Journal - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg
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Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-9517 1 / 2021 journal kollateralschäden Versäumen Patienten aus Angst vor Ansteckung notwendige Behandlungen? Corona-impfung pädiatrie Vorbereitungsarbeiten in den Messehallen Kinderärztliche Notfallpraxis am AKK
Impressum Das KVH-Journal enthält Informationen für den Praxisalltag, die für das gesamte Team relevant sind. Bitte ermöglichen Sie auch den nichtärztlichen Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeitern Einblick in dieses Heft. Impressum KVH-Journal der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg für ihre Mitglieder und deren Mitarbeiter ISSN (Print) 2568-972X ISSN (Online) 2568-9517 Erscheinungsweise monatlich Abdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des Autors und nicht unbedingt die des Herausgebers wieder. VISDP: Walter Plassmann Redaktion: Abt. Politik und Öffentlichkeitsarbeit Martin Niggeschmidt, Dr. Jochen Kriens Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Humboldtstraße 56, 22083 Hamburg Tel: 040 / 22802 - 655 E-Mail: redaktion@kvhh.de Titelillustration: Sebastian Haslauer Layout und Infografik: Sandra Kaiser www.BueroSandraKaiser.de Ausgabe 1/2021 (Januar 2021) 2 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser! Muss das sein? Habt Ihr nichts Besseres zu tun? Einige Reaktionen auf die Nachricht, dass die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg den Auftrag der Stadt zu Aufbau und Betrieb eines Impfzentrums angenommen hatte, waren eher skeptisch. Unrecht hatten sie ja auch nicht: Impfungen sind vom Sicherstellungs- auftrag nicht umfasst, der Betrieb eines Impfzentrums schon gar nicht. Zudem erfordert die Erledigung dieses Auftrags eine ungeheure Arbeitsleis- tung. Knapp 10.000 qm umfassen beide Messehallen, die das Impfzentrum bergen, rund 600 Mitarbeiter sind einzustellen und in einen geordneten Betrieb zu integrieren, 7.000 Menschen sollen täglich durch die Hallen geschleust, einem komplexen Verwaltungsverfahren unterzogen und dann auch noch geimpft werden. Alles von der KV? Ja – und es war die richtige Entscheidung. Denn die KV und vor allen Dingen die niederge-lassenen Ärztinnen und Ärzte haben bewiesen, dass sie solche Aufgaben bewältigen können. Das bundesweit einmalige Vorgehen zu Beginn der Pandemie war ein entscheidender Schritt zum „Cool-down“ des „Hotspots“ Hamburg. Die schnelle Reaktion der KV und der Ärzte hat das geänderte Test- regime der Politik im Sommer innerhalb weniger Stunden umgesetzt. Und am Hauptbahnhof ist eines der größten Corona-Testcenter Deutschlands entstanden, mit dem eine hocheffiziente Testabwicklung sichergestellt wurde. So wird es auch in den Messehallen sein. Das Zentrum ist „atmend“ konzipiert, kann sich den Bedingungen der Bereitstellung des Impfstoffes und der Einla- dungspolitik schnell anpassen. Und wieder haben die Hamburger Ärztinnen und Ärzte ihr außergewöhnliches Engagement bewiesen: Innerhalb weniger Tage hatten Hunderte ihre Bereitschaft erklärt, im Zentrum arbeiten zu wollen – manchmal mitsamt dem ganzen Praxisteam. So viel Engagement fällt auf. Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher lobt die niedergelassenen Ärzte als „starke Truppe“ (siehe das Statement auf S. 15), die Gesundheitspolitiker aller Parteien bekunden der KV Respekt, und nur die KV Hamburg ist derart umfassend in die Impfarbeit einbezogen worden. Muss das sein? Ja, unbedingt. Weil wir es können, weil sich Politik und Bevölkerung auf die Niedergelassenen in Hamburg verlassen – und weil es das Ansehen der Vertragsärzteschaft weiter stärkt. Ihr Walter Plassmann, Vorsitzender der KV Hamburg Ko n ta k t Wir freuen uns über Reaktionen auf unsere Artikel, über Themenvorschläge und Meinungsäußerungen. Tel: 22802-655, Fax: 22802-420, E-Mail: redaktion@kvhh.de 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 3
I n h a lt Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-972X 1 / 2021 journal versorgung kollateralsChäden Versäumen Patienten aus Angst vor Ansteckung 14_ Vorbereitung für notwendige Behandlungen? Corona-Impfzentrum 15_ Tschentscher: "Die Hamburger Ärzteschaft ist eine starke Truppe" 16_ Notfallpraxen Altona und Farmsen sind jetzt reine Infektpraxen Eröffnung einer kinderärztlichen Notfallpraxis am AKK 17_Online-Buchung von Infektterminen für Patienten Corona-impfung pädiatrie Vorbereitungsarbeiten in den Messehallen Kinderärztliche Notfallpraxis am AKK Schwerpunkt Au s d e r P r a x i s f ü r d i e P r a x i s 06_ Nachgefragt: Haben Patienten aus 18_ Fragen und Antworten Angst vor Ansteckung notwendige 19_ BKK-Vertrag zur ambulanten Behandlungen versäumt? Erbringung der elektrischen 08_ Interview mit Gesundheitswissen- Kardioversion schaftlerin Dr. Sandra Mangiapane: Welche Auswirkungen hat die Arzn ei- un d H ei lm ittel Corona-Pandemie auf die ambu- lante Versorgung? 20_ Verordnungsempfehlung für HIV-Therapeutika w e i t e r l e s e n i m N e t z : w w w. k v h h . d e Auf unserer Internetseite finden Sie Informationen rund um den Praxisalltag – unter anderem zu Honorar, Abrechnung, Phar- makotherapie und Qualitätssicherung. Es gibt alphabetisch sortierte Glossare, in denen Sie Formulare/Anträge und Verträge herunterladen können. Sie haben Zugriff auf Patientenflyer, Pressemitteilungen, Telegramme und Periodika der KV Hamburg. 4 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
1 /2021 T e l e m at ik N e tz w e r k ev i d e n z b a s i e rt e m e d i z i n 22_ Adress-Verzeichnisdienst der 24 _Covid-19: Schutz der Telematikinfrastruktur besonders vulnerablen 22_ Elektronische AU ab Oktober 2021 Gruppen geboten verpflichtend R u b r ik e n Forum 02_Impressum 28_ ÄrzteNetz Hamburg testete 03_Editorial Mitglieder auf Corona-Antikörper Ko l u m n e 30_Zi-Befragung zur wirtschaftlichen 32_Zwischenruf von Dr. Matthias Soyka Situation von MVZ verlängert Amtliche Hamburger Versorgungsforschungs- Veröffentlichung en tag: MVZ-Projekt mit dem Zi 33_Bekanntmachungen im Internet S e l b s t v e r wa lt u n g Terminkalender 34_Termine und geplante 31_ Steckbrief: Florian Flüß Veranstaltungen bi ldnachweis Titelillustration: Sebastian Haslauer Seite 3: Michael Zapf; Seite 9: Andrea Katheder; Seite 13: Yuris Arcurs Photography / Fotolia; Seite 14 und 15: Florian Sonntag; Seite 16: Anna Mutter; Seite 17: KV Hamburg; Seite 19: Fleur Priess; Seite 34: Michael Zapf; Seite 36: Markoagentur.de; Icons: iStockfoto 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 5
