KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Deutsche Wirtschaft im Sommer 2021 - Kiel Institute for the World ...
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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) KIELER KONJUNKTUR- BERICHTE Deutsche Wirtschaft im Sommer 2021 Abgeschlossen am 17. Juni 2021 Nr. 80 (2021|Q2) Martin Ademmer, Joscha Beckmann, Jens Boysen-Hogrefe, Salomon Fiedler, Dominik Groll, Nils Jannsen, Stefan Kooths und Saskia Meuchelböck Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum 1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) MEHR DRUCK AUF DEN PREISVENTILEN Martin Ademmer, Joscha Beckmann, Jens Boysen-Hogrefe, Salomon Fiedler, Dominik Groll, Nils Jannsen, Stefan Kooths und Saskia Meuchelböck Die Konjunktur in Deutschland nimmt wieder Fahrt Der Konjunkturkessel steht unter Dampf. Seit auf. Nachdem das Wiederaufflammen der Corona- Pandemie die wirtschaftliche Erholung im Winterhalb- dem Ausbruch der Coronapandemie ist der Kon- jahr ins Stocken gebracht hatte, wird die gesamtwirt- junkturverlauf maßgeblich durch die – national schaftliche Produktion im weiteren Verlauf des Jahres wie international – zum Infektionsschutz ergriffe- in hohem Tempo ausgeweitet werden und ihr Vor- nen Maßnahmen geprägt. Infolgedessen ist Pro- krisenniveau wieder überschreiten. Mit dem Wegfall der pandemiebedingten Restriktionen wird die Aktivi- duktion in erheblichem Umfang ausgefallen, die tät vor allem in jenen Bereichen rasch wieder zuneh- unter normalen Umständen absatzfähig gewe- men, die zuvor besonders belastet wurden. So dürften sen wäre. Umgekehrt kehrt nun die wirtschaftli- vor allem der Handel und kontaktintensive Dienst- leistungen von dem Rückprall bei den Konsumaus- che Aktivität überall dort rasch wieder zurück, wo gaben der privaten Haushalte profitieren. Vorerst pandemiebedingte Restriktionen wegfallen. verzögern wird sich die Erholung jedoch in der Während sich die Industrie im Windschatten des Industrie. Die weltweit kräftige Erholung hat viel- schichtige Lieferengpässe mit sich gebracht, die die Exportgeschäfts zunächst kräftig erholte, kam es Produktion vieler Unternehmen spürbar behindern. im Winterhalbjahr bei den kontaktintensiven Trotz der sehr guten Auftragslage wird die Produktion Dienstleistungsbereichen – und damit insbeson- im Verarbeitenden Gewerbe deshalb wohl erst in der dere beim privaten Verbrauch – im Zuge der ver- zweiten Jahreshälfte wieder nach und nach auf ihren Erholungskurs einschwenken, sofern die Liefereng- schärften Shutdowns zu einem abermaligen Ein- pässe dann allmählich überwunden werden. Mit den bruch. Mit dem sich nun abzeichnenden Ende produktionsseitigen Friktionen hat auch der Preis- der pandemischen Lage setzt auf breiter Front druck zugenommen, zumal die konjunkturelle Dyna- mik weltweit hoch ist. So waren die Preise für Roh- eine Erholung ein, bei der sich auch Nachwehen stoffe, Vorleistungsgüter und Transportleistungen der Coronakrise geltend machen. So hat der zuletzt auf breiter Front aufwärtsgerichtet. Alles in Staat die privaten Einkommen über verschie- allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,9 Prozent zulegen und im Jahr 2022 um 4,8 dene Kanäle massiv gestützt. Dies konnte den Prozent. Die Verbraucherpreise werden in diesem Abbildung 1: Jahr, zumal auch noch die Mehrwertsteuererhöhung und das Klimapaket preistreibend wirken, deutlich Bruttoinlandsprodukt beschleunigt um voraussichtlich 2,6 Prozent steigen. Kettenindex (2015=100) Prozent Im kommenden Jahr wird die Inflation wohl bei rund 2 112 10,0 Prozent liegen. 110 Veränderung 7,5 Niveau 108 5,0 106 2,5 104 0,0 102 -2,5 100 -5,0 98 -7,5 96 -10,0 94 -12,5 1,3 0,6 -4,8 3,9 4,8 92 -15,0 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV 2018 2019 2020 2021 2022 Quartalsdaten: preis-, kalender- und saisonbereinigt; Verän- derung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala). Kasten 1: Jahresdaten: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vor- Bedeutung von Lieferengpässen für die laufende Produk- jahr in Prozent (gerahmt). tion in Deutschland (S. 16) Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2 und 1.3; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. 2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) privaten Verbrauch und die ihm dienende Wert- Dynamik aus. Zum einen gibt es in den konsum- schöpfung aber kaum stabilisieren, weil wichtige nahen Bereichen etwas weniger aufzuholen, Ausgabemöglichkeiten pandemiebedingt ver- und zum anderen blieb der Shutdown zur Ab- schlossen waren. Im Ergebnis staute sich in den wehr der dritten Infektionswelle länger in Kraft beiden Jahren 2020 und 2021 bei den privaten als angenommen. So kam es erst ab Mitte Mai Haushalten Kaufkraft in Höhe von rund 200 Mrd. und nicht – wie von uns unterstellt – ab Mitte Ap- Euro auf. Das angeschwollene Finanzpolster ril zu ersten Lockerungen, die den kontaktinten- dürfte die rasche Rückkehr zu den gewohnten siven Wirtschaftsbereichen wieder größere Frei- Konsummustern stark befördern. Gerade in den räume erlauben. Wir halten an der Annahme kontaktintensiven Konsumbereichen, die nun fest, dass bis zum Ende des dritten Quartals alle über eine längere Zeit entbehrt werden mussten, nennenswerten pandemiebedingten Restriktio- ist mit einer erhöhten Zahlungsbereitschaft zu nen nach und nach aufgehoben werden. Zu ei- rechnen. Dort trifft eine schwungvolle Nachfrage ner im Sommerhalbjahr schwächeren als bislang auf Kapazitäten, die während der Pandemie- erwarteten Dynamik tragen auch die erheblichen phase tendenziell eher geschrumpft sind, was in Friktionen im Produzierenden Gewerbe bei, die einem zwischenzeitlich stärkeren Aufwärtsdruck von ausbleibenden Zulieferungen herrühren. Die bei den Preisen münden dürfte. In der Industrie dadurch bedingten Produktionsbehinderungen kommt die Produktion schon seit Mitte vergan- erreichen derzeit ausweislich von Unterneh- genen Jahres der kräftig anziehenden Nach- mensbefragungen ein Allzeithoch. Wir gehen frage nicht mehr hinterher, was sich bereits in davon aus, dass diese Probleme erst im Verlauf deutlichen Preisanstiegen im Neugeschäft be- des Jahres sukzessive überwunden werden, so- merkbar macht. Maßgeblich hierfür sind welt- dass von dieser Seite im Schlussquartal eine et- weite Lieferengpässe – auch infolge von Trans- was höhere Expansionsdynamik angelegt ist. portproblemen –, die das Hochfahren der Pro- Gleichwohl dürfte das Vorkrisenniveau der ge- duktion behindern. Schließlich bleibt die Finanz- samten Wirtschaftsleistung schon im dritten politik hierzulande wie in wichtigen Abnehmer- Quartal erreicht werden. ländern trotz der einsetzenden Erholung sehr Der Erholungsprozess wird im Sommerhalb- expansiv ausgerichtet, auch weil strukturelle