Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE

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Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Praxishandbuch
Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit
mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Praxishandbuch
Gesundheit und Unterstützung in der
Sozialen Arbeit mit geflüchteten und
     wohnungslosen Menschen
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Impressum
Praxishandbuch
Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit
mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen
Stand 08/2020

© 2020
Herausgeber
Prof. Dr. med. Albert Nienhaus
Prof. Dr. med. Volker Harth
Competenzzentrum Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare),
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP),
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Bethanien-Höfe Eppendorf
Martinistraße 52                                                 CVcare
20246 Hamburg, Deutschland                                       Competenzzentrum Epidemiologie und
www.cvcare.de                                                    Versorgungsforschung bei Pflegeberufen

Zentralinstitut für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin (ZfAM)
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)/
Behörde für Justiz und Verbraucherschutz (BJV)
Seewartenstraße 10, Haus 1
20459 Hamburg, Deutschland
www.uke.de/arbeitsmedizin

Autorinnen und Autoren
Dr. Tanja Wirth, M. Sc. Health Sciences (CVcare),
Julia Lengen, M. Sc. Health Sciences (ZfAM),
Dr. Janika Mette, M. Sc. Psych. (ZfAM),
PD Dr. Dr. Stefanie Mache, Dipl.-Psych., MHA (ZfAM),
Prof. Dr. med. Volker Harth, MPH (ZfAM),
Prof. Dr. med. Albert Nienhaus, MPH (CVcare)
Lektorat
Angelika Buchholz, Frankfurt
Layout und Satz
Ethel Knop, Hamburg
Druck
OSTERKUS[S] gGmbH, Hamburg
Fotos
Shutterstock │ AdobeStock │ Depositphotos

Gefördert von der Selbstverwaltung der
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Inhalt
   Vorwort                                                                       7

1		 Hintergrund                                                                 9
		 1.1   Zuwanderung und Wohnungslosigkeit in Deutschland			                    9
		 1.2   Rahmenbedingungen in der Sozialen Arbeit und der
			      Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe			                                9
		 1.3   Arbeitsbedingungen in der Geflüchteten- und
			      Wohnungslosenhilfe			                                                 12

2		 Arbeitsanforderungen
		und -ressourcen                                                              15
		2.1 Arbeitsinhalt                                              		            15
				 - Bedeutung der Arbeit und Erleben von Erfolgen			                        15
				 - Emotionale Anforderungen			                                             17
				- Arbeitsmenge			                                                          18
				 - Sprachliche und kulturelle Barrieren			                                 19
				 - Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Klienten/-innen				           20
		2.2 Arbeitsorganisation				                                                  22
				- Personalausstattung				                                                  22
				- Arbeitszeiten				                                                        23
				- Zeitdruck				                                                            24
				 - Zusammenarbeit mit Dritten/Netzwerke				                                25
		2.3 Soziale Beziehungen				                                                  24
				 - Soziale Unterstützung im Team				                                       26
				 - Unterstützung und Wertschätzung durch Führungskräfte				                27
		2.4 Arbeitsumgebung				                                                      28
		 2.5 Neue Arbeitsformen: Entgrenzung der Arbeit				                          29

3		 Arbeit und Gesundheit                                                      31
		 3.1   Arbeitszufriedenheit und -engagement			                               31
		3.2    Präsentismus			                                                       31
		3.3    Psychische Gesundheit			                                              32
		3.4    Resilienz			                                                          33
		3.5    Berufsperspektive			                                                  33

4		 Copingstrategien                                                           35
		4.1 Problemorientierte Copingstrategien			                                   35
		4.2 Emotionsorientierte Copingstrategien			                                  35
		4.3 Abgrenzungsfähigkeit			                                                  35

5		 Unterstützung und betriebliche
		Gesundheitsförderung                                                         37
		5.1    Unterstützungsangebote			                                             37
		 5.2   Angebote der Gesundheitsförderung			                                  38
		 5.3   Vergleich der Trägerarten			                                          38
		 5.4   Als hilfreich empfundene Unterstützungsangebote			                    38
		 5.5   Wünsche und Bedürfnisse			                                            39

		Literaturverzeichnis                                                         41

		Anhang                                                                       43
		 Anhang 1: Charakteristika der Teilnehmenden an den Interviews 			           43
		 Anhang 2: Charakteristika der Teilnehmenden an der Onlinebefragung		        44
		 Anhang 3: Publikationsverzeichnis			                                        46

                                                                Praxishandbuch_2020_Inhalt   5
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Vorwort
 Dieser Bericht stellt die Ergebnisse aus dem     tels validierter Skalen und speziell für die
 Projekt zur Arbeit, Gesundheit und zu dem        Berufsgruppe entwickelter Fragen Angaben
 Unterstützungsbedarf von Beschäftigten           zur ihrer Arbeits- und Gesundheitssituation
 in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und      und zu vorhandenen und gewünschten Maß-
 wohnungslosen Menschen vor. Im Rahmen            nahmen der Gesundheitsförderung machen
 des Projekts wurden die Arbeits- und Ge-         konnten. Insgesamt nahmen 253 Beschäf-
 sundheitssituation der Beschäftigten unter-      tigte aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin
 sucht und Handlungsempfehlungen für Maß-         und Mecklenburg-Vorpommern an der Be-
 nahmen der betrieblichen Gesundheitsför-         fragung teil. Die erhobenen Daten wurden
 derung und Prävention für diese Berufs-          mittels statistischer Verfahren ausgewertet.
 gruppe abgeleitet. Die Ergebnisse sollen da-     Bei einigen Skalen werden die Werte der
 zu beitragen, dem Thema Gesundheit der           Onlinebefragung mit einer Vergleichsgrup-
 Mitarbeiter/-innen in den entsprechenden         pe anderer Berufe aus der Datenbank des
 Einrichtungen zu mehr Beachtung zu ver-          Copenhagen Psychosocial Questionnaire
 helfen und gemeinsam mit ihnen gesund-           (COPSOQ-Datenbank) verglichen [1] .
 heitsförderliche Maßnahmen zu entwickeln.
                                                  Tabellarische Übersichten der soziodemo-
 Die Ergebnisse aus diesem Projekt basieren       grafischen Merkmale der Teilnehmenden an
 auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus     den Interviews und der Onlinebefragung
 drei methodischen Ansätzen:                      sind im Anhang 1 und Anhang 2 aufgeführt.

 » Literaturübersicht                             Aus den wissenschaftlichen Ergebnissen
 In einem ersten Schritt wurde eine syste-        dieser drei Studienabschnitte wurden für
 matische Recherche nach nationalen und in-       dieses Praxishandbuch direkte Handlungs-
 ternationalen Studien zu den Arbeitsbedin-       empfehlungen abgeleitet. Die Empfehlun-
 gungen und der psychischen Gesundheit            gen wurden in zwei digitalen Workshops mit
 von Beschäftigten in der Geflüchteten- und       Beschäftigten und Führungskräften aus der
 Wohnungslosenhilfe durchgeführt. Die Ergeb-      Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dis-
 nisse aus den Studien wurden thematisch          kutiert und mit Bezug auf die Hinweise aus
 analysiert und zusammengefasst.                  der Praxis überarbeitet. Dadurch können nun
                                                  wissenschaftlich fundierte und praxistaug-
 » Qualitative Interviews                         liche Handlungsempfehlungen für eine ge-
   mit Beschäftigten                              sundheitsförderliche Arbeitsgestaltung dar-
                                                  gestellt werden.
 Im zweiten Schritt wurden 26 Beschäftigte
 aus der Geflüchteten- und Wohnungslosen-         Wir bedanken uns ganz herzlich bei den Ein-
 hilfe in Hamburg und Berlin interviewt. In den   richtungen und Beschäftigten der Geflüchte-
 Interviews berichteten die Befragten über ihre   ten- und Wohnungslosenhilfe, die mit ihrer
 Erfahrungen mit Belastungen bei der Arbeit,      Teilnahme an den Interviews und der On-
 ihre Zufriedenheit und gesundheitliche Situa-    linebefragung die erfolgreiche Durchführung
 tion sowie über Unterstützungsangebote           des Projekts erst möglich gemacht haben.
 und Bedürfnisse. Die Interviews wurden an-
                                                  Zudem sind wir der Selbstverwaltung der
 hand einer qualitativen Inhaltsanalyse aus-
                                                  Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst
 gewertet. In diesem Praxishandbuch sind
                                                  und Wohlfahrtspflege (BGW) sehr dankbar
 direkte Zitate aus den Interviews in Sprech-
                                                  für die freundliche Unterstützung und Förde-
 blasen dargestellt.
                                                  rung des Projekts.                        «
 » Quantitative Online-
    befragung
 Abschließend fand eine anonyme Online-
 befragung statt, in der Beschäftigte aus der
 Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe mit-

