Lebensstile - evangelisch-reformierte ...

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Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
magnet
Kirchenblatt für die Evangelisch-reformierten Kirchgemeinden beider Appenzell   AZB 9100 Herisau

                           a ge!
                      saufl
       Gros
                                                                          Mai 2020 Nr.5 107.Jahrgang

                    …
     Das Virus             m enschliche
                                        r Macht
               G re n ze n
     … und die                           Seite 17
                              mehr auf
                                                                                         Lebensstile
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Biblische Betrachtung

                                    Jesus und seine
                                  Beziehung zu Frauen
Frauen spiel-                                                                    Jesu zweite Ankunft warten (Matt. 24), die Frau, die
ten im frühen                                                                    ihre verlorene Münze sucht (Luk. 15), oder die hartnä-
Christentum                                                                      ckige Witwe als Beispiel für unser eigenes Gebet (Luk.
eine tragende
                                                                                 18).
Rolle, ein As-
pekt, der von
                                                                                    Jesus beschrieb Frauen als Töchter Abrahams (Luk.
männlichen                                                                       13, 16), seine Lehre zur Scheidung behandelte Frauen
Weltbildent-                                                                     als Menschen und nicht als Eigentum (Matt. 5, 32; 19,
wicklungen                                                                       9), und ihm war wichtig, dass Frauen nicht zu Objek-
schon bald                                                                       ten sexueller Lust reduziert werden (Matt 5, 28). In
zugedeckt
                                                                                 einer Zeit als Lernen für Frauen suspekt angesehen war,
wurde.
Bild:
                                                                                 nahm sich Jesus immer wieder Zeit, um sie zu unter-
Ikonografische                                                                   richten, und zwar auf Augenhöhe im Dialog.
Darstellung,
Erzdiozöse Wien
                                                                                 Jesus und die Ergänzung von Mann und Frau
                                                                                 In all dem unterstrich Jesus etwas, was wir unter nor-
                  Jesus stand mit vielen Menschen in Beziehung, und              malen Umständen als eine Gegebenheit verstehen:
                  faszinierte sie immer wieder durch seine Liebe und             dass Männer und Frauen anders sind, aber einander
                  Integrität. Selbst wenn er redete und lehrte waren             ergänzen. Gott hat Mann und Frau als zwei sich kom-
                  die Menschen mitgerissen, denn er lehrte mit einer             plementierende Repräsentanten derselben Mensch-
                  Vollmacht, die mehr überzeugte als die der Theolo-             heit geschaffen. In den Augen von Jesu Bibel (unserem
                  gen. Deswegen beschreibt der Hebräerbrief Jesus                Alten Testament), und in den Augen seiner Jünger,
                  auch als den Anfänger und Vollender des christlichen           Apostel und deren Schüler (unserem Neuen Testa-
                  Glaubens. Deswegen ist er auch unser Massstab. Er              ment) reflektieren Männer und Frauen auf verschie-
                  schätzte seine Bibel – was wir heute als das Alte Tes-         dene Weisen Gottes Herrlichkeit. In der Hinsicht über-
                  tament kennen – genug, um sie auswendig zu kennen,             holt die biblische Sicht der Beziehung zwischen Mann
                  und wandte sie immer wieder auf die Beziehungen,               und Frau die sozialen Moden von heute wie auch die
                  in denen er lebte, an.                                         Nostalgie nach den Beziehungsformen einer «guten al-
                                                                                 ten Zeit».
                  Sein Umgang mit Frauen war zu seiner Zeit revolutio-              So haben Jesu Jünger in den ersten Jahrhunderten
                  när sowohl für die Juden wie auch für die Griechen und         die Rollen von Frauen im römischen Reich transfor-
                  Römer in den nächsten Jahrhunderten wie auch für               miert und massiv aufgewertet, was auch erklärt, wa-
                  uns heute. Jesus bestätigte oft ihre Würde und machte          rum in dieser Zeit in grösserer Zahl Frauen zum Glau-
                  sie zu Mitarbeiterinnen. Frauen spielten in Jesu Dienst        ben an Jesus Christus kamen. Unter denen, die sich bei
                  eine wichtige Rolle. Unter anderem «unterstützten              Paulus bekehrt haben, hören wir öfter von Frauen als
                  sie Jesus und seine Jünger durch das, was sie hatten»          von Männern. Durch Frauen kam der Glauben an Jesus
                  (Luk 8, 3). Er redete frei mit Frauen, und machte beim         in alle gesellschaftlichen Schichten hinein. Die christ-
                  Heilen keinen Unterschied zwischen Männern und                 liche Gemeinschaft gab Frauen bessere Perspektiven,
                  Frauen.                                                        als sie sonst gehabt hätten. So haben Jesu Jünger die
                     Es waren auch Frauen die Jesus nach seiner Aufer-           gute Nachricht vom alttestamentlichen Zeugnis immer
                  stehung als erstes sahen. Die so wichtige Nachricht der        weiterverbreitet, dass Männer und Frauen, auch wenn
                  Auferstehung wurde als erstes den Jüngerinnen anver-           sie anders sind, den gleichen Wert haben und sich
                  traut, was eigentlich erstaunlich ist, weil Frauen da-         komplementieren. Christen merkten schnell, dass das
                  mals nicht berechtigt waren, vor Gericht Zeugnis zu            Alte Testament als Jesu Bibel für sie genauso wichtig
                  geben.                                                         war, wie es das für ihren Herrn war. So wurden die
                     In seiner Arbeit nahm Jesus immer an, dass Frauen           Worte aus Genesis 1 eine zeitlos gute Nachricht darü-
                  einen grossen Wert und eine wichtige Aufgabe haben,            ber, was Gott sich von Anfang an gedacht hat: «Gott
                  welche die Erwartungen der Kultur um sie herum                 schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Got-
                  sprengte. Seine Mutter Maria ist wohl ein gutes Bei-           tes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.»
                  spiel dafür, aber es gibt in seinen Erzählungen und            (Gen 1, 27).
                  Gleichnissen viele andere, wie z. B. die Frauen, die auf                                   Mike Lotz, Pfarrer in Appenzell

MAGNET Nr.5/2020                                                             2
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Editorial

          Impressum                    Liebe Leserin,
 Kirchenblatt für die Evan-
 gelisch-reformierten Kirch-           lieber Leser
 gemeinden beider Appenzell
 (erscheint monatlich)
 Herausgegeben im Auftrag              … wir leben in seltsamen Zeiten. Was noch vor gar nicht allzu
 der Synode der Evangelisch-
 reformierten Landeskirche
                                       langer Zeit völlig selbstverständlich war, ist es seit einigen
 beider Appenzell                      Wochen nicht mehr. Im Bücherladen stöbern, Essen gehen, im
 Redaktionskommission                  Kafi um die Ecke einen Kaffee trinken. Nix geht mehr. Unser
 Carlos Ferrer, Grub-Eggersriet
 (cf); Judith Husistein, Stein (jh);   Leben hat sich radikal verändert. In einer für mich vorher nicht    Lars Syring, Präsident der
 Isabelle Kürsteiner, Walzenhau-       vorstellbaren Art und Weise. Wir können Ostern nicht mal            Redaktionskommission
 sen (iks); Jonathan Németh,
 St.Gallen (jn); Annette Spitzen-      Gottesdienste feiern. Hat es das jemals gegeben?
 berg, Reute-Oberegg (as);                Während ich diese Zeilen schreibe, ist die Schweiz in der
 Karin Steffen, Schachen bei
 Reute (ks); Lars Syring, Präs.,       vierten Woche des Lockdowns. Wir verbringen als Familie die
 Bühler (sy)                           meiste Zeit des Tages in der Wohnung. Gelegentlich auch im
 Redaktion
 Heinz Mauch-Züger (hmz)
                                       Garten. Die Kinder haben keine Schule. Und meine Frau und
 Steinbruggen                          ich können unseren Berufen fast nur im Büro oder im Internet
 9063 Stein
 Tel. 071 278 74 87
                                       nachkommen.
 Fax 071 278 74 88                        Wir haben uns eingerichtet und es läuft rund, mit den übli-
 magnet@ref-arai.ch
                                       chen Reibungen. Die gehören ja auch sonst dazu. Trotzdem ist
 Magnet-Download
 www.ref-arai.ch                       es ein Ausnahmezustand. Und das schlimme: Niemand weiss,
 Produktion                            wie lange das noch dauert. Niemand kann die Konsequenzen
 Appenzeller Druckerei AG,
 9100 Herisau
                                       abschätzen. Weder für die Gesundheit noch für die Wirtschaft.
 Adressänderungen melden               Existenzen stehen auf dem Spiel.
 Sie bitte direkt der örtlichen           Was wird werden? Wann werden wir wieder zu sowas wie
 Kirchgemeinde
                                       einem normalen Leben zurück kehren? Und was ist eigentlich
 WEMF
 Beglaubigte Auflage 13 344            «normal»?
 Magnet online                            In diesen Monaten zeigt sich deutlicher als sonst, was für ein
 www.magnet.jetzt
                                       Beziehungsmodel wir leben. Es intensiviert und verstärkt sich.
                                       Wer als Single lebt, muss sich jetzt viel aktiver als sonst um
                                       seine Sozialkontakte kümmern. Wer als Familie unterwegs ist,
                                       wird verstärkt lernen müssen, Rücksicht zu nehmen. Wer zu
                                       einer Risikogruppe gehört, muss sich noch mehr schützen als
                                       sonst.
                                          Das ist ja alles ein grosses soziales Experiment, in dem wir
                                       da stecken. Sowas gab es noch nie. Ein Anstieg an häuslicher
                                       Gewalt ist schon vermeldet. Ich fürchte auch einen Anstieg der
                                       Depression. Und, wer weiss, vielleicht gibt es auch eine neue
                                       Welle Corona-Babys irgendwann Anfang nächsten Jahres.
                                          Für diesen MAGNET haben wir mit Menschen gesprochen,
                                       die in ganz unterschiedlichen Beziehungsformen leben. Da ist
                                       ein buntes Potpourri zusammen gekommen. So unterschiedlich
                                       wie wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch unsere
                                       Beziehungsformen. Lassen Sie sich überraschen!
                                          Gebe Gott, dass wir diese Zeiten heil überstehen. Halten Sie
                                       die Ohren steif!