jahr vor allem von den konsumnahen Wirt- Mehrausgaben, die in der Krise beschlossen schaftsbereichen getrieben. Erst in der zwei- wurden, nun nach und nach in Gang kommen. ten Jahreshälfte kommen auch kräftige Impulse Begleitet wird all dies von einer weiterhin sehr aus dem Auslandsgeschäft und der heimischen expansiven Geldpolitik. Alles in allem stehen die Investitionstätigkeit hinzu. Im Jahresverlauf wer- Zeichen damit auf kräftige Expansion, die in dem den sich die Zuwachsraten deutlich abschwä- Maße preistreibend wirkt, wie die entsprechen- chen und gegen Ende des Prognosezeitraums den Produktionskapazitäten noch nicht wieder nur noch wenig über der Wachstumsrate des mit der höheren Nachfrage Schritt halten kön- Produktionspotenzials liegen. In der hohen Zu- nen. wachsrate für das Jahr 2022 kommt daher mit Im Jahr 2021 nimmt das Bruttoinlandspro- 3,3 Prozentpunkten ein hoher statistischer Über- dukt um 3,9 Prozent zu, im kommenden Jahr hang zum Tragen (Tabelle 1). um 4,8 Prozent. Gegenüber unserer Frühjahrs- Tabelle: 1 prognose haben wir die Prognose für die Expan- Statistische Zerlegung der Zuwachsrate des Bruttoinlands- sionsrate des laufenden Jahres geringfügig (um produktes 2019 2020 2021 2022 0,2 Prozentpunkte) angehoben (Abbildung 1). Ursprungswerte 0,6 -4,8 3,9 4,8 Zwar fiel das Minus der Wirtschaftsleistung im Kalendereffekt (Prozentpunkte) 0,0 0,4 0,0 -0,1 kalenderbereinigt 0,6 -5,1 3,9 4,9 ersten Quartal merklich kleiner aus als erwartet Statistischer Überhang 0,2 0,0 2,0 3,3 Verlaufsrate 0,4 -3,3 5,3 2,2 (-1,8 Prozent gegenüber einem prognostizierten Preisbereinigt, in Prozent; Statistischer Überhang: Jahreszu- Wert von -2,7 Prozent), vor allem, weil der pri- wachsrate, die sich ergäbe, wenn das Bruttoinlandsprodukt in al- len vier Quartalen unverändert bliebe; Verlaufsrate: Vorjahresrate vate Verbrauch weniger stark auf den Shutdown im vierten Quartal auf der Basis saison- und kalender-bereinigter reagierte und Läger deutlich aufgestockt wur- Quartalswerte; Abweichungen bei der Zerlegung rundungsbe- dingt. den. Allerdings gehen wir nun vor allem für das Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2 und zweite Quartal von einer etwas geringeren Reihe 1.3; eigene Berechnungen; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. 3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) Die Produktionslücke überzeichnet die unter zum Ende des Prognosezeitraums fast wieder Pandemiebedingungen relevanten Expansi- auf ihr Vorkrisenniveau. onsspielräume erheblich. Die Wirtschaftsleis- Der Expansionsgrad der Finanzpolitik stellt tung lag im vergangenen Jahr rechnerisch 5 Pro- sich nochmals etwas größer dar, ein erhebli- zent unter dem Wert, der bei Normalauslastung cher Teil der Impulse kann jedoch erst wäh- aller Produktionsfaktoren möglich gewesen rend der Erholung nachfragestimulierend wäre. Im laufenden Jahr beträgt die so gemes- wirken. Gegenüber dem Datenstand der Früh- sene Produktionslücke immer noch -2,3 Prozent jahrsprognose wird das gesamtstaatliche Finan- und suggeriert somit weiterhin eine beträchtliche zierungsdefizit für das Jahr 2020 nunmehr mit gesamtwirtschaftliche Unterauslastung. Indes rund 140 Milliarden Euro nochmals um fast 10 unterstellt dies, dass alle Produktionskapazitä- Milliarden Euro höher ausgewiesen. Dies mar- ten auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Dies kiert den höchsten Wert, der je in einer Krise ver- ist unter den Bedingungen einer Pandemie je- zeichnet wurde, auch wenn man das Defizit in doch gerade nicht der Fall, weil im Interesse des Relation zur Wirtschaftsleistung setzt. Im laufen- Infektionsschutzes bestimmte Wirtschaftsberei- den Jahr dürfte das Defizit gut 175 Milliarden che erheblich eingeschränkt, wenn nicht gar Euro erreichen (12 Milliarden mehr als noch im gänzlich stillgelegt werden. Auch die derzeitigen Frühjahr erwartet), für das kommende Jahr rech- Produktionsbehinderungen infolge von Lie- nen wir mit einem Fehlbetrag von 52 Milliarden. ferengpässen führen dazu, dass eine betrags- Neben den Mindereinnahmen (auch durch die mäßig größere Produktionslücke ausgewiesen temporäre Mehrwertsteuersenkung) ist ein Gut- wird, die damit Expansionsspielräume anzeigt, teil der hohen Defizite in den beiden Pandemie- die kurzfristig gar nicht bestehen. So melden die jahren dem Aufwuchs bei Subventionen (Unter- Industrieunternehmen derzeit im Durchschnitt nehmenshilfen) und monetären Sozialleistungen eine über dem Normalniveau liegende Kapazi- (u. a. Kurzarbeitergeld) geschuldet. Diese Leis- tätsauslastung. Eine ausgeprägte konjunkturelle tungen haben während der Pandemie die priva- Anspannung und eine zunächst weiterhin offene ten Einkommen stabilisiert und die Produktions- Produktionslücke sind somit kein Widerspruch. kapazitäten im Großen und Ganzen aufrecht- Da all diese Produktionseinschränkungen im erhalten. Die so vom Staat an den Privatsektor kommenden Jahr unter den dieser Prognose zu- transferierte Kaufkraft kann mit Blick auf die pri- grundeliegenden Annahmen nicht mehr beste- vaten Konsumausgaben erst mit dem Wiederer- hen, wird dann das Konzept der Produktionslü- öffnen der entsprechenden Wirtschaftsbereiche cke mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Kapa- in größerem Umfang ausgabenwirksam werden. zitätsauslastung wieder aussagekräftiger. Mit ei- Ein großer Teil des fiskalischen Stabilisierungs- nem Wert von 0,7 Prozent dürfte die Normalaus- effektes hat sich demnach bislang aufgestaut. lastung im Durchschnitt des Jahres 2022 etwas Ebenso laufen die in der Krise beschlossenen überschritten werden. zusätzlichen Transformationsausgaben auf nati- Das Bild für die Entwicklung am Arbeitsmarkt onaler und EU-Ebene (Zukunftspaket, „Next Ge- hat sich seit dem Frühjahr kaum geändert. Im neration EU“-Programm) erst in diesem und im Zuge der kräftigen Erholung der wirtschaftlichen nächsten Jahr an. Sie treffen damit auf eine Wirt- Aktivität wird auch der in der Coronakrise einge- schaft, die dann schon wieder sehr nahe an oder tretene Beschäftigungseinbruch nach und nach bereits über der normalen Kapazitätsauslastung überwunden (Tabelle 2). Der rasche Abbau der operiert. So dürften insbesondere im Bereich der Kurzarbeit geht in der zweiten Hälfte des laufen- Bauwirtschaft starke Verdrängungseffekte die den Jahres in einen dynamischen Beschäfti- Folge sein. gungsaufbau über. Die Effektivverdienste wer- den wieder stärker anziehen, zunächst im Zuge der rückläufigen Kurzarbeit, im weiteren Progno- sezeitraum infolge zunehmender Knappheiten am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote sinkt bis 4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) Tabelle 2: Eckdatentabelle für die wirtschaftliche Entwicklung 2019 2020 2021 2022 Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt 0,6 -4,8 3,9 4,8 Bruttoinlandsprodukt, Deflator 2,2 1,6 2,2 1,7 Verbraucherpreise 1,4 0,5 2,6 1,9 Arbeitsproduktivität (Stundenkonzept) -0,0 -0,0 2,0 0,9 Erwerbstätige im Inland (1000 Personen) 45.268 44.818 44.804 45.565 Arbeitslosenquote (Prozent) 5,0 5,9 5,8 5,3 In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt Finanzierungssaldo des Staates 1,5 -4,5 -4,9 -1,4 Schuldenstand 59,7 69,7 70,2 66,6 Leistungsbilanz 7,2 7,3 6,9 6,4 Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, Arbeitsproduktivität: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; Arbeitslosen- quote: Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.2; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht; Bundesagentur für Arbeit, Monatsbericht; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. Die kräftige Erholung geht auf der Verbrau- Allerdings ist unklar, in welchem Umfang und cher- wie auf der Erzeugerstufe mit einem über welchen Zeitraum die privaten Haushalte – verstärkten Preisauftrieb einher. Für die Ver- nicht nur in Deutschland – die während der Pan- braucherpreise zeichnet sich im laufenden Jahr demie aufgestaute Kaufkraft für nachholende mit einer Inflationsrate von 2,6 Prozent der Güterkäufe nutzen. Bis Mitte des kommenden stärkste Anstieg seit 13 Jahren ab. Hierfür sind Jahres ist für diese Prognose unterstellt, dass zwar zu einem erheblichen Teil Sondereffekte die kräftige Erholung der Konsumausgaben im verantwortlich (Wiederanhebung der Mehrwert- Wesentlichen durch die Normalisierung des steuer, Einführung der CO2-Steuer, Basiseffekte Ausgabeverhaltens der privaten Haushalte ge- im Zuge sich erholender Energiepreise). Aber tragen wird. Erst in der zweiten Hälfte des kom- auch die sich mit der Überwindung der Pande- menden Jahres unterschreitet die Sparquote der mie kräftig erholende Nachfrage wirkt preistrei- privaten Haushalte die Vorkrisenniveaus etwas. bend. In den konsumnahen Wirtschaftsberei- Zudem dürfte der Privatsektor Teile der aufge- chen dürfte sie sich vor allem auf solche Güter stauten Kaufkraft auch für Wohnungsbauinvesti- richten, die während der Shutdowns entbehrt tionen verwenden und dort zum Preisauftrieb werden mussten. Dies sind vor allem kontaktin- beitragen. Ferner werden erst im Zuge der ohne- tensive Dienstleistungen (z. B. Gastronomie, hin schon kräftigen Erholung Teile der staatli- Touristik, Unterhaltung), bei denen die Kapazitä- chen Konjunkturprogramme ausgabewirksam. ten typischerweise kaum rasch über das Vorkri- Hinzu kommen zusätzliche strukturelle Ausga- senniveau hinaus aufgestockt werden können, ben für verschiedene industriepolitische Pro- sodass sich hier für die Unternehmen größere gramme, die ohne die Krise wohl nicht beschlos- Spielräume für höhere Preise bieten. Ein starker sen worden wären. Auch im Ausland wird die Preisauftrieb zeigt sich auch bei Erzeugerprei- Wirtschaft durch die Finanzpolitik stark stimu- sen und wichtigen Rohstoffen. Anders als die liert, wodurch sich auch im Exportgeschäft zu- Energiepreise hatten diese nach dem Ausbruch sätzliche Preiserhöhungsspielräume ergeben. der Pandemie kaum nachgegeben, ziehen aber All dies geht einher mit einer weiterhin ultraex- seit Jahresbeginn kräftig an. So haben die No- pansiv ausgerichteten Geldpolitik, sodass von tierungen für Nichtenergierohstoffe innerhalb den Finanzierungskonditionen im gesamten weniger Monate ein Allzeithoch erklommen, und Prognosezeitraum kaum nennenswerte Brems- auch die Erzeugerpreise für den Inlandsabsatz effekte zu erwarten sind. steigen seit Anfang des Jahres rasant. Hier dürf- ten vor allem die bestehenden Produktionsbe- Monetäre Rahmenbedingungen hinderungen bei einem gleichzeitig starken Nachfragesog preistreibend wirken. In dem Die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt Maße, wie die Friktionen im industriellen Bereich keine Änderungen an ihren geldpolitischen allmählich überwunden werden, dürfte von die- Instrumenten vor. Die gezielten längerfristigen ser Seite eine gewissen Entspannung eintreten. Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO) sowie die 5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) Nettokäufe unter dem Anleihekaufprogramm beobachten. Hierzu trugen allerdings auch Ba- APP im monatlichen Umfang von 20 Mrd. Euro siseffekte aus der akuten Krisenphase bei, in der werden unverändert fortgesetzt. Die Käufe im in großem Umfang Überbrückungskredite aufge- (äußerst flexibel definierten) Rahmen des Pan- nommen worden waren. Die Konsumenten- und demie-Notfallprogramms (PEPP) sollen wie be- sonstigen Kredite entwickelten sich weiterhin reits seit März auch im kommenden Quartal for- schwach; sie lagen 0,3 Prozent unter ihrem Vor- ciert durchgeführt werden. Hierbei zielt die EZB jahresvolumen. Bei den nichtfinanziellen Unter- neben ihrem Inflationsziel auch darauf ab, die Fi- nehmen hält der Trend hin zu einer verstärkten nanzierungsbedingungen in allen Marktsegmen- Finanzierung über die Kapitalmärkte an: im April ten günstig zu halten. Mit einer Leitzinsanhe- hatten sie 10,8 Prozent mehr inländische Inha- bung (derzeit Einlagesatz: -0,5 Prozent, Haupt- berschuldverschreibungen im Umlauf als ein refinanzierungssatz: 0 Prozent, Spitzenrefinan- Jahr zuvor. Die Coronakrise hat bislang in der zierungssatz: 0,25 Prozent) rechnen wir bis zum Insolvenzstatistik erstaunlich geringe Spuren Ende des Prognosezeitraums nicht. hinterlassen. Auch im März lag die Zahl der an- gemeldeten Unternehmensinsolvenzen unter ih- Das sehr günstige Finanzierungsumfeld rem Vorjahresniveau. Bei den Insolvenzen von bleibt bestehen. Zwar wurden ausweislich der Verbrauchern und ehemals selbständig Tätigen Umfrage unter den Geschäftsbanken (Bank Len- kam es zwar im Februar und März zu kräftigen ding Survey) die Kreditrichtlinien für Unterneh- Anstiegen, hierzu dürfte allerdings auch beige- men zuletzt per Saldo gestrafft, allerdings sind tragen haben, dass viele Personen wohl die Ge- die Darlehenszinsen weiterhin äußerst niedrig. setzesnovelle, die die Entschuldung erleichtert, Bei Restlaufzeiten zwischen einem und fünf Jah- abgewartet haben. ren betrugen sie im April für kleinere und größere Kredite nichtfinanzieller Unternehmen 2,2 bzw. 1,4 Prozent. Auch für Wohnungsbaukredite ver- Außenhandel blieben sie mit 1,3 Prozent bei ihrem historisch Die Erholung der Exporte wird vorüberge- niedrigen Niveau. Die Kapitalmarktfinanzierung hend durch Knappheiten bei Vorleistungsgü- blieb ebenfalls günstig: die Renditen von Anlei- tern gebremst. Zu Jahresbeginn expandierten hen nichtfinanzieller Unternehmen mit mittleren die Exporte erwartungsgemäß recht kräftig, Restlaufzeiten von über drei Jahren verharrten wenngleich mit deutlich geringerer Dynamik als im Mai bei 0,9 Prozent, wodurch sich der