POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft

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POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POLYTECHNIK
I N F O R M A T I O N E N A U S D E R S T I F T U N G P O LY T E C H N I S C H E G E S E L L S C H A F T F R A N K F U R T A M M A I N
                                                      AUSGABE 1 / 2020

                       Werkbank für
                        Frankfurt
                                                                                                                                     N G P O LY
                                                                                                                            F   TU              T
                                                                                                                         TI                             E

                                                                                                                             15
                                                                                                                                                        C
                                                                                                                     S

                                                                                                                                 DI E
                                                                                                                                                            H

                                                                                                                                         ER
                                                                                                                                                            NI

                                                                                                                                              ST
                                                                                                                                                   EN
                                                                                                                 M AIN

                                                                                                                                                             SCHE GESE

                                                                                                                             JA H
                                                                                                                    AM

                                                                                                                                       RE
                                                                                                                 RT

                                                                                                                                                            LL
                                                                                                                         U

                                                                                                                                                   SC
                                                                                                                          KF                  HA
                                                                                                                               F T FR AN
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Das Titelbild zeigt von links nach rechts: Erhan Deniz, Main-Campus-
doctus-Stipendiat; Fenja Bodesheimer, ehemalige Dozentin bei
den KEMIE-Kursen und Main-Campus-doctus-Stipendiatin; Sabine
Fiedler, Bürger-Akademikerin (2018/2019); Dr. Eberhard Pausch,
Stadtteil-Historiker (2018-2020); Mrudula und Rutuja Lele,
Diesterweg-Stipendiaten (2018-2020).

                         So vielfältig wie die Frankfurter
                           Stadtgesellschaft sind auch die
                         Teilnehmer unserer Programme,
                           Projekte und Initiativen. Das
                        Titelbild zeigt sechs von inzwischen
                           rund 1.900 durch die Stiftung
                         geförderten Stipendiaten aus den
                             ersten 15 Jahren Stiftung
                            Polytechnische Gesellschaft.
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
INHALT
                                                        18
                                                             CHRISTIANE METTLAU

                                                             BEZIEHUNGSARBEIT IN DEN
                                                             STIFTUNGSPROGRAMMEN
                                                             Wie es die Programme der Stiftung schaffen, bei
                                                             ihren Teilnehmern Entwicklung anzuregen.

5
     P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T

                                                        22
     UND JOHANN-PETER KROMMER
                                                             PROJEKTTRANSFER

     POTENZIALENTFAL-                                        GUTE IDEEN GEHEN
     TUNGSGEMEINSCHAFT                                       IHREN WEG
     Ein Blick zurück.                                       Zur Wirkung der Stiftungsarbeit über
                                                             die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus.

10
     AUF EINEN BLICK

                                                        24
                                                             P R O F. D R . R . A L E X A N D E R L O R Z
     DIE ERSTEN 15 JAHRE
     Die Geschichte des Projektportfolios
                                                             »SCHULE KANN NICHT
     der Stiftung seit ihrer Gründung.                       ALLES LEISTEN«
                                                             Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft als
                                                             Kooperationspartner des Landes Hessen beim

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     P R O F. D R . J O A C H I M R O G A L L
                                                             Thema Sprachförderung.

     DIE ERMÖGLICHERIN

                                                        26
                                                             AXEL BRAUN
     Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft
     als eine starke Stütze in unserer Mitte.
                                                             DAS ARBEITEN IN
                                                             PROJEKTKETTEN

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     WIE WIR ARBEITEN
                                                             Vielfalt und ein roter Faden.
     WERKBANK FÜR
     FRANKFURT
                                                        28
                                                             ALEXANDER JÜRGS

     Eine Illustration der Werkzeuge
     unserer Stiftungsarbeit.                                WAS MACHT EIGENTLICH … ?
                                                             Zwei polytechnische Karrieren im Porträt.

16
     KAROLINE LEIBFRIED

                                                        32
                                                             RÜCKBLICK
     NEUE WEGE DER
     BEGEGNUNG IN ZEITEN                                     NAMEN UND
     DES ABSTANDS                                            NACHRICHTEN
     Wie wir während der Corona-Pandemie arbeiten.           Kurzinformationen aus der Stiftung.
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
EDITORIAL
  Liebe Leserinnen und Leser,

  am 24. November 2020 wird die Stiftung Polytechnische Gesellschaft 15 Jahre alt.
  Wenn man bedenkt, dass Stiftungen für die Ewigkeit gedacht und angelegt sind, dann
  erscheint ein Zeitraum von 15 Jahren doch recht überschaubar. Wenn man aber
  beim Durchforsten des Archivs der Stiftung rekapituliert, wie viele Menschen bereits
  erreicht, wie viele Projekte bislang realisiert und in welchem Maße das Gemeinwesen
  gefördert werden konnte, dann rückt diese Zeitspanne doch in ein ganz anderes Licht.

  Die von der Polytechnischen Gesellschaft gegründete Stiftung ist 2005 angetreten, um
  als »Werkbank der Frankfurter Stadtgesellschaft« Innovation und Engagement in das
  Gemeinwesen einzubringen. In den ersten 15 Jahren sind ganz im Sinne der polytech-
  nischen Ideen, stets im engen Austausch und auf Grundlage von zahlreichen Gesprächen
  mit Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Frankfurt am Main zahlreiche praktische Initia-
  tiven entstanden, die »tun, was fehlt und nützt«: von der Samstagsschule für begabte
  Handwerker über das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern bis hin zur
  Bürger-Akademie für besonders engagierte Ehrenamtler.

  Wie wir arbeiten und mit welchem Handwerkszeug wir dabei ins Feld ziehen, da-
  von wollen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, in dieser Jubiläumsausgabe der
  POLYTECHNIK erzählen.

  Es erwarten Sie Texte über unsere Arbeit in Projektketten, über Transfer weit über die
  Stadtgrenzen Frankfurts hinaus und auch darüber, wie wir auf die zahlreichen Heraus-
  forderungen der Corona-Pandemie reagiert haben. Der Vorstand der Stiftung Polytech-
  nische Gesellschaft blickt zurück auf 15 Jahre »Potenzialentfaltungsgemeinschaft«, und
  in zwei Porträts unseres Gastautors Alexander Jürgs wollen wir Ihnen besondere
  »polytechnische Karrieren« vorstellen. Den Blick von außen auf unsere Arbeit bieten
  schließlich Gastbeiträge des Hessischen Kultusministers, Prof. Dr. R. Alexander Lorz,
  der Erziehungswissenschaftlerin Christiane Mettlau und von Prof. Dr. Joachim Rogall,
  dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Stiftungen.

  Unser Werkzeugkoffer ist prall gefüllt. Und so ist auch diese Jubiläumsausgabe der
  POLYTECHNIK.

  Viel Spaß bei der Lektüre!

  AXEL BRAUN

  Bereichsleiter Information, Kommunikation und Veranstaltungen
  der Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POTENZIAL-
ENTFALTUNGS-
GEMEINSCHAFT
Es begann am 24. November 2005. An diesem Tag wurde die Stiftung Poly-
technische Gesellschaft Frankfurt am Main durch den Regierungspräsidenten
genehmigt. Die Mitglieder der traditionsreichen Bürgervereinigung gleichen
Namens hatten zuvor der von ihrem damaligen Präsidenten Prof. Dr. Klaus
Ring vorgeschlagenen Stiftungsgründung zugestimmt und damit den Weg
gebahnt für den Aufbau eines neuen polytechnischen Tochterinstituts.

V O N P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T
UND JOHANN-PETER KROMMER

                                                         5
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Schwerpunkt

              Die Stiftung stellte sich von Beginn an in die Tradition der polytechnischen Ideen, die 1816
              zur Gründung der Bürgervereinigung geführt hatten. Dies waren und sind die Ideen
              der Aufklärung: die Ausrichtung des eigenen Handelns an gesellschaftlicher Nützlich-
              keit und die Orientierung an Bildung und Wissenschaft. Die Themenfelder der Stiftung
              ergaben sich aus der Verbindung der polytechnischen Tradition mit modernen Anforde-
              rungen: Familienbildung, Sprachbildung, Hinführung zu Wissenschaft und Technik,
              kulturelle Bildung und Bürgerkompetenz. Mit einem Teil des Erlöses aus dem Verkauf
              der Frankfurter Sparkasse – einem im Jahr 1822 von der Polytechnischen Gesellschaft
              gegründeten Tochterinstitut – wurde das Stiftungsvermögen dotiert. Ausgestattet mit
              einem Kapital in Höhe von 397 Millionen Euro gehörte die Stiftung zu den 20 größten
              gemeinnützigen Stiftungen in Deutschland und konnte eigenständig und unabhängig
              ihre Beiträge zum Wohle der Stadtgesellschaft entwickeln. Die Unabhängigkeit auch
              gegenüber städtischen und sonstigen Interessen hatte Prof. Dr. Klaus Ring, der auch
              der erste Vorstandsvorsitzende der Stiftung war, unmissverständlich kommuniziert.

