Human Factors für Simulatortrainings - Gesine Hofinger - Team HF

Die Seite wird erstellt Milo Appel
 
WEITER LESEN
Human Factors für Simulatortrainings - Gesine Hofinger - Team HF
aus St. Pierre, M. & Breuer, G. (Hg.) (2018),
              Simulation in der Medizin (2. Aufl).
                                                        177             14
              Heidelberg: Springer.

Human Factors für
Simulatortrainings
Gesine Hofinger

14.1	 Human Factors – mehr als menschliches
       Versagen – 178
14.2	 Human Factors als Wissenschaft und
       Anwendung – 178
14.3	 Die Vielfalt ordnen: Ebenen von Human
       Factors – 180
14.4	 Individuelle Human Factors und
       Simulatortraining: Was kann gelernt
       werden? – 181
14.5	 Teamfaktoren und Simulatortrainings:
       nichttechnische Kompetenzen/CRM – 182
14.5.1	 Nichttechnische Kompetenzen – 182
14.5.2	 Themen für Simulatortrainings der nichttechnischen
         Kompetenzen – 183

14.6	 Simulatortrainings in die Organisation
       einbetten – 184
14.7	 Nutzung von Simulatoren für Human-
       Factors-orientierte Gestaltung von
       Arbeitsprozessen – 184
14.7.1	 Training manueller Fertigkeiten – 185
14.7.2	 Standards testen, üben, anpassen – 185
14.7.3	 Schnittstellen in der Organisation pflegen – 185

14.8	 Fazit – 186
            Literatur – 186

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018
M. St.Pierre, G. Breuer (Hrsg.), Simulation in der Medizin,
https://doi.org/10.1007/978-3-662-54566-9_14
178    G. Hofinger