NA c h g e f r a g t Haben Patienten aus Angst vor Corona notwendige Dr. Erik Engel Internist, Hämatologe und Onkologe in der Hämatologisch- Onkologischen Praxis Altona (HOPA) Behandlungen versäumt? Niemand geht »verloren« Es wurde öffentlich darüber spekuliert, ob die Pandemie zu einer Einschränkung der notwendigen Versorgung von Krebspatienten geführt habe. Das können wir nicht bestäti- gen. In der ersten Phase der Pandemie gab es zwar Unsicher- heiten: Man wusste noch wenig über das Virus. Es fehlte Schutzausrüstung. Einige Patienten verschoben Nachsorge- termine oder wir selbst haben zeitlich unkritische Behand- lungen verlegt, um laufende Tumortherapien verzugsfrei auch unter Coronabedingungen sicherzustellen. Dies führte vorübergehend zu einer geringen Fallzahlreduktion, wäh- rend die Anzahl der durchgeführten Tumortherapien aber demgegenüber sogar zugenommen hat. Deshalb war die Versorgung der aktuell an Krebs erkrankten Patienten zu jedem Zeitpunkt vollständig gewährleistet. Wir begleiten unsere Patienten meist über lange Zeiträume, da geht niemand „verloren“. Wenn ein Patient, der behandelt werden muss, seinen Termin versäumt hat oder ihn verlegen möchte, fragen wir aktiv nach. Für die meisten krebskran- ken Patienten steht die Angst vor Corona aber gar nicht im Mittelpunkt ihrer Sorgen, wenngleich diese zusätzlich belastet. Konkreter ist das Anliegen, dass die lebenswichti- ge Behandlung ihrer bestehenden Erkrankung trotz der Pandemie sicher durchgeführt wird. Neben rigiden Hygien- emaßnahmen haben wir deshalb auch organisatorische Maßnahmen ergriffen. So arbeiten wir beispielsweise derzeit in zwei voneinander getrennten Behandlungsteams, um sicherzustellen, dass die Versorgung selbst dann auf- rechterhalten werden kann, falls in der Praxis Quarantäne- maßnahmen ergriffen werden müssten. 6 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
NA c h g e f r a g t Dr. phil. Gudrun Wiborg Dr. Heinz Breuer Psychologische Psychotherapeutin und therapeutische Internist, Kardiologe und Angiologe Zentrumsleitung des MVZ Colonnaden im Cardiologicum Hamburg Mehr Begleitung Die meisten lassen per Video sich überzeugen Das Leistungsangebot unseres MVZ umfasst Psychi- Es kommt immer wieder vor, dass Patienten Termine atrie, Neurologie und Psychotherapie. Der Anteil der absagen wollen, weil sie Angst vor einer Ansteckung Patientinnen und Patienten, die seit Pandemiebeginn mit SARS-CoV-2 haben. Wir erklären dann, dass unsere aus Angst vor Ansteckung nicht in unser Zentrum Praxis ein sicherer Ort ist, weil wir sehr umfangreiche kommen, ist insgesamt gering, und überwiegend ist in und effektive Schutzmaßnahmen etabliert haben. Diese diesen Fällen die Angst vor der Anfahrt mit öffentlichen Erläuterung bekommt jeder in Abhängigkeit von der Verkehrsmitteln der primäre Hinderungsgrund. Wir Schwere der Grunderkrankung. Zum Beispiel haben haben bereits im März 2020 tiefgreifende Hygiene- und gefährdete, vom Gerät abhängige Schrittmacher/ Schutzmaßnahmen vor Ort umgesetzt, um Patientin- Defipatienten oder Patienten mit einer Symptomatik nen und Patienten sowie das Team einem geringst- wie Angina Pectoris oder Herzschwäche mit Luftnot ein möglichen Ansteckungsrisiko auszusetzen. Einer der erhöhtes Risiko, wenn sie den vereinbarten Termin derzeitigen Hauptgründe für das Wegbleiben von nicht wahrnehmen. Versäumte Termine und schlecht Patientinnen und Patienten sind angeordnete Qua- eingestellte Patienten können das Risiko eines schwe- rantänemaßnahmen. ren Verlaufs bei einer Coronaerkrankung erhöhen. Die Zum Wohle der Patientinnen und Patienten, die nicht meisten Patienten lassen sich von uns überzeugen – vor Ort behandelt werden können, ist es von zentraler aber nicht alle. Etwa fünf Prozent der primär verein- Bedeutung, den Patientenkontakt individuell so zu barten Termine werden aus Gründen der Angst vor gestalten, dass der therapeutische Prozess soweit wie Ansteckung mit Corona nicht wahrgenommen. Dies möglich fortgesetzt werden kann. Dazu haben wir kann je nach Verlauf der Epidemie noch weiter zuneh- unsere technische Infrastruktur stark erweitert, men. Wir tun unser Bestes, um insbesondere den durch sodass wir unsere Patientinnen und Patienten unter die Grunderkrankung gefährdeten Patienten die Angst anderem auch über Videotherapie zuverlässig beglei- vor dem Praxisbesuch zu nehmen. ten können. 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 7
Schwerpunkt Interview »Die Praxen halten die Stellung« Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die ambulante Versorgung? Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Sandra Mangiapane über die Schutzwall-Funktion der Praxen und den vorübergehenden Einbruch der Fallzahlen in der ersten Phase der Pandemie. In der ersten Phase der Pandemie der Patientinnen und Patienten ges, dezentrales Netz hausärztlicher wurden vier von fünf Corona- wurden rein ambulant versorgt. und fachärztlicher Praxen. Länder, in Fällen ambulant versorgt. Hat sich denen die Versorgung vor allem an dieser Anteil verändert? Wie kommt das? den Kliniken konzentriert ist, sind MANGIAPANE: Ja, er hat zuge- MANGIAPANE: Die Gesundheits- in dieser Pandemie-Situation ganz nommen. In den Sommermonaten systeme sind anders strukturiert. In offensichtlich im Nachteil. ist der Anteil ambulant versorg- Deutschland gibt es ein engmaschi- ter Corona-Fälle auf mehr als 90 In wiefern? Prozent angestiegen. Aktuell sind MANGIAPANE: Wenn ein Groß- Wer führt es sogar 94 Prozent. Das zeigen die Corona-PCR-Tests durch? teil der Corona-Patienten in den Meldedaten des RKI zum stationä- Kliniken versorgt wird, steigt ren Bereich. das Infektionsrisiko. So hat man beispielsweise in der Lombardei 22% Wie groß ist der Anteil ambulant mitverfolgen können, wie Kran- versorgter Corona-Fälle in anderen Kliniken kenhäuser plötzlich zu „Hot-Spots“ europäischen Ländern? Vertragsarzt- 45% und somit zum Ausgangspunkt MANGIAPANE: Dort ist die Situati- bereich für weitere Infektionen wurden. on anders. Aus Auswertungen des Natürlich hängt die Entscheidung, Fachgebiets „Management im Ge- 33% Gesundheitsämter, ob ein an Covid erkrankter Pati- Teststationen, Andere sundheitswesen“ der TU Berlin geht ent stationär behandelt werden hervor, dass in der ersten Pandemie- muss, von Verlauf und Schwere phase in Großbritannien 59 Prozent der Erkrankung ab. Doch wenn der der Corona-Fälle stationär behandelt ambulante Sektor es schafft, über wurden. In Frankreich waren es 72 Quelle: RKI, Laborbasierte Surveillance von das kontinuierliche Monitoring der Prozent, das heißt: Nur 28 Prozent SARS-CoV-2, Wochenbericht vom 17.11.2020 Patienten die Notwendigkeit einer 8 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
