Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen

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Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
Dokumentation
der

vom 27.11.2019, 
Luise-Albertz-Halle, Oberhausen

Integrationsregion Ruhr –
Vielfalt stärken, Zukunft gestalten
Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
INHALT – PROGRAMMPUNKTE

                            Eröffnung                                                                                      3
                                           	
                                           Daniel Schranz, Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen
                                           Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr (RVR)

                            Welche Rahmenbedingungen bietet der Bund
                            für gelingende Integrationsprozesse im Ruhrgebiet?                                             4
                                         	Dr. Markus Kerber, Staatssekretär
                                         für Bau und Heimat im Bundesministerium des Inneren

                             ordrhein-Westfälische Teilhabe- und Integrationsstrategie 2030 –
                            N
                            Implikationen für das Ruhrgebiet                                                               6
                                        	Serap Güler, Staatssekretärin
                                        für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration

                            Integration im Ruhrgebiet im Schulterschluss von Bund, Land und Kommune                        8
                                         Dr. Markus Kerber, Serap Güler, Daniel Schranz, Karola Geiß-Netthöfel

                            Integrationsregion Ruhr – Erfahrungen und Perspektiven                                        11

                                           Bildung und Sprache als Erfolgsfaktoren der Integration
                                           	Suat Yilmaz, Leiter der Landesweiten Koordinierungsstelle Kommunale
                                           Integrationszentren
                                           Dr. Susanne Farwick, Leiterin des Bereichs Integration der Stiftung Mercator

                                           Fachkräfte sichern, Perspektive geben, aktive Willkommenskultur praktizieren
                                           Mark Rosendahl, Geschäftsführer des DGB in der Emscher-Lippe-Region
                                           Tülay Koca, Inhaberin des Prenses Palace in Essen
                                           Wulf-Christian Ehrich, stellv. Hauptgeschäftsführer der IHK zu Dortmund

                            Wie machen wir weiter? Was soll konkret passieren?                                     14
                                       	Suat Yilmaz, Leiter der Landesweiten Koordinierungsstelle
                                       Kommunale Integrationszentren
                                       Sören Link, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg
                                       Birgit Zoerner, Dezernentin für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Dortmund
                                       Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr

                            Moderation
                                           Beate Kowollik, WDR

SOZIALKONFERENZ RUHR Integrationsregion Ruhr – Vielfalt stärken, Zukunft gestalten                                         2
Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
ERÖFFNUNG

                              Daniel Schranz, Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen
                              Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr (RVR)

                                                                                     reich gemeistert haben, ist damit die Integra-
                                                                                     tion ja noch nicht abgeschlossen“, so Schranz.
                                                                                     Aktuell gelte es, vieles zu bewegen, etwa
                                                                                     den Bau von Kindergärten oder die Einrich-
                                                                                     tung internationaler Vorbereitungsklassen.
                                                                                     Und auch wenn das Ruhrgebiet als „Prototyp
                                                                                     in Sachen Integration“ auf jahrzehntelange
                                                                                     Erfahrung aufbaue – „Oberhausen, aber auch
                                                                                     viele andere Städte gibt es ja nur aufgrund
                                                                                     von Zuwanderung –, habe man in den 1960er-
Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr                  und 1970er-Jahren durchaus Fehler gemacht,
                                                                                     die sich nicht wiederholen dürfen.“
                              Die zentrale Botschaft der Begrüßungsreden
                              zur zweiten Sozialkonferenz Ruhr des Regio-            Hier Wege aufzuzeigen, Ideen zu liefern, Pro-
                              nalverbands Ruhr in der Luise-Albertz-Halle            bleme anzusprechen, sei grundlegendes Ziel
                              in Oberhausen war eindeutig: Das Ruhr­gebiet           der Sozialkonferenz Ruhr, versicherte Geiß-
                              kann Integration. Doch es bedarf, daran ließ           Netthöfel und verwies auf die erfolgreiche
                              Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel               Konferenzpremiere zum Thema Langzeit-
                              keinen Zweifel, der Unterstützung durch Land           arbeitslosigkeit im Jahr 2018. Damals habe
                              und Bund, um den aktuellen Problemen in                die Region einige Impulse für das Teilhabe­
                              den Kommunen begegnen zu können. Denn,                 chancengesetz liefern können, die gerade
                              so Gastgeber Daniel Schranz, Oberbürger-               erfolgreich umgesetzt werden. Auch beim
                              meister der Stadt Oberhausen: „Wir wissen,             Thema Integration sei es wichtig, Betei-
                              dass Integration nicht nur eine Daueraufgabe           ligte aus Politik und Praxis miteinander in
                              bleibt, sondern auch eine Aufgabe, die von             Gespräch zu bringen, etwa um aufzuzeigen,
                              Herausforderungen gekennzeichnet ist.“                 „was der Bund leistet und was der Bund von

Karola Geiß-Netthöfel: „MENSCHEN GUT ZU INTEGRIEREN,
               IST EINFACH SELBSTVERSTÄNDLICH
                         FÜR DAS RUHRGEBIET.
                    ABER DAFÜR BRAUCHEN WIR AUCH
                        DIE ENTSPRECHENDE UNTERSTÜTZUNG
              DURCH BUND UND LAND.“

                              Nach 2016 sei das Thema medial gesehen                 uns erwartet“. Anders gesagt: „Menschen gut
                              längst wieder in den Hintergrund getreten.             zu integrieren, ist einfach selbstverständlich
                              Zu Unrecht. „Denn auch, wenn wir die großen            für das Ruhrgebiet. Aber dafür brauchen wir
                              Herausforderungen der Unterbringung und                auch die entsprechende Unterstützung und
                              Versorgung von geflohenen Menschen erfolg-             die entsprechenden Mittel.“