              Bei der ersten Stifterversammlung im August 2006 im Metzler-Saal des Städel Museums
              stand, abgestimmt mit dem umsichtig agierenden Stiftungsrat, das Konzept einer ope-
              rativen und fördernden Stiftung mit einem professionellen Vermögensmanagement zur
              Erwirtschaftung ausreichender Erträge und zur langfristigen Erhaltung der realen
              Leistungsfähigkeit des Vermögens. Es erhielt die Zustimmung der Mitglieder der
              Polytechnischen Gesellschaft, die die Stifterversammlung bilden. Das Netzwerk
              der Polytechniker war für die Verankerung der Stiftung in der Stadt von unschätzbarem
              Wert und ist es bis heute.

                                   »Ein Feuerwerk an
                                     neuen Ideen.«
              »Ein Feuerwerk an neuen Ideen«, schrieb zum damaligen Beginn Hans Riebsamen in
              der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es ging rasch voran. Bereits im Frühjahr 2006
              wurde die museologische Erneuerung der Historischen Villa Metzler mit einer bedeuten-
              den Förderung ermöglicht. Eigene Projekte wurden vorbereitet. Im folgenden Jahr
              wurden die ersten Stadtteil-Botschafter und Stadtteil-Historiker aufgenommen. Der
              Deutschsommer wurde durchgeführt. Diese Projekte verdankten ihre Entstehung den
              rund 400 Gesprächen, die Vorstand und Mitarbeiter der Stiftung in dieser Zeit in der
              Stadt führten. Auch wenn im Jahr 2008 die Lehman-Krise das Vermögensmanagement
              vor besondere Aufgaben stellte, weil es kurz nach dem Start schon die erste Krise
              an den Finanzmärkten zu bewältigen galt, wurde das Diesterweg-Stipendium für Kinder
              und ihre Eltern in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium und der
              Stadt Frankfurt aufgebaut. Es bildete zusammen mit dem Deutschsommer die erste »Pro-
              jektkette« der Stiftung. In diesem Jahr entdeckte Mr. X die Stiftung. Bis heute fördert
              der Mäzen, der anonym bleiben möchte, ihre Arbeit durch bedeutende Spenden.

              2008 war die junge Stiftung bereits in vollem Schwung. Weitere Projekte wurden aufge-
              nommen. Nach anderthalbjähriger Vorbereitung starteten die Willkommenstage in der
              frühen Elternzeit, ein Projekt zur Stärkung junger Familien direkt nach der Geburt ihres
              Kindes, das in Zusammenarbeit mit den Familienbildungsstätten in Frankfurt entwi-
              ckelt worden war. Mit der Konzertpädagogik und dem Opernstudio stieg die Stiftung in
              die Musikförderung ein. Die Förderung des wissenschaftlichen Spitzennachwuchses
              nahm sie im selben Jahr mit dem vor allem naturwissenschaftlich ausgerichteten Main-
              Campus-Stipendiatenwerk auf. Als Prof. Dr. Klaus Ring Ende 2008 planmäßig als Vor-
              standsvorsitzender aus dem Vorstand ausschied, hatte die Stiftung alle fünf Themenfelder
              mit eigenen Projekten bestückt.

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POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

                                                                                                                       Im September 2019 präsentierten
                                                                                                                       die Stipendiaten der siebten
                                                                                                                       Stadtteil-Botschafter-Generation
                                                                                                                       ihre Projektideen auf dem Ponton-
                                                                                                                       Schiff »Freigut« am Eisernen
                                                                                                                       Steg der interessierten Frankfurter
                                                                                                                       Öffentlichkeit.

            Begegnung
            und Austausch
                   R E G E L M Ä S S I G STATT F I N D E N D E
                   A LU M N I -T R E F F E N

                   regen zu Begegnung und Austausch an
                   und zeigen, wie groß und vielfältig das
                   Netzwerk gegenwärtiger und ehema-
                   liger Stipendiaten ist.

                                                                 Rechtschreibung verstehen, üben, können: Darum
                                                                 geht es bei dem Projekt Deutschland schreibt!,
                                                                 das sich in Form eines unterhaltsamen Rechtschreib-
                                                                 wettbewerbs an Lehrer, Eltern und Schüler richtet.
                                                                 2017 wurde auf der Frankfurter Buchmesse um
                                                                 die Wette geschrieben.

                                                                         7
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Schwerpunkt

              In Anknüpfung an die polytechnische Tradition wurde 2009 gemeinsam mit der Hand-
              werkskammer Frankfurt-Rhein-Main die Samstagsschule für begabte Handwerker
              gegründet. Ihre Vorläuferin, die Freie Sonntagsschule für Handwerker, war das erste Pro-
              jekt der Polytechnischen Gesellschaft im Jahr 1817 gewesen. Mit der Bürger-Akademie
              ergänzte die Stiftung ihre Projekte im Bereich Bürgerengagement. Auch diese Initiative
              war das Ergebnis eines anderthalbjährigen Vorbereitungsprozesses gemeinsam mit
              23 Ehrenamtsorganisationen in Frankfurt. Nach fünfjähriger Aufbauzeit, im Jahr 2010,
              hatte die Stiftung ihre Reiseflughöhe erreicht. 2011 wurde die naturwissenschaftliche
              Projektkette noch um den Polytechnik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Informatik,
              Naturwissenschaften und Technik erweitert.

              Zur freudigen Überraschung des engagierten Stiftungsteams mehrten sich Besuche aus-
              wärtiger Delegationen, die Interesse an der Übernahme der neuen Stiftungsprojekte
              zeigten. In den Jahren 2010 bis 2013 wurden der Deutschsommer und das Diesterweg-
              Stipendium an fünf andere Standorte transferiert. Lokale Verankerung und Außenwir-
              kung schlossen einander nicht aus. 2011 wurde das Vermögensmanagement durch die
              Staatsschuldenkrise zwar erneut hart geprüft. Durch den ersten Schock von 2008 war
              das Team allerdings bereits krisenerprobt. Darüber hinaus gab es mit dem Bezug des
              neuen Stiftungssitzes im Februar 2011 in bester Innenstadtlage auch ein besonders
              freudiges Ereignis zu registrieren. Die Stiftung hatte das 1874 errichtete Gebäude nach
              intensiver Suche erworben. Nach einer behutsamen Sanierung und Renovierung ver-
              fügt sie seitdem sowohl über moderne Büroräume als auch über repräsentative Flächen
              für die verschiedensten projektbezogenen Aktivitäten. Eine der ersten Besuche-
              rinnen in den neuen Räumlichkeiten war die Stifterin Marga Coing, die das Management
              ihrer unselbstständigen Stiftung dem Team der Polytechnischen Stiftung übertrug.

              Wegen der in Bildungsstudien festgestellten unzureichenden Orthografiekenntnisse in
              der Schülerschaft entwickelte die Stiftung im Jahr 2011 den Diktatwettbewerb Frank-
              furt schreibt!, der 2012 auf Hessen ausgeweitet werden konnte. 2012 fand zum ersten Mal
              ein großer Alumnitag auf der Wegscheide statt. Mittlerweile engagieren sich zahl-
              reiche Alumni der ersten Generationen als Referenten und Mentoren in aktuellen Pro-
              grammen der Stiftung. Die folgenden Jahre bis 2015 waren durch weitere Projekt-
              transfers in andere Städte geprägt. Mit den Babylotsen wurde die Projektkette im Be-
              reich der Familienbildung um ein wichtiges Glied erweitert. Gemeinsam mit dem
              Sozialdezernat der Stadt und befreundeten Stiftungen stellte die Stiftung in wenigen
              Wochen die Koordinierungsstelle für ehrenamtliche Flüchtlingshilfe »Frankfurt hilft!«
              auf die Beine. 2016 folgte das Kolleg für junge Talente, ein Studium generale für viel-

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POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

                     seitig interessierte und talentierte Schülerinnen und Schüler, das an die polytechnischen
                     Ideen anknüpft und zugleich die Projektkette mit den Stadtteil-Botschaftern ergänzt.
                     Die beiden Jahre 2015 und 2016 waren auch für das Vermögensmanagement von wich-
                     tigen Weichenstellungen geprägt. Durch die Einstellung eines ersten Mitarbeiters in
                     diesem Bereich war es möglich, die Einbringung eines großen Teils des Stiftungsver-
                     mögens in einen Spezialfonds vorzubereiten und umzusetzen. Mit dieser Maßnahme
                     wurde das Instrumentarium zur Steuerung von Risiken aus der Vermögensanlage
                     weiter professionalisiert. Als im November 2016 die Polytechnische Gesellschaft e.  V.
                     unter der Führung ihres Präsidenten Walther von Wietzlow ihr 200-jähriges Jubiläum
                     beging, konnte die noch junge Stiftung als bereits herangewachsene Tochter gratulieren.
                     Nach dem plötzlichen Tod des Präsidenten im Oktober 2017 sicherte seine Stellver-
                     treterin Dr. Birgit Sander gemeinsam mit Stiftungsrat und Vorstand die Kontinuität der
                     Stiftung.