Auf- im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres. schlag gegenüber Bundesanleihen mit ähnlicher Dabei stiegen die Exporte von Waren und von Laufzeit weiter verringerte, auf nun 1,1 Prozent- Dienstleistungen gleichermaßen. Einem stärke- punkte. Hier hat sich die langsame Zinswende, ren Anstieg wirkte der Austritt des Vereinigten die zuletzt bei Staatspapieren zu verzeichnen Königsreichs aus der Europäischen Union zum war, also noch nicht niedergeschlagen. Wäh- Jahreswechsel 2020/2021 entgegen. Die nomi- rend zehnjährige Bundesanleihen vor einem hal- nalen Warenexporte dorthin brachen zu Jahres- ben Jahr noch mit -0,6 Prozent rentierten, stieg beginn regelrecht ein; im ersten Quartal lagen ihre Rendite seitdem auf -0,3 Prozent, wozu sie insgesamt rund ein Fünftel unter ihrem Vor- wohl nicht zuletzt höhere Inflationserwartungen quartalsniveau. Dazu dürften Vorzieheffekte im beitrugen. Im Einklang mit der aktuellen Zins- vergangenen Jahr und längere Bearbeitungszei- strukturkurve rechnen wir bis zum Ende des ten beim Grenzübertritt beigetragen haben, aber Prognosezeitraums mit einem weiteren leichten auch pandemiebedingte Sondereffekte. Zudem Anstieg dieser Rendite auf dann -0,1 Prozent. haben produktionsseitige Engpässe einen stär- Die Kreditexpansion bleibt robust. Im April keren Anstieg der Warenexporte insgesamt ver- stieg das Volumen der Kredite an den nichtfinan- hindert. Dafür spricht, dass das Ausfuhrvolumen ziellen privaten Sektor im Vorjahresvergleich um nicht mit den Bestellungen aus dem Ausland 3,9 Prozent. Haupttreiber blieben die Woh- Schritt hält. Letztere lagen im ersten Quartal be- nungsbaukredite, deren Zuwachs sich auf nun reits fast 10 Prozent über ihrem Vorkrisenniveau 6,8 Prozent beschleunigte. Demgegenüber war Ende des Jahres 2019, wohingegen die Waren- bei den Krediten an die nichtfinanziellen Unter- exporte noch leicht darunter lagen. Die nomina- nehmen eine gefallene Rate von 2,2 Prozent zu len Exporte im Kraftwagensegment gingen im 6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) ersten Quartal sogar zurück; besonders in die- Im Außenhandel steigen die Preise deutlich. sem Bereich klagten Unternehmen zuletzt ver- Die Importe verteuerten sich im ersten Quartal mehrt über fehlende Vorprodukte. Im laufenden nicht nur aufgrund der weiter gestiegenen Roh- Quartal dürfte sich die Erholung der Exporte an- stoffpreise, sondern auch, weil sich die Preise für gesichts der weiter deutlich aufwärtsgerichteten importierte Vorleistungsgüter nicht zuletzt auf- Frühindikatoren zwar fortgesetzt haben, jedoch grund von Lieferengpässen spürbar erhöhten. deuten die preisbereinigten Monatsdaten im Gleichzeitig stiegen auch die Exportpreise merk- Spezialhandel auf eine weitere Abschwächung lich, sodass sich die Terms of Trade kaum ver- der Dynamik hin. Die produktionsseitigen schlechterten. Zum Anstieg trugen auch die Knappheiten dürften zunächst ein belastender drastisch gestiegenen Frachtraten für den See- Faktor bleiben. Mit dem Nachlassen dieser Frik- verkehr bei (Gern et al. 2021).1 Im laufenden tionen werden die Exporte voraussichtlich wie- Quartal sind die Import- und Exportpreise wohl der in erhöhtem Tempo zulegen, zumal der An- weiter spürbar gestiegen, letztere aber in gerin- stieg der globalen Investitionstätigkeit stimulie- gerem Maße, sodass sich die Terms of Trade ren dürfte (Gern et al. 2021). Die Rücknahme deutlich verschlechtert haben dürften; darauf pandemiebedingter Einschränkungen wird zu- deuten die monatlichen Preisindizes im Außen- dem den Export von Dienstleistungen beflügeln. handel hin. Im weiteren Jahresverlauf werden Insgesamt rechnen wir damit, dass die Exporte sie sich gegeben unserer Wechselkurs- und Öl- im laufenden Jahr um 11,2 Prozent zulegen wer- preisannahmen weiter verschlechtern, jedoch den. Nach diesem Aufholprozess steigen sie mit abnehmender Dynamik. Im Jahr 2022 dürf- wieder mit geringeren Raten; für das Jahr 2022 ten sie in etwa unverändert bleiben. Insgesamt ergibt sich eine Zuwachsrate von 5,8 Prozent. rechnen wir mit einer Verschlechterung der Terms of Trade um 1,6 Prozent im laufenden Auf der Importseite hinken die Dienstleistun- Jahr und um 0,5 Prozent im Jahr 2022. gen den Waren im Erholungsprozess hinter- her. Im ersten Quartal erhöhten sich die Importe trotz der Schwäche bei der heimischen Absorp- Entstehung tion sehr kräftig. Maßgeblich war ein deutlicher Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird Anstieg der Warenimporte im März sowie eine ihre Erholung nach der pandemiebedingten positive Entwicklung in einigen Dienstleistungs- Verzögerung im Winterhalbjahr in hohem bereichen. Die Warenimporte haben das Vorkri- Tempo fortsetzen. Da die pandemiebedingten senniveau vom vierten Quartal 2019 bereits Einschränkungen der ökonomischen Aktivität überschritten. Im Sommerhalbjahr werden sie im unserer Annahme zufolge nun rasch entfallen, Zuge der Erholung der Binnenkonjunktur weiter wird die Bruttowertschöpfung vor allem in den spürbar zulegen, wenngleich sich für das lau- Wirtschaftsbereichen kräftig zunehmen, die da- fende Quartal nach den preisbereinigten Mo- von zuvor besonders beeinträchtigt worden wa- natswerten im Spezialhandel ein moderaterer ren. Im Verarbeitenden Gewerbe dürfte sich die Anstieg abzeichnet. Die Dienstleistungsimporte Erholung jedoch noch etwas verzögern, da hier lagen im ersten Quartal noch rund 20 Prozent Lieferengpässe die Produktion spürbar behin- unter ihrem Vorkrisenniveau. Mit den Lockerun- dern. gen im Reiseverkehr dürften sie im Sommer- halbjahr kräftig ausgeweitet werden. Nach die- Die Lieferengpässe belasten die Industrie- sem Erholungsprozess schwächt sich die Im- produktion massiv. Während die Auftragsein- portdynamik insgesamt ab. Im laufenden Jahr gänge angesichts der lebhaften weltweiten steigen die Einfuhren um 10,9 Prozent; im Jahr Nachfrage ihr Vorkrisenniveau bereits um 10 2022 um 7,1 Prozent. Prozent überschritten haben, ist die Industrie- produktion seit Jahresbeginn noch einmal um 1 Deutschland ist Nettoexporteur von Transportleis- Prozent an den Dienstleistungsexporten, aber von nur tungen im Seeverkehr. Im Jahr 2019 wurden Fracht- 2 Prozent an den Dienstleistungsimporten. Daher leistungen in Höhe von rund 27 Mrd. Euro exportiert; schlagen sich die drastisch erhöhten Frachtraten der Importwert belief sich auf weniger als 7 Mrd. Euro. deutlich stärker im Deflator der Exporte nieder. Damit hat die Seefracht einen Anteil von reichlich 8 7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) 2,5 Prozent zurückgegangen und lag damit zu- die Produktion so zusätzlich vorübergehend er- letzt 5 Prozent unter ihrem Vorkrisenniveau. Ins- höhen. Sofern es nicht zu größeren Stornierun- besondere dürften Lieferengpässe zu dieser gen von Aufträgen