SOZIALKONFERENZ RUHR Integrationsregion Ruhr – Vielfalt stärken, Zukunft gestalten                                               3
Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
WELCHE RAHMENBEDINGUNGEN
BIETET DER BUND FÜR
GELINGENDE INTEGRATIONSPROZESSE
IM RUHRGEBIET?
                             r. Markus Kerber, Staatssekretär
                            D
                            für Bau und Heimat im Bundesministerium des Inneren

                            Deutlich schneller steigende Bevölkerungs-               Erstmalig habe man das Migrationsphäno-
                            zahlen als angenommen, ein Integrations-                 men einigermaßen verständlich trennen kön-
                            kurs-System, das nicht auf Zuwanderer aus                nen in Flucht- und Schutzmigration einerseits
                            Drittländern ausgerichtet ist, „lange Jahre              und Arbeitsmigration andererseits. „Beides
                            der Defizite“ – Staatssekretär Dr. Markus                sind valide Gründe, um in ein Land zuzu-
                            Kerber machte deutlich: In Sachen Integra-               wandern, aber es hat andere Rechtsfolgen.“
                            tion gibt es in Deutschland mehr als nur ein             Das „Große Migrationspaket“ schaffe über
                            Problemfeld. Eine Herausforderung, die der               das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, das Aus-
                            Bund gezielt angehe – über eine Heimat-                  länderbeschäftigungsförderungsgesetz und
                            politik, die sowohl integrations- wie struktur-          das Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine
                            politisch ausgerichtet sei, und vor allem mit            Balance, die sich nun bewähren müsse. Auch,

Staatssekretär Dr. Markus Kerber:
                                 „ES BESTEHT DIE BEREITSCHAFT,
                                ÜBER KOMMUNALE ALTSCHULDEN
                                        ZU REDEN.“
                            mehr Mitteln als bislang. Das übergeordnete              weil das Thema Geduldete die Kommunen
                            Ziel: „Wir müssen Zugewanderte als einen Teil            finanziell sehr belaste. Erstmalig gebe es im
                            von uns, als Deutsche akzeptieren.“ Erfolgrei-           Bund daher eine gewisse Bereitschaft, über
                            che Integration jedoch bedürfe neben Geld                die kommunalen Altschulden zu reden. Ein
                            nicht zuletzt vor allem auch Zeit. Weshalb               schwieriges Thema, wie Kerber gestand,
                            Kerber bei Land und Kommunen vor allem                   seien sich doch Länder und kommunale Spit-
                            um Zweierlei warb: Geduld und Nachsicht.                 zenverbände hier selbst nicht einig. Innerhalb
                            Derzeit erarbeite eine Fachkommission mit                eines ganz engen Bedingungsbereichs sei der
                            Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, der               Bund durchaus bereit, hier das Wesentliche
                            Wissenschaft und Praktiker*innen aus Bun-                zu tun. Denn: „Kranke Kommunen können wir
                            desländern und Kommunen Empfehlungen                     uns in Deutschland nicht leisten.“
                            dafür, wie die Bundesregierung die Integrati-
                            onsmaßnahmen weiterentwickeln soll. In die
                            Empfehlungen, die bis Mitte 2020 vorliegen
                            sollen, wird „direkt aus NRW hineinberichtet
                            werden“.

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Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
Rund 20.000 Integrationskurse bundesweit
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                                                                                     knapp 800 Mio. Euro jährlich unterstützt.
                                                                                     „Massiv aufgestockte Mittel“, die jedoch nur
                                                                                     einen Teil der eigentlichen Herausforderung
                                                                                     ausmachen. Der andere bestehe darin, ein
                                                                                     in der Regel auf Europäer*innen bezoge-
                                                                                     nes Kurssystem komplett umzustellen – auf
                                                                                     Menschen aus Drittländern, darunter vielfach
                                                                                     Analphabet*innen ohne berufliche Qualifi-
                                                                                     kation. Erfolgsquoten von knapp 60 Prozent
                                                                                     bundesweit seien unter diesen Voraussetzun-
                                                                                     gen als großer Erfolg zu werten.
 r. Markus Kerber, Staatssekretär
D
für Bau und Heimat im Bundesministerium des Inneren                                  Die Herausforderung bei der Schaffung
                                                                                     gleichwertiger Lebensverhältnisse bestehe
                             Grundsätzlich bestimmen zwei thematische                darin, mehr aktive Strukturpolitik zu betrei-
                             Säulen die Heimatpolitik des Bundesinnen-               ben, die sich an demografischen Fakten
                             ministeriums: Gesellschaftlicher Zusammen-              orientiert. Zu lange hätten Bund, Länder
                             halt und dessen Förderung auf der einen, die            und Kommunen unter falschen Annahmen
                             Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse             geplant, konkret mit etwa 70 bis 75 Mio. Men-

Grundsätzlich bestimmen zwei thematische Säulen die Heimatpolitik:
                            … GESELLSCHAFTLICHER
                                ZUSAMMENHALT UND
                            DIE SCHAFFUNG GLEICHWERTIGER
                                        LEBENSVERHÄLTNISSE …

                             auf der anderen Seite. Säule eins – Integra-            schen um das Jahr 2020 bis 2025. Tatsächli-
                             tionsmaßnahmen, die das Bundesamt für                   cher Stand Sommer 2019: 83 Mio. Menschen,
                             Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einem              Tendenz steigend, da neben Drittstaatler*in-
                             Haushalt von über zwei Milliarden Euro zent-            nen jährlich auch etwa 4.000 bis 5.000 EU-
                             ral regelt – beruht auf drei Elementen:                 Bürgerinnen und -Bürger zuwandern. Auch
                             1. den Integrationskursen,                              hier, das machte Kerber abschließend deut-
                             2. der Migrationsberatung für erwachsene                lich, nimmt der Bund mehr Geld in die Hand,
                                  Zuwanderer, die in NRW an 348 Orten                beispielsweise jährlich fünf Milliarden Euro
                                  möglich ist,                                       für das Gute-KiTa-Gesetz, zwei Milliarden
                             3. den Projekten zur Förderung gesell-                  Euro statt wie bislang 335 Mio. Euro für das
                                  schaftlicher Integration.                          Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und
                                                                                     einen zweistelligen Milliardenbetrag für die
                                                                                     Bahn im Rahmen des Klimaschutzpaketes.