Schwerpunkt Dr. Sandra Mangiapane: "Offenbar gab es keine Praxisschließungen oder krankheits bedingte Ausfälle in nennenswertem Umfang." stationären Aufnahme rechtzei- in Hamburg wie auch im Bundes- Wie haben sich die Zahl der PCR- tig einzuleiten, bis dahin aber die durchschnitt rund 94 Prozent der Testungen und die Positivquoten Krankenhäuser von Infektpatien- gegenüber den KVen abgerechneten entwickelt? ten zu entlasten, ist das ein riesiger PCR-Tests im vertragsärztlichen MANGIAPANE: Bis Ende April Vorteil. Und genau das ist bisher Bereich durchgeführt wurden, nur 6 wurden in Deutschland weniger gelungen. Bisher hatte Deutschland Prozent der PCR-Tests wurden ambu- als 400.000 PCR-Tests wöchent- im europäischen Vergleich eher lant von Krankenhäusern abgerech- lich durchgeführt. Der bisherige niedrige Fallzahlen sowie einen net. Will man Aussagen zum gesam- Höchststand wurde in der letzten geringen Anteil intensivmedizi- ten Testgeschehen machen, muss Oktoberwoche mit über 1,6 Mil- nisch betreuter Covid-Patienten man die RKI-Publikationen hinzuzie- lionen erreicht, seither gehen die und Covid-assoziierter Todesfälle. hen. Auf das gesamte Testgeschehen Zahlen etwas zurück. Es wird wie- Dazu hat der ambulante Schutzwall bezogen haben Gesundheitsämter der gezielter getestet. Das zeigt sich einen großen Beitrag geleistet. und Testzentren aktuell einen Anteil auch an der Positivquote: Etwa 9 von 33 Prozent, der Vertragsarztbe- Prozent der Tests fallen derzeit po- Welche Rolle spielen die Kranken- reich liegt bei 45 Prozent. Die Testun- sitiv aus. Damit ist die Positivquote, häuser und der öffentliche Gesund- gen werden also in Deutschland zu die in den Sommermonaten teil- heitsdienst bei der Corona-Testung? einem ganz wesentlichen Anteil von weise bei unter einem Prozent lag, MANGIAPANE: Die Abrechnungsda- den Vertragsärztinnen und Vertrags- wieder auf das Niveau von Ende ten des 1. Quartals 2020 zeigen, dass ärzten durchgeführt. März gestiegen. ➞ 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 9
Schwerpunkt 30 20 Kinder- und Jugendärzte 10 Hausärzte Augenärzte 0 HNO-Ärzte Behandlungsfälle: Änderungen in % -10 -20 -30 -40 -50 -60 Quelle: -70 Zi, Trendreport für das 1. Halbjahr -80 2020 4.3.- 11.3.- 18.3.- 25.3.- 1.4.-28.4.2020 29.4.-26.5.2020 27.5.-30.6.2020 10.3. 17.3. 24.3. 31.3. Fachgruppen: Relative Veränderung der Anzahl der Behandlungsfälle (mit Grund- und Versichertenpauschalen) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ➞ Welche Kollateraleffekte hatte die rend der ersten Pandemie-Phase gegangen und lagen bis Ende Juni Corona-Pandemie bisher? erkennen wir bei den Augenärzten, mit minus 23 bis minus 34 Prozent MANGIAPANE: Wir haben für den den HNO-Ärzten, den Phoniatern deutlich unter den Vorjahreswerten. aktualisierten Trendreport zur Co- und den Kinder- und Jugendärzten. Dies deckt sich mit den Ergebnissen vid-Krise die Abrechnungsfrühin- Hier gab es Rückgänge zwischen des AKTIN-Notaufnahmeregisters. formationen der KVen zum ersten 53 und 65 Prozent gegenüber dem Daraus geht hervor, dass die Fallzah- Halbjahr 2020 ausgewertet. Dabei Vorjahreszeitraum. Auch bei den len in den Notaufnahmen auch in stellten wir fest, dass entsprechend Nephrologen war ein Rückgang in den Sommermonaten weiter unter den Vorgaben der Kontaktbe- dieser Größenordnung zu beobach- den Vorjahreswerten lagen und mit schränkungen die Behandlungsfäl- ten – nicht aber in der Versorgung Beginn der zweiten Welle ab Mitte le mit persönlichem Arzt-Patien- dialysepflichtiger Patienten. Das Oktober wieder stärker sinken. ten-Kontakt im Verlauf des März haben wir uns gesondert angese- Aktuell liegen die Notaufnahme- deutlich gesunken sind – und zwar hen: In diesem Bereich konnten wir vorstellungen 20 Prozent unter den über alle Fachgruppen hinweg und keine signifikante Veränderung in Vorjahreswerten. insbesondere bei verschiebbaren der Leistungsentwicklung gegen- Leistungen, wie Krankheitsfrüh- über dem Vorjahr erkennen. Wurde notwendige Versorgung erkennung. Im April und Mai ist wegen der Pandemie auf die lange dann eine langsame Erholung der Sind auch die Fallzahlen im Bank geschoben? Versorgung zu beobachten. Im Juni Notfall- und Bereitschaftsdienst MANGIAPANE: Das können wir liegen die Fallzahlen über denen gesunken? noch nicht sagen. Bei der Versor- im Vorjahreszeitraum – teilweise MANGIAPANE: Ja. Die Fallzahlen gung im Rahmen der Onkologiever- werden wohl versäumte Behand- im Notfall- und Bereitschaftsdienst einbarung, also der qualifizierten lungen nachgeholt. Die stärksten sind mit Beginn der Corona-Pan- onkologischen Betreuung krebs- Behandlungsfallrückgänge wäh- demie Anfang März stark zurück- kranker Patienten, ist die Fallzahl 10 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
Schwerpunkt 100 Telefonische 50 Beratung Behandlungsfälle: Änderungen in % DMP- 0 Schulungen Notfall -50 Quelle: Zi, Trendreport für das 1. Halbjahr 2020 -100 4.3.- 11.3.- 18.3.- 25.3.- 1.4.-28.4.2020 29.4.-26.5.2020 27.5.-30.6.2020 10.3. 17.3. 24.3. 31.3. Leistungsbereiche: Relative Veränderung der Anzahl der Behandlungsfälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in der letzten Märzwoche gegen- schwer zu interpretieren, denn die wonach im zweiten Quartal 2020 über dem Vorjahr um 40 Prozent Diagnose- und Patienten-bezogenen die Anzahl der in den onkologischen abgesunken. Anfang Juni kommen Auswertungen liegen uns noch Schwerpunktpraxen versorgten wir auf einen Zuwachs gegenüber nicht vor. Das Wissenschaftliche Krebspatienten im Vergleich zum dem Vorjahr von 10 Prozent. Für Institut der Niedergelassenen Hä- Mittelwert der drei vorherigen Jahre die Kardiologie haben wir ähnli- matologen und Onkologen (WIN- sogar leicht zugenommen hat (siehe che Zahlen. Diese Ergebnisse sind HO) hat eine Auswertung vorgelegt, Kasten). Wie sieht es bei der Versorgung WINHO: Ambulante Versorgung von Krebspatienten chronisch Kranker aus? auch in Pandemiezeiten gewährleistet MANGIAPANE: Bisher können D wir lediglich sagen, dass die DMP- as Wissenschaftliche Institut Rahmen der Onkologie-Vereinbarung der niedergelassenen Hämato- erhalten. Den ausgewerteten Abrech- Schulungen im März und April logen und Onkologen (WINHO) hat nungsdaten zufolge gab es im zweiten entsprechend den Empfehlungen das Versorgungsgeschehen in den Quartal 2020 im Vergleich zum Mit- deutlich zurückgefahren wur- onkologischen Schwerpunktpraxen telwert der Vorjahre (2017 – 2019) ein während der ersten Pandemie-Phase Rückgang der Gesamtgruppe der Pa- den. Die Auswertung von DMP- analysiert. In der Studie wird zwischen tienten um 8,2 Prozent. Zugleich war Dokumentationsbögen zeigt, dass „allen Patienten“ und der Untergrup- jedoch ein Anstieg der Untergruppe die Betreuung der DMP-Patienten pe „Krebspatienten“ unterschieden. der „Krebspatienten“ um 8,3 Prozent insgesamt ab April relativ schnell Erstere Gruppe umfasst auch Patien- zu verzeichnen. Das WINHO folgert da- ten, die wegen elektiver Leistungen raus, dass die Versorgung von Patien- wieder angelaufen ist. Allerdings die Schwerpunktpraxen aufsuchen. ten mit einer Krebserkrankung durch gibt es im Vergleich zum Vorjah- Als „Krebspatienten“ werden nur jene niedergelassene Hämatologen und reszeitraum deutlich weniger Patienten bezeichnet, die aktuell eine Onkologen auch in Pandemiezeiten medikamentöse Tumortherapie im jederzeit gewährleistet gewesen sei. Erstdokumentationen. Es wurden also vorübergehend weniger neue 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 11