     14.1  Human Factors – mehr als                       machen und so die Patientensicherheit steigt.“
           menschliches Versagen                           Solche Trainings, v. a. Teamtrainings, werden in der
                                                           Medizin häufig Human-Factors-Trainings genannt.
     In den letzten Jahren wird zunehmend von                  Dieser Gedankengang und die aus ihm
     Human Factors gesprochen, wenn es um                  folgenden Trainingsprogramme sind ein deut-
     Patientensicherheit, um Fehler in der Medizin         licher Fortschritt gegenüber dem Totschweigen
     und um Simulatortrainings geht. So werden in          von Fehlern und dem Bestrafen von „Schuldigen“.
     Publikationen aus verschiedenen sicherheits-          Dennoch greift auch diese Argumentation zu kurz:
     kritischen Branchen und auch aus der Medizin          Es werden nur einige Faktoren von Unfällen erfasst,
     seit Jahrzehnten Human Factors als Ursache von        nämlich menschliches Verhalten auf verschiedenen
     ca. 60–80% aller Unfälle angegeben (z. B. [1, 6,      Systemebenen. Als Antwort auf Fehler werden
     12, 28, 32]). In dieser Perspektive stehen mensch-    „mehr Schulungen“, „mehr Human-Factors-Training“
     liche Fehler, „menschliches Versagen“ als Ursache     und „mehr Anstrengung“ gefordert. Damit
     für Unsicherheit im Vordergrund („human               wird jedoch die Bedeutung der „menschlichen
     error“), und Human Factors wird zum Synonym           Faktoren“ auf falsches Verhalten und dessen Ver-
     für genau diese Fehler. In den Bereichen, in          meidung reduziert. Diese Vorgehensweise ent-
     denen sich eine systemische Sichtweise auf Fehler     spricht möglicherweise einer generellen Tendenz in
     durchgesetzt hat, wird der Begriff der Human          der Medizin, Verhalten (und Fehler) Einzelner zu
     Factors auch verwendet, um die Verursachung           betonen, auch und gerade wenn es um Sicherheit
     von Fehlern auf den verschiedenen Ebenen eines        geht. Wird Human Factors jedoch ausschließlich
     Arbeitssystems zu beschreiben, von Management-        auf Fehler reduziert, die mithilfe der genannten
     entscheidungen bis hin zu aktiven Fehlern [20]        Methoden verhindert werden sollen, ist der Begriff
     beispielsweise in der Patientenbehandlung.            nur ein „semantisches Surrogat für blaming“ [5] –
          In den letzten Jahren hat es zahlreiche Dis-     also alter Wein in neuen Schläuchen. Durch diese
     kussionsbeiträge gegeben, die diese Gleichsetzung     begriffliche Engführung wird verhindert, dass das
     von Human Factors und Fehlern problematisch           Potenzial des Human-Factors-Ansatzes für Sicher-
     finden (z. B. [3]), weil mit dieser Sichtweise ein    heit voll genutzt wird.
     eingeschränkter Zugang zu Sicherheit verbunden
                                                           > Human Factors bedeutet mehr als Fehler
     ist: Es steht nur das menschliche (Fehl-)Verhalten
                                                              und ihre Vermeidung!
     im Vordergrund, nicht die Sicherheit des Arbeits-
     systems. Trotz dieser Bedenken hält sich die          Was ist aber mit dem Begriff Human Factors
     genannte inhaltliche Gleichsetzung hartnäckig.        gemeint, wenn sich dahinter mehr verbergen soll
14   Wie kommt es dazu? Es ist aufgrund der Alltags-       als Fehler, sicherheitsrelevantes Verhalten oder
     erfahrung und der Studien zur Unfallverursachung      Verhaltensänderung? Und welche Relevanz hat
     naheliegend zu denken: „Menschliche Fehler sind       eine umfassendere Sichtweise für die Arbeit mit
     schuld an Unfällen.“ Eine klassische Reaktion         Simulatoren in der Medizin?
     wäre: Diejenigen, die Fehler gemacht haben,               Um diese Frage zu beantworten, wird hier der
     werden ermahnt oder bestraft oder aussortiert, je     Versuch unternommen zu zeigen, was Human
     nach Bewertung der Schuldhaftigkeit ihrer Fehler.     Factors sind und was daraus für Simulator-
          In der fortgeschrittenen Version dieser Sicht-   trainings folgen könnte. Zunächst wird die
     weise unter Einbeziehung einer „systemischen          Bedeutung von Human Factors als Wissenschaft
     Fehlersicht“ lautet der Satz dann: „Mensch-           und Anwendung erläutert. Dann wird ein Modell
     liche Fehler, die an verschiedenen Stellen des        zum Verständnis der Human Factors an Bei-
     Behandlungssystems gemacht wurden, lösen              spielen aus dem Simulatortraining erläutert.
     Unfälle aus.“ Das Bewusstsein darüber, dass ein
     Patientenunfall viele Ursachen hat, ist verbunden
     mit dem Bemühen um eine Sicherheitskultur, die        14.2  Human Factors als
     auf Schuldzuweisungen verzichten will. Anstelle des         Wissenschaft und Anwendung
     Bloßstellens und Bestrafens von Einzelnen („name,
     blame, shame“) geht es dann um das Verhindern         Human Factors ist eine angewandte Wissen-
     von Fehlern, unter anderem durch Training: „Man       schaftsrichtung, die sich forschend und inter-
     muss Menschen trainieren, damit sie weniger Fehler    venierend mit Menschen in (Arbeits-)Systemen
Human Factors für Simulatortrainings
                                                                                      179                 14
befasst [4]. Gängige Definitionen spiegeln den      Im Deutschen wird unter „Ergonomie“ eher die
Sachverhalt wider, dass Human Factors von ver-      menschengerechte Gestaltung der Arbeitsplätze
schiedenen Grundlagendisziplinen getragen           und -mittel betrachtet, während „Human Factors
wird und stark anwendungsorientiert ist:            Engineering“ eher die Systemgestaltung unter
„Human Factors als interdisziplinäre Wissen-        Einbeziehung menschlicher Charakteristika
schaft beschäftigt sich mit dem Verhältnis von      meint. Diese Beg­     riffsabgrenzungen sind für
Menschen und Technik unter einer systemischen       Menschen, die sich mit Patientensicherheit
Perspektive und greift dabei auf verschiedene       und Simulation befassen, nur relevant, wenn
Basisdisziplinen zu mit dem Ziel des Erkennt-       sie tiefer in die Literatur einsteigen wollen. Was
nisgewinns über Menschen als Ressource und          man sich für die Alltagsanwendung merken
begrenzenden Faktor im System Mensch und            sollte: Bei Human Factors geht es immer um die
Technik. Zum anderen ist Human Factors eine         Verknüpfung menschlicher Eigenschaften und
angewandte Wissenschaft, die Anwendungs-            Merkmale mit technischen und organisationalen
wissen für Problemlösungen in der Praxis bereit-    Faktoren ihres Arbeitssystems.
stellt.“ [2, 4, 7, 26]
                                                    > Der Begriff der Human Factors wird je nach
> Human Factors ist einerseits Wissenschaft            Herkunftsdisziplin verschieden definiert.
   und andererseits Anwendungsdisziplin.               Es steht aber immer die Verbindung
   Das Verhältnis von Menschen und ihren               menschlicher Eigenschaften, Merkmale
   Arbeitssystemen soll verstanden und                 und Fähigkeiten mit technischen und
   optimiert werden, wobei Menschen im                 organisationalen Faktoren im Mittelpunkt.
   Mittelpunkt stehen.
                                                    Human Factors betont also die Wichtigkeit der
Die Optimierung des Verhältnisses von Menschen      Systemgestaltung. Systemgestaltung bedeutet,
und Arbeitstätigkeiten hat seit den Anfängen der    menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten bei-
Human-Factors-Forschung vor über 10 Jahren          spielsweise bei der Gestaltung der technischen
immer 2 Zielrichtungen (z. B. [8, 13, 24]): Zum     Teilsysteme, der Geräte, Materialien, Arbeits-
einen sollen Arbeitssysteme effizienter und         plätze und Räume zu beachten. Auch im Bereich
sicherer werden. Zum anderen sollen Gesund-         der Organisation gilt dieser Gedanke der System-
heit und Wohlergehen der arbeitenden Menschen       gestaltung: Arbeitsaufgaben, Arbeitsprozesse
gefördert werden. Idealerweise geht beides Hand     und Organisationsstrukturen sollen ebenfalls
in Hand.                                            so gestaltet werden, dass sie an Eigenschaften,
    Da umgangssprachlich im Deutschen               Leistungsvermögen und Schwächen von
„menschliche Faktoren“ häufig in Abgrenzung zu      Menschen angepasst sind und sie bei ihrer Arbeit
„technischen Faktoren“ verwendet wird und eher      unterstützen.
Assoziationen mit „menschlichem Versagen“               Das in der Medizin sehr bekannte Konzept
weckt, wird auch im Deutschen der englische         der Fehlerkette („Schweizer-Käse-Modell“;
Begriff Human Factors verwendet, um den Bezug       z. B. [20, 21]) untersucht die Verursachung
zur Gestaltung von Arbeitssystemen zu betonen       von Fehlern auf verschiedenen Ebenen des
(z. B. als „Human-Factors-Psychologie“, [1]). Die   Systems. Dabei werden unfallauslösende,
Human-Factors-Wissenschaften beruhen, wie           aktive Fehler und beitragende, latente Faktoren
gesagt, auf Erkenntnissen verschiedener Wissen-     beachtet. Man kann dieses Modell zur Ana-
schaften, z. B. Psychologie, Ingenieurwissen-       lyse von Fehlern nutzen. Aber das „Schweizer-
schaften, Arbeitswissenschaft, Arbeitsmedizin       Käse-Modell“ bietet in der Umkehrung
u. a. Es werden dabei durchaus unterschied-         eine weitere Botschaft: Wenn die einzelnen
liche Auslegungen und Definitionen des Begriffs     Barrieren wenige oder keine Löcher haben,
Human Factors verwendet, mal mehr mit dem           können Menschen Fehler machen, ohne dass
Schwerpunkt auf technischer Systemgestaltung,       es zu Unfällen kommt [22]. Das ist das Grund-
mal mehr mit Schwerpunkt auf menschlichen           anliegen von Human Factors: Arbeitssysteme so
Eigenschaften. Um es noch komplizierter             zu gestalten, dass viele Fehler gar nicht erst auf-
zu machen, ist in der angloamerikanischen           treten können („design-out“) oder dass Fehler
Literatur „Human Factors“ oder „Human Factors       nicht zu Unfällen führen. In der aktuellen
Engineering“ gleichbedeutend mit „Ergonomics“.      Terminologie der Sicherheitsforschung heißt
180       G. Hofinger

