POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
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POLYTECHNIK I N F O R M A T I O N E N A U S D E R S T I F T U N G P O LY T E C H N I S C H E G E S E L L S C H A F T F R A N K F U R T A M M A I N AUSGABE 1 / 2020 Werkbank für Frankfurt N G P O LY F TU T TI E 15 C S DI E H ER NI ST EN M AIN SCHE GESE JA H AM RE RT LL U SC KF HA F T FR AN
Das Titelbild zeigt von links nach rechts: Erhan Deniz, Main-Campus- doctus-Stipendiat; Fenja Bodesheimer, ehemalige Dozentin bei den KEMIE-Kursen und Main-Campus-doctus-Stipendiatin; Sabine Fiedler, Bürger-Akademikerin (2018/2019); Dr. Eberhard Pausch, Stadtteil-Historiker (2018-2020); Mrudula und Rutuja Lele, Diesterweg-Stipendiaten (2018-2020). So vielfältig wie die Frankfurter Stadtgesellschaft sind auch die Teilnehmer unserer Programme, Projekte und Initiativen. Das Titelbild zeigt sechs von inzwischen rund 1.900 durch die Stiftung geförderten Stipendiaten aus den ersten 15 Jahren Stiftung Polytechnische Gesellschaft.
INHALT 18 CHRISTIANE METTLAU BEZIEHUNGSARBEIT IN DEN STIFTUNGSPROGRAMMEN Wie es die Programme der Stiftung schaffen, bei ihren Teilnehmern Entwicklung anzuregen. 5 P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T 22 UND JOHANN-PETER KROMMER PROJEKTTRANSFER POTENZIALENTFAL- GUTE IDEEN GEHEN TUNGSGEMEINSCHAFT IHREN WEG Ein Blick zurück. Zur Wirkung der Stiftungsarbeit über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus. 10 AUF EINEN BLICK 24 P R O F. D R . R . A L E X A N D E R L O R Z DIE ERSTEN 15 JAHRE Die Geschichte des Projektportfolios »SCHULE KANN NICHT der Stiftung seit ihrer Gründung. ALLES LEISTEN« Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft als Kooperationspartner des Landes Hessen beim 12 P R O F. D R . J O A C H I M R O G A L L Thema Sprachförderung. DIE ERMÖGLICHERIN 26 AXEL BRAUN Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft als eine starke Stütze in unserer Mitte. DAS ARBEITEN IN PROJEKTKETTEN 14 WIE WIR ARBEITEN Vielfalt und ein roter Faden. WERKBANK FÜR FRANKFURT 28 ALEXANDER JÜRGS Eine Illustration der Werkzeuge unserer Stiftungsarbeit. WAS MACHT EIGENTLICH … ? Zwei polytechnische Karrieren im Porträt. 16 KAROLINE LEIBFRIED 32 RÜCKBLICK NEUE WEGE DER BEGEGNUNG IN ZEITEN NAMEN UND DES ABSTANDS NACHRICHTEN Wie wir während der Corona-Pandemie arbeiten. Kurzinformationen aus der Stiftung.
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, am 24. November 2020 wird die Stiftung Polytechnische Gesellschaft 15 Jahre alt. Wenn man bedenkt, dass Stiftungen für die Ewigkeit gedacht und angelegt sind, dann erscheint ein Zeitraum von 15 Jahren doch recht überschaubar. Wenn man aber beim Durchforsten des Archivs der Stiftung rekapituliert, wie viele Menschen bereits erreicht, wie viele Projekte bislang realisiert und in welchem Maße das Gemeinwesen gefördert werden konnte, dann rückt diese Zeitspanne doch in ein ganz anderes Licht. Die von der Polytechnischen Gesellschaft gegründete Stiftung ist 2005 angetreten, um als »Werkbank der Frankfurter Stadtgesellschaft« Innovation und Engagement in das Gemeinwesen einzubringen. In den ersten 15 Jahren sind ganz im Sinne der polytech- nischen Ideen, stets im engen Austausch und auf Grundlage von zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Frankfurt am Main zahlreiche praktische Initia- tiven entstanden, die »tun, was fehlt und nützt«: von der Samstagsschule für begabte Handwerker über das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern bis hin zur Bürger-Akademie für besonders engagierte Ehrenamtler. Wie wir arbeiten und mit welchem Handwerkszeug wir dabei ins Feld ziehen, da- von wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in dieser Jubiläumsausgabe der POLYTECHNIK erzählen. Es erwarten Sie Texte über unsere Arbeit in Projektketten, über Transfer weit über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus und auch darüber, wie wir auf die zahlreichen Heraus- forderungen der Corona-Pandemie reagiert haben. Der Vorstand der Stiftung Polytech- nische Gesellschaft blickt zurück auf 15 Jahre »Potenzialentfaltungsgemeinschaft«, und in zwei Porträts unseres Gastautors Alexander Jürgs wollen wir Ihnen besondere »polytechnische Karrieren« vorstellen. Den Blick von außen auf unsere Arbeit bieten schließlich Gastbeiträge des Hessischen Kultusministers, Prof. Dr. R. Alexander Lorz, der Erziehungswissenschaftlerin Christiane Mettlau und von Prof. Dr. Joachim Rogall, dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. Unser Werkzeugkoffer ist prall gefüllt. Und so ist auch diese Jubiläumsausgabe der POLYTECHNIK. Viel Spaß bei der Lektüre! AXEL BRAUN Bereichsleiter Information, Kommunikation und Veranstaltungen der Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POTENZIAL- ENTFALTUNGS- GEMEINSCHAFT Es begann am 24. November 2005. An diesem Tag wurde die Stiftung Poly- technische Gesellschaft Frankfurt am Main durch den Regierungspräsidenten genehmigt. Die Mitglieder der traditionsreichen Bürgervereinigung gleichen Namens hatten zuvor der von ihrem damaligen Präsidenten Prof. Dr. Klaus Ring vorgeschlagenen Stiftungsgründung zugestimmt und damit den Weg gebahnt für den Aufbau eines neuen polytechnischen Tochterinstituts. V O N P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T UND JOHANN-PETER KROMMER 5
Schwerpunkt Die Stiftung stellte sich von Beginn an in die Tradition der polytechnischen Ideen, die 1816 zur Gründung der Bürgervereinigung geführt hatten. Dies waren und sind die Ideen der Aufklärung: die Ausrichtung des eigenen Handelns an gesellschaftlicher Nützlich- keit und die Orientierung an Bildung und Wissenschaft. Die Themenfelder der Stiftung ergaben sich aus der Verbindung der polytechnischen Tradition mit modernen Anforde- rungen: Familienbildung, Sprachbildung, Hinführung zu Wissenschaft und Technik, kulturelle Bildung und Bürgerkompetenz. Mit einem Teil des Erlöses aus dem Verkauf der Frankfurter Sparkasse – einem im Jahr 1822 von der Polytechnischen Gesellschaft gegründeten Tochterinstitut – wurde das Stiftungsvermögen dotiert. Ausgestattet mit einem Kapital in Höhe von 397 Millionen Euro gehörte die Stiftung zu den 20 größten gemeinnützigen Stiftungen in Deutschland und konnte eigenständig und unabhängig ihre Beiträge zum Wohle der Stadtgesellschaft entwickeln. Die Unabhängigkeit auch gegenüber städtischen und sonstigen Interessen hatte Prof. Dr. Klaus Ring, der auch der erste Vorstandsvorsitzende der Stiftung war, unmissverständlich kommuniziert. Bei der ersten Stifterversammlung im August 2006 im Metzler-Saal des Städel Museums stand, abgestimmt mit dem umsichtig agierenden Stiftungsrat, das Konzept einer ope- rativen und fördernden Stiftung mit einem professionellen Vermögensmanagement zur Erwirtschaftung ausreichender Erträge und zur langfristigen Erhaltung der realen Leistungsfähigkeit des Vermögens. Es erhielt die Zustimmung der Mitglieder der Polytechnischen Gesellschaft, die die Stifterversammlung bilden. Das Netzwerk der Polytechniker war für die Verankerung der Stiftung in der Stadt von unschätzbarem Wert und ist es bis heute. »Ein Feuerwerk an neuen Ideen.