                                                                      Praxishandbuch_2020_Vorwort   7
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
8   Praxishandbuch_2020_Hintergrund
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
1.1 Zuwanderung und Wohnungslosigkeit in Deutschland

Die Zahl der geflüchteten Menschen ist im vergangenen Jahrzehnt weltweit kontinuierlich
gestiegen, z. B. durch Konflikte in Syrien und dem Nahen Osten. Im Jahr 2016 verzeichnete
Deutschland die weltweit höchsten Asylantragszahlen [2]. Seitdem werden geflüchtete Men-
schen auch in der Statistik zur Wohnungslosigkeit in Deutschland von der Bundesarbeits-
gemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) miterfasst. Wohnungslose anerkannte Ge-
flüchtete machen mittlerweile in der Statistik den größten Anteil aus (Abb. 1).

Insgesamt ist die Anzahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland in den vergangenen zehn
Jahren kontinuierlich gestiegen. Auch nach der Einführung eines verbesserten Schätzmodells
geht die BAG W davon aus, dass die Anzahl auf insgesamt niedrigerem Niveau weiter ange-
stiegen ist. Die Ursachen für diesen Anstieg liegen vor allem in einem zunehmenden Man-
gel an bezahlbarem Wohnraum und Sozialwohnungen sowie der Verstetigung von Armut [4].
Die steigende Anzahl der Klienten/-innen unterstreicht die aktuelle Bedeutung des Tätigkeits-
felds der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe innerhalb der Sozialen Arbeit.

1.2 Rahmenbedingungen in der Sozialen Arbeit und
    der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe
Im Zuge der Ökonomisierung der Sozialen Arbeit hat sich auch die Trägerlandschaft in diesem
Bereich verändert. Kommunen sind seltener selbst in der Leistungserbringung tätig. Stattdessen
vergeben sie diese an freie und privatgewerbliche Träger und schließen Leistungsverträge mit
ihnen ab [5, 6]. Freigemeinnützige Träger (insbesondere Wohlfahrtsverbände) stellen den zent-
ralen Leistungserbringer der Sozialen Arbeit dar. Insgesamt sind über 70 % der Beschäftigten in
der Sozialen Arbeit bei Wohlfahrtsverbänden tätig [7].

In der vorliegenden Onlinebefragung ist ebenfalls die überwiegende Mehrheit der Befragten
bei einem freien Träger beschäftigt. Beschäftigte von privatgewerblichen Trägern sind in der
Befragung hingegen kaum vertreten (Abb. 2).                                               »

                                                                                          Einführung eines neuen
          1.000.000                                                                            Schätzmodells
           900.000

           800.000                                                                      436.000

           700.000
                                                                                                                    441.000
           600.000                                                                                        417.000

           500.000

           400.000
                                                                                        422.000
                                                                              367.000
           300.000                                                  335.000
                                                          310.000
                                                284.000
           200.000    237.000 248.000
                                      258.000
                                                                                                          234.000 237.000

           100.000

                 0
                      2009    2010     2011     2012      2013      2014      2015      2016               2017     2018

Abb. 1 Schätzung der Anzahl wohnungsloser Menschen in Deutschland im Jahresverlauf [3]

                                                                                                  Praxishandbuch_2020_Hintergrund   9
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Hintergrund

     Im Bereich der Sozialen Arbeit sind Be-
                                                                                Welchem  Träger
                                                                                    Welchem     gehört
                                                                                            Träger gehörtIhre
                                                                                                          IhreEinrichtung  an?
                                                                                                              Einrichtung an?
     schäftigte mit unterschiedlichen Qualifika-
     tionen tätig: Zu den sogenannten Kernqua-                                   80 %         76,1
     lifikationen der Sozialen Arbeit zählen vor
     allem Sozialarbeiter/-innen und Sozialpäd-                                  70 %
     agogen/-innen sowie Erzieher/-innen. Da-
     rüber hinaus sind Beschäftigte mit formalen                                 60 %

     Qualifikationen wie z. B. Pädagogen/-innen,
                                                                                 50 %
     Psychologen/-innen, Heilpädagogen/-innen,
     aber auch Ergänzungskräfte ohne eine ent-
                                                                                 40 %
     sprechende Berufsausbildung in diesem Be-
     reich tätig. Des Weiteren unterstützen viele                                30 %
     ehrenamtliche Helfer/-innen die angestellten                                                          22,7
     Fachkräfte bei deren Arbeit [8].                                            20 %

     In die vorliegende Onlinebefragung wurden         10 %

     ausschließlich hauptamtlich tätige Beschäf-                                                 1,2
                                                        0%
     tigte eingeschlossen, die in Einrichtungen der            Freier Träger Öffentlicher Privatgewerblicher
                                                                                Träger          Träger
     Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe nach
     eigenen Angaben Tätigkeiten der Sozialen Ar-
     beit ausübten (direkte Betreuungs- und Be-     Abb. 2 Einrichtungsträger der Befragten in der
                                                    Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe
     ratungstätigkeiten). Auch hier spiegeln sich
     die vielfältigen Qualifikationen des Personals
     wider (Abb. 3). Die Mehrheit (62,4 %) verfügt jedoch über eine berufliche Qualifikation als
     Sozialarbeiter/-in oder Sozialpädagoge/-in.

     Insgesamt sind viele Beschäftigte in der Sozialen Arbeit im Rahmen öffentlich geförderter und
     zeitlich begrenzter Projekte tätig, weshalb es dort einen hohen Anteil an befristeten Arbeitsver-
     hältnissen gibt. Nach der Bundesagentur für Arbeit waren 58 % der im Jahr 2017 neu besetzten
     Stellen befristet [9].

                                        Welche berufliche Qualifikation haben Sie erworben?
                                        Welche berufliche Qualifikation haben Sie erworben?

               Sozialarbeiter/-in/Sozialpädagoge/-in                                                                    62,4

                                         Erzieher/-in         3,1

                          Heilerziehungspfleger/-in           1,6

                          Geisteswissenschaftler/-in                7,4

       Rechts-/Wirtschafts-/Sozialwissenschaftler/-in                     18,2

                       Gesundheitsbezogene Lehre              3,1

                         Wirtschaftsbezogene Lehre           1,6

                    Andere berufliche Qualifikation             2,7

                                                        0%          10%   20%           30%          40%    50%   60%          70%

     Abb. 3 Berufliche Qualifikation der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe
     (Mehrfachantworten möglich)

10   Praxishandbuch_2020_Hintergrund
Praxishandbuch Gesundheit und Unterstützung in der Sozialen Arbeit mit geflüchteten und wohnungslosen Menschen - UKE
Haben Sie einen befristeten Arbeitsvertrag?
           100%
                                                                                        89,3
            90%                                                               85,7
            80%

            70%
                                                                      60,8
            60%

            50%
                              39,2
            40%

            30%

            20%                        14,3
                                               10,7
            10%

             0%
                                        Ja                                    Nein

                  Geflüchtetenhilfe (n = 97)   Wohnungslosenhilfe (n =126)    In beiden Bereichen (n = 28)

Abb. 4 Arbeitsverträge der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe

Von den Befragten in der vorliegenden Studie sind insgesamt 23,4 % mit einem befriste-
ten Vertrag bei ihrem Arbeitgeber angestellt. Dieser Anteil ist jedoch in der Geflüchteten-
hilfe (39,2 %) deutlich höher als in der Wohnungslosenhilfe (14,3 %) und bei Beschäftigten,
die sowohl mit geflüchteten als auch mit wohnungslosen Menschen arbeiten (10,7 %)
(Abb. 4).

