Kosovo: Gewalt gegen Frauen und Rückkehr von alleinstehenden Frauen - Themenpapier

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Kosovo: Gewalt gegen Frauen und
Rückkehr von alleinstehenden
Frauen

Themenpapier

Adrian Schuster

Bern, 7. Oktober 2015
Impressum

HE R AU SG EB E R IN
                                Schweizerische Flüchtlingshilf e SFH
                           Postfach 8154, 3001 Bern
                           Tel. 031 370 75 75
                           Fax 031 370 75 00
                           E-Mail: info@fluechtlingshilfe. ch
                           Internet: www.fluechtlingshilfe. ch
                           Spendenkonto: PC 30-1085-7

AUT O R                    Adrian Schuster

S PR AC HV E RS I O NE N   deutsch, französisch

CO PY R I G HT
                           © 2015     Schweizerische Flücht lingshilfe SFH, Bern
                           Kopieren und Abdruck unter Quellenangabe erlaubt.
Inhaltsverzeichnis
1   Einleitung .................................................................................................... 1

1   Gewalt gegen Frauen ................................................................................. 1
    1.1     Verbreitung und Stigmatisierung ........................................................... 1
    1.2     Zugang zu staatlichem Schutz .............................................................. 4

2   Schutz und Unterstützung durch Frauenhäuser ....................................... 10

3   Soziale und wirtschaftliche Situation betroffener Personen .................... 12
    3.1     Wirtschaftliche Situation, Zugang zu Sozialhilfe und Unterkunft für
            rückkehrende Frauen ......................................................................... 12
    3.2     Reintegrationsunterstützung für von Gewalt betroffene Personen ........ 18
1        Einleitung
Einer Anfrage an die SFH-Länderanalyse haben wir die folgenden Fragen entno m-
men:

    1. Werden Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt in Kosovo stigmatisiert?

    2. Werden von häuslicher oder sexueller Gewalt betroffene Frauen in Kosovo
       effektiv durch staatliche Institutionen (Pol izei, Gerichte) geschützt?

    3. Können Frauenhäuser effektiven und langfristigen Schutz bieten?

    4. Wie ist die wirtschaftliche und soziale Situation für eine alleinstehende Frau
       (unverheiratet, geschieden oder getrennt) mit oder ohne Kindern und ohne
       soziales Netzwerk bei einer Rückkehr in den Kosovo? Wie ist die wirtschaftl i-
       che und soziale Situation für eine rückkehrende von Gewalt betroffenen
       Frau?

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH beobachtet die Entwicklungen in Kosovo
                     1                                2
seit mehreren Jahren. Aufgrund von Expertenauskünften und eigenen Recherchen
nehmen wir zu den Fragen wie folgt Stellung:

1        Gewalt gegen Frauen

1.1      Verbreitung und Stigmatisierung
Hohe Akzeptanz der Gewalt gegen Frauen. Laut des Kosovo-Länderreports des
Deutschen Bundesamts für Migration und Flüc htlinge vom Mai 2015 ist geschlechts-
spezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen (Belästigung, Vergewaltigung, häu s-
liche Gewalt, Zwangsprostitution, Menschenhandel, frühe Verheiratung) weit verbre i-
                                            3
tet und vorherrschend kulturell akzeptiert . Nach Angaben von Igballe Rogova, der
                                         4
Direktorin des Kosovo Women‘s Network , ist das Problem nicht nur die Haltung der
Männer, sondern auch die hohe Akzeptanz der Gewalt unter den Frauen. Oft höre
Rogova von Frauen, dass das Opfer «die Schläge des Ehemanns verdient» habe .

1
    www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender .
2
    Entsprechend den COI-Standards verwendet die SFH öffentlich zugängliche Quellen. Lassen sich
    im zeitlich begrenzten Rahmen der Recherche keine Informationen finden, werden Experten beig e-
    zogen. Die SFH dokumentiert ihre Quellen transparent und nachvollziehbar. Aus Gründen des Que l-
    lenschutzes können Kontaktpersonen anonymisiert werden.
3
    Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Kosovo Länderreport Band 3, Aktuelle Lage –
    Rechtsstaatlichkeit – Menschenrechtslage, Mai 2015, S. 34:
    www.ecoi.net/file_upload/4543_1432796577_kosovo -laenderreport-2015-05.pdf.
4
    Das Kosovo Women‘s Network (KWN) ist nach eigenen Angaben ein Netzwerk, welches sich auf
    lokaler, regionaler und internationaler Ebe ne für die Frauen Kosovos einsetzt. KWN vertritt die Inte-
    ressen von 88 Mitgliedern, darunter Frauenorganisationen aller ethnischen Gruppen aus ganz K o-
    sovo.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                   Seite   1 von 20
Laut einer aktuellen Studie von UNICEF und der Kosovo Statistics Agency haben in
einer Umfrage rund 33 Prozent der befragten Frauen zwischen 15 und 49 Jahren
angegeben, dass ein Mann das Recht habe, seine Frau zu schlagen, wenn diese
das Haus verlasse, ohne es ihm zu sagen. Das Gleiche gelte, wenn die Frau die
Kinder vernachlässige, wenn die Eheleute einen Streit hätten, wenn die Ehefrau
Geschlechtsverkehr verweigere oder wenn sie das Essen anbrenne. Wenn weitere
«Fehler» der Liste zugefügt wurden, erhöht e sich der Anteil der Frauen, die Gewalt
befürworten, auf über 42 Prozent. So gaben sie an, dass sie gegen Frauen gericht e-
te Gewalt in Situationen für berechtigt halten, wenn die Frauen sich nicht genügend
um den Haushalt und die Hygiene oder um die Eltern des Ehemanns kümmerten. Als
weiterer berechtigter Grund für Gewalt gegen Frauen gilt für über 42 Prozent der
Befragten, wenn die Ehefrau Entscheidungen bezüglich der Familie treffe, ohne den
                     5
Ehemann zu fragen.

Massive Stigmatisierung und Isolation der O pfer sexueller Gewalt. Kosovo ist
weiterhin eine patriarchale Gesellschaft. Verschiedene Quellen belegen, dass Opfer
sexueller Gewalt innerhalb der eigenen Familie und in der Gesellschaft stigmatisiert
        6
werden. Auch innerhalb der Roma-Gemeinschaft werden Opfer sexueller Gewalt in
                                                               7
Kosovo laut den Angaben der NGO Women Wellness Center in gleicher W eise
              8                                 9
stigmatisiert. Laut der Politologin Sidita Kushi von der Northeastern University in
Boston versuchen Frauen in Kosovo aufgrund gesellschaftlicher Normen die Fami-
lienehre der männlichen Verwandten zu retten und empfinden oft qualvolle persön-
                                                            10
liche Scham für die kriminellen Taten der männlichen Täter. Unverheiratete Opfer
sexueller Gewalt werden laut der NGO Women Wellness Center in Kosovo oft mit
älteren Männern verheiratet oder im schlimmsten Fall zu Opfern von Menschenha n-
    11
del. Frauen, die eine Vergewaltigung melden, riskieren soziale Isolation und aus
den eigenen Familien ausgestossen, vom Ehemann geschieden sowie «unverheirat-
                12
bar» zu werden. Manchmal verhindern auch männliche Verwandte, dass eine Frau
eine Vergewaltigung meldet. Eine Vergewaltigung wird laut der Politologin Sidita
Kushi in Kosovo oft als Ereignis wahrgenommen, welches «schlimmer als der Tod»