Titelbild Jonathan Németh:
Zusammenleben sichtbar.

                                                                 3                                                     MAGNET Nr.5/2020
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

           Es ist ein Geben und Nehmen

                                                                                                                        Die Familie von
                                                                                                                        Allmen geniesst
                                                                                                                        während der Coro-
                                                                                                                        napandemie das
                                                                                                                        Zusammensein in
                                                                                                                        der Familie umso
                                                                                                                        mehr. (Karin, Ruth,
                                                                                                                        Lea, Ursin, Reto und
                                                                                                                        Nadine, von links,
                                                                                                                        es fehlt die älteste
                                                                                                                        Tochter Julia)

             «Für meinen Mann Reto und mich war es schnell klar,           Die altehrwürdige Maschine steht nun im Volkskunde-
             dass wir eine Familie mit Kindern gründen wollten»,           museum und wird von Ruth von Allmen bedient. Wäh-
             erinnert sich die 48-jährige Ruth von Allmen. Die             rend Ruth in Stein tätig ist, geniessen es Vater Reto und
             mittlerweile siebenköpfige Familie wohnt mit vielen           die Kinder, für einmal ohne Mutter gemeinsame Zeit
             Tieren und einem grossen Garten, idyllisch gelegen,           zu verbringen. Seit Kurzem arbeitet Ruth in einem Teil-
             im Weiler Knollhausen in Reute.                               pensum auch wieder in ihrem angestammten Beruf als
                                                                           Köchin im Pflegeheim Watt, in unmittelbarer Nähe von
             «Es ist nicht so, dass wir schon zu Beginn unserer Be-        ihrem Zuhause. Diese Tätigkeit im Beruf, den sie ge-
             ziehung planten, eine grosse Familie zu werden. Wir           lernt hat, bedeutet Ruth von Allmen sehr viel. Einer-
             haben vorzu geschaut, ob wir noch ein weiteres Kind           seits schätzt sie die Abwechslung von Familien- und
             möchten. Und mit Ursin, unserem Nesthäkchen, er-              Berufsalltag sehr, andererseits erhofft sie sich später
             schien uns unsere Familie komplett», sagt Ruth von            ein grösseres Pensum, wenn die Kinder älter sind.
             Allmen heute. Und dabei spielte es für das Paar keine         Diese Arbeitsteilung mit ihrem Mann gefällt Ruth von
             Rolle, ob ihnen nach den vier Mädchen noch ein Junge          Allmen sehr. Ihr Ehemann Reto und sie ergänzen sich
             geschenkt werde oder nicht.                                   dabei ideal. «Jeder hilft jedem. Es ist ein Geben und
                Für Ruth von Allmen war und ist es wichtig, für die        Nehmen und niemand kommt zu kurz», sagt Ruth von
             Kinder da zu sein. Nicht nur aus finanziellen Überle-         Allmen zufrieden.
             gungen entschied sich das Paar nach der Geburt des               Während der Coronapandemie kommen nun er-
             ersten Kindes, dass die Mutter zuhause bleibt und der         schwerende Hindernisse dazu. So können die Kinder
             Vater (49) auswärts arbeitet. Später machte es sich           nicht mehr ihre Mutter im Pflegeheim besuchen, wo
             Ruth von Allmen auch zu ihrer Aufgabe, für ihre Mut-          sie sich an den schulfreien Nachmittagen mit den Be-
             ter zu sorgen, als diese schwer erkrankte. Diese Zeit         wohnern unterhielten, spielten oder etwas mithalfen.
             möchte sie heute nicht missen: «Es war sehr streng            Und Ruth und ihr Ehemann Reto, welcher in der Stif-
             aber auch schön». Und auch heute geht ihr die Arbeit          tung Waldheim, ebenfalls in einer sozialen Institution,
             im und ums Haus nicht aus. Dafür sorgt der grosse Ge-         arbeitet, halten sich aus Rücksicht auf die Bewohner
             müsegarten mit Treibhaus, die Gänse und Ziegen, so-           strikte von anderen Menschen fern. Ein Weitergeben
             wie die Kinderschar.                                          des Corona-Virus hätte bei beiden Institutionen ver-
                Mit dem Älterwerden der Kinder hat sie sich vor            heerende Auswirkungen. Aber die ganze Familie
             drei Jahren einer neuen Herausforderung gestellt. Ruth        nimmt es gelassen. Irgendwann ist auch diese Krise
             von Allmen übernahm ein Engagement im Volkskunde-             überstanden. Für Ruth von Allmen hat es durchaus
             museum in Stein. Dort präsentiert sie an zwei Samsta-         auch positive Seiten, diese spezielle Erfahrung wäh-
             gen und einem Sonntag pro Monat die letzte Hand-              rend der Krise machen zu dürfen.
             stickmaschine des Kantons. Die Nachbarin Lina Bi-                                                                  Karin Steffen
             schofberger war dabei ihre Lehrmeisterin. Diese hat
             bis ins hohe Alter von über 90 Jahren in ihrem Sticklo-
             kal in Steingacht, damit gearbeitet.                          (Aufgrund der Distanzregeln fand das Interview telefonisch statt)

MAGNET Nr.5/2020                                                       4
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

               Siv – ein Wunschkind
Ich unterhalte mich per Skype mit den beiden Tänze-            selbstverständliche Freiheiten fehlen, wird es umso
rinnen Jasmin und Cecilia, die schon seit vielen Jah-          mehr bewusst, wie wichtig ein solcher Wert ist. Dann
ren ein Paar sind und je nach Arbeit zwischen                  Vertrauen ins Leben und in sich selbst, so dass sie auch
St. Gallen und Deutschland hin- und her pendeln.               falsche Entscheidungen treffen darf. Geborgenheit und
Beide sagen übereinstimmend, dass sie schon immer              sichere Gebundenheit soll sie empfangen, so dass sie
wussten, dass sie ein Kind wollten, die Frage sei              sich sicher fühlen kann in dieser Welt. Dass sie dies
mehr gewesen, wann.                                            ohne Zweifel bereits tut, erlebe ich im Gespräch mit
                                                               ihr.
Die Karriere einer Tänzerin ist nicht sehr lange und              Siv ist ein ausgeglichenes, freundliches Kind, das
man fällt insgesamt für 18 Monate aus. Auf Vorurteile          sich ziemlich dafür interessiert, was da am Bildschirm
sind sie im beruflichen Umfeld des Theaters auf keine          läuft. Und sie soll einmal eigenständig denken. Ein sehr
gestossen. Jasmin erzählt, wie sie einmal in einem Ge-         reformierter Glaubenssatz, erinnert er mich doch an
schäft von einer älteren Frau angesprochen wurde, die          die Plakatkampagne von 2001: «Selber denken – die
gehört hatte, dass sie etwas für ihre Frau kauft. Diese        Reformierten».
liess sich auf ein längeres Gespräch ein und sagte am             Ich möchte wissen, wie es ihnen mit Corona geht.
Schluss: «Jetzt hat es für mich ein Gesicht bekommen.          Cecilia hat das Glück, dass sie ihren Lohn vorerst wei-
Ich konnte mir das nie so recht vorstellen, zwei Frauen        ter bekommt, aber Jasmin steht mit leeren Händen da
und ein Kind, jetzt kann ich es.» Das verdeutlicht, dass       und alles Freiberufliche ist stillgelegt. Sie haben dafür
manche Vorurteile bestehen, weil man etwas nicht
kennt. Beide betonen, dass sie viele männliche Bezugs-
personen hätten in ihrem Umfeld.
                                                                       Ich konnte mir das nie vorstellen,
   Diskriminierung erlebt haben sie auf strukturelle                   zwei Frauen und ein Kind,
Art. Weil die Befruchtung im Ausland stattfinden
musste, zahlte die Krankenkasse keine damit im Zu-                     jetzt kann ich es.
sammenhang stehende Untersuchungen. Ihrer Tochter
haben sie einen alten nordischen Namen gegeben, Siv            sehr viel Zeit füreinander und miteinander und genies-
bedeutet Braut. Die Werte, die sie ihr vermitteln möch-        sen dies. «Corona führt dich dazu, tiefer in dich selbst
ten sind: Freiheit, sie soll machen dürfen, was sie            einzutauchen. Wir wünschen uns eigentlich, dass das
möchte. Gerade in Zeiten von Corona, in denen viele            die Menschen nicht verpassen. Und wir glauben an
                                                                                 eine Energie, an eine Kraft und daran,
                                                                                 dass wir alle auf unsichtbare Art mitei-
                                                                                 nander verbunden sind.»
                                                                                    Mich interessiert, ob es etwas gibt,
                                                                                 was sie von anderen Familien unter-
                                                                                 scheidet. Beide unterstreichen, dass
                                                                                 sie ihr Modell nicht als besser erach-
                                                                                 ten als andere, aber sie wünschen
                                                                                 sich, als gleichwertig angenommen zu
                                                                                 werden. Um etwas seien sie aber be-
                                                                                 neidet worden, nämlich um die liebe-
                                                                                 volle Nähe, die sie sich gegenseitig
                                                                                 geben konnten in der Schwanger-
                                                                                 schaft und auch jetzt zu dritt. Was
                                                                                 kann man einem Kind Besseres wün-
                                                                                 schen?
                                                                                                       Annette Spitzenberg

