam                                                            aktiven Leben, suchte ich wegen
ich im Herbst 1968 ins Zürcher                                                       Müdigkeit und Husten den Arzt
Oberland. Im Schlössli in Oetwil                                                     auf, ich vermutete eine «verschleik-
absolvierte ich die Lehre als Psy-                                                   te» Lungenentzündung. Der Arzt
chiatrieschwester. Im August habe                                                    sagte mir: «Ihre Lunge ist in Ord-
ich geheiratet und kam dadurch               Wieder Haare auf dem Kopf und ärzt-     nung, aber sie haben fast kein Blut
ins Grüt, von wo aus ich noch drei           liche Verordnung: ein Glas Rotwein.     mehr, sie müssen ins Spital!» Not-
Jahre im Spital Wetzikon arbeitete.                                                  fallmässig und aus heiterem Him-
Nach der Geburt unseres Sohnes               Als unsere drei Kinder ausgeflogen      mel landete ich im Spital Wetzi-
lernte ich so langsam auch unse-             waren, erwachte mein grosses Hob-       kon. Bald stellte sich heraus, dass
re Gemeinde kennen und wurde                 by «Hund und Kind». Erst drei           ich (wie mein Hausarzt vermutete)
schon in dessen Kindergartenzeit             Jahre in Hinwil, dann musste ich        an AML (wohl etwa die «böseste»
für allerlei Freiwilligenarbeit an-          einen neuen Platz suchen, weil so       Leukämie) erkrankt war. Ja das war
gefragt. Das hat mir auch immer              viele Kinder und Jugendliche teil-      happig!
Freude gemacht!                              nahmen. Ab 2000 in Gossau wurde         Es gebe drei Möglichkeiten zur Be-
Elf Jahre lang übernahm ich dann             ich auch seitens des Gemeinderats       handlung: nichts machen, dann hät-
die Hauptleitung für den Ferien-             gut unterstützt für diese recht auf-    te ich wohl noch etwa drei Wochen

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age geben, aber dem Tag mehr Leben!»
   zu leben, oder eine Behandlung mit
   Medikamenten und Bluttransfusio-
   nen. Chance drei bis sechs Monate,
   oder eine grosse Chemotherapie,
   welche zwar eine «Rosskur» sei und
   nur in drei Spitälern der Schweiz
   durchgeführt werden könne. Über-
   lebenschance 50/50! Im Spital frag-
   te ich dann den Arzt: «Was würden
   Sie Ihrer Mutter raten?» Er sagte,
   unbedingt die grosse Chemothera-
   pie machen, auch wenn es hart ist!
   Das war es dann auch! Neun Wo-
   chen im Unispital in Zürich. Dort
   liessen sie zweimal je eine Woche
   lang Tag und Nacht Gift in meinen
   Körper. Es war der Horror! Beim
   Austritt sagte der Chefarzt: «Die-
   sen Teil haben sie überstanden.
   Zweimal dachten wir, wir müssten       Wer hätte gedacht, dass ich Mitte April noch den Geburtstag von Hansueli erlebe.
   sie «ziehen» lassen. Der Tod war
   praktisch vor der Türe!                Die Krankheit kommt zurück                Briefe und Kartengrüsse, Telefon-
   Sehr elend kam ich dann im Januar      Ich kam also ins Leben zurück und         und WhatsApp-Nachrichten, die
   2018 nach Hause, ich war am Ende       mein Mann und ich durften wie-            ich bekommen habe. Dafür danke
   meiner Kraft. Ohne Haare und           der grosse und kleine Reisen mit          ich euch allen: Ihr habt mich durch
   Fingernägel. Mit Hilfe meiner Fa-      dem Wohnmobil unternehmen.                eure Teilnahme sehr gestützt.
   milie und anfänglich der Spitex und    Weiterhin war ich im Unispital            Seit Ostern 2021 gibt es wellen-
   grosser innerer Motivation kam ich     zur Kontrolle und im September            weise Tage, wo es besser oder we-
   langsam wieder auf die Beine.          2019 musste mir der Arzt sagen,           niger gut geht. Schwindel, Fieber
   Etwas darf ich sagen, ich hatte nie    dass die bösen Krebszellen zurück-        oder Schmerzen begleiten mich
   mit meinem Schicksal gehadert!         kommen und ich nur noch palliativ         (für Letzteres darf ich Schmerz-
   So nach dem Motto, warum gera-         behandelt werden könne. Nach me-          mittel nehmen). Oft habe ich mir
   de ich? Ich nahm sie Situation an,     dizinischem Ermessen werde ich            gewünscht, dass ich am Morgen
   zwar leidend. Und zum Teil mit         Weihnachten noch erleben, aber            nicht mehr aufwachen würde. Aber
   vielen Schmerzen. Ich darf schliess-   wie viel mehr, sei eine grosse Frage.     ich weiss, dass das nicht in unseren
   lich auf ein reich erfülltes Leben     Es könne dann eventuell plötzlich         Händen liegt.
   zurückblicken, von vielen Gebeten      sehr schnell gehen. Ich solle noch        Am Sonntag Ende April habe ich
   von Freunden und Familie beglei-       alles erledigen, was ich möchte,          mich nach einer sehr schwierigen
   tet. Dazu haben mir ganz viele Kar-    und vor allem meine Zeit noch             Nacht entschieden, keine Antibio-
   ten- und elektronische Grüsse oft      geniessen. Mit der Zuversicht auf         tika mehr zu nehmen, meine Kräfte
   Kraft zum Durchhalten gegeben.         ein Weitergehen und die Erlösung          schwinden immer mehr. Die Ärzte
   Mein Konfirmandenspruch «Gott          durch Jesus Christus lebe ich nun         akzeptieren diesen Entscheid, emp-
   sei Dank, der uns den Sieg gibt        und freue mich an meinen Enkeln           fehlen mir mit den wöchentlichen
   durch unsern Herrn Jesus Chris-        und den vielen aufstellenden Wor-         Bluttransfusionen noch weiterzuma-
   tus» (1. Kor. 15, 57) hat mich auch    ten von Freunden und Bekannten.           chen. Nun lebe ich gestützt durch
   oft gestützt!                          Es ist einfach unglaublich, die vielen    das Palliative-Care-Team und mei-

   Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                        9
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                                                       Ich nehme halt jeden          lung bewirken können sie auch nicht
                                                       Tag, wie er kommt.            mehr. Für mich ist das okay. Gott al-
                                                       Manchmal bin ich schon        lein weiss, wie mein Leben auf Erden
                                                       auch traurig. Es ist halt     zu Ende gehen wird. Ich bekam das
                                                       schon nicht einfach, so       Leben geschenkt und möchte es in
                                                       auf dem Pulverfass zu         Dankbarkeit dem Schöpfer zurück-
                                                       sitzen. Aber ich hatte        geben. «So nimm denn meine Hän-
                                                       70 Jahre ein gutes, wert-     de und führe mich bis an mein selig
                                                       volles Leben. Dafür bin       Ende», so heisst es in einem Lied.
                                                       ich dankbar! Auch dass        (P.S. Ob ich wohl noch lebe, wenn
                                                       ich eine so wertvolle,        dieser Bericht erscheint?)
                                                       tragende Familie habe!
                                                       DANKE!
                                                                                      Barbara Stauber ist am 17. Mai im
                                                        Kraft vom Glauben             Beisein ihrer Familie friedlich einge-
Juni 2019 in Conil de la Frontera auf unserer letzten   Ich bin nun auch sehr,        schlafen. Am Freitag, 28. Mai 2021,
Reise mit dem Wohnmobil (um die Iberische Halbinsel). sehr müde geworden.             hat eine grosse Trauergesellschaft
                                                        Aber auf der Quartier-        auf dem Friedhof und anschlies-
ne Familie. Alle zwei bis vier Wo- strasse versuche ich mit Hilfe eines               send in der reformierten Kirche
chen bekomme ich eine Blutkon- Rollators zu «spazieren».                              in Gossau Abschied von Barbara
serve, was meine Lebensqualität Grössere Behandlungen möchte ich                      genommen.
jeweils für einige Zeit verbessert.           nun nicht mehr machen, denn Hei-

«Alles passte zu Mami»
Marianne Nacht, Tochter der im Mai verstorbenen Barbara Stauber, und ihr Vater Hansueli Stauber
berichten, wie sie die letzten Monate vor Barbara Staubers Tod erlebten, wie sie sich gegenseitig
stützten und unterstützten, was ihnen Kraft und Hoffnung gab, aber auch was schwerfiel.
Text: Daniela Clerici; Fotos: zvg

                                            Barbara Stauber berichtete Wochen        «nicht üben können» wie die Zeiten
                                            vor ihrem Tod sehr offen, wie die        einer Schwangerschaft. Sie hat einiges
                                            Familie mit der Diagnose Leukämie        über dieses Thema gelesen und erfah-
                                            umging. Was geschieht emotional mit      ren, dass auch bei Angehörigen auf
                                            der Tochter, was geschieht mit dem       der körperlichen und hormonellen
                                            Ehemann, wenn klar wird, jetzt geht      Ebene Ausnahmezustand herrscht.
                                            es zu Ende? Marianne Nacht und           Aber ein wenig der Reihe nach: Nach
                                            Hansueli Stauber nehmen uns mit          der völlig überraschenden und vor
                                            auf die emotionale Achterbahnfahrt       allem völlig niederschmetternden
                                            und gewähren uns Einblicke in die        Diagnose und den verschwindend
                                            schwierige Phase des Loslassens.         kleinen Aussichten auf Heilung war
                                            Marianne Nacht erlebte in den letzten    nichts mehr wie gehabt. Marianne
                                            Monaten und empfindet noch heute         Nacht erinnert sich, wie sie am Spi-
Alles ihnen Wichtige konnte besprochen      den Prozess des Abschiednehmens,         talbett bei ihrer Mutter sass und
werden – Marianne Nacht mit ihrer Mut-      die Phasen der Trauer mit all den        meinte, jetzt müsse sie einfach ein
ter Barbara Stauber und Vater Hansueli.     Emotionen und vor allem mit dem          paar Minuten weinen. Dies habe

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GOSSAUER INFO - ABSCHIED ab Seite 6 Thema
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ihr Ruhe gebracht, aber auch Kraft,       unser Nani? Diese Frage würde so-        sich, offen zu kommunizieren, aber
um das Ganze anzupacken und zu            wieso keine klärende Lösung bringen      nicht zu jammern. Ihre Sorgen hielt
planen. Denn niemand von Barbara          und so wurde gemeinsam nach vorne        sie in einem Jammertagebuch fest.
Staubers Angehörigen war bereit, die      geschaut. Die grosse Anteilnahme         Das Projekt ‹Lebensspiegel› der
noch so aktive Ehefrau und Mutter         und auch der Glaube an Gott spenden      Andreas-Weber-Stiftung ermög-
einfach so gehen zu lassen. Marianne      der ganzen Familie Stauber viel Kraft.   lichte einen Lebenslauf, mit Blick
Nacht: «Als wir merkten, dass Mami                                                 auf das Positive.»
nach kurzer Bedenkzeit sich mit der       Endgültigkeit und Abschied
Diagnose und der Aussicht, nur noch       Barbara Stauber erholte sich lang-       Versteckte Grüsse und Wünsche
ein paar Wochen zu leben, beinahe         sam, gemeinsam mit Hansueli un-          Eine genaue Prognose, wie viel Zeit
abgefunden und keine Lust mehr hat-       ternahmen sie Reisen, mit der gan-       Barbara Stauber noch bleibe, konnte
te, gross zu kämpfen, und ihr Lebens-
wille schwand, da erst spürten wir,
dass wir noch nicht bereit waren, sie
loszulassen. Aber wie weit lassen wir
ihr ihren Eigenwillen, wie stark sollen
wir sie ermutigen, stark und positiv
zu bleiben, wie viel Egoismus unse-
rerseits ist im Spiel? Es war eine emo-
tionale Gratwanderung. Wir haben
eine Fotokette gebastelt, um sie daran
zu erinnern, für wen sie kämpft. Zum
Glück haben auch die Ärzte deutlich
zur Chemotherapie geraten, sie sei
noch zu jung, um zu sterben.»
Aber es war wirklich sehr hart. Für
Barbara Stauber und für ihren Mann        Neue Spielformen entdecken: Barbara Stauber spielt zwei Wochen vor ihrem Tod
Hansueli, der täglich nach Zürich         mit der jüngsten Enkelin im Liegen.
reiste, um unter allerstrengsten Hy-
gienemassnahmen an ihrem Bett zu          zen Familie Ausflüge. Im September       niemand machen, aber nach medizi-
sein. Einfach dazusitzen und zu erle-     2019 die erneut niederschmetternde       nischem Ermessen sollte sie Weih-
ben, wie der Medikamentencocktail         Gewissheit: Die Krebszellen sind zu-     nachten 2020 nicht mehr erleben.
das Immunsystem seiner Frau zer-          rück. Gemeinsam fiel der Entscheid       Vorbereitungen werden in Angriff
stört. Auch an Tagen, an denen Bar-       nur noch palliativ zu behandeln.         genommen. Barbara Stauber hat im-
bara Stauber erschöpft eigentlich gar     «Meine Mutter, wir alle, glauben an      mer sehr offen kommuniziert, teilte
niemanden sehen wollte …                  ein Weitergehen und die Erlösung         auch mal per WhatsApp den Status
Wochen später, Anfang 2018, durf-         durch Jesus Christus – das trägt         mit, war organisiert und hatte direkt
te Barbara Stauber nach Hause. Die        ungemein. Und dank der Unter-            mit Pfarrer Christian Meier Kontakt
ganze Familie genoss nun die Mög-         stützung des Palliative-CareTeams        aufgenommen und ihre Wünsche für
lichkeiten, die das Mehrgenerationen-     von Wetzikon war das Zuhause-            die Beerdigung mitgeteilt. Auch einen
haus im Grüt bietet. Barbara Stauber      bleiben möglich. Für meinen Vater,       Lebenslauf schrieb sie, sammelte viele
und ihr Ehemann leben in der oberen       aber auch für mich, war dies eine        Zitate, Gedichte und kleine Texte, die
Wohnung, unten auf zwei Stockwer-         enorme Entlastung. Medizinisch,          ihr gefielen, die Trost spenden – auch
ken Marianne Nacht mit Ehemann            pflegerisch und auch emotional.          für ihre Lieben. «Noch heute, Wo-
Simon und den vier Söhnen im Alter        Wir wurden als Angehörige wahr-          chen nach ihrem Tod, finde ich über-
von 7 bis 14 Jahren. Gemeinsam wird       genommen, die Fachleute nahmen           all in der Wohnung versteckt diese
beschlossen, nicht mit dem Schicksal      sich auch für uns Zeit, standen mit      kleinen Grüsse. Manchmal machen
zu hadern. Warum gerade ich, warum        Rat zur Seite», berichtet Marianne       sie mich wieder traurig, bringen mich
meine Frau, warum Mami, warum             Nacht. «Meine Mutter entschied           aber auch zum Schmunzeln. Typisch

Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                    11
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meine Frau halt», meint Hansueli             bett ins Wohnzimmer, Ehemann und           war eine Erlösung nach einer langen
Stauber.                                     Kinder schliefen abwechslungsweise         Leidenszeit, aber ihr Fehlen ist auch
Barbara Stauber hat ein Abschiedsge-         bei ihr. Die Tochter schildert die         jetzt noch furchtbar», meint Hans-
schenk für die Enkel organisiert: So         letzten Stunden: «Es war schwierig,        ueli Stauber.
stand ab November ein grosses Tram-          nichts mehr tun zu können, ausser bei      Als kurz vor 14 Uhr die Spitex eintraf,
polin im Garten, es solle die Kinder         ihr zu sein. Alle wichtigen Worte wa-      war Barbara Stauber in Frieden für
trösten, wenn sie traurig sind, und          ren gesprochen, es war ein Abwarten.       immer eingeschlafen. Sie wurde um-
ihnen Momente der Freude und des             Am Montagmorgen, am 17. Mai, hat-          gekleidet und alle konnten nochmals
Lachens schenken.                            te ich den Eindruck, es wäre gut, wenn     im Wohnzimmer Abschied nehmen
Jedes Familienmitglied fand Raum             Pfarrer Meier nochmals vorbeikom-          – auch Nachbarn und Freunde, da die
im Prozess des Abschiednehmens.              men könnte. Wenige Minuten später          Überführung in den Aufbahrungs-
Babara Stauber respektierte und ver-         war er da und sprach mit uns allen ein     raum erst am nächsten Tag stattfand.
stand auch, dass ihre vier Enkel, die        letztes Gebet und salbte meine Mut-        Sie nochmals anschauen, berühren,
unter dem gleichen Dach leben, ganz          ter, dazu konnte sie sogar nochmals        mit ihr sprechen – es war ein wich-
unterschiedlich mit der Situation um-        aufsitzen. Über Mittag wurde sie           tiger Teil des Abschiednehmens. Der
gingen. Von neugierig unbefangen bis                                                    WhatsApp-Status von Barbara wur-
sich zurückziehend, alle Jungs durften                                                  de aktualisiert – «auch das passte zu
individuell mit der Trauer umgehen.                                                     Mami, das hat sie sich so gewünscht».
Waren sich immer alle einig, stimm-                                                     Das Trauergespräch und die Vor-
ten die Vorstellungen von Barbara                                                       bereitung zur Beerdigung fanden
Stauber und den Angehörigen immer                                                       neben ihr statt. Die Aufgaben rund
überein? «Vieles sahen wir ähnlich,                                                     um die Organisation der Beerdi-
eine Verabschiedung zum Beispiel                                                        gung wurden auf die ganze Familie
‹im kleinen Kreis› oder ‹auf Wunsch                                                     aufgeteilt. Es wurde viel geweint,
des Verstorbenen›, wie man hin und                                                      aber auch erstaunlich viel gelacht, es
wieder liest, war nicht unseres. Ich                                                    gibt so wunderbare Erinnerungen.
sagte meiner Mutter, dass es für uns                                                    Barbara Stauber hat offen über ihre
Trauernde stimmen muss, wir die                                                         Krankheit und das Sterben gespro-
Hinterbliebenen sind, die dann leiden.       Barbara Staubers Hinterbliebene            chen, das half nun auch den Ange-
Auch als meine Mutter vorschlug,             fühlen sich in ihrer Trauer auch an der    hörigen, offen darüber zu reden, und
die Todesanzeigen gestaffelt zu ver-         Abdankungsfeier von der Gemein-            ist sicherlich heilsam im Trauerpro-
senden und nur nahe Freunde an die           schaft getragen.                           zess. «Die Situation, dass einfach am
Abdankung einzuladen, haben wir                                                         nächsten Tag wieder eine Zeitung
gestritten. Ich fand, alle seien mündig,     sehr unruhig, der Hausarzt kam und         erscheint, empfand ich in diesem
selbst zu entscheiden, ob sie dabei sein     half ihr mit Schmerzmitteln. Lange         Moment als schräg – unsere Mutter
wollen; und nicht einfach vor vollen-        werde es wohl nicht mehr dauern,           und langjährige Gefährtin meines
dete Tatsachen, sprich einen bereits         meinte er. Plötzlich griff sie mit ei-     Vaters ist erst gerade verstorben und
verstrichenen      Beerdigungstermin,        ner Kraft, die wir ihr gar nicht mehr      die Welt dreht sich einfach weiter»,
gestellt zu werden. Der Wunsch nach          zugetraut hätten, nach meinem Va-          meint Marianne Nacht. «Aber es
einer Kremation, der Beisetzung im           ter, öffnete die Augen, zog ihn zu         war sehr eindrücklich, zu sehen, dass
Familiengrab oder der Musik an der           sich und sagte «Dankä für alles». In       Mami auch anderen fehlt. Dies zeig-
Beerdigung stimmte auch für uns.»            seinen Armen schlief sie ein. Jeman-       ten uns die vielen persönlichen Trau-
                                             dem in diesem Moment so nahe zu            ergrüsse mündlich oder schriftlich,
Die letzten Stunden                          sein, berührte mich sehr, es war viel      die Anteilnahme war enorm. An
Ende April entschied Barbara Stau-           Ruhe im Raum und ich hatte den             der Beerdigung, aber auch Tage und
ber, die Antibiotika abzusetzen und          Eindruck, ich könne einen Blick auf        Wochen danach. Es war schön, dass
nur Schmerzmedikamente zu neh-               die ewige Herrlichkeit erhaschen.»         die Gesellschaft keine Berührungs-
men. Es war klar, dass der Abschied          «Der Moment des Sterbens mei-              ängste hatte, uns offen ansprach und
nun nah ist. Sie zügelte auf ein Pflege-     ner Frau fand ich nicht schlimm, es        mit uns trauerte.»