SOZIALKONFERENZ RUHR Integrationsregion Ruhr – Vielfalt stärken, Zukunft gestalten                                              5
Integrationsregion Ruhr - Vielfalt stärken, Zukunft gestalten - Dokumentation der vom 27.11.2019, Luise-Albertz-Halle, Oberhausen
NORDRHEIN-WESTFÄLISCHE TEILHABE-
UND INTEGRATIONSSTRATEGIE 2030 –
IMPLIKATIONEN FÜR DAS RUHRGEBIET
                            Serap Güler, Staatssekretärin
                            für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration

                            Keine Vision, keine Bestandsaufnahme, son-               2.   die nachhaltige Integration in die Regel-
                            dern die „ambitionierte Fortsetzung des                       systeme und
                            nordrhein-westfälischen Wegs in der Inte-                3.   die Gestaltung der Migrationsgesell-
                            grationspolitik“: Mit diesem Anspruch, ver-                   schaft „als vielleicht größte Herausforde-
                            sicherte Staatssekretärin Serap Güler, habe                   rung von allen“.
                            die Landesregierung gemeinsam mit einem
                            interdisziplinär besetzten Beirat die NRW-               Ein Schwerpunkt des Konzeptes: die Stär-
                            Teilhabe- und Integrationsstrategie 2030                 kung der Kommunalen Integrationszentren
                            erarbeitet. Sei die Vergangenheit durchaus               (KI). „Wir haben mittlerweile in allen 54 Krei-
                            von zahlreichen Ad-hoc-Entscheidungen                    sen und kreisfreien Städten ein kommunales
                            in der Asyl- und Flüchtlingspolitik geprägt              Integrationszentrum; eine bundesweit ein-
                            gewesen, laute das zukünftige Ziel: pass-                zigartige Infrastruktur, deren Finanzierung
                            genaue Integrationsmaßnahmen. Neben                      mit jährlich 18,8 Mio. Euro bis 2022 gesi-
                            Sprache, Bildung und Arbeit fokussierten                 chert ist.“ Zusätzlich wird das Modellprojekt
                            sich diese besonders auf die Schaffung                   „Einwanderung gestalten NRW“ ab 2020
                            eines klaren Wertefundamentes. Güler warb                ausgeweitet, das in ein flächendeckendes
                            hier einerseits für das Thema Einbürgerung,              kommunales Integrationsmanagement mün-
                            stellte aber auch klar, dass „die Wertedebatte           den soll. Dafür stehen ab Juli 2020 zunächst
                            nicht nur etwas für die Leute ist, die neu zu            25 Mio. Euro bereit, die bis 2022 sukzessive
                            uns kommen“. Integration sei ein gesamtge-               auf insgesamt 75 Mio. Euro erhöht werden.
                            sellschaftlicher Auftrag.                                Die Aufgaben des Integrationsmanagements
                            Ein Auftrag bei dem das Land die Kommu-                  sind:

zukünftiges Ziel: PASSGENAUE INTEGRATIONSMASSNAHMEN.
                                  NEBEN SPRACHE, BILDUNG UND ARBEIT
                                FOKUSSIERTEN SICH DIESE BESONDERS AUF
                                     DIE SCHAFFUNG EINES KLAREN
                                         WERTEFUNDAMENTES.

                            nen „im Rahmen unserer Möglichkeiten und                 1.   die Implementierung einer strategischen
                            mit den Möglichkeiten, die uns der Bund zur                   Steuerungsebene,
                            Verfügung gestellt hat, unterstützt“ – etwa              2.   die Förderung eines rechtskreisübergrei-
                            durch die 1:1-Weitergabe von 432,8 Mio. Euro                  fenden individuellen Casemanagements
                            aus der Integrationspauschale des Bundes.                     sowie
                            Weitere Maßnahmen werden im Rahmen der                   3.   die Verstetigung der Integration von Ein-
                            neuen Strategie künftig in drei Zieldimensio-                 gewanderten mit besonderen Integra-
                            nen differenziert:                                            tionsleistungen.
                            1. die Erstintegration von Neuzugewander-
                                ten aus Drittstaaten und Europa,

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Serap Güler, Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration

                            Einen weiteren Fokus legt die Strategie                         die heute keine Bleibeperspektive haben,
                            auf Qualifizierungsmaßnahmen für junge                          werden wir zurückführen können. Und dann
                            Geflüchtete. Güler nannte hier beispielhaft                     müssen wir tatsächlich irgendwann einmal
                            die Initiative „Gemeinsam klappt‘s“ (13,2 Mio.                  Tabula rasa machen.“ Ein wichtiger Schritt in
                            Euro bis 2022), einen Baustein des Landes-                      diese Richtung könnte die Öffnung der Integ-
                            programms „Durchstarten in Ausbildung und                       rationskurse für weitere Gruppen sein.
                            Arbeit“, das bei einem Gesamtvolumen von