« »Ein Feuerwerk an neuen Ideen«, schrieb zum damaligen Beginn Hans Riebsamen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es ging rasch voran. Bereits im Frühjahr 2006 wurde die museologische Erneuerung der Historischen Villa Metzler mit einer bedeuten- den Förderung ermöglicht. Eigene Projekte wurden vorbereitet. Im folgenden Jahr wurden die ersten Stadtteil-Botschafter und Stadtteil-Historiker aufgenommen. Der Deutschsommer wurde durchgeführt. Diese Projekte verdankten ihre Entstehung den rund 400 Gesprächen, die Vorstand und Mitarbeiter der Stiftung in dieser Zeit in der Stadt führten. Auch wenn im Jahr 2008 die Lehman-Krise das Vermögensmanagement vor besondere Aufgaben stellte, weil es kurz nach dem Start schon die erste Krise an den Finanzmärkten zu bewältigen galt, wurde das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium und der Stadt Frankfurt aufgebaut. Es bildete zusammen mit dem Deutschsommer die erste »Pro- jektkette« der Stiftung. In diesem Jahr entdeckte Mr. X die Stiftung. Bis heute fördert der Mäzen, der anonym bleiben möchte, ihre Arbeit durch bedeutende Spenden. 2008 war die junge Stiftung bereits in vollem Schwung. Weitere Projekte wurden aufge- nommen. Nach anderthalbjähriger Vorbereitung starteten die Willkommenstage in der frühen Elternzeit, ein Projekt zur Stärkung junger Familien direkt nach der Geburt ihres Kindes, das in Zusammenarbeit mit den Familienbildungsstätten in Frankfurt entwi- ckelt worden war. Mit der Konzertpädagogik und dem Opernstudio stieg die Stiftung in die Musikförderung ein. Die Förderung des wissenschaftlichen Spitzennachwuchses nahm sie im selben Jahr mit dem vor allem naturwissenschaftlich ausgerichteten Main- Campus-Stipendiatenwerk auf. Als Prof. Dr. Klaus Ring Ende 2008 planmäßig als Vor- standsvorsitzender aus dem Vorstand ausschied, hatte die Stiftung alle fünf Themenfelder mit eigenen Projekten bestückt. 6
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 Im September 2019 präsentierten die Stipendiaten der siebten Stadtteil-Botschafter-Generation ihre Projektideen auf dem Ponton- Schiff »Freigut« am Eisernen Steg der interessierten Frankfurter Öffentlichkeit. Begegnung und Austausch R E G E L M Ä S S I G STATT F I N D E N D E A LU M N I -T R E F F E N regen zu Begegnung und Austausch an und zeigen, wie groß und vielfältig das Netzwerk gegenwärtiger und ehema- liger Stipendiaten ist. Rechtschreibung verstehen, üben, können: Darum geht es bei dem Projekt Deutschland schreibt!, das sich in Form eines unterhaltsamen Rechtschreib- wettbewerbs an Lehrer, Eltern und Schüler richtet. 2017 wurde auf der Frankfurter Buchmesse um die Wette geschrieben. 7
Schwerpunkt In Anknüpfung an die polytechnische Tradition wurde 2009 gemeinsam mit der Hand- werkskammer Frankfurt-Rhein-Main die Samstagsschule für begabte Handwerker gegründet. Ihre Vorläuferin, die Freie Sonntagsschule für Handwerker, war das erste Pro- jekt der Polytechnischen Gesellschaft im Jahr 1817 gewesen. Mit der Bürger-Akademie ergänzte die Stiftung ihre Projekte im Bereich Bürgerengagement. Auch diese Initiative war das Ergebnis eines anderthalbjährigen Vorbereitungsprozesses gemeinsam mit 23 Ehrenamtsorganisationen in Frankfurt. Nach fünfjähriger Aufbauzeit, im Jahr 2010, hatte die Stiftung ihre Reiseflughöhe erreicht. 2011 wurde die naturwissenschaftliche Projektkette noch um den Polytechnik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik erweitert. Zur freudigen Überraschung des engagierten Stiftungsteams mehrten sich Besuche aus- wärtiger Delegationen, die Interesse an der Übernahme der neuen Stiftungsprojekte zeigten. In den Jahren 2010 bis 2013 wurden der Deutschsommer und das Diesterweg- Stipendium an fünf andere Standorte transferiert. Lokale Verankerung und Außenwir- kung schlossen einander nicht aus. 2011 wurde das Vermögensmanagement durch die Staatsschuldenkrise zwar erneut hart geprüft. Durch den ersten Schock von 2008 war das Team allerdings bereits krisenerprobt. Darüber hinaus gab es mit dem Bezug des neuen Stiftungssitzes im Februar 2011 in bester Innenstadtlage auch ein besonders freudiges Ereignis zu registrieren. Die Stiftung hatte das 1874 errichtete Gebäude nach intensiver Suche erworben. Nach einer behutsamen Sanierung und Renovierung ver- fügt sie seitdem sowohl über moderne Büroräume als auch über repräsentative Flächen für die verschiedensten projektbezogenen Aktivitäten. Eine der ersten Besuche- rinnen in den neuen Räumlichkeiten war die Stifterin Marga Coing, die das Management ihrer unselbstständigen Stiftung dem Team der Polytechnischen Stiftung übertrug. Wegen der in Bildungsstudien festgestellten unzureichenden Orthografiekenntnisse in der Schülerschaft entwickelte die Stiftung im Jahr 2011 den Diktatwettbewerb Frank- furt schreibt!, der 2012 auf Hessen ausgeweitet werden konnte. 2012 fand zum ersten Mal ein großer Alumnitag auf der Wegscheide statt. Mittlerweile engagieren sich zahl- reiche Alumni der ersten Generationen als Referenten und Mentoren in aktuellen Pro- grammen der Stiftung. Die folgenden Jahre bis 2015 waren durch weitere Projekt- transfers in andere Städte geprägt. Mit den Babylotsen wurde die Projektkette im Be- reich der Familienbildung um ein wichtiges Glied erweitert. Gemeinsam mit dem Sozialdezernat der Stadt und befreundeten Stiftungen stellte die Stiftung in wenigen Wochen die Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe »Frankfurt hilft!« auf die Beine. 2016 folgte das Kolleg für junge Talente, ein Studium generale für viel- 8