                     Inzwischen sind fünf Stiftungsprojekte an 23 auswärtige Standorte »exportiert« worden.
                     Die Stiftung hat sich zu einer kooperativen Stiftung weiterentwickelt. Mit dem im Jahr
                     2019 ins Leben gerufenen Digitechnikum, einer Plattform für junge IT-Talente in Frank-
                     furt, wurde ein weiteres Glied der Projektkette im Bereich Naturwissenschaft und Tech-
                     nik hinzugefügt. Im selben Jahr erzielte das Vermögensmanagement mit 10,2 Prozent
                     die bei Weitem höchste Performance in der Geschichte der Stiftung. Damit wurde
                     auch der reale Kapitalerhalt erreicht.

                                   »Die Stiftung hat sich zu
                                 einer kooperativen Stiftung
                                     weiterentwickelt.«
                     Im Jahr 2020 wurden auf Initiative des seit 2018 amtierenden Präsidenten der Polytech-
                     nischen Gesellschaft e.  V., Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, neun ehemalige Sti-
                     pendiaten der Stiftung als »junge Polytechniker« in die Polytechnische Gesellschaft e.  V.
                     aufgenommen. Damit schloss sich im 15. Jubiläumsjahr der Stiftung ein Kreis. Die
                     weltweite Corona-Epidemie hat die Stiftung herausgefordert. Diese hat elastisch reagiert,
                     ihre Arbeit größtenteils digital und mobil von zu Hause aus fortgesetzt und ihre ver-
                     schiedenen Programme rasch an die neue Situation angepasst (siehe Seite 16 f.). Gleich-
                     wohl ist die Pandemie unbestreitbar eine echte Prüfung, insbesondere auch für das
                     Vermögensmanagement der Stiftung, das allerdings mit seiner umsichtigen Strategie
                     der Diversifizierung auch gegen unvorhersehbare Krisen gut gewappnet ist. So hat das
                     Vermögensmanagement in den ersten 15 Jahren der Stiftung insgesamt 74 Millionen Euro
                     für die Entfaltung von Menschen mit Potenzial aus den verschiedensten Milieus zur
                     Verfügung stellen können. Durch das überdurchschnittliche Engagement des Stiftungs-
                     teams konnten in dieser Zeit rund 120.000 Menschen in 19 Leitprojekten gefördert
                     werden. Hinzu kommen über 1.150 Projekte Dritter, die durch Förderungen der Stiftung
                     ermöglicht wurden.

                     Kann man die Arbeit der Stiftung auf einen Begriff bringen? Christiane Mettlau, Erzie-
                     hungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg, hat den Versuch gemacht. Heraus-
                     gekommen ist eines jener langen und komplexen Komposita, wie sie die deutsche
                     Sprache hervorbringen kann, die aber alles unter einem Dach versammeln: »Potenzial-
                     entfaltungsgemeinschaft.«

                     Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt und Johann-Peter Krommer leiten die Stiftung
                     Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main.

                                                                       9
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Auf einen Blick

 DIE ERSTEN
 15 JAHRE
 Die Geschichte des Projektportfolios der Stiftung
 Polytechnische Gesellschaft seit ihrer Gründung im
 Jahr 2005 im Überblick.

                                                                   ● Erster Transfer
                                                                     des Projekts
                                                                     Deutschsommer:
                                                                     Das Sprachferien-
                                                                     camp startet in
                                                                     Offenbach, Wies-
                                                                     baden und Hanau

2006               2007     2008               2009                 2010                  2011                 2012
                                                                                                              ● Diesterweg-
Historische
                                                                                                                Schulwerkstatt
Villa Metzler
Förderung der
                                                                                                              ● Alumnitag
museologischen
Erneuerung des                                                                           ● Erster Transfer
Gebäudes                                                                                                      ● Frankfurt
                                               ● Alfred-Grosser-                           des Diesterweg-
                            ● Konzert-                                                                          schreibt!
                                                Gastprofessur                              Stipendiums:
                              pädagogik                                                                         Die Heraus-
                                                                                           Das Familiensti-
                                                                                                                forderer
                            ● Sommer-                                                      pendium startet
                               stipendiaten                                                in Hannover

                            ● Rosl und Paul
                              Arnsberg-Preis

                            ● Opernstudio

                                                 10
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

     UNSERE ARBEIT IN ZAHLEN
     SEIT STIFTUNGSGRÜNDUNG*

     – 19 operative Leitprojekte
     – 120.000 Frankfurter Bürger gefördert
     – 1.900 Stipendiaten in acht Programmen
     – 37 Stiftungen als Partner bundesweit
     – 200 Partnerorganisationen
     – 74 Mio. Euro Ausgaben für Satzungszwecke
     – 32 Mio. Euro Eigenkapitalstärkung
     – 447 Mio. Euro Stiftungskapital

     * Stand: 1.1.2020

                                                                                                                         ● Die Grund-
                                                                                                                           schule schreibt!
                                                                                                    ● Deutschsommer
                                                                                                                         ● Die Mittelstufe
● Ausbildungs-                                                                                        Hessisches Kul-
                                                                                                                           schreibt!
botschafter                                                                                           tusministerium:
                                                                                                      Gießen, Wetzlar,
                                                                                                      Wiesbaden,
● REGIEstudio                                                                                         Darmstadt,
                                                                                                      Rüsselsheim

2013                2014                  2015                2016                2017               2018                 2019                 2020
                                         ● Erster Transfer                       ● Transfer de                                                ● Deutschsommer
                                           des Projekts                            Samstagsschule                                               Hessisches Kul-
                                           Stadtteil-Histo-                        für begabte                                                  tusministerium:
                                           riker: Bürger,                          Handwerker                                                   Limburg, Fulda
                                           die Geschichte                          nach Darmstadt
                  ● Erster Transfer        schreiben,                                                                                         ● Kompetenz-
                    des Diktatwett         forschen in
                                                              ● KEMIE® –                                                                        stelle Ortho-
                    bewerbs: Das           Wiesbaden
                                                                Kinder erleben                                                                  grafie
                    Projekt startet in
                    Hamburg                                     mit ihren
                                         ● Frankfurt hilft                                                                                    ● Junge
                                                                Eltern Chemie
                                                                                                                                                Paulskirche
                                         ● ANKLANG
                                                              ● Spitzentexter
                                         ● 25 Jahre
                                           Leben im
                                           vereinten
                                           Deutschland

                                                                         11
Gastbeitrag

DIE
ERMÖGLICHERIN
Polytechnik ist ein ungewöhnlicher Begriff, der etwas aus der Zeit
gefallen scheint. Tatsächlich ist die polytechnische Idee ein Kind der
Aufklärung, mit dem Anspruch, die vielfältigen Fähigkeiten des
Menschen in den Blick zu nehmen und bestmöglich zu entwickeln.
Dieser Tradition fühlt sich die Stiftung Polytechnische Gesellschaft
bis heute verpflichtet. Sie erfüllt dieses Ideal in beeindruckender
Weise seit nunmehr 15 Jahren mit Leben.