                                                                                Familie als Entscheidungsgemeinschaft
                                                                                über Biologie hinaus.
                                                                                Bild: as

                                                           5                                                            MAGNET Nr.5/2020
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

                          Kind gratis abzugeben
                                                    Mütter und Kinder als günstige Gelegenheiten
                           Leihmütter aus Indien
                           – bis 2015 in Indien
                           auch für Europäer eine
                           gesuchte Möglichkeit.
                           Heute nur noch für
                           Einheimische möglich –
                           doch der Schwarzmarkt
                           ist gross.

                                                                                                                                           Bild: hmz

             Kind gratis abzugeben. So betitelte eine Schweizer
             Vormundschaftsbehörde in den 60er-Jahren ein In-
             serat, um der Gemeinde Kosten zu sparen. Kind gra-
             tis abzugeben und das mit Rückgaberecht!                            Ein sehr unglücklicher Start,
             Leihmütter! Heute beginnt beim Wort Leihmütter oft                  der Mutter und Kind traumatisierte,
             die grosse Diskussion. Diese Möglichkeit des Kinder-
             kriegens stösst einem Teil der Menschen sauer auf. An-              kein Vertrauen aufkommen liess.
             dere verabscheuen solches Tun geradezu, auch oder
             gerade im kirchlichen Umfeld. Doch Leihmütter, wenn
             auch aus anderen Motiven, gab es schon zu Urgross-
             mutters Zeiten. Immer wieder hatten mir alte Leute              Kind kam in die Institution Antoniohaus des seraphini-
             davon erzählt. Sie waren grosse Familien und «über-             schen Liebeswerks in Solothurn. Eine Fremdplatzie-
             zählige» Mäuler, die gefüttert werden mussten, wur-             rung wurde durch die Vormundschaftsbehörde voran-
             den oft an kinderlose Verwandte verschenkt.                     getrieben.

             Kinder an Verwandte verschenkt                                  Kosten für Gemeinde sparen
             Leihmütter infolge finanziellem Druck! Weil die Fami-           Es galt Kosten zu sparen. Die Unterkunft im Wohnheim
             lie mit der aktuellen Kinderzahl schon hungerte! Dann           kostete. In Inserat in jener Zeit titelte: «Kind gratis ab-
             telefonierte ich mit meiner Kollegin, wollte ihre Ge-           zugeben». Die Institution übergab damals die Kinder
             schichte hören. Sie war gratis abgegeben worden! Da-            auf Probe mit der Option, sie sofort zurückzugeben,
             mals moralisch unbedenklich und von den Kirchen                 wenn sie nicht «recht täten». «Wie bei einem Hund»,
             unterstützt. Ihre Geschichte hat mich tief berührt und          empört sich meine Kollegin noch heute. Ihrer Mutter
             ich will sie hier in Kurzform erzählen.                         wurde das Besuchsrecht verweigert, dafür legte ihr die
                Es geschah vor 60 Jahren in der Westschweiz. Eine            Vormundschaftsbehörde dringendst nahe, in eine Ad-
             Ehe zerbrach während der Schwangerschaft. Der Mann              option einzuwilligen. Das tat sie nie. Sie unterschrieb
             reichte die Scheidung gleich nach der Geburt des Mäd-           nicht. Aus den Akten geht hervor, dass dieses Verhal-
             chens ein. Er wollte wieder heiraten und er zahlte nie          ten vom Amt aus als sehr undankbar angesehen wor-
             Unterhalt, keinen roten Rappen. Es folgte für die allein-       den ist. Das Mädchen wurde unter Mithilfe von kirch-
             erziehende, geschiedene Mutter wie auch für das Kind            lichen Institutionen in die Ostschweiz vermittelt und
             eine Odyssee: Fürsorgerische Zwangsmassnahme, das               die neue Mutter in den Hauptbahnhof Zürich zur Über-

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Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

                                                    Du bisch nüt, häsch nüt,
                                                    wirsch nüt ond mosch froh si,
                                                    dass mer di ufgnoh händ.

                                                               Der Keller wurde zum zweiten Zuhause, immer wieder
                                                               auch mit «Schittliknüle;; dem knien auf harten, spitzi-
                                                               gen Buchenscheitern. Die Narben an den Knien erin-
                                                               nern auch heute noch daran. Erst nach dem Tod des
                                                               Vaters und durch puren Zufall erfuhr das Mädchen, nun
                                                               bereits verheiratet und Mutter von zwei Kindern, dass
                                                               ihre leibliche Mutter immer noch in der Westschweiz
                                                               lebte. Bis zu ihrem Tod gab es die Möglichkeit von we-
                                                               nigen Gesprächen. Meine Kollegin wollte nun ihre Ver-
                                                               gangenheit kennenlernen und forschte. So erfuhr sie
                                                               auch, dass der Adoptiv-Vater für das Mädchen bis zu
                                                               deren Hochzeit an das vermittelnde Hilfswerk gespen-
                                       Verdingkinder –         det hatte. Eine Leihmutter wäre bezahlt worden. Hier
                                       weggegeben weil         aber erhielt die vermittelnde Institution das Geld, die
                                       «vorig», weg-           leibliche Mutter ging leer aus. Von Behörden und Kir-
                                       genommen weil           che geduldet. Ein normales Vorgehen.
                                       moralisch nicht
                                       vertretbar.
                                                               Starker Wille half
                                       Bild: hmz
                                                               Mehr als ein halbes Jahrhundert später entschuldigte
                                                               sich der St. Galler Regierungsrat Martin Klöti an einem
                                                               Gedenkanlass für das Unrecht und Leid, das Betroffe-
                                                               nen von fürsorgerischen Massnahmen angetan worden
                                                               war. Meine Kollegin war ebenfalls dabei, ebenso als der
                                                               Gedenkbrunnen im Gründenmoos enthüllt wurde. Sie
                                                               nahm auch die psychologische Beratung der Opferhilfe
gabe zitiert, weil eine Schwestern gerade via Zürich in        in Anspruch. Die Therapeutin erklärte ihr, dass nur
den Urlaub fuhr. Da kam es gelegen, dort das kleine            wenige mit einer solchen Geschichte es geschafft hät-
Mädchen schnellstens abzugeben.                                ten, ein normales Leben zu führen. Die meisten hätten
                                                               «den Rank» nicht gefunden und seien Opfer von Aus-
Übergabe traumatisierte                                        nützungen geworden. Hier erinnert sie sich zurück, als
Die lieblose Abfertigung klappte nicht. Das Kind riss          ihr immer wieder eingetrichtert worden ist: «Du bisch
sich von der Schwester los, rannte weg. Die Polizei            nüt, häsch nüt, wirsch nüt ond mosch froh si, dass mer
musste kommen. Die Rede war sogar von Kindsentfüh-             di ufgnoh händ.» Zum Glück hatte meine Kollegin ih-
rung. Dann löste sich alles auf, die Reise ging in die         ren eigenen Kopf, einen starken Willen und die Ent-
Ostschweiz. Ein sehr unglücklicher Start, der Mutter           schlossenheit, das Leben zu meistern. Um sich unab-
und Kind traumatisierte, kein Vertrauen aufkommen              hängig zu machen, suchte sie nach der Schule eine
liess. Ein Gefühl, dass sich durch die ganze Kind- und         Lehrstelle, die etwas entfernt zum Dorf lag und wo sie
Jugendzeit durchzog. Die Mutter verlangte Dankbar-             ein Zimmer zur Verfügung hatte. So baute sie sich suk-
keit, das Mädchen wusste nicht wofür. Sie war ja am            zessive ihr eigenes, unabhängiges Leben auf.
falschen Ort bei der falschen Familie. Der Vater                                                     Isabelle Kürsteiner
wünschte eine perfekte Familie mit untadeligem Kir-
chenbesuch am Sonntag. Beide Begehren konnte das
Kind nicht erfüllen. «Wir sind nie ein Herz und eine
Seele gewesen», erinnert sich die Frau heute. So gab
es zuhause unter Ausschluss der Öffentlichkeit Strafen.