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 seitig interessierte und talentierte Schülerinnen und Schüler, das an die polytechnischen Ideen anknüpft und zugleich die Projektkette mit den Stadtteil-Botschaftern ergänzt. Die beiden Jahre 2015 und 2016 waren auch für das Vermögensmanagement von wich- tigen Weichenstellungen geprägt. Durch die Einstellung eines ersten Mitarbeiters in diesem Bereich war es möglich, die Einbringung eines großen Teils des Stiftungsver- mögens in einen Spezialfonds vorzubereiten und umzusetzen. Mit dieser Maßnahme wurde das Instrumentarium zur Steuerung von Risiken aus der Vermögensanlage weiter professionalisiert. Als im November 2016 die Polytechnische Gesellschaft e. V. unter der Führung ihres Präsidenten Walther von Wietzlow ihr 200-jähriges Jubiläum beging, konnte die noch junge Stiftung als bereits herangewachsene Tochter gratulieren. Nach dem plötzlichen Tod des Präsidenten im Oktober 2017 sicherte seine Stellver- treterin Dr. Birgit Sander gemeinsam mit Stiftungsrat und Vorstand die Kontinuität der Stiftung. Inzwischen sind fünf Stiftungsprojekte an 23 auswärtige Standorte »exportiert« worden. Die Stiftung hat sich zu einer kooperativen Stiftung weiterentwickelt. Mit dem im Jahr 2019 ins Leben gerufenen Digitechnikum, einer Plattform für junge IT-Talente in Frank- furt, wurde ein weiteres Glied der Projektkette im Bereich Naturwissenschaft und Tech- nik hinzugefügt. Im selben Jahr erzielte das Vermögensmanagement mit 10,2 Prozent die bei Weitem höchste Performance in der Geschichte der Stiftung. Damit wurde auch der reale Kapitalerhalt erreicht. »Die Stiftung hat sich zu einer kooperativen Stiftung weiterentwickelt.« Im Jahr 2020 wurden auf Initiative des seit 2018 amtierenden Präsidenten der Polytech- nischen Gesellschaft e. V., Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, neun ehemalige Sti- pendiaten der Stiftung als »junge Polytechniker« in die Polytechnische Gesellschaft e. V. aufgenommen. Damit schloss sich im 15. Jubiläumsjahr der Stiftung ein Kreis. Die weltweite Corona-Epidemie hat die Stiftung herausgefordert. Diese hat elastisch reagiert, ihre Arbeit größtenteils digital und mobil von zu Hause aus fortgesetzt und ihre ver- schiedenen Programme rasch an die neue Situation angepasst (siehe Seite 16 f.). Gleich- wohl ist die Pandemie unbestreitbar eine echte Prüfung, insbesondere auch für das Vermögensmanagement der Stiftung, das allerdings mit seiner umsichtigen Strategie der Diversifizierung auch gegen unvorhersehbare Krisen gut gewappnet ist. So hat das Vermögensmanagement in den ersten 15 Jahren der Stiftung insgesamt 74 Millionen Euro für die Entfaltung von Menschen mit Potenzial aus den verschiedensten Milieus zur Verfügung stellen können. Durch das überdurchschnittliche Engagement des Stiftungs- teams konnten in dieser Zeit rund 120.000 Menschen in 19 Leitprojekten gefördert werden. Hinzu kommen über 1.150 Projekte Dritter, die durch Förderungen der Stiftung ermöglicht wurden. Kann man die Arbeit der Stiftung auf einen Begriff bringen? Christiane Mettlau, Erzie- hungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg, hat den Versuch gemacht. Heraus- gekommen ist eines jener langen und komplexen Komposita, wie sie die deutsche Sprache hervorbringen kann, die aber alles unter einem Dach versammeln: »Potenzial- entfaltungsgemeinschaft.« Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt und Johann-Peter Krommer leiten die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main. 9
Auf einen Blick DIE ERSTEN 15 JAHRE Die Geschichte des Projektportfolios der Stiftung Polytechnische Gesellschaft seit ihrer Gründung im Jahr 2005 im Überblick. ● Erster Transfer des Projekts Deutschsommer: Das Sprachferien- camp startet in Offenbach, Wies- baden und Hanau 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 ● Diesterweg- Historische Schulwerkstatt Villa Metzler Förderung der ● Alumnitag museologischen Erneuerung des ● Erster Transfer Gebäudes ● Frankfurt ● Alfred-Grosser- des Diesterweg- ● Konzert- schreibt! Gastprofessur Stipendiums: pädagogik Die Heraus- Das Familiensti- forderer ● Sommer- pendium startet stipendiaten in Hannover ● Rosl und Paul Arnsberg-Preis ● Opernstudio 10
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 UNSERE ARBEIT IN ZAHLEN SEIT STIFTUNGSGRÜNDUNG* – 19 operative Leitprojekte – 120.000 Frankfurter Bürger gefördert – 1.900 Stipendiaten in acht Programmen – 37 Stiftungen als Partner bundesweit – 200 Partnerorganisationen – 74 Mio. Euro Ausgaben für Satzungszwecke – 32 Mio. Euro Eigenkapitalstärkung – 447 Mio. Euro Stiftungskapital * Stand: 1.1.2020 ● Die Grund- schule schreibt! ● Deutschsommer ● Die Mittelstufe ● Ausbildungs- Hessisches Kul- schreibt! botschafter tusministerium: Gießen, Wetzlar, Wiesbaden, ● REGIEstudio Darmstadt, Rüsselsheim 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 ● Erster Transfer ● Transfer de ● Deutschsommer des Projekts Samstagsschule Hessisches Kul- Stadtteil-Histo- für begabte tusministerium: riker: Bürger, Handwerker Limburg, Fulda die Geschichte nach Darmstadt ● Erster Transfer schreiben, ● Kompetenz- des Diktatwett forschen in ● KEMIE® – stelle Ortho- bewerbs: Das Wiesbaden Kinder erleben grafie Projekt startet in Hamburg mit ihren ● Frankfurt hilft ● Junge Eltern Chemie Paulskirche ● ANKLANG ● Spitzentexter ● 25 Jahre Leben im vereinten Deutschland 11
Gastbeitrag DIE ERMÖGLICHERIN Polytechnik ist ein ungewöhnlicher Begriff, der etwas aus der Zeit gefallen scheint. Tatsächlich ist die polytechnische Idee ein Kind der Aufklärung, mit dem Anspruch, die vielfältigen Fähigkeiten des Menschen in den Blick zu nehmen und bestmöglich zu entwickeln. Dieser Tradition fühlt sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft bis heute verpflichtet. Sie erfüllt dieses Ideal in beeindruckender Weise seit nunmehr 15 Jahren mit Leben. V O N P R O F. D R . J O A C H I M R O G A L L Aus der Idee der Polytechnik und der Aufklärung Ansätze wie in einem »Testlabor« ausprobiert und leitet die Stiftung ihren Auftrag ab, auf die Bil- praktisch umgesetzt werden. Mit ihrem regiona- dung und Verantwortung der Menschen zu setzen. len Fokus entwickelt die Stiftung Polytechnische Die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger sollen Gesellschaft dabei eine Strahlkraft weit über zu einem Engagement in der Stadtgesellschaft an- Frankfurt hinaus und wirkt als Impulsgeber für die gestiftet und befähigt werden. Dabei begleitet die gesamte Stiftungslandschaft. Stiftung Polytechnische Gesellschaft viele Geför- derte über ihre gesamte Biografie hinweg – von »Tun, was fehlt und nützt« ist das Motto der Stif- Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenleben tung, das sich hervorragend auf den Stiftungssektor und Alter. Ihre Projekte bauen aufeinander auf und insgesamt übertragen lässt. Stiftungen haben sind oft vielfach miteinander verzahnt. Damit ist das Privileg, sich ihren Zweck selbst geben und die Stiftung auf ganz unterschiedliche Weise stark ihre Mittel dort einsetzen zu können, wo sie die in der Frankfurter