Magazin 1 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds

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Magazin 1 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Magazin

                                1 | 2019
                                           BODEN
                                           FRUCHTBARKEIT
                                           FONDS

Kann BIO die Welt ernähren?
Interview mit Hans Rudolf Herren
Seite 3

Bodenentwicklung ist möglich!
Seite 7

Neue EU-Bio-Verordnung und
der Umgang mit Pestiziden
Seite 11

Allianz für die Bodenfruchtbarkeit
Magazin 1 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Liebe Freunde und Interessierte
des Bodenfruchtbarkeitsfonds

Wir leben in turbulenten Zeiten. So weiter wie bisher geht
es in vielerlei Hinsicht nicht mehr. Vielen ist das inzwischen
klar. Der Klimawandel, die Folgeschäden an der Natur
durch einen übermässigen Gebrauch von synthetischen
Pestiziden in der Landwirtschaft, die entgegen jahrelanger
Behauptungen der Agrarchemie nun doch als Rückstän-
de nahezu überall feststellbar sind; wir verstehen solche                    Mathias Forster, Geschäftsleiter Bio-Stiftung Schweiz und
Tatsachen, die unübersehbar sind, als Weckrufe um aufzu-                       Vorsitzender Projektleitung Bodenfruchtbarkeitsfonds
wachen und andere Wege einzuschlagen, ohne noch viel
Zeit zu verlieren, denn die haben wir nicht mehr, wenn wir
die Verantwortung gegenüber unseren Kindern und En-
kelkindern wirklich ernst nehmen. Diese Einsicht scheint             möglichst vielen Bauern zur Verfügung zu stellen, damit
sich auch in den sogenannten Mainstream-Medien lang-                 aus einer ursprünglichen Nischenbewegung, der nachhal-
sam zu verbreiten. „Gekaufte Agrarpolitik – wie Industrie            tigen Landwirtschaft, Mainstream werden kann.
und Agrarlobby durchregieren“, so lautete der Titel einer            Aber wie soll das gehen? Geht das überhaupt? Kann Bio
Sendung in der deutschen ARD, die am 29. April ausge-                die Welt ernähren? In diesem Magazin sprechen wir darü-
strahlt wurde. Der Film legt offen, wie Agrarpolitiker jeden         ber mit Hans Rudolf Herren, dem Träger des alternativen
Fortschritt hin zu einer regenerativen Landwirtschaft seit           Nobelpreises und Präsidenten der Stiftung Biovision, der
Jahren erfolgreich blockieren, trotz der zahlreichen war-            neben vielem Anderen auch Botschafter des Bodenfrucht-
nenden Rufe aus der Wissenschaft. Viel anders erlebe ich             barkeitsfonds ist. Eine weitere Frage, die uns umtreibt, ist:
das auch in der Schweiz nicht. Ich bin sehr froh und dank-           Was bringt die neue EU-Bio-Verordnung, die ab 2021 in
bar, dass wir im nächsten Jahr über eine Schweiz ohne                Kraft treten soll? In der letzten Ausgabe hat sich Hanspe-
synthetische Pestizide werden abstimmen können. Die                  ter Schmidt zu diesem Thema bereits geäussert. In der
Zeit könnte reif sein …                                              Interpretation gibt es aber verschiedene Sichtweisen. Das
Kürzlich ist öffentlich geworden, dass der Agrarriese                wurde uns schnell deutlich. In der vorliegenden Ausgabe
Monsanto jahrelang Listen angelegt hat, um die eigenen               verfolgen wir das Thema weiter, diesmal im Gespräch mit
Kritiker aus Politik, Wissenschaft und Medien in verschie-           Alexander Gerber, dem Vorstandssprecher von Demeter
dene Kategorien einzuteilen. Je nach Einflussmöglichkei-             Deutschland und Vorstandsmitglied des BÖLW. Wir woll-
ten sollten sie mehr oder weniger dringend „erzogen“                 ten in diesem Zusammenhang natürlich auch wissen, wel-
oder „überwacht“ werden. Vermutlich wurden solche Lis-               che Auswirkungen die neue EU-Bio-Verordnung für die
ten europaweit angelegt. Erste Gerichtsverfahren wurden              Betriebe in der Schweiz hat.
in Frankreich bereits eröffnet. Wir dürfen gespannt sein,            Wie auch in den letzten Ausgaben schon, stellen wir im
wie sich der Skandal weiter entwickelt.                              vorliegenden Magazin einen der 30 Partnerhöfe des BFF
Das Magazin des Bodenfruchtbarkeitsfonds möchte dem-                 vor. Uns ist wichtig, dass nachhaltig wirtschaftende Bäue-
gegenüber niemanden „erziehen“, sondern seinen be-                   rinnen und Bauern, mit denen wir relativ eng zusammenar-
scheidenen Beitrag zu dem leisten, was der bedeutende                beiten, sich über ihre Ideen und ihre Wirtschaftsweise öf-
Denker der Nachhaltigkeit, Ernst Ulrich von Weizsäcker in            fentlich äussern können. Denn letztlich stehen hinter guter
der letzten Ausgabe die „Neue Aufklärung“ nannte. Sie                Landwirtschaftspraxis immer Menschen, die sich Mühe ge-
knüpft an die „Alte Aufklärung“ und damit an jene Höhe               ben, die sich Gedanken gemacht haben, die andere Wege
der europäischen Kultur an, die im Rückblick betrachtet              eingeschlagen haben, die oft auch Risiken eingegangen
in weiter Ferne zu liegen scheint. Es war eine Aufklärung,           sind, um ihrer Verantwortung als Bäuerinnen und Bauern
die sich an den selbständig denkenden, mündig werden-                besser gerecht werden zu können. Das verdient unseren
den und vernunftbegabten Bürger wendet. Aber wie kann                Respekt und unsere Wertschätzung und sollte wahrge-
diese „Neue Aufklärung“ im Hinblick auf unser Kernthe-               nommen werden.
ma, die Landwirtschaft, aussehen? Sicherlich gehört dazu,            Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und den Bäu-
schonungslos offenzulegen, wohin uns die Landwirt-                   erinnen und Bauern gutes Gelingen bei ihrer für uns alle
schaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte geführt hat.               so existenziell wichtigen Arbeit.
Ebenso wichtig scheint uns aber zu sein, funktionierende
Alternativen bäuerlicher Praxis aufzuzeigen, das heisst, die         Mit herzlichem Gruss
von nachhaltig wirtschaftenden Bäuerinnen und Bauern
über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen und Ideen

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                     2
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Kann              Bio
die Welt ernähren?

                               ein Interview mit Hans Rudolf Herren

Herr Herren, sie sind seit längerer Zeit Botschafter des          Zu gegensätzlichen Einschätzungen kommen aber vor al-
Bodenfruchtbarkeitsfonds, worüber wir uns sehr freuen!            lem Studien, die von der Agrarchemie in Auftrag gegeben
Wir wollen mit Ihnen über eine Frage reden, die derzeit,          wurden. Der Gegensatz zeigt sich schon, wenn die Erträ-
seit langem und immer wieder viele Gemüter beschäftigt:           ge aus dem Ökolandbau mit denen der konventionellen
Kann Bio die Welt ernähren?                                       Landwirtschaft verglichen werden.
                                                                  In einer vom Industrieverband Agrar (IVA) initiierten Stu-
Eine sehr zeitgemässe Frage, die in Diskussionen über             die aus dem Jahr 2016 zum Beispiel findet man die Aus-
den dringend notwendigen Kurswechsel in der Landwirt-             sage, dass im ökologischen Landbau in Deutschland 51
schaft immer wieder auftaucht. Im Weltagrarbericht 2009           Prozent geringere Erträge erzielt werden als in der kon-
(„Agriculture at a Crossroads”), der von der Weltbank und         ventionellen Bewirtschaftung.
der UNO in Auftrag gegeben wurde, wird eine Transfor-             Die deutlich geringeren Erträge im Ökolandbau werden
mation der Landwirtschaft gefordert („Business as usual is        von der Agrarchemie immer wieder als Argument gegen
not an option”). In dem Bericht tragen über 400 Experten          eine Agrarwende angeführt, insbesondere vor dem Hin-
aus verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen, zivil-           tergrund der wachsenden Weltbevölkerung.
gesellschaftlichen Organisationen, dem Privatsektor und
verschiedenen Entwicklungspartnern ihr Wissen zusam-              Das wird immer wieder wiederholt, bis es die Leute glau-
men und machen konkrete Vorschläge, wie eine solche               ben … Tatsache ist, dass man immer aufpassen muss, was
Transformation möglich ist. Man wusste schon damals,              man vergleicht. Die industrielle Landwirtschaft produziert
dass wir genügend gesunde Nahrung produzieren kön-                Güter (commodities), nicht Nahrung. Von den Biobauern/
nen, ohne Chemie, ohne Landraub, ohne Landzerstörung              innen bekommen die Konsumenten qualitativ hochwer-
und ohne Biodiversitätsverluste!                                  tige Produkte, die nur wenig oder keine Umweltschäden
                                                                  und Gesundheitsprobleme hervorrufen. Neuere Studien
Es gibt inzwischen verschiedene Studien zu dem Thema.             (IPES-Food 2016) zeigen, dass im Durchschnitt die Er-
Sie kommen allerdings oftmals zu gegensätzlichen Ergeb-           tragseinbusse nur 8% beträgt. Berücksichtigt man, dass
nissen. Das ist erstmal verwirrend.                               derzeit ca. 40% der Nahrungsmittel im Müll landen, was
                                                                  grösstenteils vermeidbar wäre, wird schnell deutlich, dass
Es gibt neue Studien zum Beispiel für Europa (IDDRI, 2019).       man selbst bei 100% Bio noch mehr als genug hätte. Für
Die Studie macht deutlich, dass Europa sehr gut mit ag-           die Bauern/innen wäre ein solch radikaler Kurswechsel
rarökologischen Prinzipien ernährt werden kann, allerdings        vollkommen unproblematisch, weil für Bioprodukte höhe-
mit der Voraussetzung, dass auch weniger Fleisch konsu-           re Preise gezahlt werden.
miert wird. Das ist ja auch gesünder und trotzdem muss            Für die Konsumenten liegen die Vorteile auch klar auf
niemand ganz auf Fleisch verzichten.                              der Hand, weil sie schlussendlich weniger für ihre Ge-