5
   Balkan Insight, Kosovo women justifies male violence, 8.April 2015:
   www.balkaninsight.com/en/article/kosovo-women-mostreceptive-to-violence-in-the-region-says-survery-
   1.
6
   US Department of State (USDOS), Country Report on Human Rights Practices 2014 – Kosovo, 25.
   Juni 2015: www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2014/eur/236540.htm; E-Mail-Auskunft der NGO Women
   Wellness Center vom 25. Juni 2015; E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Cen-
   ter vom 23. Juni 2015.
7
   Die NGO W omen Wellness Center führt in Peja in Kosovo ein Frauenhaus und ein psychosoziales
   Beratungszentrum für gewaltbetroffene Fraue n. Die NGO macht Öffentlichkeitsarbeit und arbeitet
   eng mit den Behörden zusammen. Sie ist zurzeit auch Koordinationsstelle für das Netzwerk aller
   Frauenhäuser in Kosovo. E-Mail-Auskunft vom 25. Juni 2015 von Nina Hössli, Programmverantwor t-
   liche der feministischen Friedensorganisation Christlicher Friedensdienst (cfd) für Bosnien-
   Herzegowina und Kosova; Christlicher Friedensdienst (cfd), Projekte in Kosova, Women’s Wellness
   Center WWC, Beratungsstelle und Frauenhaus für von Gewalt betroffene Frauen, 2014: www.cfd-
   ch.org/pdf/empowerment/Projektblaetter/WWC_2014.pdf .
8
   E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
9
   Die ursprünglich aus Albanien stammende Politologin Sidita Kushi doktoriert zurzeit an der Abtei-
   lung für Politikwissenschaften an der Northeastern University in Boston. Ihr Forschungsfokus liegt
   auf der Balkanregion und Osteuropa.
10
   Sidita Kushi, Women of Kosovo: a mirage of freedom and equality, Open Democracy, 1. Juli 2015:
   www.opendemocracy.net/5050/sidita-kushi/women-of-kosovo-mirage-of-freedom-and-equality.
11
   E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
12
   Kosovo Women’s Network (KWN), Exploratory Research on The Extent of Gender -Based Violence
   in Kosova and Its Impact on Women’s Reproductive Health , 2008, S. 15:
   www.womensnetwork.org/documents/20130120165614663.pdf .

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                Seite   2 von 20
sei, weil «die Entehrung auch die männlichen Verwan dten treffe». Gemäss Kushi
würden sich viele Männer weigern, eine dieser «beschmutzten» und «berührten»
Frauen zu heiraten. Ehemänner würden oft ihre Ehefrauen verlassen, nachdem sie
von der Vergewaltigung erfahren hätten. Exemplarisch sei, dass nur sehr w enige der
Opfer, welche während des Kosovo-Konflikts vergewaltigt worden waren, öffentlich
über ihr traumatisches Erlebnis gesprochen hätten, da dies eine immense Erniedr i-
                                                      13
gung für ihre Familien und ihre Dörfer bedeutet hätte. Radio Free Europe berichte-
te im Mai 2014 ebenfalls von der enormen Stigmatisierung, welcher Vergewalt i-
gungsopfer ausgesetzt sind. So hatte laut des Artikels eine Frau bis heute ihrem
Ehemann verschwiegen, dass sie und ihre Töchter vor mehr als 15 Jahren vergewa l-
tigt worden waren, weil sie befürchtete, dass sie Schande und Isolation über ihre
Familie bringen würde. Eine ihrer Töchter sei zudem von ihrem Ehemann verlassen
                                                                        14
worden, als dieser herausfand, dass sie früher vergewaltigt worden war.

Stigmatisierung der Opfer häuslicher Gewal t. Opfer häuslicher Gewalt erleben
laut Kushi eine ähnliche Stigmatisierung wie die Opfer sexueller Gewalt. Häusliche
Gewalt werde wie Vergewaltigung als private Angelegenheit betrachtet. Eine Frau
beeinträchtige die Familienehre, wenn sie den Täter denunz iere. Die kulturellen
Normen führten dazu, dass nicht der Gewalttäter, sondern das Opfer Scham empfi n-
den müsse und nicht über das Erlebte zu sprechen wage. Schliesslich seien Frauen
wirtschaftlich und sozial so stark von ihren Ehemännern abhängig, dass sie befürch-
teten, ihre Kinder und die Familiengemeinschaft zu verlieren. Zudem führe Angst vor
                                                                15
weiterer Gewalt dazu, dass das Erlebte verschwiegen werde. Der aktuelle Men-
schenrechtsbericht des US Department of State (USDOS) vom 25. Juni 2015 weist
ebenfalls daraufhin, dass Frauen, welche sich wegen häuslicher Gewalt an Pers o-
                                                                          16
nen ausserhalb der Familie wenden, gesellschaftlich stigmatisiert werden.

Enormer Druck auf Frauen, beim gewalttätigen Ehemann zu bleiben. Laut eines
                                      17
Artikels der Soziologin Elife Krasniqi vom 26. November 2014 werden Gewaltopfer
unter Druck gesetzt, mit dem gewalttätigen Ehemann weiterhin zusammen zu leben.
Oft versuchen zuständige Behördenstellen, die Frauen zu überzeugen, die Familie
zu retten und sich nicht vom Ehemann zu trennen, auc h wenn dies bedeute, dass
                                          18
die Frau weiterhin Gewalt ausgesetzt ist. Nach den am 14. September 2015 g e-
machten Angaben einer Kontaktperson des Kosovo Women’s Network, steht eine
verheiratete und getrennt lebende Frau unter enormem gesellschaftlichem Druck, zu
ihrem gewalttätigen Mann zurückzukehren und bei ihm zu leben. Dazu kommt ein
grosser wirtschaftlicher Druck, da die meisten Frauen völlig von der finanziellen
Unterstützung durch ihre Familie abhängig sind. Handlungen gegen den Willen der
                                                                      19
Familie kann Frauen in eine ökonomisch sehr verletzliche Lage bringen. Auch eine

13
     Sidita Kushi, Women of Kosovo, Open Democracy, 1. Juli 2015.
14
     Radio Free Europe / Radio Liberty (RFE/RL), How Long Can You Keep A Secret For Kosovo's Wa r-
     time Rape Victims, The Answer I s Maybe Forever, 29. Mai 2014: www.rferl.org/content/kosovo -
     wartime-rape-victims-kept-secret/25403115.html.
15
     Sidita Kushi, Women of Kosovo, Open Democracy, 1. Juli 2015.
16
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
17
     Die Soziologin Elife Krasniqi forscht zu Familie und sozialer Sicherheit in Kosovo und hat langjähr i-
     ge Berufs- und Forschungserfahrung in Kosovo. Elife Krasniqi doktoriert an der Karl -Franzens-
     Universität Graz.
18
     Elife Krasniqi, Women’s security – between patriarchy in the family and patriarchy of the state ,
     Kosovo 2.0, 26. November 2014: http://kosovotwopointzero.com/en/article/1381/womens -security-
     between-patriarchy-in-the-family-and-patriarchy-of-the-state.
19
     E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women‘s Network vom 14. September 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                     Seite   3 von 20
geschiedene Frau stehe laut der Soziologin Elife Krasniqi unter sehr hohen Druck,
zu ihrem Mann zurückzukehren. Oft werden in Kosovo Ehen ohne Unterzeichnung
offizieller Dokumente traditionell geschlossen. Dies mache für die Frau die Ford e-
rung nach Alimenten oder Teilhabe am Familienvermögen bei einer Trennung oder
                          20
Scheidung sehr schwierig.