     das, dass Systeme resilient (widerständig) sein               14.3  Die Vielfalt ordnen: Ebenen
     sollten (Überblick in [16]).                                          von Human Factors
         Ein Arbeitssystem, also beispielsweise ein
     Krankenhaus, angepasst an menschliche Eigen-                  Human Factors befasst sich nach den eben
     schaften zu gestalten bedeutet natürlich nicht,               genannten Definitionen also mit sehr vielen unter-
     dass Training oder Verhaltensänderungen                       schiedlichen Themen – es wurden z. B. bereits
     unnötig sind. Training ist aber bezogen auf                   Geräte, Prozesse, Personalauswahl, Gebäude und
     Sicherheit eine eher schwache Intervention [28]:              Aufgaben angesprochen. Um diese Vielfalt zu
     Selbst optimale Trainings, die bei allen Teil-                ordnen, wurden verschiedene Klassifikationen und
     nehmenden das Lernziel voll erreichen, müssen                 Schaubilder entwickelt. In einer ersten einfachen
     regelmäßig wiederholt werden, weil das Personal               Aufteilung wird von soziotechnischen Systemen
     wechselt und weil Menschen vergessen. Starke                  mit den aufeinander bezogenen Teilsystemen
     Interventionen sind demgegenüber solche, die                  5 Mensch,
     Personalwechsel überdauern und nicht von der                  5 Technik und
     Lernwilligkeit und -fähigkeit einzelner Mit-                  5 Organisation
     arbeitender abhängig sind. Dazu zählen bei-
     spielsweise die Änderung baulicher Verhältnisse,              gesprochen (MTO-Dreieck, z. B. [30]).
     das Design und die räumliche Anordnung von                        Analysemodelle für Human Factors, z. B. für
     Arbeitsmitteln, Strategien der Personalauswahl                Unfallanalysen, beschreiben jeweils ein von seiner
     etc. [5, 15].                                                 Umwelt abgegrenztes Arbeitssystem mit den ver-
                                                                   schiedenen menschlichen und nichtmenschlichen
     > Der Erfolg von Trainingsmaßnahmen                           Teilsystemen und ihren Schnittstellen. Je nach
           ist von vielen Faktoren abhängig, u. a.                 Betrachtungsfokus kann das System eine ganze
           vom Lernen und Verhalten wechselnder                    Organisation sein, z. B. ein Krankenhaus, oder ein
           Personen. Deshalb sind auch sehr gute                   Teil der Organisation, z. B. das Simulatorzentrum.
           Trainings aus Human-Factors-Perspektive                 Wenn man die einfache MTO-Aufteilung
           eher schwache Interventionen. Starke                    differenziert, geht es in der Medizin um die in
           Interventionen sind nicht vom Verhalten                 . Tab. 14.1 aufgeführten Aspekte (vgl. [1, 14, 31]).
           konkreter Personen, ihrer Lernwilligkeit                    Weitere, indirekt auf das Handeln einzelner
           und -fähigkeit abhängig. Sie setzen stärker             Personen wirkende Betrachtungsebenen sind die
           auf die Veränderung von Verhältnissen als               Rahmenbedingungen des Arbeitssystems und
           von Verhalten.                                          die physische und gesellschaftliche Systemumwelt
14