Stadtgesellschaft präsent und größten Bedarfe sehen. Dieses hohe Gut hegen und bezieht sehr viele gesellschaftliche Gruppen mit pflegen wir nach Kräften und sind dabei als Stif- ein. Die schöne Folge ist eine hohe Identifikation tungssektor tatkräftiger denn je. Als Bundesverband der Geförderten mit den Programmen und ihrer Deutscher Stiftungen leben wir von der Vielfalt Stiftung. Dieser Ansatz ist zudem ein eindrucks- unserer Mitglieder. Wir freuen uns sehr, die Stiftung volles Beispiel für nachhaltige Wirkung, die Stif- Polytechnische Gesellschaft als eine starke Stütze in tungen ja stets anstreben. In der praktischen unserer Mitte zu haben. Arbeit, die stark an Projekten ausgerichtet ist, tun wir uns mitunter schwer, die nachhaltige Wirkung Ich gratuliere deshalb der Stiftung Polytechnische unseres Handelns nachweisen zu können. Die Stif- Gesellschaft aufs Herzlichste zum 15-jährigen tung Polytechnische Gesellschaft jedoch weist Jubiläum und wünsche ihr für die kommenden hier eine beeindruckende Bilanz auf, was auch die Jahrzehnte dieselbe Tatkraft, die sie in ihrer noch häufig dauerhafte Verbundenheit der Geförderten jungen Geschichte bereits beeindruckend unter mit der Stiftung zeigt. Beweis gestellt hat. Möge der selbst gewählte Leit- spruch hierbei stets Ideengeber, Motor und An- Darüber hinaus ist die Stiftung Polytechnische spruch sein. Gesellschaft auch eine Projektschmiede par excel- lence – im »Mikrokosmos« Frankfurt am Main, Prof. Dr. Joachim Rogall ist Vorstandsvorsitzender des einer vielfältigen, internationalen, aber dennoch Bundesverbands Deutscher Stiftungen und Vorsitzender überschaubar großen Stadt, können Ideen und der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung GmbH. 12
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 Links: In polytechnischer Tradition stehend fühlt sich die Stiftung den Ideen der Aufklärung verpflichtet. Unten: Prof. Dr. Joachim Rogall. »Impulsgeber für die gesamte Stiftungslandschaft« 13
6 8 3 11 5 2 7 1 9 4 WERKBANK FÜR FRANKFURT »Die Tugend besteht im Handeln«: Im Sinne der Aufklärung ist Bildung nicht nur an Erkenntnis, sondern auch an die Tat geknüpft. Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft versteht sich als »Werkbank für Frankfurt« – in ihren Projekten möchte sie Menschen konkret stärken und systema- tischen Nutzen entfalten: praktisch, innovativ und sichtbar. 14
LEGENDE 10 Der polytechnischen Tradition folgend, stehen 1 bei uns der Einsatz von wissenschaftlichen Methoden und die Hinführung zu Wissen- schaft und Technik hoch im Kurs. Aktive Auseinandersetzung mit Kunst und 2 Kultur ist wichtig für die Persönlichkeitsent- wicklung und spielt darum in vielen unse- rer Projekte eine wichtige Rolle. Unser Bildungsbegriff fußt auf der Tradition 3 der Aufklärung – ihr Ziel ist die Ausbildung der Vernunft und des Charakters. Unsere modulhaft angelegten Programme 4 werden evaluiert, weiterentwickelt und skaliert. Wir unterstützen Menschen beim Ausbau 5 ihrer Sprachfertigkeit. Die lokale Bindung und Verankerung der Stiftung 6 in Frankfurt wurde in ihrer Satzung festgelegt. Durch Projekttransfer finden Initiativen jedoch auch ihren Weg über die Stadtgrenzen hinaus. »Vielfalt und Zusammenhalt«: Wir fördern 7 Vielfalt und sind vielfältig tätig, gleichzeitig leisten wir Beiträge zum Zusammenhalt unseres vielfältigen Gemeinwesens. Mit ihrem Alumni-Netzwerk hält die Stiftung 8 den Kontakt zu ihren ehemaligen Stipendiaten und ermöglicht ihnen dauerhaften Austausch untereinander. Wir schaffen den Rahmen für Begegnung und 9 Austausch, die fortbestehen. Auf die Familie kommt es an. Darum stehen 10 Familienbildung und auch die Bindungs- fähigkeit in der Familie im Zentrum großer Leitprojekte wie des Diesterweg-Familien- stipendiums. Wir fördern auch Vorhaben Dritter, die in beson- 11 derer Weise von Nutzen für das Gemeinwohl sind, inhaltlich zu unseren Themen passen und einen Beitrag zur positiven Fortentwicklung der Frankfurter Stadtgesellschaft leisten. 15
Bericht NEUE WEGE DER BEGEGNUNG IN ZEITEN DES ABSTANDS VON KAROLINE LEIBFRIED Das Team der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sah sich zu Beginn des Jahres 2020 mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert: Die infolge der Corona-Pandemie beschlossenen Kontaktbeschränkungen machten auch vor dem Polytechniker-Haus nicht halt. Jedoch konnten innerhalb kurzer Zeit neue Formen der Begegnung und kreative Lösungen für die Zusammen- arbeit gefunden werden. Davon, wie sie aussehen, wollen wir hier schlaglichtartig berichten. Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft ist eine Begegnungsstiftung, die Menschen zusammen- bringt, um Gemeinschaft zu ermöglichen. Als phy- sische Begegnung infolge der Kontaktbeschrän- kungen auf einmal nicht mehr möglich war, führte das zu Veränderungen und Neuerungen in allen Bereichen der Stiftungsarbeit. Beispielsweise wur- den für die Gewährleistung der pädagogischen Beratung im Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern Telefon-Mentoren eingesetzt, die Unter- stützung in schulischen Angelegenheiten leisteten. Vieles wurde auch in digitale Formen transfor- miert. So bot das Team des Diesterweg-Stipendiums das sonst wöchentlich stattfindende Elterncafé kurzerhand als Video-Chat an. Auch Elternabende zu schulischen Themen wurden im Projekt digital veranstaltet. Der von der Stiftung geförderte wissen- schaftliche Spitzennachwuchs – die Main-Campus- Stipendiaten – entwickelte eine eigene digitale Mit Abstand, aber immer fokussiert: Für die Vortragsreihe zur Corona-Krise, in der die Inter- digitale Preisverleihung im Projekt Meine Zeitung wurde im Polytechniker-Haus und im Redaktionsgebäude der F.A.Z. gedreht. 16