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sundheit ausgeben müssen, weniger Steuern zahlen, da            Kosten, von denen sich ein grosser Teil nicht in den Preisen
es dann weniger Umweltschäden gibt usw. Natürlich sind          niederschlägt, weil diese Kosten externalisiert sind. Diese
diese Vorteile teilweise nicht sofort spürbar. Es gilt aber     Landwirtschaft und das dazu passende Nahrungssystem
heute als erwiesen, dass etliche Gesundheitsschäden auf         zerstört sich selbst, zum Beispiel über den Klimawandel,
Nahrung mit Pestizidrückständen zurückzuführen sind. In-        an dessen Beschleunigung sie mit etwa 50% der totalen
nerhalb der zulässigen Grenzwerte für Pestizidrückstände        Emissionen beteiligt ist. Im Gegensatz dazu hat der Bio-
werden übrigens die Akkumulationsef-
fekte oft nicht berücksichtigt, was wenig
bekannt ist. Bei Kleinkindern und Babies
wäre wegen dem kleineren Körpergewicht
ganz besonders wichtig, dass man ihnen               Dr. Hans Rudolf Herren                       ist einer der weltweit
keine mit Pestiziden kontaminierten Le-             führenden Experten in der biologischen Schädlingsbekämpfung.
bensmittel gibt. Der wachsende Drang                Als Pionier bekämpfte er ohne Chemie in den 1980er Jahren
junger Mütter für Bio-Babyfood ist ein              erfolgreich die Schmierläuse, die in Afrika das wichtige Grund-
erfreuliches Zeichen dafür, dass die Leute          nahrungsmittel Maniok bedrohten. Er entdeckte eine in Para-
aufwachen und sich ein gesundes Miss-               guay vorkommende Wespenart, die ein natürlicher Feind der
trauen gegenüber den Produkten aus der              Schmierlaus ist. In der grössten Freisetzungskampagne aller
konventionellen und industriellen Land-             Zeiten wurden daraufhin in 24 Staaten Afrikas 1,6 Mio. Wespen
wirtschaft bildet.                                  erfolgreich auf die Schmierläuse losgelassen.
                                                    Als erster Schweizer wurde Herren dafür 1995 mit dem Welt-
Sie sagten in einem Interview für die WOZ           ernährungspreis geehrt. Die Jury wählte ihn aus, weil der Wis-
im Jahr 2015: „Biobauern produzieren                senschaftler durch sein Engagement 20 Mio. Menschen vor dem
pro Hektar mehr Kilogramm Nahrungs-                 Hungertod gerettet hat. Später wurde Herren zum Co-Präsiden-
mittel als industrielle Bauern: in Brasilien,       ten des IAASTD (Weltagrarbericht), der von 59 Ländern ange-
in den USA, in der Schweiz – überall auf            nommen wurde.
der Welt.“                                          2013 wurde Herren mit dem Right Livelihood Award ausgezeich-
Wenn das stimmt, wäre das eine spekta-              net. Diese Auszeichnung erhielt Herren zusammen mit Biovision,
kuläre Neuigkeit.                                   einer Stiftung für ökologische Entwicklung, die er 1998 gegrün-
                                                    det hat und deren Präsident er bis heute ist. 2017 wurde Herren
Dies stimmt auch, wenn man eingese-                 in den Vorstand des Internationalen Verbands der ökologischen
hen hat, dass man nicht nur die Mas-                Landwirtschaftsbewegungen (IFOAM) gewählt.
se in Kg berücksichtigen darf, sondern
                                                    Afrika ist für den Unterwalliser nach wie vor eine wichtige Region
sich zusätzlich die Nährwerte anschau-
                                                    für seine Aktivitäten. Aber inzwischen setzt er sich hauptsächlich
en muss, z.B. die Mineralien, Vitamine
                                                    für einen Kurswechsel in der globalen Landwirtschaft ein – hin
und andere essentielle Nährstoffe. Das
                                                    zu einem agrar-ökologischen Ansatz, der nicht nur die Menschen
sind qualitative Aspekte, die unbedingt
                                                    besser ernähren wird, sondern auch nachhaltig die Biodiversität
berücksichtigt werden müssen. Dazu
                                                    und die Umwelt als Ganzes schützt. Auch der Klimawandel kann
gibt es überzeugende wissenschaftli-
                                                    mit diesem Ansatz stark gebremst werden. Als Präsident des Mill-
che Literatur (https://www.npr.org/sec-
                                                    ennium Instituts (MI) in Washington unterstützt Hans Herren auch
tions/thesalt/2016/02/18/467136329/
                                                    Regierungen bei der Planung eines Kurswechsels ihrer Landwirt-
is-organic-more-nutritious-new-stu-
                                                    schaftspolitik mit vom MI entwickelten systemischen Modellen.
dy-adds-to-the-evidence), die zeigt, dass
die hochgezüchteten Sorten im Verhält-
nis mehr Stärke und oft auch mehr Was-
ser aufweisen. Wozu brauchen wir Ton-
nen von solchen Gütern, wenn wir heute
schon doppelt soviel produzieren wie wir
brauchen? Das ergibt absolut keinen Sinn. Wir müssen uns        landbau das Potenzial, einen positiven Effekt auf den Kli-
schnellstens überlegen, wie lange so ein korruptes und          mawandel zu entfalten, da er bedeutende Mengen Koh-
bankrottes System hinsichtlich der planetaren Grenzen           lenstoff im Boden binden kann.
überhaupt tragbar ist.                                          Wenn man den Output verschiedener Agrarsysteme ver-
Hinzu kommt, dass diese Güter nur „scheinbar“ billig sind,      gleichen will, sollte man das im erweiterten Sinne der Ag-
weil für die Produktion dieser kalorienreichen und nähr-        rarokölogie tun, die das Nahrungssystem ganzheitlich be-
stoffarmen, die Umwelt und Gesundheit schädigenden              trachtet und sehr viele wichtige Faktoren berücksichtigt.
Produkte sehr viel fossile Energie benötigt wird, in Form       Dann fällt der Vergleich eindeutig zugunsten des Öko-
von Dünger, synthetischen Pestiziden und Diesel. Das sind       landbaus aus!

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                 4
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„Mir fällt, abgesehen von gegenläufigen finanziellen Inte-        klärung dafür, dass sich die industrielle Landwirtschaft mit
ressen, kein einziger Grund ein, warum wir nicht so schnell       ihren Interessen bisher durchsetzen konnte, obgleich zahl-
wie möglich zu 100% auf regenerative Landwirtschaft               reiche Studien belegen, dass diese Landwirtschaft nicht im
umstellen sollten.“ Diese prägnante Aussage stammt von            Interesse des Gemeinwohls ist.
Jan-Gisbert Schultze, dem Begründer von Soil Alliance,            Wo soll man ansetzen, um doch noch rechtzeitig eine
einem Verein zur Förderung von regenerativer Landwirt-            Trendwende hinzubekommen? Es scheint wie beim Kampf
schaft. Dem würden Sie wahrscheinlich zustimmen, oder?            David gegen Goliath zu sein.