Staatssekretärin Serap Güler:       „EIN RUHRGEBIET,
                            		 DAS ZUM MOTOR FÜR INNOVATION
                            UND WIRTSCHAFTLICHEN ERFOLG WIRD,
                                IST GUT FÜR NRW UND
                                           DEUTSCHLAND.“

                            50 Mio. Euro bereits in 80 Prozent der Kreise                   Bei der Schaffung von Chancen und Auf-
                            und kreisfreien Städte umgesetzt wird. In die-                  stiegsmöglichkeiten spiele mit Blick auf das
                            sem Zusammenhang appellierte die Staats-                        Ruhrgebiet die 2018 initiierte Ruhrkonferenz
                            sekretärin an den Bund, die Länder stärker                      eine zentrale Rolle, die unter dem Leitmotiv
                            darin zu unterstützen, „jenen, die sich von                     „Chancenregion Ruhr“ in fünf Handlungs-
                            Anfang an um Integration bemüht und Arbeit                      feldern und 74 Projekten wichtige Impulse
                            gefunden haben, eine faire Chance zu geben                      setze. Denn, so Güler: „Ein Ruhrgebiet, das
                            und ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht nach                      zum Motor für Innovation und wirtschaftli-
                            klaren Kriterien zu ermöglichen. Sie wissen                     chen Erfolg wird, ist gut für ganz NRW und
                            genauso gut wie ich: Nicht all diejenigen,                      am Ende für ganz Deutschland.“

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INTEGRATION IM RUHRGEBIET
IM SCHULTERSCHLUSS VON
BUND, LAND UND KOMMUNE
                            Dr. Markus Kerber, Serap Güler, Daniel Schranz, Karola Geiß-Netthöfel

                            Geduldete, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Zu­   -            Kerber betonte, die Prozesse ließen sich nicht
                            wan­derung aus Südosteuropa, kommunale                   ohne weiteres beschleunigen, wolle man
                            Altschulden, Migrationskontrolle: Die Podi-              nicht willkürlich entscheiden. „Jeder Zuwan-
                            umsdiskussion im Anschluss an die Impuls-                derer hat ein Grundrecht auf den Rechtsweg,
                            vorträge von Dr. Markus Kerber und Serap                 und verwaltungsrechtliche Wege dauern nun
                            Güler wurde vor allem von komplexen Kern-                einmal so lange, wie sie dauern.“ Dennoch:
                            themen der Integrations- und Migrationsde-               Bund und Land, forderte Regionaldirektorin
                            batte bestimmt. Zweierlei wurde dabei relativ            Geiß-Netthöfel, dürften die Kommunen mit

Einvernehmen:               ALS EINE ART HOTSPOT
                                  		 SPIEGELT DAS RUHRGEBIET
                                  DIE SITUATION
                                           IM LAND WIDER.

                            schnell deutlich: Das bislang Erreichte muss             dem Problem nicht allein lassen: „58.000
                            Anerkennung finden – auf allen politischen               Geduldete in NRW und davon ganz viele
                            Ebenen ebenso wie in der Bevölkerung. Nicht              hier bei uns im Ruhrgebiet, das können wir
                            zuletzt, betonte Güler, „weil in diesem Land             nicht alleine stemmen.“ Die Tilgung der Alt-
                            noch nie für das Thema Integration so viel               schulden sei sehr wichtig, könne aber nur ein
                            Geld veranschlagt wurde wie jetzt, nämlich               erster Schritt sein: „Was nützt es, wenn sich
                            110 Mio. Euro für 2020“. Zugleich bedürfe es             die Schulden am nächsten Tag durch hohe
                            noch umfassenderer und, ginge es nach den                Soziallasten und die hohen Kosten für die
                            Kommunen, deutlich schnellerer Lösungen                  Menschen, die wir hier versorgen müssen,
                            als bislang. Dass Kerber und Güler für Januar            wieder neu aufbauen?“ Auch die Erhöhung
                            2020 eine gemeinsame Rundreise durch                     der FlüAG-Pauschale (Flüchtlingsaufnahme­
                            die Metropole Ruhr ankündigten, deutete                  gesetz), so Oberbürgermeister Schranz, sei in
                            Moderatorin Beate Kowollik als bewussten                 diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema,
                            Schulterschluss zwischen Bund, Land und                  auch wenn auf kommunaler Ebene kein Ein-
                            Kommunen. Ziel der Reise sei es, so Kerber,              vernehmen darüber herrsche, wie sich eine
                            „vor Ort herauszufinden, was an der Umset-               „richtige differenzierte Pauschale“ gestalten
                            zung der Gesetze des Bundes funktioniert,                müsse: „Wir könnten jetzt lang und breit dar-
                            und wo es vielleicht hakt“. Denn darüber                 über reden, wie viel höher der Bedarf in den
                            bestand Einvernehmen: Als eine Art Hotspot               größeren Städten als im kreisangehörigen
                            spiegelt das Ruhrgebiet die Situation und die            Raum ist. Doch dass es überall den Bedarf
                            Möglichkeiten im Land wider.                             gibt, ist klar – und das nicht erst seit gestern.“