V O N P R O F. D R . J O A C H I M R O G A L L

                       Aus der Idee der Polytechnik und der Aufklärung        Ansätze wie in einem »Testlabor« ausprobiert und
                       leitet die Stiftung ihren Auftrag ab, auf die Bil-     praktisch umgesetzt werden. Mit ihrem regiona-
                       dung und Verantwortung der Menschen zu setzen.         len Fokus entwickelt die Stiftung Polytechnische
                       Die Frankfurter Bürgerinnen und Bürger sollen          Gesellschaft dabei eine Strahlkraft weit über
                       zu einem Engagement in der Stadtgesellschaft an-       Frankfurt hinaus und wirkt als Impulsgeber für die
                       gestiftet und befähigt werden. Dabei begleitet die     gesamte Stiftungslandschaft.
                       Stiftung Polytechnische Gesellschaft viele Geför-
                       derte über ihre gesamte Biografie hinweg – von         »Tun, was fehlt und nützt« ist das Motto der Stif-
                       Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenleben           tung, das sich hervorragend auf den Stiftungssektor
                       und Alter. Ihre Projekte bauen aufeinander auf und     insgesamt übertragen lässt. Stiftungen haben
                       sind oft vielfach miteinander verzahnt. Damit ist      das Privileg, sich ihren Zweck selbst geben und
                       die Stiftung auf ganz unterschiedliche Weise stark     ihre Mittel dort einsetzen zu können, wo sie die
                       in der Frankfurter Stadtgesellschaft präsent und       größten Bedarfe sehen. Dieses hohe Gut hegen und
                       bezieht sehr viele gesellschaftliche Gruppen mit       pflegen wir nach Kräften und sind dabei als Stif-
                       ein. Die schöne Folge ist eine hohe Identifikation     tungssektor tatkräftiger denn je. Als Bundesverband
                       der Geförderten mit den Programmen und ihrer           Deutscher Stiftungen leben wir von der Vielfalt
                       Stiftung. Dieser Ansatz ist zudem ein eindrucks-       unserer Mitglieder. Wir freuen uns sehr, die Stiftung
                       volles Beispiel für nachhaltige Wirkung, die Stif-     Polytechnische Gesellschaft als eine starke Stütze in
                       tungen ja stets anstreben. In der praktischen          unserer Mitte zu haben.
                       Arbeit, die stark an Projekten ausgerichtet ist, tun
                       wir uns mitunter schwer, die nachhaltige Wirkung       Ich gratuliere deshalb der Stiftung Polytechnische
                       unseres Handelns nachweisen zu können. Die Stif-       Gesellschaft aufs Herzlichste zum 15-jährigen
                       tung Polytechnische Gesellschaft jedoch weist          Jubiläum und wünsche ihr für die kommenden
                       hier eine beeindruckende Bilanz auf, was auch die      Jahrzehnte dieselbe Tatkraft, die sie in ihrer noch
                       häufig dauerhafte Verbundenheit der Geförderten        jungen Geschichte bereits beeindruckend unter
                       mit der Stiftung zeigt.                                Beweis gestellt hat. Möge der selbst gewählte Leit-
                                                                              spruch hierbei stets Ideengeber, Motor und An-
                       Darüber hinaus ist die Stiftung Polytechnische         spruch sein.
                       Gesellschaft auch eine Projektschmiede par excel-
                       lence – im »Mikrokosmos« Frankfurt am Main,            Prof. Dr. Joachim Rogall ist Vorstandsvorsitzender des
                       einer vielfältigen, internationalen, aber dennoch      Bundesverbands Deutscher Stiftungen und Vorsitzender
                       überschaubar großen Stadt, können Ideen und            der Geschäftsführung der Robert Bosch Stiftung GmbH.

                                                                12
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

                                        Links: In polytechnischer Tradition
                                        stehend fühlt sich die Stiftung den
                                        Ideen der Aufklärung verpflichtet.
                                        Unten: Prof. Dr. Joachim Rogall.

                                 »Impulsgeber für
                                 die gesamte
                                 Stiftungslandschaft«

                                        13
6
                                                        8
                        3

                                                                                  11
                                                    5
                                                                  2
                                                                                       7

                1

                                  9
                                                     4

WERKBANK FÜR
FRANKFURT
»Die Tugend besteht im Handeln«: Im Sinne der Aufklärung ist Bildung
nicht nur an Erkenntnis, sondern auch an die Tat geknüpft. Die Stiftung
Polytechnische Gesellschaft versteht sich als »Werkbank für Frankfurt« –
in ihren Projekten möchte sie Menschen konkret stärken und systema-
tischen Nutzen entfalten: praktisch, innovativ und sichtbar.

                                          14
LEGENDE

  10
                    Der polytechnischen Tradition folgend, stehen
               1    bei uns der Einsatz von wissenschaftlichen
                    Methoden und die Hinführung zu Wissen-
                    schaft und Technik hoch im Kurs.

                    Aktive Auseinandersetzung mit Kunst und
             2      Kultur ist wichtig für die Persönlichkeitsent-
                    wicklung und spielt darum in vielen unse-
                    rer Projekte eine wichtige Rolle.

                    Unser Bildungsbegriff fußt auf der Tradition
             3      der Aufklärung – ihr Ziel ist die Ausbildung der
                    Vernunft und des Charakters.

                    Unsere modulhaft angelegten Programme
             4      werden evaluiert, weiterentwickelt und skaliert.

                    Wir unterstützen Menschen beim Ausbau
             5      ihrer Sprachfertigkeit.

                    Die lokale Bindung und Verankerung der Stiftung
             6      in Frankfurt wurde in ihrer Satzung festgelegt.
                    Durch Projekttransfer finden Initiativen jedoch
                    auch ihren Weg über die Stadtgrenzen hinaus.

                    »Vielfalt und Zusammenhalt«: Wir fördern
             7      Vielfalt und sind vielfältig tätig, gleichzeitig
                    leisten wir Beiträge zum Zusammenhalt
                    unseres vielfältigen Gemeinwesens.

                    Mit ihrem Alumni-Netzwerk hält die Stiftung
             8      den Kontakt zu ihren ehemaligen Stipendiaten
                    und ermöglicht ihnen dauerhaften Austausch
                    untereinander.

                    Wir schaffen den Rahmen für Begegnung und
             9      Austausch, die fortbestehen.

                    Auf die Familie kommt es an. Darum stehen
             10     Familienbildung und auch die Bindungs-
                    fähigkeit in der Familie im Zentrum großer
                    Leitprojekte wie des Diesterweg-Familien-
                    stipendiums.

                    Wir fördern auch Vorhaben Dritter, die in beson-
               11   derer Weise von Nutzen für das Gemeinwohl
                    sind, inhaltlich zu unseren Themen passen und
                    einen Beitrag zur positiven Fortentwicklung
                    der Frankfurter Stadtgesellschaft leisten.

       15
Bericht

NEUE WEGE
DER BEGEGNUNG
IN ZEITEN DES
ABSTANDS
VON KAROLINE LEIBFRIED

Das Team der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sah sich zu Beginn des
Jahres 2020 mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert: Die infolge
der Corona-Pandemie beschlossenen Kontaktbeschränkungen machten auch
vor dem Polytechniker-Haus nicht halt. Jedoch konnten innerhalb kurzer
Zeit neue Formen der Begegnung und kreative Lösungen für die Zusammen-
arbeit gefunden werden. Davon, wie sie aussehen, wollen wir hier
schlaglichtartig berichten.

Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft ist eine
Begegnungsstiftung, die Menschen zusammen-
bringt, um Gemeinschaft zu ermöglichen. Als phy-
sische Begegnung infolge der Kontaktbeschrän-
kungen auf einmal nicht mehr möglich war, führte
das zu Veränderungen und Neuerungen in allen
Bereichen der Stiftungsarbeit. Beispielsweise wur-
den für die Gewährleistung der pädagogischen
Beratung im Diesterweg-Stipendium für Kinder und
ihre Eltern Telefon-Mentoren eingesetzt, die Unter-
stützung in schulischen Angelegenheiten leisteten.
Vieles wurde auch in digitale Formen transfor-
miert. So bot das Team des Diesterweg-Stipendiums
das sonst wöchentlich stattfindende Elterncafé
kurzerhand als Video-Chat an. Auch Elternabende
zu schulischen Themen wurden im Projekt digital
veranstaltet. Der von der Stiftung geförderte wissen-
schaftliche Spitzennachwuchs – die Main-Campus-
Stipendiaten – entwickelte eine eigene digitale              Mit Abstand, aber immer fokussiert: Für die
Vortragsreihe zur Corona-Krise, in der die Inter-            digitale Preisverleihung im Projekt Meine
                                                             Zeitung wurde im Polytechniker-Haus und
                                                             im Redaktionsgebäude der F.A.Z. gedreht.