Ja, absolut. Und dies aus verschiedenen Gründen, von un-          Wir brauchen eine viel bessere Aufklärung der Konsu-
serer Gesundheit bis zur Lösung des Klimawandel-Prob-             menten und Mitgestalter. Dies muss schon im Kindergar-
lems und dem Erhalt des Planeten Erde für die nächsten            ten anfangen, bis zur Universität bzw. Lehre. Alle diese
Generationen.                                                     Institutionen sollten nur Bio-Produkte, oder Produkte aus
                                                                  der nachhaltigen Landwirtschaft (nicht unbedingt zertifi-
Mit Produkten aus der Agrochemie werden Milliarden                ziert/das ist ein Kostenpunkt und man muss hier auch ein
verdient. Zuweilen scheinen die Methoden zur Durchset-            bisschen besser überlegen, wie man das Gute und Nach-
zung dieser Interessen ruppig, vielleicht sogar kriminell         haltige in Zukunft mehr fördert, statt es auszubremsen)
zu sein. Gerade ist öffentlich geworden, dass Monsanto            servieren. Vor allem in der Schweiz ist eine vollständige
wahrscheinlich seit Mitte des Jahrzehnts in ganz Europa           Umstellung auf nachhaltige Landwirtschaft möglich, da
Listen mit Kritikern des Unternehmens und seiner Pro-             der Durchschnittsbürger nur ca. 6% vom Einkommen für
dukte erstellt hat. Auf diesen Listen stehen einflussreiche       Ernährung ausgibt.
Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wissenschaft. Sie        Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Die Bauern und Wissen-
werden darauf mit Noten von 0 bis 5 geführt, je nach Ein-         schaftler, die im Bereich der alternativen Landwirtschaft
fluss und Unterstützung für Monsanto. Besonders kritische         arbeiten, müssen in Zukunft viel besser zusammenarbei-
Personen sollten gemäss den Listen „erzogen“ oder sogar           ten. Ich beobachte verschiedene Spaltungen innerhalb
„überwacht“ werden.                                               der Szene, zum Beispiel zwischen Bio und Permakultur,
Interessant wird sein, in Zukunft mehr über die „Erzie-           zwischen Agrarökologie und Bio, oder Bio und Biodyna-
hungs- und Überwachungsmethoden“ von Monsanto zu                  misch. Wir wollen ja eigentlich alle dasselbe: eine Land-
erfahren. In Frankreich hat sich bereits die Justiz einge-        wirtschaft, die in Harmonie mit der Umwelt arbeitet und
schaltet. Wundert es Sie, dass Firmen wie Monsanto mit            dem Wohl der Menschen dient. Warum einigen wir uns
solchen Methoden arbeiten?                                        nicht auf das Gemeinsame und gehen zusammen vor-
                                                                  wärts und legen die paar Uneinigkeiten mal für einen Mo-
Eigentlich nicht, ich bin ja sicher auch auf einer solchen        ment auf die Seite? Unsere Kraft liegt im Zusammenarbei-
Liste, da ich ein Mitbegründer des Monsanto Tribunal              ten, das macht die Industrie schon lange so, zum Beispiel
(https://de.monsantotribunal.org) war. Es ist mir auch klar       mit CropLife International, ihrer Dachorganisation.
geworden, dass mit dem Vormarsch der Agrarökologie,
Biolandbau und regenerativer Landwirtschaft weltweit              Die vom NABU in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem
dies eine Gefahr für die Agrochemie darstellt, und jetzt          Ergebnis, dass zumindest in Deutschland der Deutsche
ein starker „push-back“ zu spüren ist. Wir haben das zum          Bauernverband massgeblich daran beteiligt ist, eine Agrar-
Beispiel gespürt durch das Absagen von finanzieller Un-           wende zu verhindern. Das kann man aber offenbar nicht
terstützung einer Entwicklungsbank für eine Agraröko-             den einzelnen Landwirtschaftsbetrieben anlasten. Von de-
logie-Konferenz in Nairobi diesen Juni, nachdem bereits           nen fühlen sich 50% laut der Studie schlecht vom DBV ver-
Versprechungen gemacht wurden.                                    treten, 68% sind mit der aktuellen EU-Förderung unzufrie-
                                                                  den, 91% wünschen sich eine tierfreundliche Viehhaltung,
Eine weitere, kürzlich veröffentlichte Studie zeigt die           83% sind für eine umweltfreundliche Produktion, aber sie
Verflechtungen von Agrarpolitik, Agrarwirtschaft und              wollen natürlich auch, dass man ihnen den Mehraufwand
Bauernverbänden in Deutschland auf. Die Studie wurde              bezahlt.
vom NABU in Auftrag gegeben und vom Institut Arbeit               Andererseits gibt es auch viel Angst unter den Bauern,
und Wirtschaft (iaw) der Universität Bremen durchge-              dass sie grosse Probleme bekommen werden, wenn sie
führt (Quelle: https://www.nabu.de/imperia/md/content/            auf synthetische Pestizide verzichten müssen. Was schla-
nabude/landwirtschaft/agrarreform/190429-studie-ag-               gen Sie vor, um den konventionell wirtschaftenden Bauern
rarlobby-iaw.pdf). Im Ergebnis haben die Verflechtungen           die Angst zu nehmen?
seit der Jahrtausendwende noch zugenommen. Dadurch
konnten die Handlungsmöglichkeiten der industriellen              Uns fehlen noch klare Transformationsstrategien. Die
Landwirtschaft insgesamt gestärkt werden.                         Bäuerinnen und Bauern müssen mehr Zugang zu For-
Die Autoren sehen in der Verflechtung von Agrarpolitik,           schungsresultaten haben, die Ihnen helfen sowohl bes-
Agrarwirtschaft und Bauernverbänden eine mögliche Er-             ser und oft auch mehr zu produzieren, und gleichzeitig

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nachhaltiger, das heisst in Harmonie mit der Umwelt. Und            Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen, dass wir auf
wir brauchen diese Strategien schnell. Dies bedeutet,               systemische Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft zu-
dass die Agrarforschung auf 100% Bio/Agrarökologie                  rückblicken, die über Jahrzehnte nicht korrigiert wurden.
umstellen müsste, und dies möglichst sofort. Ausserdem              Gleichzeitig geht ein Aufwachen durch die Gesellschaft für
sollten Subventionen nur noch für Systemtransformation,             die Folgen dieser Fehlentwicklungen. Sehen sie das auch
nachhaltige Praktiken und Versicherungen während der                so?
Umstellung ausbezahlt werden. Die Bäuerinnen und Bau-
ern würden schlussendlich dasselbe Geld erhalten, nur               Es gibt zum Glück ein Aufwachen in der Gesellschaft,
diesmal für positive, dem Gemeinwohl dienende Leis-                 dass etwas mit unserem Ernährungssystem nicht stimmt.
tungen. Langfristig, wenn ganzheitliche Preise eingeführt           Die Menschen erkennen langsam den Zusammenhang
sind, können die Subventionen insgesamt abgeschafft                 von Klimawandel, Verlust unserer Biodiversität, Was-
werden, da die Konsumenten dann gerechte Preise für                 serverschmutzung, steigenden Gesundheitskosten und
ihre Produkte zahlen werden. Die Konsumenten entschei-              abnehmender Lebensqualität. Die NGOs haben die im
den dann selber, wofür sie die eingesparten Gelder (Sub-            Agrarbericht gemachten Vorschläge zur Transformati-
ventionen, kleinere Krankenkassenbeiträge, weniger                  on der Landwirtschaft gefördert, nicht die Regierungen.
Umweltschäden usw.) brauchen wollen.                                Auch nicht die UNO-Organisationen, obwohl sie den
                                                                    Agrarbericht in Auftrag gegeben hatten.
Das klingt gut. Bisher fliesst allerdings noch sehr viel Geld       Die internationalen sowie die meisten regionalen und
in die Erforschung und Entwicklung der konventionellen              nationalen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten
Landwirtschaft.                                                     sind im Grünenrevolutionsparadigma stecken geblie-
                                                                    ben … bis heute. Das muss und wird sich ändern. Der
Die Staaten, auch die Schweiz, überlassen die For-                  Klimawandel ist im Vormarsch und ohne eine total öko-
schungsfinanzierung für Landwirtschaft und Ernährung                logische Landwirtschaft ist er nicht zu bremsen. Falls das
zum grösseren Teil dem Privatsektor, obwohl es hier um              den „Alten“ noch nicht klar genug geworden ist, dass
von der UNO anerkannte Menschenrechte geht: Das                     wir einen radikal neuen Kurs ansteuern müssen, ist es
Recht auf genügend und gute Nahrung. Die Forschung                  zum Glück unserer Jugend klar.
gehört in den „öffentlichen Sektor“ und muss öffentliche
Güter „produzieren”, die allen helfen und die ohne Pa-              Lieber Herr Herren, wir bedanken uns für das Gespräch
tente auf Leben und Saatgut allen zugänglich sind.                  und wünschen weiterhin viel Erfolg bei Ihren Aktivitäten!