Im Bereich der Sozialen Arbeit sind viele Beschäftigte in Teilzeit tätig. Insgesamt ist etwa
jeder zweite Arbeitsplatz ein Teilzeitplatz. Die Teilzeitquote liegt damit deutlich höher als im
Durchschnitt aller sozialvesicherungspflichtig Beschäftigten mit einem komplexen Aufgaben-
profil [9].
Ergebnissen der Onlinebefragung von Beschäftigten in der Geflüchteten- und Wohnungslosen-
hilfe zufolge arbeitet die Mehrheit der Befragten Vollzeit (59,1 %). Allerdings ist in der Woh-
nungslosenhilfe auch etwa jede/-r zweite Teilzeit beschäftigt (Abb. 5).                        »
                                                                                Praxishandbuch_2020_Hintergrund   11
Hintergrund

                                                   Arbeiten Sie Vollzeit?

                 90%

                 80%                                78,6
                                 70,1
                 70%

                 60%                                                                54,0
                 50%                      46,0
                 40%
                                                                            29,9
                 30%
                                                                                             21,4
                 20%
                 10%
                  0%
                                           Ja                                       Nein

                       Geflüchtetenhilfe (n = 97)     Wohnungslosenhilfe (n = 126)   In beiden Bereichen (n = 28)

     Abb. 5 Arbeitszeiten der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe

12   Praxishandbuch_2020_Hintergrund
1.3 Arbeitsbedingungen in der Geflüchteten- und
    Wohnungslosenhilfe
Im Bereich der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe betreuen und beraten die Be-
schäftigten der Sozialen Arbeit Menschen, die sich z. B. in Bezug auf ihre materielle Situa-
tion, soziale Integration und Gesundheit in besonders prekären Lebenslagen befinden. Zudem-
gibt es in der Bevölkerung zum Teil negative Meinungen über geflüchtete und wohnungs-
lose Menschen [10-12]. Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe können
daher bei ihrer Arbeit vor großen emotionalen Anforderungen sowie besonderen Schwierigkei-
ten in der Durchsetzung der Interessen ihrer Klienten/-innen stehen.

Anhand der Analyse nationaler und interna-
tionaler Studien zeigt sich, dass die häufigsten
Arbeitsanforderungen in der Geflüchteten-
und Wohnungslosenhilfe die Arbeitsinhal-
te und die Arbeitsorganisaton betreffen. Da-
zu gehören unter anderem das Erleben des
Leids der Klienten/-innen, ein großes Fall- und
Arbeitsaufkommen und die Arbeit in einem als
bürokratisch empfundenen System.
Wichtige Arbeitsressourcen liegen ebenfalls
im Arbeitsinhalt (z. B. Sinnhaftigkeit der Ar-
beit), aber auch in sozialen Beziehungen wie
z. B. in der Unterstützung durch das Team.
Die Abbildung 6 listet die in der Literatur am
häufigsten identifizierten Arbeitsanforderungen und -ressourcen auf. Auf viele dieser Themen
wird im Folgenden genauer eingegangen, da sie auch in den Interviews und der Onlinebefra-
gung eine wichtige Rolle spielten.                                                        «

     Arbeitsanforderungen                                      Arbeitsressourcen
     Arbeitsinhalt                                             Arbeitsinhalt
       • Erleben des Leids der Klienten/-innen                  • Sinnhaftigkeit der Arbeit
       • Geringe Veränderungsmöglichkeiten/                     • Arbeit repräsentiert eigene Werte/
         Erfolge                                                  Interessen
       • Großes Fall- und Arbeitsaufkommen                      • Wertschätzung der Klienten/-innen
       • Aggressives Verhalten von Klienten/
                                                               Soziale Beziehungen
         -innen
                                                                • Soziale Unterstützung im Team
       • Professionelle Distanz zu Klienten/
                                                                • Unterstützung durch Vorgesetzte
         -innen wahren
       • Geringer Handlungs-/Entscheidungs-
         spielraum
       • Sprachliche Barrieren
     Arbeitsorganisation
       • Arbeit im bürokratischen System
       • Geringe Bezahlung

Abb. 6 Zentrale Arbeitsanforderungen und -ressourcen in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe

                                                                           Praxishandbuch_2020_Hintergrund   13
2 Arbeitsanforderungen
  und -ressourcen
   Die folgenden Abschnitte stellen einige arbeitsbedingte Anforderungen und Ressourcen von
   Beschäftigten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dar – eingeteilt nach dem Ar-
   beitsinhalt, der Arbeitsorganisation, den sozialen Beziehungen, der Arbeitsumgebung und neu-
   en Arbeitsformen [13].

   2.1 Arbeitsinhalt
   Bedeutung der Arbeit und Erleben von Erfolgen
   Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe erleben ihre Arbeit als sehr sinn-
   voll und schreiben ihr eine größere Bedeutung zu als Beschäftigte anderer Bereiche (Abb. 7).
   Die Bedeutung der Arbeit ist ein wichtiger Faktor, der im Zusammenhang mit einer größeren
   Arbeitszufriedenheit und einem größeren Arbeitsengagement bei den Beschäftigten steht.
   Für die Beschäftigten ist es zudem besonders motivierend, positive Entwicklungen und Erfolge
   von Klienten/-innen mitzuerleben und deren Wertschätzung und Anerkennung für die
   eigene Arbeit zu erfahren.

                                                                                                         „Ein Erfolgserlebnis ist, wenn
   Dennoch beschreibt ein großer Anteil der Mitarbeiter/
                                                                                                        jemand in die eigene Wohnung
   -innen, wenig Erfolge in ihrer Arbeit zu sehen und                                                 einzieht, und wenn man dabei noch
   Schwierigkeiten bei der Motivation der Klienten/-                                                   unterstützen konnte, erst recht.“
   innen und dem Finden von Lösungsmöglichkeiten für                                                   Quereinsteiger, Wohnungslosenhilfe

   deren Probleme zu haben (Abb. 8).                  »

              Bedeutung                                                                                        81
               der Arbeit                                                                              74

                              0        10        20        30      40         50         60     70       80         90     100

                Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253)                              Andere Berufe (n = 10.022)

   Abb. 7 Mittelwertvergleich der Skala zur Bedeutung der Arbeit

                Wie oft erleben Sie die folgenden Aspekte im Rahmen Ihrer Arbeitstätigkeit?

                                                                                                                                   2,8
     Wenig sichtbare Erfolge in der Arbeit
                                           1,2   15,4                             49,8                              30,8
                     mit Klienten/-innen
                                                                                                                                   3,2
               Probleme Klienten/-innen
                                        0,8 11,9                           47,6                                 36,5
                          zu motivieren
                                                                                                                                   3,2
         Geringe Lösungsmöglichkeiten
                                        0,4 10,3                    41,7                                    44,4
       für Probleme der Klienten/-innen

                                            0%     10%       20%   30%            40%    50%    60%     70%         80%    90%      100%

                                                   Nie/fast nie         Selten            Manchmal            Oft          Immer

   Abb. 8 Erfolge und Schwierigkeiten bei der Problemlösung der Klienten/-innen

                                                                                         Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen          15
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

                                                                         „Ich sehe dann bei mir auch so eine Spirale
     Als Ursachen für diese Schwierigkeiten beschrei-           oder Hilflosigkeit (...). Das ist für mich schon
                                                                  teilweise sehr traurig und frustrierend.
     ben Beschäftigte z. B. gesellschaftliche Barrieren
                                                                Ich sage immer, ich hätte gerne eine Schub-
     für Klienten/-innen und schwierige Rahmenbe-                     lade mit 500 Wohnungen (...).“
     dingungen am Wohnungmarkt. Manche sehen                        Sozialarbeiterin, Wohnungslosenhilfe
     das Hilfsangebot durch gesetzliche Vorgaben und
     für bestimmte Gruppen von Klienten/-innen wie
     EU-Zugewanderte, schwer traumatisierte oder suchtkranke Klienten/-innen, als eingeschränkt
     an. Für die Mitarbeiter/-innen ist das frustrierend und kann zu Gefühlen der Hilflosigkeit
     führen.