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IM GESPRÄCH                 Hier sei, das kündigte Serap Güler an, eine              Drittstaaten von unter 100.000 Menschen
Dr. Markus Kerber,          Lösung in Sicht, „mit der alle Seiten werden             pro Jahr, das scheint mir managebar zu sein.
Moderatorin Beate
                            leben können“. Das Land stehe im Austausch               Aber lassen Sie aus der EU mal 500.000 bis
Kowollik,
Serap Güler,                mit den kommunalen Spitzenverbänden,                     600.000 Zuwanderer jährlich kommen. Das
Daniel Schranz und          sowohl hinsichtlich der viel diskutierten Erhö-          können wir weder steuern, noch planen, noch
Karola Geiß-Netthöfel       hung bzw. Differenzierung der FlüAG-Pau-                 begrenzen, weil es in der EU keine Begren-
                            schale, als auch beim Thema Geduldete, dem               zung der Migration gibt.“
                            Thema, das kommunal „wirklich zu Buche
                            schlägt“. Zugleich gab die Staatssekretärin              Mehr noch: „Wenn die Perspektivlosigkeit im
                            den Ball unmittelbar an den Bund weiter: „Von            Ländergürtel zwischen Marokko und dem Iran
                            den 58.000 Geduldeten in NRW sind 7.000                  anhält, haben wir zukünftig ganz andere Mig-
                            Menschen acht Jahre oder mehr in einem                   rations- und Integrationsprobleme. Die kann
                            Duldungsverhältnis. Das können zehn oder                 ich dann auch mit noch so vielen Sozialkon-
                            15 Jahre sein, in Essen haben wir auch Fälle             ferenzen nicht mehr lösen.“ Festzulegen, wer
                            von 30 Jahren. Hier muss man irgendwann                  erwünscht sei und wer nicht, die komplette
                            Tabula rasa machen, den Menschen eine faire              Kontrolle über die Migration zu haben, wie es
                            Chance geben und sie selbstständig für sich              bestimmte politische Strömungen im Land
                            sorgen lassen.“ Bislang jedoch fehlen für eine           befürworteten, sei der falsche Weg. Dennoch

Staatssekretärin Serap Güler:
                            „DAS THEMA GEDULDETE
                               SCHLÄGT KOMMUNAL WIRKLICH
                                        ZU BUCHE!“

                            solche Stichtagslösung die parlamentari-                 müsse man der Bevölkerung verdeutlichen,
                            schen Mehrheiten, sowohl in Deutschland als              „dass wir Zuwanderung in ihren Folgen unter
                            auch auf europäischer Ebene. Kerber: „Wenn               Kontrolle haben. Denn wenn dem Staat unter-
                            wir Gnade vor Recht walten lassen, was ja                stellt wird, er habe Kontrollverlust, bröckelt
                            eine Stichtagsregelung wäre, wie läuft es                das Vertrauen der Bürger. Das können wir
                            dann in Zukunft? Werden wir dann mehr Ord-               uns nicht erlauben“. Und dann unterscheide
                            nung und Rechtsstaatlichkeit im Zuwande-                 die Bevölkerung auch nicht länger zwischen
                            rungsbereich bekommen?“ Mit der jetzigen                 Bund, Land und Kommunen, „dann heißt es,
                            Situation der EU-Außengrenze sei das nicht               der Staat macht nichts für uns“.
                            zuzusichern: „Wir haben Zugangszahlen aus

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Aus dem Publikum merkte Dortmunds Sozial-                fehle, sei eine „klare Entscheidung zu Gel-
                            dezernentin Birgit Zoerner an, es sei vor allem          dern“. Statt unterschiedliche Positionen der
                            die kaum überschaubare Zahl an Themen,                   kommunalen Spitzenverbände für Verzö-
                            die Flut an unterschiedlichen Vorgaben und               gerungen verantwortlich zu machen, müss-
                            Gesetzen, die letztlich in der Bevölkerung               ten Land und Bund endlich Entscheidungen
                            für „Frust“ sorge. Neben neu zuwandernden                treffen; „man wird in diesen Fragen immer
                            Flüchtlingen gehe es auch um Zuwanderer                  jemandem weh tun.“ Alles andere „lassen
                            aus Rumänien und Bulgarien – und damit um                uns die Bürger nicht mehr durchgehen“. Das
                            Menschen, die streng genommen keinerlei                  Thema Migration/Integration sei mit Blick
                            Voraussetzungen mitbringen, am Arbeits-                  auf den anstehenden Kommunalwahlkampf
                            markt Fuß zu fassen und trotzdem bleiben.                bereits jetzt ein ganz heißes Eisen.

Luidger Wolterhoff:
                              „LAND UND BUND MÜSSEN ENDLICH
                           ENTSCHEIDUNGEN ZU GELDERN TREFFEN.“

                            „Das ist ein Riesenthema“. Zugleich werde                Einwände, für die Staatssekretär Kerber Ver-
                            es immer schwieriger, Entscheidungen des                 ständnis zeigte. Es sei grundsätzlich wichtig,
                            Bundes vor Ort zu vertreten: „Wenn aufgrund              Programme richtig zu vermitteln, der Öffent-
                            der Gesetzeslage geduldete Menschen, die                 lichkeit aufzuzeigen, dass etwas geschieht,
                            bereits in Ausbildung oder Arbeit sind, also             und – „das nehme ich von dieser Sozialkon-
                            Menschen, die sich selbst finanzieren, aus               ferenz mit“ – Probleme nicht schönzureden,
                            ihrem Job wieder raus müssen, stattdessen                sondern sie „jeder in seiner Verantwortlich-
                            von der Kommune komplett finanziert wer-                 keit“ zu lösen. Dies aber brauche Zeit: „Wir
                            den und dieses Land trotzdem nicht verlas-               haben 30 Jahre lang nichts gemacht, da wird
                            sen, dann kann ich das schlicht niemandem                es auch mindestens zehn Jahre dauern, bis
                            mehr erklären.“ Längst, so ergänzte Dieter               die Gegenbewegung kommt.“ Gerade des-
                            Hillebrand vom DGB, sei die Lage in vielen               halb, ergänzte Staatssekretärin Güler, sei ein
                            Ruhrgebietsstädten viel explosiver „als wir              Schulterschluss zwischen Bund, Land und
                            das gerne offen diskutieren“.                            Kommunen unerlässlich.