Schwerpunkt Patienten in die DMP-Programme genommen. So wurden von An- ist man zum persönlichen Arzt- eingeschrieben. fang März bis Ende Juni insgesamt Patienten-Kontakt zurückgekehrt. 1,24 Millionen Videosprechstunden Und die psychotherapeutische durchgeführt, im Vorjahreszeit- Ist der Fallzahlrückgang auf ein Versorgung? raum lag diese Zahl bei wenigen vermindertes Angebot an ambu- MANGIAPANE: Bis Mitte April kam tausend. Unterm Strich konnte der lanter Versorgung zurückzufüh- es bei den Einzeltherapien zu einem Zuwachs an telefonischer Bera- ren? starken Rückgang gegenüber dem tung oder Videosprechstunden MANGIAPANE: Ein ganz klares Vorjahr, aber bereits ab Ende April den Fallzahlrückgang aber sicher „nein“. Die Anzahl abrechnender waren die Fallzahlen fast schon wie- nicht ausgleichen. Im 2. Quartal Praxen hat sich im ersten Halbjahr der auf dem Vorjahresniveau. Bei der 2020 beispielsweise gab es im gegenüber dem Vorjahreszeitraum Gruppentherapie sieht es komplett Vergleich zum Vorjahresquartal fast nicht verändert. Offenbar gab es anders aus: Hier sanken die Fall- rund eine Million mehr Fälle mit keine Praxisschließungen oder zahlen sogar im April noch um 60 Telefon- und Videoversorgung, krankheitsbedingte Ausfälle in Prozent im Vergleich zum Vorjahres- aber rund 12 Millionen weniger nennenswertem Umfang. Man wert, und auch bis Ende Juni konnte Fälle mit persönlichem Arzt-Pati- kann also sagen: Die Praxen haben noch kein Anstieg auf das Vorjahres- enten-Kontakt. Telefon- oder Vi- die Stellung gehalten, doch ein Teil niveau erreicht werden. deoversorgung ist während einer der Patienten hat das unvermindert Pandemie sicher eine wertvolle Er- bestehende Angebot während der Konnte der Rückgang an Fällen gänzung, um auch innerhalb einer ersten Hochphase der Pandemie mit persönlichem Arzt-Patienten Arztpraxis Kontakte zu reduzieren nicht angenommen. In vielen Fällen Kontakt durch telefonische Be- und Ansteckungen zu verhin- war die Reduzierung persönlicher ratung und Videosprechstunden dern, sie kann jedoch wesentliche Kontakte ja wahrscheinlich durch- ausgeglichen werden? Bestandteile der ärztlichen Versor- aus rational und indiziert im Sinne MANGIAPANE: Im gesamten gung nicht ersetzen. der Pandemie-Eindämmung. vertragsärztlichen Bereich sind die Allerdings müssen wir im weiteren Fälle mit telefonischer Beratung Ist der erhöhte Umfang der Te- Verlauf genau beobachten, wie sich oder per Videosprechstunde mit lefon- und Videoversorgung ein der vorübergehende Rückgang der Beginn der Kontaktbeschränkun- dauerhaftes Phänomen? Leistungsinanspruchnahme auf den gen ab März 2020 im Vergleich MANGIAPANE: Wir können sowohl Gesundheitszustand der Bevölke- zum Vorjahreszeitraum deutlich bei der Videosprechstunde als rung und insbesondere auf die gestiegen. Wir sehen in den Ab- auch bei der telefonischen Bera- Chroniker auswirkt. rechnungsfrühinformationen, dass tung erkennen, dass mit Abflachen im Zeitraum vom 4. März bis 30. der 1. Welle Ende April auch der Juni 2020 insgesamt rund 3,1 Mil- Zuwachs an telefonisch oder per Dr. Sandra Mangiapane lionen ausschließlich telefonische Video durchgeführten Beratungen Gesundheitswissenschaftlerin am Beratungen abgerechnet wurden. abnimmt. Unserer Meinung nach Zentralinstitut für die ambulante Das sind gut 1,6 Millionen mehr lässt sich daraus schlussfolgern, Versorgung in der Bundesrepublik als im Vorjahreszeitraum. Hinzu dass die Ärzte und Psychothera- Deutschland (Zi) kamen weitere rund 500.000 peuten die Versorgung der Pati- Stunden für telefonische Beratung, enten adäquat auf die jeweilige Die vollständige Studie „Verände- die über die im 2. Quartal 2020 in Notwendigkeit angepasst haben. rung der vertragsärztlichen Leis- den EBM eingeführten Zuschläge Wo es nötig war, die Kontakte zu tungsinanspruchnahme während vergütet wurden. Auch die Video- beschränken, hat man auf Video der COVID-Pandemie“ finden Sie im sprechstunde wurde in wesentlich und Telefon umgestellt, und als es Internet: www.zi.de → Publikatio- größerem Ausmaß in Anspruch dieses Erfordernis nicht mehr gab, nen → Trendreport Covid-Krise 12 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
versorgung Vorbereitung für Corona-Impfzentrum Bürgermeister, Sozialsenatorin und KV-Vorstand besuchten Baustelle auf dem Messegelände Führung durch Halle A3: Architekt Olaf Schindel (rechts) erläutert den Besuchern die Ausbaupläne. A nfang Dezember 2020 liefen unter hohem Zeitdruck die Vor- arbeiten für die Inbetriebnahme des Vorstände Walter Plassmann und Caroline Roos besuchten die Halle A3, um sich ein Bild vom Stand der fen. Wenn ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, der unter normalen Bedingungen verarbeitet werden zentralen Impfzentrums auf dem Arbeiten zu machen. kann, soll ein Großteil der Impfungen Messegelände. Die Einrichtung steht Sobald ein Impfstoff zugelassen in die Praxen verlagert werden. unter der organisatorischen und ist, werden im Impfzentrum etwa ärztlichen Leitung der KV Hamburg. 200 Ärztinnen und Ärzte zum Einsatz Falls Sie Interesse haben, im Impf- Bürgermeister Dr. Peter Tschent- kommen. Die Stadt will zusätzlich zentrum mitzuarbeiten, schreiben scher, Sozialsenatorin Dr. Melanie mobile Teams einsetzen, um Bewoh- Sie uns bitte eine E-Mail: Leonhard sowie die KV-Hamburg- ner von Pflegeeinrichtungen zu imp- telegramm@kvhh.de 14 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
versorgung »DIE HAMBURGER ÄRZTESCHAFT IST EINE STARKE TRUPPE« Bürgermeister Tschentscher dankt den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten für ihren Einsatz während der Pandemie (Wortlaut-Zitat aus dem Pressestatement beim Besuch des künftigen Impfzentrums) „Das Hamburger Gesundheitswe- sind. Vieles davon hat nicht in Zei- sen ist sehr gut aufgestellt. Die tungen gestanden, was hervorra- Hamburger Ärzteschaft ist eine gend vorbedacht und organisiert starke Truppe - organisiert in der worden ist. Und deswegen danke Ärztekammer und in der Kassen- ich der Kassenärztlichen Vereini- ärztlichen Vereinigung mit 100 gung nochmal sehr herzlich für Jahren Erfahrung. Und genau das Engagement in den letzten deshalb haben wir sehr gerne mit Monaten, für die großartige Hilfe Ihnen, Herr Plassmann, mit der und diesen großartigen Beitrag, Kassenärztlichen Vereinigung die- Dr. Peter Tschentscher die Pandemie in Hamburg zu be- ses gemeinsame Konzept [zum kämpfen. Und nochmal im Vor- zentralen Impfzentrum] erarbei- auch in der Pandemie gezeigt, dass aus auch herzlichen Dank für das, tet, weil wir auf die Zuverlässig- die Kassenärztliche Vereinigung ei- was Sie in den nächsten Wochen, keit, die Kompetenz der Hambur- niges dazu beigetragen hat, dass vielleicht Monaten hier in diesem ger Ärzteschaft setzen. Es hat sich wir gut durch diese Zeit gekommen Zentrum leisten.“ In der Halle werden Wände und Türen eingezogen für Warte- räume, Impfboxen und Ruhezonen. Insgesamt soll das Impfzen- trum aus acht Modulen bestehen, die unabhängig voneinander in Betrieb genommen werden können. 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 15