                                                        16
disziplinarität des Stipendienprogramms kreativ        Besonders erfreulich: Der Deutschsommer konnte
und fachlich sinnvoll zum Tragen kam. Und der          zu Beginn der Schulferien – in diesem Jahr in
Stiftungschor übt seither auf einer digitalen Platt-   Frankfurt rein innerstädtisch, aber auch an anderen,
form gemeinsam seine Stücke ein und präsentiert        überregionalen Standorten stattfinden. In sorg-
sie mit überwältigendem Erfolg auf YouTube – um        fältiger Absprache der Stiftung mit dem Hessischen
nur einige Beispiele zu nennen.                        Kultusministerium, dem Staatlichem Schulamt
                                                       Frankfurt, dem Frankfurter Bildungsdezernat und
Die Videokonferenz ist zu einem vorrangigen Kom-       mit Schulleitungen wurde dafür ein Konzept ent-
munikationswerkzeug der Stiftung geworden –            wickelt, das alle nötigen gesundheitlichen Vorkeh-
intern wie auch extern und innerhalb der Stiftungs-    rungen berücksichtigte.
programme. Beispielsweise wurden die jungen
IT-Talente des Digitechnikums von ihren Betreuern      Die Stiftung ist mit ihren Mitarbeitern, Stipendiaten
durch regelmäßige Videokonferenzen bei der Wei-        und Partnern nach wie vor ganz nah dran am
terentwicklung ihrer digitalen Projekte unterstützt.   Geschehen. Innovative Wege des Austauschs, des
Im Mai präsentierten sie in einem digital stattfin-    kollaborativen und digitalen Arbeitens und der
denden Pressegespräch erstmals die von ihnen ent-      Begegnung wurden gesucht und gefunden. In
wickelten Prototypen gesellschaftlich nützlicher       dieser grundlegenden polytechnischen Haltung
digitaler Produkte.                                    arbeitet die Stiftung weiterhin unbeirrt, kreativ und
                                                       flexibel, um dort Unterstützung zu leisten, wo
Veranstaltungen sind ein zentrales Instrument der      sie gebraucht wird.
Stiftungsarbeit, um persönlichen Austausch und
Begegnung möglich zu machen. Auch hier konnten
                                                       Karoline Leibfried arbeitet in der Abteilung Information,
kreative, alternative Lösungen und Formate ge-         Kommunikation und Veranstaltungen der Stiftung
funden werden. So wurde beispielsweise die erste       Polytechnische Gesellschaft.
Gesprächsrunde der Frankfurter HausGespräche
2020 im Mai per Livestream im Internet übertragen
(siehe Seite 33). Im Stadtteil-Botschafter-Programm

                                                                    2.000
wurden in einem Projekt, das ursprünglich als
großes Kulturfest geplant war, virtuelle Führungen
durch Städte verschiedener Länder angeboten,
um auf digitalem Weg vielfältige kulturelle Ein-
blicke zu ermöglichen. Im Projekt Meine Zeitung –
Frankfurter Schüler lesen die F.A.Z. wurden trotz
                                                                                 AUFRUFE
der zeitweiligen Schulschließungen 80 Langzeit-
arbeiten eingereicht. Eine Jury zeichnete die                                    So oft wurde der von 39 Sängerinnen und
überzeugendsten Arbeiten aus. Diesmal wurden                                     Sängern zu Hause und getrennt voneinander
die Gewinner zum Abschluss des Projekts durch                                    eingesungene Lieblingssong des Stiftungs-
einen gemeinsamen Film mit Videobotschaften von                                  chors – »Viva la vida« von Coldplay – bereits
Stiftung und F.A.Z. in ihren Klassen überrascht.                                 in den ersten Wochen nach Veröffentlichung
                                                                                 auf YouTube aufgerufen.

                                                             17
BEZIEHUNGS-
ARBEIT IN DEN
STIFTUNGS-
PROGRAMMEN
Wie schaffen es die Programme der Stiftung Polytechnische Gesell-
schaft, bei ihren Teilnehmern Entwicklung anzuregen? Eine Bestands-
aufnahme aus dem Blickwinkel der Beziehungspädagogik.

VON CHRISTIANE METTLAU

                                         18
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

                   »Ich bin eine schönere Version
                        von mir geworden.«
                                 M E L I S A B E L A DA S M E , STA DTT E I L -
                                    BOTSCHAFTERIN (2013/2014)

In meinen viereinhalb Jahren als Projektleiterin des           zu können. Dies hat für benachteiligte Jugendliche
Diesterweg-Stipendiums (DWS) Hamburg zwischen                  in bestimmten Stadtteilen eine hoch riskante Be-
2012 und 2016 habe ich wertvolle Erfahrungen in                deutung, wenn sie sich nach maladaptiven Rollen-
einem Chancenstipendium für Familien und ihre                  modellen richten. Der Glaube an Veränderung
Kinder sammeln dürfen, das von der Stiftung Poly-              durch positive Vorhersagen, wie zum Beispiel für
technische Gesellschaft in Frankfurt entwickelt wurde.         ein Stipendium ausgewählt worden zu sein,
(vgl. Mettlau, 2013) Die Verbindung zur Stiftung               schafft dagegen neue Entwicklungschancen durch
blieb bis heute erhalten. Mit großem Interesse habe            soziale Unterstützung. »Positive Vorstellungen,
ich weitere Leitprojekte und Arbeitsschwerpunkte               die Bezugspersonen von jungen Menschen haben,
kennenlernen dürfen. Alle 19 Programme verbindet               werden so zu einem Teil des Plans, den junge
meines Erachtens, dass sie das Ziel der Entde-                 Menschen für sich selbst haben werden.« (Bauer,
ckung und Förderung von Potenzialen und Talenten               2015, 50) So können Erfolgsüberzeugungen ent-
im Sinne der Hebung von Begabungsreserven                      stehen, die Willensbildung und Anstrengungsbereit-
durchaus differenziert verfolgen. Dabei wird die               schaft stärken. Besonders eindrücklich formulierte
»exemplarische Methode« genutzt, um »Bilder des                das die Stadtteil-Botschafterin Melisa Bel Adasme:
Gelingens« zu zeigen. Die Beispielhaftigkeit wirkt             »Ich bin eine schönere Version von mir geworden.«
wie ein Taktgeber, sowohl für die Fachöffentlich-
keit als auch direkt für die Menschen, mit denen
gearbeitet wird. Wie geht das?

Wie schaffen es die Programme der Stiftung Poly-
technische Gesellschaft, bei ihren Teilnehmern
Entwicklung anzuregen?
Die »pädagogische Methode« folgt einem dialek-
tisch-dialogischen Erziehungs- und Bildungsver-
ständnis, das soziale Beziehungen nutzt und stärkt.
Dabei wird die Bindung der Programmteilneh-
mer an die Stiftung, an die Stadtgesellschaft und
an die Institutionen erreicht. Die entstandenen
Bindungen werden in Förderketten weiter vertieft
und gepflegt. Auf diese Art können künftige
»Vorbilder« ausgesucht, begabt, gezeigt und auf
dem Bildungsweg im Sinne einer umfassenden
Persönlichkeitsbildung begleitet werden.

Veränderungsglaube schafft Entwicklung                                                         Regelmäßige Exkursionen im Diesterweg-
Die Wahl eines Vorbilds fällt besonders leicht bei                                             Stipendium – wie hier zum Institut für Bienen-
                                                                                               kunde in Oberursel – bieten neue Erfahrungen,
Ähnlichkeiten mit dem Betrachter und bei einer
                                                                                               die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch
realistischen Chance, dem Vorbild auch nacheifern                                              zu kommen, und Spaß für die ganze Familie.

                                                                     19
Gastbeitrag

                                                         Gute Beziehungen motivieren zum Lernen
                                                         Die Bedeutung des Sozialen bei der Entwicklung
                                                         des Gehirns erweist sich aus neuropsychologi-

»Ich kann
                                                         scher Sicht als viel größer als bisher vermutet. Wir
                                                         erklären uns das mit den unterschiedlichen Dimen-
                                                         sionen der Potenzialentfaltung, die sich gegenseitig

lernen.«
                                                         beeinflussen und verstärken können. Gerald Hüther
                                                         nennt fünf: Wertschätzung, Inspiration, Verbun-
                                                         denheit, Ermutigung und akademisches Lernen.
                                                         »Unser Gehirn ist also in viel stärkerem Maß als
                                                         bisher angenommen ein soziales, kulturell ge-
              Im Diesterweg-Stipendium werden            formtes Konstrukt. Es wird daher weder in seiner
              Eltern dazu ermutigt und dabei             inneren Struktur noch in seiner Funktionsweise
              begleitet, gemeinsam mit ihren Kin-        zu verstehen sein, solange es isoliert und abge-
              dern große Bildungsziele anzugehen.        trennt von den formenden und strukturierenden Ein-
                                                         flüssen der sozialen Gemeinschaft betrachtet wird,
                                                         in der der betreffende Mensch aufgewachsen ist
                                                         und in der er lebt.« (Hüther, 2011, 187) Die Lern-
                                                         entwicklung wird entscheidend durch soziale Re-
                                                         sonanz angeregt und diese wiederum steht mit
                                                         der Entwicklung von intrinsischer Motivation in di-
                                                         rekter Verbindung.