kommt oder die Unterneh- Diskrepanz beigetragen haben. So berichtete men längerfristig mit einem höheren Auftragsbe- zuletzt ein Rekordanteil von mehr als 40 Prozent stand disponieren, ist diesbezüglich seit Jahres- der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe beginn zusätzlich zum Aufholpotenzial ein Nach- von Produktionsbehinderungen aufgrund eines holpotenzial von etwa 6,5 Prozent aufgelaufen. Mangels an Rohstoffen oder Vorleistungen. Der Für unsere Prognose gehen wir davon aus, dass quantitative Einfluss der Lieferengpässe ist je- sich die Lieferengpässe in der zweiten Jahres- doch nur schwer abschätzbar, auch weil solche hälfte nur allmählich abbauen, sodass das Auf- Engpässe in der Vergangenheit wohl nur recht wärtspotenzial bei der Produktion erst nach und selten die Produktion maßgeblich beeinflusst ha- nach realisiert werden wird. ben. Quantitativ eingrenzen lässt sich der Ein- fluss, indem man ein „normales“ Niveau der In- Heimische Absorption dustrieproduktion anhand des langfristigen Zu- sammenhangs zwischen Produktion und Auf- Die heimische Absorption hat sich im Winter- tragseingängen abschätzt. Unseren Schätzun- halbjahr angesichts der umfangreichen In- gen zufolge lag die Industrieproduktion im April fektionsschutzmaßnahmen robust gezeigt. mehr als 10 Prozent unter dem Niveau, das an- Dazu haben zwar auch deutliche Anstiege bei gesichts der Auftragsentwicklung zu erwarten den Vorratsveränderungen beigetragen. Doch gewesen wäre (Kasten 1). Allein seit Jahresbe- selbst wenn man davon absieht, fiel der Rück- ginn hat sich diese Diskrepanz um rund 5 Pro- gang bei Weitem nicht so dramatisch aus wie im zentpunkte erhöht. Unterstellt man, dass die Verlauf der ersten Welle im vergangenen Jahr. Entwicklung seit dem Jahresbeginn vor allem Der Rückgang bei den privaten Konsumausga- auf die Lieferengpässe zurückzuführen ist und ben war in Anbetracht der Dauer der Shutdown- mittels der Industrieproduktion auf eine ver- Maßnahmen vergleichsweise moderat. Bei den gleichbare Entwicklung der Bruttowertschöpfung Bruttoanlageinvestitionen hatten sich für das im Verarbeitenden Gewerbe geschlossen wer- Winterhalbjahr ohnehin keine größeren Rück- den kann, dann wurde die Bruttowertschöpfung schläge abgezeichnet. Mit den nun deutlich im Verarbeitenden Gewerbe allein im ersten nachlassenden Belastungen durch die Pande- Quartal um rund 2 Prozent durch die Liefereng- mie wird die heimische Absorption rasch anzie- pässe gedrückt. Sollten sich die Lieferengpässe hen und wohl bereits im dritten Quartal wieder zumindest bis zur Jahresmitte auf dem Niveau ihr Vorkrisenniveau erreichen. Der Einbruch war des Aprils fortsetzen – was plausibel erscheint – somit zwar deutlich tiefer, als dies in früheren würde die Bruttowertschöpfung dadurch noch Rezessionen zu beobachten war. Gleichzeitig mal zusätzlich um etwa 2,5 Prozent gedrückt würde damit die Erholung aber auch deutlich werden. schneller vollzogen werden. Sobald die Lieferengpässe nachlassen, wird Die verfügbaren Einkommen legen kräftig zu. die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe Nachdem die verfügbaren Einkommen im ver- zusätzlichen Schub erhalten. Zum einen wird gangenen Jahr stagnierten, zeichnen sich nun sich die Produktion dann dauerhaft wieder ihrem recht kräftige Anstiege von 3,9 Prozent (2021) normalen Niveau annähern, das angesichts der bzw. 4,4 Prozent (2022) ab. So wird die Lohn- Auftragseingänge zu erwarten wäre. Allein seit summe mit der Besserung am Arbeitsmarkt wie- Jahresbeginn hat sich ein Aufholpotenzial für die der kräftig anziehen, nachdem sie im vergange- Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Ge- nen Jahr noch um 0,7 Prozent zurückgegangen werbe von 4,5 Prozent ergeben – die Bruttowert- war. Insbesondere im laufenden Jahr werden schöpfung würde demzufolge zukünftig um 4,5 zudem steuerliche Anpassungen – insbeson- Prozent stärker zunehmen als die Auftragsein- dere der zu großen Teilen entfallene Solidari- gänge. Zum anderen dürfte der durch die nied- tätszuschlag – die Nettolöhne und -gehälter zu- rige Produktion zwischenzeitlich aufgelaufene sätzlich erhöhen. Die Unternehmens- und Ver- Auftragsbestand dann abgearbeitet werden und mögenseinkommen (UVE) dürften angesichts 8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) der raschen wirtschaftlichen Erholung vor allem kräftig aus. Mit den weiteren Lockerungen wer- im laufenden Jahr, in dem die Unternehmen den die privaten Konsumausgaben im Sommer- auch noch durch recht hohe Subventionszahlun- halbjahr spürbar anziehen und voraussichtlich gen unterstützt werden, kräftig steigen. Damit ihr Vorkrisenniveau bereits wieder übersteigen. bewegt sich die UVE in Relation zum Volksein- Zwar kam es aufgrund der zwischenzeitlichen kommen dann in etwa auf dem Niveau des Jah- Verschärfungen der Shutdown-Maßnahmen im res 2019. In früheren Zyklen legten die UVE der April zu einem deutlichen Rücksetzer bei den privaten Haushalte erst mit leichter Verzögerung Einzelhandelsumsätzen; sie lagen dabei aber wieder zu, sodass wir hier erst für das Jahr 2022 immer noch auf dem durchschnittlich im ersten mit einem kräftigeren Anstieg rechnen. Demge- Quartal verzeichneten Niveau. Wir gehen davon genüber werden die monetären Sozialleistungen aus, dass sie im Mai das Niveau vom März be- 2022 wohl deutlich weniger dynamisch zulegen reits wieder übertroffen haben – dafür spricht als im laufenden Jahr. Nach einem Anstieg von auch das Passantenaufkommen in den deut- rund 3 Prozent im laufenden Jahr dürften sie im schen Innenstädten –2 und danach weiter anzie- kommenden Jahr kaum mehr als stagnieren. hen. Die Erholung in anderen besonders be- Geschmälert wird die Kaufkraft der verfügbaren troffenen Branchen wie dem Gastgewerbe dürfte Einkommen durch kräftige Preisanstiege. Für aufgrund der dort etwas späteren Lockerung der das laufende Jahr rechnen wir mit einem Anstieg Infektionsschutzmaßnahmen leicht verzögert des Deflators der privaten Konsumausgaben eintreten und stärker im dritten Quartal zum Tra- von 2,6 Prozent, gefolgt von 1,8 Prozent im Jahr gen kommen. Vor diesem Hintergrund rechnen 2022. wir für das laufende Jahr mit einer Zuwachsrate der privaten Konsumausgaben von 2,4 Prozent. Die privaten Konsumausgaben schließen mit Die Stärke der Erholung wird erst im Jahreser- den Lockerungen rasch zu ihrem Vorkrisen- gebnis für 2022 mit einer Zuwachsrate von vo- niveau auf. Im Verlauf des Winterhalbjahres raussichtlich 8,2 Prozent sichtbar werden. sind die privaten Konsumausgaben zwar um mehr als 7 Prozent gefallen. Angesichts der Es ist weiterhin offen, wieviel der zwischen- Dauer der Infektionsschutzmaßnahmen, die vor zeitlich aufgestauten Kaufkraft für zusätzli- allem Teile des Einzelhandels sowie einige kon- che private