                            Auch Gelsenkirchens Sozialdezernent Luid-
                            ger Wolterhoff mahnte zügige Entschei-
                            dungen an: „Das was hier in Bezug auf die
                            Finanzen gesagt wird, hören wir schon seit
                            vielen Monaten mit den gleichen Argumen-
                            ten; wir diskutieren immer wieder das Glei-
                            che.“ Die Kommunen seien durchaus bereit,
                            Integrationsleistungen zu erbringen – „das
                            ist für uns überhaupt keine Frage, da gibt
                            es bereits gute Projekte“. Was nach wie vor

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INTEGRATIONSREGION RUHR –
ERFAHRUNGEN UND PERSPEKTIVEN

                             Bildung und Sprache als Erfolgsfaktoren der Integration
                             Suat Yilmaz, Leiter der Landesweiten Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren
                             Dr. Susanne Farwick, Leiterin des Bereichs Integration der Stiftung Mercator

                             Fachkräfte sichern, Perspektive geben, aktive Willkommensstruktur praktizieren
                             Mark Rosendahl, Geschäftsführer des DGB in der Emscher-Lippe-Region
                             Tülay Koca, Inhaberin des Prenses Palace in Essen
                             Wulf-Christian Ehrich, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK zu Dortmund

                                                                                     Und ja: „Es passiert viel, es gibt zahlreiche
                                                                                     sehr gute Projekte in Schulen und mittler-
                                                                                     weile auch eine gewisse Routine“, versicherte
                                                                                     Dr. Susanne Farwick, Leiterin des Bereichs
                                                                                     Integration der Stiftung Mercator. „Doch das
                                                                                     reicht nicht, um das Problem grundsätzlich
                                                                                     und strukturell in den Griff zu kriegen.“ Es
                                                                                     fehle, resümierte auch Suat Yilmaz, Leiter der
                                                                                     Landesweiten Koordinierungsstelle Kommu-
                                                                                     nale Integrationszentren, an ausreichender
                                                                                     Wirkung in der Fläche. „Die Programme sind
                                                                                     gut, die Ergebnisse greifen jedoch längst
ERFAHRUNGSAUSTAUSCH I Dr. Susanne Farwick, Leiterin Bereich Integration              nicht allerorts.“
der Stiftung Mercator; Moderatorin Beate Kowollik und Suat Yilmaz, Leiter der
Landesweiten Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren

Suat Yilmaz:                        „DIE PROGRAMME SIND GUT,
                              DIE ERGEBNISSE GREIFEN JEDOCH
                                LÄNGST NICHT ALLERORTS.“

                             Der zweite Teil der Sozialkonferenz Ruhr                Akute Kinderarmut, mangelnde Bildungs-
                             begann mit einem Blick auf die Praxis in der            gerechtigkeit und nicht zuletzt mögliche
                             Integrationsregion Ruhr. Wie sieht sie aus?             zukünftige Zuwanderungszahlen etwa mit
                             Welche Rolle spielen Bildung und Sprache?               Blick auf die Situation in den Maghrebstaa-
                             Welche Herausforderungen ergeben sich für               ten: Yilmaz’ Bestandsaufnahme fiel deutlich
                             Unternehmen? Und welche Vorteile?                       pessimistischer aus als jene der Politik zuvor.
                                                                                     „Wenn wir das jetzt nicht ans Laufen bekom-
                             Die Podiumsteilnehmenden waren sich einig:              men, haben wir in zehn, fünfzehn Jahren Pro-
                             Sprache und Bildung sind wesentlich, wenn               bleme in Dimensionen, die wir uns jetzt gar
                             es darum geht, Menschen zu integrieren und              nicht vorstellen können.“ Sein Fazit: „Es fehlt
                             sie in Ausbildung und Arbeit zu bekommen.               die Struktur, es fehlt Personal, es fehlt Geld“.

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Und – das wurde später auch noch einmal                  Chancen, die nicht nur mit einer grundsätzli-
                            aus dem Publikum angemerkt – es herrscht                 chen Haltungsänderung, mit Wertschätzung
                            Zeitdruck: „Kinder und Jugendliche“, so die              anderer Ressourcen einhergehen müssen,
                            Wortmeldung, „müssen heute integriert                    sondern auch mit einer Anpassung und Neu-
                            werden und nicht erst morgen oder über-                  ausrichtung etwa der Verwaltungsstrukturen.
                            morgen; sie können nicht abwarten, bis sich              Yilmaz: „Wir sprechen immer von einem Sozi-
                            bestimmte Programme etabliert haben und                  alindex. Wie wäre es mal mit einem Chan-
                            umgesetzt werden können“. Die Maßnahmen                  cenindex? Warum gibt es an beinahe jeder
                            müssten deshalb, so Yilmaz, deutlich früher              Schule zwar einen Sozialarbeiter, aber keinen
                            ansetzen, etwa im Rahmen eines bundes-                   Talentscout?“ Hier würden enorme Chancen
                            weiten Schülerstipendien-Programms: „Wir                 vertan.
                            pumpen eine Viertelmilliarde ins Ende der
                            Pipeline. Aber vorher, da, wo man etwas ver-             Chancen, die gelingende Integration auch
                            ändern kann, in der siebten, achten Klasse, da           Wirtschaft und Unternehmen biete – wenn
                            passiert nichts.“                                        alle Beteiligten bereit seien, über den Teller-