           . Tab. 14.1   Differenzierung der Human-Factors-Ebenen

           Ebene                                      Beispiele

           Physische Merkmale von Menschen            Z. B. ideale Helligkeit für produktives Arbeiten, tolerierbare
                                                      Temperatur, Ermüdung der Muskulatur durch Beanspruchung …
           Psychologische Merkmale                    Z. B. Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeitssteuerung,
                                                      Gedächtnis, Emotion, Motivation, Wissen, Umgang mit Stress …
           Soziale Faktoren                           Z. B. Team- und Gruppenprozesse, Prozesse, Informations-
                                                      management, Kommunikation, Führung, Teamkoordination,
                                                      Konfliktmanagement …
           Organisationsfaktoren                      Z. B. Management, Prozesse, Regeln, Standards, Personalplanung …
           Arbeitsaufgaben                            Z. B. medizinische und pflegerische Tätigkeiten, Diagnostik,
                                                      Verordnungen …
           Technik (Arbeitsmittel und Arbeitsplatz)   Z. B. Medizinprodukte, Medikamente, OP-Säle, Krankenzimmer,
                                                      Stationszimmer …
Human Factors für Simulatortrainings
                                                                                                 181                   14
(z. B. verfügbares Geld, Ressourcen, Gesetze,              In Simulatortrainings werden deshalb beispiels-
Aus- und Weiterbildungsordnungen, medizin-                 weise konkrete Verhaltensweisen für bestimmte
kulturelle Faktoren …). Diese äußeren Faktoren             Zwischenfälle (Handlungswissen) eingeübt.
können (jedenfalls kurzfristig) für das System             Oder es wird darauf gezielt, durch die Reflexion
Krankenhaus bzw. das System Simulatortraining              im Debriefing Einstellungen zu verändern (z. B.
als gegeben angesehen werden.                              bei Problemen frühzeitig um Hilfe zu rufen;
                                                           7 Kap. 15).
> Eine Grunderkenntnis von Human Factors
                                                               Andere menschliche Eigenschaften, wie
    lautet: Die Teilsysteme Technik und
                                                           beispielsweise grundlegende Wahrnehmungs-
    Organisation müssen so gestaltet werden,
                                                           prozesse oder manche Mechanismen der Auf-
    dass sie den Eigenschaften, dem Leistungs-
                                                           merksamkeitssteuerung, sind durch gezielte
    vermögen und den Schwächen von
                                                           Lehrinterventionen nicht veränderbar. Sie ver-
    Menschen angepasst sind.
                                                           ändern sich teils über die Lebensspanne, aber
                                                           sie sind nicht willkürlich veränderbar und dem
                                                           Training kaum oder nicht zugänglich. Unver-
14.4  Individuelle Human Factors                          änderbare Humanfaktoren sind beispielsweise
       und Simulatortraining: Was                          5 körperliche Belastungsgrenzen,
       kann gelernt werden?                                5 basale Funktionsweisen der Wahrnehmung,
                                                           5 Prinzipien der Informationsverarbeitung,
Wenn Simulatoren für Trainings genutzt werden,             5 die Funktionsweise unseres Gedächtnisses,
sollte man die menschlichen Eigenschaften und              5 die Aufmerksamkeitsspanne,
Fähigkeiten kennen, welche die Arbeit, Leistung            5 das Schlafbedürfnis,
und Fehler in einem konkreten Arbeitssystem                5 zirkadiane und andere Rhythmen,
beeinflussen. Manche dieser Eigenschaften und              5 psychophysiologische Vorgänge,
Fähigkeiten sind durch (gesteuerte) Lernprozesse           5 Grundbedürfnisse.
veränderbar und können damit Gegenstand
von Lehrinterventionen und Trainings sein                  Diese Faktoren zu beachten verlangt eine
(. Abb. 14.1). Zu den veränderbaren Faktoren               Gestaltung des Arbeitssystems, der Aufgaben,
gehören unter anderem                                      Arbeitsmittel und der Arbeitsorganisation; teil-
5 Fakten- und Handlungswissen,                             weise ist eine Berücksichtigung auch durch
5 Handlungsmuster und Gewohnheiten,                        gezielte Personalauswahl möglich. Auch wenn
5 Einstellungen und Werte,                                 diese Faktoren nicht trainierbar sind, so haben
5 Strategien des Denkens und Problemlösens,                sie dennoch Relevanz für das Simulatortraining:
5 Absichten und Ziele sowie                                zum einen, weil es für die Teilnehmer wichtig ist,
5 soziale Kompetenzen, die weiter unten                    sich der eigenen menschlichen Begrenztheiten
    besprochen werden.                                     bewusst zu werden (z. B. dadurch, dass man in

. Abb. 14.1 Training, auch im Simulator, spricht den Teil der menschlichen Eigenschaften an, die gezielt veränderbar
sind. (Mod. nach [29])
182      G. Hofinger