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Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

             Lebensgestaltung –
         Formen, Rollen, Anschauungen

                                                                                                  Stammbäume klären Beziehungen
                                                                                                  und Rollen.
                                                                                                  Bild: lvz.de

             Es gibt den Familienbaum und es gibt den Familien-             mehr und mehr polygamisch und polyandrisch gewor-
             wald. Je nachdem, wie viele Familien ein Mensch                den, wenn nicht gleichzeitig, dann in Serie. Wir genies-
             gründet. Je nachdem, wie viele Kinder mit den ver-             sen die Freiheiten unserer Gesellschaft und lösen uns
             schiedenen Partnern auf die Welt kommen. Je nach-              von den Normen der Vergangenheit.
             dem, wie viele Kinder sie mitbringen und wie viele                Eine der Tendenzen, so Emmanuel Todd, ein franzö-
             Kinder sie pflegen oder adoptieren. Die bürgerliche            sischer Historiker und Soziologe, ist, wo Frauen gebil-
             Familie, ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts, ein               det werden, bekommen sie weniger Kinder, Gleichbe-
             Mann, eine Frau und eigene Kinder war Norm. Zuge-              rechtigung folgt, wenn auch langsam. Auch in der
             geben, nur da wo die Mittelklasse von christlich-pie-          Schweiz, wo das Durchschnittsalter steigt, in dem
             tistischen oder säkular-aufgeklärten Werten geprägt            Menschen zum ersten Mal Eltern werden. Dies geht
             ist. Anderswo gelten kulturelle und ökonomische Va-            Hand in Hand mit schwindender Kindermorbidität und
             rianten.                                                       besserer allgemeinen Gesundheit.
                                                                               Seit den Umbrüchen der 1980er-Jahren gewinnen
             Die bürgerliche Familie hat ihren Bestand bis in unsere        Treue- und Familienformen gleichgeschlechtlicher
             Zeit, hat aber ihre Vorherrschaft in den letzten 40 Jah-       Partner an Akzeptanz. Wo allgemeine Menschenrechte
             ren verloren. Dies hat verschiedene Gründe. War das            gelten (nicht nur für wohlhabende Männer), bestimmt
             Leben bis ins 19. Jahrhundert noch relativ kurz, hatte         die Augenhöhe was legal wird. Solange niemand unter-
             ein Durchschnittsmensch gerade noch Zeit für eine Fa-          drückt, solange niemand ausgebeutet oder ausgegrenzt
             miliengründung. Das heisst, solange er oder sie sich an        wird, ist es potenziell gesellschaftlich konform.
             die Moral des vom Patriarchats geformten Bürgertums               So verschob sich das Wesen der Familie in Gesell-
             hielt.                                                         schaft und in den Gesetzen. Das Konstante ist nicht
                Bei 40 000 Eheschliessungen pro Jahr in der Schweiz         mehr die Form der Familie, sondern die Treue, die sich
             2017–2019 sind vier fünftel Erstehen. Zur selben Zeit          die Menschen innerhalb des Rahmens der Legalität
             lassen sich 16 500 Paare scheiden, etwa die Hälfte             schwören. Eine «natürliche Ordnung» gibt es nicht
             nach 15 Ehejahren oder mehr. Eingetragene Partner-             mehr, dafür aber den Vertrag gleichberechtigter, freier
             schaften scheinen stabiler zu sein, zu jährlich 700            Menschen.
             kommen etwa 175 Auflösungen. Vielleicht hat dies et-              Unsere Freiheiten, Rechte und unser Wohlstand ha-
             was mit dem reifen Durchschnittalter der Partner zu            ben an den Rollen und dem Wesen unserer Idee von
             tun, die durchschnittlich über 42 Jahre alt sind.              Familien geknabbert. So kommen wir zur Patchwork
                Unterschiedliche Familienformen haben sich etab-            Familie und den Rollen die wir langsam aber beständig
             liert. Seit den Umbrüchen der 1969er-Jahre sind wir            auf uns nehmen.

MAGNET Nr.5/2020                                                        8
Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

                                                           Im 19 Jahrhundert: Der Mann wird zum Ernährer
                                                           Bild: planet-wissen.de

                                                               dafür war die viel ältere Realität der männlichen Vor-
                                                               herrschaft, die letztlich auf nichts anderem beruhte als
                                                               der physischen Überlegenheit des Mannes über die
                                                               Frau.

                                                               Die Frau
                                                               Die Industrialisierung und mit ihr verbunden die Le-
                                                               bensgestaltung über den Lohn brachte die Frau in eine
                                                               unmittelbare Abhängigkeit vom Mann als Ernährer.
Mann und Frau und Familie –                                    Die Rollenzuweisung als Hausfrau und Mutter konstru-
                                                               ierte ein sinnvolles Setting, das kirchlich-moralisch so
eine Skizze                                                    interpretiert wurde, dass das scheinbar schon vorher
                                                               so gewesen sein soll. Eine natürliche, gottgewollte
Unsere bürgerliche Kleinfamilie ist eine Erscheinungs-         Ordnung. Da die Frau schon vor der Moderne Kinder
form der Moderne und in keiner Weise die «Urform»              auf die Welt brachte, schien da eine gewisse Logik of-
der Gesellschaft. Die Organisationsform der Familie            fensichtlich.
hat im Laufe der Zeit viele Veränderungen erlebt und              Schon sehr früh gab es jedoch Frauen, die sich mit
die Diskussion, wie sich das Zusammenleben über die            der sich etablierenden Ordnung nicht anfreunden
Jahrtausende der sogenannten Urzeit vollzog, ist bis           wollten und die sich abzeichnende Wirklichkeit mit
heute nicht erloschen. Sigmund Freud hat sich intensiv         zunehmend heldenhaften Männern und bescheidenen
mit den Elementen dieser nicht mehr rekonstruierba-            und gehorsamen Frauen nicht teilten. Die Frauenbe-
ren Phase beschäftigt und in seinem Werk «Totem und            wegungen, die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
Tabu» einige mögliche Aspekte zur Diskussion gestellt.         für die Rechte der Frau stark machten, erreichten im
Für ihn war deutlich, dass es zu einschneidenden Er-           Laufe des 20. Jahrhunderts die rechtliche und politi-
eignissen gekommen sein musste, welche sich im «kul-           sche Gleichstellung. Wirtschaftlich gibt es im Bereich
turellen Gedächtnis» eingelagert haben.                        Lohn nach wie vor Unterschiede.
   Gegenwärtig erleben wir gesellschaftlich eine Phase
des Wandels in der praktischen Funktion der Ge-                Und jetzt
schlechter. Es ist eine gute Zeit, sich Gedanken darüber       Gegenwärtig erleben wir eine sogenannte «Verweibli-
zu machen, was früher anders war und wohin es gehen            chung» der Gesellschaft. Der Gebrauch des Wortes
könnte.                                                        «Verweiblichung» deutet immer noch auf eine Minder-
                                                               einstufung dessen hin, was mit der Frau in Verbindung
Der Mann                                                       gebracht wird. Zu beobachten ist, dass sich Männer
Das Aufkommen der Industrialisierung und den damit             mehr für Kindererziehung engagieren, in Einzelfällen
verbundenen Veränderungen von Lebensgewohnhei-                 als Hausmänner im Gefüge der Familie tätig sind. Häu-
ten führte zur Kleinfamilie, wie sie seit den sechziger        figer ist jedoch die Aufteilung der Partner in ihrem be-
Jahren des vergangenen Jahrhunderts bestimmend                 ruflichen Engagement, wo beide Teile mit Teilpensen
wurde. Waren im Laufe des 19. Jahrhunderts noch alle           für den Erwerb zuständig sind. Der gesellschaftliche
Familienmitglieder als Arbeitnehmer/-innen einge-
bunden (inkl. Kinderarbeit), verschob sich das im Laufe
der Zeit durch das Engagement von Arbeitnehmerorga-
nisationen mehr und mehr in Richtung Arbeitnehmer                    Es ist eine gute Zeit, sich Gedanken
Mann. Frauen und Kinder schieden aus dem Arbeitsle-
ben aus. Die Frau wurde zur Hausfrau und Kinder gin-
                                                                     darüber zu machen, was früher
gen zur Schule. Dieser hier nur skizzierte Prozess ge-               anders war und wohin
schah nicht überall gleichzeitig und erreichte in der
Schweiz auf politischer Ebene recht spät die Stufe der               es gehen könnte.
gleichen Rechte beider Geschlechter.
   Der Mann als Ernährer, als Oberhaupt der Familie,
war eine Folge der Entwicklung der Arbeitswelt. Basis

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Lebensstile - evangelisch-reformierte ...
Thema

                                                                       Fertig mit verstecken – Beziehung
                                                                       offen leben.
                                                                       Bild: Rone Ferreira, Pexels

                                                                            in Gang gekommen, der definitiv einen neuen Blick auf
                                                                            das Menschsein und die Lebensgestaltung verlangt.
                                                                            Scheinbar «Göttliche Ordnungen» wanken nun schon
                                                                            einige Jahre und es wird Zeit, dass sie fallen. Die Folgen
                                                                            davon sind weder totales Chaos, Hölle noch das Para-
                                                                            dies. Diese wird es in den einzelnen Lebensvollzügen
                                                                            nach wie vor geben. Die Folgen der jetzigen Verände-
                                                                            rungen sind der Gewinn an Menschen, die aktiv am
                                                                            Zusammenleben mitgestalten und mit ihrem Scheitern
                                                                            und Gewinnen ihren Teil dazu beitragen, dass wir
                                                                            Menschen gemeinsame Lösungen finden für die Prob-
                                                                            leme, die es hier und heute gibt, weil es uns gibt.