Susanne Farwick:               „GLEICHWERTIGE LEBENSVERHÄLTNISSE
                            		LIESSEN SICH NUR ÜBER
                                     EINE BEDARFSORIENTIERTERE
                                  FINANZIERUNG DER REGELSYSTEME
                                            ERREICHEN.“

                            Früher ansetzen und Talente fördern, lau-                rand zu schauen, wie Wulf-Christian Ehrich,
                            tete die eine Forderung. Langfristiger pla-              stellv. Hauptgeschäftsführer der IHK zu Dort-
                            nen und Modellprojekte in feste Programme                mund, anmerkte. Mehrsprachigkeit, inter-
                            umwandeln, die andere. Denn, so Farwick,                 national besetzte Teams verbunden mit
                            mit „Leuchttürmen, die dann wieder in sich               interkultureller Sensibilität im eigenen Unter-
                            zusammenfielen“, sei es nicht getan. Eine                nehmen schaffen durchaus Vorteile auf dem
                            gleichberechtigte Teilhabe aller und damit               Markt. „Mit Blick auf den Fachkräftemangel
                            gleichwertige Lebensverhältnisse ließen sich             muss man sich mit Integration auseinander-
                            nur über eine bedarfsorientiertere Finan-                setzen, ob man will oder nicht. Allein in NRW
                            zierung der Regelsysteme und eine andere                 fehlen 2019 rund 11.000 Fachkräfte.“ Das
                            Verteilungsgerechtigkeit erreichen. Zugleich             Fachkräfteeinwanderungsgesetz böte da ab
                            gelte es, Sprachbarrieren abzubauen, etwa                2020 zwar endlich wichtige Rahmenbedin-
                            über eine fächerübergreifende Sprachsensi-               gungen, beispielsweise im Hinblick auf die
                            bilisierung, und neue Akteur*innen zu mobili-            mögliche Ausbildung von Geflüchteten. Ein
                            sieren – Farwick verwies auf ein Modellprojekt           grundsätzlicher Mentalitätswechsel in Unter-
                            mit geflüchteten Lehrenden, Yilmaz auf die               nehmen und Gesellschaft lasse sich jedoch
                            zu stärkende Rolle der Frauen in den Fami-               auch über Gesetze nicht erzwingen.
                            lien – und damit neue Vorbilder zu schaffen.

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ERFAHRUNGS-
AUSTAUSCH II
Mark Rosendahl,
Tülay Koca,
Beate Kowollik,
Wulf-Christian Ehrich

                            Denn die Realität im Geschäftsleben – sie                Ausbildung, Initiativen wie die „Allianz für
                            sieht vielfach noch deutlich anders aus, wie             Weltoffenheit“ oder der „Interkulturelle Wirt-
                            die Essener Unternehmerin Tülay Koca ein-                schaftspreis“ des mit der IHK zu Dortmund
                            dringlich vermitteln konnte: „Als Migrant*in             kooperierenden Multikulturellen Forums tra-
                            wird man schlicht nicht anerkannt. Man traut             gen das Thema breiter in die Gesellschaft.
                            uns nicht zu, dass wir in der Selbstständigkeit

Kenan Küçük:			                  „DIE KOMMUNEN MÜSSEN IHRE
                            VORGEHENSWEISE AUF DEN KOPF STELLEN
                               UND NEUE WEGE FINDEN.
                                  DENN INTEGRATION FINDET
                                NUN EINMAL VOR ORT STATT.“
                            erfolgreich sein können.“ Kein neues Prob-               Und genau dort, meldete sich Kenan Küçük,
                            lem, sondern ein altes, längst nicht aufgear-            Geschäftsführer des Multikulturellen Forums,
                            beitetes, versicherte auch Mark Rosendahl,               zu Wort, müsse das Thema Migration auch
                            Geschäftsführer des DGB in der Emscher-                  endlich ankommen: „Wir müssen gesamtge-
                            Lippe-Region: „Hier hat sich zwar schon eini-            sellschaftlich handeln. Ich kann es nach 60
                            ges getan, doch es wird wohl noch Jahrzehnte             Jahren wirklich nicht mehr hören, dass die
                            dauern, bis wir wirklich weiter sind.“ Aktuell           Kommunen die Probleme aufs Land schie-
                            ist die Lage deutlich anders als gewünscht:              ben, das Land auf den Bund, der Bund auf
                            Suat Yilmaz merkte an, 60 Prozent der ausbil-            Europa.“ Sein Appell an die Kommunen: „Mei-
                            dungsfähigen Betriebe in Deutschland hätten              netwegen können Sie das Geld vom Land,
                            laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung               vom Bund und von Europa nehmen. Aber
                            aus dem Jahr 2014 bereits seit fünf Jahren               tatsächlich müssen die Kommunen ihre Vor-
                            keinen Jugendlichen mit Migrationshinter-                gehensweise auf den Kopf stellen und neue
                            grund mehr eingestellt. Sprachförderung und              Wege finden. Denn Integration findet nun
                            Alphabetisierungskurse seien laut Rosendahl              einmal vor Ort statt.“
                            deshalb ebenso unerlässlich wie Praktikums-
                            plätze für Geflüchtete. Gezielte Werbung der
                            Kammern für das Thema Migration und Duale

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WIE MACHEN WIR WEITER?
WAS SOLL KONKRET PASSIEREN?