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Die Trauer feiern – ein wichtiges Ritual
Wir sind uns bewusst, dass auch in Gossau verschiedene Religionen gelebt werden. Es würde jedoch
den Rahmen dieser Ausgabe des «Gossauer Infos» sprengen, auf jede einzelne einzugehen. Im Folgen-
den kommt daher der Vertreter einer Richtung zu Wort. Wir haben uns mit Markus Widmer, Seelsorger
und Pfarreibeauftragter der Römisch-katholischen Pfarrei Gossau ZH, unterhalten.

Text: Karin Herrmann; Foto: zvg

In den meisten Fällen wird Markus       feier stattfinden soll, Lebenslauf,
Widmer durch die Gemeinde infor-        Bestattungsart. Manchmal stehen
miert, wenn ein Todesfall ein Mit-      Hinterbliebene beinahe hilflos da,
glied der Röm.-kath. Kirche Gossau      es wurde nie darüber gesprochen.
betrifft. Es ist ein Zeichen unserer    Vielleicht möchte nun ein Teil der
Zeit, dass er aufgrund der Meldung      Hinterbliebenen eine in ihren Au-
oft noch kein Gesicht vor Augen hat.    gen klassische Abdankung, mit
Aus Datenschutzgründen werden           Eucharistiefeier, kirchlicher Orgel-
Patienten in Krankenhäusern von         musik, Lebenslauf. Der andere Teil
Spitalseelsorgern betreut. Besuche      hat sich vielleicht längst von diesen
und das Sakrament der Kranken-          Ritualen verabschiedet, glaubt, dass
salbung, früher als letzte Ölung be-    eine solche Feier dem Verstorbenen
zeichnet, geschehen demzufolge oft      nicht entspricht. Hier steht Markus
durch diese Seelsorger. Don Marek       Widmer als Vermittler zur Seite.
Gorski, priesterlicher Mitarbeiter in   Einige Vorgänge bleiben sich so-
Gossau, kann nur auf persönlichen       wieso gleich. Sofern die Angehöri-
Wunsch Pfarreimitglieder beglei-        gen zustimmen, wird der Todesfall
ten und Krankensalbungen erteilen.      in der ersten Eucharistiefeier nach
Dies geschieht oft mehrere Male,        dem Todestag erwähnt, mit einem
denn die Salbung soll helfen. Helfen    Aushang beim Kircheneingang
auf dem Weg zur Heilung oder beim       werden die Kirchgänger zusätzlich
Übertritt in die andere Welt.           informiert. Die Katholische Kirche
Nach Erhalt der Meldung eines To-       kennt den Brauch eines Gedächtnis-      Markus Widmer.
desfalls setzt sich Markus Widmer       gottesdienstes um den 30. Tag nach
mit den Angehörigen in Verbindung       dem Tod («Dreissigster») sowie das      Er geht auf viele Wünsche ein, so-
und bietet an, sie bei ihnen zuhau-     Jahresgedächtnis. Zudem werden an       lange er dafür seine eigene Glaubens-
se zu besuchen. Wenn sie auswärts       Allerseelen alle Namen der während      überzeugung nicht verleugnen muss.
wohnen, empfängt er sie im Pfar-        des Jahres Verstorbenen erwähnt,        Er erinnert sich an eine Abschieds-
reizentrum. Im Gespräch macht           sofern der Todesfall öffentlich be-     feier für einen aus der Kirche ausge-
sich Markus Widmer behutsam ein         kannt gegeben wurde. An diesem          tretenen Katholiken. Die Angehöri-
Bild der Situation. In welchem Ver-     Tag, vor allem das erste Mal nach       gen baten aufgrund des damaligen
hältnis stehen die Hinterbliebenen      dem Trauerfall, treffen sich auch       Briefwechsels trotzdem um eine
zum Verstorbenen*, waren sie auf        heute noch viele Angehörige in der      katholische Beerdigung. Die Hinter-
die Situation vorbereitet, wissen       Kirche oder beim Grab, um gemein-       bliebenen waren sich anschliessend
sie, welche Form der Abschiedsfeier     sam zu gedenken und Kerzen für die      sicher, dass der Verstorbene diesen
sich der Verstorbene gewünscht hat?     Vorangegangenen zu entzünden.           versöhnlichen Abschied und die
Manchmal ist alles genau festgelegt,    Markus Widmer ist sehr offen bei        Feier sehr geschätzt hätte. In einem
in welchem Kreis die Abdankungs-        der Gestaltung der Abschiedsfeier.      anderen Fall schlug Markus Wid-

Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                13
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mer den Angehörigen vor, die Feier          verabschieden. Eine ganz besondere        Verstorbenen, die erlebten Freuden,
aus der Kirche in den Pfarrsaal, auf        Situation erlebte Markus Widmer           die erlittenen Brüche, Schicksalhaf-
neutraleren Boden zu verlegen, weil         zu Beginn seiner Tätigkeit. Er wur-       tes mit Hilfe von biblischen Texten
der Verstorbene sich zu Lebzeiten           de von einem Vormund gebeten, auf         in einen Zusammenhang zu stellen,
schwertat, eine Kirche zu betreten.         dem Friedhof eine Trauerfeier für         der Trost und Kraft gibt. Und einen
Ebenso berührten ihn Abschieds-             einen seiner Schützlinge abzuhalten.      grossen Wunsch hat Markus Wid-
feiern, bei denen mit verschiedenen         Er konnte ihm keine näheren Anga-         mer an uns Lebende: Beschäftigen
symbolhaften Gesten der Toten ge-           ben zum Verstorbenen machen und           wir uns doch mit diesem letzten Akt
dacht wurde. Eine Vase, in welche die       wusste auch nicht, ob irgendjemand        unseres Daseins. Wie möchten wir,
Trauergäste jene selbst mitgebrachte        zur Beerdigung kommen würde.              dass dieser geschehen soll? Fast jeder
Blume stellten, die ihr Gefühl für          Eine solche Abdankung konnte sich         von uns war doch schon in der Situ-
den Verstorbenen ausdrückte, ein            der Seelsorger nicht vorstellen, wie      ation, dass er einen lieben Menschen
Lichtermeer aus an der Osterkerze           sollte er diesem Menschen gerecht         verabschieden musste. Wie hilfreich
entzündeten Kerzen, was Hoffnung            werden? Am Abend vor der Beer-            und tröstlich ist es doch, wenn die-
auf eine trotzdem helle Zukunft             digung erzählte er während eines          ser letzte Liebesbeweis im Sinn des
macht, ein Film im Hintergrund, der         Erwachsenenbildungskurses von sei-        Verstorbenen erfolgen kann. Markus
besondere oder typische Stationen           nem nicht einfachen nächsten Tag.         Widmer steht gern jedem zur Seite,
aus dem Leben des Dahingegange-             Er war zutiefst berührt, als an der       der über dieses Thema sinnieren und
nen zeigt, Fotos, Bilder, Musik, Ge-        Beerdigung einige Kursteilnehmer          zu einem Entscheid kommen möch-
sang, persönlich vorgetragene Ge-           vor Ort waren und sich zusätzlich         te. Es braucht Mut, das Thema der
danken – vieles ist möglich. Markus         noch weitere Bekannte des Toten           eigenen Endlichkeit so pragmatisch
Widmer musste noch nie etwas ab-            einfanden. Es entstanden Gespräche,       anzugehen, aber wir entlasten un-
lehnen. Er stellt auch fest, dass Trau-     hier ein kleine Begebenheit aus dem       sere Hinterbliebenen, die meist nur
ergäste in dieser Situation sehr offen      Leben des Verstorbenen, dort eine         schon mit ihrer eigenen Trauer mehr
sind und sich durch Ungewohntes             Erinnerung. Diese Feier ist Markus        als genug zu tun haben.
nicht irritieren lassen.                    Widmer bis heute als besonders
Heute werden viele Abschiede im             schön im Gedächtnis geblieben.            *Aus Gründen der besseren Lesbar-
engsten Familienkreis abgehalten.           Auf die Frage, ob sich seit seinen An-    keit wird auf die gleichzeitige Ver-
Das erweiterte Umfeld des Ver-              fängen als Seelsorger etwas geändert      wendung der Sprachformen männ-
storbenen wie Nachbarn, Freunde,            hat, meint er, dass er weniger Worte      lich, weiblich und divers (m/w/d)
Arbeitskollegen oder Vereinskame-           mache als früher, weniger predige. Er     verzichtet. Sämtliche Personenbe-
raden müssen in diesen Fällen ih-           versuche mehr, das von den Ange-          zeichnungen gelten gleichermassen
ren eigenen Weg finden, wie sie sich        hörigen vermittelte Lebensbild des        für alle Geschlechter.

                                             G OSSAU ER

      Wienachtsmärt
       4. Dezember 2021 | 14 bis 20 Uhr | Ernst-Brugger-Platz

14                                                                                   Gossauer Info 146 | September 2021
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Als sei es gestern gewesen
So vieles wollten sie gemeinsam noch tun, so viele Pläne, so viele «das machen wir dann». Vor allem aber
wollten sie gemeinsam das eben gekaufte alte Haus renovieren, es für ihre Familie mit den zwei Söhnen
umgestalten, sich ein Heim schaffen. Es sollte nicht sein. Mitten in diese Zeit des Aufbruchs der Schicksals-
schlag, Beat Herrmanns Tod, der Karin und ihren Kindern den Boden unter den Füssen wegzog.

Text: Geneviève Bichsel, Fotos: zvg

Es war Frühling in jenem Jahr 1997.
Karin Herrmann und ihr Mann
Beat lebten mit ihren Kindern ei-
nen Alltag voller Aktivitäten, aber
auch viel Arbeit. Da waren die Söh-
ne Alexander und Tobias in einem
Alter, wo die Gratwanderung zwi-
schen elterlicher Fürsorge und ver-
trauensvollem Loslassen Väter und
Mütter immer wieder vor grosse
Herausforderungen stellt. Da waren
auch die persönlichen Leidenschaf-
ten, die Zeit und Energie kosteten,
für Beat Hermann seine Hunde,
für Karin die Pferde, diese Liebe
zu Tieren, die sie teilten und die sie
auch bei den alltäglichen Schwierig-
keiten immer verband. Und dann
dieses ganz grosse Projekt, dem sie      Letzte gemeinsame Ferien, Sommer 1996.
andere Wünsche und ganz viel Zeit
opferten: das alte Haus, das ihr zu-     quenzen sprechen, liess ihre Fragen      «Wir schaffen das!»
künftiges Zuhause werden sollte.         unbeantwortet, Karin konnte seine        Innerhalb dreier Tage ist ihre Welt
Es brauchte nicht viel geredet zu        Abwehr nicht durchbrechen. Dass          zusammengebrochen. In die Fas-
werden, jeder wusste, was zu tun         die Ärzte keine Ursache feststellen      sungslosigkeit und bodenlose Trau-
war.                                     konnten, machte es auch nicht bes-       er mischen sich Wut, Fragen um
Die Kinder eingebunden in die            ser, dann doch lieber schweigen …        das «Warum», Verzweiflung über
Arbeit, die Eltern absorbiert durch      Und dann jener Freitag im April.         diese Ungerechtigkeit. Karin weiss
das Vorhaben, die Erfüllung eines        Beat wird stark geschwächt für wei-      sofort, dass sie ihre Aufgabe ganz
Lebenstraums.                            tere Untersuchungen ins Kranken-         im Sinn von Beat weiterführen will.
So fiel es zuerst gar nicht auf, dass    haus eingewiesen. Erst jetzt erhält      Es ist ein Versprechen voller Dank-
Beat manchmal müde war, schnel-          er die Diagnose Krebs. Karin be-         barkeit für alles, was er für sie und
ler erschöpft und etwas kurzatmig.       sucht ihn mehrmals täglich. Doch         die Kinder getan hat. In ihrem tiefs-
Die Arbeit war unglaublich an-           es bleibt nur noch wenig Zeit. Am        ten Innern ist sie sich sicher, dass sie
strengend, klar, dass er müde wur-       Sonntagmorgen möchte ihn Karin           das schaffen kann. Auch wenn es
de. Und der Husten, vielleicht doch      wieder besuchen, diesmal mit To-         unendlich schwer werden sollte. Für
eine Zigarette zu viel? Beat mochte      bias. Von weitem sieht sie die Ärzte     ihn, der das Werk nicht vollenden
nicht darüber reden, mochte mit          vor Beats Zimmer, sie ahnt, nein sie     konnte, aber auch für ihre Kinder.
Karin nicht über mögliche Konse-         weiss, dass Beat gestorben ist.          Sie werden zu einer verschwore-