versorgung KV-Notfallpraxen in Kinder-Notfallpraxis Altona und Farmsen sind am AKK eröffnet jetzt reine Infektpraxen D ie KV Hamburg hat eine neue kinderärztli- che Notfallpraxis am Altonaer Kinder- D ie Notfallpraxen der KV Hamburg in Altona und Farmsen sind seit Anfang krankenhaus (AKK) in Betrieb genommen und weitet damit ihren bisherigen pädiatrischen Notfalldienst deutlich aus. Die neue Notfallpra- Dezember reine Infektpraxen: xis erstreckt sich auf sechs Behandlungsräume Bis auf Weiteres können sich in der Zentralambulanz des AKK. Der kinder- dort nur noch Patientinnen und Patienten mit Erkältungs- symptomen behandeln und bei Indikation auf Corona testen lassen. Parallel dazu stehen die Notfallpraxen am UKE, in Harburg und in Reinbek nur noch für die Versorgung von Menschen ohne Erkältungssymptome zur Verfügung. Mit dieser V.l.n.r: Dr. Stefan Renz, Vorsitzender des Hamburger zielgruppen-spezifischen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Caroline Roos, stellvertretende Vorsitzende der Aufteilung hat die KV Ham- KV Hamburg und Christiane Dienhold, Geschäfts burg angesichts steigender führerin des Altonaer Kinderkrankenhauses Infektionszahlen eine Versor- gungsstruktur geschaffen, die ärztliche Bereitschaftsdienst an der KV-Notfall- konsequent auf die Trennung praxis Altona in der Stresemannstraße wird symptomatischer und asymp- eingestellt. Eltern, die ihre Kinder bislang dort tomatischer Menschen haben behandeln lassen, werden gebeten, sich ausgerichtet ist. künftig an die neue ausschließlich pädiatrische Notfallpraxis am AKK zu wenden. Öffnungszeiten der Notfall- praxen: Kinderärztliche Notfallpraxis Mo, Di, Do, Fr: 19 bis 24 Uhr am Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK) Mi: 13 bis 24 Uhr Bleickenallee 38, 22763 Hamburg Sa, So: 7 bis 24 Uhr Eine vorherige Terminverein Öffnungszeiten: barung ist nicht notwendig. Mo, Di, Do: 19 bis 23 Uhr Mi: 14 bis 23 Uhr Fr: 16 bis 23 Uhr Sa u. feiertags: 8 bis 24 Uhr So: 8 bis 23 Uhr Eine vorherige Terminvereinbarung ist nicht notwendig. 16 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
v e r s orrugburni k g Info-Video: Anleitung zur Nutzung der Arztruf-Hamburg-App Online-Buchung von Infektterminen für Patienten Patientinnen und Patienten mit Die KV hat für Patienten eine erhält der Nutzer einen Code, der Erkältungssymptomen, die keinen detaillierte Anleitung zur Online- ihn berechtigt, einen Termin zu Arzt haben, können einen Termin Buchung veröffentlicht und ein Info- buchen. Dieser Code sollte notiert für eine Infektsprechstunde in einer Video erstellt, in dem das Buchungs- und zu dem Termin in die Praxis Hamburger Arztpraxis einfach Prozedere erklärt wird (siehe Bild). mitgenommen werden. online buchen. Der Service kann Bei der Online-Buchung über über die App.116117 oder über die 116117.de ist zu beachten, dass Weitere Infos, die Anleitung zur Webseite 116117.de genutzt werden. Patienten zunächst auf den Button Online-Buchung sowie das Info- Er ergänzt die entsprechende telefo- „Jetzt Termin finden“, daraufhin auf Video zum Buchungs-Prozedere: nische Terminvermittlung über die „Corona-Test“ drücken müssen und www.arztruf-hamburg.de. Hotline 116117. sich dann weiter durch das Menu führen lassen. Nach der Eingabe der Postleitzahl und dem aus Daten- schutzgründen notwendigen Empfang einer Bestätigungsmail 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 17
au s d e r p r a x i s f ü r d i e P r a x i s Fragen und Antworten In dieser Rubrik greifen wir Fragen des Praxisalltags auf, die unserem Infocenter gestellt wurden. Wenn Sie selbst Fragen haben, rufen Sie bitte an. Infocenter Tel: 22802-900 Bestätigung von TSS-Terminen Zuschläge TSS-Patienten Es kommt in letzter Zeit vermehrt Wann bekomme ich Honorar-Zu- vor, dass unsere TSS-Patienten die schläge, wenn ich Patienten von vermittelten Termine nicht bestä- der Terminservicestelle überneh- tigen. Wie kann ich dem entgegen- me, und wie kennzeichne ich diese wirken? richtig? Wir empfehlen Ihnen das Setzen von „All- Seit September 2019 können Sie für die von der gemeinen Praxishinweisen“ oder „Termin- Terminservicestelle (TSS) vermittelten Patien- profilhinweisen“ in der eTS-Datenbank, um ten einen Zuschlag auf die Versicherten- bzw. Missverständnissen vorzubeugen. Wünschen Grundpauschale abrechnen. Für die Zuschläge Sie beispielsweise die telefonische Bestätigung wurden neue Gebührenordnungspositionen des Termins durch den Patienten, formulieren in den jeweiligen Kapiteln des EBM etabliert. Sie bitte einen entsprechenden Hinweis. Auch Diese sind zusätzlich mit den Buchstaben A, B, Hinweise zu Untersuchungsgeräten, nicht aus- C oder D - je nach Zeit zwischen Anruf des Ver- geübten Facharztspezialisierungen etc. können sicherten bei der TSS und dem Behandlungs- an dieser Stelle sinnvoll sein. Zudem empfehlen termin - zu kennzeichnen und bestimmen die wir Ihnen die Aktivierung der Benachrichti- Höhe des Zuschlags. gungsfunktion (per Email oder Fax). A: 50 Prozent: Termin innerhalb von 24 Stun- den (TSS-Akutfall) Eine Anleitung zur Einrichtung und Freischal- Der TSS-Akutfall setzt voraus, dass seitens der tung der Benachrichtigungsfunktion finden Terminservicestelle eine medizinische Erstein- Sie hier: www.kvhh.net → (rechts oben) Menü schätzung der Dringlichkeit der Behandlung → „Praxis“ ausklappen → Terminservicestelle → erfolgt ist. (nach unten scrollen) Informationen für Praxen B: 50 Prozent: Termin innerhalb von acht Tagen → (jeweilige Gruppe) „Anleitung zum Eintra- (TSS-Terminfall) gen von Terminen in den digitalen Kalender der C: 30 Prozent: Termin innerhalb von neun bis 14 Terminservicestelle“ Tagen (TSS-Terminfall) D: 20 Prozent: Termin innerhalb von 15 bis 35 Tagen (TSS-Terminfall) Eine Übersicht zu den arztgruppenspezifischen TSS-Vermittlungszuschlägen finden Sie auf unserer Homepage: www.kvhh.net → (rechts oben) Menü → „Praxis“ ausklappen → TSVG → „Übersicht zum Terminservice- und Versor- gungsgesetz“ 18 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
au s d e r p r a x i s f ü r d i e P r a x i s Benachrichtigung zur TSS-Terminvermittlung BKK-Vertrag zur ambulanten Erbringung der elektrischen Wie erkenne ich, ob und wann ein Kardioversion Patient durch die Terminservice- stelle an mich vermittelt wurde? A b dem 1. Januar 2021 können Kardiologen aufgrund eines Vertrags der KV Hamburg mit dem BKK-Landesverband NORDWEST bei Die Terminservicestelle informiert Sie über die bestimmten BKK-Versicherten mit tachykar- Terminvereinbarung, sofern Sie die Benachrich- den Herzrhythmusstörungen eine elektri- tigungsfunktion per E-Mail oder Fax aktiviert sche Kardioversion ambulant erbringen. Die haben. In dem Benachrichtigungsschreiben Leistung darf nur nach Genehmigung, die bei der KV Hamburg zu beantragen ist, erbracht werden die Initialen des Patienten, der Tag der werden. Der Vertrag sieht ferner vor, dass auch Kontaktaufnahme sowie der errechnete Ver- Versicherte ihre Teilnahme am Vertrag erklären mittlungszuschlag mitgeteilt. müssen. Vertragstext, Teilnahmeformulare für Ärzte Überweisung und Versicherte sowie die Liste der teilnehmen- den BKK im Internet: www.kvhh.de → (oben innerhalb Praxisgemeinschaft rechts) Menü → „Praxis“ ausklappen → Recht Ich bin Hausarzt und arbeite mit und Verträge → Themen: Verträge → K → Kardioversion einem Facharzt in einer Praxisge- meinschaft. Darf ich meine Patien- ten in dringenden Fällen an mei- Buchungsabstand nen