                                                                            Die Patchwork Familie
                                                                            Die seit Mitte des 20. Jahrhunderts als «normal» akzep-
                                                                            tierte Polyandrie und Polygamie hat die Stieffamilie
             Prozess, wo es, wie in vormodernen Zeiten, üblich ist,         zwar nicht hervorgebracht (es gab sie schon immer
             dass beide Elternteile einer Beschäftigung nachgehen,          wegen durch Krieg und Unfällen verwitwete Men-
             wird gegenwärtig durch den Mangel an Fachkräften               schen), wohl aber verändert. Schon das Wort Stieffami-
             beschleunigt. Frauen sind aufgrund dieser Entwicklung          lie ist mit negativem Gedankengut beladen. Die Stief-
             ein Potential, das integriert werden soll. Strukturen          mutter, die die Stiefkinder quält, die eigenen bevor-
             wie Kindertagesstätten sollen dieses Engagement er-            mundet. Echo der Traumata, eine neue Familie grün-
             möglichen. In alten, subsistenten Zeiten, waren dafür          den zu müssen, des Überlebens willen? Erinnerung an
             die «Alten» zuständig, so wie wir es aus dem bäuerli-          das Zusammengeschmissensein in einer Zeit wo das
             chen Bereich bis in unsere Zeit hinein kennen.                 Leben kurz, voller Schmerzen und brutal war?
                                                                               Eine neue Familie gründen, oder auflösen ist in der
             Mann und Frau und Kirche                                       Seelsorge eine bekannte Druckstelle, die die Beteilig-
             Die Form des Zusammenlebens wird bestimmt von den              ten stresst und an ihre Grenzen bringen kann. Wenn
             Lebensumständen und den damit verbundenen Ideolo-              wir die klassischen Gefahrenzonen des menschlichen
             gien. Religionen spielten in diesem Prozess eine sehr          Lebens (Armut, Gewalt, Scheidung, Tod) in Statistiken
             dominante und sehr konservative Rolle. Mit der Tren-           über Familien in der Schweiz beachten, ergibt sich un-
             nung von Kirche und Staat wurden Entwicklungen                 ter anderem dieses Bild:
             möglich, welche die fixen, «gottgegebenen» Vorstel-
             lungen aufbrachen. Für viele konservative «Gläubige»           – Hohe Scheidungsrate, steigende Zahl Scheidungs-
             ist diese Entwicklung nach wie vor sehr fragwürdig.              kinder, erhöhte Gefahr an die Armutsgrenze zu stos-
             Dies vor allem, seit in diesen Prozess auch Menschen             sen.
             einbezogen sind, die den gängigen Vorstellungen von            – 27% Einelternfamilien und 24% Mehrkinderfami-
             männlich und weiblich nicht entsprechen. Wir erleben             lien leben unter der Armutsgrenze. Davon beziehen
             das gegenwärtig in der Frage der «Ehe für alle», wo              mehr als die Hälfte der Einelternfamilien Sozialhilfe.
             Vorstellungen darüber, was richtig ist und was nicht,            Dies ist ein Genderproblem, da nur 5% Väter das
             mit neuer Vehemenz diskutiert werden.                            Sorgerecht zugesprochen wird.
                                                                            – Missbrauch und Gewalt ist ebenfalls ein Genderpro-
             Wie weiter                                                       blem. Bei etwa 3000 Fällen im Jahre 2007 waren
             Mit dem offensichtlichen Einbezug der Lebensgestal-              86% Frauen und Mädchen Opfer. Wo Gewalt gegen
             tung von Schwulen, Lesben und transsexuellen Men-                Knaben abnimmt wenn sie älter werden, gilt bei
             schen in das Recht unserer Gesellschaft ist ein Prozess          Mädchen das Gegenteil.

MAGNET Nr.5/2020                                                       10
Thema

«Patchworkfamilie
– Beziehung als
stetige Herausfor-
derung und Chance
lernen.
Bild: hmz

                                                                                     dies schematisch darstellen, zurück bis in die Urgross-
                                                                                     familien, haben wir ein Wurzelsystem von Verbindlich-
                                                                                     keiten und Rollen und Miteinander welches zu lustigen
     Mit der Trennung von Kirche und                                                 Familientreffen, Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen
                                                                                     führen kann, aber nicht unbedingt muss. Die Verhält-
     Staat wurden Entwicklungen möglich,                                             nisse zwischen den geschiedenen Ex-Partnern bleiben
     welche die fixen, ‹gottgegebenen›                                                bestehen, wenn auch in veränderter Form, soweit sie
                                                                                     auch Eltern und Erzieher ihrer Kinder (und Stiefkin-
     Vorstellungen aufbrachen.                                                       der) bleiben.
                                                                                        In der Seelsorge ist es daher sehr hilfreich, mit ei-
                                                                                     nem Stammbaum anzufangen, der einige Generatio-
                                                                                     nen zurück geht, um Familienmuster sichtbar zu ma-
                     – In den Jahren 2004–2007 wurden 54% aller Morde                chen. Auf Fragen, wo lernen wir unsere Gewohnhei-
                       und Totschläge innerhalb der Familie begangen.                ten, Umgangsformen, wo fangen die ungesunden Ab-
                       70% der Opfer waren Frauen, 88% der tatverdächti-             hängigkeiten und Stressbehandlungsstrategien (Krank-
                       gen Männer. Kinder unter 15 Jahren überwiegend                heit, Alkohol, Drogen, Schläge …) an, wo wiederholen
                       durch die Gewalt von Eltern. Besonders gefährdet              sie sich, ist in Wahrheit und Klarheit der erste Schritt
                       sind Frauen im Alter zwischen 20–40 Jahren durch              hin zur Genesung.
                       Scheidung oder Trennung.                                         Umgekehrt, da wo (Patchwork) Familien die Vielfalt
                     – Bei Partnerschaften alternder Menschen, wird die              als Reichtum erleben, lehren sie die Generationen mit
                       Frage nach dem Erbe den Partnern überlassen und               komplizierten Verhältnissen auf kreative Weise umzu-
                       nicht durch zeitgemässe Gesetze geregelt. Die Ge-             gehen. Unsere Freiheiten, Wohlstand und Rechte ha-
                       fahr der Altersarmut der Hinterbliebenen ist gege-            ben an den Rollen und dem Wesen unserer herkömm-
                       ben.                                                          lichen Idee von Familien geknabbert. Nur der Mangel
                                                                                     an der Kreativität der Liebe und Fürsorge macht dies
                     Leider haben wir keine öffentliche Statistiken, wie sich        zu Problemen, die wir scheinbar bis heute oft nicht
                     die oben genannten Probleme in der Schweiz in Patch-            überwinden.
                     work Familien präsentieren. Wir können nur von eini-                                   Carlos Ferrer und Heinz Mauch-Züger
                     gen US-amerikanischen Studien extrapolieren, die der
                     Patchwork Familie eine höhere Gefährdung durch fa-
                     miliäre Gewalt einräumen als anderen.
                        Das normale Miteinander innerhalb Patchworkfami-
                     lien, abgesehen von den oben genannten Stresspunk-
                     ten wird deutlich wenn wir einen Stammbaum zeich-
                                                                                            Wir haben keine öffentliche
                     nen:                                                                   Statistiken, wie sich die Probleme
                        Eine geschiedene Frau bringt ein Kind in die zweite
                     Ehe mit. Sie bekommt ein zweites, das erste ihres Man-                 in der Schweiz in Patchwork-
                     nes. Nach deren Scheidung bringt sie zwei Kinder mit
                     in ihre dritte Ehe oder Partnerschaft. Er bringt sechs                 Familien präsentieren.
                     Kinder mit in seine dritte Ehe. Der zweite Mann oder
                     Partner der geschiedenen Frau heiratet zum zweiten
                     Mal, bringt zwei Kinder mit, seine Frau bringt zwei
                     und zusammen bekommen sie noch eins. Wenn wir