Warum ich Pate beim Bodenfruchtbarkeitsfonds geworden bin

                                                                                             Gerald Häfner ist ein
                                                                                             deutscher Politiker (Bünd-
                                                                                             nis 90/Die Grünen). Er
                      Gerald Häfner                                                          war zwischen 1987 und
                                                                                             2002 dreimal Mitglied
                                                                                             des Deutschen Bundes-
                                          Generation muss das Umsteuern be-                  tages und war von 2009
                                          ginnen. Die Erde heilen, das Wasser                bis 2014 Mitglied des
                                          beleben, die Luft erfrischen, das Klima            Europäischen Parlaments.
                                          schützen … – Wir alle haben Anteil da-             Häfner ist Publizist,
                                          ran. Aber am meisten: Die Landwirt-                Waldorflehrer, und (Mit-)
„Wir müssen lernen, ganz grundsätz-       schaft. Der Bodenfruchtbarkeitsfonds               Gründer zahlreicher
lich umzusteuern. Wie wir die Erde,       hilft Bauern, die Fruchtbarkeit unserer            Initiativen und Stiftungen.
die Luft, das Wasser und das Klima        Erde zu pflegen und zu erhalten. Das               Seit 2015 ist er Leiter der
zerstören, beweisen wir täglich. Un-      ist mir wichtig. Deshalb helfe ich mit.            Sozialwissenschaftlichen
sere Kinder – und nicht nur sie – pro-    Deshalb bin ich Pate des Bodenfrucht-              Sektion am Goetheanum
testieren zu Recht dagegen. Unsere        barkeitsfonds."                                    in Dornach/Schweiz.

Sie wollen auch Pate werden? Das können Sie unter: www.bodenfruchtbarkeit.bio/ihr-beitrag

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                    6
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Bodenentwicklung ist möglich!
– Ökologische Grundbodenbearbeitung als Konzept
Ulrich Hampl

Seit Sommer 2017 bin ich mit den Partnerhöfen im Projekt Bodenfruchtbarkeits-
fonds in Kontakt. 2018 war das erste von drei geplanten Jahren der Pilotphase,
in denen die Partnerhöfe für ihre Arbeit am Boden gefördert wurden.
Welche Veränderungen im Boden und auf den Betrieben bereits im ersten Jahr
zu erkennen waren, berichteten die Verantwortlichen auf den Höfen in ihren ers-
ten Rechenschaftsberichten zum Jahresende. Aus diesen Berichten ist deutlich
herauszulesen, dass die zentrale Projektidee, nämlich das Schaffen von Freiräu-
men für die Bodenpflege, bereits erkennbare Wirkungen auf den Höfen zeigt.
Die auf jedem Betrieb vereinbarten individuellen Massnahmen zur Verbesse-
rung der Bodenfruchtbarkeit beruhen vor allem auf der Erfahrung und den
Wünschen der Bäuerinnen und Bauern – und so sind die umgesetzten Mass-
nahmen durchaus vielfältig: Einige Betriebe schafften zum Beispiel Technik für
verschiedene Bereiche wie Bodenbearbeitung, Kompostierung, Verringerung
von Achslasten oder für die Ausbringung und Herstellung biologisch-dynami-
scher Präparate an.
Auf manchen Partnerhöfen wurde in Fachberatung zur Bodenbewirtschaftung
investiert oder auch Versuche mit unterschiedlichen Bodenuntersuchungen
angelegt.

Massnahmenschwerpunkt: Anpassung von
Bodenbearbeitung und Fruchtfolgen                                                 Dr. Ulrich Hampl, Di-
                                                                                  plomagraringenieur
Auf vielen Höfen sind schon Bodenverbesserungen erkennbar geworden. Als           TU München-Freising,
Schwerpunkt der praktischen Massnahmen im Ackerbau hat sich die Verbesse-         Promotion zur Beratung in
rung der Fruchtfolgen mit Gründüngung, also mit Zwischenfrüchten und Unter-       der Landwirtschaft an der
saaten, herausgestellt.                                                           Universität Hohenheim,
Vor allem die Kombination von angepasster Bodenlockerung mit der Einsaat          zertifizierter Bauerhof-
von vielfältigen Gründüngungsgemengen hat bereits sichtbar für Boden-             pädagoge, Prozessbeglei-
entwicklung gesorgt.                                                              ter, Systemischer Coach
Deshalb möchte ich hier gerne diese für die Entwicklung der Bodenaktivität so     in der Landwirtschaft. Er
wirksame Massnahmenkombination beschreiben:                                       ist Mitglied der Projektlei-
Die eigentliche Arbeit im Boden verrichtet nicht der Mensch, sondern die Pflan-   tung des
zen und die Bodentiere. Milliarden von Bodenorganismen leben in einer Hand-       Bodenfruchtbarkeitsfonds
voll Boden, stellen Nährstoffe für die Pflanzen bereit, bauen Pflanzenreste ab,   der Bio-Stiftung Schweiz
bauen die stabile Krümelstruktur für Wasser- und Luftspeicherung auf, puffern     und zuständig für die
Schadstoffe ab, reinigen das Bodenwasser und vieles mehr.                         Begleitung und Beratung
Damit diese zahlreichen Aufgaben erledigt werden können, muss das Boden-          der Partnerhöfe bei deren
leben dauernd ernährt werden. Nahrung besteht aus organischer Substanz, die       Bodenentwicklung.
grösstenteils von den Pflanzenwurzeln zur Verfügung gestellt wird. Die laufende
Ausscheidung von organischen Stoffen aus den Wurzeln und das Abstossen
von Wurzelteilchen ist der „Motor", der das Leben im Boden am Laufen hält.
Damit dieser Motor nicht stehenbleibt, müssen möglichst immer viele verschie-
dene, fein verteilte Pflanzenwurzeln im Boden vorhanden sein.

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Um den Boden möglichst tief locker, krümelig und leben-
dig zu erhalten und so das riesige Energie- und Nähr-
stoffreservoir des Bodens in sichere Pflanzenerträge um-
zusetzen, ist im ökologischen Landbau die sorgfältige
Bodenbearbeitung wesentlich entscheidender als im kon-
ventionellen Landbau – Fehler bei der Bodenbearbeitung
können nicht durch Dünger oder Pflanzenschutzmittel
ausgeglichen werden.

Entwicklungspotenzial Unterkrume

Hier ist auch auf Biohöfen meiner Erfahrung nach noch in
                                                                            Die Spatendiagnose zeigt Belebung und Krümelung von Ober- und
vielen Fällen eine deutliche Bodenentwicklung möglich:                                    Unterkrume nach Lockerung und Gemenge-Einsaat
Meist sind zwar die Oberkrumen der Böden wunderbar
krümelig und aktiv durchwurzelt, aber spätestens ab 15
cm Tiefe sind die Unterkrumen der Böden oft kompakt,                   Lockerung der Unterkrume:
kaum mit Feinwurzeln durchzogen und wenig krümelig:                    Vorbereitung für Durchwurzelung

                                                                       Bei ökologischer Bodenbewirtschaftung verändert sich
                                                                       also das, was man üblicherweise unter Grundbodenbear-
                                                                       beitung versteht: Das in vielen Fällen noch übliche Pflügen
                                                                       im Herbst wird durch eine nichtwendende Lockerung der
                                                                       Unterkrume (15 bis 30 cm Tiefe) abgelöst, das vor allem
                                                                       in den Sommermonaten nach der Getreide- oder Futter-
                                                                       ernte stattfindet: Bei warmem und trockenem Boden
                                                                       wird der optimale Bearbeitungszustand des Bodens für
                                                                       eine wirksame Lockerung als Vorbereitung für Gemen-
                                                                       ge-Ansaat ausgenutzt. Gleichzeitig oder sofort nach der
                                                                       Lockerung werden Pflanzengemenge (Zwischenfrüchte,
                                                                       Futterbau, Rotationsbrache) angesät, die den Boden in-
                                                                       tensiv durchwurzeln. Die Erfahrung zeigt, dass durch eine
                                                                       mechanische Lockerung der Unterkrume so eine deutlich
Die Spatendiagnose zeigt eine kompakte, wenig belebte Unterkrume       schnellere tiefe und dichte Durchwurzelung mit inten-
                                                                       sivem Aufbau von Bodenleben zu erreichen ist als ohne
                                                                       vorherige Lockerung. Hier ein Bild, das den Vergleich der
Hier schlummert noch ein grosses Potenzial, das durch                  Wurzeltiefen von Erbsen nach unterschiedlich tiefer Lo-
Vertiefung der Krümelstruktur sowohl für ertragswirksame               ckerung deutlich zeigt (Seite 9).
Nährstoffnachlieferung als auch für Wasserspeicherung                  Geeignete Geräte für die nichtwendende Lockerung der
wesentlich wirksamer genutzt werden kann.                              Unterkrume sind zum Beispiel Grubber mit in Fahrtrich-
Der erste Schritt der Bodenentwicklung ist immer die                   tung schräg angestellten Flügelscharen, über die der
Bodenbeurteilung: Mithilfe der Spatendiagnose ist zu                   Boden fliesst, dabei aufbricht und gelockert in seiner ur-
überprüfen, bis zu welcher Tiefe der Boden überwiegend                 sprünglichen Schichtung erhalten bleibt:
krümelig ist („Krümeltiefe“) und ab welcher Tiefe die Bo-
denaggregate scharfkantig und glattflächig werden. Denn
ab dieser Tiefe geht die Bodenbelebung deutlich zurück
und die Wasser- und Luftspeicherung sowie der Nähr-
stoffumsatz werden deutlich gehemmt.
Eine geeignete, möglichst nicht wendende Unterkrumen-
lockerung kann dann dafür sorgen, dass diese dichten
Bodenbereiche aufgebrochen und für eine schnelle tiefe
Durchwurzelung vorbereitet werden.
Mit der anschliessenden Einsaat von Pflanzengemengen
muss diese Lockerung sofort lebendig verbaut und Bo-
denleben aktiviert werden, was dann auch diese Boden-
bereiche sehr schnell krümelig macht. Das kann ebenfalls
sehr gut mit der Spatendiagnose überprüft werden:
                                                                                                         Flügelschar Schichtengrubber

        BODEN
        FRUCHTBARKEIT
        FONDS                                                      8
Magazin 1 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
???