Konsumausgaben aufgewendet taktintensive Dienstleistungsbranchen wie das werden wird. Vor allem aufgrund der einge- Gastegerwebe betrafen, fiel der Rückgang im schränkten Konsummöglichkeiten haben die pri- Vergleich zum zweiten Quartal 2020 jedoch vaten Haushalte ihre Ersparnis seit dem Beginn recht glimpflich aus. So lagen die privaten Kon- der Pandemie in beträchtlichem Maße ausge- sumausgaben im ersten Quartal rund 3 Prozent weitet. Im Vergleich zu einem Szenario, in dem über dem Tiefpunkt des vergangenen Jahres die Sparquote auf ihrem Vorkrisenniveau ver- und haben sich damit besser gehalten als wir es blieben wäre, beträgt unserer Prognose zufolge – gestützt auf die Erfahrungen während des ers- die im vergangenen und in diesem Jahr aufge- ten Shutdowns – in unserer Frühjahrsprognose staute Kaufkraft zusammengenommen rund 200 erwartet hatten (Jannsen 2021). Zur besseren Mrd. Euro bzw. 10 Prozent des verfügbaren Ein- Entwicklung beigetragen hat, dass sich der Kfz- kommens (im Jahr 2019).3 Für unsere Prognose Handel – trotz der zusätzlichen Belastungen haben wir unterstellt, dass die Sparquote im Jahr durch die Mehrwertsteuererhöhung zu Jahres- 2022 nur leicht um 0,5 Prozentpunkte ihr Vorkri- beginn – deutlich besser behauptet hat als wäh- senniveau unterschreitet und somit nur ein klei- rend der ersten Welle. Zudem hat der Online- ner Teil der zwischenzeitlich zusätzlich aufge- Handel wohl stärker stabilisiert, als von uns im bauten Ersparnis für private Konsumausgaben Frühjahr veranschlagt. Schließlich fiel der An- stieg der Einzelhandelsumsätze im März trotz der noch recht moderaten Lockerungen sehr 2 Vgl. den IfW-Datenmonitor. https://www.ifw- 3 Der überwiegende Teil von dieser aufgestauten kiel.de/de/the-mendossiers/corona-krise/datenmoni- Kaufkraft ist bereits bis einschließlich des ersten tor-corona-krise/. Quartals des laufenden Jahres angefallen. 9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) aufgewendet werden wird.4 So dürfte ein Teil der sich Unternehmen aufgrund einer durch die Pan- aufgestauten Kaufkraft für Immobilien- oder demie angegriffenen Eigenkapitaldecke erst ein- Wertpapieranlagen aufgewendet werden. Ein mal mit Investitionen zurückhalten. Die beson- großer Teil der zusätzlichen Ersparnis ist wohl ders von der Pandemie betroffenen Branchen ohnehin bei Haushalten angefallen, die eine sind jedoch nur für einen kleineren Teil der Un- hohe Sparneigung haben (Deutsche Bundes- ternehmensinvestitionen verantwortlich. Offen bank 2021). Schließlich könnten insbesondere ist, inwieweit die Lieferprobleme im Verarbeiten- Soloselbstständige und Kleinstunternehmen, den Gewerbe die Erholung bei den Investitionen deren Ersparnisse in der Krise aufgezehrt wur- belasten. Kurzfristig könnten Produktionsbehin- den, ihre Ersparnisbildung mit der wirtschaftli- derungen, die zu längeren Lieferzeiten bei In- chen Besserung zunächst wieder erhöhen. Frei- vestitionsgütern führen, die Erholung verzögern. lich ist es sehr gut möglich, dass ein weitaus grö- Sollten sich die Lieferprobleme verschärfen und ßerer Teil der aufgestauten Ersparnis für Kon- auf die Geschäftsaussichten durchschlagen, sumausgaben aufgewendet wird. Die privaten könnten Unternehmen ihre Investitionsvorhaben Konsumausgaben und die Verbraucherpreise aber auch zurückstellen. Für unsere Prognose würden dann deutlich stärker steigen als in die- unterstellen wir, dass es lediglich zu kurzfristigen ser Prognose. Belastungen kommt und die Unternehmensin- vestitionen im zweiten Halbjahr wieder merklich Die Unternehmensinvestitionen erholen sich Fahrt aufnehmen. Für ein zunächst noch verhal- im Rekordtempo. Im Winterhalbjahr dürfte die tenes zweites Quartal sprechen auch die monat- wieder verschärfte Pandemielage in Deutsch- lichen Inlandsumsätze sowie die Produktions- land zwar auch Bremsspuren bei den Unterneh- zahlen der Investitionsgüterhersteller in mensinvestitionen hinterlassen haben. Aller- Deutschland. Alles in allem dürften die Unter- dings wurden sie noch leicht ausgeweitet und nehmensinvestitionen in diesem Jahr um 4,3 brachen nicht abermals ein, so wie es während Prozent und im kommenden Jahr um 5,2 Pro- der ersten Infektionswelle noch zu beobachten zent zulegen, nach einem Rückgang von 6,2 war. Angesichts der kräftigen wirtschaftlichen Prozent im vergangenen Jahr. Erholung im In- und Ausland und den damit ver- bundenen besseren Geschäftsaussichten wird Materialengpässe heizen die Baupreise an. die Investitionstätigkeit voraussichtlich wieder Die Bauinvestitionen sind im Winterhalbjahr spürbar Fahrt aufnehmen. Vor allem bei den deutlich gestiegen. Selbst für das erste Quartal, Ausrüstungsinvestitionen gibt es noch Aufholpo- in dem die Mehrwertsteuererhöhung sowie un- tenzial, lagen sie doch im ersten Quartal noch günstige Witterungsbedingungen belastend rund 10 Prozent unter ihrem Vorkrisenniveau. wirkten, ergab sich noch ein recht deutliches Insgesamt rechnen wir damit, dass die Ausrüs- Plus von mehr als 1 Prozent. Mittlerweile mehren tungsinvestitionen gegen Mitte des kommenden sich Berichte, dass Materialengpässe die Bau- Jahres - und damit ungewöhnlich schnell - be- wirtschaft massiv beeinträchtigen. So stieg der reits wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen. Für Anteil der Unternehmen im Bauhauptgewerbe, gewöhnlich dauert die Erholung bei den Ausrüs- die von Behinderungen aufgrund von Material- tungsinvestitionen im Anschluss an Rezessio- engpässen berichten, im April kräftig und er- nen oder Krisen deutlich länger (Ademmer und reichte im Mai mit rund 38 Prozent ein Rekordni- Jannsen 2018; IMF 2015; Jannsen 2015). Für veau. Im April 2020, als die Pandemie auch eine kräftige Erholung spricht, dass sich mit dem schon zu Materialengpässen führte, berichteten Zurückdrängen der Pandemie das Wirtschafts- nur rund 7 Prozent der Unternehmen von Beein- geschehen in vielen Wirtschaftsbereichen rasch trächtigungen; vor dem Jahr 2020 lag der wieder normalisiert. So lagen die Auftragsein- höchste jemals in einem Monat verzeichnete gänge aus dem Inland für Investitionsgüter zu- Wert bei 6 Prozent. Da somit kaum Erfahrungs- letzt bereits wieder über ihrem Vorkrisenniveau. werte mit solch großen Ausschlägen vorliegen, Gebremst werden könnte die Erholung, wenn ist nur schwer abschätzbar, in welchem Ausmaß 4 Dieser Rückgang ist mit einem Szenario konsistent, eine ausführliche Analyse vgl. Deutsche Bundesbank in dem rund 25 Prozent der aufgestauten Kaufkraft in (2021). einem Zeitraum von 4 Jahren zurückgeführt wird. Für 10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) sich diese Engpässe bei den Bauinvestitionen Dies war wohl nicht zuletzt ein Symptom von bemerkbar machen. Im April ging die Produktion Knappheiten und Lieferengpässen aufgrund der im Bau zwar spürbar zurück. Allerdings befand raschen konjunkturellen Erholung. Inzwischen sie sich nach dem kräftigen Anstieg im März scheint aber auch hier der Zenit überschritten zu noch auf einem recht hohen Niveau. Im März fie- sein; jüngst gaben die Preise einer Reihe von len zudem die Auftragseingänge im Bau spür- Rohstoffen wie Holz oder Kupfer merklich nach. bar. Hier bleibt abzuwarten, ob höhere Kosten Es ist allerdings zu beachten, dass Preis- und längere Lieferzeiten die Nachfrage für einen schwankungen bei den Agrar- und Industrieroh- längeren Zeitraum belasten werden. Für unsere stoffen die allgemeine Preisentwicklung deutlich Prognose unterstellen wir, dass die Materialeng- weniger stark beeinflussen als jene bei Energie- pässe das Volumen der Bauinvestitionen vor al- rohstoffen und hier insbesondere beim Rohöl. 