     Handlungsempfehlungen:

           Verhältnisorientiert                                   Verhaltensorientiert
           • Erfolge sichtbar machen, z. B. Team-                 • Stecken realistischer Ziele/
             sitzungen/Fallbesprechungen –                          kleinschrittiger Teilziele
             sofern passend – mit einer „Erfolgs-                 • Bewusstmachen kleiner Erfolge
             runde“ einleiten [14]                                  (Selbstreflexion)
           • Angebot von Workshops zur Selbst-                    • Erfolge dokumentieren/visualisieren
             reflexion
                                                                  • Erfolge im Team gemeinsam „feiern“
           • Methoden zum Bewusstmachen von
             Arbeitserfolgen in Fortbildungen
             integrieren
           Politische Forderung
           • Verbesserung der Rahmenbedingungen
             am Wohnungsmarkt
             (z. B. durch verstärkten
             sozialen Wohnungsbau)

16   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
„Durch diese Probleme, (…),
Emotionale Anforderungen                                                                         von den Erzählungen, ja,
                                                                                               das habe ich eine Weile mal
Geflüchtete und wohnungslose Klienten/-innen befinden sich
                                                                                                fast zu eigenen gemacht.“
in sehr prekären Lebenslagen und ein erheblicher Anteil von                     Quereinsteiger,
ihnen leidet unter einer schweren Traumatisierung. Bei ihrer                   Wohnungslosenhilfe
Arbeit erlangen die Beschäftigten häufig Einblick in die per-
sönlichen Hintergründe und Geschichten ihrer Klienten/-in-
nen. In der Onlinebefragung haben 59,3 % der Beschäftigten
angegeben, oft mit schweren persönlichen Schicksalen der Klienten/-innen konfrontiert zu
werden; 19,8 % erleben dies immer. Das Erleben dieser persönlichen Schicksale kann zu gro-
ßen emotionalen Anforderungen durch die Arbeit führen. Für Beschäftigte sind z. B. die
Traumatisierungen und Ängste, Fluchtgeschichten, Verwahrlosung, Todesfälle und Rückfälle
von Klienten/-innen emotional belastend.
Die Notwendigkeit, Emotionen wie Gefühle und Meinungen bei ihrer Arbeit zu verbergen, sowie
die emotionalen Anforderungen halten Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungs-
losenhilfe für ausgeprägter als Beschäftigte in anderen beruflichen Bereichen (Abb. 9).
Beide Faktoren stehen im Zusammenhang mit dem Erleben von Stress sowie einer größeren
Burnout-Gefährdung und wirken sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit und das Arbeits-
engagement aus.                                                                                   »

              Verbergen von                                          51
                 Emotionen                                      46

                Emotionale                                                         66
             Anforderungen                                           52

                               0      10        20   30   40    50        60       70     80       90    100
                    Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253)              Andere Berufe (n = 10.022)

Abb. 9 Mittelwertvergleiche von Skalen zur Arbeit mit Emotionen

Handlungsempfehlungen:

      Verhältnisorientiert                                           Verhaltensorientiert
      • Regelmäßige Fallbesprechungen im                             • Nutzung aktiver/instrumenteller
        Team (mindestens monatlich)                                    Bewältigungsstrategien [15]
                                                                          (z. B. soziale Unterstützung im beruflichen/
      • Informeller Austausch im Team über                                privaten Umfeld, aktiver Austausch im
        emotionale Belastungen                                            Kollegen/-innenkreis, Einholen von Informa-
        (siehe Kapitel soziale Unterstützung)                             tionen [16] z. B. zu spezifischen Beratungs-
      • Gruppensupervisionen zur Verarbei-                                anlässen)
        tung der emotionalen Belastungen                             • Wahrnehmen von Kursangeboten
      • Beschäftigten (bei Bedarf) Einzel-                                (z. B. zur Stärkung der Resilienz und zum
        supervisionen anbieten                                            Erlernen adäquater Problemlösungs-
                                                                          bzw. Bewältigungsstrategien) [16]
      • Notfallpläne für besonders belas-
        tende Vorfälle (z. B. Suizidversuche,
        Todesfälle) entwickeln;
        Beschäftigten Zeit zur Verarbeitung
        geben
      • Bei Bedarf Fortbildungen zu Selbst-
        fürsorgethemen vermitteln

                                                                           Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen          17
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     Arbeitsmenge
                                                                                                            „Was so nebenbei noch eigentlich
     Die Arbeit in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe ist nicht immer         alles anfällt (...). Man betrachtet nur:
     gleichmäßig verteilt. Einige Beschäftigte beschreiben das Arbeitspensum als      „Die arbeiten mit vielen Leuten.“
                                                                                        Aber was sich organisatorisch
     wellenförmig, da sie sowohl ruhigere als auch sehr stressige Phasen
                                                                                      wirklich noch nebenbei abspielt,
     erleben, was zum Teil mit schwankenden Zahlen von Klienten/-innen                     das ist unglaublich viel.“
     zusammenhängt. Andere erleben die Arbeitsmenge als sehr groß sowie                   Ernährungswissenschaftlerin,
                                                                                               Wohnungslosenhilfe
     belastend und führen dies z. B. auf die zahlreichen unterschiedlichen Ar-
     beitsaufgaben, eine zu große Anzahl an Klienten/-innen und die Übernahme
     zusätzlicher Aufgaben aufgrund von Personalausfällen zurück.
     Quantitative Anforderungen umfassen Aspekte wie schnelles Arbeiten, sich auftürmende Ar-
     beit, nicht genügend Zeit zur Erledigung von Aufgaben und das Ableisten von Überstunden. Die
     Befragten aus der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe bewerten ihre quantitativen Anforde-
     rungen auf vergleichbarem Niveau wie der Durschnitt anderer Berufe in Deutschland (Abb. 10).
     Dennoch sollten die quantitativen Anforderungen ausreichend beachtet werden. Es gibt star-
     ke direkte Zusammenhänge zwischen den quantitativen Anforderungen und dem Erleben von
     Stress sowie einer erhöhten Burnout-Gefährdung. Bei großen quantitativen Anforderungen
     kann somit die Gesundheit der Beschäftigten gefährdet sein.

                           Quantitative                                         54
                         Anforderungen                                           55

                                          0       10   20    30     40     50    60      70     80     90     100
                               Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe (n = 253)         Andere Berufe (n = 10.022)

     Abb. 10 Mittelwertvergleich der Skala zu den quantitativen Anforderungen

     Handlungsempfehlungen:

          Verhältnisorientiert                                            Verhaltensorientiert
           • Die quantitativen Anforderungen                              • Priorisierung von Arbeitsaufgaben
             (Arbeitsmenge) der Beschäftigten an                           (siehe Kapitel Zeitdruck)
             das „Leistbare“ anpassen                                     • Wahrnehmen von Kursangeboten
           • Adäquate Gestaltung der Zielvor-                              (z. B. zu Stressreduktion, Zeitmanagement)
             gaben (z. B. zu Beratungs- oder                              • Reflexion des eigenen Anspruchs; An-
            Belegungszahlen)                                                passen an realisierbare Arbeitsmenge
           • Meldesystem für Überlastung in-                                und -qualität, individuell und im Team
             klusive wirkungsvoller Hilfemechanis-                        • Aufgabenverteilungen im Team bzw. mit
             men, die verbindlich Verbesserung                              der Führungskraft besprechen und da-
             erzielen                                                       rüber informieren
                                                                          • Überlastungen der Führungskraft melden
         Politische Forderung                                               und gemeinsam nach Lösungen suchen
           • Reduktion von Fallzahlen bzw.
             Anpassung der Personalschlüssel                             Hinweise für Führungskräfte
            (siehe Kapitel Personalausstattung)                           • Vertrauensvolle Basis im Team schaffen,
                                                                            in der Mitarbeiter/-innen eine zu große
                                                                            Arbeitsbelastung melden können
                                                                          • Regelmäßig gezielt nach der Arbeitsbe-
                                                                            lastung im Team fragen und ggf. gemein-
                                                                            sam Lösungen entwickeln

18   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Sprachliche und kulturelle Barrieren
Der Anteil nicht deutscher Klienten/-innen in der Wohnungslosenhilfe ist von 2007 bis 2017
von etwa 9 % auf knapp 26 % gestiegen. In manchen niedrigschwelligen Einrichtungen großer
Städte beläuft sich dieser Anteil sogar auf über 50 % [17]. Sowohl in der Geflüchtetenhilfe als
auch in der Wohnungslosenhilfe arbeiten die Beschäftigten daher mit Klienten/-innen unter-
schiedlichster kultureller Herkunft zusammen. Viele Beschäftigte empfinden gerade diese Ein-
blicke in andere Kulturen, Länder und Sprachen als sehr bereichernd. Andererseits erleben sie
sehr häufig sprachliche Barrieren (Abb.11). Durch diese sprachlichen Barrieren und kulturellen
Unterschiede kann die Beratung mehr Zeit in Anspruch nehmen, können Verhaltensweisen
von Klienten/-innen schwerer nachzuvollziehen sein und Missverständnisse auftreten. Beschäf-
tigte erleben zudem, dass nicht immer ausreichend Dolmetscher/-innen als Unterstützung bei
der Betreuung und Beratung ihrer Klienten/-innen zur Verfügung stehen.                      »