Diese Lockerung ist dabei nicht jedes Jahr auf jedem
Acker notwendig. Sie ist in der Fruchtfolge jeweils vor dem
Anbau von gut wurzelnden Gründüngungs- oder Futter-
gemengen wirkungsvoll, also etwa alle 2 bis 4 Jahre.
Nach gelungenem Aufbau des Bodenlebens durch Ge-
mengebau nach Lockerung ist dann im Herbst oder Früh-
jahr zur Ansaat der Hauptfrüchte meist nur noch eine fla-
che Bodenbearbeitung erforderlich.

Merkmale ökologischer Bodenbearbeitung im Ackerbau

Grundbodenbearbeitung:

• Nicht wendende Lockerung der Unterkrume                         Erst der konsequente Einbau von bodenaufbauenden
  (15 bis 30 cm) zum Aufbrechen von Verdichtungen, 		             Massnahmen in die Fruchtfolge sichert die Gesamtstabi-
  ohne die Bodenschichten zu vermischen.                          lität des Systems und seine Erträge aus aktivem Boden.
• Keine Bodenlockerung ohne sofortige Ansaat von                  Ein Schlüssel zur erfolgreichen Bodenentwicklung ist
  dicht wurzelnden Gemengen!                                      die fest in die Fruchtfolge eingebaute nichtwendende
  Die Bodenlockerung bereitet den Boden vor – die                 Bodenlockerung, immer kombiniert mit der Stabilisie-
  eigentliche Arbeit zum Aufbau der Bodenstruktur                 rung durch Wurzeln von Zwischenfrüchten, Futterbau,
  und Pflanzenernährung übernehmen Wurzeln und                    Untersaaten.
  Bodenleben                                                      Bereits im ersten Projektjahr konnte die bodenfördern-
• Bodenstruktur erhalten durch flache Oberbodenbear-              de Wirkung dieses Massnahmenpaketes auf einigen
  beitung vor den Hauptfrüchten                                   Partnerhöfen deutlich erlebt werden.
• Die Faustregel ökologischer Bodenbearbeitung lautet
  nach wie vor: „Tief lockern, flach wenden“!

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Frühlingsimpressionen
    aus den Nuglargärten

Im Frühling, wenn wir unsere Parzellen wieder für die Be-
pflanzung vorbereiten, haben wir immer einen guten Ver-
gleich, wie es ihnen nach der Winterruhe geht. Wir kennen
auch die Eigenarten der einzelnen Felder, sie sind sehr
verschieden und auch darin, wie sie die Feuchtigkeit über
den Winter aufnehmen, unterscheiden sie sich sehr. Wir
bearbeiten den Boden mit einer Fräse an unserem Ein-
achser, welche zwischen fünf und zehn Zentimetern tief
fräst. Dabei haben wir festgestellt, dass die Böden immer
noch sehr trocken sind. Dies ist sehr angenehm, um zu
fräsen, da man dann weder eine verstopfte Fräse noch ki-
loschwere Erdklötze unter den Füssen hat, doch fühlte es
sich für den Boden nicht gut an. Dies beobachteten wir vor
allem an den Stellen, wo entweder im Laufe des letzten
Jahres zu wenig Mulch lag, oder im Herbst die Gründün-
gung nicht mehr genug wachsen konnte und der Boden
so nicht genügend bedeckt war. Bei den genügend ge-
mulchten Flächen oder mit Gründüngung gut durchwach-
senen Feldern war erstens die Feuchtigkeit höher und das
Leben im Boden war eindeutig sichtbarer. Dass die Erde
unter dem Mulch noch länger kühl blieb, schien den Le-
bewesen nichts auszumachen. Dies zeigte uns wieder ein-
mal, wie wichtig für uns Mulch und Gründüngung sind.               Unterschiede zwischen den eher trockenen und den
Nicht nur haben wir erfahren, dass die Trockenheit im letz-        feuchteren Böden. Der Schnee der letzten Woche gab uns
ten Sommer den Pflanzen weniger ausmachte, sondern                 nochmals die Möglichkeit, uns im Warmen darüber Ge-
auch, dass sich die Böden besser regenerierten im Winter.          danken zu machen und dem Boden und den bereits ge-
Immer wieder machen wir auch Versuche auf der Wahr-                pflanzten Setzlingen nochmals ein bisschen Feuchtigkeit!
nehmungsebene, sei es auf feinstoffliche Weise oder über
Körperwahrnehmung. Auch dabei merkten wir grosse                                                               Adrian Seitz

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
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neue                    EU-Bio-Verordnung
und der                  Umgang mit Pestiziden
Ein Interview mit Alexander Gerber

Lieber Alexander, Du bist nahezu seit      ben zum Anbau und zur Tierhaltung         Wirtschaftsweise diskutieren müssen
der Gründung des Bodenfruchtbar-           einhalte und selbst z.B. keine Pesti-     und sie über eine besonders abdrift-
keitsfonds Botschafter des Projekts.       zide anwende und Vorsorge gegen           arme Bewirtschaftung aufklären und
Darüber freuen wir uns sehr.               Kontaminationen treffe, sind meine        sich das von ihnen schriftlich bestä-
Heute möchten wir mit Dir Themen be-       Erzeugung und meine Produkte Bio.         tigen lassen müssen. Teilst Du diese
sprechen, von denen wir wissen, dass       Andersherum wäre das angestrebte          Auffassung?
sie derzeit viele Gemüter bewegen. Es      Ziel, mehr Sicherheit vor Betrug zu
geht um die neue EU-Bio-Verordnung,        erlangen, auch nicht erreicht worden.     Aus unserer Sicht ist das eine abwe-
die ab 2020/21 in Kraft tritt, aber auch   Denn auch Betrugsware kann frei von       gige Interpretation der neuen Verord-
um den Umgang mit Pestiziden in der        Stoffen sein, die laut Bio-Recht verbo-   nung. Richtig ist, dass künftig nicht
Landwirtschaft.                            ten sind. Nach heftigen Auseinander-      nur Verarbeiter, sondern auch Land-
Welches sind aus Deiner Sicht die we-      setzungen ist es gelungen, dass es im     wirte systematische Vorsorgemass-
sentlichen Veränderungen gegenüber         Fall von Kontaminationen bei der bis-     nahmen nachweisen müssen, um ihre
der bisher geltenden EU-Bio-Verord-        herigen Prüfung des Einzelfalls bleibt,   Produktion vor Einträgen von nicht zu-
nung?                                      auch wenn manch hitzige Debatte           gelassenen Stoffen und Erzeugnissen
                                           hierzulande im Moment einen ande-         zu schützen. Das hat zum Beispiel eine
Das Wichtigste ist: Das Grundprinzip       ren Eindruck vermittelt. Dazu kom-        besondere Bedeutung für Betriebe,
des europäischen Bio-Rechts ändert         men wir aber sicherlich noch.             die nur teilumgestellt sind.
sich nicht. Dies ist wichtig zu betonen,   Wirklich neu ist aber, dass mit dem       Aber: Die Vorsorgemassnahmen
weil die EU-Kommission zeitweise tat-      neuen Bio-Recht der bodengebun-           müssen angemessen und verhältnis-
sächlich einen sehr fundamentalen          dene Anbau im Gewächshaus festge-         mässig sein und im eigenen Verant-
Kurswechsel erwogen hatte. Und zwar        schrieben wurde. Es gibt auch erst-       wortungsbereich liegen. Die Fläche
von einem Prozess- zu einem Produkt-       mals Regeln für die Bio-Züchtung und      des Nachbarn liegt nicht im eigenen
standard. Dann wären Bio-Produkte          für Bio-Aromen. Gruppen von beson-        Einflussbereich des Bio-Bauern. Das
nur aufgrund der Anwesenheit von           ders kleinen Bio-Betrieben können         Bio-Recht setzt den Vorsorgepflichten
laut Bio-Recht verbotenen Stoffen          sich künftig nicht nur in Drittländern,   also auch klare Grenzen. Nicht alles,
aberkannt worden. Angesichts einer         sondern auch in der EU gemeinsam          was theoretisch denkbar ist, um Risi-
Welt, in der Pestizide ubiquitär – also    zertifizieren lassen, was den einzelnen   ken abzuwehren, kann vom Bio-Bau-
überall, in Bäumen, Pflanzen, Wasser       Hof entlastet. Was sich bei der Kon-      ern verlangt werden. Auch jetzt schon
und Luft – vorhanden sind, die von         trolle sonst noch ändert, wird erst in    gibt es in der Öko-Verordnung die
Bio-Bauern gar nicht angewendet            den nächsten Monaten verhandelt.          Auflage zur Minimierung von Kon-
werden, wäre das eine völlig unsach-                                                 taminationen und dies sogar ohne
gemässe Bio-Definition gewesen.            Kritiker sehen in der neuen Verord-       eine Einschränkung auf angemesse-
Die Ökologische Landwirtschaft ist         nung grossen zusätzlichen Aufwand         ne und verhältnismässige Massnah-
ein prozessual beschriebenes An-           auf die Bio-Landwirte zukommen. So        men. Trotzdem werden keine Hecken-
bau- und Tierhaltungssystem, von           wird z.B. die Vorsorgepflicht, um Kon-    pflanzungen oder Abstandsflächen
der Züchtung bis zum Verkaufstresen.       taminationen zu vermeiden, so inter-      von den Bio-Bauern verlangt, um mal
Und das bleibt auch so. Das bedeu-         pretiert, dass die Bio-Bauern mit ih-     zwei Beispiele zu nennen. Eine Aufklä-
tet: Wenn ich als Bio-Bauer die Vorga-     ren konventionellen Nachbarn deren        rungspflicht von Bio-Bauern gegen-