                                                    20
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

Feedback im Dialog wirkt auf die                       und neue soziale »Multimitgliedschaften« außerhalb
neurobiologische Entwicklung                           des Familienhaushalts und der Gemeinde schaffen.
Der Dialog ist der direkteste Weg, Selbstwirksamkeit   Diese integrative Wirkung ist gegenwärtig nicht zu
zu erhöhen. Jason Mitchell von der Harvard Uni-        unterschätzen.
versity untersucht diese Mechanismen mensch-
lichen Verstehens genauer. Er zeigt, wie soziale       Fazit
Beziehungen zum wichtigsten Motor unseres bio-         Neurobiologie ist sozial. Begaben ist soziale Arbeit.
logischen Programms und der Gehirnentwicklung          Potenziale, Talente und besonders Vorbilder sind
werden. In Hirnscans ist zu lesen, wie dialogisches    soziale Produkte. Einmal durch die Anregung des
Feedback direkt den präfrontalen Cortex akti-          Glaubens an sich selbst und die eigenen Talente –
viert. Genauso braucht auch die Entwicklung von        »Ich kann lernen«. Dann durch die anerkennende
prosozialen Motiven und Verantwortungsgefühl           soziale Wertschätzung – »Du kannst lernen«. Und
Gegenseitigkeit. Menschen entwickeln sich durch        schließlich durch die Zugehörigkeit zu neuen Ge-
die Bindung an und die Achtung durch »bedeut-          meinschaften – »Wir können von- und miteinander
same Andere«. Denn »… alle Ideen wirken nicht in       lernen«. Die enge und nachhaltige Bindung zwi-
ihrer Abstraktion auf ›die Jugend‹, sondern durch      schen den Projektverantwortlichen und den Teil-
die Gestalt der Persönlichkeiten, in denen sie sie     nehmern der Programme der Stiftung Polytech-
erfährt.« (Nohl, 1914, 120)                            nische Gesellschaft ist ein Garant für die Wirk-
                                                       samkeit ihrer Initiativen.

   »Der Dialog ist der                                 Christiane Mettlau war Leiterin schulpsychologischer
                                                       Beratungsstellen. Von 2012 bis 2016 baute sie das

    direkteste Weg,                                    Diesterweg-Stipendium in Hamburg auf. Zurzeit arbeitet
                                                       sie als Erziehungswissenschaftlerin an der Universität

   Selbstwirksamkeit
                                                       Hamburg.

      zu erhöhen.«                                     Literatur
                                                       Bauer, J. (2015): Selbststeuerung – Die Wiederentdeckung
                                                       des freien Willens. 3. Aufl., München
                                                       Hüther, G. (2011): Was wir sind und was wir sein könnten:
                                                       Ein neurobiologischer Mutmacher. Frankfurt am Main
Gemeinschaftliche Aktivitäten überwinden Fremd-
                                                       Mettlau, C. (2013): Diesterweg-Stipendium Hamburg – eine
heit und öffnen neue soziale Möglichkeitsräume         Innovation für Hamburg. In: Von der Bürgerlichkeit zur
Kulturellen Differenzen, die bisher zwischen dem       Zivilität. Doppeljahrbuch 2011–2013 der Patriotischen Gesell-
industriell hoch entwickelten Westen und dem           schaft von 1765
Nahen und Fernen Osten deutlich unterschieden,         Mitchell, J. (2017): http://jasonmitchell.fas.harvard.edu/
                                                       Papers/Leshinskaya_BeliefConcepts_CerebralCortex_2017.pdf,
werden nun durch die weltweiten Fluchtbewe-
                                                       Zugriff 18. Februar 2017
gungen entgrenzt und stoßen aufeinander. Hier leis-    Nohl, H. (1914): Das Verhältnis der Generationen in der
ten die vielfältigen Programme der Stiftung            Pädagogik. In: Nohl 1929, 111–120
Polytechnische Gesellschaft kulturelle Übersetzungs-   Reddy, V. (2010): How Infants Know Minds. Harvard
und Entwicklungshilfe. Denn ist man sich beson-        University Press
                                                       Renger, S., & Kuhl, J. (2017): Potenzialförderung durch Men-
ders unähnlich, kann man Ähnlichkeiten entdecken
                                                       toring: Theoretische Fundierung und empirische Evaluation
durch Begegnung, Gemeinschaft und Austausch.           eines diagnostisch gestützten Programms zur Begabungsförde-
»The starting point for understanding other minds      rung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 64, 64–76.
is not isolation and ignorance but emotional
relation.« (vgl. Reddy, 2010) Die Veränderung von
Werthaltungen und Lebenszielen ist eine adaptive
Leistung, die bis ins höhere Erwachsenenalter ge-
fordert ist. Hervorragende Bedeutung für die
Persönlichkeitsentwicklung haben dabei: Vorbilder,
Mentoring, Gemeinschaften und gemeinsame
Rituale. (vgl.: Renger, S./Kuhl, J., 2017). Die Ver-
bindung von regionalen Bildungsorten mit multi-
kulturellen Mentoren und Mentees durch die Stif-
tungsaktivitäten kann Gegensätzliches überwinden

                                                             21
Projekttransfer

GUTE IDEEN
GEHEN
IHREN WEG
»Bildung, Verantwortung, Frankfurt« – als eine der größten gemein-
wohlorientierten Stiftungen Deutschlands engagiert sich die Stiftung
Polytechnische Gesellschaft für die Frankfurter Stadtgesellschaft.
Allerdings erstreckt sich ihr Wirkungsradius nicht nur bis zur Stadtgrenze.

                  In den ersten 15 Jahren ihres Bestehens hat die       Insgesamt sind fünf Stiftungsprojekte an 23 auswär-
                  Polytechnische Stiftung über 120.000 Frankfurter      tige Standorte »exportiert« worden. Die Stiftung
                  Bürger auf direktem Weg in 19 großen Projekten        hat sich zu einer kooperativen Einrichtung weiter-
                  gefördert und rund 1.900 Stipendiaten in acht Sti-    entwickelt und pflegt ein überregionales Netzwerk
                  pendienprogramme aufgenommen. »Soziale                an Partnern aus der Stiftungswelt und der Bildungs-
                  Rendite« wurde dabei aber auch außerhalb des in       politik.
                  der Satzung der Stiftung festgelegten Einsatz-
                  gebiets Frankfurt am Main erzielt.                    Lokale Verankerung und Außenwirkung schlie-
                                                                        ßen einander also nicht aus, wie der Blick in die
                  Von Beginn an haben ein offener und kooperativer      gegenüberliegende Deutschlandkarte beweist.
                  Umgang mit den Erfahrungen aus der Projekt-
                  arbeit sowie eine aktive Kommunikation dazu ge-
                  führt, dass immer wieder andere Kommunen und
                  Träger nach Frankfurt gekommen sind und im en-            »Die Polytechnische Stiftung
                  gen Austausch mit Projektleitern der Stiftung ei-      ist eine der größten gemeinwohl-
                  nen Transfer in viele Regionen der Bundesrepublik
                  in die Wege geleitet haben.
                                                                          orientierten Stiftungen im Land.
                                                                        Sie ist auch eine der innovativsten,
                  Inzwischen forschen Stadtteil-Historiker im Ruhr-          was man nicht zuletzt daran
                  gebiet, profitieren Familien in Berlin vom Diester-
                  weg-Stipendium oder erleben Kinder in Münster
                                                                           ablesen kann, dass einige ihrer
                  »Ferien, die schlau machen«. Allein der Deutsch-           Projekte in anderen Städten
                  sommer als ganzheitliches Projekt zur Förderung            übernommen worden sind.«
                  der Bildungssprache Deutsch hat seit seiner erst-
                  maligen Durchführung zahlreiche Träger zur Nach-          FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG,
                  ahmung inspiriert und wird unter anderem vom                  HANS RIEBSAMEN, 6. JUNI 2019
                  Hessischen Kultusministerium in elf hessischen
                  Kommunen umgesetzt (siehe rechts, Seite 23).