Hohe Verbreitung und hohe Dunkelziffer bezüglich häuslicher Gewalt und Ve r-
gewaltigungsfällen. Laut des aktuellen Berichts von USDOS vom 25. Juni 2015 ist
häusliche Gewalt gegen Frauen, inklusive Missbrauch und Misshandlungen inne r-
halb der Ehe, ein schwerwiegendes und anhaltendes Problem in Kosovo. Häusliche
Gewalt ist laut derselben Quelle die am weitest en verbreitete Form geschlechtsspe-
                                                        21
zifischer Gewalt. Fast immer sind die Opfer Frauen . In den letzten drei Jahren
wurden nach offiziellen Angaben jährlich zirka 1000 Fälle geschlechtsspezifischer
                                                                    22
Gewalt gemeldet. Im Jahr 2014 hat sich die Zahl auf 1200 erh öht. Laut Fachleuten
                                                                       23
soll die Zahl der tatsächlichen Übergriffe exponentiell höher sein . Gemäss des
Kosovo-Länderreports des Deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
vom Mai 2015 werden viele der Taten aus Angst vor Repression oder wegen fehle n-
                                                           24
der sozialer Unterstützung nicht zur Anzeige gebracht . Die traditionelle gesell-
schaftliche Haltung gegenüber Frauen in Kosovos von Männern dominierten Gesell-
schaft ist laut USDOS eine der Hauptursachen sowohl der hohen Verbreitung häu s-
licher Gewalt als auch der tiefen Zahl der dokumentierten und gemeldeten Fälle.
Laut USDOS geben Anwältinnen und Anwälte an, dass Opfer Übergriffe nicht me l-
den, weil sie den gerichtlichen Institutionen nicht trauen. W eiter tragen die gesel l-
schaftliche Stigmatisierung, die Abl ehnung durch Familienmitglieder sowie die ung e-
nügenden Optionen für die Opfer – wie zum Beispiel der Mangel an Frauenhäusern
und die schlechten Chancen der Betroffenen, eine Arbeit zu finden – dazu bei, dass
häusliche Gewalt kaum gemeldet werde. Gleich wie bei den Fällen häuslicher Ge-
walt entspricht laut des Berichts von USDOS vom 25. Juni 2015 die Zahl der geme l-
deten Vergewaltigungen nicht dem tatsächlichen Ausmass. Laut Beobachtern we r-
den Fälle von Vergewaltigungen in bedeutendem Ausmass untererfasst. Gru nd da-
für, dass viele Opfer Vergewaltigungen nicht melden, ist laut derselben Quelle unter
anderem die gesellschaftliche Stigmatisierung der Vergewaltigungsopfer und ihrer
          25
Familien.

1.2      Zugang zu staatlichem Schutz
Gesetzliche Lage zu häuslicher Gewalt. Der Schutz gegen häusliche Gewalt wird
nach Angaben der kosovarischen Polizei spezifisch durch das Gesetz Nummer 3 /L-

20
     E-Mail-Auskunft der Soziologin Elife Krasniqi vom 9. September 2015.
21
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
22
     Informationen der Kosovo Police auf Anfrage der NGO Gender Training and Re search Center. E-
     Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .; UN Mission in
     Kosovo (UNMIK) Media Monitoring, Around 1200 women reported domestic violence (Epoka e Re),
     23. Februar 2015: http://media.unmikonline.org/?p=49361 .
23
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
24
     Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Kosovo Länderreport Band 3, Aktuelle Lage –
     Rechtsstaatlichkeit – Menschenrechtslage, Mai 2015, S. 34:
     www.ecoi.net/file_upload/454 3_1432796577_kosovo-laenderreport-2015-05.pdf.
25
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015             Seite   4 von 20
26            27
182 geregelt. Häusliche Gewalt ist gesetzlich verboten. Erfolgt eine strafrechtl i-
che Verurteilung, so können Gefängnisstrafen von sechs Monat en bis zu fünf Jahren
verhängt werden. Personen, welche sich bedroht fühlen, können einen Antrag für
eine Schutzverfügung stellen. Allerdings wird nach Gesetz häusliche Gewalt als ziv i-
le Angelegenheit behandelt, ausser das Opfer erleidet physischen Schaden . Ein
Verstoss gegen den Entscheid eines Zivilgerichts bezüglich häuslicher Gewalt stellt
                                                       28
laut USDOS eine kriminelle und strafbare Handlung dar.

Gesetzliche Lage zu Vergewaltigung. Das Gesetz kriminalisiert zwar Vergewalt i-
gung, befasst sich aber nicht explizit mit Vergewaltigung in der Ehe. Nach Gesetz
kann für Vergewaltigung eine Gefängnisstrafe zwischen zwei und 15 Jahren ve r-
hängt werden. Für die Vergewaltigung einer Person, die jünger als 16 Jahre ist, sind
zudem Strafen zwischen fünf und 20 Jahren vorg esehen. Vergewaltigung in Zusam-
menhang mit einer Tötung kann zu Strafen zwischen zehn Jahren und lebenslän g-
             29
lich führen.

Unterschiedliche Berichte zum Verhalten der Polizei. Die kosovarische Polizei
hat laut eigenen Angaben eine spezielle Abteilung für hä usliche Gewalt. So habe es
in jeder Polizeistation in Kosovo zwei Untersuchungsbeamte, welche einen 24 -
Stunden-Bereitschaftsdienst unterhalten. Die Polizei habe ebenfalls standardisierte
                                                30
Arbeitsabläufe bei Eingang derartiger Anzeigen. Die spezialisierten Einheiten der
Polizei führen bei Anzeigen bezüglich häuslicher Gewalt die Untersuchungen durch
                                                 31
und übergeben die Fälle der Staatsanwaltschaft. Zudem informiert die Polizei die
                                                                          32
zuständigen Akteure, welche kostenlose Rechtshilfe für Opfer anbieten. Laut US-
DOS soll die Polizei zwar angemessen auf Meldungen von Vergewaltigungen und
                                      33
häuslichem Missbrauch reagiert haben , jedoch kommt es laut des Deutschen Bun-
desamts für Migration und Flüchtlinge immer noch vor, dass die Behörden auf An-
zeigen ungenügend und zögerlich reagieren, oder dass der Schutz der Opfer nicht
                           34
ausreichend beachtet wird. Nach Angaben einer Kontaktperson des Kosovo Wo-
men’s Network vom 17. September 2015 weisen auch die Recherchen der NGO d a-
                                                                           35
rauf hin, dass die Reaktion der Polizei äusserst unte rschiedlich ausfällt. Gemäss
den Praxiserfahrungen der spezialisierten NGO Women Wellness Center, welche in
der Stadt Peja ein Frauenhaus betreibt, sei die Reaktion der Polizei vielfach nicht
angemessen. So würde diese oft Partei für die Männer ergreifen, die Opfer beschul-
digen und weitere Beweise verlangen. Häufig bieten die staatlichen Institutionen laut

26
     Assembly of Republic of Kosovo, Law No.03 / L –182, Law on protection against domestic violence,
     Official Gazette of the Republic of K osovo, Pristina: Year V / No. 76, 10. August 2010:
     www.kosovopolice.com/repository/docs/Law_on_protection_against_domestic_violence.pdf .
27
     Informationen der Kosovo Police auf Anfrage der NGO Gender Training and Research Center. E-
     Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
28
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
29
     Ebenda.
30
     Informationen der Kosovo Police auf Anfrage der NGO Gender Training and Research Center. E-
     Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
31
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
32
     Informationen der Kosovo Police auf Anfrage der NGO Gender Training and Research Center. E-
     Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015.
33
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
34
     BAMF, Kosovo Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 34.
35
     E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women’s Network vom 17. September 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                Seite   5 von 20
derselben Quelle keinen effektiven Schutz für Opfer sexueller und häuslicher G e-
      36
walt.

Keine Kontrolle der Einhaltung der Schutzverfügungen. Das Gesetz Nummer 3
/L-182 sieht drei verschiedene Schutzverfügungen vor:

         Die «normale» Schutzverfügung (protection order) kann durch ein Gericht er-
          lassen werden, welches innerhalb von 15 Tagen über einen Antrag entsche i-
          det. Eine Schutzverfügung kann für eine Dauer von bis zu zwölf Monaten
                                                                    37
          verhängt und bis auf maximal 24 Monate verlängert werden.

         Die Notfall-Schutzverfügung (emergency protection order), wird temporär
          durch ein Gericht innerhalb von 24 Stunden nach dem Antrag ausgestellt.
          Nach acht Tagen wird eine gerichtliche Anhörung durchgeführt, anhand derer
          entschieden wird, ob die Schutzverfügung aufgehoben oder in eine «norm a-
                                                 38
          le» Schutzverfügung umgewandelt wird.