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über ihren konventionell wirtschaften-    termittelzusatzstoffe oder Reinigungs-     Ausstiegsstrategie. Ich würde aber
den Nachbarn wäre ebenfalls nicht         und Desinfektionsmittel. Damit sind        gerne noch einmal klarstellen: An
verhältnismässig: Selbst Bio-Betriebe     beispielsweise Umweltkontaminan-           dieser Stelle bringt die Revision der
in Gegenden mit grossen Äckern ha-        ten wie Schwermetalle oder Dioxin          Öko-Verordnung wenig Neues. Be-
ben sehr viele Nachbarn. Die Ermitt-      ausgeschlossen. Hier gelten die ge-        probung von Öko-Produkten entlang
lung all dieser Nachbarn, die Kontakt-    setzlichen Grenzwerte.                     der Wertschöpfungsketten ist bereits
aufnahme und das Einfordern einer                                                    Standard. Das ist ein Instrument inner-
schriftlichen Bestätigung einer vorge-    Du hattest eingangs schon darauf hin-      halb der Prozesskontrolle. Ein positi-
nommenen Aufklärung ist mit Sicher-       gewiesen, dass heute Pestizide über-       ver Befund verlangt vom Bio-Unter-
heit nicht verhältnismässig. Und sie      all, in Bäumen, Pflanzen, im Wasser        nehmer, dem dieser vorliegt, dass er
ist auch nicht angemessen, denn sie       und in der Luft enthalten sind. Das        ihn prüft und einordnet. Die Prüfung
würde das Verursacherprinzip auf den      bestätigt unter anderem eine Studie        richtet sich auf die Frage: Deutet der
Kopf stellen.                             des Umweltinstituts München. Das           Befund auf eine Verletzung der Pro-
Die Öko-Verordnung hat an der Stel-       bedeutet, dass entgegen früherer Be-       zessvorschriften der Verordnung hin?
le, an der sie von Vorsorgemassnah-       hauptungen der Agrarindustrie Pes-         Wenn ja, dann muss der Befund an
men gegen Kontaminationen spricht,        tizide kilometerweit ins Land und ins      eine zuständige Behörde gemeldet
hauptsächlich Betrie-                                                                             werden. Wenn es aber kei-
be im Blick, auf denen                                                                            nen Verdacht auf Verstoß
parallel konventionell                                                                            gibt, weil bspw. ubiquitär
und ökologisch pro-          „Die Vorsorgemassnahmen                                              vorhandene Stoffe gefun-
duziert wird. Wir in                                                                              den wurden, dann muss
Deutschland kennen
                             müssen angemessen und                                                auch nichts gemeldet
solche Betriebe kaum
noch, aber europa-
                             verhältnismässig sein und                                            werden. Neu ist nur, dass
                                                                                                  die Bauern ein System
weit ist diese Bewirt-       im eigenen Verantwortungs-                                           von Vorsorgemaßnahmen
schaftungsform noch                                                                               etablieren müssen, das
häufig. Auf diesen Be-       bereich liegen“                                                      Einträge verhindern soll.
trieben bestehen spe-                                                                             Sie müssen also kritische
zielle Risiken für Kon-                                                                           Punkte in ihrer Produkti-
taminationen bei der                                                                              on identifizieren, an de-
Lagerung, dem Transport oder der          Wasser getragen wurden und werden.         nen Eintrag passieren könnte, und
gemeinsamen Nutzung von Maschi-           Darunter wurden Substanzen gefun-          hier Vorsorgemaßnahmen ergreifen.
nen. Je enger die Verknüpfung mit         den, die schon seit 40 Jahren nicht        Diese kritischen Punkte und die Vor-
konventionellen Betriebsmitteln oder      mehr im Handel erhältlich sind. Es         sorgemaßnahmen beziehen sich aber
Geräten, desto grösser die Risiken        liegt also nahe, dass kleinste Mengen      nur auf ihren eigenen Einflussbereich.
für Verunreinigungen. Deshalb will        von Pestiziden in Zukunft in vielen Bio-   Dass sie in diesem Bereich angemes-
die Kommission für diesen speziellen      Produkten gefunden werden können.          sene Maßnahmen ergriffen haben,
Fall sicherstellen, dass entsprechende    Was erwartet denn aus Eurer Sicht die      bestätigt ihnen die Öko-Kontrolle.
Vorsorge ein Teil der Pflicht der Be-     Bauern konkret, wenn durch Einzelfall-
triebsleiter solcher zweigleisigen Be-    prüfungen Pestizidrückstände in ihren      In Artikel 28, Abs. 2 der neuen Verord-
triebe ist.                               Produkten gefunden werden? Worauf          nung wird geregelt, was der Landwirt
Zudem sind auch die möglichen Kon-        müssen sich die Bauern einstellen?         zu tun hat, wenn er den Verdacht hat,
taminationen, gegen die Bio-Bauern        Welches sind die Prozesse, die auf ei-     dass sich unerlaubte Substanzen in
Vorsorge ergreifen sollen, beschränkt     nen solchen Befund folgen?                 seinen Produkten befinden. Er muss
auf nicht zugelassene Stoffe, also al-                                               dann prüfen, ob sich der Verdacht be-
les, was nach der Öko-Verordnung          Die Situation mit den ubiquitär vor-       stätigt und darf solange seine Produk-
einer Zulassungspflicht unterliegt wie    handenen Pestiziden ist tatsäch-           te nicht als Bio-Produkte in den Handel
z.B. Dünger, Pflanzenschutzmittel, Fut-   lich dramatisch und erfordert eine         geben. Was heisst das zum Beispiel für