                                                                                11                                                         MAGNET Nr.5/2020
Thema

                         Plötzlich alleinerziehend
                «Ob beim Kauf der SBB-Juniorkarten oder der Bu-                 Gespräche geführt. Ich wusste meist, wie er in ver-
                chung von Ferienunterkünften für meine vier Kinder              schiedenen Situationen reagiert hätte, das hat mir ge-
                und mich – immer wieder werde ich nach Personalien              holfen.»
                oder Unterschriften des Vaters gefragt. Manchmal                   Doch auf alles andere konnte sie sich nicht vorberei-
                sage ich einfach: Das geht nicht. Nicht immer mag ich           ten. Die fehlende Liebe von P., das langwierige Proze-
                erklären, dass mein Mann P. gestorben ist.»                     dere, um eine Beistandschaft für die Kinder zu verhin-
                                                                                dern, Elternabende ohne Partner, Kindergeburtstage
                Das jüngste Kind war noch nicht zwei Jahre alt, das äl-         ohne Papa, Ferien mit vier Kindern. Dazu die vielen
                teste in der zweiten Klasse, als der Mann von R. für            organisatorischen Herausforderungen um die Kinder
                 einen harmlosen Eingriff ins Spital musste. Dabei              betreut zu wissen, wenn sie arbeitet, Sitzungen oder
                wurde eine Krebserkrankung entdeckt. Nach einer be-             Arzttermine hat. Ohne Unterstützung ihrer Familie,
                lastenden Zeit mit Operationen und Chemotherapien               des Freundeskreises und guter Nachbarn würde es
                mit schlimmen Nebenwirkungen wurde klar, dass die               nicht gehen. Sie sind auch da, wenn R. hin und wieder
                Krankheit nicht geheilt werden konnte. Darauf ent-              etwas Zeit für sich braucht.
                 schied sich der Familienvater, nur noch die absolut nö-
                tigen medizinischen Behandlungen in Anspruch zu                 «Es gibt immer wieder Zeiten, in denen der Papa
                nehmen. Während der damals 42-jährige schrittweise              fehlt»
                loslassen musste, lastete immer mehr Verantwortung              Inzwischen sind bald sechs Jahre seit dem Tod von P.
                 auf seiner Frau. Mit grosser Offenheit und Liebe berei-        vergangen. Im Laufe der Zeit hat sich eine gewisse Nor-
                tete sich die Familie auf den Abschied vor. Gleichzeitig        malität eingespielt. Aus den älteren Kindern wurde
                bewahrten die Eltern ihren Kindern einen Alltag, in             Jugendliche mit all ihren pubertären Phasen und Ablö-
                welchem neben der Traurigkeit auch Lachen, Musik                sungsprozessen, denen sich die vierfache Mutter allein
                und Fröhlichkeit Platz hatten. P. konnte daheimbleiben          stellen muss. Die Kinder sind durch die Familiensitua-
                – mitten in seiner Familie – gepflegt von seiner Frau           tion selbständig und reif geworden, übernehmen Ver-
                und umgeben von Kindern, Tieren und Lebendigkeit.               antwortung und zeigen Empathie gegenüber anderen.
                Am 37. Geburtstag der jungen Mutter ist er gestorben.           Doch immer wieder gibt es Zeiten, in denen sie den
                                                                                Vater schmerzlich vermissen oder R. von tiefer Trauer
                «Und plötzlich war ich alleinerziehend, ohne dass               erfasst wird.
                ich etwas dagegen hätte tun können»
Das Bild        Nach fast drei Jahren zwischen Angst und Hoffnung,              «Ich musste die Liebe neu definieren»
stammt von P.   Hilflosigkeit, Überlastung und Trauer musste das Leben          Was R. sich lange nicht vorstellen konnte, ist vor eini-
Hinter diesen
                ohne Mann und Papa weitergehen. Die Kinder sollten              ger Zeit eingetreten. Es gibt wieder einen Mann in ih-
Fenstern
verbrachte er
                eine möglichst normale Kindheit haben.                          rem Leben. Für die Kinder ist es eine Herausforderung,
seine letzten      «In der ersten Zeit schien es mir, als würde P. mich         dass zusätzlich zu ihrer seit dem Tod des Papas fünfköp-
Tage.           bei Entscheidungen bezüglich der Kinder unterstützen.           figen Familie nun manchmal noch drei Buben mit ih-
Bild: zVg.      Wir hatten während der Zeit seiner Krankheit so viele           rem Vater anwesend sind. Zeitweise eines von sieben
                                                                                Kindern zu sein und den eigenen Platz darin zu finden,
                                                                                fällt ihnen nicht immer leicht. Ein Vorteil ist, dass der
                                                                                Partner ihrer Mama ein Freund ihres Vaters gewesen
                                                                                war und zusammen mit seinen Buben schon immer
                                                                                zum Freundeskreis der Familie gehört hatte. Er teilt
                                                                                mit den Kindern viele Erinnerungen und unterstützt
                                                                                sie, übernimmt jedoch keine Vaterrolle. Mittlerweile
                                                                                entwickelte sich eine liebevolle Beziehung voller Wert-
                                                                                schätzung und Geborgenheit, die auch für die Kinder
                                                                                bereichernd ist.
                                                                                   «Ich habe nicht geglaubt, dass es möglich ist für P.
                                                                                noch so viel Liebe zu empfinden und mich trotzdem in
                                                                                einen neuen Mann verlieben zu können. Es war nicht
                                                                                leicht. Nach allem was hinter mir liegt, musste ich die
                                                                                Liebe für mich neu definieren. Das ist manchmal
                                                                                schwierig und gleichzeitig wunderschön.»
                                                                                                                          Judith Husistein

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Thema

           Als Single in der Gemeinschaft
                                                                              Und überhaupt: Wie lebt es sich in einer Communität?
                                                                              In Psalm 133 heisst es: «Siehe, wie fein und lieblich ist›s,
                                                                              wenn Brüder (und Schwestern) einträchtig beieinander
                                                                              wohnen!» Offensichtlich ist das nicht selbstverständlich.
                                                                              Wie ist das bei euch? Wie geht ihr mit den Spannungen
                                                                              des Zusammenlebens um? Das lässt sich ja nicht ver-
                                                                              meiden.
                                                                                 Das Leben in Gemeinschaft ist sicher nicht die ein-
                                                                              fachste Lebensform. Es gibt viele Sachen zu regeln,
                                                                              wenn man gemeinsam unterwegs ist. Es sind Dinge des
                                                                              Alltages, aber auch Fragen der Entwicklung der Ge-
                                                                              meinschaft. Zusammen das Leben zu gestalten braucht
                                                                              recht viel Zeit. Das hatte ich am Anfang unterschätzt.
                                                                              Das Zusammenleben muss gepflegt werden und regel-
                                                                              mässige gemeinsame Zeiten sind wichtig. Es braucht
                                                                              Gespräche, Austausch und Absprachen. Dabei geht es
                                                                              nicht nur um die Arbeitsbereiche. Wichtig ist auch,
                                                                              dass wir geistlich zusammen unterwegs sind und dafür
                                                                              uns auch Zeit nehmen.
Urs Trösch –    Urs, Du lebst in einer reformierten Kommunität. War
Single mit      das für Dich schon immer eine Option?                         Ihr teilt Geld und Leben miteinander. Wie habt ihr es
Gemeinschaft.
                   Die Form des gemeinschaftlichen Lebens habe ich            mit der Liebe?
Bild: sy
                während einer Auszeit vor 15 Jahren kennen gelernt.              Teilen ist quasi der Leitfaden in unserer Gemein-
                Diese Zeit habe ich in der Communität Don Camillo             schaft. Wir planen gemeinsam unsere Einnahmen und
                verbracht. Das Leben in dieser Kommunität hat mich            Ausgaben. Jede und jeder ist aufgefordert, sich daran zu
                damals angesprochen und nicht mehr losgelassen.               beteiligen. Wir teilen aber auch Zeit miteinander. Dies
                   Als wir uns kennen gelernt haben, hast du als «Ex-         in unserem Glaubensleben, den täglichen Begegnun-
                terner» im Stadtkloster in Berlin gearbeitet und das          gen und den regelmässig stattfindenden Treffen der
                Projekt mit aufgebaut. Inzwischen bist Du Mitglied bei        Gesamtgemeinschaft. Unsere Arbeit mit den Gäste-
                den Don Camillos. Was hat Dich bewogen, der Ge-               und Tagungshäusern bestreiten wir ebenfalls gemein-
                meinschaft beizutreten?                                       sam. Bei all dem erleben wir auch sehr unterschied-
                   2007 begann ich meine Arbeit bei Don Camillo im            liche Wahrnehmungen. Den einen fällt das Teilen der
                Stadtkloster zuerst als Mitarbeiter. Bereits in dieser        Finanzen einfach, den andern schwerer. Das gleiche
                Zeit konnte ich viel vom gemeinsamen Leben miterle-           gilt auch bei den übrigen Bereichen. Um dies abzufe-
                ben. Mit der Zeit wuchs dann bei mir der Wunsch,              dern ist es uns wichtig, darüber im Austausch zu blei-
                auch in eine Verbindlichkeit gegenüber der Gemein-            ben.
                schaft einzutreten und ihr beizutreten.
                                                                              Welche Rolle spielt der Glaube bei eurem Zusammenle-
                Was macht die Communität Don Camillo aus?                     ben?
                   Die Communität Con Camillo ist sehr vielseitig. Es            Der Glaube an Christus ist für uns der zentrale
                gibt verschiedene Standort. Das Stadtkloster Segen in         Punkt. Das ist es, was uns schlussendlich zusammen-
                Berlin ist einer davon. In der Gemeinschaft leben Fa-         hält. Wir versuchen dem auch viel Raum zu geben. Im
                milien, Eherpaare und Single. Wir kommen aus ver-             regelmässigen gemeinsamen Gebet, den Gottesdiens-
                schiedenen Umfeldern, Orten und Altersklassen. Diese          ten, Kleingruppen und Einkehrtagen.
                Vielseitigkeit in einer Gemeinschaft zusammen zu                                                          Interview: Lars Syring
                bringen ist spannend, aber auch herausfordernd.