         Die temporäre Notfall-Schutzverfügung (temporary emergency protection or-
          der) kann schliesslich von der kosovarischen Polizei ausserhalb der Arbeit s-
          zeiten der Gerichte erlassen werden, wenn der Täter nach Ansicht der Pol i-
                                                              39
          zei eine unmittelbare und drohende Gefahr darstellt. Die temporäre Notfall-
          Schutzverfügung ist nur gültig bis zum Ende des nächsten Tages, an wel-
                                         40
          chem das Gericht geöffnet ist.

Nach Angaben des Women Wellness Center vom 25. Juni 2015 stellen zwar viele
Richterinnen und Richter Schutzverfügungen aus und es sei in der Regel für eine
                                                        41
bedrohte Person nicht schwer, eine solche zu erhalten. Auch die NGO Gender
                               42
Training and Research Center sieht in der Ausstellung der Schutzverfügung keine
Schwierigkeiten. Allerdings liege das Problem bei der Umsetzung der Schutzverf ü-
                                                            43
gungen. Diese garantieren deshalb keinen effektiven Schutz. So wird nach Anga-
ben des Women Wellness Center vom 25. Juni 2015 die Einhaltung der Schutzver-
                                                           44
fügung durch den Täter von niemandem effektiv kontrolliert. Die Schutzverfügung
untersage dem Täter zwar, das Opfer anzugreifen, mit ihm zu sprechen oder Kontakt
zu haben. In der Regel muss das Opfer aber trotz Schutzverfügung weiterhin im se l-
ben Haus mit dem Täter leben. Nach Einschätzung der NGO Gender Training and
Research Center kann eine Schutzverfügung in dieser Konstellation in vielen Fällen

36
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
37
     Organization for Security and Cooperation in Europe ( OSCE) Mission in Kosovo, Catalogue of Ad-
     vice and Assistance for Domestic Violence Victims , 2012, S. 6ff:
     www.osce.org/kosovo/88708?download=true.
38
     Ebenda, S. 10.
39
     Ebenda, S. 14; Informationen der Kosovo Police auf Anfrage der NGO Gender Training and Res e-
     arch Center. E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015.
40
     OSCE Mission in Kosovo, Catalogue of Advice and Assistance for Domestic Violence Victims , 2012,
     S. 14.
41
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
42
     Das Gender Training and Research Center GTRC in Pristina in Kosovo ist ein Beratungs- und Kom-
     petenzzentrum zu Genderfrag en, das den Austausch von Expert innen und Experten unterstützt und
     eng mit politischen Akteurinnen und Akteuren daran arbeitet, dass bestehende Gesetze verbessert
     werden oder besser umgesetzt werden. cfd, Projekte in Kosovo, Gender Training and Research
     Center GTRC, Schulungen zur Gleichstellung von Frau und Mann und Aufklärung zu Internetkrim i-
     nalität, 2015: http://www.cfd-ch.org/pdf/empowerment/Projektblaetter/GTRC_2015.pdf .
43
     E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
44
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015               Seite   6 von 20
zu weiteren Spannungen und Angriffen des Täters gegen das Opfer auch aus Rache
       45
führen. Women Wellness Center nennt als Beispiel einen Fall vom April 2015. Da-
bei stellte ein Richter eine Schutzverfügung gegen den Ehemann aus und teilte der
Ehefrau mit, dass sie im selben Haus mit dem Täter leben müsse. Die Frau ging in
der Folge nach Hause und wurde noch in derselben Nacht von ihrem Ehemann b e-
                        46
droht und angegriffen.

Niedrige Strafverfolgungsrate, lange Dauer der Verfahren . Die Strafverfolgungs-
rate der Fälle häuslicher und sexueller Gewalt ist nach Angaben von USDOS vom
25. Juni 2015 niedrig. Laut den Büros der Staatsanwaltschaften liege dies an Loyali-
tätsverpflichtungen innerhalb der Familien sowie der Armut, welche Aussagen ve r-
hinderten. Weiter sei die niedrige Strafverfolgungsrate auc h auf den Rückstand bei
                                                                          47
der Bearbeitung der Fälle in Zivil- und Strafgerichten zurückzuführen. Dies wird
durch die Einschätzung der NGO Gender Training and Research Center vom 23.
Juni 2015 bestätigt, wonach Gerichtsfälle viel zu lange dauerten, bis sie e ntschieden
werden. Die Gerichte seien durch grosse Fallzahlen in anderen Bereichen überlas-
tet. Es fehle an Richtern und Fachkräften, um die Fälle in angemessener Zeit zu
bearbeiten. Laut der NGO gebe es Gerichtsfälle, welche sich über Jahre, manchmal
                        48
Jahrzehnte, hinziehen.     Die Europäische Kommission kritisierte in ihrem For t-
schrittsbericht vom 8. Oktober 2014 ebenfalls, dass der Rückstand bei der Bearbei-
                                                                               49
tung der Fälle ein grosses Problem des kosovarischen Justizsystems sei. Opfer
                                                                                     50
werden durch die langwierigen und verzögerten gerichtlichen Verfahren entmutigt.
Zudem nehme bei lange andauerndem Verfahren der Druck durch Familienmitglieder
zu, die Klage zurückzuziehen. Weiter wird von befragten Opfern angegeben, dass
Gerichtsvertreter Geldzahlungen von ihnen forderten, damit ein Verfahren schneller
bearbeitet werde. Schliesslich berichten Opfer, dass Institutionen Informationen
nicht vertraulich behandelten. Dadurch bestehe akute Gefahr, dass weite Kreise von
der Anklage bezüglich häuslicher Gewalt erfahren w ürden, was für die Betroffenen
                                                             51
eine gesellschaftliche Stigmatisierung zur Folge haben kann.

Keine verlässlichen Statistiken über Verurteilungen und Hinweise auf Benach-
teiligungen durch die Justiz. Nach Angaben der NGO Kosovo Women’s Network
gibt es keine klaren Angaben über die tatsächlich verhängten Strafen bei Fällen .
Gerichte erfassen ihre Gerichtsakten nicht elektronisch und diese werden nicht zen t-
ral gesammelt. Um genaue Daten zu Gerichtsurteilen bezüglich häuslicher oder s e-
xueller Gewalt erheben zu können, müssten Gerichtsakten im ganzen Land manuell
                    52
kontrolliert werden. Auch der jüngste Fortschrittsbericht der Europäischen Ko m-
mission vom 8. Oktober 2014 kritisiert die fehlende systematische Datenerfassung
                                                                   53
der staatlichen Institutionen zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Von Gerichten

45
     E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
46
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
47
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
48
     E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
49
     Europäische Kommission, Kosovo 2014 Progress Report, 8. Oktober 2014, S. 14:
     www.ecoi.net/file_upload/1226_1413192446_20141008 -kosovo-progress-report-en.pdf.
50
     Sidita Kushi, Women of Kosovo, 1. Juli 2015; KWN, More than Words on Paper, The Response of
     Justice Providers to Domestic Violence in Kosovo, 2009, S. 71:
     www.womensnetwork.org/documents/20130120165443203.pdf .
51
     KWN, More than W ords on Paper, 2009, S. 71.
52
     E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women’s Network vom 17. September 2015;
     KWN, More than W ords on Paper, 2009, S. 12f.
53
     Europäische Kommission, Kosovo 2014 Progress Report, 8. Oktober 2014, S. 18.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015             Seite   7 von 20
gegen Täter verhängte Strafen liegen laut USDOS in der Regel zwischen einer blo s-
                                              54
sen Ermahnung bis hin zu Gefängnisstrafen. Kosovo Women’s Network stellte in
der Vergangenheit fest, dass Strafen oft niedriger als gesetz lich vorgesehen ausfal-
    55
len. Es gibt Hinweise, dass betroffene Frauen im Justizsystem benachteiligt we r-
den könnten. So sieht USDOS die Behandlung der Frauen durch die Justizbehörden
durch den traditionell niedrigen Status der Frauen innerhalb der Familie be ein-
       56
flusst. Die Politologin Sidita Kushi ist der Ansicht, dass Klagebegehren von durch
Gewalt betroffene Frauen vor Gerichten oft ignoriert werden. Zudem würden Ge-
                                                                          57
richtsentscheide zugunsten der Frauen oft nur ungenügend durchgesetzt.