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                                                                                 meine Wünsche mehr zurückstel-
                                                                                 len sollen?
                                                                                 In all dem Schweren trägt sie die
                                                                                 Überzeugung, dass sie ihr Schick-
                                                                                 sal meistern wird. Gross geworden
                                                                                 in einer Familie, die nicht zuletzt
                                                                                 die Töchter zu Selbstbewusstsein
                                                                                 und Unabhängigkeit erzogen hat,
                                                                                 schöpft sie Kraft aus diesem Selbst-
                                                                                 verständnis. Sie wechselt den Job
                                                                                 und führt die Renovierung ihres
                                                                                 Hauses weiter.
                                                                                 Jeden Tag besucht sie Beats Grab,
                                                                                 hält Zwiesprache, trauert und lässt
                                                                                 alle Gefühle zu. Sie trauert um ihn,
                                                                                 um die verlorenen Träume, trauert
                                        Tobias, in der Oberstufe, macht ihr      aber auch für Beat, der seine Pläne
                                        Sorgen. Er nutzt die Nachsicht der       nicht verwirklichen und sein Leben
                                        Lehrkräfte und Mitschüler, um die        nicht wirklich vollenden konnte.
                                        Regeln zu brechen. Alexander steht       Ein Jahr braucht Karin, bevor sie
                                        am Anfang seiner Lehre und ver-          sich zurück ans Leben herantasten
                                        sucht sich als Punk. Beide zeigen        kann und sich stark genug fühlt,
                                        ihre Trauer kaum und mögen nicht         Normalität zu leben. Verleugnet
                                        darüber sprechen. Das Leben von          hat sie sich nie, hat sich ihre Träume
                                        beiden wurde erschüttert, aber sie       und Wünsche bewahrt und erlaubt
                                        suchen Normalität, ihr Fokus ist         sich langsam, diese auch zu verwirk-
                                        das eigene Leben und dessen Ver-         lichen.
                                        wirklichung. Damals wie heute sind
                                        sich die beiden Brüder zutiefst ver-     Karin: Bis heute denke ich jeden
                                        bunden, sind immer füreinander da        Tag an Beat, empfinde ihn als ge-
                                        und sind sich wohl gegenseitig die       genwärtig in meinem Leben. Meine
                                        engsten Vertrauten.                      Schuldgefühle haben mich lange
                                        Für Karin bleibt die Leere, die          begleitet, aber mittlerweile sind die-
Projekt Sanierung altes Haus.           Trauer, die Einsamkeit. Wie dank-        se verstummt und ich denke voller
                                        bar ist sie für Freunde und Familie,     Dankbarkeit an unsere gemeinsame
nen Gemeinschaft, für die Söhne         die sie unterstützen, ihr unkompli-      Zeit und das Geschenk einer gros-
manchmal schwierig, aber sie se-        ziert und ohne Aufhebens zur Seite       sen Liebe. In meiner schwersten
hen und spüren die Notwendigkeit,       stehen, mit ihr reden, sie einladen,     Zeit haben mir, neben meinen Kin-
zusammenzuhalten. Und doch,             mit ihr kochen und essen und auch        dern, jene Menschen geholfen, die
dieses «wir schaffen das, nicht zu-     das Banale teilen.                       sich mir zugewandt haben, die mich
letzt für Beat» ist für die beiden                                               ohne Wenn und Aber, aber auch
Jugendlichen eine schwerwiegende,       Die Trauer sitzt tief                    ohne Berührungsängste begleitet
manchmal sicher auch zu schwere         Gegen aussen scheint Karin stark,        und meine Trauer ausgehalten ha-
Verpflichtung.                          gegen innen ist sie traurig, verzwei-    ben. Das Leben mit den Trauern-
                                        felt und quält sich mit Schuldge-        den teilten, nicht aus Unsicherheit
Wie kann sie ihre Kinder unter-         fühlen. Habe ich genug getan, hät-       wegsahen oder sich fernhielten.
stützen, genügt die gegenseitige        te ich nicht liebvoller sein müssen,     Dies hätte die Einsamkeit und Ver-
Nähe, um zu trösten?                    habe ich etwas versäumt oder einige      lorenheit nur noch grösser gemacht.