                               Wie oft erleben Sie sprachliche Barrieren in der Arbeit
            80%                                 mit Klienten/-innen?
                                                                                                     67,9
            70%
                                                                                             61,2
            60%
            50%
                                                              42,9
            40%
                                                                                     32,5
            30%
                                                                                                                    19,4
            20%                        16,7                          16,3                                                   14,3
                                                       7,1                  7,1
            10%    4,8           3,6          3,1                                                             3,2
                           0
             0%
                      Nie/fast nie            Selten               Manchmal                  Oft                    Immer

                     Wohnungslosenhilfe (n = 126)            Geflüchtetenhilfe (n = 98)             In beiden Bereichen (n = 28)

Abb. 11 Sprachliche Barrieren im Kontakt mit Klienten/-innen

Handlungsempfehlungen:

      Verhältnisorientiert                                                         Verhaltensorientiert
     • Mehrsprachiges Personal bzw. fachliche                                     • Fortbildung zum Erlernen der Grundlagen
       Qualifizierung von Personen mit relevan-                                     einer häufig vorkommenden Fremdsprache
       ten Fremdsprachenkenntnissen                                                 bzw. zur Förderung interkultureller Kom-
     • Verteilung der Fälle nach sprachlicher                                       petenzen
       Kompetenz                                                                  • Nutzung von Webseiten zum mobilen
     • Ausreichend Dolmetscher/-innen zur Ver-                                      Übersetzen
       fügung stellen, wenn es im Arbeitskontext
       sinnvoll erscheint                                                         • Die Hilfen an das Sprachniveau der
                                                                                    Klienten/-innen anpassen
     • Kooperation mit Projekten, die Sprachmitt-
       ler/-innen ausbilden/zur Verfügung stellen                                 • Umgang mit kulturellen Barrieren
                                                                                    (z. B. hinsichtlich Zuverlässigkeit und
     • Umgang mit sprachlichen Problemen
       z. B. im Kontext des Gesundheitswesens:                                      Erwartungen):
     		➞ Hinzuziehen von Gesundheitsmediatoren                                  ➞ Kulturelle Barrieren bzw. Unterschiede
     		➞ Nutzung von Sprachmittlungstools wie                                 			 gemeinsam mit Klienten/-innen reflek-
     			 medizinische Sprachführer für Arztbesuche
                                                                              			 tieren
     • Netzwerkarbeit: Informationsaustausch über
       Sprachkenntnisse vergleichbarer sozialer Ein-                            ➞ den Klienten/-innen mit Geduld und
       richtungen, ggf. Empfehlungen, um „Angebot                             			 Ausdauer begegnen
       und Nachfrage“ zusammenzubringen                                            ➞ an die Eigenverantwortung appellieren
   Politische Forderung                                                            ➞ Folgen des Verhaltens verdeutlichen
     • Forcierung der interkulturellen Öffnung
       der Verwaltung
     • Finanzierung von Deutschkursen für Ge-
       flüchtete (auch ohne Aufenthaltstitel), zur
       Realisierung deutschsprachiger Hilfen

                                                                                         Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen   19
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Klienten/-innen
     Die enge Zusammenarbeit mit Klienten/-innen ist einer der Kernpunkte der Arbeit in der Ge-
     flüchteten- und Wohnungslosenhilfe. Dabei kommt es jedoch auch zu Schwierigkeiten. Etwa
     54,1 % der Befragten aus der Onlineerhebung erleben immer oder oft, dass Klienten/-innen
     übersteigerte Erwartungen ihnen gegenüber haben. Im Zusammenhang mit
     großen und zum Teil unrealistischen Erwartungen berichten Beschäftigte             „Wir werden auch nicht immer
     dass die Klienten/-innen z. B. die gesamte Verantwortung bei ihren Betreuen-      mit offenen Armen empfangen,
     den sehen und sofortige oder persönliche Hilfe erwarten. Die Beschäftigten        das heißt, wir werden aggressiv
                                                                                       verbal beschimpft, es gibt auch
     haben manchmal Mühe, sich von solchen Forderungen abzugrenzen.
                                                                                                               nonverbale Aggressivität bzw.
                                                                                                                  Gewalt gegen uns (…).“
     Darüber hinaus nehmen Beschäftigte den Umgang mit aggressivem Verhalten        Ouereinsteiger, Wohnungslosenhilfe
     von Klienten/-innen und Gewaltvorfällen in den Einrichtungen als besonders
     schwierig wahr. Konflikte können z. B. zwischen Klienten/-innen untereinander,
     aber auch mit Beschäftigten auftreten. Etwa 76,4 % der Befragten haben in
     den vergangenen zwölf Monaten verbale und 30,4 % körperliche Aggressionen durch Klien-
     ten/-innen erlebt (Abb. 12).                                                            »

               Haben Sie in den letzten 12 Monaten körperliche/verbale Aggressionen
           80%                      durch Klienten/-innen erlebt?
                      69,6
           70%
           60%
           50%
           40%
                                                                  28,0
           30%               23,6
                                                                                      19,6
           20%                          13,0 12,8                                                       16,0
                                                           11,5
           10%                                                                  5,1
                                                                                                  0,8
            0%
                         Nie             1x im Jahr     1x im Vierteljahr      1x im Monat      Mind. 1x in der
                                                                                                   Woche
                                    Körperliche Aggressionen             Verbale Aggressionen

     Abb. 12 Erfahrungen mit körperlichen und verbalen Aggressionen

20   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Handlungsempfehlungen:

   Verhältnisorientiert                             Verhaltensorientiert

  Gewaltprävention                                 Gewaltprävention
   • Hausordnung/Regeln für Klienten/-innen [18]    • Vermeiden von Situationen, die Klienten/-
                                                      innen bedrängen könnten (psychisch und
   • Beratungsgespräche möglichst nicht 		            physisch)
     unter Substanzeinfluss durchführen
                                                    • Ggf. weiterführende Hilfen für die Probleme
   • Fallbearbeitung im Tandem;                       der Klienten/-innen finden (z. B. Verweisbe-
     Vermeidung von Alleinarbeit in                   ratung bei stärkeren psychischen Problemen
     kritischen Situationen                           oder Drogenabhängigkeit)
   • Bei schwierigen Beratungssituationen 		        • Vor schwierigen Gesprächen mögliche
     sicherstellen, dass Kollegen/-innen in           Lösungswege und Notfallpläne bedenken
     Sicht- bzw. Hörweite sind                        (in Wohnungen von Klienten/-innen auch
   • Möglichkeiten, Fälle an andere Kollgen/-         Fluchtwege)
     innen bzw. Einrichtungen abzugeben             • In Beratungsbüros Gegenstände, die poten-
   • Beratung und Informationen zur Gewalt-		         ziell als „Waffen“ dienen können, verstauen
     prävention durch die Polizei                   • Konflikt- und Deeskalationstraining; Informa-
   • Sichere Gestaltung der Arbeitsumgebung           tion zum Umgang mit Gewaltvorfällen
     (z. B. Notfallknöpfe, Fluchtmöglichkeiten/-    • Erlernen und regelmäßiges Auffrischen von
     türen, Rückzugsräume) [18]                       körperlichen Abwehrtechniken und mentaler
   • Anleitungen/Richtlinien zum Verhalten 		         Abgrenzungsfähigkeit
     bei Gewaltvorfällen (Notfallplan) [18]         • Ggf. Nachsorgeangebote nach Gewaltvor-
   • Erfassung/Dokumentation von Gewaltvor-           fällen wahrnehmen (z. B. das Psychothera-
     fällen; ggf. Meldung als Arbeitsunfall [18]      peutenverfahren der BGW)
   • Nachsorgekonzept für Gewaltvorfälle [18]      Motivation und Erwartungen von
                                                   Klienten/-innen
  Motivation und Erwartungen von                    • Klare Information über Zuständigkeiten;
  Klienten/-innen                                      Über Grenzen der Hilfsangebote reflektieren,
   • Fortbildungen zum Thema Motivation von            diese definieren und den Klienten/-innen
      Klienten/-innen                                  aufzeigen
  Politische Forderung                              • Realistische Erwartungen an die Hilfen ver-
   • Verbesserung der Leistungsangebote für           mitteln, um Konflikten durch übersteigerte
     Klienten/-innen (z. B. Wohnverhältnisse, 		      Erwartungen vorzubeugen
     Therapieplätze, Freizeitangebote), um          • Geduldig und konsequent die Regeln der
     Konflikten vorzubeugen; Öffentlichkeits-         Beratung/Hilfen vermitteln und durchsetzen
     arbeit zu diesem Thema
                                                    • Keine privaten Fotos oder Informationen im
                                                      Blickfeld der Klienten/-innen, um professio-
                                                      nelle Distanz zu wahren