disziplinarität des Stipendienprogramms kreativ Besonders erfreulich: Der Deutschsommer konnte und fachlich sinnvoll zum Tragen kam. Und der zu Beginn der Schulferien – in diesem Jahr in Stiftungschor übt seither auf einer digitalen Platt- Frankfurt rein innerstädtisch, aber auch an anderen, form gemeinsam seine Stücke ein und präsentiert überregionalen Standorten stattfinden. In sorg- sie mit überwältigendem Erfolg auf YouTube – um fältiger Absprache der Stiftung mit dem Hessischen nur einige Beispiele zu nennen. Kultusministerium, dem Staatlichem Schulamt Frankfurt, dem Frankfurter Bildungsdezernat und Die Videokonferenz ist zu einem vorrangigen Kom- mit Schulleitungen wurde dafür ein Konzept ent- munikationswerkzeug der Stiftung geworden – wickelt, das alle nötigen gesundheitlichen Vorkeh- intern wie auch extern und innerhalb der Stiftungs- rungen berücksichtigte. programme. Beispielsweise wurden die jungen IT-Talente des Digitechnikums von ihren Betreuern Die Stiftung ist mit ihren Mitarbeitern, Stipendiaten durch regelmäßige Videokonferenzen bei der Wei- und Partnern nach wie vor ganz nah dran am terentwicklung ihrer digitalen Projekte unterstützt. Geschehen. Innovative Wege des Austauschs, des Im Mai präsentierten sie in einem digital stattfin- kollaborativen und digitalen Arbeitens und der denden Pressegespräch erstmals die von ihnen ent- Begegnung wurden gesucht und gefunden. In wickelten Prototypen gesellschaftlich nützlicher dieser grundlegenden polytechnischen Haltung digitaler Produkte. arbeitet die Stiftung weiterhin unbeirrt, kreativ und flexibel, um dort Unterstützung zu leisten, wo Veranstaltungen sind ein zentrales Instrument der sie gebraucht wird. Stiftungsarbeit, um persönlichen Austausch und Begegnung möglich zu machen. Auch hier konnten Karoline Leibfried arbeitet in der Abteilung Information, kreative, alternative Lösungen und Formate ge- Kommunikation und Veranstaltungen der Stiftung funden werden. So wurde beispielsweise die erste Polytechnische Gesellschaft. Gesprächsrunde der Frankfurter HausGespräche 2020 im Mai per Livestream im Internet übertragen (siehe Seite 33). Im Stadtteil-Botschafter-Programm 2.000 wurden in einem Projekt, das ursprünglich als großes Kulturfest geplant war, virtuelle Führungen durch Städte verschiedener Länder angeboten, um auf digitalem Weg vielfältige kulturelle Ein- blicke zu ermöglichen. Im Projekt Meine Zeitung – Frankfurter Schüler lesen die F.A.Z. wurden trotz AUFRUFE der zeitweiligen Schulschließungen 80 Langzeit- arbeiten eingereicht. Eine Jury zeichnete die So oft wurde der von 39 Sängerinnen und überzeugendsten Arbeiten aus. Diesmal wurden Sängern zu Hause und getrennt voneinander die Gewinner zum Abschluss des Projekts durch eingesungene Lieblingssong des Stiftungs- einen gemeinsamen Film mit Videobotschaften von chors – »Viva la vida« von Coldplay – bereits Stiftung und F.A.Z. in ihren Klassen überrascht. in den ersten Wochen nach Veröffentlichung auf YouTube aufgerufen. 17
BEZIEHUNGS- ARBEIT IN DEN STIFTUNGS- PROGRAMMEN Wie schaffen es die Programme der Stiftung Polytechnische Gesell- schaft, bei ihren Teilnehmern Entwicklung anzuregen? Eine Bestands- aufnahme aus dem Blickwinkel der Beziehungspädagogik. VON CHRISTIANE METTLAU 18
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 »Ich bin eine schönere Version von mir geworden.« M E L I S A B E L A DA S M E , STA DTT E I L - BOTSCHAFTERIN (2013/2014) In meinen viereinhalb Jahren als Projektleiterin des zu können. Dies hat für benachteiligte Jugendliche Diesterweg-Stipendiums (DWS) Hamburg zwischen in bestimmten Stadtteilen eine hoch riskante Be- 2012 und 2016 habe ich wertvolle Erfahrungen in deutung, wenn sie sich nach maladaptiven Rollen- einem Chancenstipendium für Familien und ihre modellen richten. Der Glaube an Veränderung Kinder sammeln dürfen, das von der Stiftung Poly- durch positive Vorhersagen, wie zum Beispiel für technische Gesellschaft in Frankfurt entwickelt wurde. ein Stipendium ausgewählt worden zu sein, (vgl. Mettlau, 2013) Die Verbindung zur Stiftung schafft dagegen neue Entwicklungschancen durch blieb bis heute erhalten. Mit großem Interesse habe soziale Unterstützung. »Positive Vorstellungen, ich weitere Leitprojekte und Arbeitsschwerpunkte die Bezugspersonen von jungen Menschen haben, kennenlernen dürfen. Alle 19 Programme verbindet werden so zu einem Teil des Plans, den junge meines Erachtens, dass sie das Ziel der Entde- Menschen für sich selbst haben werden.« (Bauer, ckung und Förderung von Potenzialen und Talenten 2015, 50) So können Erfolgsüberzeugungen ent- im Sinne der Hebung von Begabungsreserven stehen, die Willensbildung und Anstrengungsbereit- durchaus differenziert verfolgen. Dabei wird die schaft stärken. Besonders eindrücklich formulierte »exemplarische Methode« genutzt, um »Bilder des das die Stadtteil-Botschafterin Melisa Bel Adasme: Gelingens« zu zeigen. Die Beispielhaftigkeit wirkt »Ich bin eine schönere Version von mir geworden.« wie ein Taktgeber, sowohl für die Fachöffentlich- keit als auch direkt für die Menschen, mit denen gearbeitet wird. Wie geht das? Wie schaffen es die Programme der Stiftung Poly- technische Gesellschaft, bei ihren Teilnehmern Entwicklung anzuregen? Die »pädagogische Methode« folgt einem dialek- tisch-dialogischen Erziehungs- und Bildungsver- ständnis, das soziale Beziehungen nutzt und stärkt. Dabei wird die Bindung der Programmteilneh- mer an die Stiftung, an die Stadtgesellschaft und an die Institutionen erreicht. Die entstandenen Bindungen werden in Förderketten weiter vertieft und gepflegt. Auf diese Art können künftige »Vorbilder« ausgesucht, begabt, gezeigt und auf dem Bildungsweg im Sinne einer umfassenden Persönlichkeitsbildung begleitet werden. Veränderungsglaube schafft Entwicklung Regelmäßige Exkursionen im Diesterweg- Die Wahl eines Vorbilds fällt besonders leicht bei Stipendium – wie hier zum Institut für Bienen- kunde in Oberursel – bieten neue Erfahrungen, Ähnlichkeiten mit dem Betrachter und bei einer die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch realistischen Chance, dem Vorbild auch nacheifern zu kommen, und Spaß für die ganze Familie. 19
Gastbeitrag Gute Beziehungen motivieren zum Lernen Die Bedeutung des Sozialen bei der Entwicklung des Gehirns erweist sich aus neuropsychologi- »Ich kann scher Sicht als viel größer als bisher vermutet. Wir erklären uns das mit den unterschiedlichen Dimen- sionen der Potenzialentfaltung, die sich gegenseitig lernen.« beeinflussen und verstärken können. Gerald Hüther nennt fünf: Wertschätzung, Inspiration, Verbun- denheit, Ermutigung und akademisches Lernen. »Unser Gehirn ist also in viel stärkerem Maß als bisher angenommen ein soziales, kulturell ge- Im Diesterweg-Stipendium werden formtes Konstrukt. Es wird daher weder in seiner Eltern dazu ermutigt und dabei inneren Struktur noch in seiner Funktionsweise begleitet, gemeinsam mit ihren Kin- zu verstehen sein, solange es isoliert und abge- dern große Bildungsziele anzugehen. trennt von den formenden und strukturierenden Ein- flüssen der sozialen Gemeinschaft betrachtet wird, in der der betreffende Mensch aufgewachsen ist und in der er lebt.« (Hüther, 2011, 187) Die Lern- entwicklung wird entscheidend durch soziale Re- sonanz angeregt und diese wiederum steht mit der Entwicklung von intrinsischer Motivation in di- rekter Verbindung. 20