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den Fall, dass der Bauer sieht, wie die
nahegelegenen Weinberge gerade
vom Helikopter aus besprüht werden.
Da drängt sich doch der Verdacht auf,
dass sich ein Teil der Substanzen auf
seinen Kulturen niederschlagen wird.
Muss er seine Produkte dann im La-          die jetzigen Bio-Vorgaben geklärt          ihrer konventionellen Nachbarn zu
bor analysieren lassen, bevor er sie in     worden und es wurde festgestellt,          bestrafen, wäre – gerade wenn man
den Handel bringt? Schliesslich ist er      dass den Bio-Weinbauern in einem           sich pestizidfreie Ware auf dem Markt
ja dann per Gesetz dazu verpflichtet,       solchen Fall keine Schuld trifft. Es ist   wünscht – der falsche Weg. Denn da-
zu untersuchen, ob sich sein Verdacht       allerdings für den betroffenen Win-        mit würde es noch weniger Bauern
bestätigt.                                  zer sinnvoll, diese Spritzung zu doku-     geben, die den Weg „Bio“ auf sich
                                            mentieren, falls so hohe Belastungen       nehmen wollen und können.
Meine Antwort mag sich jetzt merk-          in der Bio-Ernte auftreten, dass der       Trotzdem müssen diese Aussagen
würdig anhören, aber: Aus Sicht des         Bio-Winzer seine Ware nicht mehr           die Verbraucher nicht verschrecken,
Öko-Rechts ist der beschriebene Fall        vermarkten kann und geklärt werden         denn Pestizidrückstände sind in den
tatsächlich ein relativ klarer – und ein-   muss, wer für diesen Schaden auf-          Bio-Kontrollen der letzten Jahre ein
facher: Der Öko-Bauer ist verpflichtet      kommt. Das ist dann aber eine Frage        seltenes Problem gewesen und auch
einen Verdacht zu prüfen, ja. Aber          der Haftung und nicht eine Frage des       jeweils nur in sehr geringem Umfang
einen Verdacht worauf? Es geht an           Verstosses gegen das Bio-Recht.            aufgetreten. Der Trend ist hier sogar
dieser Stelle der Verordnung nicht          Aus Verbrauchersicht mag sich das          seit Jahren abnehmend. Niemand
um einen Verdacht „auf Kontaminati-         Gesagte etwas verstörend anhören.          muss sich daher fürchten, als Bio-Esser
onen“. Sondern es geht um Kontami-          Weil Bio-Verbraucher natürlich be-         Pestiziden ausgesetzt zu sein.
nationen, die den Bio-Status des Pro-       rechtigterweise pestizidfreie Ware         Um die allgemeine Pestizidbelastung
dukts in Frage stellen, weil sie einen      erwarten, wenn sie Bio kaufen. Lei-        zu verringern, ist es aber sehr wichtig,
Verstoss gegen die Prozessvorschrif-        der ist dieses Restrisiko jedoch der       dass künftig bei der Zulassung von
ten der Verordnung darstellen. Die-         Preis, den unsere Gesellschaft für die     PSM (Pflanzenschutzmittel) die Fra-
sen Verdacht hätte der beschriebene         Ausbringung von Pestiziden in der          gen der Abdrift und des Ferntrans-
Öko-Bauer aber nicht, und das völlig        konventionellen Landwirtschaft in ei-      ports von PSM berücksichtigt werden.
zu Recht. Durch den Helikopter even-        ner Weise, gegen die der Bio-Bauer         Die unzureichenden Regelungen der
tuell verursachte Kontaminationen           nichts machen kann und die eigent-         GfP Pflanzenschutz müssen dringend
gehen eindeutig nicht auf einen Ver-        lich die Koexistenz von konventionel-      überarbeitet werden und die beson-
stoss gegen die Verordnung zurück.          ler und Bio-Landwirtschaft gefährdet,      deren Anforderungen der Bio-Pro-
Sie sind kein Fall von unerlaubter          zahlen muss. Eine Hubschraubersprit-       duktion oder bspw. von Babynah-
Anwendung – was ein Verstoss wäre.          zung in einem Gebiet, wo kleinräu-         rung oder Kräutern berücksichtigen.
Und sie sind auch kein Fall eines Man-      mig Bio-Bauern und konventionelle          Grundsätzlich gilt: wer weniger Pes-
gels an angemessenen und verhält-           Bauern wirtschaften, wäre eigentlich       tizide in der Umwelt will, muss dafür
nismässigen Vorsorgemassnahmen,             nach der guten fachlichen Praxis           sorgen, dass diese gar nicht erst ein-
die in seinem Einflussbereich lägen.        nicht zulässig. Hier muss sich in der      gesetzt werden.
Eine etwaige Kontamination durch            konventionellen Landwirtschaft etwas
eine Hubschrauberspritzung kann             ändern.                                    Aber wie ist es mit der Aufklärungs-
der Bio-Bauer leider nicht vermei-          Die Kunden, die sich pestizidfreie         pflicht gegenüber den konventionel-
den. Es gibt somit keinen Verdacht          Ware wünschen, verdanken die Exis-         len Nachbarn? Die wird es also aus
auf Verstoss. Und daher auch keine          tenz dieser Ware allein den Bio-Bau-       Eurer Sicht so definitiv nicht geben?
Pflichten des Öko-Bauern, diesen zu         ern, die viel Mühe auf sich nehmen,
untersuchen. Ein vergleichbarer Fall        um solche Produkte zu liefern. Die         Wo steht, dass Bio-Bauern das müs-
ist vor kurzem auch gerichtlich für         Bio-Bauern dann für das Verhalten          sen? An keiner Stelle spricht die Ver-

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ordnung von einer Aufklärungspflicht       Es ist tatsächlich möglich, dass die     Hier müssen zwei Dinge ganz klar
der Bio-Bauern gegenüber ihren             EU-Kommission die zu treffenden          unterschieden werden: das eine sind
Nachbarn.                                  Vorsorgemassnahmen noch näher            Folgekosten, die entstehen, obwohl
Der konventionelle Landwirt ist grund-     definieren wird, denn die entspre-       die Landwirtschaft im Rahmen der Ge-
sätzlich selbst dafür verantwortlich,      chenden Artikel der Verordnung er-       setze arbeitet. Die geltenden Gesetze
dass es beim Spritzen nicht zur Abdrift    mächtigen sie dazu. Falls die Kom-       vergemeinschaften diese Kosten qua-
von Pflanzenschutzmitteln kommt.           mission von diesem Recht nicht           si, bzw. die Zeche wird an anderer Stel-
Man verlangt ja auch nicht vom Spa-        Gebrauch machen sollte, werden die       le, z.B. beim Wasserpreis, bezahlt. Eine
ziergänger, dass er den Hundehalter        zuständigen Behörden in den Mit-         unserer Kernforderungen ist es daher
darüber aufklärt, dass sein bissiger       gliedsstaaten definieren, was zu den     auch, diese Kosten zu internalisieren,
Hund einen Maulkorb zu tragen habe         angemessenen und verhältnismässi-        also dem Verursacher zuzuordnen.
und sich das am besten noch schrift-       gen Vorsorgemassnahmen zählt. Un-        Das andere sind aber direkte Aus-
lich bestätigen lässt.                     abhängig davon, wer nun am Ende          wirkungen unsachgemässer Hand-
Selbstverständlich müssen konventio-       diese Vorschriften auslegen wird, ist    lungen, für die es aber klare gesetzli-
nelle Landwirte sich an die Regeln der     in jedem Falle klar: es müssen ge-       che Regelungen gibt. Dies zeigt sich
sogenannten guten fachlichen Praxis        meinsam mit den Behörden machba-         glücklicherweise auch längst in der
Pflanzenschutz halten, um Abdrift zu       re und zielführende Wege gefunden        Rechtsprechung: Konventionelle Bau-
vermeiden. Dies einzufordern kann          werden, wie die Vorsorgepflichten        ern sind immer wieder für den öko-
jedoch nicht Aufgabe ihrer Bio-Nach-       entlang der Wertschöpfungskette          nomischen Schaden, den ihr Abdrift
barn sein. Die eigentliche Frage ist, ob   praktikabel umgesetzt und kontrol-       Bio-Bauern zugefügt hat, zur Verant-
die Behörden eigentlich das Einhalten      liert werden können. Und es darf kei-    wortung gezogen worden. In diesem
der guten fachlichen Praxis konsequent     nesfalls die gesamte Last am Anfang      Bereich greift das Verursacherprinzip
durchsetzen und ob solche leichtflüch-     der Kette, beim Bio-Bauern, abgela-      also. Vor allem aber kommt hier ja
tigen Pestizide, die weiträumig verteilt   den werden.                              noch ein weiteres hinzu: der Bio-Bau-
werden, zugelassen werden sollten.                                                  er kann nicht für den unverschuldeten
                                           Das mag sein. Aber ist nicht gerade      Eintrag seines Nachbarn haftbar ge-
Es wird allerdings in der Verordnung       die Landwirtschaft ein Bereich, wo das   macht werden.
nicht klar formuliert, was verhältnis-     Verursacherprinzip gerade nicht gilt,
mässig ist und was nicht. Rechnest Du      weil z.B. erhöhte Aufbereitungskos-      Ob die Behörden das Einhalten der
damit, dass diese Details vor Inkraft-     ten für durch Landwirtschaftsbetriebe    guten fachlichen Praxis tatsächlich
treten noch präzisiert werden, damit       kontaminiertes Wasser nicht den ver-     konsequent überprüfen und durchset-
eine grössere Rechtssicherheit für die     ursachenden Betrieben in Rechnung        zen ist in der Tat eine wichtige Frage.
Bauern entsteht?                           gestellt werden?                         Was ist Dein Eindruck?