     einem simulierten Zwischenfall erlebt, wie unter      in spezifischen Trainingseinheiten, den „Crew
     Stress Aufmerksamkeitsfehler zunehmen), zum           Resource Management Trainings“ (heute auch
     anderen, weil Simulationstraining dabei helfen        „Company Resource Management Trainings“),
     kann, für diese menschliche Begrenztheit trag-        eingeübt. Dazu werden jährlich verpflichtende
     fähige Kompensationsmechanismen zu finden.            Trainings mit einem international verbind-
     So wären beispielsweise eine gute Zusammen-           lich vorgegebenen Lehrplan durchgeführt. In
     arbeit und Aufgabenverteilung im Team ein             Simulatortrainings der Medizin wurde das
     wichtiger Kompensationsmechanismus – und              Konzept der „non-technical skills“ seit Ende der
     ein Thema, das in Simulatortrainings einen            1990er-Jahre übernommen und mit Lehrsätzen
     großen Stellenwert einnimmt.                          sowie definierten erwünschten Verhaltensweisen
                                                           unterlegt (z. B. [18]). Anders als in der Luft-
                                                           fahrt, wo CRM-Trainings meist als „classroom
                                                           training“ stattfinden, wird in der Medizin das
     14.5  Teamfaktoren und                               CRM als „Crisis Resource Management“ – z. B.
             Simulatortrainings:                           als „Anesthesia Crisis Resource Management“
             nichttechnische Kompetenzen/                  [11] – und damit in aller Regel als Simulator-
             CRM                                           training durchgeführt. Im Gegensatz zur Luft-
                                                           fahrt liegt somit in der Medizin der Fokus meist
     14.5.1  Nichttechnische                              auf dem Management von Zwischenfällen.
               Kompetenzen                                 Sicheres Handeln im Alltag wird hingegen
                                                           weniger angesprochen.
     Eine wichtige Erkenntnis, die den Weg aus der             Im deutschsprachigen Raum gibt es bislang
     Psychologie über die Luftfahrt in die Medizin         keine Formalisierung und keine Standardisierung
     gefunden hat, besteht darin, dass interpersonale      von CRM-Trainings und damit auch – im Gegen-
     Verhaltensweisen und kognitive Fähigkeiten für        satz zum amerikanischen „Certified Health
     sicheres Handeln wichtig sind (z. B. [9, 10, 19]).    Simulation Educator“ (CSHE; 7 Kap. 16) – keine
     Kommunikation, Teamarbeit, Führung, Stress-           verbindlichen Voraussetzungen für Personen,
     management sowie Aufmerksamkeitssteuerung             die Trainings leiten, und leider auch fast keine
     sind einige dieser Faktoren. Ihre Auswirkungen        definierten Ressourcen.
     auf klinische Performanz und damit Patienten-             Problematisch erscheint, dass CRM-Trainings
     sicherheit sind inzwischen vielfach belegt (z. B.     häufig Human-Factors-Trainings genannt und
     für Teamprozesse [29]). Um zu betonen, dass           auch als solche beworben werden. In dieser Vor-
14   diese Kompetenzen wichtiger Teil der Fachlich-        gehensweise spiegelt sich die oben angesprochene
     keit sind, werden sie etwas sperrig „non-technical    Einengung des Verständnisses von Human
     skills“ oder nichttechnische Fertigkeiten genannt.    Factors auf den Bereich der Verhaltenssicherheit
     Damit ergänzen sie die „technical skills“, die        („behavioral safety“; [5]) wider. Es sollte klarer
     medizinisch-fachlichen oder pflegerisch-­fachlichen   gesagt werden, dass man in CRM-Trainings
     (oder sonstigen spezifischen) manuellen Fertig-       Kompetenzen bzw. Fertigkeiten trainiert, da
     keiten und fachliche Sachkompetenz.                   eben nicht alle Human Factors durch Training
                                                           veränderbar sind. Im Gegensatz zur Medizin
     > Auch nichttechnische Kompetenzen sind
                                                           stellen in der Luftfahrt CRM-Trainings nur einen
           Fachkompetenzen.
                                                           Teil der Beschäftigung mit Human Factors dar:
     Wie man diese Fertigkeiten bzw. Kompetenzen           So existieren beispielsweise gesonderte, ver-
     messen und bewerten kann, wird in 7 Kap. 13           pflichtende Kurse zu „human performance and
     beschrieben. An dieser Stelle soll noch einmal        limitations“ [23]. Darüber hinaus stehen die
     betont werden, dass nichttechnische Kompetenzen       Trainings nicht isoliert für sich, sondern sind viel-
     nicht mit Human Factors gleichzusetzen sind.          mehr eng in die Organisationskultur eingebettet.
     Vielmehr sind sie ein Teil davon.                     Dies erklärt, warum die konkrete Umsetzung
         Die nichttechnischen Kompetenzen werden           des allgemein verbindlichen Themenplans („syl-
     in der Luftfahrt, wo sie zuerst untersucht wurden,    labus“) immer Airline-spezifisch ist.
Human Factors für Simulatortrainings
                                                                                              183                14
> In CRM-Trainings werden wichtige                        Die beispielhafte ­Ausdifferenzierung der Themen
   Kompetenzen und Fertigkeiten gestärkt.                 „Situationsbewusstsein“ und „Stress und Müdig-
   Aber nicht alle Aspekte von Human                      keit/Ermüdung“ in den Trainings der Luftfahrt
   Factors sind veränderbar oder trainierbar.             (. Tab. 14.3) zeigt, dass diese Themen Können
   Deshalb ist die Gleichsetzung von CRM und              und Wissen verlangen. Im Simulatortraining kann
   Human-Factors-Training irreführend.                    Wissen (z. B. über Leistungsgrenzen unter Stress)
                                                          auch über das Debriefing der Erfahrungen aus
                                                          dem Szenario vermittelt werden. Beispielsweise
14.5.2  Themen für                                       kann die Erfahrung von zunehmenden Fehlern
         Simulatortrainings                               unter Stress verbunden werden mit Vermittlung
         der nichttechnischen                             von Wissen über Zonen der Stresstoleranz.
         Kompetenzen                                          Die Wirksamkeit von CRM-Trainings ist in
                                                          verschiedenen Branchen, auch in der Medizin,
Nichttechnische Kompetenzen könne auf Ebene               vielfach untersucht worden. Es konnte wieder-
der einzelnen Person trainiert werden und auf             holt gezeigt werden, dass CRM-Trainings unter
Ebene der Gruppe bzw. des Teams (. Tab. 14.2).            bestimmten Bedingungen auf den Ebenen des
CRM-Trainings sind also nicht mit Team-                   Lernens und der Verhaltensänderung wirk-
trainings gleichzusetzen. Beide Bereiche können           sam sein können [27]; vereinzelt werden auch
in Simulatorsettings angesprochen werden oder             Outcome-Evaluationen berichtet [25]. Wenn
mittels anderer Trainingsmethoden.                        man die Wirksamkeit von Trainings untersucht,
    Diese Auflistung beschreibt Themenbe­                 ist zu beachten, dass nicht alle menschlichen
reiche, die jeweils nach Differenzierung ver-             Merkmale (gezielt) veränderbar sind. Aufmerk-
langen. Sonst besteht die Gefahr, nichttechnische         samkeit kann z. B. nicht beliebig lange aufrecht-
Kompetenzen auf ein Set einfacher Verhaltens-             erhalten werden; dies ist auch durch Training
weisen zu reduzieren und nicht mehr im                    und Anstrengung nicht grundlegend veränder-
Zusammenhang des Arbeitssystems zu sehen.                 bar. Auch das beste Training bewahrt nicht

   . Tab. 14.2   Individuelle und teambezogene CRM-Themen

   Eher das Individuum betreffende Themen im CRM                   Eher das Team betreffende Themen im CRM

   Menschliche Fehler und Zuverlässigkeit                          Teambildung und Teamarbeit/Führung
   Situationsbewusstsein                                           Kommunikation
   Stressmanagement/Müdigkeit und Ermüdung                         Workload/Verteilung der Arbeitsbelastung
   Entscheidungsfindung

   . Tab. 14.3   Beispielhafte Differenzierung von CRM-Themen

   Situationsbewusstsein                                  Stress und Müdigkeit/Ermüdung