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 Feedback im Dialog wirkt auf die und neue soziale »Multimitgliedschaften« außerhalb neurobiologische Entwicklung des Familienhaushalts und der Gemeinde schaffen. Der Dialog ist der direkteste Weg, Selbstwirksamkeit Diese integrative Wirkung ist gegenwärtig nicht zu zu erhöhen. Jason Mitchell von der Harvard Uni- unterschätzen. versity untersucht diese Mechanismen mensch- lichen Verstehens genauer. Er zeigt, wie soziale Fazit Beziehungen zum wichtigsten Motor unseres bio- Neurobiologie ist sozial. Begaben ist soziale Arbeit. logischen Programms und der Gehirnentwicklung Potenziale, Talente und besonders Vorbilder sind werden. In Hirnscans ist zu lesen, wie dialogisches soziale Produkte. Einmal durch die Anregung des Feedback direkt den präfrontalen Cortex akti- Glaubens an sich selbst und die eigenen Talente – viert. Genauso braucht auch die Entwicklung von »Ich kann lernen«. Dann durch die anerkennende prosozialen Motiven und Verantwortungsgefühl soziale Wertschätzung – »Du kannst lernen«. Und Gegenseitigkeit. Menschen entwickeln sich durch schließlich durch die Zugehörigkeit zu neuen Ge- die Bindung an und die Achtung durch »bedeut- meinschaften – »Wir können von- und miteinander same Andere«. Denn »… alle Ideen wirken nicht in lernen«. Die enge und nachhaltige Bindung zwi- ihrer Abstraktion auf ›die Jugend‹, sondern durch schen den Projektverantwortlichen und den Teil- die Gestalt der Persönlichkeiten, in denen sie sie nehmern der Programme der Stiftung Polytech- erfährt.« (Nohl, 1914, 120) nische Gesellschaft ist ein Garant für die Wirk- samkeit ihrer Initiativen. »Der Dialog ist der Christiane Mettlau war Leiterin schulpsychologischer Beratungsstellen. Von 2012 bis 2016 baute sie das direkteste Weg, Diesterweg-Stipendium in Hamburg auf. Zurzeit arbeitet sie als Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Selbstwirksamkeit Hamburg. zu erhöhen.« Literatur Bauer, J. (2015): Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung des freien Willens. 3. Aufl., München Hüther, G. (2011): Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Frankfurt am Main Gemeinschaftliche Aktivitäten überwinden Fremd- Mettlau, C. (2013): Diesterweg-Stipendium Hamburg – eine heit und öffnen neue soziale Möglichkeitsräume Innovation für Hamburg. In: Von der Bürgerlichkeit zur Kulturellen Differenzen, die bisher zwischen dem Zivilität. Doppeljahrbuch 2011–2013 der Patriotischen Gesell- industriell hoch entwickelten Westen und dem schaft von 1765 Nahen und Fernen Osten deutlich unterschieden, Mitchell, J. (2017): http://jasonmitchell.fas.harvard.edu/ Papers/Leshinskaya_BeliefConcepts_CerebralCortex_2017.pdf, werden nun durch die weltweiten Fluchtbewe- Zugriff 18. Februar 2017 gungen entgrenzt und stoßen aufeinander. Hier leis- Nohl, H. (1914): Das Verhältnis der Generationen in der ten die vielfältigen Programme der Stiftung Pädagogik. In: Nohl 1929, 111–120 Polytechnische Gesellschaft kulturelle Übersetzungs- Reddy, V. (2010): How Infants Know Minds. Harvard und Entwicklungshilfe. Denn ist man sich beson- University Press Renger, S., & Kuhl, J. (2017): Potenzialförderung durch Men- ders unähnlich, kann man Ähnlichkeiten entdecken toring: Theoretische Fundierung und empirische Evaluation durch Begegnung, Gemeinschaft und Austausch. eines diagnostisch gestützten Programms zur Begabungsförde- »The starting point for understanding other minds rung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 64, 64–76. is not isolation and ignorance but emotional relation.« (vgl. Reddy, 2010) Die Veränderung von Werthaltungen und Lebenszielen ist eine adaptive Leistung, die bis ins höhere Erwachsenenalter ge- fordert ist. Hervorragende Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung haben dabei: Vorbilder, Mentoring, Gemeinschaften und gemeinsame Rituale. (vgl.: Renger, S./Kuhl, J., 2017). Die Ver- bindung von regionalen Bildungsorten mit multi- kulturellen Mentoren und Mentees durch die Stif- tungsaktivitäten kann Gegensätzliches überwinden 21
Projekttransfer GUTE IDEEN GEHEN IHREN WEG »Bildung, Verantwortung, Frankfurt« – als eine der größten gemein- wohlorientierten Stiftungen Deutschlands engagiert sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft für die Frankfurter Stadtgesellschaft. Allerdings erstreckt sich ihr Wirkungsradius nicht nur bis zur Stadtgrenze. In den ersten 15 Jahren ihres Bestehens hat die Insgesamt sind fünf Stiftungsprojekte an 23 auswär- Polytechnische Stiftung über 120.000 Frankfurter tige Standorte »exportiert« worden. Die Stiftung Bürger auf direktem Weg in 19 großen Projekten hat sich zu einer kooperativen Einrichtung weiter- gefördert und rund 1.900 Stipendiaten in acht Sti- entwickelt und pflegt ein überregionales Netzwerk pendienprogramme aufgenommen. »Soziale an Partnern aus der Stiftungswelt und der Bildungs- Rendite« wurde dabei aber auch außerhalb des in politik. der Satzung der Stiftung festgelegten Einsatz- gebiets Frankfurt am Main erzielt. Lokale Verankerung und Außenwirkung schlie- ßen einander also nicht aus, wie der Blick in die Von Beginn an haben ein offener und kooperativer gegenüberliegende Deutschlandkarte beweist. Umgang mit den Erfahrungen aus der Projekt- arbeit sowie eine aktive Kommunikation dazu ge- führt, dass immer wieder andere Kommunen und Träger nach Frankfurt gekommen sind und im en- »Die Polytechnische Stiftung gen Austausch mit Projektleitern der Stiftung ei- ist eine der größten gemeinwohl- nen Transfer in viele Regionen der Bundesrepublik in die Wege geleitet haben. orientierten Stiftungen im Land. Sie ist auch eine der innovativsten, Inzwischen forschen Stadtteil-Historiker im Ruhr- was man nicht zuletzt daran gebiet, profitieren Familien in Berlin vom Diester- weg-Stipendium oder erleben Kinder in Münster ablesen kann, dass einige ihrer »Ferien, die schlau machen«. Allein der Deutsch- Projekte in anderen Städten sommer als ganzheitliches Projekt zur Förderung übernommen worden sind.« der Bildungssprache Deutsch hat seit seiner erst- maligen Durchführung zahlreiche Träger zur Nach- FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, ahmung inspiriert und wird unter anderem vom HANS RIEBSAMEN, 6. JUNI 2019 Hessischen Kultusministerium in elf hessischen Kommunen umgesetzt (siehe rechts, Seite 23). 22