Nach Angaben einer Fachperson eines Frauenhauses bestehen bei Fällen häusl i-
cher Gewalt insbesondere gegenüber Frauen institutionelle Vorurteile. Die Versö h-
nung der Ehepartner wird laut Kosovo Women’s Network durch Staatsanwaltschaft
und Richterschaft oft präferiert und die Sc hwere der Übergriffe wird aufgrund ihrer
                                       58
«privaten Natur» nicht richtig erfasst. Nach den aktuellen Erfahrungswerten der
NGO Women Wellness Center ist die Umsetzung der entsprechenden Gesetzesb e-
stimmungen ungenügend. Women Wellness Center verweist als Beispiel auf die
niedrige Zahl der bestraften Täter der Übergriffe, von welchen die NGO Kenntnis
hat. So wurden lediglich drei der Täter der Übergriffe gegen die rund 60 in ihrem
Frauenhaus untergebrachten Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt für jeweils 24
                    59
Stunden inhaftiert.

Dokumentiertes Beispiel. Ein beispielhafter und durch die NGO Women Wellness
Center dokumentierter Fall verdeutlicht einerseits, dass verhängte Strafen oft niedr i-
ger als die Mindeststrafe ausfallen. Zudem zeigt er auf, unter welchem Druck Opfer
auch nach der Verurteilung eines Täters stehen können. Laut den Angaben der NGO
wurde der Vergewaltiger eines minderjährigen 16 -jährigen Mädchens zu vier Jahren
Gefängnis verurteilt. Drei Jahre nach der Tat heiratete das Opfer einen anderen
Mann und bekam ein Kind. Nach der Verbüssung der Strafe suchte der Täter mitten
in der Nacht das Haus des Opfers auf, bedrohte den Ehemann und erniedrigte das
                            60
Opfer in der Öffentlichkeit. Das Mädchen wurde infolge dieses Zwischenfalls nach
Angaben der NGO gesellschaftlich stigmatisiert. Die Familie des Ehemanns b e-
schuldigte sie, dass sie deren Sohn in Gefahr bringe. Die Polizei wi ederum lehnte es
ab, gegen den Täter vorzugehen. Dieser habe seine Strafe im G efängnis verbüsst
                                         61
und die Polizei könne nichts weiter tun.

Eingeschränkte Unterstützung durch kostenlose Rechtshilfe. Laut verschiede-
nen Quellen bietet die Free Legal Aid Agency in Regionalbüros für Rechtsfragen vor
allem in zivilen und administrativen Fragen kostenlose Re chtshilfe für Personen mit
niedrigen Einkommen an. Weiterhin scheint nach im März 2015 gemachten A ngaben
der norwegischen Botschaft die nachhaltige Finanzierung d ieser kostenlose Rechts-

54
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
55
     KWN, More than W ords on Paper, 2009, S. 40ff.
56
     USDOS, Country Report on Human Rights Practi ces 2014, 25. Juni 2015.
57
     Sidita Kushi, Women of Kosovo, Open Democracy, 1. Juli 2015.
58
     KWN, More than W ords on Paper, 2009, S. 41f.
59
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
60
     Deutlich für die Nachbarn hörbar soll der Täter dem Ehemann des Opfers gesagt haben, er habe
     die Ehefrau des Täters «gestohlen». Der Täter forderte den Ehemann auf, ihm dessen Ehefrau z u-
     rück zu geben oder 100‘000 Euro zu zahlen.
61
     Das Mädchen hatte schliesslich nach Angaben der NGO keinen Ausweg mehr g esehen und das
     Land verlassen. E-Mail-Auskunft der NGO Women Wellness Center vom 25. Juni 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                Seite   8 von 20
hilfe eine grosse Herausforderung. Im Jahr 2014 stellten rund acht der Regionalbü-
ros wegen fehlender Finanzierung für insgesamt sieben Monate ihre Tätigke iten ein
                                                          62
oder konnten nur mit Freiwilligenarbeit betrieben werden. Das kosovarische Jus-
tizministerium weist 2014 darauf hin, dass der Zugang zu Rechtshilfe für die Bevöl-
kerung weiterhin eingeschränkt ist. Die mangelhafte physische Infrastruktur der Free
Legal Aid Agency bleibe eine grosse Herausforderung und die Zusammenarbeit di e-
                                                              63
ser Agency mit anderen Institutionen müsse verbessert werden.

Das Büro des Generalstaatsanwalts unterhält zudem eine Abteilung von Anwälten
                                                               64
für Opfer (Victim Assistance Unit) mit 14 Büros im ganzen Land. Die Abteilung bie-
te kostenlose rechtliche Unterstützung für Opfer aller Verbrechen und habe einen
speziellen Fokus auf Opfer häuslicher Gewalt, Menschenhandel, Kindsmissbrauch
                      65
und Vergewaltigung. Nach Angaben des Women Wellness Center vom 25. Juni
2015 ist die Vertretung durch diese Anwältinnen und A nwälte für die Betroffenen
aber nicht immer hilfreich. Die Opfer-Anwälte warten bei Gerichtsverhandlungen im
Gericht auf die betroffenen Personen und suchen praktisch nie die Opfer vorher per-
sönlich auf, um die Verhandlung vorzubereiten oder zu besprechen. Die betroffenen
Frauen hätten in der Folge keine Vorstellung, was vor Gericht pa ssiert und ziehen
die Anklage in den meisten Fällen während der ersten Gerichtsverhandlung zurück.
                                                                     66
In der Folge kehrten die Frauen mit den Tätern nach Hause zurück. Eine Studie
von Kosovo Women’s Network weist gestützt auf Angaben der Opfer zudem darauf
hin, dass sich die Anwälte bei der Vertretung der Int eressen der Opfer vor Gericht
                                   67
ungenügend und passiv verhalten.

Zusätzlich erschwerte Situation für Angehörige der Roma-Ethnie. Laut des Ko-
sovo-Länderreports des Deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
Mai 2015 sind Roma-Frauen und Frauen aus unterentwickelten ländlichen Gebieten
mit geringer Bildung oder aus einkommensschwachen Familien besonders betroffen
                                    68
von geschlechtsspezifischer Gewalt . Laut den Angaben des Women Wellness Cen-
ter vom 25. Juni 2015 ist die Situation für von Gewalt betroffene Roma -Frauen
nochmals schwieriger als für Frauen albanischer Ethnie. So würden betroffene R o-

62
     Nach Angaben des Fortschrittberichts der Europäischen Kommission vom 8. Oktober 2014 wurden
     acht der insgesamt 13 bestehenden Regionalbüros geschlossen, die von der UNDP finanziert wur-
     den. Laut der W ebseite der Agency For Free Legal Aid werden diese acht Büros in Ferizaj,
     Gracanica, Dragash, Gjakova, Nord-Motrovica, Skenderaj, Klina und Klokot mittlerweile durch die
     norwegische Botschaft unterstützt. Dies wird auch auf der Webseite der norwegischen Botschaft
     bestätigt. USDOS, Country Report on Human Right s Practices 2014, 25. Juni 2015; BAMF, Kosovo
     Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 39; Royal Norwegian Embassy, Visiting free legal aid offices in
     Kosovo, 23. März 2015: www.norway-kosovo.no/News_and_events/Policy/Visiting -Free-Legal-Aid-
     offices-in-Kosovo/; Europäische Kommission, Kosovo 2014 Progress Report, 8. Oktober 2014, S.
     14; Agency For Free Legal Aid, Webseite, ohne Datum (Zugriff am 4. Septe mber 2015): www.knj-
     rks.org/index.php?lang=sq.
63
     Government of the Republic of Kosovo, Ministry of Justice, Rule of Law Assistance Strategy in
     Kosovo 2016-2019, Mai 2014: www.md-
     ks.net/repository/docs/Rule_of_Law_Assistance_Strategy_in_Kosovo_2016 -
     2019_(Justice_and_Internal_Affairs).pdf .
64
     Agency For Free Legal Aid, Webseite, ohne Datum (Zugriff am 4. September 2015); The Republic
     of Kosovo, Ministry of Justice, Victims’ Advocacy and Assistance Division, Webseite, ohne Datum
     (Zugriff am 4. September 2015): www.md-ks.net/?page=2,28; Informationen der Kosovo Police auf
     Anfrage der NGO Gender Training and Research Center. E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training
     and Research Center vom 23. Juni 2015 .
65
     USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
66
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
67
     KWN, More than W ords on Paper, 2009, S. 59.
68
     BAMF, Kosovo Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 34 .