Praxisgemeinschaftspartner überweisen? Wie lange muss ich die gemeldeten TSS-Termine freihalten? Ja, das ist zulässig. Jedoch sollten hierbei die Plausibilitäts-Richtlinien zu identischen Patien- Den Buchungsabstand können Sie je Termin(- ten bei Praxisgemeinschaften beachtet werden. serie) in der eTS-Datenbank einrichten. Der Bei fachungleichen Praxisgemeinschaften Buchungsabstand sagt aus, bis wie viele Tage gilt eine Patientenidentität von mehr als 30 vor dem Termin dieser für die TSS zur Verfügung Prozent als Aufgreifkriterium für eine Plausibi- steht. Voreingestellt ist ein Buchungsabstand litätsprüfung. von sieben Tagen. Möglich ist eine Zeitspanne zwischen null und sieben Tagen vor dem Termin. Neupatienten nach TSVG Infocenter Tel: 22802-900 Muss ich die Neupatienten selbst identifizieren oder übernimmt die KV die Kennzeichnung? Die Kennzeichnung der Neupatienten erfolgt automatisiert durch die KV nach Übermittlung Ihre Ansprechpartner im Infocenter der KV Hamburg (v.l.n.r.): der Abrechnung. Susanne Tessmer, Monique Laloire, Petra Timmann, Katja Egbers, Robin Schmidt, Christine Pöpke 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 19
Arzn ei- un d h ei lm ittel Verordnungsempfehlung zu HIV-Therapeutika A ufgrund der großen Einsparmöglichkeiten bei der medikamentösen antiretrovira- len Therapie einer Infektion mit dem HI-Virus So sind die Mono-und Kombinationstherapeu- tika mit Tenofovirdisoproxil mit Ausnahme der Vierfach-Kombination (TDF/FTC/COBI/EVG) verhandelt die KV Hamburg mit den Kassen sowie der Dreifach-Kombinationen (TDF/FTC/ über ein neues Generikaziel für die Wirkstoff- RPV und TDF/Lamivudin/Doravirin) generisch vereinbarung (WSV) 2021. Die Verhandlungen verfügbar. waren zu Redaktionsschluss noch nicht abge- Stehen zum Erreichen eines Therapieziels schlossen. Einstweilen gilt das neue Ziel zu den mehrere gleichwertige Behandlungsstrategi- HIV-Therapeutika als Verordnungsempfehlung en zur Verfügung (siehe https://daignet.de → der KV Hamburg. Leitlinien und Empfehlungen → Leitlinien), soll Es geht um alle zur Behandlung von HIV- die nach Tagestherapiekosten und Gesamtbe- Infektionen zugelassenen Mono- und Kombi- handlungsdauer wirtschaftlichste Alternative nationsarzneimittel und zudem um die direkt gewählt werden (§ 9 Arzneimittelrichtlinie). Die antiviralen Mittel zur Behandlung der Hepati- Adhärenz der Patienten vorausgesetzt, kann aus tis-B-Infektion. wirtschaftlicher Sicht ggf. eine freie Kombinati- Alle generikafähigen Wirkstoffe gelten als on (Mehrdosenregime) einer fixen Kombination wirtschaftlich, das heißt: alle Generika und alle (Eindosenregime) vorgezogen werden. Altoriginale ohne Patentschutz. Für diese Wirk- Die Verordnung von Generika oder soge- stoffgruppe empfehlen wir eine Zielquote von nannter Altoriginalen ohne Aut-idem-Kreuz 36 % (entspricht dem Istwert aus dem 1. Halb- unterstützt die Zielerreichung. jahr 2020). Patentgeschützte Originale zählen Wir informieren Sie darüber, wenn aus der negativ. Auf Wunsch der Kassenseite werden Verordungsempfehlung ein offizielles Ziel rabattierte patentgeschützte Originalpräparate innerhalb der WSV geworden ist. nicht positiv berücksichtigt. Ansprechpartner: Viele Wirkstoffe (Mono- als auch Kombi- Abteilung Praxisberatung, nationspräparate) zur Behandlung und vor Tel: 22802 - 571/-572 allem auch die Prä-Expositionsprophylaxe des HI-Virus sind inzwischen generisch verfügbar. Welche Wirkstoffe sind generisch? ATC- Wirkstoffnamen/ Kombinationen Generika- Beispiele Code kennung* Proteasehemmer J05AE01 Saquinavir 1/2 Invirase® J05AE03 Ritonavir 1/2 Norvir® und Generika J05AE07 Fosamprenavir 0 Telzir® J05AE08 Atazanavir 1/2 Atazam® und Generika J05AE09 Tipranavir 1/2 Aptivus® J05AE10 Darunavir 1/2 Darunasta® und Generika *Generikakennung nach WIDO: Patentgeschützte Originale: 0; Altoriginale ohne Patentschutz: 1; Generika: 2 20 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
Arzn ei- un d h ei lm ittel ATC- Wirkstoffnamen/ Kombinationen Generika- Beispiele Code kennung* Nukleosidale J05AF01 Zidovudin 1/2 Retrovir® und Generika und nukleotidale J05AF04 Stavudin 1/2 Zerit® Inhibitoren der J05AF05 Lamivudin 1/2 Epivir® Reversen J05AF06 Abacavir 1/2 Ziagen® oder Generika Transkriptase J05AF07 Tenofovirdisoproxil (TDF) 1/2 Viread® und Generika J05AF08 Adefovirdipivoxil 0 Hepsera® J05AF09 Emtricitabin 1/2 Emtriva® J05AF10 Entecavir 1/2 Baraclude® und Generika J05AF13 Tenofoviralafenamid (TAF) 0 Nicht-nukleosidale J05AG01 Nevirapin 1/2 Neviran® und Generika Inhibitoren der J05AG03 Efavirenz 1/2 Sustiva® Reversen J05AG04 Etravirin 0 Intelence® Transkriptase J05AG05 Rilpivirin (RPV) 0 Edurant® J05AG06 Doravirin 0 Pifeltro® Antivirale Mittel J05AR01 Zidovudin und Lamivudin 1/2 Combivir® und Generika zur Behandlung von J05AR02 Lamivudin und Abacavir 1/2 Kivexa® und Generika HIV Infektionen, J05AR03 Tenofovirdisoproxil und Emtricitabin (FTC) 1/2 Truvada® und Generika Kombinationen J05AR04 Zidovudin, Lamivudin und Abacavir 1/2 Trizivir® J05AR06 Emtricitabin, Tenofovirdisoproxil und Efavirenz 1/2 Atripla® und Genrika J05AR08 Emtricitabin, Tenofovirdisoproxil und Rilpivirin 0 J05AR09 Emtricitabin, Tenofovirdisoproxil, 0 Stribild® Elvitegravir (EVG) und Cobistat J05AR10 Lopinavir und Ritonavir 1/2 Kaletra® und Generika J05AR12 Lamivudin und Tenofovirdisoproxil 1/2 Generika J05AR13 Lamivudin, Abacavir und Dolutegravir 0 Triumeq® J05AR17 Emtricitabin und Tenofoviralafenamid 0 Descovy® J05AR18 Emtricitabin, Tenofoviralafenamid, Elvitegravir 0 Genvoya® und Cobistat J05AR19 Emtricitabin, Tenofoviralafenamid und 0 Odefsey® Rilpivirin J05AR20 Emtricitabin, Tenofoviralafenamid und 0 Biktarvy® Bictegravir J05AR21 Dolutegravir und Rilpivirin 0 Juluca® J05AR22 Emtricitabin, Tenofoviralafenamid, Darunavir 0 und Cobistat J05AR24 Lamivudin, Tenofovirdisoproxil und Doravirin 0 Delstrigo® J05AR25 Lamivudin und Dolutegravir 0 Dovata® Andere antivirale J05AX08 Raltegravir 0 Isentress® Mittel J05AX09 Maraviroc 0 Celsentri® J05AX12 Dolutegravir 0 Tivicay® Andere therapeuti- V03AX03 Cobicistat (COBI) 0 Tybost® sche Mittel Antikörper J05AX23 Ibalizumab 0 Trogarzo® Alle Angaben ohne Gewähr. Kein Anspruch auf Vollständigkeit. 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 21