                                                       Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen       21
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     2.2 Arbeitsorganisation
     Personalausstattung
     Sowohl in der Geflüchteten- als auch in der Wohnungslosenhilfe empfinden die Beschäftigten
     die Personalausstattung in ihrer Einrichtung zur Betreuung der Klienten/-innen häufig als nicht
     ausreichend (Abb. 13)
                                                                                         „Das ist eigentlich der Hauptgrund,
     Viele Beschäftigte fühlen sich durch zu wenig Personal bzw. zu große     warum wir hier an der und über der
                                                                              Grenze arbeiten, weil wir nämlich zu
     Betreuungsschlüssel überlastet. Im Einzelnen erleben Beschäftigte,
                                                                                  wenig Personal hier haben.“
     dass in den Einrichtungen Fachkräfte, z. B. mit speziellen Sprach-         Quereinsteiger, Wohnungslosenhilfe
     kenntnissen, fehlen. Zudem werden sie in Diensten zeitweise allein
     oder nur mit wenigen anderen Beschäftigten eingesetzt. Dabei
     fühlen sie sich im Hinblick auf Konfliktsituationen mit Klienten/-innen überfordert und em-
     pfinden ihre Sicherheit als nicht gewährleistet. Vorübergehende personelle Probleme sind
     in der Vergangenheit auch durch den großen Bedarf an Fachkräften im Zuge der starken
     Flüchtlingszuwanderung sowie durch einen hohen Krankenstand und eine hohe Fluktuation
     innerhalb des eigenen Teams oder des Trägers entstanden.

                            Wie oft erleben Sie, dass zu wenig Personal zur Betreuung
                             der Klienten/-innen in der Einrichtung vorhanden ist?
              40%

                                                       29,5
              30%                                                     25,5
                                            20,3
              20%                                                                      17,1

              10%           7,6

                0%
                         Nie/fast nie       Selten    Manchmal          Oft           Immer

     Abb. 13 Empfundene Personalausstattung in den Einrichtungen

     Handlungsempfehlungen:

           Verhältnisorientiert                                    Verhaltensorientiert
           • Attraktive und gesunde Arbeitsbedin-                  • Wertschätzender Umgang mit
             gungen schaffen, um Fluktuation                         Kollegen/-innen für ein gutes
             und krankheitsbedingte Arbeitsun-                       Betriebsklima
             fähigkeiten zu reduzieren
                                                                   • Kontinuierlich das Leistungsspektrum
           • Abschließen oder Ausweitung von                         gemeinsam im Team überprüfen und
             Tarifverträgen anstreben
                                                                     an die Personalsituation anpassen
           • Arbeitsverträge möglichst entfristen,                   (ggf. Aufgaben anders verteilen oder
             um Personal zu binden                                   reduzieren)
                                                                   • Personalbedarf adressieren
           Politische Forderungen
           • Verbesserung der Personalschlüssel
           • Dem Fachkräftemangel durch Steige-
             rung der Attraktivität sozialer Berufe
             entgegenwirken

22   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Arbeitszeiten                                                                                                „Wünsche für Arbeitszei-
Knapp 12 % der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosen-                                              ten werden respektiert.
hilfe sind im Schichtdienst tätig. Zwischen den Arbeitsbereichen zeigt                                      Also es gibt verschiedene
                                                                                                             Schichten und du kannst
sich dabei kein nennenswerter Unterschied (Abb. 14).                                                           deine Lieblingsschicht
Beschäftigte im Schichtdienst empfinden diesen häufig als belastend. Dies                                    sagen und du bekommst
gilt insbesondere für einen unregelmäßigen Schichtrhythmus, geringe Ge-                                     sie meistens auch immer.“
                                                                                                                   Sozialarbeiterin,
staltungsmöglichkeiten und kurzfristige Änderungen am Schichtplan. Das                                             Geflüchtetenhilfe
Einbeziehen in die Dienstplangestaltung und eine Abstimmung im Team
können den Beschäftigten beim Umgang mit dem Schichtdienst helfen.

Bezüglich der Arbeitszeiten sind auch Überstunden für einige Beschäftigte ein wichtiges Thema.
Viele leisten teilweise oder regelmäßig Überstunden. Eine Möglichkeit des Überstundenaus-
gleichs wird dabei positiv wahrgenommen. Dennoch erleben Beschäftigte Konflikte zwischen
ihrem Berufs- und Privatleben aufgrund langer Arbeitszeiten oder des Schichtdienstes.       »

                                                   Sind Sie im Schichtdienst tätig?
           100%                                                                                          92,9
                                                                                89,4         86,5
            90%
            80%
            70%
            60%
            50%
            40%
            30%
            20%               10,6           13,5
                                                        7,1
            10%
             0%
                                              Ja                                             Nein
                 Geflüchtetenhilfe (n = 94)           Wohnungslosenhilfe (n = 126)          In beiden Bereichen (n = 28)

Abb. 14 Schichtdienst in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe

Handlungsempfehlungen:

      Verhältnisorientiert                                                   Verhaltensorientiert
    • Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben                               • Verantwortungsbewusster Umgang
      individuell berücksichtigen                                               mit Überstunden
    • Partizipation der Beschäftigten hinsichtlich                            • Zeit für Pausen einplanen und
      Arbeitszeiten (z. B. Wünsche bei Schicht-
      planungen berücksichtigen)                                                Erholungspausen einlegen
    • Regelmäßiger Schichtrhythmus und diesen                                 • Im Team auf die Einhaltung von
      nach gesundheitlichen Gesichtspunkten ge-                                 Arbeits- und Pausenzeiten achten
      talten (vorwärts rotierende Schichtpläne) [19]
    • Frühzeitige Schichtplanung; kurzfristige
      Schichtänderungen vermeiden
    • Flexibles Arbeitszeitmodell implementieren,
      sofern feste Öffnungs- und Beratungszeiten dies
      zulassen
    • Erfassung von Überstunden und Möglichkeit zum
      Überstundenausgleich und/oder -abgeltung ‚
      (Freizeitausgleich oder monetäre Entlohnung) [19]
    • Etablierung einer Unternehmenskultur, in der
      Überstunden möglichst vermieden [19] und Pausen
      eingelegt werden (bei rechtlichen Fragen hinsicht-
      lich Arbeitszeiten kann ggf. ein Betriebsrat unter-
      stützen)

                                                                                    Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen           23
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     Zeitdruck
                                                                                                                „Es gibt viele Notfälle, die bei
     Viele Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe müssen eine        uns auftauchen (…). Und das
     große Arbeitsmenge bewältigen und häufig dringliche Aufgaben erledigen,          Problem   ist, dass man nicht die
                                                                                        zeitlichen Kapazitäten hat,
     wodurch sie teilweise unter Zeitdruck arbeiten. Dies führt bei einigen zu einem
                                                                                       diese Notfälle dann adäquat
     Gefühl der Überforderung und kann sich negativ auf ihre Gesundheit auswir-                 zu bedienen.“
     ken. Manche Beschäftigte befürchten zudem, dass die Qualität ihrer Arbeit          Sozialarbeiterin, Geflüchtetenhilfe

     unter dem Zeitdruck leiden könnte. In der Onlinebefragung haben lediglich
     13,1 % der Beschäftigten angegeben, nie oder selten unter Zeitdruck bei ih-
     rer Arbeit zu stehen. Etwa 38,5 % erleben manchmal, 40,1 % oft und 8,3 %
     immer ein Gefühl von Zeitdruck. Häufige Arbeitsunterbrechungen (z. B. durch Anrufe oder An-
     liegen von Klienten/-innen oder Kollegen/-innen) und plötzlich auftretende dringend zu erle-
     digende Aufgaben tragen im höchsten Maß zu dem Erleben von Zeitdruck in der betrachteten
     Branche bei (Abb. 15).