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                Seite   9 von 20
69
ma-Frauen noch stärker stigmatisiert als die albanischen Frauen. Nach Angaben
des Berichts von Färnsveden et al. vom April 2014 sind Frauen der Ethnien Roma,
Ashkali und Ägypter oft einer dreifachen Diskrim inierung durch Familie, Gemein-
                                                         70
schaft sowie durch nationale Institutionen ausgesetzt. Das Deutsche Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge stellt fest, dass Angehörige von Minderheiten weiterhin
ein Unsicherheitsgefühl gegenüber staatlichen Sicherheitskräf ten hätten. So sei das
Vertrauen in die Rechtstaatlichkeit wegen Korruption, ineffektiver Strafverfolgung,
geringen Verurteilungszahlen sowie einer hohen Anzahl an ungelösten Fällen beei n-
trächtigt. Zwar gebe es in den regionalen Dienststellen Beamte, welch e für Minder-
heitenanliegen zuständig sind sowie die oben genannten Regionalbüros der Legal
Aid Agency, jedoch sei davon auszugehen, dass es im Einzelfall für Minderheiten
                                                              71
Unterschiede beim Zugang zum Gerichtswesen geben könne .

2         Schutz und Unterstützung durch Frauenhäuser
Begrenzter zeitlicher Schutz in Frauenhäusern. Nach Angaben vom 14. Septem-
ber 2015 von einer Kontaktperson des Kosovo Women‘s Network, gibt es in Kosovo
sieben Frauenhäuser, welche Opfer häuslicher Gewalt aufnehmen können. Diese
befinden sich in den Städten Pristina, Gjakova, Peja, Prizren, Gjilan, Ferizaj und
Mitrovica Süd. Neben diesen sieben Frauenhäusern gibt es laut derselben Quelle
mit Home and Hope for Children eine Notunterkunft in der Hauptstadt Pristina, we l-
che nur Kinder beherbergt, sowie mit dem Protect Victims Prevent Trafficking
(PVPT) und der staatlichen Hochsicherheits -Notunterkunft (Interim Security Facili-
   72
ty) zwei weitere Notunterkünfte in Pristina, welche beide nur Opfer von Mensche n-
                     73
handel beherbergen. Die Kinder der betroffenen Frauen können in den Frauenhä u-
sern ebenfalls untergebracht werden, wobei für Jungen ein Alterslimit von 12 Jahren
         74
besteht. Home and Hope for Children ist für jene Kinder vorgesehen, welche auf-
grund des Alterslimits nicht zusammen mit der Mutter unt ergebracht werden kön-
      75
nen. Die Frauenhäuser können Opfern laut verschiedenen Quellen einen begren z-
                                                                   76
ten zeitlichen Schutz von sechs bis maximal zwölf Monaten bieten. Der Aufenthalt
ist laut des Deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für von häusli-

69
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
70
     Ulf Färnsveden, Ariana Qosaj-Mustafa, Nicole Farnsworth, Kosovo, Country Gender Profile, April
     2014, S. 12:
     www.swedenabroad.com/ImageVaultFiles/id_20757/cf_2/Orgut_Kosovo_Gender_Profile_FINAL_201
     4-05-08.PDF.
71
     BAMF, Kosovo Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 39.
72
     Die Interim Security Facility fokussiert auf Fälle von Menschenhandel, bei welchen das Risiko einer
     Gefährdung als besonders gross eingeschätzt wird. Menschenhandelsopfer, für welche das Risiko
     geringer eingeschätzt wird, finden nach Angaben von USDOS in der Regel in den durch NGOs be-
     triebenen Frauenhäusern Zuflucht. E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women‘s Net-
     work vom 14. September 2015; USDOS, Trafficking in Persons Report 2015 – Country Narratives –
     Kosovo, 27. Juli 2015: www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2015/243470.htm .
73
     E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women‘s Network vom 14. September 2015.
74
     KWN, Budgeting for Social Welfare, A Rapid Gender Analysis to Inform Gender Responsive Budge t-
     ing in the Ministry of Labour and Social Welfare in Kosovo, 2014, S. 23:
     www.womensnetwork.org/documents/20140702111942678.pdf ; Women Against Violence Europe
     (WAVE), Country Report 2013, Kosovo, März 2014, S. 119ff.: www.wave-
     network.org/sites/default/files/03%20Kosovo.pdf .
75
     WAVE, Country Report 2013, Kosovo, März 2014, S. 119ff .
76
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015; BAMF, Kosovo Länderreport
     Band 3, Mai 2015, S. 34; WAVE, Country Report 2013, Kosovo, März 2014, S. 119ff.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                 Seite   10 von 20
cher Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder während dieser Dauer kostenlos.
                                                        77
In Einzelfällen kann der Aufenthalt verlängert werden. Laut Angaben der Direktorin
eines Frauenhauses können die Institutionen betroffene Frauen in der Regel aber
nur während rund sechs Monaten aufnehmen. Nachher sind diese wieder auf sich
                 78
alleine gestellt. Laut Women Against Violence Europe (WAVE) sind die Kapazitä-
ten der Frauenhäuser insgesamt weiterhin beschränkt und es fehlen rund 17 Prozent
der benötigten Plätze. Im Jahr 2014 wurden laut des aktuellen Berichts von W AVE
315 Frauen und 197 Kinder in den Notunterkünften beherbergt. Laut desselben B e-
richts betrug die Kapazität von insgesamt neun der Notunterkünfte mit unterschiedl i-
                                    79
chen Zielgruppen rund 140 Plätze. Ein Bericht von Kosovo Women’s Network aus
dem Jahr 2014 gibt an, dass in vier der insgesamt sieben auf häusliche Gewaltopfer
                                                       80
fokussierte Frauenhäuser 67 Betten verfügbar sind. Nach im Februar 2015 ge-
machten Angaben von Naime Sherifi, der Leiterin des Center for Protection of Wo-
men and Children in Pristina, soll im Jahr 2014 allein das Frauenhaus in Pristina 470
weibliche Opfer häuslicher Gewalt beherbergt haben, wobei die Aufenthaltsdauer
                      81
stark variieren kann.

Eingeschränkte Finanzierung, limitierte weitere Unters tützung in Frauenhäu-
sern, Gesundheitskosten. Nach Angaben der NGO Gender Training and Research
Center haben Frauenhäuser und das Ministry of Work and Social Welfare nur be-
grenzte Möglichkeiten, Opfer über längere Dauer mit Unterkunft, Essen und weiteren
                         82
Diensten zu unterstützen. Frauenhäuser sehen sich nach eigenen Angaben durch
                                                                 83              84
begrenzte Budgets und sehr limitierte staatliche Unterstützung eingeschränkt.
Nach Angaben verschiedener Quellen bieten die Frauenhäuser für die Betroffenen
neben der sicheren Unterkunft Kleidung, Essen, psychologische und rechtliche U n-
               85
terstützung an. Weiter werde auch medizinische Grundversorgung in den Fraue n-
häusern angeboten, welche nach den Vorgaben des Kosovo Program against Dome-
stic Violence and Action Plan 2011-2014 kostenlos sein sollte. Jedoch sehe dies in