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Auch reden über den Verstorbenen,       war dies anfangs schwer,
immer wieder über den Verlust und       doch im Rückblick hat
das Geschehene reden, das hat mir       dies meine Selbständig-
gutgetan.                               keit gefördert und mein
Erst seit wenigen Jahren sehe ich       Selbstbewusstsein ge-
mir Fotoalben aus unserer gemein-       stärkt.
samen Zeit an. Meinem Enkel und         Die Erfahrung, dass von
meiner Enkelin zeige ich Fotos und      heute auf morgen alles
erzähle ihnen von der Kindheit ih-      anders sein kann, dass
res Vaters Alexander. Manchmal          jederzeit Verlust und
taucht Beat in diesen Erzählungen       Tod eintreffen können,
auf und wird in unserem Leben           hat mich geprägt. Ich
präsent. Das finde ich wunder-          suche nicht unbedingt
schön. Wie gerne wäre ich an seiner     Sicherheiten, sondern
Seite Grossmutter, er wäre ein gros-    gehe auch Risiken ein,
sartiger Grossvater.                    nicht zuletzt im Wissen,
                                        dass nicht das Risiko
Alex: Zuerst war da diese boden-        gefährlich ist, sondern
lose Traurigkeit und Hilflosigkeit,     das Leben an sich kei-
später das Gefühl einer grossen         ne Sicherheiten bietet.
Ungerechtigkeit. Ich erinnere mich      Andererseits lässt mich
aber auch, dass ich gedacht hatte,      das Gefühl, dass etwas
nun der Mann in der Familie sein zu     nicht von Dauer sein
müssen, ein Klischee, vielleicht aus    könnte, freier leben, den
Filmen …, mit 15 Jahren eine riesige    Moment intensiver ge-
Überforderung.                          niessen, das Flüchtige
Ich erinnere mich aber auch, wie        auskosten, zwingt mich,
die Angst vor Verlust wuchs. Ver-       nichts aufzuschieben
mutlich hat mich einiges aus dieser     und mich nicht in fal-
Tragödie geprägt. Bis heute fällt       scher Sicherheit zu wie-
es mir nicht leicht, mich auf einen     gen.
Menschen oder eine Beziehung ein-       Karin lebt auch heute
zulassen, das Gefühl, es könnte mir     ein     selbstbestimmtes
weggenommen werden, nagt oft an         Leben. Unabhängig von
mir. Es hat mich aber auch gelehrt,     Meinungen und Urtei-
den Moment zu geniessen und da-         len anderer. Sie hat sich
für dankbar zu sein.                    einige ihrer Träume
                                        erfüllt und einige auf-
Tobias: Meine Erinnerungen an           gespart. Ihre Verbun-
Beats Tod sind vielschichtig, vieles    denheit mit Beat ist bei
fühlte sich surreal an. In der Schule   unserem Gespräch, so Zustand heute.
war ich der arme Tobias, dem viel       viele Jahre nach seinem
Mitleid entgegengebracht wurde.         Tod, immer spürbar.                 damit anderen Mut gemacht, gera-
Das habe ich ausgenutzt. Zuhause                                            de in den ganz schweren Momen-
mussten wir nun fest mitanpacken,       Ich möchte mich bei Karin Herr- ten des Lebens den eigenen Weg zu
ich wusste, Beat ist nicht mehr da,     mann und ihren Söhnen von Her- suchen und unbeirrt zu gehen. Sie
er kann es nicht für mich, nicht für    zen bedanken. Sie haben ihre Erfah- selbst haben dies getan und uns dar-
uns machen, also tu es selbst. Ob-      rungen mit uns geteilt, haben offen an auf berührende, beeindruckende
wohl ich die Notwendigkeit einsah,      über ihre Gefühle gesprochen und Weise teilnehmen lassen.

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Würdevolle Betreuung in der letzten
Suzanne Nussbaumer (59), Pflegefachfrau, arbeitet seit vielen Jahren bei der Spitex Bachtel in Gossau
und ist auch Mitglied bei der Fachgruppe Palliativ Care der Spitex Bachtel.

Text: Rita Gröbli, Foto: zvg

Was hat Sie bewogen, sich weiter-                                                 sind stets in engem Kontakt mit
zubilden und sich in der Fachgruppe                                               dem Palliativ-Care-Team in Wet-
Palliative Care zu engagieren?                                                    zikon. Sowohl das Palliativ-Care-
Meine frühen Erfahrungen mit                                                      Team des GZO als auch die Spitex
Krankheit und Sterben in der Fa-                                                  Gossau sind während 24 Stunden
milie und im Freundeskreis ha-                                                    erreichbar.
ben mich geprägt und mir gezeigt,                                                 Gibt es Anzeichen, dass der Tod bald
dass die Begleitung schwerkranker                                                 eintritt?
Menschen intensiv, aber sehr berei-                                               Die Person ist meistens sehr müde,
chernd ist. Diese Erfahrungen ha-                                                 will nicht mehr essen und trinken,
ben mir auch gezeigt, wie wichtig es                                              schläft viel. Es kann eine Unruhe
ist, in der letzten Lebensphase eine                                              auftreten, die Atmung wird flacher
würdevolle Pflege und Unterstüt-                                                  und unregelmässiger.
zung zu erhalten.                                                                 Meine Mutter habe ich bis zu ihrem
Kommt das oft vor, dass Sie einen        Suzanne Nussbaumer.                      Ableben begleitet. Sie hat ihren na-
Patienten begleiten müssen?                                                       hen Tod wohl geahnt und alle Fa-
Ja, in der Pallativbetreuung wer-         wird besprochen, was für Pflege/        milienmitglieder eingeladen, um
den ja nicht nur Krebspatienten           Unterstützung gebraucht wird.           von ihr Abschied zu nehmen. Das
betreut. Menschen mit anderen             Der Palliativ-Care-Mediziner oder       war sehr berührend und eindrück-
schwerwiegenden Erkrankungen              Hausarzt erstellt einen Notfallplan.    lich für alle – die Mutter ist dann
wie z. B. Amyotropher Lateralskle-        Darauf wird festgelegt, wer im Not-     kurz darauf verstorben.
rose (ALS) erhalten genauso eine          fall wann zu erreichen ist und wel-     Welche Vorkehrungen treffen Sie,
intensive und umfassende Pflege.          che Medikamente wie oft gegeben         nachdem der Tod beim Patienten
Die Palliative Care ist also integ-       werden können.                          eingetreten ist?
riert in unserer täglichen Pflege.        Welche Pflege kommt bei Ihrem           Wenn wir nicht vor Ort sind, wenn
Wen muss man kontaktieren, um             Einsatz zu Hause auf Sie zu?            der Patient/die Patientin stirbt, er-
jemanden zu Hause zu pflegen?             Das kann sich um tägliche Kont-         halten wir eine Benachrichtigung
In der Regel ist der Patient oder die     rollbesuche handeln, wo es darum        von den Angehörigen. Wir kontak-
Patientin schon lange in hausärzt-        geht, nachzufragen, ob z. B. Sym-       tieren daraufhin den Hausarzt oder
licher Betreuung. Das Team der            ptome genügend behandelt sind,          Pallativ-Arzt – dieser bestätigt den
Spitex erhält eine Anmeldung zur          oder dringende Fragen zu klären. In     Tod. Anschliessend wird die ver-
Pflege oder ist bereits bei uns be-       einer späteren Phase kommt Hilfe        storbene Person gewaschen und
kannt. Eine Anmeldung durch das           bei der Körperpflege dazu sowie         eingekleidet. Eine Kerze wird ange-
Palliativ-Care-Team in Wetzikon           Verabreichung von Medikamen-            zündet oder Blumen aus dem Gar-
findet kurz vor Austritt des Patien-      ten über einen Katheter unter die       ten auf den Nachttisch gestellt. Der
ten statt.                                Haut, wenn schlucken nicht mehr         Bestatter wird kontaktiert und ein
Zu Hause wird dann eine soge-             möglich ist.                            Leitfaden abgegeben, damit die An-
nannte Bedarfsabklärung durch             Wir unterstützen die pflegenden         gehörigen wissen, welche Formali-
eine Pflegefachfrau gemacht. Zu-          Angehörigen in der Körperpflege,        täten zu regeln sind. Nach sechs bis
sammen mit den Angehörigen                führen intensive Gespräche und          acht Wochen meldet sich eine Pfle-