5 lem im zweiten Quartal belasten und danach Der Euro kostete zuletzt rund 1,22 US-Dollar und wieder die fundamental guten Rahmenbedin- lag damit in etwa auf seinem Niveau vom Jah- gungen insbesondere für die Wohnungsbauin- resbeginn und etwa 10 Cent höher als vor einem vestitionen stärker zum Tragen kommen. Die Jahr. Auch nominal effektiv wertete er im Vorjah- Materialengpässe werden sich dann vor allem in resvergleich etwas auf (Mai: +4 Prozent). höheren Preisen niederschlagen, da das Bau- Die Inflation wird im laufenden Jahr durch material einen wesentlichen Kostenfaktor dar- Sondereffekte getrieben. Im Mai lag der Ver- stellt. Vor diesem Hintergrund rechnen wir mit ei- braucherpreisindex 2,5 Prozent über seinem nem Anstieg der Bauinvestitionen von 2 Prozent Vorjahreswert. Besonders kräftig fiel dabei im für das laufende Jahr sowie 2,5 Prozent für das Zuge des wiederangestiegenen Ölpreises mit 10 kommende Jahr. Der Deflator der Bauinvestitio- Prozent die Inflation der Energiepreise aus. Zu- nen wird in beiden Jahren sehr kräftig um vo- dem schlugen weitere Sondereffekte wie die raussichtlich jeweils rund 4 Prozent anziehen. Einführung der CO2-Steuer zu Jahresbeginn zu Buche. Des Weiteren dürfte aktuell auf bestimm- Preisentwicklung ten Märkten das Aufeinandertreffen von produk- tionsseitigen Knappheiten mit einer im Zuge der Die Rohstoffpreise gehen gestärkt aus der Rückführung der Maßnahmen zum Infektions- Coronakrise. Der Ölpreis war bereits bis zum schutz entfesselten Nachfrage preistreibend wir- Jahresanfang wieder auf sein Vorkrisenniveau ken. Diese Kapazitätsengpässe zeigen sich geklettert. Hatte im Tiefpunkt der Krise ein Fass auch in den zuletzt stark anziehenden Preisen der Sorte Brent zeitweilig weniger als 20 Dollar für Importe, Vorleistungsgüter und Transporte. gekostet, so werden mittlerweile wieder rund 70 Ab Juli wird zusätzlich die Wiederanhebung der Dollar aufgerufen. Seit März hat sich der Preis- Mehrwertsteuer in den Jahresraten sichtbar wer- anstieg allerdings merklich verlangsamt und wir den, sodass im späteren Jahresverlauf die Infla- rechnen bis zum Ende des Prognosezeitraums tionsraten in einzelnen Monaten an 4 Prozent mit einem real in etwa konstanten Ölpreis. Hier- heranreichen dürften. Insgesamt rechnen wir für für spricht, dass die erdölproduzierenden Länder das laufende Jahr mit einem Anstieg der Ver- ihre bestehenden Förderkapazitäten noch nicht braucherpreise um 2,6 Prozent. Nach dem Weg- ausreizen und somit auch ein weiterer kräftiger fallen der gewichtigen Sondereffekte dürfte die Anstieg der Nachfrage im Zuge der weltwirt- Inflation im kommenden Jahr mit 1,9 Prozent et- schaftlichen Erholung bedient werden kann. was niedriger ausfallen. Dieser Prognose liegt Preise deutlich über den Vorkrisenniveaus las- die Annahme zugrunde, dass die privaten Haus- sen sich bei den Industrie- und Agrarrohstoffen halte ihre während der Shutdowns zusätzlich ge- beobachten, die auch noch bis in den Mai teils bildete Ersparnis kaum für Konsumzwecke aus- deutliche Zuwächse verzeichneten (Gern et al. geben. 2021: Kasten 1). Auf Eurobasis gerechnet lag der HWWI-Rohstoffpreisindex für den Euroraum rund 50 Prozent über seinem Vorkrisenniveau. 5 So machen Energierohstoffe bei dem nach Im- für den Euroraum reichlich 80 Prozent (Rohöl: über 60 portanteilen gewichteten HWWI-Rohstoffpreisindex Prozent) aus. 11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) Arbeitsmarkt Die Kurzarbeit sinkt bereits seit März wieder. Nachdem die Kurzarbeit von November bis Feb- Während die tariflich vereinbarten Ver- ruar ausgeweitet worden war, sank sie bereits im dienste nur moderat zulegen, erholen sich März wieder recht kräftig um reichlich 20 Prozent die effektiv gezahlten Bruttolöhne und -geh- auf 2,6 Mill. Personen bei einem durchschnittli- älter dynamisch. Die Tarifverdienstzuwächse chen Arbeitsausfall von 56 Prozent. Sowohl die (laut Tarifverdienststatistik der Deutschen Bun- bis Mai bei den Arbeitsagenturen eingegange- desbank) werden im laufenden Jahr mit 1,6 Pro- nen Anzeigen zur Kurzarbeit als auch die Schät- zent schwächer zulegen als im Vorjahr, nach- zung des ifo Instituts für April laut monatlicher dem sie sich bereits im vergangenen Jahr mit 2,2 Konjunkturumfrage deuten auf einen weiteren Prozent verlangsamt hatten (2019: 2,9 Prozent). Abbau der Kurzarbeit im April und Mai hin. Die Das Wiederanziehen der wirtschaftlichen Aktivi- Zahl der Erwerbstätigen ist im ersten Quartal sai- tät im laufenden Jahr wird sich erst mit Verzöge- sonbereinigt um 48 000 Personen gegenüber rung bei den Tarifverdiensten widerspiegeln. Für dem Vorquartal gesunken. Im März und April das Jahr 2022 rechnen wir mit einer moderaten wurden allerdings bereits leichte Anstiege ver- Beschleunigung auf 1,9 Prozent. Einer höheren zeichnet. Dies war im Wesentlichen der sozial- Dynamik steht nicht zuletzt der jüngste Ab- versicherungspflichtigen Beschäftigung ge- schluss in der gewichtigen Metall- und Elektroin- schuldet; hier wurden nur im Gastgewerbe per dustrie entgegen. Nach der Nullrunde im vergan- Saldo noch Stellen abgebaut. Aber auch bei der genen Jahr wurde für Juni 2021 eine Coronaprä- ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäfti- mie in Höhe von 500 Euro und für Februar 2022 gung scheint es nach dem abermaligen Rück- eine Einmalzahlung in Höhe von 18,4 Prozent ei- schlag im zurückliegenden Winterhalbjahr eine nes Monatsgehalts (sog. Transformationsgeld) Bodenbildung gegeben zu haben. Die Arbeitslo- vereinbart. Bezogen aufs Kalenderjahr steigt sigkeit stagnierte seit Jahresbeginn in etwa; im das Tarifgehalt dadurch im kommenden Jahr Mai waren saisonbereinigt 2,74 Mill. Personen weniger stark als im laufenden Jahr, selbst wenn (Quote: 6,0 Prozent) als arbeitslos registriert. mit der nächsten Tarifrunde im Herbst 2022 eine Während die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis überdurchschnittlich hohe Abschlussrate verein- SGB III (Arbeitslosenversicherung) in diesem bart wird. Die gesamtwirtschaftlichen Effektiv- Zeitraum um rund 60 000 Personen sank, nahm verdienste (Bruttolöhne und -gehälter je Arbeit- sie im Rechtskreis SGB II (Grundsicherung) um nehmer) legen mit 3,7 Prozent (2021) und 3,8 den gleichen Betrag zu. Hierbei spielte nicht zu- Prozent (2022) deutlich stärker zu als die Tarif- letzt das Auslaufen der bis zum Ende des ver- verdienste, nachdem sie im vergangenen Jahr gangenen Jahres befristeten, um drei Monate nur stagniert hatten. Letzteres war der massiven verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld Ausweitung der konjunkturellen Kurzarbeit ge- (SGB III) eine Rolle. schuldet (Groll 2020). Auch im ersten Quartal des laufenden Jahres wurden die Effektivver- Die Erwerbstätigkeit wird sich ab Mitte des dienste durch vermehrte Kurzarbeit gedämpft. laufenden Jahres spürbar erholen. Die wirt- Mit der wirtschaftlichen Erholung ab dem zwei- schaftliche Erholung wird zunächst über einen ten Quartal wird die Kurzarbeit rasch sinken und kräftigen Anstieg der Arbeitszeit realisiert wer- die Effektivverdienste wieder stärker anziehen. den, indem die Kurzarbeit abgebaut wird und an- Für eine hohe Lohndynamik spricht auch, dass dere pandemiebedingte Arbeitsausfälle (insbe- Arbeitskräfteknappheiten wieder deutlich an Be- sondere infolge von Schul- und Kitaschließun- deutung gewonnen haben. So lag im zweiten gen) an Bedeutung verlieren. In der zweiten Quartal der Anteil der Unternehmen im Verarbei- Hälfte des Jahres wird daraufhin auch die Erho- tenden Gewerbe, die fehlende Arbeitskräfte als lung der Erwerbstätigkeit an Fahrt gewinnen. Die Produktionshindernis beklagen, bereits wieder Einstellungsbereitschaft der Unternehmen hat über dem Vorkrisenniveau und damit im histori- sich ausweislich des ifo Beschäftigungsbarome- schen Vergleich überdurchschnittlich hoch (Eu- ters bereits seit Februar stark erhöht – sowohl im ropean Business Survey der Europäischen Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleis- Kommission). tungsbereich – und liegt nun auf einem Niveau, das zuletzt vor zwei Jahren verzeichnet wurde. 12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 80 (2021|Q2) Die Zahl der offenen Stellen ist deutlich gestie- zu Buche. Deutlich langsamer steigen die mone- gen. Und auch die Einschätzungen der lokalen tären Sozialleistungen, da die Kurzarbeit im Jah- Arbeitsagenturen zur künftigen Entwicklung der resverlauf abnimmt und die Renten zur Jahres- Beschäftigung in der kurzen Frist hat sich in den mitte kaum steigen. Die Ausgaben für laufende vergangenen Monaten rasant verbessert (IAB- Übertragungen legen merklich zu, insbesondere Arbeitsmarktbarometer). Im Jahresdurchschnitt weil mit dem neuen Haushaltsrahmen die Zah- 2021 verbleibt zwar voraussichtlich noch ein lungen an die EU kräftig steigen. Angesichts des leichter Rückgang der Erwerbstätigkeit gegen- im Juni 2020 auf den Weg gebrachten Zukunfts- über dem Vorjahr von rund 10 000 Personen, pakets und den damit verbundenen Investitions- nach dem Einbruch von 450 000 Personen im hilfen dürften ferner die Vermögensübertragun- Jahr 2020. Für das Jahr 2022 ergibt sich hinge- gen spürbar aufwärtsgerichtet sein. In der gen ein kräftiger Anstieg von 760 000 Erwerb- Summe rechnen wir mit einem Fehlbetrag von stätigen. Mit der Erholung der Erwerbstätigkeit 174 Mrd. Euro (4,9 Prozent in Relation zum Brut- wird die Arbeitslosigkeit im weiteren Jahresver- toinlandsprodukt). lauf sinken. Die Arbeitslosenquote dürfte im Jah- Im Jahr 2022 dürften die Ausgaben des resdurchschnitt 2021 mit 5,8 Prozent noch unge- Staats erstmals seit dem Jahr 2011 sinken. fähr auf demselben Niveau liegen wie im Vor- Viele krisenbedingte Ausgaben entfallen im Jahr jahr. Im Jahr 2022 sinkt sie unserer Prognose 2022. Insbesondere die Ausgaben für Subven- zufolge auf 5,3 Prozent. tionen und Vorleistungen dürften deutlich nach- geben. Zugleich werden die monetären Sozial- Öffentliche Haushalte leistungen durch den Wegfall von Kinderbonus und Coronabonus, den nahezu vollständigen Im laufenden Jahr dürfte das Budgetdefizit Rückgang der Kurzarbeit und sinkende Arbeits- noch höher ausfallen als im Jahr 2020. Die losenzahlen kaum mehr als stagnieren. Mit einer konjunkturelle Belebung sorgt für sprudelnde stärkeren Dynamik rechnen wir im Zuge der fort- Steuereinnahmen. Steuerrechtsänderungen fal- laufenden Umsetzung des Zukunftspakets hin- len dabei weniger ins Gewicht. Zwar wurden die gegen bei den Vermögensübertragungen. Auch Mehrwertsteuersätze zu Jahresbeginn wieder dürften die Bruttoinvestitionen nach einer Delle angehoben und eine CO2-Abgabe eingeführt, im Jahr 2021 wieder etwas stärker zulegen. doch wurden zugleich Einkommensteuersätze gesenkt und der Solidaritätszuschlag entfiel für Die Einnahmen des Staates steigen im Jahr einen Großteil der Steuerpflichtigen. Etwas lang- 2022 rasant, gleichen das Budget aber nicht samer als von der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Beflügelt von der Konjunktur werden insbe- vorgezeichnet legen die Beitragseinnahmen zu, sondere die Steuereinnahmen in nahezu allen die im Jahr zuvor von der Kurzarbeit profitieren Bereichen kräftig steigen. Die Entwicklung am konnten. Insgesamt legen die Einnahmen kräftig Arbeitsmarkt sorgt zudem für ein klares Plus bei zu, doch steigen die Ausgaben noch schneller. den Beitragseinnahmen, infolge der rückläufigen Insbesondere die Subventionen ziehen deutlich Kurzarbeit aber unterproportional zur Lohnent- an, was darauf zurückzuführen ist, dass aus wicklung. Zudem gehen wir davon aus, dass ne- Bundesmitteln die EEG-Umlage gemindert ben der Beitragssatzanhebung für Kinderlose in wurde und Coronahilfen an Unternehmen und der Pflegeversicherung nur vereinzelt Kranken- Selbstständige ausgeteilt werden. Hier spielt kassen noch Zusatzbeiträge anheben, weil ein eine Rolle, dass die November- und Dezember- höherer Bundeszuschuss zum Gesundheits- hilfen überwiegend erst im laufenden Jahr aus- fonds geleistet werden dürfte. Die sonstigen Ein- gezahlt wurden. Ein kräftiges Plus verzeichnen nahmen werden merklich zulegen, weil mit Zu- die sozialen Sachleistungen, da im ersten Jahr weisungen von Seiten der EU für den deutschen der Pandemie medizinische Behandlungen un- Aufbau- und Resilienzplan zu rechnen ist. Insge- terblieben und nun Nachholeffekte auftreten samt steigen die Einnahmen deutlich. In Summe dürften. Deutlich schwächer als im Vorjahr, aber dürfte dennoch ein Defizit in Höhe von 50 Mrd. immer noch mit hohen Raten, legen die Vorleis- Euro (1,3 Prozent in Relation zum Bruttoinlands- tungskäufe zu – hier schlagen weiterhin umfang- produkt) verbleiben. reiche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung 13
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