77
     BAMF, Kosovo Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 34.
78
     E-Mail-Auskunft einer Direktorin eines Frauenhauses vom 26. Januar 2015.
79
     WAVE, Country Report 2014, Juli 2015, S. 64: www.wave-
     network.org/sites/default/files/WAVE%20Country%20Report%202014_Final_02.07.15.pdf .
80
     Das Women Wellness Centre in Peja hat maximal 16 Betten und mit einem durchschnittlic hen Auf-
     enthalt von zwei bis vier Monaten im Jahr 2013 rund 85 Personen (78 Frauen oder Mädchen und
     sieben Jungen) aufgenommen. Das Safe House in Gjakova verfügt über 15 Betten und hat bei e i-
     nem durchschnittlichen Aufenthalt zwischen sechs und zwölf Monaten im Jah r 2013 73 Personen
     (59 Frauen oder Mädchen und 14 Jungen) beherbergt. Das Center for Sheltering Women and Chil d-
     ren in Prizren hat 21 Betten und bei einem Aufenthalt zwischen drei und zwölf Monaten im Jahr
     2013 39 Personen (30 Frauen oder Mädchen und 9 Junge n) beherbergt. Das Centre Liria in Gjilan
     hat 15 Betten und im Jahr 2013 bei durchschnittlichen Aufenthalt von rund sechs Monaten 59 Pe r-
     sonen (49 Frauen oder Mädchen und 10 Jungen) aufgenommen . Angaben zur Bettenzahl im Center
     for Protection of Women and Children in Pristina finden sich keine im Bericht. Laut den Angaben
     hatte dieses Zentrum im Jahr 2013 insgesamt 96 Personen (79 Frauen oder Mädchen und 17 Jun-
     gen) beherbergt. Das CWPC Raba Voca in Mitrovica hat im Bericht ebenfalls keine Angabe der Be t-
     tenzahl aber im Jahr 2013 85 Personen (64 Frauen oder Mädchen und 21 Jungen) aufgenommen.
     KWN, Budgeting for Social Welfare, 2014, S. 23.
81
     UNMIK Media Monitoring, Around 1200 women reported domestic violence (Epoka e Re), 23. Feb-
     ruar 2015.
82
     E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015.
83
     So erhielten durch NGOs betriebene Frauenhäuser im Jahr 2014 alle ungeachtet ihrer unterschie d-
     lichen Kapazitäten und Dienste dieselbe staatliche finanzielle Unterstützung von jeweils 24‘000 Eu-
     ro durch das Ministry of Work and Social Welfare. KWN, Budgeting for Social Welfare, 2014, S. 2 2.
84
     Elife Krasniqi, Women’s security, Kosovo 2.0, 26. November 2014; KWN, Budgeting for Social Wel-
     fare, 2014, S. 22.
85
     USDOS, Trafficking in Persons Report 2015, 27. Juli 2015; E-Mail-Auskunft der NGO Gender Trai-
     ning and Research Center vom 23. Juni 2015.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                 Seite   11 von 20
der Praxis je nach Frauenhaus unterschiedlich aus und es fallen für die Betroffenen
                                     86
teilweise beträchtliche Kosten an. Nach aktuellen Angaben der NGO Women Well-
ness Center, die in der Stadt Peja ein Frauenhaus betreibt , ist die medizinische Un-
terstützung dort kostenlos, jedoch müssen Betroffene für die Kosten benötigter M e-
                               87
dikamente selber aufkommen. Behandlungen auf sekundärer Ebene durch spezi a-
lisierte Fachkräfte sind für Opfer und Frauenhäuser schliesslich nur sehr s chwierig
                88
zu finanzieren. Eine Kontaktperson von Kosovo Women’s Network gab am 14. Sep-
tember 2015 an, dass Gesundheitskosten für die Frauen in Frauenhäusern in der
Regel nur kostenlos sind, wenn sie von dem zuständigen Centre for Social Welfare
                                  89
als Sozialfall anerkannt würden.

3        Soziale und wirtschaftliche Situation betroffe-
         ner Personen

3.1      Wirtschaftliche Situation, Zugang zu Sozialhilfe und Un-
         terkunft für rückkehrende Frauen
Schwierige sozio-ökonomische Situation. Laut Angaben des UN Development
Programme vom Juni 2014 ist die wirtschaftliche Situation in Kosovo prekär. So l e-
ben rund 30 Prozent der Bevölkerung Kosovos mit weniger als 1.72 Euro pro Tag.
Weiter leben rund zehn Prozent der Bevölkerung unterhalb der extremen Armut s-
grenze. Sie müssen mit weniger als 1.20 Euro pro Tag auskommen und können d a-
mit nicht ihre Grundbedürfnisse für Nahrung decken. Nach Angaben der letzten E r-
hebung zur Erwerbsbevölkerung aus dem Jahr 2012 beträgt die Arbeitslosenrate
rund 31 Prozent. 63 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind nicht Teil des Ar-
              90
beitsmarktes. Laut der Einschätzung von Gender Training and Research Center
sind insbesondere Frauen von hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Besonders prekär
ist die wirtschaftliche Situation für unverheiratete oder geschiedene alleinst ehende
                                                           91
Frauen mit oder ohne Kinder und ohne soziales Netzwerk.

Patriarchalische Gesellschaft und Diskriminierung der Frauen führen zu wirt-
schaftlicher Benachteiligung. Kosovo hat eine patriarchalisch geprägte Gesel l-
schaft und Frauen werden in vielfältiger W eise diskriminiert. Dies gilt laut des Kos o-
vo-Länderreports des Deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom Mai
                                                                          92
2015 insbesondere im Zugang zu Beschäftigung und Bildung .                   Die UNO-
Sonderberichterstatterin für das Recht auf angemessene Unterkunf t und die Europä-

86
     KWN, At What Cost? Budgeting for the Implementation of the Legal Framework against Domestic
     Violence in Kosovo, 2012, S. 51, 60:
     www.womensnetwork.org/documents/20130405120224756.pdf.
87
     E-Mail-Auskunft der NGO W omen Wellness Center vom 25. Juni 2015.
88
     KWN, At What Cost? 2012, S. 60.
89
     E-Mail-Auskunft einer Kontaktperson des Kosovo Women‘s Network vom 14. September 2015.
90
     United Nations Development Programme (UNDP) Kosovo, The Real Value of Social Assistance, An
     Assessment of Social Assistance benefit adequacy, Juni 2014, S. 6:
     www.ks.undp.org/content/dam/kosovo/docs/Communications/Dokumenti%20The%20Real%20Value
     %20of%20Social%20Assistance%20ONLINE.pdf .
91
     E-Mail-Auskunft der NGO Gender Training and Research Center vom 23. Juni 2015 .
92
     BAMF, Kosovo Länderreport Band 3, Mai 2015, S. 33.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015           Seite   12 von 20
ische Kommission weisen zudem auf bestehende Ungleichheiten beim Zugang der
                                            93
Frauen zu Erbschaften und Besitztum hin. Obwohl gesetzlich keine geschlechts-
spezifische Unterschiede bezüglich der Vererbung von Besitzrechten bestehen, e r-
ben in der Regel Männer den Familienbesitz. Laut Gesetz haben beide Partner in
Ehe und eingetragener Partnerschaft dieselben Rechte auf Besitz und die Vererbung
von Besitztum. Trotzdem besitzen in der Realität nur acht Prozent der Frauen
      94
Land. Dabei spielen laut eines Beitrags vom 1. Juli 2015 durch die Politologin Sid i-
ta Kushi traditionelle Regeln eine Rolle. Diese sehen die patrilineare Vererbung der
Familiengüter vor. Nach der Heirat muss eine Frau in das Familienhaus ihres Eh e-
manns ziehen, wo sie mit der angeheirateten Verwandtschaft lebt und selber kein
eigenes Besitztum hat. Der Bruder dieser Frau dagegen erhält das volle Eigentum s-
recht über den Familienbesitz. Wenn eine Familie keinen Sohn hat, gehe der Besitz
in der Regel auf männliche Cousins über. Aufgrun d der kulturellen Normen würden
Frauen bei Erbschaftsfragen vor Gericht oft auf ihr Recht auf Besitz verzichten und
ihren Anteil an männliche Verwandte abtreten. Frauen würden es als beschämend
empfinden, einen Anteil des Besitzes von der Familie oder vom Ehegatten einzufor-
dern. Wenn Frauen in seltenen Fällen ihre Rechte einfordern, kann es geschehen,
dass ihre Familienmitglieder sie aus der Familie verstossen oder sie mit Gewalt b e-
         95
drohten.