                               In welchem Maß tragen die folgenden Aspekte zu Ihrem
                                         In welchem Maß tragen die folgenden Aspekte zu Ihrem
                                             Erleben Erleben
                                                      von Zeitdruck     bei?bei?
                                                             von Zeitdruck

                    Häufige Arbeitsunterbrechungen                                                 70,9*

                     Plötzliche, dringliche Aufgaben                                             70,2

               Gleichzeitig zu erledigende Aufgaben                                          67,7

        Hoher Verwaltungs-/Dokumentationsaufwand                                             67,3

         Hohe Anzahl zu betreuender Klienten/-innen                                       60,5

                                                       0   10   20   30   40   50    60      70     80    90     100
                                                    In sehr                                                      In sehr
                                                geringem Maß                                                   hohem Maß

     Abb. 15 Ursachen von Zeitdruck *Skalenmittelwerte

     Handlungsempfehlungen:

           Verhältnisorientiert                                           Verhaltensorientiert
           • Strukturen möglichst effizient                               • Kollegialer Austausch im Hinblick auf
             gestalten                                                      Zeitmanagement und Prioritätensetzung
           • Arbeitsstrukturen mit wenig Unter-                           • Bei Arbeitsaufgaben Prioritäten setzen
             brechungen/Störungen schaffen                                 (ggf. unwichtige Aufgaben streichen oder
             (z. B. Telefone/Handys können während                         verschieben, Aufgaben delegieren)
             der Beratung von Klienten/-innen lautlos
                                                                          • Verbesserung des eigenen Zeitmanage-
             gestellt oder umgestellt werden; Ampel-
                                                                            ments (z. B. genügend Zeit für Termine und
             system zum Anzeigen von Arbeitspha-
                                                                           Pausen zwischen Terminen einplanen)
             sen: ansprechbar bis hochkonzentriert)
                                                                          • Bedürfnisse der Klienten/-innen nicht
           • Arbeitsabläufe/Aufgabenverteilung
                                                                            zwangsläufig über eigene Bedürfnisse
             verbessern (z. B. Führungskräfte planen
                                                                            stellen (z. B. „Nein“ sagen lernen)
             und verteilen die Arbeit vorausschauend,
             um spontane Arbeitsaufträge zu reduzie-                      • Fortbildungen zum Zeitmanagement
             ren; Vertretungsregelungen bei Personal-                       besuchen
             ausfällen)                                                   • Entspannungsmethoden im Arbeitsalltag
           • Für verdichtete Arbeitsphasen Unter-                           anwenden
             stützungsstrukturen schaffen

24   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Zusammenarbeit mit Dritten/Netzwerke                                                              „Ich finde immer, Netzwerke
                                                                                                                    sind total wichtig. Das entlastet
                          Bei der Betreuung von Klienten/-innen arbeiten Beschäftigte in                            einfach, und wenn die gut funk-
                          der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe häufig mit Dritten                                 tionieren, dann ist eigentlich
                                                                                                                             viel gewonnen.“
                          zusammen. Das können andere Hilfsangebote, Behörden/Ämter
                                                                                                      Heilerziehungspflegerin,
                          und Jobcenter oder Netzwerke der Klienten/-innen, wie z. B. Vor-                Geflüchtetenhilfe

                          münder, Lehrer/-innen und Rechtsanwälte, sein. Eine gut funktio-
                          nierende Zusammenarbeit kann für die Beschäftigten eine Entlas-
                          tung darstellen.
                                         Oftmals birgt die Zusammenarbeit jedoch auch Herausforderungen. Bei der
„Man hat da manchmal das                 Vermittlung von Klienten/-innen in andere Hilfen erleben Beschäftigte, dass die-
 Gefühl, man müsse gegen
                                         se überlaufen und die Wartezeiten für Termine lang sind. Zudem geben etwa
  Verwaltungen kämpfen,
 um für die Ratsuchenden                 70 % der Befragten an, oft/immer rechtliche und bürokratische Hindernisse (z. B.
    etwas zu erreichen.“                 komplizierte Antragsverfahren) und eine erschwerte Zusammenarbeit mit Behör-
   Erziehungswissenschaftler,
        Geflüchtetenhilfe                den zu erleben (Abb. 16). Bezüglich der Zusammenarbeit mit Behörden/Ämtern
                                         und Jobcentern schildern Beschäftigte eine schlechte Erreichbarkeit, fehlende
                                         Ansprechpartner/-innen, lange Wartezeiten auf Rückmeldungen, intransparente
                          Entscheidungen und unrealistische Anforderungen, die von diesen Stellen an Klienten/-innen
                          gerichtet werden, wie das Ausfüllen unverständlicher Formulare.                                   »

                                                                        Wie oft erleben Sie ...

                          Rechtliche/bürokratische
                                      Hindernisse    0,4 5,5         22,9                          51,0                            20,2

                       Erschwerte Zusammenarbeit
                                     mit Behörden    0,8 7,9          21,3                             54,5                         15,4

                                                      0%       10%      20%      30%     40%     50%      60%     70%     80%       90%    100%
                                                                      Nie/fast nie     Selten     Manchmal        Oft      Immer

                     Abb. 16 Zusammenarbeit mit Behörden und bürokratische Hindernisse

                    Handlungsempfehlungen:

                           Verhältnisorientiert                                                 Verhaltensorientiert
                           • Förderung von Netzwerken und                                       • Netzwerkveranstaltungen besuchen/
                             regelmäßigem Austausch                                               Networking
                           • Kooperationen mit anderen Hilfe-                                   • Konstruktive Zusammenarbeit mit
                             angeboten                                                            Dritten anstreben (z. B. positiv an behörd-
                                                                                                 liche Stellen herantreten und ihnen mit
                           • Beziehungspflege und Sensibilisie-
                                                                                                 Offenheit und Verständnis begegnen)
                             rung von Behörden/Ämtern
                             (z. B. kooperative Zusammenarbeit
                             anstreben und feste Ansprechpartner/-
                             innen für die eigene Einrichtung finden)

                           Politische Forderungen
                           • Abbau bürokratischer Hindernisse
                             und Beschleuniung und Verschlan-
                             kung von administrativen Prozessen

                                                                                                   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen       25
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     2.3 Soziale Beziehungen                                                                   „Jeder arbeitet anders, jeder
                                                                                             tickt anders und da dann irgend-
     Soziale Unterstützung im Team                                                          wie Kompromisse zu schaffen, (...),
                                                                                             weil wir alle eigentlich an einem
     Ein gutes Teamklima stellt eine besonders wichtige Arbeitsressource für
                                                                                              Strang ziehen müssen und alle
     Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe dar und stärkt                ähnlich arbeiten müssen, aber das
     ihre Freude an der Arbeit und ihr Wohlbefinden. In schwierigen Situationen               funktioniert oftmals nicht. Und
     oder bei arbeitsbezogenen Problemen sind die Kollegen/-innen oftmals die                     dann entstehen auch im
                                                                                                     Team Konflikte.“
     ersten Ansprechpartner/-innen.                                                             Sozialarbeiterin, Geflüchtetenhilfe

     Zu einem starken Zusammenhalt im Team tragen laut den Beschäftigten vor
     allem eine bereits längere Zusammenarbeit in dieser Konstellation, ein guter
     und regelmäßiger Austausch, die offene Klärung von Meinungsverschiedenheiten, eine enge
     Zusammenarbeit und das gemeinsame Meistern von Herausforderungen bei. Negativ auf das
     Team auswirken können sich dagegen eine hohe Fluktuation, eine große Arbeitsbelastung und
     unterschiedliche Sicht- und Arbeitsweisen, z. B. in Bezug auf die Ausübung von Druck auf und
     Sanktionen gegen Klienten/-innen und den Grad der Hilfestellung für Klienten/-innen.