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 HAMBURG Deutschland schreibt! Diesterweg-Stipendium OSNABRÜCK Diesterweg-Stipendium B E R L I N - S PA N D A U MÜNSTER HANNOVER Diesterweg- Deutschsommer Diesterweg-Stipendium Stipendium BERLIN-MARZAHN BOCHUM Diesterweg- Stadtteil-Historiker Stipendium KASSEL LEIPZIG DUISBURG DORTMUND Deutschsommer Diesterweg- Diesterweg- Diesterweg- Stipendium Stipendium Stipendium EISENACH RHEINBACH Deutschland schreibt! Deutschland schreibt! GIESSEN, FULDA WETZLAR, Deutschsommer LIMBURG, FRANKFURT AM MAIN Deutschsommer HANAU TRIER Deutschsommer MAIN-KINZIG- Diesterweg-Stipendium Deutschland schreibt! KREIS Diesterweg-Stipendium Deutschland OFFENBACH schreibt! Deutschsommer WIESBADEN Diesterweg-Stipendium Deutschland schreibt! DA R M STA DT Deutschsommer Deutschsommer Stadtteil-Historiker RÜSSELSHEIM Diesterweg-Stipendium Samstagsschule für Deutschsommer begabte Handwerker Stadtteil-Historiker 23
Gastbeitrag »SCHULE KANN NICHT ALLES LEISTEN« Auch wenn es sich die Gesellschaft manchmal wünschen mag: Schule kann nicht alles leisten. Deshalb sind außerschulische Bildungseinrichtungen wie die Stiftung Polytechnische Gesell- schaft Frankfurt so wichtig, die mit ihrer Expertise genau dort ansetzen, wo unser Bildungs- und Erziehungsauftrag an seine Grenzen stößt. V O N P R O F. D R . R . A L E X A N D E R L O R Z 24
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 Als Hessen vor gut 16 Jahren die Geschicke der vorbei. Auch hier leistet die Stiftung einen wichtigen Kultusministerkonferenz leitete, war die Einrichtung Beitrag: Der mittlerweile an zahlreichen hessischen einer Stiftung, die unter anderem die Sprachför- Schulen durchgeführte Wettbewerb »Deutschland derung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel ha- schreibt!« bietet Schülerinnen und Schülern einen ben sollte, noch nicht viel mehr als eine vage spielerischen Zugang zur Rechtschreibung und sorgt Idee. Im vergangenen Jahr war Hessen erneut als gleichzeitig dafür, dass sie sich intensiv mit den Re- Präsidentschaftsland an der Reihe, und wir hatten geln unserer Sprache auseinandersetzen. Und die Gelegenheit, unsere Strategien zur Förderung auch auf institutioneller Ebene schreiten Land und der Bildungssprache Deutsch einem bundesweiten Stiftung durch die im Koalitionsvertrag verein- Publikum näherzubringen. Die Stiftung Polytech- barte Schaffung einer Kompetenzstelle für Ortho- nische Gesellschaft hat in diesem Zeitraum eine grafie weiter voran, die gemeinsam mit der Goethe- beeindruckende Entwicklung vollzogen und ist aus Universität die Professionalisierung der hessi- der hiesigen Bildungslandschaft und als Koopera- schen Lehrkräfte im Bereich der Rechtschreibung tionspartner des Landes bei der Bewältigung der stärken und die Rechtschreibleistungen der Schü- Daueraufgabe Sprachförderung inzwischen nicht lerinnen und Schüler nachhaltig verbessern wird. mehr wegzudenken. Ich danke der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt für ihren Einsatz, den sie seit Jahren für »Die Stiftung Polytechnische die Entwicklung unserer jungen Generation leistet, Gesellschaft […] ist aus der hiesigen und gratuliere ihr und dem Vorstandsvorsitzenden Bildungslandschaft […] inzwi- Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, der als Aushänge- schild unermüdlich für die Bewahrung der deuschen schen nicht mehr wegzudenken.« Sprache eintritt, zu diesem besonderen Jubiläum. Dabei geht sie seit jeher kreative Wege: Das »Diester- Prof. Dr. R. Alexander Lorz ist seit dem 18. Januar 2014 Hessi- weg-Stipendium« etwa nimmt Eltern in den Blick, scher Kultusminister. 2019 war er zudem Präsident der die noch nicht lange in Deutschland leben, und un- Kultusministerkonferenz. terstützt sie und ihre Kinder dabei, die deutsche Sprache zu lernen und kulturelle Zusammenhänge besser zu verstehen. Ein weiteres Projekt, das wie kaum ein zweites von der guten Zusammenarbeit öffentlicher und privater Einrichtungen lebt, ist der »Deutschsommer«, der sich an Grundschülerin- nen und Grundschüler richtet, die kurz vor dem Wechsel auf die weiterführende Schule stehen und ihre Deutschkenntnisse in den Ferien freiwillig verbessern wollen. Beide Konzepte folgen der Idee, dass der Sprach- erwerb immer dann besonders gut gelingt, wenn Kinder und Jugendliche auch außerhalb des Unter- richts deutsch sprechen. Die zunehmend über Frankfurt hinaus ausstrahlende Wirkung der Stif- tung ist ein untrügliches Indiz für ihren Erfolg. Damit noch mehr Schülerinnen und Schüler von ih- ren Sprachfördermaßnahmen profitieren können, unterstützen wir sie deshalb auch in Zukunft gerne. Doch nicht nur das Sprechen, sondern auch das korrekte Schreiben liegt der Stiftung am Herzen. In Zeiten, in denen dank digitaler Kommunikati- onsmittel wie WhatsApp und Twitter zwar deutlich mehr, aber leider nicht immer mit der nötigen Sorgfalt geschrieben wird, führt an einer soliden Rechtschreibausbildung weiterhin kein Weg 25
Bericht DAS ARBEITEN IN PROJEKTKETTEN Vielfalt und ein roter Faden. VON AXEL BRAUN In den ersten 15 Jahren ihres Bestehens hat sich die Idealfall entstehen regelrechte »polytechnische Stiftung Polytechnische Gesellschaft eine über die Karrieren« – wie die nachfolgenden Stipendiaten- Stadtgrenzen Frankfurts hinausreichende Reputation porträts von Dominik Brey und Sara Galab ein- als professionelle »Projektschmiede« erarbeitet. drucksvoll veranschaulichen. 19 operative Leitprojekte bilden den Markenkranz Axel Braun leitet den Bereich Information, Kommunikation der Stiftung und sorgen dafür, dass die zentralen und Veranstaltungen der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Aufgabenfelder – Familienbildung, sprachliche Bil- dung, Hinführung zu Wissenschaft und Technik, kulturelle Bildung und Bürgerengagement – ganz konkret bearbeitet werden. Die Stiftung »tut, was fehlt und nützt«. ● Alfred-Grosser- Gastprofessur Um dabei mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und Ressourcen die bestmögliche Wirkung für die Bürgerstadt Frankfurt zu erreichen, hat die Stiftung VERANTWORTUNG eine sehr spezifische und erfolgreiche Arbeits- I N D E R STA DT- weise entwickelt: die operative Arbeit in Projektketten. GESELLSCHAFT Im Unterschied zu vielen historisch gewachsenen Stiftungen konnte die Polytechnische Stiftung ihr Projektportfolio aus einem Guss entwickeln. Sie hat diese Chance genutzt, um ihre Projekte miteinan- der zu verzahnen: in bildungsbiografisch aufeinan- der aufbauenden Abfolgen von Projekten. Dabei verfolgen mehrere Projekte einer Projektkette ein klar formuliertes gemeinsames Bildungsziel, einen roten Faden. Projekte wie der Deutschsommer, der Endspurt oder das Diesterweg-Stipendium stehen zum Beispiel in engem Zusammenhang miteinander und bauen teilweise aufeinander auf. Das ermög- licht die nahtlose Förderung einzelner Stipendiaten über mehrere Jahre hinweg. Stipendiaten erhalten immer wieder neue Anknüp- fungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Ge- rade in Kombination mit der lokalen Konzentration auf Frankfurt verstärkt sich zudem die Wirkung der einzelnen Projekte, interne Synergien werden genutzt, Erfahrungen geteilt und die stiftungs- eigene Kompetenz wird sukzessive ausgebaut. Im 26