   Mentale Modelle entwickeln (individuell und geteilt)   Rationale vs. automatische Denkprozesse
   Phasen der Informationsverarbeitung                    Akute Stressreaktion
   Complacency                                            Verzögerte Reaktion unter Stress
   Umgang mit Risiken                                     Stress und Leistung
   Bestandteile von Situationsbewusstsein                 Stress und Aufgabenkomplexität
   Hinweise auf Verlust des Situationsbewusstseins        Zonen der Stresstoleranz
   Automationsmanagement                                  Workload und Aufgabenzuteilung
   Überraschung und Erschrecken                           Müdigkeit/Ermüdung und „subtle pilot incapacitation“
184      G. Hofinger

     davor, weiter Fehler zu machen, das gilt auch         besteht die Gefahr, dass die Trainings zu eher
     für hoch motivierte und erfahrene Personen.           zufälligen und nicht nachhaltigen Ergebnissen
     Wurde im Teamtraining neues Verhalten geübt,          führen.
     wie z. B. Führung und Kommunikation, muss bei
     der Bewertung der Wirksamkeit darauf geachtet
                                                              Praxistipp: Planungsschritte für die
     werden, dass das Gelernte in der Organisation
                                                              Einführung von Simulatortrainings in
     auch umgesetzt werden kann; Training ohne
                                                              Krankenhäusern mit beispielhaften Fragen
     Interventionen in der Organisation ist also wenig
     nachhaltig.                                              Bedarfsanalyse/Anforderungsanalyse: Was
     > In Trainings können Verhaltensweisen                   bedeutet sicheres Handeln in den einzelnen
           gelernt und geübt werden. Ob sie                   Bereichen der Organisation genau? Wie
           umgesetzt werden können, entscheidet               können die nichttechnischen Kompetenzen
           sich in der Organisation.                          für diese Organisation und ihre Arbeitsabläufe
                                                              und Arbeitsplätze konkretisiert werden?
                                                              Welche Themen werden bereits in anderen
     14.6  Simulatortrainings in die                         Lernformen angesprochen? Wer soll an den
             Organisation einbetten                           Trainings teilnehmen?
                                                              Programmplanung: Für welche Themen
     In Studien zu Organisationsveränderungen oder            wird der Simulator eingesetzt? Gibt es
     Verhaltensinterventionen wird immer wieder               verschiedene Module? Wem wird was in
     betont, dass die Anpassung an lokale Gegeben-            welcher Reihenfolge angeboten? Wer lehrt
     heiten zentral ist für die Wirksamkeit von               welche Inhalte auf welcher Grundlage?
     Maßnahmen („culture is local“). Deshalb können           Implementierungsplanung: Wer durchläuft
     auch Simulatortrainings „von der Stange“ nicht           das Training wann? Welche Elemente werden
     das volle Potenzial entfalten.                           interprofessionell angeboten? Welche Räume,
         CRM-Trainings in der Luftfahrt haben einen           Personal und andere Ressourcen werden
     eigenen Themenbereich „Organisation und                  wann benötigt? Wie wird die Teilnahme bei
     Kultur“, in dem u. a. kulturelle Faktoren, Firmen-       laufendem Klinikbetrieb sichergestellt?
     sicherheitskultur und auch organisationale               Qualifizierung der Trainer/innen: Welche
     Resi­lienzentwicklung behandelt werden. Die Aus-         Voraussetzungen muss eine Person erfüllen,
     einandersetzung mit der eigenen Organisation,            um Simulatortrainer/in bzw. Instruktor/
14   ihren Zielen und ihrer Kultur ist also ein Teil der      in sein zu können? Wie werden diese
     nichttechnischen Kompetenzen. Diese Themen               Voraussetzungen erworben und überprüft?
     sind in Simulatorszenarien eher schwer abzu-             Welche Weiterbildungen sollten Trainer/innen
     bilden. Dies und die Fokussierung auf Personen           regelmäßig besuchen?
     und Teams, wenn es um Sicherheit geht, mögen             Planung der Evaluation: Diese sollte nicht
     dazu führen, dass die jeweilige Organisation kaum        nur die Bewertung des Kurses durch die
     in CRM-Trainings in der Medizin vorkommt.                Teilnehmenden umfassen, sondern auch eine
         Es ist reizvoll, sich Simulatortrainings als         Bewertung der Wirksamkeit auf individueller
     Teil des Sicherheitsmanagementsystems einer              und Organisationsebene.
     Klinik vorzustellen. Sollte es eine solche Ent-
     wicklung in der Medizin geben, werden die Rolle
     des Simulators, die Ressourcenausstattung, der
     Zusammenhang des Simulators mit der gesamten          14.7  Nutzung von Simulatoren
     Organisation ebenso überdacht werden müssen                 für Human-Factors-
     wie die Standardisierung und Kodifizierung von              orientierte Gestaltung von
     Trainingsinhalten und -formen und die Quali-                Arbeitsprozessen
     fizierung der Simulatorinstruktoren.
         Wenn man Trainings jeglicher Art in einer         CRM-Trainings, die auf nichttechnische Kompe­
     Organisation implementieren will, sollte dies in      tenzen abzielen, sind ein wichtiger Teil dessen,
     einem strukturierten Prozess geschehen. Sonst         was mit Simulatoren im Bereich Human
Human Factors für Simulatortrainings
                                                                                          185                 14
Factors gemacht werden kann, aber nicht alles.          ein strukturiertes Vorgehen ermöglichen, gleich-
Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie mit          zeitig aber flexibel genug sein, um situative
Simulation die Organisationsebenen im Kranken-          Besonderheiten berücksichtigen zu können [28].
hausalltag angesprochen werden können. Viele            In der Regel sind Notfall-SOPs an medizinisch-
weitere Nutzungen sind denkbar und werden teils         technischen Abläufen orientiert und werden
in der Forschung umgesetzt, z. B. in Studien zu         durch allgemeine Schritte der Handlungs-
Aufmerksamkeit und Ermüdung.                            organisation ergänzt [6]. Um dem Zeitdruck und
                                                        der reduzierten kognitiven Kapazität Rechnung
                                                        zu tragen, werden Notfall-SOPs häufig in Form
14.7.1  Training manueller                             von Checklisten präsentiert.
         Fertigkeiten                                       Bei der Einführung von Standardprozessen
                                                        können Simulatoren mehrfach sinnvoll genutzt
Training nützt generell, um mit neuer Technologie       werden. Zum einen können neu erstellte oder
vertraut zu werden, um Verhaltensweisen und             in der Organisation eingeführte Standards im
Strategien einzuüben, um Routinen für bestimmte         Simulatorsetting auf ihre konkrete Anwendbarkeit
Szenarien zu erwerben, um eigenes Verhalten zu          in Normalabläufen und in verschiedenen kritischen
reflektieren [24]. Vor allem Abläufe, die quasi auto-   Situationen überprüft werden. Auch die Wirksam-
matisch funktionieren müssen (z. B. Reanimation),       keit und Nützlichkeit von Regeln und Standards
müssen wieder und wieder geübt werden, bis              bei der Bewältigung kritischer Situationen können
sie auch unter Stress oder bei Müdigkeit zuver-         im Simulator überprüft werden. Damit kann die
lässig abgerufen werden können. Simulatoren             Akzeptanz in der Organisation erhöht und auch
bieten die Möglichkeit, diese Kompetenzen ohne          eine Überreglementierung vermieden werden, da
Patientengefährdung zu erwerben. Dafür werden           sichergestellt wird, dass neue Regulierungen einen
verschiedene Typen von Simulatoren (von der             Effekt auf Sicherheit haben und nicht zu Friktionen
Schweineleber bis zum Frühgeborenensimulator)           und Störungen in der Arbeit führen [3]. Schließlich
bereits ausgiebig genutzt, z. B. für das Training       kann mit Simulationstraining natürlich auch die
von Intubation, Endoskopie etc. Neben der Risiko-       Einübung neuer standardisierter Verhaltensweisen
freiheit bei Fehlern sind Wiederholbarkeit von          unterstützt werden. Dies kann sowohl auf der
Prozeduren, die Möglichkeit der Variation von           Ebene motorischer Fertigkeiten sinnvoll sein (z. B.
Bedingungen und die Möglichkeit, Prozesse unter-        bei der Umstellung des Reanimationsalgorithmus)
schiedlicher Komplexität zu üben, sowie die Mess-       wie für Kommunikationsmuster (z. B. Einführung
barkeit von Fortschritten große Vorteile dieser         von S-BAR oder „callouts“) oder auch komplexere
Lernumgebung.                                           Diagnose- und Behandlungsprotokolle.