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„Grundsätzlich gilt: wer weniger
                                               Pestizide in der Umwelt will,
                                               muss dafür sorgen, dass diese
Nein, den Eindruck dass die Einhal-
tung der guten fachlichen Praxis für
                                               gar nicht erst eingesetzt werden“
Pflanzenschutz sichergestellt wird,
habe ich in der Tat nicht ganz. In
Deutschland ist die gute fachliche
Praxis auch viel zu vage formuliert
und macht viel zu wenig klare Vor-        Mit schärferen, strengeren Regeln wä-    Hanspeter Schmidt, der sich in der
gaben. Auf Basis der bestehenden          ren eine grosse Zahl von Fällen direk-   letzten Ausgabe des Magazins zu
Vorschriften ist es annähernd un-         ter Kontamination durch Spraydrift si-   diesem Thema geäussert hat, be-
möglich, festzustellen, ob sie im         cherlich zu verhindern. Diese Regeln     fürchtet, dass die neue Verordnung
konkreten Falle eingehalten oder          würden den konventionellen Bauern        in den 16 deutschen Bundesländern
dagegen verstossen wurde – weil           aber durchaus unangenehme Pflich-        und auch in den 28 EU-Mitglieds-
die Vorschriften einfach viel zu un-      ten und Kosten auferlegen, zum Bei-      staaten unterschiedlich ausgelegt
konkret sind. Hier wäre dringend          spiel sehr deutliche Abstandsflächen     werden wird, was zu einer radikalen
ein Nachschärfen erforderlich und         zu Nachbarn. Im Bereich der Gen-         Ungleichbehandlung der Bio-Land-
im gleichen Zuge müsste die Ein-          technik bzw. gentechnisch veränder-      wirte in Europa führen könnte. Wie
haltung der guten fachlichen Praxis       ter Pflanzen gibt es bereits Regeln,     siehst Du das?
dann auch mit Sanktionen hinterlegt       die deutlich weiter in diese Richtung
werden. Nur so kann der Rahmen            gehen. Beim Pflanzenschutz sind wir      Ja, unterschiedliche Auslegung der
geschaffen werden, innerhalb des-         allerdings noch weit davon entfernt.     Verordnung sowohl zwischen Bun-
sen die neue Öko-Verordnung über-         Vielleicht weil der Willen des Ver-      desländern als auch EU-Mitglieds-
haupt funktionieren kann.                 brauchers – und Wählers – hier auch      staaten ist ein Fakt. Das gilt aber für
                                          bislang weniger deutlich spürbar war     EU-Recht eigentlich immer und auch
Für uns stellt sich auch die Frage, was   als im Gentechnik-Bereich. Vielleicht    schon für die bestehende Verord-
denn eine gute fachliche Praxis im        deuten aber die jüngsten Volksbe-        nung. Das führt einerseits zu Wett-
Hinblick auf Spraydrift eigentlich ist    gehren hier bereits eine Wende an?       bewerbsverzerrungen, sorgt teilwei-
und sein kann? Nachdem sich Pesti-        Denn eines ist unstrittig: Trotz aller   se aber auch für eine angemessene
zide praktisch überall befinden, ist      Vorsorgemassnahmen führt das Sprit-      Anpassung des gemeinsamen Rechts
es da nicht eher unwahrscheinlich,        zen von Pflanzenschutzmitteln immer      an die regional unterschiedlichen
dass sie sich so versprühen lassen,       auch zu einer ubiquitären Belastung      Verhältnisse von Finnland bis Malta.
dass angrenzende Ökoflächen oder          der gesamten Umwelt. Einer der           Wir hätten uns an einigen Stellen
im Gemeinbesitz befindliche Natur         wichtigen Gründe, weshalb wir für        mehr Harmonisierung gewünscht. So
nicht kontaminiert werden?                100% Bio kämpfen.                        ist es z.B. so, dass Länder wie Italien

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und Belgien, die nationale Grenzwer-      Aktuell steht noch die Arbeit an den       ter die Öko-Verordnung fällt. Diese
te schon seit einigen Jahren einge-       Rechtsakten, die die neue Basisver-        Aspekte sind bereits in der Basisver-
führt haben, diese auch beibehalten       ordnung ergänzen, und deren kon-           ordnung geregelt. Viele weitere Ent-
dürfen und damit die unterschiedli-       struktiv-kritische Begleitung im Vor-      wicklungsaspekte – wie die Grössen
chen Ansätze im Umgang mit Konta-         dergrund. D.h. wie die Details der         für Ställe und Ausläufe, zugelassene
minationen in Europa fortgesetzt wer-     Umsetzung aussehen, wissen wir an          Betriebsmittel und Zusatz- und Hilfs-
den dürfen. Der Spielraum wird vom        vielen Stellen noch gar nicht. Entschei-   stoffe für die Lebensmittelherstellung
neuen Bio-Recht aber an manchen           dend ist daher zunächst, dass diese        – werden erst mit den Rechtsakten
Stellen auch beschränkt. So soll bis      Bestimmungen sinnvoll gestaltet wer-       festgelegt werden. Im Bereich Tier-
2035 überall biovermehrtes Saatgut        den und hier steckt der Teufel noch im     haltung hätten wir uns mehr erhofft.
eingesetzt werden. Bislang sind die       Detail. Dabei sind die Regeln für Land-    Es ist absehbar, dass die Vorgaben für
Bemühungen dafür in den Mitglieds-        wirtschaft und Verarbeitung schon          Ställe und Ausläufe für Wiederkäuer
staaten sehr unterschiedlich, manche      relativ weit gediehen, die Diskussi-       und Schweine weitgehend unverän-
Länder haben nicht einmal eine gut        onen um die Kontroll- und Import-          dert übernommen werden. Für Geflü-
gepflegte Saatgut-Datenbank, ob-          regeln beginnen gerade erst. Sobald        gelbetriebe gibt es künftig zwar ein-
wohl diese Auflage schon seit vielen      klar ist, welche konkreten Änderun-        heitlichere Bestimmungen, allerdings
Jahren in der Öko-Verordnung veran-       gen auf die Betriebe im Vergleich zur      ist absehbar, dass auf viele Geflügel-
kert ist. Länder wie Deutschland und      aktuellen Praxis zukommen, werden          betriebe in Deutschland Änderungen
die Niederlande gehen sogar noch          wir ihnen das in einer aufbereiteten       zukommen werden. EU-weite Regeln
weiter und haben nationale Listen         Übersicht zukommen lassen. Dort,           für Kaninchen und Wild sind neu in
für Sorten, die nur noch aus Öko-Ver-     wo es notwendig ist, ist unser über        die Öko-Verordnung aufgenommen
mehrung stammen dürfen und für die        40-köpfiges Beraterteam zur Stelle         worden.
deshalb keine Ausnahmegenehmi-            und unterstützt bei der Umsetzung.
gungen mehr möglich sind. Wir hof-                                                   Diese Verordnung betrifft ja alle Bio-
fen, dass die neuen Vorgaben einen        Kritiker betonen insbesondere die          Bauern und somit auch alle Bio-Ver-
stärkeren Anreiz innerhalb der EU         Risiken, die mit der Einführung der        bände. Findet diesbezüglich ein Aus-
setzen, dass jedes Land sich um mehr      neuen EU-Verordnung nicht nur auf          tausch und eine Abstimmung statt?
ökovermehrtes oder ökogezüchtetes         die Bauern, sondern auf die gesamte        Gibt es Interpretationsunterschiede
Saatgut bemühen muss.                     Bio-Branche zukommen.                      zwischen den einzelnen Verbänden
In Deutschland drängen wir von            Siehst Du in der neuen Verordnung          und wenn ja, welche?
Seiten des BÖLW gegenüber den             auch Chancen, und wenn ja, welche
Bundesländern auf gemeinsame              sind das?                                  Nein, es gibt keine Interpretationsun-
Interpretationen und sind dazu im                                                    terschiede zwischen den Verbänden.
ständigen Austausch mit den zustän-       Insgesamt ist das Ergebnis, gemessen       So divers die Bio-Verbandssituation
digen Ministerien und Behörden. Du        an dem enorm hohen Aufwand der             in Deutschland ist, so eng stehen wir
siehst also, wir setzen uns konkret da-   von Kommission, Parlament, Ministe-        in der politischen Lobbyarbeit und
für ein, dass unsere Bäuerinnen und       rien und Wirtschaftsvertretern über        insbesondere, wenn es um das Bio-
Bauern aber auch Unternehmen der          fünf Jahre hinweg geleistet wurde,         Recht geht, zusammen. Dafür sind
Verarbeitung und des Handels unter        ernüchternd. Auf der Haben-Seite           wir im BÖLW organisiert und stim-
möglichst gleichen Rahmenbedin-           stehen das Prinzip des bodengebun-         men uns hier zu allen Fragen ab. Aber
gungen arbeiten können, egal wo ihr       denen Anbaus auch im Gewächshaus,          selbst auf EU-Ebene, wo durch unter-
Betrieb ist.                              der stärkere Impuls in Richtung öko-       schiedliches Klima, Landbauhistorie
                                          vermehrtem und ökogezüchtetem              und Ernährungskultur Unterschiede
Du bist auch Vorstandssprecher von        Saatgut einschliesslich heterogenem        bestehen, zum Beispiel bei Tierhal-
Demeter Deutschland. Wie begleitet        Material – das ist sehr wichtig für die    tungs- oder Gemüsebausystemen,
und unterstützt der Verband seine Mit-    Erhaltung der Artenvielfalt. Der Gel-      stimmen wir uns in der IFOAM-EU-
glieder im Hinblick auf die Einführung    tungsbereich wurde nachgeschärft,          Gruppe eng ab und positionieren uns
der neuen EU-Verordnung?                  sodass z.B. Bienenwachs jetzt klar un-     gemeinsam.

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
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