                                                          22
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

                                                                                    HAMBURG

                                                                                    Deutschland schreibt!
                                                                                    Diesterweg-Stipendium

                                  OSNABRÜCK

                        Diesterweg-Stipendium

                                                                                                            B E R L I N - S PA N D A U
          MÜNSTER
                                                                         HANNOVER
                                                                                                            Diesterweg-
          Deutschsommer                                                  Diesterweg-Stipendium              Stipendium

                                                                                                            BERLIN-MARZAHN
               BOCHUM                                                                                       Diesterweg-
   Stadtteil-Historiker                                                                                     Stipendium

                                                                     KASSEL                      LEIPZIG
 DUISBURG                                  DORTMUND
                                                                     Deutschsommer               Diesterweg-
Diesterweg-                                Diesterweg-                                           Stipendium
Stipendium                                 Stipendium
                                                                            EISENACH
           RHEINBACH
                                                                            Deutschland schreibt!
Deutschland schreibt!
                    GIESSEN,                                                     FULDA
                   WETZLAR,
                                                                                 Deutschsommer
                   LIMBURG,                              FRANKFURT
                                                         AM MAIN
            Deutschsommer
                                                                                                 HANAU

              TRIER                                                                              Deutschsommer
                                                          MAIN-KINZIG-                           Diesterweg-Stipendium
              Deutschland schreibt!                       KREIS
              Diesterweg-Stipendium
                                                          Deutschland       OFFENBACH
                                                          schreibt!         Deutschsommer
  WIESBADEN
                                                                            Diesterweg-Stipendium
  Deutschland schreibt!                             DA R M STA DT
  Deutschsommer
                                                  Deutschsommer
  Stadtteil-Historiker
                                    RÜSSELSHEIM   Diesterweg-Stipendium
                                                  Samstagsschule für
                                    Deutschsommer
                                                  begabte Handwerker
                                                  Stadtteil-Historiker

                                                            23
Gastbeitrag

»SCHULE KANN
NICHT ALLES
LEISTEN«

Auch wenn es sich die Gesellschaft manchmal wünschen mag:
Schule kann nicht alles leisten. Deshalb sind außerschulische
Bildungseinrichtungen wie die Stiftung Polytechnische Gesell-
schaft Frankfurt so wichtig, die mit ihrer Expertise genau dort
ansetzen, wo unser Bildungs- und Erziehungsauftrag an seine
Grenzen stößt.

V O N P R O F. D R . R . A L E X A N D E R L O R Z

                                                     24
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

Als Hessen vor gut 16 Jahren die Geschicke der           vorbei. Auch hier leistet die Stiftung einen wichtigen
Kultusministerkonferenz leitete, war die Einrichtung     Beitrag: Der mittlerweile an zahlreichen hessischen
einer Stiftung, die unter anderem die Sprachför-         Schulen durchgeführte Wettbewerb »Deutschland
derung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel ha-         schreibt!« bietet Schülerinnen und Schülern einen
ben sollte, noch nicht viel mehr als eine vage           spielerischen Zugang zur Rechtschreibung und sorgt
Idee. Im vergangenen Jahr war Hessen erneut als          gleichzeitig dafür, dass sie sich intensiv mit den Re-
Präsidentschaftsland an der Reihe, und wir hatten        geln unserer Sprache auseinandersetzen. Und
die Gelegenheit, unsere Strategien zur Förderung         auch auf institutioneller Ebene schreiten Land und
der Bildungssprache Deutsch einem bundesweiten           Stiftung durch die im Koalitionsvertrag verein-
Publikum näherzubringen. Die Stiftung Polytech-          barte Schaffung einer Kompetenzstelle für Ortho-
nische Gesellschaft hat in diesem Zeitraum eine          grafie weiter voran, die gemeinsam mit der Goethe-
beeindruckende Entwicklung vollzogen und ist aus         Universität die Professionalisierung der hessi-
der hiesigen Bildungslandschaft und als Koopera-         schen Lehrkräfte im Bereich der Rechtschreibung
tionspartner des Landes bei der Bewältigung der          stärken und die Rechtschreibleistungen der Schü-
Daueraufgabe Sprachförderung inzwischen nicht            lerinnen und Schüler nachhaltig verbessern wird.
mehr wegzudenken.
                                                         Ich danke der Stiftung Polytechnische Gesellschaft
                                                         Frankfurt für ihren Einsatz, den sie seit Jahren für
   »Die Stiftung Polytechnische                          die Entwicklung unserer jungen Generation leistet,
Gesellschaft […] ist aus der hiesigen                    und gratuliere ihr und dem Vorstandsvorsitzenden
  Bildungslandschaft […] inzwi-                          Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt, der als Aushänge-
                                                         schild unermüdlich für die Bewahrung der deuschen
schen nicht mehr wegzudenken.«                           Sprache eintritt, zu diesem besonderen Jubiläum.

Dabei geht sie seit jeher kreative Wege: Das »Diester-
                                                         Prof. Dr. R. Alexander Lorz ist seit dem 18. Januar 2014 Hessi-
weg-Stipendium« etwa nimmt Eltern in den Blick,          scher Kultusminister. 2019 war er zudem Präsident der
die noch nicht lange in Deutschland leben, und un-       Kultusministerkonferenz.
terstützt sie und ihre Kinder dabei, die deutsche
Sprache zu lernen und kulturelle Zusammenhänge
besser zu verstehen. Ein weiteres Projekt, das wie
kaum ein zweites von der guten Zusammenarbeit
öffentlicher und privater Einrichtungen lebt, ist
der »Deutschsommer«, der sich an Grundschülerin-
nen und Grundschüler richtet, die kurz vor dem
Wechsel auf die weiterführende Schule stehen und
ihre Deutschkenntnisse in den Ferien freiwillig
verbessern wollen.

Beide Konzepte folgen der Idee, dass der Sprach-
erwerb immer dann besonders gut gelingt, wenn
Kinder und Jugendliche auch außerhalb des Unter-
richts deutsch sprechen. Die zunehmend über
Frankfurt hinaus ausstrahlende Wirkung der Stif-
tung ist ein untrügliches Indiz für ihren Erfolg.
Damit noch mehr Schülerinnen und Schüler von ih-
ren Sprachfördermaßnahmen profitieren können,
unterstützen wir sie deshalb auch in Zukunft gerne.

Doch nicht nur das Sprechen, sondern auch das
korrekte Schreiben liegt der Stiftung am Herzen.
In Zeiten, in denen dank digitaler Kommunikati-
onsmittel wie WhatsApp und Twitter zwar deutlich
mehr, aber leider nicht immer mit der nötigen
Sorgfalt geschrieben wird, führt an einer soliden
Rechtschreibausbildung weiterhin kein Weg

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Bericht

DAS ARBEITEN IN
PROJEKTKETTEN
Vielfalt und ein roter Faden.

VON AXEL BRAUN

In den ersten 15 Jahren ihres Bestehens hat sich die       Idealfall entstehen regelrechte »polytechnische
Stiftung Polytechnische Gesellschaft eine über die         Karrieren« – wie die nachfolgenden Stipendiaten-
Stadtgrenzen Frankfurts hinausreichende Reputation         porträts von Dominik Brey und Sara Galab ein-
als professionelle »Projektschmiede« erarbeitet.           drucksvoll veranschaulichen.
19 operative Leitprojekte bilden den Markenkranz
                                                           Axel Braun leitet den Bereich Information, Kommunikation
der Stiftung und sorgen dafür, dass die zentralen
                                                           und Veranstaltungen der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.
Aufgabenfelder – Familienbildung, sprachliche Bil-
dung, Hinführung zu Wissenschaft und Technik,
kulturelle Bildung und Bürgerengagement – ganz
konkret bearbeitet werden. Die Stiftung »tut, was
fehlt und nützt«.
                                                                      ● Alfred-Grosser-
                                                                       Gastprofessur
Um dabei mit den zur Verfügung stehenden Mitteln
und Ressourcen die bestmögliche Wirkung für die
Bürgerstadt Frankfurt zu erreichen, hat die Stiftung
                                                                                       VERANTWORTUNG
eine sehr spezifische und erfolgreiche Arbeits-
                                                                                          I N D E R STA DT-
weise entwickelt: die operative Arbeit in Projektketten.
                                                                                          GESELLSCHAFT

Im Unterschied zu vielen historisch gewachsenen
Stiftungen konnte die Polytechnische Stiftung ihr
Projektportfolio aus einem Guss entwickeln. Sie hat
diese Chance genutzt, um ihre Projekte miteinan-
der zu verzahnen: in bildungsbiografisch aufeinan-
der aufbauenden Abfolgen von Projekten. Dabei
verfolgen mehrere Projekte einer Projektkette ein
klar formuliertes gemeinsames Bildungsziel, einen
roten Faden. Projekte wie der Deutschsommer, der
Endspurt oder das Diesterweg-Stipendium stehen
zum Beispiel in engem Zusammenhang miteinander
und bauen teilweise aufeinander auf. Das ermög-
licht die nahtlose Förderung einzelner Stipendiaten
über mehrere Jahre hinweg.