Ungenügende staatliche Reintegrationsunterstützung für freiwillig Rückkeh-
rende. Nach Angaben des Berichts von USDOS ist die durch die kosovarischen B e-
hörden geleistete Reintegrationsunterstützung für freiwillig Rückkehrende ungen ü-
                                                                        96
gend. Dies gelte insbesondere auch für Angehörige der Minderheiten . Neben die-
ser Gruppe war nach Angaben der Studie von Färnsveden et al. vom April 2014
auch für alleinstehende Frauen, Kinder sowie behinderte Personen der Zugang zu
                                                                              97
staatlicher Reintegrationsunterstützung in der Vergangenheit oft erschwert. Die
Europäische Kommission kritisierte am 8. Oktober 2014 die intransparente Nutzung
                                                                        98
der verfügbaren finanziellen Mittel für die Reintegrationsunterstützung. Der Bericht
des European Centre for Minority Issues vom 17. Dezember 2014 kritisiert die unge-
nügende Umsetzung der vorgesehenen staatlichen Reintegrationsunterstützung s o-
wie die mangelhafte Finanzierung und weist darauf hin, dass kaum nachhaltige U n-
                                                            99
terstützung für die rückkehrenden Personen verfügbar sei. So sind Verantwortlich-
keiten zwischen lokalen und nationalen Behörden unklar geregelt und zwischen den
                                                                                  100
zuständigen Ministerien ist die Zusammenarbeit und Kommunikation mangelhaft.
Spezifische Unterstützung für Rückkehrende durch Gemeinden erfolgt nur spora-

93
      UN Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR), Kosovo/right to housing, Deep
      gap between law and reality, United Nations expert says, 28. Mai 2015:
      www.ecoi.net/local_link/304220/441347_de.html; Europäische Kommission, Kosovo 2014 Progress
      Report, 8. Oktober 2014, S. 18.
94
      USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
95
      Sidita Kushi, Women of Kosovo, Open Democracy, 1. Juli 2015.
96
      USDOS, Country Report on Human Rights Practices 2014, 25. Juni 2015.
97
      Ulf Färnsveden, Ariana Qosaj-Mustafa, Nicole Farnsworth, Kosovo, Country Gender Profile, April
      2014, S. 12.
98
      Europäische Kommission, Kosovo 2014 Progress Report, 8. Oktober 2014, S. 18.
99
      European Centre for Minority Issues (ECMI) Kosovo, The Repatriation Process in Kosovo; Instit u-
      tional organisation, legal framework, lessons learnt and remainin g challenges, 17. Dezember 2014,
      S. 30: www.ecmikosovo.org/wp-
      con-
      tent/Publications/Reports_and_studies/The_Repatriation_Process_in_Kosovo/The_ Repatriation_Pro
      cess_in_Kosovo_ENG_final.pdf.
100
      Ebenda, S. 37.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                 Seite   13 von 20
101
disch und unsystematisch.        Der Bericht der OSZE vom Oktober 2014 zu freiwillig
Rückkehrenden kommt ebenfalls zum Schluss, dass in der Realität meist keine Un-
                                          102
terstützung auf lokaler Ebene erfolgt.        So sind laut der Erkenntnisse der OSZE nur
in zehn von 38 Gemeinden die sogenannten Municipal Working Groups on Returns,
welche über Unterstützungsleistungen für Rückkehrende entscheiden, überhaupt
                103
funktionsfähig. Die Aktivitäten der Municipal Offices for Communities and Returns,
welche als Hauptmechanismen für die Umsetzung der Unterstützung der Rückkeh-
renden zuständig sind, scheinen nach Angaben der OSZE äusserst limitiert. Die Re-
gistrierung der Rückkehrenden stellt nach Angaben des Berichts weiterhin eine
grosse Herausforderung dar und wird von den G emeinden zu wenig unterstützt. Oh-
ne diese notwendigen Dokumente ist der Zugang zu Arbeit, Sozialhilfe, Gesund-
heitsdiensten sowie Schulbildung nicht möglich. Insbesondere für Angehörige der
                                                                             104
ethnischen Minderheiten stelle dies eines der grössten Probleme dar.             Unterstüt-
zung zur Reintegration der rückkehrenden Kinder in die Schulen wird von den mei s-
ten Gemeinden nur unsystematisch angeboten. Oft gibt es keine spezifische Integra-
tionsunterstützung wie zum Beispiel Sprachunterricht oder Nachhilfestunden. Als
Folge sei die Schulabbruchquote und die Segregation der rückkehrenden Kinder
              105
extrem hoch.       Rückkehrende haben zwar im Rahmen der staatlichen Reintegrati-
onsunterstützung Anrecht auf Gesundheitsversorgung für Notfälle und auf speziali-
sierte Behandlungen während sechs Monaten. Allerdings werden die Kosten der
spezialisierten Behandlungen nicht immer gedeckt, da gewisse Anforderungskrite-
                               106
rien erfüllt werden müssen.        Das European Centre for Minority Issues kritisierte,
dass spezifische Gesundheitsbedürfnisse Rückkehrender nur unsystematisch abge-
               107
deckt werden.       Auch die staatliche Unterstützung für Rückkehrende mittels Sozial-
hilfe und Arbeitsintegration sei ungenügend. Zwar könne es für Rückkehrende für
                                                               108
kurze Zeit eine gewisse finanzielle Unterstützung geben , aber es fehlten auf Ge-
meindeebene jegliche Massnahmen, um langfristigen und nachha ltigen Zugang zu
                                    109
Arbeitsstellen zu gewährleisten.        Nach Angaben der OSZE vom Oktober 2014 ha-
ben schliesslich nur zehn von 38 Gemeinden tatsächlich Unterstützung in irgende i-
                                            110
ner Form an Rückkehrende geleistet.             Der Zugang zu Unterkunft ist schliesslich
eine der grössten Herausforderungen für Rückkehrende. Einige Gemeinden versuch-
ten zwar temporäre Unterkünfte für betroffene Personen zu finden, aber die staatli-
                                                                            111
che Reintegrationsunterstützung bietet keinerlei nachhaltige Lösungen.

Ungenügende Unterstützung und strenge Kriterien der Sozialhilfe. Die staatli-
chen Wohlfahrteinrichtungen in Kosovo sind nach Angaben einer Auskunft des Im-

101
      Ebenda, S. 34.
102
      OSCE, OSCE Mission in Kosovo, An Assessment of Voluntary Returns Process in Kosovo, Oktober
      2014, S. 12.
103
      Ebenda, S. 11, 26ff.
104
      ECMI, Kosovo, The Repatriation Process in Kosovo, 17. Dezember 2014, S. 34f.
105
      Ebenda, S. 35.
106
      Ebenda, S. 21.
107
      Ebenda, S. 35.
108
      Gemäss den offiziellen Bestimmungen entscheidet das entsprechende Municipal Office for Commu-
      nities and Return über diesbezügliche Anträge der Rückkehrenden. Rückkehrende in finanziell
      schwieriger Lage haben Anrecht auf ein Unterstützungspaket mit Essensgütern und Hygieneartikeln
      für sechs Monate. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Bedürftige eine einmalige Hilfe von maximal
      2000 Euro für Möbel erhalten (1000 Euro für eine Person). Schliesslich könnten auch Gemeindeb e-
      hörden gelegentlich bei Bedarf eine Unterstützung leisten. Ebenda, S. 20.
109
      Ebenda, S. 35f.
110
      OSCE, An Assessment of Voluntary Returns Process in Kosovo, Oktober 2014, S. 27f.
111
      ECMI, Kosovo, The Repatriation Process in Kosovo, 17. Dezember 2014, S. 36.

Kosovo – Gewalt gegen Frauen und Rückkehr – Themenpapier – Oktober 2015                Seite   14 von 20
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