T e l e m at ik Verzeichnisdienst der Elektronische AU Telematikinfrastruktur ab Oktober 2021 verpflichtend Adressdaten für den Nachrichten- versand über KIM I m Dezember 2020 wird ein Verzeichnis- dienst der Telematikinfrastruktur (kurz: TI-Verzeichnisdienst) eingerichtet. Er dient als N icht zu Jahresbeginn, sondern erst ab Okto- ber 2021 wird die elektronische Arbeitsun- fähigkeitsbescheinigung (eAU) für alle Praxen zentrales Adressierungsverzeichnis – ähnlich Pflicht. Ab dann müssen Vertragsärzte die AU- einem allgemeinen Adressbuch – für die An- Daten digital an die Krankenkassen übermitteln. wendungen innerhalb der TI. Die KBV hatte sich beim Bundesgesundheits- Der TI-Verzeichnisdienst kann beispielsweise ministerium für eine Verschiebung eingesetzt. für den Nachrichtenversand über den Dienst Der Aufschub ändert nichts an der grundsätzli- "Kommunikation im Medizinwesen" (KIM) oder chen Kritik der KBV, dass das Ausstellen von AU- die Berechtigungsvergabe der elektronischen Bescheinigungen nur teilweise auf ein digitales Patientenakte genutzt werden. Verfahren umgestellt wird. So müssen Vertrags- Die Gematik ist als Betreiber des TI-Verzeich- ärzte ab 1. Oktober 2021 neben der elektronischen nisdienstes dafür zuständig, dass die Sicherheit Datenübermittlung an die Kassen Papier-Beschei- der Daten gewährleistet wird. Jede KV ist dazu nigungen ausdrucken, die der Patient für sich verpflichtet, die Daten der TI-Anwender zu sowie für seinen Arbeitgeber erhält. übermitteln und aktuell zu halten. „Für die Ärzte bringt die eAU damit keinerlei Neben den Basisdaten einer Betriebsstätte Erleichterung“, kritisierte KBV-Vorstandsmitglied (unter anderem BSNR, Name und Adresse, Thomas Kriedel. Erst ab 1. Juli 2022 seien die Kran- Fachgebietscodierung) wird auch der Zertifi- kenkassen zur elektronischen Weiterleitung der katseintrag des SMC-B-Praxisausweises in den AU-Daten an die Arbeitgeber verpflichtet. Doch TI-Verzeichnisdienst aufgenommen. Der auch dann laufe das Verfahren nicht komplett pa- jeweilige Anbieter des Praxisausweises benach- pierlos ab. Der Patient bekomme weiterhin einen richtigt die Praxis per E-Mail, wenn ein Eintrag Ausdruck für seine Unterlagen. erfolgt ist. Für eAU erforderlich: www.kvhh.net → (rechts oben) Menü → „Praxis“ KIM-Dienst, Update PVS und Konnektor, eHBA ausklappen → Praxis IT & Telematik → (nach Zur Übermittlung der eAU an die Krankenkassen unten scrollen) TI-Verzeichnisdienst benötigen Praxen einen Dienst für Kommunikati- on in der Medizin (KIM-Dienst), mit dem sie Ansprechpartner: KV Hamburg / Online-Services, innerhalb der Telematikinfrastruktur sicher Tel: 22802 – 539 / -554 / -588 Daten versenden können. Außerdem sind ein E-Mail: online-services@kvhh.de Update des Praxisverwaltungssystems und des Konnektors erforderlich (Update zum E-Health- Konnektor). Für die elektronische Signatur benötigen Ärzte einen elektronischen Heilberufs- ausweis. 22 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
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ru n et b zrw ike r k Aus dem Netzwerk Evidenzbasierte Medizin Covid-19: Schutz der besonders vulnerablen Gruppen geboten Evidenz zu Maßnahmen in Alten- und Pflegeheimen weiterhin mangelhaft Von prof. Dr.Andreas Sönnichsen und Prof. Dr. Gabriele Meyer I im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. (www.ebm-netzwerk.de) Schutz dieser äußerst vulnerablen Gruppe sollte da- her höchste Priorität eingeräumt werden. Beispiele aus dem Ausland Doch wie kann dieser Schutz aussehen und welche Evidenz liegt vor zum Nutzen und Schaden von Schutz- maßnahmen? In einer retrospektiven Kohortenstudie aus Frank- reich wurden 17 Pflegeheime, deren Pflegende sich freiwillig mit den Bewohnern in den Heimen isoliert hatten (das Personal blieb abgesehen von wenigen Ausnahmen sieben Tage durchgehend im Heim, dann erfolgte ein Schichtwechsel), mit Heimen ohne diese Im 3. Quartal 2020 kam es trotz umfangreicher Tests, Maßnahme aus einem nationalen Survey verglichen. Kontaktnachverfolgung, Maskenpflicht und weit- Die Covid-19 assoziierte Todesfallrate lag um geschätzte reichender Einschränkungen zu einer beständigen 80 % unter der Rate der Heime ohne diese Maßnahme Zunahme der Test-Positiven, der im Krankenhaus und (Odds Ratio 0,22; 95 % CI 0,09-0,53) [6]. Das Studien- auf Intensivstationen Behandelten sowie letztlich design lässt jedoch keine belastbare Aussage zu. Pro- auch der Todesfälle durch COVID-19 [1,2]. spektive kontrollierte Studien zu dieser Fragestellung Obgleich es an systematischen Zahlen fehlt, dürfte wären dringlich. die kumulative Gesamt-Letalität der Pandemie ganz Eine Studie aus den USA untersuchte die Wirksam- wesentlich durch die Sterblichkeit von Pflegebedürf- keit von präventivem Testen in 28 Pflegeheimen [7]. tigen in Langzeitpflegesettings bestimmt sein [3]. In 13 Pflegeheimen, in denen präventiv das gesamte Per- Schätzungen zu Folge sind etwa die Hälfte aller sonal und alle Bewohner getestet wurden, erkrankten COVID-19-Todesfälle in Deutschland in der Gruppe 17 von 1163 Personen (Personal und Bewohner) und drei der Alten- und Pflegeheimbewohner zu verzeich- Bewohner verstarben (0,26 %). In 15 Vergleichseinrich- nen [4]. tungen, in denen erst nach Auftreten des ersten Er- Ähnliche Zahlen werden für andere Länder wie krankungsfalls getestet wurde, erkrankten 723 von 1705 zum Beispiel die USA berichtet [5]. Dem wirksamen Personen und 109 verstarben (6,4 %). Aus diesen Zahlen 24 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
N etzwerk lässt sich schätzen, dass das präventive Testen die To- Weitere mögliche Maßnahmen zum Schutz von desrate relativ um 96 % (95 % CI 87,3-98,7) reduziert hat. Pflegeheimen sind die konsequente Anwendung von Auch hier erlaubt das Studiendesign keine belastbare FFP2-Masken durch alle Pflegenden während des Aussage und es wäre dringend geboten, den Effekt prä- unmittelbaren Kontaktes bei Pflegehandlungen, ver- ventiven Testens in einer Cluster-randomisierten Studie pflichtendes Tragen von FFP2-Masken durch Besucher zu überprüfen. während des Aufenthalts in der Pflegeeinrichtung und Eine weitere Studie aus Frankreich verglich die Wirk- der Einsatz von Antigen-Schnelltests bei Besuchern samkeit des Unterteilens von Pflegeheimen in Bereiche vor Betreten der Einrichtung. Zur Evaluation der Effek- und die strikte Zuteilung des Personals zu einzelnen te des Einsatzes dieser Maßnahmen fehlen Studien- Bereichen (n=74 Pflegeheime) versus Heime ohne diese protokolle. Maßnahme (n=50). Die Odds Ratio, an COVID-19 zu Zwar ist die Evidenz für die Überlegenheit von FFP2- erkranken, betrug für die Heime mit Bereichsuntertei- Masken gegenüber chirurgischen Masken begrenzt, lung 0,19 (95 % CI 0,07-0,48). Aus den Zahlen lässt sich aber es konnte gezeigt werden, dass die Kontamination eine relative Risikoreduktion um 71 % (95 % CI 42,1-85,6) der Umgebung mit Viruspartikeln beim Husten infek- abschätzen [8]. tiöser Personen durch FFP2(N95-)Masken gegenüber Auch aus dieser Studie können natürlich keine chirurgischen Masken deutlich reduziert wird [10]. Es belastbaren Aussagen abgeleitet werden, aber es wäre hätte sich angeboten, in randomisierten kontrollierten geboten, die Maßnahme in einer kontrollierten Studie Studien Pflegeheime, die chirurgische Masken für das zu evaluieren. Personal und die Besucher nutzen, mit Einrichtungen zu vergleichen, in denen FFP2-Masken eingesetzt wer- Studien in Deutschland fehlen den, und so aussagkräftige Ergebnisparameter zu unter- Diese drei Studien zeigen, dass vergleichende Studien suchen wie die Häufigkeit von Covid-19 Erkrankungen zur Prävention von COVID-19-Erkrankung und Sterb- und assoziierten Todesfällen. lichkeit möglich sind. Die Effekte der gewählten Maß- nahmen müssen wissenschaftlich abgesichert werden. Bedeutung von sozialer Teilhabe Prospektive kontrollierte Studien, auch randomisierte