14.7.2  Standards testen, üben,                        14.7.3  Schnittstellen in der
         anpassen                                               Organisation pflegen

Standards sind eine Möglichkeit, Gleichförmig-          Arbeitsprozesse sind insbesondere an Schnitt-
keit des Handelns über Personen und Situationen         stellen durch erhöhten Kommunikationsbedarf
hinweg zu erreichen. Dies dient der Sicherheit,         und unterschiedliche Annahmen und Wissen
wenn und weil erprobte Problemlösungen vor-             der Beteiligten fehlergefährdet. Deshalb muss die
gegeben werden, sodass die einzelne Person den          Gestaltung der Schnittstellen besondere Sorgfalt
Lösungsweg nicht selber entwickeln muss.                erfahren. In der Realität fallen aber gerade diese
    Standardprozeduren („standard operating             Prozesse „zwischen“ die Zuständigkeiten.
procedures“ [SOP]) sind die schriftliche Bes­               Als Beispiel soll hier die Übergabe eines
chreibung einer Vorgehensweise, welche die              Patienten oder einer Patientin dienen. Patienten-
Erledigung bestimmter Aufgaben vereinheit-              übergaben finden z. B. zwischen Rettungsdienst
lichen soll. SOPs können sowohl für Abläufe im          und Notaufnahme, zwischen Intensivstation
Normalbetrieb als auch für Notfallsituationen           und OP, aber auch bei jedem Schichtwechsel
erstellt werden. Notfall-SOPs sollen einerseits         statt. Dieser Prozess ist fehlerträchtig, da hier
186    G. Hofinger