                Wie lebt es sich da als Single bei Don Camillo?
                   Familien und Singles haben andere Bedürfnisse und
                                                                              Urs Trösch ist 53 Jahre alt. Aufgewachsen im Berner Oberland.
                sind mit anderen Schwerpunkten im Leben unterwegs.
                                                                              Er arbeitete bis 2007 in Reisezentren der BLS. Seit 2007 lebt und
                Das sind Unterschiede die es zu besprechen und gegen-         arbeitet er in Berlin im Stadtkloster Segen, das zur Schweizer
                seitig zu akzeptieren gibt. Bei vielen Sachen können          Communität Don Camillo gehört.
                wir uns aber auch gut ergänzen.                               Für Interessierte: www.stadtklostersegen.de

                                                                         13                                                                  MAGNET Nr.5/2020
Erinnerung

                                 Bonhoeffer und ich
             «Von guten Mächten wunderbar geborgen» – dieses                 Den Verlobten blieb nichts anderes
             Gedicht war meine erste Begegnung mit Dietrich                  übrig, als sich fortan Briefe zu schrei-
             Bonhoeffer. Unser Pfarrer erzählte uns im Konfirma-             ben. Dieser Briefwechsel zeugt von
             tionsunterricht von ihm. Er sei ein Pfarrer gewesen,            einer langsamen Annäherung, grosser
             der sich im Widerstand gegen Hitler engagiert hat               Liebe, immer wieder enttäuschter
             und dafür hingerichtet wurde. Ich war beeindruckt.              Hoffnung auf seine baldige Freilassung,
                                                                             und mehr und mehr auch von Span-
             Es war nicht nur die schöne und – zugegeben – leicht            nungen. Die junge Maria fühlte sich
             gefühlsduselige Melodie mit der Siegfried Fietz das Ge-         von dem klaren und wohl auch etwas
             dicht vertont hatte, die mich in Geborgenheit wog. Mir          dominanten Mann eingeengt. Bon-
             imponierte auch das Vertrauen, das ich in diesem Ge-            hoeffer schmachtete in der Zelle:
             dicht entdeckt habe. «Und reichst du uns den schwe-             «Eben läutet es zum Schlafengehen …
             ren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den           Gedanken habe ich heute nicht mehr
             höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zit-              viel, aber das Herz ist voll grosser
             tern aus Deiner guten und geliebten Hand.» Das war              Liebe, das ist auch ohne viele Gedan-
             schon was. Da wollte ich auch hinkommen. Das war                ken immer da und immer bei Dir. Leb’
             radikal. Wer so dichten kann, dem kann nichts mehr              wohl, meine liebste Maria. Sei weiter
             passieren, dachte ich. Dieses Gedicht, 1944 als Weih-           fröhlich, geduldig und tapfer und ver-
             nachtsgruss! für seine Verlobte Maria von Wedemeyer             giss mich nicht, wie ich Dich nicht
             und die Familie geschrieben, begleitet mich bis heute.          vergesse, vom Morgen bis zum Abend
             Ich versuche es mit meinem Leben nachzubuchstabie-              und in der Nacht, wenn ich aufwa-
             ren.                                                            che.»

             Der politische Aktivist                                         Der Pazifist
             Auf der anderen Seite beeindruckte mich der politische          Später dann, als ich mich mit dem
             Aktivist. Bonhoeffer war kein Schön-Wetter-Christ. Er           Kriegsdienst auseinandergesetzt habe,
             scheute sich nicht, dahin zu gehen, wo es weh tat.              begegnete mir Bonhoeffer als Pazifist.
             Schon im April 1933, keine drei Monate nach der                 Auf der Fanö-Konferenz hat er 1934 gefordert, dass die     Dietrich
             Machtergreifung Hitlers, forderte er seine Kirche auf,          Kirche Christi «ihren Söhnen im Namen Christi die          Bonhoeffer.
                                                                                                                                        Er wurde am
             wenn der Staat versagt, «nicht nur die Opfer unter dem          Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg ver-
                                                                                                                                        9. April 1945
             Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Spei-           bietet und den Frieden ausruft über die rasende Welt».     von den Nazis
             chen zu fallen». Damit begann seine Arbeit im Wider-            Dazu liefert er eine interessante Begründung, die sich     hingerichtet.
             stand, zunächst im kirchlichen Bereich. Nachdem der             nicht nur auf die Bergpredigt (Mt 5–7) bezieht, son-       Bilder: sy

             Arier-Paragraph in der Kirche eingeführt worden war,            dern auch auf Paulus’ Bild vom Leib Christi. Wenn ein
             gründeten einige Berliner Pfarrer, unter ihnen Martin           Christ im Krieg die Waffe auf einen anderen Christen
             Niemöller und Bonhoeffer zunächst den Pfarrernot-               aus einem anderen Land richtet, dann richtet er die
             bund, einen Vorläufer der Bekennenden Kirche. Bon-              Waffe letztlich auf Christus selbst. Auch der fremde
             hoeffer organisierte für die Bekennende Kirche die il-          Christ gehört zu seinem Leib. Bonhoeffer fragt stattdes-
             legale Pfarrerausbildung.                                       sen: Wer wüsste, «was es für die Welt bedeuten könnte,
                 Es dauerte dann noch sieben Jahre, bis sich Bonhoef-        wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – be-
             fer entschloss, aktiv auch im politischen Widerstand zu         tend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der
             arbeiten. Er gehörte zu einer Verschwörergruppe rund            allein guten Wehr und Waffen den Angreifer emp-
             um General Wilhelm Canaris, der die Abwehr, den mi-             finge»? Die Antwort steht noch immer aus.
             litärischen Geheimdienst der Wehrmacht, leitete.
                                                                             Soeben ist ein Brief Bonhoeffers entdeckt worden, den
             Der Verliebte                                                   er 1934 Mahatma Gandhi geschrieben hatte. Bonhoef-
             Als ich mich dann zum ersten Mal richtig verliebt hatte,        fer wollte Gandhi besuchen und von ihm nicht nur die
             fielen mir Bonhoeffers Brautbriefe in die Finger. Bon-          Methoden des gewaltlosen Widerstands lernen, son-
             hoeffer hatte sich im Januar 1943 mit der 18-jährigen           dern auch eintauchen in seine gelebte Spiritualität.
             Maria von Wedemeyer, der Schwester eines ehemali-               Bonhoeffer rang mit dem «Wirklichwerden des Glau-
             gen Konfirmanden, verlobt. Bonhoeffer selbst war da-            bens» und hoffte im Osten neue Impulse für die tote
             mals 36 Jahre alt. Die Verlobten hatten nur wenig Zeit          Kirche im Westen zu finden. Obwohl Gandhi Bonhoef-
             miteinander. Im April wurde Bonhoeffer verhaftet.               fer einlud, kam es dann doch nicht zu dieser Reise.