und Lebensqualität kontrollierte Studien sind geboten, wenn es um die Soziale Teilhabe und Lebensqualität müssen auch unter Reduktion der Unsicherheit geht, wie die besonders pandemischen Bedingungen konkurrenzlose Ziele der gefährdete Population älterer und pflegebedürftiger Langzeitpflege sein. Sie sind mit dem Infektionsschutz Menschen durch gezielte Maßnahmen geschützt wer- in Einklang zu bringen [11]. Statt Besuche pauschal zu den kann. Noch ist die Evidenz für derartige Maßnah- verbieten und die Bewohner so von ihren Angehörigen men begrenzt. und Freunden zu isolieren, sollten die oben beschriebe- Die sehr früh im Pandemiegeschehen formulier- nen Maßnahmen implementiert und evaluiert werden. ten Forderungen aus der Wissenschaft [9] nach einer Die Einrichtungen benötigen finanzielle Unterstützung soliden klinisch-epidemiologischen Datenbasis durch durch die Politik. Tests und Masken müssen durch zielgerichtetes Testen, systematische Dokumentation, öffentliche Mittel finanziert und bereitgestellt werden. Aufbau eines Registers und Beforschung von Versor- Ähnliche Maßnahmen sollten auch für die ambulante gungsmodellen, Einrichtung einer Task-Force für das Pflege gelten. koordinierte Handeln im Umgang mit dem Setting Pflegeheim sind bis heute hierzulande nicht umgesetzt. Aussetzen der Dokumentation gefährdet Jüngst empfohlen wurden präventive Schulungsteams die Bewohner in den Heimen, Krisen-Interventionsteams im Infek- Selbstredend wird es mit einer auf die vulnerablen tionsfall (bestehend aus Akteuren in den Heimen und Gruppen fokussierten Strategie nicht gelingen, Pflege- außerhalb), pflegerische Notfalldienste (bei Personal- heime gänzlich vor COVID-19-Infektionen zu schützen. mangel aufgrund von Quarantäne und Krankenstand) Doch muss bei dieser Strategie das Augenmaß zwi- und Test-Teams [3]. schen Einschränkung der Grundrechte und des sozialen 1 /2021 KV H - J o u r n a l | 25
n etzwerk Lebens für die Betroffenen und dem Schutz vor der lässigung, Gewalt und reduzierte Pflege- und Versor- Erkrankung gewahrt werden [12]. gungsqualität [14]. Auch die Qualitätsprüfungen des Die Möglichkeiten für einen nachhaltigen und MDK sind weitgehend ausgesetzt und Dokumentati- sozial verträglichen Schutz von vulnerablen Personen onspflichten wurden gelockert. Es ist somit ein gefährli- in der bisherigen Strategie der Pandemiebekämp- ches Vakuum entstanden, in dem nicht einmal Angehö- fung sind bei weitem nicht ausgeschöpft und müssen rige und Besucher eine soziale Kontrolle wahrnehmen dringend in den Vordergrund rücken, um die soziale können. „Tragödie“ der Pflegeheimbewohner nicht weiter will- fährig zu tolerieren [13]. Prof. Dr. Andreas Sönnichsen Pflegeheimbewohner sind ohnehin in ihren sozialen Leiter der Abteilung für Allgemein- und Familien Kontakten depriviert und in besonderem Maße auf medizin, Zentrum für Public Health an der Kontaktpflege mit nahestehenden Menschen ange- Medizinischen Universität Wien wiesen. Eine Kontaktsperre über Wochen bis Monate verletzt ihre Persönlichkeitsrechte und die körperliche Prof. Dr. Gabriele Meyer und psychische Unversehrtheit. Langzeitpflegebedürfti- Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, ge Personen haben unter pandemischen Bedingungen Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität sehr wahrscheinlich ein erhöhtes Risiko für Vernach- Halle-Wittenberg Literatur 1. Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. AGES Dashboard COVID19 [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Dez 3]; Available from: https://covid19-dashboard.ages.at/ 2. Robert-Koch-Institut. COVID-19-Dashboard [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Aug 19]; Available from: https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4 3. Schrappe M, François-Kettner H, Gruhl M, Hart D, Knieps F, Manow P, u. a. Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – der Übergang zur chronischen Phase – Ergänzende, aktualisierte Daten. [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Dez 3]; Available from: https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/MVF-05-20/pdf_0520/Schrappe_4-1_Aktualisierung 4. Rothgang H, Wolf-Ostermann K, Domhoff D, Friedrich A, Heinze F, Preuss B, u. a. Care homes and COVID-19: results of an online survey in Germany [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Nov 30];Available from: https://ltccovid.org/2020/07/16/care-homes-and-covid-19-results-of-an-online-survey-in-germany/ 5. Girvan G, Roy A. Nursing Homes & Assisted Living Facilities Account for 42% of COVID-19 Deaths [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Nov 30]; Available from: https://freopp.org/the-covid-19-nursing-home-crisis-by-the-numbers-3a47433c3f70 6. Belmin J, Um-Din N, Donadio C, Magri M, Nghiem QD, Oquendo B, u. a. Coronavirus Disease 2019 Outcomes in French Nursing Homes That Implemented Staff Confinement With Residents. JAMA Netw. Open 2020;3:e2017533. 7. Telford CT, Onwubiko U, Holland DP, Turner K, Prieto J, Smith S, u. a. Preventing COVID-19 Outbreaks in Long-Term Care Facilities Through Preemptive Testing of Residents and Staff Members - Fulton County, Georgia, March-May 2020. MMWR Morb. Mortal. Wkly. Rep. 2020;69:1296–9. 8. Rolland Y, Lacoste M-H, de Mauleon A, Ghisolfi A, De Souto Barreto P, Blain H, u. a. Guidance for the Prevention of the COVID-19 Epidemic in Long-Term Care Facilities: A Short-Term Prospective Study. J. Nutr. Health Aging 2020;24:812–6. 9. Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin. Corona-Virus in unseren Pflegeheimen – ein evidenzfreies Drama in drei Akten. Stellungnahme [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Dez 3];Available from: https://www.ebm-netzwerk. de/de/veroeffentlichungen/pdf/stn-corona-pflegeheime- 20200428.pdf 10. Kim M-C, Bae S, Kim JY, Park SY, Lim JS, Sung M, u. a. Effectiveness of surgical, KF94, and N95 respirator masks in blocking SARS-CoV-2: a controlled comparison in 7 patients. Infect. Dis. Lond. Engl. 2020;52:908–12. 11. Augurzky B, Busse R, Gerlach F, M;eyer G. Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020. Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Dez 3];Available from: https://www.bifg.de/news/2020-corona-richtungspapier 12. Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V. (DGP). Soziale Teilhabe und Lebensqualität in der stationären Altenhilfe unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie [Internet]. 2020 [zitiert 2020 Dez 3]; Available from: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/184-001l_S1_Soz_Teilhabe_Lebensqualitaet_stat_Altenhilfe_Covid-19_2020-10_1.pdf 13. Krones T, Meyer G, Monteverde S. Medicine is a social science: COVID-19 and the tragedy of residential care facilities in high-income countries. BMJ Glob. Health 2020;5:e003172. 14. D’cruz M, Banerjee D. „An invisible human rights crisis“: The marginalization of older adults during the COVID-19 pandemic - An advocacy review. Psychiatry Res. 2020;292:113369. 26 | KV H - J o u r n a L 1 /2021
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