                            Suat Yilmaz, Leiter der Landesweite Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren
                            Sören Link, Oberbürgermeister der Stadt Duisburg
                            Birgit Zoerner, Dezernentin für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Dortmund
                            Karola Geiß-Netthöfel, Regionaldirektorin des Regionalverbands Ruhr

                            Wie kann er gelingen, der Schulterschluss                und Schulleiter, wie viele Polizeipräsidenten
                            von Bund, Land und Kommunen in Sachen                    oder -präsidentinnen mit Zuwanderungsge-
                            Integration? Was fehlt? Was muss sich                    schichte haben wir denn? Die jungen Leute
                            ändern? Welche Ansätze sollten weiterver-                sehen ganz genau, wer nach oben kommt
                            folgt werden? Diese Fragen bestimmten die                und wer nicht.“ Link fand noch deutlichere
                            Abschlussrunde der Sozialkonferenz Ruhr,                 Worte: „Wir müssen uns da ehrlich machen:
                            die neben Karola Geiß-Netthöfel und Suat                 Wir sind keine Einwanderungsgesellschaft.
                            Yilmaz bewusst noch einmal kommunale Ver-                Wir behaupten das gerne, aber in der Praxis
                            treterinnen und Vertreter aufs Podium holte.             gilt das weder für Unternehmen noch für den
                                                                                     öffentlichen Dienst.“ Aufrichtigkeit sei für die
                            Der neben der Bereitstellung ausreichender               gesamte Debatte unerlässlich: „Man muss
                            Mittel drängendste Wunsch der Kommu-                     über Probleme ehrlich reden können, sonst
                            nen an Bund und Land: Probleme ehrlich zu                machen es die Bürger woanders und nicht
                            benennen – und gemeinsam an Lösungen                     mehr mit uns.“

Sören Link:
                                       „ES GILT,
                            PROZESSE ZU BESCHLEUNIGEN UND
                               RESSOURCEN ZIELGERICHTETER
                                    EINZUSETZEN.“
                            zu arbeiten. Sören Link konstatierte, es sei             Dennoch habe man, versicherte Zoerner,
                            eine Haltungsänderung vonnöten, die bereits              beim Thema Integration in den vergangenen
                            mit der Sprache beginne: „Jemand, der in                 Jahren viel erreicht. Doch Umfang und Art
                            Duisburg geboren ist, ist Duisburger und im              der Einwanderung stellten die Kommunen
                            Zweifel ist er Deutscher. Er ist kein Migrant.           mittlerweile vor immense Probleme – finan-
                            Mit diesem Label tun wir weder der Per-                  zielle wie personelle. Stichwort: Migration aus
                            son noch der Gesellschaft einen Gefallen.“               Südosteuropa. Stichwort: Geduldete. Link
                            Dem stimmte Suat Yilmaz zu: Wertschät-                   konstatierte, es sei zwar erfreulich, dass der
                            zung, nicht zuletzt auch enormer vielfältiger            Bund letzteres nun endlich angehen wolle,
                            Talente, müsse prinzipiell unabhängig von                „aber dieses Thema ist auch nicht erst gestern
                            Herkunft und Familie erfolgen – und in gewis-            entstanden“. Es gelte, Prozesse zu beschleu-
                            sem Maße auch kontrollierbar sein. „Wenn wir             nigen und die ohnehin knappen Ressourcen
                            sagen, wir sind, etwa als Verwaltung, inter-             künftig zielgerichteter einzusetzen. Um die
                            kulturell geöffnet, woran messen wir das                 Kommunen zu entlasten, aber auch, um den
                            genau? Wie viele Lehrkräfte, Schulleiterinnen            zuwandernden Menschen selbst gerecht

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zu werden, die, so Zoerner, „ansonsten ein-            Ein Grund, so Geiß-Netthöfel, warum die
                              fach durchs Raster fallen“. Bislang fehle es           Sozialkonferenz Ruhr alle Beteiligten an
                              an einer Verantwortungsgemeinschaft, an                einen Tisch geholt habe: „Wir hier wissen,
                              einem gemeinsamen Verständnis für das, was             wie man Integration praktiziert. Woran man
                              man erreichen will – über alle Ebenen hinweg.          aber, glaube ich, noch arbeiten kann, ist die
                              „Was wir bei Land und Bund stattdessen erle-           Vernetzung zwischen Bund und Land.“ Jeder
                              ben, ist in der Regel das krasse Gegenteil, bis        einzelne Konferenzteilnehmende müsse nun
                              hin zur Realitätsverweigerung.“                        seine Ansprechpartnerinnen und Ansprech-
                                                                                     partner in die Pflicht nehmen, auf diese Weise

Birgit Zoerner:                  „UMFANG UND ART
                               DER EINWANDERUNG
                                     STELLTEN DIE KOMMUNEN
                                  VOR IMMENSE PROBLEME.“
ABSCHLUSSDISKUSSION                                                                  sei man auch bei den Altschulden ein Stück
Karola Geiß-Netthöfel, Beate Kowollik, Birgit Zoerner, Suat Yilmaz                   weitergekommen. Zugleich sei es für die
                                                                                     Debatte essenziell, nicht nur von Problemen
                                                                                     zu sprechen, sondern auch das Erreichte in
                                                                                     den Fokus zu stellen.

                                                                                     Wie also geht es weiter? Birgit Zoerner:
                                                                                     „So wie Politik immer funktioniert: Man
                                                                                     muss Druck machen, man muss Verbün-
                                                                                     dete suchen, man muss den Leuten gehörig
                                                                                     auf den Senkel gehen.“ Und das mit allem,
                                                                                     was man an Möglichkeiten habe – bis hin zu
                                                                                     einer Bund-Länder-Kommission. „Man muss
                                                                                     für seine Interessen kämpfen, so ist das im
                                                                                     Leben.“

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Herausgegeber:
Regionalverband Ruhr
Die Regionaldirektorin
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Redaktion:
Regina Schenberg
schenberg@rvr.ruhr

Text:
Tanja Weimer,
Schacht 11

Foto:
Ravi Sejk/RVR

Essen, Februar 2020
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