18                                                                               Gossauer Info 146 | September 2021
THEMA
                                                                      ABSCHIED

Lebensphase                               Palliative Care
                                          Die meisten Menschen wünschen sich ein langes, gesundes Leben und wenn
 gefachfrau der Spitex Gossau, um         eine unheilbare Krankheit zu Behinderung, Leiden und Abhängigkeit führt,
 nach dem Befinden zu fragen oder         rasch, ohne Qual und zu Hause zu sterben. Tatsächlich geht dieser Wunsch
                                          heute nur für einen kleinen Teil der Menschen in Erfüllung. Viele leiden in den
 ob ein Besuch erwünscht ist.
                                          letzten Wochen bis Monaten vor dem Tod unter mässigen bis starken Schmer-
 Ist diese Arbeit nicht sehr belastend?
                                          zen, Atemnot, Erbrechen und anderen Beschwerden. Nur noch 15 Prozent
 Nicht unbedingt. Man wird in
                                          der Menschen können den letzten Schritt ins grosse Unbekannte in vertrauter
 Weiterbildungskursen auch immer
                                          Umgebung und begleitet von ihren Angehörigen unternehmen.
 wieder auf dieses Thema sensibili-
 siert. Auch im Team tauschen wir
                                          Gute Palliative Care kann das ändern
 uns regelmässig aus und stützen
                                          Schmerzen und andere Symptome werden bestmöglich gelindert. Wünsche
 uns gegenseitig in speziell schwie-
                                          des betroffenen Menschen bestimmen Pflege und Begleitung. Seelisches
 rigen Situationen. Einen Menschen
                                          Empfinden, soziale Beziehungen und spirituelles Erleben werden einbezogen.
 zu begleiten bis zum seinem Tod,
                                          Unterstützung, Anleitung und Information von Angehörigen sind integriert.
 kann eine sehr erfüllende Aufgabe
                                          «Palliare» ist lateinisch und heisst «umhüllen» oder «einen Mantel umle-
 sein. Mithelfen, die Lebensquali-
                                          gen». Das englische «care» bedeutet «Betreuung» und macht deutlich, dass
 tät für Schwerstkranke so gut als
                                          sich neben Ärzten und Pflegenden auch andere Berufsgruppen wie Seelsorge
 möglich zu erhalten und die be-
                                          oder Sozialdienste umfassend um das Wohl des Betroffenen kümmern.
 treuenden Personen in der Pflege
 zu unterstützen, gibt einem vieles.      Leistungen des spezialisierten Palliative-Care-Teams am GZO Spital
 Natürlich, wenn es sich um junge         Wetzikon unter der Leitung von Dr. med. Andreas Weber
 Patienten handelt, kann es durch-        Speziell am Angebot der Palliative Care des GZO Spitals Wetzikon ist, dass
 aus sehr belastend sein. Ich habe        die nachfolgenden Leistungen in allen Kliniken der GZO, aber auch in den
 meine Schwester früh verloren und        Pflegeheimen und zu Hause angeboten werden.
 weiss, wie schwierig und traurig sol-    – Palliative Beratung der Patientin oder des Patienten sowie der nicht beruf-
 che Erlebnisse sind.                     lich an der Pflege Mitwirkenden (Angehörigen) im Umgang mit schweren
 Wie erholen Sie sich?                    Krankheitssymptomen und instabilen Situationen durch speziell qualifizierte
 Ich bin sehr gerne in der Natur un-      Pflegefachpersonen.
 terwegs, pflege meinen Garten und        – Vermittlung und Organisation von Fachleuten zur psychosozialen und spi-
 zudem kann ich mich beim Malen           rituellen Unterstützung.
 auf andere Gedanken bringen und          – Notfallplanung für zu erwartende Komplikationen entsprechend Patien-
 mich dabei erholen.                      tenverfügung (Advanced Care Planning), in Zusammenarbeit mit Ärztin/Arzt.
 Was sollte nicht vergessen werden?       – Rasche (im Notfall innerhalb einer Stunde) und fachgerechte Behandlung
 Es ist hilfreich, wenn bereits eine      bei ungenügend kontrolliertem Leiden, auch nachts und an Wochenenden
 Patientenverfügung, Wünsche für          (bei bereits bekannten Patienten).
 Bestattung und Abschiedsfeierlich-       – Installation und Betrieb von patientengesteuerten Schmerzpumpen. Pa-
 keiten vorhanden sind. Das erleich-      renterale Medikamentenzufuhr über subkutane, intravenöse Kanülen oder
 tert auch vieles für die Hinterbliebe-   über Port-à-Cath, inkl. Einlegen von Port-Nadeln und sofortigem Zugriff auf
 nen, zu wissen, was die verstorbene      entsprechendes Material und Medikamente.
 Person sich gewünscht hat.               – Ethische Entscheidungsfindung und Durchführung einer palliativen Seda-
                                          tion in Zusammenarbeit mit Ärztin/Arzt.
  Spitex Bachtel AG/Zentrum Gossau
  Laufenbachstr. 23, 8625 Gossau ZH       Palliative Care c/o GZO Spital Wetzikon
  Tel. 044 576 00 04                      Spitalstrasse 66, 8620 Wetzikon
  Wir sind neu auch nachts für Sie da!    Montag bis Freitag, 8.00-17.00 Uhr, Tel. 044 934 23 92
  Montag bis Sonntag 24 Std. erreich-     Homepage: pall.care@gzo.ch
  bar unter Tel. 044 576 00 00

 Gossauer Info 146 | September 2021                                                                                     19
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