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Erinnerung

                                                                                     wissen wir auch, daß diese billige Gnade in höchstem
                                                                                     Maße unbarmherzig gegen uns gewesen ist? Ist der
                                                                                     Preis, den wir heute mit dem Zusammenbruch der or-
                                                                                     ganisierten Kirchen zu zahlen haben, etwas anderes als
                                                                                     eine notwendige Folge der zu billig erworbenen Gnade?
                                                                                     Man gab die Verkündigung und die Sakramente billig,
                                                                                     man taufte, man konfirmierte, man absolvierte ein gan-
                                                                                     zes Volk, ungefragt und bedingungslos, man gab das
                                                                                     Heiligtum aus menschlicher Liebe den Spöttern und
                                                                                     Ungläubigen, man spendete Gnadenströme ohne Ende,
                                                                                     aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde
                                                                                     seltener gehört. Wo blieben die Erkenntnisse der alten
                                                                                     Kirche, die im Taufkatechumenat so sorgsam über die
                                                                                     Grenze zwischen Kirche und Welt, über der teuren
                                                                                     Gnade wachte?»
Bonhoeffer und sein Freund Bethge; letzterer wurde Ende April 1945 freigelas-           Jahre später blickt er selbstkritisch auf diese Zeit zu-
sen. Er begann mit der Veröffentlichung der Schriften Bonhoeffers.                   rück und meint, er habe das Vorletzte zum Letzten ge-
                                                                                     macht. Eine Methode (wie hier die Praxis der Bergpre-
                                 Der existenzielle Bergprediger                      digt) sei immer nur der Weg vom Vorletzten zum Letz-
                                 Während meines Studiums beein-                      ten. Wegbereitung hingegen ist der Weg vom Letzten
                                 druckte mich, wie nahe Bonhoeffers                  zum Vorletzten, von Christus auf den Menschen zu.
                                 Denken dem von Albert Camus ist.                    «Christliches Leben ist der Anbruch des Letzten in mir,
                                 Während Camus versuchte, eine Le-                   das Leben Jesu Christi in mir.» Das Vorletzte sei kein
                                 bensphilosophie ohne die Arbeitshy-                 Selbstzweck!
                                 pothese Gott auf die Beine zu stellen,
                                 dachte Bonhoeffer über ein religions-               Der Gefangene
                                 loses Christentum in voller Diesseitig-             Im Vikariat habe ich dann zum ersten Mal wirklich
                                 keit nach. «Einen Gott, den es gibt,                «Widerstand und Ergebung» gelesen. Dieses wunder-
                                 gibt es nicht», ist einer von Bonhoef-              bare Buch beinhaltet den Briefwechsel, den Bonhoeffer
                                 fers Spitzensätzen. Stattdessen kann                nach seiner Verhaftung aus der Zelle herausgeführt hat.
                                 ein Mensch nur dann Christ sein,                    Neben den Briefen an die Familie ist dort vor allem der
Maria von      wenn «Gott ihm nicht als Du gegenübertritt, sondern                   geschmuggelte Briefwechsel mit seinem Freund Eber-
Wedemeyer,     als Ich in ihn eingeht». Erst in dieser Beziehung, in der             hard Bethge interessant. In der Zelle, so scheint es,
die 18 Jahre
               Gleichgestaltung, ereignet sich Gott. Beide, Camus                    bricht für Bonhoeffer noch einmal eine neue Phase des
jüngere
Verlobte von
               und Bonhoeffer, sträuben sich gegen abstraktes verob-                 theologischen Nachdenkens an. Wie ein Mönch in sei-
Bonhoeffer.    jektivierendes Reden. Was sie interessiert, ist die ver-              ner Zelle nähert er sich Gott noch einmal anders.
               antwortliche Tat des konkreten Menschen in der kon-                      «Man soll Gott in dem finden und lieben, was er uns
               kreten Situation. Bonhoeffer: «Eine Erkenntnis kann                   gerade gibt.» Es geht darum, mit Gott Schritt zu halten
               nicht getrennt werden von der Existenz, in der sie ge-                und ihm nicht immer schon einige Schritte voraus zu
               wonnen ist.»                                                          eilen, allerdings auch nicht hinter ihm zurück zu blei-
                  In diesem Zusammenhang begegnete mir Bonhoef-                      ben. Bonhoeffer ringt in den intensiven Briefen, die
               fers Unterscheidung zwischen billiger und teurer                      immer wieder durch Bombenalarme unterbrochen
               Gnade. «In dieser Kirche findet die Welt billige Bede-                werden, um eine neue Sprache (siehe Kästchen). Wie
               ckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von de-                  kann das, was heute wichtig ist, so gesagt werden, dass
               nen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige              es der mündig gewordene Mensch versteht? Wo liegt
               Gnade heisst Rechtfertigung der Sünde und nicht des                   die Grenze zwischen dem notwendigen Widerstand
               Sünders.» Bonhoeffer wollte den ganzen Menschen,                      gegen das ‹Schicksal› und der ebenso notwendigen Er-
               der sich Gott unterstellt. Keine kleinen Trostpflaster                gebung? Er folgert: «Die Grenzen sind also prinzipiell
               für die Seele, sondern die Umkehr des ganzen Men-                     nicht zu bestimmen; aber es muss beides da sein und
               schen. «Teuer ist sie [die Gnade], weil sie in die Nach-              beides mit Entschlossenheit ergriffen werden.»
               folge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu                So formuliert er ein Glaubensbekenntnis: «Ich
               Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das                glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
               Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben                Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er
               erst schenkt.»                                                        Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen las-
                  Mit dieser Grundunterscheidung beginnt Bonhoef-                    sen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel
               fer seine radikale Auslegung der Bergpredigt Jesu. Da-                Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber
               bei kommt er auch zu kräftiger Kirchenkritik: «Aber                   er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns

                                                                                15                                                          MAGNET Nr.5/2020
Erinnerung

                                                         Bonhoeffers
                                                                              auch noch einmal das letzte Kapitel seiner «Nachfolge»
                                                         Haftzelle
                                                         Nr. 92 in der
                                                                              mit anderen Augen. Dort beschreibt Bonhoeffer die
                                                         Justizvoll-          Einwohnung Christi im Herzen eines Menschen: «Wer
                                                         zugsanstalt          Christus schaut, der wird in sein Bild hineingezogen,
                                                         Tegel                seiner Gestalt gleichgemacht, ja er wird zum Spiegel
                                                         in Berlin.           des göttlichen Bildes. Schon auf dieser Erde wird sich
                                                                              in uns die Herrlichkeit Jesu Christi widerspiegeln.»
                                                                              Diese Umgestaltung ist die Einwohnung, in der Chris-
                                                                              tus im Leben seiner NachfolgerInnen weiterlebt. «Der
                                                                              Menschgewordene, der Gekreuzigte, der Verklärte ist
                                                                              in mich eingegangen und lebt mein Leben.»
                                                                                 Vor 75 Jahren, am 9. April 1945, wurde Dietrich
                                                                              Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg hinge-
                                                                              richtet. Er wurde 39 Jahre alt. Payne Best, einer seiner
                                                                              Mitgefangenen, überlieferte seine letzten Worte: «Das
                                                                              ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.»
                                                                                                                           Lars Syring

                                                                                Das Warten auf eine neue Sprache
                                                                                Dietrich Bonhoeffer schreibt schon 1944: «Was mich unabläs-
                                                                                sig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch, wer
             selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem               Christus heute für uns eigentlich ist. Die Zeit, in der man das
             Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwun-                 den Menschen durch Worte – seien es theologische oder
             den sein.»                                                         fromme Worte – sagen konnte, ist vorüber … Wir gehen einer
                Viele seiner Gedanken aus dieser Zeit bleiben Frag-             völlig religionslosen Zeit entgegen; die Menschen können ein-
             mente. Fragmente, die Generationen nach ihm immer                  fach, so wie sie nun einmal sind, nicht mehr religiös sein …
             noch äusserst anregend sind.                                       Wie sprechen … wir ‹weltlich› von ‹Gott›, wie sind wir ‹reli-
                                                                                gionslos-weltlich› Christen?»
             Der Mystiker
             Als aus meiner Frau und mir ein kleine Familie wurde,              Im Brief an sein Patenkind formuliert er: «Du wirst heute zum
             interessierten mich Bonhoeffers Erfahrungen aus den                Christen getauft. Alle die alten großen Worte der christlichen
             Predigerseminaren. Dort hat er eine evangelische Form              Verkündigung werden über Dir ausgesprochen und der Taufbe-
             des gemeinschaftlichen, kommunitären Lebens aufge-                 fehl Jesu Christi wird an Dir vollzogen, ohne daß Du etwas da-
             baut. In dem Buch «Gemeinsames Leben» legt er Re-                  von begreifst. Aber auch wir selbst sind wieder ganz auf die
             chenschaft ab. Mich faszinierte die Möglichkeit eines              Anfänge des Verstehens zurückgeworfen.» Was die grossen
             verbindlichen christlichen Lebens in der Gemeinschaft.             Worte der Tradition meinen, «was Leben in Christus und Nach-
             Zeit und Geld miteinander teilen, den Glauben vertie-              folge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, daß wir
             fen, Tagzeitengebete feiern. Vieles, was ich von Bon-              es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten
             hoeffers Erfahrungen mit dem Bruderhaus gelernt                    Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Um-
             habe, trägt mich nun durch die Corona-Zeit. Die Tag-               wälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können …
             zeitengebete strukturieren jetzt auch unseren Tag. Wir             Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und ver-
             feiern Kirche zu Hause. Versammeln uns um unseren                  stummen … Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen
             Esstisch, singen Lieder und beten die Psalmen. Und                 – aber der Tag wird kommen –, an dem wieder Menschen be-
             immer wieder begegnet uns dort auch Bonhoeffers mo-                rufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, daß sich die
             derner Psalm: Von guten Mächten wunderbar gebor-                   Welt darunter verändert und erneuert. Es wird eine neue Spra-
             gen.                                                               che sein, vielleicht ganz unreligiös, aber befreiend und erlö-
                Im Rahmen meiner Ausbildung zum Spiritual an der                send, wie die Sprache Jesu, dass sich die Menschen über sie
             Uni Zürich habe ich dann – wie kann es anders sein –               entsetzen und doch von ihrer Gewalt überwunden werden, die
             meine Abschlussarbeit über Dietrich Bonhoeffer ge-                 Sprache einer neuen Gerechtigkeit und Wahrheit, die Sprache,
             schrieben. Nach dem erneuten Lesen seiner Bücher                   die den Frieden Gottes mit den Menschen und das Nahen sei-
             verdichtete sich bei mir der Eindruck, dass Bonhoeffer,            nes Reiches verkündigt … Bis dahin wird die Sache der Chris-
             auch wenn er selbst das abgestritten hätte, tiefe mysti-           ten eine stille und verborgene sein; aber es wird Menschen
             sche Erfahrungen gemacht haben muss. Sowohl in sei-                geben, die beten und das Gerechte tun und auf Gottes Zeit
             ner Zeit in Amerika Anfang der 30er-Jahre. Als auch                warten.»
             später in seiner Gefängniszelle. Und so las ich dann

MAGNET Nr.5/2020                                                         16
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