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 ● Opernstudio ● Konzert- pädagogik MUSIKALISCHE ● ANKLANG BILDUNG ● Spitzentexter SPRACH- BILDUNG ● KEMIE/Junge Mathe-Adler HINFÜHRUNG ZU WISSENSCHAFT FA M I L I E N - UND TECHNIK BILDUNG 27
Porträt BIOGRAFIE Dominik Brey ist 25 Jahre alt und promoviert am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Frankfurter Goethe-Universität. Während seiner Schulzeit war er Teilnehmer der von der Stiftung Poly- technische Gesellschaft und der Deutsche Telekom Stiftung initiierten Junior-Ingenieur-Akademie, später wurde er Main-Campus-academicus-Stipendiat im Fach Chemie. Im Wintersemester 2019/2020 erhielt er den Fachbereichspreis für den besten Studienab- schluss im Fach Chemie am Fachbereich Biochemie, Chemie und Pharmazie der Goethe-Universität. Heute ist Dominik Brey als Mentor im Digitechnikum aktiv. WAS MACHT EIGENTLICH … DOMINIK BREY? Als Schüler baute Dominik Brey bei der Junior-Ingenieur-Akademie aus Legoteilen Roboter, als Masterstudent im Fach Chemie wurde er mit einem Main-Campus-academicus-Stipendium gefördert. Heute engagiert er sich selbst in der Stiftung: als Mentor beim Programm Digitechnikum. VON ALEXANDER JÜRGS Wie bewegt sich ein Exziton durch eine organische Thema gewidmet, nun schreibt der 25-Jährige am Solarzelle? Das ist eine Frage, die Dominik Brey Institut für Physikalische und Theoretische Chemie antreibt, an der er forscht. Von ihrer Beantwortung der Frankfurter Goethe-Universität seine Promotion. hängt einiges ab: Denn die effektive Bewegung der Exzitone – gebundener Elektron-Loch-Paare – Für Naturwissenschaften, für Mathematik, Physik kann die Effizienz von Solarzellen steigern. Grob und Chemie hat sich Dominik Brey bereits als gesprochen leisten sie also einen Beitrag zu einer Schüler brennend interessiert. Vor allem die Robotik nachhaltigen Energiewende. Darum sind Experi- hat ihn fasziniert. An dem Frankfurter Gymnasium, mente mit ihnen wichtig. Und deshalb braucht es das er besuchte, der Ziehenschule, gab es dazu Theoretische Chemiker wie Dominik Brey, die die jedoch zunächst keine Angebote. Mit der von notwendigen Modelle für diese Versuchsreihen ent- der Stiftung Polytechnische Gesellschaft ins Leben wickeln. Schon seine Masterarbeit hat Brey dem gerufenen Junior-Ingenieur-Akademie änderte 28
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020 sich das. Brey wurde Teilnehmer der Akademie, die als Wahlpflichtfach belegt werden konnte. In Gruppenarbeit entwickelten die Schüler Pläne für einen eigenen Roboter, der später – mithilfe von Lego Mindstorms – auch gebaut wurde. Die Junior- Ingenieur-Akademie war aber noch viel mehr. »Spannend war, dass wir Firmen wie Siemens und Continental besucht haben und dort etwas über den Arbeitsalltag von Ingenieuren erfahren haben«, erinnert sich Brey. »Das Programm hat für mich unheimlich gut gepasst.« Die Junior-Ingenieur-Akademie blieb nicht Breys einziger Kontakt zur Stiftung. Während seines Masterstudiums wurde er durch das Main-Campus- Als Teilnehmer der Junior-Ingenieur-Akademie academicus-Stipendium gefördert. Das Stipendium, entwickelte Dominik Brey 2009 einen eige- nen Roboter, der später – mithilfe von Lego für das man sich nicht bewerben kann, sondern Mindstorms – auch gebaut wurde. von der Hochschule vorgeschlagen wird, umfasst sowohl eine finanzielle Unterstützung als auch ein Akademieprogramm mit unterschiedlichen Se- minaren. Brey begeisterte, dass es ihm auch die erzählt Brey. Ihm ist es wichtig, denen, die beim Möglichkeit bot, über den Tellerrand des eigenen Digitechnikum mitmachen, auf Augenhöhe zu Fachs zu schauen. Gemeinsam mit anderen Stipen- begegnen. Darum lässt er sich von den Stipendi- diaten konnte er hinter die Kulissen der Frankfurter aten duzen. »Die Teilnehmer sollen sich ja trauen, Börse blicken, auch ein Besuch des Stadtarchivs mit uns zu reden«, sagt er. gehörte zum Programm. Viel gelernt habe er aber auch bei Workshops, in denen an den sogenann- ten »Soft Skills« gearbeitet wurde. »Wir hatten zum Beispiel einen Kurs in Gesprächstechniken, solch »Der ideelle Teil meines Main- ein Seminar hätte ich sonst wohl nie besucht«, er- zählt Brey. Er sagt auch, dass »der ideelle Teil des Campus-academicus-Stipen- Stipendiums im Nachhinein viel wichtiger war als die finanzielle Unterstützung«. Und dass er zu diums war viel wichtiger als allen Stipendiaten seines Jahrgangs »eine Art Freundschaft« entwickelt habe – »mal mehr und mal die finanzielle Unterstützung.« weniger«. Breys Fazit: »Es ist eine große Stärke der Stiftung, dass sie Menschen zusammenbringt und vernetzt.« Vier Jahre wird Breys Promotion voraussichtlich dauern. Hat der junge Wissenschaftler schon Pläne, Heute engagiert der Chemiker sich selbst für die was er danach machen will? »Am liebsten würde Stiftung Polytechnische Gesellschaft, als Mentor ich im universitären Bereich bleiben«, erzählt er. beim Digitechnikum. Das Programm, eine Art Zu- Brey kann sich gut vorstellen, dann auch eine kunftswerkstatt für digitale Talente, richtet sich Zeit lang an einer ausländischen Universität tätig an Jugendliche, die sich besonders für Informatik zu sein. »Einfach ist solch eine akademische Lauf- interessieren. Etwa alle drei Wochen arbeiten bahn nicht, es gibt nur wenige Stellen«, sagt er. die Teilnehmer an Werkstatt-Terminen gemeinsam Besser verdienen würde der Wissenschaftler bei weiter an ihren Projekten; dann wird gecodet einem Wechsel in die Industrie auch, doch Brey oder ein elektronisches Gerät entwickelt. In Zeiten hängt an Forschung und Lehre: »Es gibt nichts Schö- von Corona wird die Teamarbeit digital, mithilfe neres, als völlig frei entscheiden zu können, was sogenannter Kanban Boards, organisiert. Bei der man erforschen will.« Und er mag es, sein Wissen Umsetzung ihrer Projekte werden die Jugendli- an die »jüngere Generation weiterzugeben«. »Den chen im Rahmen von regelmäßigen Videokon- Leuten etwas beizubringen, das macht mir großen ferenzen von ihren Betreuern unterstützt. »Wir Spaß«, sagt er. Mit einem Lachen fügt er hinzu: Mentoren versuchen zu helfen, etwa wenn eine »Man muss ja auch wissenschaftlichen Nachwuchs Gruppe beim Tüfteln auf Probleme stößt«, heranzüchten.« 29
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