Stipendiaten erhalten immer wieder neue Anknüp-
fungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Ge-
rade in Kombination mit der lokalen Konzentration
auf Frankfurt verstärkt sich zudem die Wirkung
der einzelnen Projekte, interne Synergien werden
genutzt, Erfahrungen geteilt und die stiftungs-
eigene Kompetenz wird sukzessive ausgebaut. Im

                                                                 26
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

              ● Opernstudio            ● Konzert-
                                         pädagogik

                        MUSIKALISCHE           ● ANKLANG
                             BILDUNG

                                                                ● Spitzentexter

                                                                                  SPRACH-
                                                                                  BILDUNG

                                                                                            ● KEMIE/Junge
                                                                                              Mathe-Adler

                                                                     HINFÜHRUNG ZU
                                                                     WISSENSCHAFT
                   FA M I L I E N -
                                                                      UND TECHNIK
                    BILDUNG

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Porträt

  BIOGRAFIE

  Dominik Brey ist 25 Jahre alt und promoviert am
  Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
  der Frankfurter Goethe-Universität. Während seiner
  Schulzeit war er Teilnehmer der von der Stiftung Poly-
  technische Gesellschaft und der Deutsche Telekom
  Stiftung initiierten Junior-Ingenieur-Akademie, später
  wurde er Main-Campus-academicus-Stipendiat im
  Fach Chemie. Im Wintersemester 2019/2020 erhielt
  er den Fachbereichspreis für den besten Studienab-
  schluss im Fach Chemie am Fachbereich Biochemie,
  Chemie und Pharmazie der Goethe-Universität. Heute
  ist Dominik Brey als Mentor im Digitechnikum aktiv.

WAS MACHT
EIGENTLICH …
DOMINIK BREY?
Als Schüler baute Dominik Brey bei der Junior-Ingenieur-Akademie aus
Legoteilen Roboter, als Masterstudent im Fach Chemie wurde er mit
einem Main-Campus-academicus-Stipendium gefördert. Heute engagiert
er sich selbst in der Stiftung: als Mentor beim Programm Digitechnikum.

VON ALEXANDER JÜRGS

                     Wie bewegt sich ein Exziton durch eine organische     Thema gewidmet, nun schreibt der 25-Jährige am
                     Solarzelle? Das ist eine Frage, die Dominik Brey      Institut für Physikalische und Theoretische Chemie
                     antreibt, an der er forscht. Von ihrer Beantwortung   der Frankfurter Goethe-Universität seine Promotion.
                     hängt einiges ab: Denn die effektive Bewegung
                     der Exzitone – gebundener Elektron-Loch-Paare –       Für Naturwissenschaften, für Mathematik, Physik
                     kann die Effizienz von Solarzellen steigern. Grob     und Chemie hat sich Dominik Brey bereits als
                     gesprochen leisten sie also einen Beitrag zu einer    Schüler brennend interessiert. Vor allem die Robotik
                     nachhaltigen Energiewende. Darum sind Experi-         hat ihn fasziniert. An dem Frankfurter Gymnasium,
                     mente mit ihnen wichtig. Und deshalb braucht es       das er besuchte, der Ziehenschule, gab es dazu
                     Theoretische Chemiker wie Dominik Brey, die die       jedoch zunächst keine Angebote. Mit der von
                     notwendigen Modelle für diese Versuchsreihen ent-     der Stiftung Polytechnische Gesellschaft ins Leben
                     wickeln. Schon seine Masterarbeit hat Brey dem        gerufenen Junior-Ingenieur-Akademie änderte

                                                             28
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2020

sich das. Brey wurde Teilnehmer der Akademie, die
als Wahlpflichtfach belegt werden konnte. In
Gruppenarbeit entwickelten die Schüler Pläne für
einen eigenen Roboter, der später – mithilfe von
Lego Mindstorms – auch gebaut wurde. Die Junior-
Ingenieur-Akademie war aber noch viel mehr.
»Spannend war, dass wir Firmen wie Siemens und
Continental besucht haben und dort etwas über
den Arbeitsalltag von Ingenieuren erfahren haben«,
erinnert sich Brey. »Das Programm hat für mich
unheimlich gut gepasst.«

Die Junior-Ingenieur-Akademie blieb nicht Breys
einziger Kontakt zur Stiftung. Während seines
Masterstudiums wurde er durch das Main-Campus-                                         Als Teilnehmer der Junior-Ingenieur-Akademie
academicus-Stipendium gefördert. Das Stipendium,                                       entwickelte Dominik Brey 2009 einen eige-
                                                                                       nen Roboter, der später – mithilfe von Lego
für das man sich nicht bewerben kann, sondern
                                                                                       Mindstorms – auch gebaut wurde.
von der Hochschule vorgeschlagen wird, umfasst
sowohl eine finanzielle Unterstützung als auch
ein Akademieprogramm mit unterschiedlichen Se-
minaren. Brey begeisterte, dass es ihm auch die        erzählt Brey. Ihm ist es wichtig, denen, die beim
Möglichkeit bot, über den Tellerrand des eigenen       Digitechnikum mitmachen, auf Augenhöhe zu
Fachs zu schauen. Gemeinsam mit anderen Stipen-        begegnen. Darum lässt er sich von den Stipendi-
diaten konnte er hinter die Kulissen der Frankfurter   aten duzen. »Die Teilnehmer sollen sich ja trauen,
Börse blicken, auch ein Besuch des Stadtarchivs        mit uns zu reden«, sagt er.
gehörte zum Programm. Viel gelernt habe er aber
auch bei Workshops, in denen an den sogenann-
ten »Soft Skills« gearbeitet wurde. »Wir hatten zum
Beispiel einen Kurs in Gesprächstechniken, solch
                                                       »Der ideelle Teil meines Main-
ein Seminar hätte ich sonst wohl nie besucht«, er-
zählt Brey. Er sagt auch, dass »der ideelle Teil des
                                                       Campus-academicus-Stipen-
Stipendiums im Nachhinein viel wichtiger war als
die finanzielle Unterstützung«. Und dass er zu         diums war viel wichtiger als
allen Stipendiaten seines Jahrgangs »eine Art
Freundschaft« entwickelt habe – »mal mehr und mal      die finanzielle Unterstützung.«
weniger«. Breys Fazit: »Es ist eine große Stärke
der Stiftung, dass sie Menschen zusammenbringt
und vernetzt.«                                         Vier Jahre wird Breys Promotion voraussichtlich
                                                       dauern. Hat der junge Wissenschaftler schon Pläne,
Heute engagiert der Chemiker sich selbst für die       was er danach machen will? »Am liebsten würde
Stiftung Polytechnische Gesellschaft, als Mentor       ich im universitären Bereich bleiben«, erzählt er.
beim Digitechnikum. Das Programm, eine Art Zu-         Brey kann sich gut vorstellen, dann auch eine
kunftswerkstatt für digitale Talente, richtet sich     Zeit lang an einer ausländischen Universität tätig
an Jugendliche, die sich besonders für Informatik      zu sein. »Einfach ist solch eine akademische Lauf-
interessieren. Etwa alle drei Wochen arbeiten          bahn nicht, es gibt nur wenige Stellen«, sagt er.
die Teilnehmer an Werkstatt-Terminen gemeinsam         Besser verdienen würde der Wissenschaftler bei
weiter an ihren Projekten; dann wird gecodet           einem Wechsel in die Industrie auch, doch Brey
oder ein elektronisches Gerät entwickelt. In Zeiten    hängt an Forschung und Lehre: »Es gibt nichts Schö-
von Corona wird die Teamarbeit digital, mithilfe       neres, als völlig frei entscheiden zu können, was
sogenannter Kanban Boards, organisiert. Bei der        man erforschen will.« Und er mag es, sein Wissen
Umsetzung ihrer Projekte werden die Jugendli-          an die »jüngere Generation weiterzugeben«. »Den
chen im Rahmen von regelmäßigen Videokon-              Leuten etwas beizubringen, das macht mir großen
ferenzen von ihren Betreuern unterstützt. »Wir         Spaß«, sagt er. Mit einem Lachen fügt er hinzu:
Mentoren versuchen zu helfen, etwa wenn eine           »Man muss ja auch wissenschaftlichen Nachwuchs
Gruppe beim Tüfteln auf Probleme stößt«,               heranzüchten.«

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