     sowohl relevante Informationen als auch Ver-                  3. Besnard D, Hollnagel E (2014) I want to believe: some
     antwortlichkeiten übergeben werden. Studien zur                  myths about the management of industrial safety.
                                                                      Cogn Tech Work 16:13–23
     postoperativen Übergabe zeigen, dass wichtige
                                                                   4. Carayon P, Alyousef B, Xie A (2012) Human factors
     Informationen (z. B. bezüglich Komorbiditäten,                   and ergonomics in health care. In: Salvendy G (Hrsg)
     Allergien, Probleme während der OP, post-                        Handbook of human factors and ergonomics, 4. Aufl.
     operativer Plan) nicht immer übergeben werden                    Wiley, Hoboken, S 1574–1595
     (Überblick in [17]). Ein strukturiertes Format der            5. Catchpole K (2013) Spreading human factors
                                                                      expertise in healthcare: untangling the knots in
     Patientenübergabe (z. B. Checklisten, iSBAR) kann
                                                                      people and systems. BMJ Qual Saf 22(10):793–797
     helfen, den Informationsverlust zu reduzieren.                6. Cooper JB, Newbower RS, Long CD, McPeek B (1978)
         Simulation und Simulatoren können helfen,                    Preventable anesthesia mishaps: a study of human
     Prozesse an Schnittstellen zu verbessern, wenn                   factors. Anesthesiology 49(6):399–406
     die Simulatoren mobil eingesetzt werden können.               7. Davies J (2001) Medical applications of crew resource
                                                                      management. In: Salas E, Bowers C, Edens E (Hrsg)
     So kann z. B. ein Mannequin in den OP ein-
                                                                      Improving teamwork in organizations. Application of
     geschleust werden oder vom Rettungswagen in                      resource management training. Erlbaum, Mahwah,
     den Schockraum gebracht werden. Alternativ kann                  S 265–281
     die Simulation durch Personen (Schauspieler)                  8. Dul J, Bruder R, Buckle P, Carayon P, Falzon P,
     umgesetzt werden. Auch so ist die Funktion der                   Marras WS et al (2012) A strategy for human factors/
                                                                      ergonomics: developing the discipline and profession.
     Simulation – üben, ohne Patienten zu gefährden –
                                                                      Ergonomics 55(4):377–395
     erfüllt. Wenn strukturierte Übergaben ein-                    9. Edwards E (1988) Introductory overview. In: Wiener E,
     geführt werden, kann das Verfahren im Simulator                  Nagel D (Hrsg) Human factors in aviation. Academic,
     erprobt werden. Dabei können auch Aspekte                        San Diego, S 3–25
     wie die benötigte Zeit für die Kommunikation                 10. Flin R, O’Connor P, Crichton M (2008) Safety at the sharp
                                                                      end. A guide to non-technical skills. Ashgate, Aldershot
     bei der Übergabe gemessen werden, was zu
                                                                  11. Gaba DM (1992) Improving anesthesiologists’ per-
     einer Anpassung der Prozesse führen könnte.                      formance by simulating reality. Anesthesiology 76(4):
     Schließlich ist das Training der Übergabeverfahren               491–494
     eine Gelegenheit für interprofessionelle Trainings.          12. Giesa H-G, Timpe K-P (2000) Technisches Versagen
                                                                      und menschliche Zuverlässigkeit: Bewertung der
                                                                      Verläßlichkeit in Mensch-Maschine-Systemen. In: Timpe
                                                                      K-P, Jürgensohn T, Kolrep H (Hrsg) Mensch-Maschine-
     14.8  Fazit                                                     Systeme. Symposion, Düsseldorf
                                                                  13. Hawkins FH (1987) Human factors in flight. Ashgate,
     Im vorliegenden Kapitel wurde die Breite des                     Aldershot
     Felds Human Factors als Wissenschaftsfeld und                14. Hofinger G (2013) Human Factors im Krankenhaus –
14   Anwendungsdisziplin gezeigt. Simulatoren können                  Konzepte und Konsequenzen. Interdisciplinary con­
                                                                      tributions to hospital management: medicine, patient
     über das wertvolle Training der nichttechnischen                 safety and economics. 25.11.2013/#016. 7 http://www.
     Kompetenzen hinaus auch genutzt werden, um                       clinotel-journal.de/article-id-016.html
     Bewusstsein für weitere Aspekte von Human                    15. Hofinger G (2012) Fehler und Unfälle. In: Badke-
     Factors zu schaffen. Zudem kann die Arbeit mit                   Schaub P, Hofinger G, Lauche K (Hrsg) Human Factors,
     Simulatoren durch gezielte Überprüfung von                       Psychologie sicheren Handelns in Risikobranchen,
                                                                      2., überarbeitete Aufl. Springer, Heidelberg, S 39–60
     Technik und Arbeitsprozessen dazu beitragen, die             16. Hollnagel E, Woods D, Leveson N (Hrsg) (2006) Resilience
     Arbeit in Krankenhäusern stärker nach Human-                     engineering. Concepts and precepts. Ashgate, Aldershot
     Factors-Gesichtspunkten zu gestalten.                        17. Manser T, Foster S, Flin R, Patey R (2012) Team com­
                                                                      munication during patient handover from the ope­
                                                                      rating room: more than facts and figures. Human
     Literatur                                                        Factors: J Human Factors Ergonomics Soc 55(1):138–156
                                                                  18. Rall M (2013) Human Factors und CRM: Eine Ein-
     1. Badke-Schaub P, Hofinger G, Lauche K (2012) Human             führung. In: Breuer G, St.Pierre M (Hrsg) Simulation
        Factors: Psychologie sicheren Handelns in Risiko-             in der Medizin – Grundlegende Konzepte – Klinische
        branchen; mit 17 Tabellen. 2., überarb. Aufl. Springer,       Anwendung. Springer, Berlin, S 135–153
        Berlin                                                    19. Reader T, Flin R, Lauche K, Cuthbertson BH (2006)
     2. Badke-Schaub P, Hofinger G, Lauche K (2012) Human             Non-technical skills in the intensive care unit. Br J
        Factors. In: Badke-Schaub P, Hofinger G, Lauche K             Anaesth 96(5):551–599
        (Hrsg) Human Factors, Psychologie sicheren Handelns       20. Reason J (1990) Human error. Cambridge University
        in Risikobranchen. Springer, Heidelberg, S 4–20               Press, Cambridge
Human Factors für Simulatortrainings
                                                                                                      187                   14
21. Reason J (1997) Managing the risks of organizational        28. St.Pierre M, Hofinger G, Simon R (2016) Crisis
    accidents. Ashgate, Aldershot                                   manage­ment in acute care setting. Human factors
22. Renner D, Fishman L, Lessing C (2012) Das Ver-                  and team psychology in a high-stakes environ-
    wechslungsrisiko bei Eingriffen verringern. Dtsch               ment, 3. komplett überarbeitete und erweiterte Aufl.
    Ärztebl 109(20):A 1016–1018                                     Springer, New York
23. Rogers J (2011) Have we gone too far in translating ideas   29. St.Pierre M, Hofinger G (2014) Human Factors und
    from aviation to patient safety? Yes. BMJ 342:c7309             Patientensicherheit in der Akutmedizin, 3., komplett
24. Russ AL, Fairbanks RJ, Karsh B-T, Militello LG, Saleem          überarbeitete und erweiterte Aufl. Springer, Berlin
    JJ, Wears RL (2013) The science of human factors:           30. Ulich E (2005) Arbeitspsychologie. Schäffer-Poeschel,
    separating facts from fiction. BMJ Qual Saf 22:793–797          Stuttgart
25. Salas E, Wilson KA, Burke CS, Wightman DC (2006)            31. Vincent C, Taylor-Adams S, Stanhope N (1998)
    Does crew resource management training work? An                 Framework for analysing risk and safety inclinical
    update, an extension, and some critical needs. Human            medicine. BMJ 316:1154–1157
    Factors 48(2):392–412                                       32. Williamson J, Webb R, Sellen A, Runciman W (1993)
26. Salvendy G (Hrsg) (2012) Handbook of human factors              Human failure: an analysis of 2000 incident reports.
    and ergonomics, 4. Aufl. Wiley, New York                        Anaesth Intensive Care 21:678–683
27. Schmutz J, Manser T (2013) Do team processes really
    have an effect on clinical performance? A systematic
    literature review. Br J Anaesth 110(4):529–544
Sie können auch lesen