     Insgesamt bewerten Beschäftigte in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe die erhaltene
     soziale Unterstützung durch Kollegen/-innen und unmittelbare Vorgesetzte mit einem Durch-
     schnittswert von 73 von maximal 100 Punkten vergleichsweise gut. Mehr soziale Unterstützung
     steht im Zusammenhang mit einer größeren Arbeitszufriedenheit bei den Beschäftigten.

     Handlungsempfehlungen:

           Verhältnisorientiert                            Verhaltensorientiert

           • Förderung des Betriebsklimas                  • Wertschätzenden Umgang mit Kollegen/-
           • Regelmäßige Teamsitzungen                       innen pflegen

           • „Positivrunde“ in Teamsitzungen ein-          • Kollegen/-innen im Arbeitsalltag posi-
             führen (alle äußern sich kurz über etwas        tives Feedback geben
             Positives, z. B. Positives in der Zusamen-    • Gegenseitige Unterstützung: „offenes
             arbeit im Team, Wertschätzung von               Ohr“ für Kollegen/-innen haben
             Kollegen/-innen, positive Ereignisse in der
             Arbeit allgemein)
           • Zusammenhalt im Team stärken (z. B.
             teambildende Maßnahmen, regelmäßig
             gemeinsame Mittagsrunden)
           • Zeit für kollegialen Austausch geben
             (für emotional belastende Themen ggf.
             Austausch in Kleingruppen ermöglichen)
           • Förderung einheitlicher Arbeitsweisen
             (z. B. durch Ablaufpläne und Vorgaben zur
             Betreuung der Klienten/-innen, gemein-
             sames, partizipativ entwickeltes Leitbild,
             umfassende Einarbeitung neuer Beschäf-
             tigter)
           • Möglichst beständige Teamzusammen-
             setzung
           • Angebot von Mediation für Meinungsver-
             schiedenheiten im Team

26   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
Unterstützung und Wertschätzung durch Führungskräfte                                   „(...) dass wir eine Chefin haben,
                                                                                        die für uns ein offenes Ohr hat
Die Unterstützung und Wertschätzung der eigenen Arbeit durch die                       und uns ernst nimmt. Das ist halt
Führungskraft ist für Beschäftigte in der Geflüchteten- und Woh-                       auch schon viel wert (…) und das
nungslosenhilfe ebenfalls eine wichtige Ressource. Unterstützung                        macht die Arbeit dann auch ein
                                                                                               bisschen einfacher.“
kann für Beschäftigte bedeuten, dass Vorgesetzte ihnen z. B. in Kri-   Sozialarbeiterin, Wohnungslosenhilfe
sensituationen helfen, auf die Pauseneinhaltung achten oder Maß-
nahmen zur Reduzierung der Arbeitsbelastung unterstützen. Beson-
ders positiv und entlastend empfinden Beschäftigte es, wenn Vor-
gesetzte für fachliche Fragen und Probleme ansprechbar sind. Wichtig ist den Beschäftigten
zudem, dass die Entscheidungen der Führungskräfte transparent sind, dass diese Interesse für
die Belange der Beschäftigten zeigen und deren Ideen und Wünsche berücksichtigen.

Ein Großteil (44,3 %) der Befragten in der Geflüchteten- und Wohnungslosenhilfe erfährt in
hohem oder sehr hohem Maß Anerkennung und Wertschätzung durch die Führung (Abb. 17).
Jedoch geben auch 21 % an, dies nur in geringem oder sehr geringem Maß zu erhalten.     »

                             Erfährt Ihre Arbeit Anerkennung und Wertschätzung
                                              durch die Führung?
         40%
                                                     34,8

         30%
                                                                       25,3

         20%                                                                              19,0

                       9,9                  11,1
         10%

          0%
                      In sehr         In geringem   Zum Teil         In hohem            In sehr
                  geringem Maß            Maß                           Maß            hohem Maß

Abb. 17 Wertschätzung durch die Führung

Handlungsempfehlungen:

      Verhältnisorientiert                                      Verhaltensorientiert
      • Etablierung von Mitarbeiterjahres-                     Hinweise für Führungskräfte
        gesprächen (in denen u. a. Wünsche                      • Einbezug von Beschäftigten in wichtige
       und Erfolge der Mitarbeiter/-innen
                                                                  Entscheidungen
       besprochen werden)
                                                                • Offenheit für fachliche Fragen und
      • Betriebliches Vorschlagswesen
                                                                  Probleme der Beschäftigten
      • Fort- und Weiterbildungen der
                                                                • Gute Vertrauensbasis zu den Mitarbei-
        Führungskräfte
                                                                  ter/-innen schaffen
       (z. B. zum Thema Unterstützung und
       Wertschätzung von Mitarbeiter/-innen)                    • Arbeitsaufwand und Leistungen der
                                                                  Mitarbeiter/-innen anerkennen
      Politische Forderung                                      • Verantwortungsbewusstsein für die
      • Leistungsgerechte Entlohnung                              Gesundheit der Beschäftigten
       der Beschäftigten
                                                                • Zeit für Führungsarbeit nehmen
                                                                  (z. B. durch Delegation von inhaltlichen
                                                                  Aufgaben)

                                                                   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen       27
Arbeitsanforderungen und -ressourcen

     2.4 Arbeitsumgebung

     Eine gesunde und sichere Arbeitsumgebung, z. B. durch eine ergonomische Arbeitsplatzge-
     staltung und geeignete Arbeitsmittel, kann sowohl die körperliche als auch die psychische
     Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter/-innen verringern[13]. Dabei spielt für die Beschäftigten
     nicht nur der eigene Arbeitsplatz eine Rolle, sondern gerade in Wohnheimen und Gemein-
     schaftsunterkünften auch die Unterbringung der Klienten/-innen. Sind die Einrichtungen
     überfüllt oder Klienten/-innen in Containerwohnheimen oder trotz psychischer Erkrankung
     in Mehrbettzimmern untergebracht, erschwert das auch die Arbeit der Beschäftigten. Ihnen
     stehen dann z. B. keine Gruppenräume für die Betreuung zur Verfügung und es entstehen
     schneller Spannungen zwischen Klienten/-innen. Sind die Klienten/-innen dagegen in Einzel-
     apartments untergebracht, müssen die Beschäftigten oftmals weniger Konflikte schlichten. Zu-
     dem kann für die Beschäftigten die Arbeit in Mehrpersonenbüros ungünstig sein, da bei ver-
     traulichen Gesprächen mit den Klienten/-innen deren Privatsphäre verletzt wird. Ein eigener
     Arbeitsplatz oder die Arbeit in großzügigen Zweierbüros führt hingegen zu einer größeren
     Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz.
                                                                                              „Da sie sehen, wenn ich hier
                                                                                           wieder reingehe – von der Toilette
     Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Arbeitsumgebung ist die Möglich-
                                                                                            oder vom Essen –, gleich hinter-
     keit zur Pausengestaltung. Wenn den Mitarbeiter/-innen kein geeigneter                herkommen und sagen: „Ich habe
     Pausenraum zur Verfügung steht, müssen die Pausen möglicherweise im                   noch dieses und jenes!“ Und dann
     Büro verbracht werden, was Störungen durch Klienten/-innen befördert.                 denke ich: „Das ist meine Pause!“
                                                                                               Dass es da so schwer ist,
     Eine adäquate Erholung ist für die Beschäftigten dann kaum möglich.
                                                                                                  sich abzugrenzen.“
     Eine Vielzahl ihrer Tätigkeiten üben die Beschäftigten in der Geflüch-                          Quereinsteigerin,
     teten- und Wohnungslosenhilfe am Computer aus. Gibt es zu wenige                               Wohnungslosenhilfe

     Computer, nur geteilte Computerarbeitsplätze oder kleine Laptops, kann
     das für die Mitarbeiter/-innen ebenfalls hinderlich und belastend sein.

     Handlungsempfehlungen:

           Verhältnisorientiert                             Verhaltensorientiert
          • Ausreichend (bestenfalls eigene)                • Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse
            PC-Arbeitsplätze                                  der Kollegen/-innen
          • Beratungsbüros (für vertrauliche                • Ggf. Gehörschutz für konzentriertes
            Gespräche mit Klienten/-innen)
                                                              Arbeiten nutzen
          • Pausen- und Rückzugsräume
            (für Klienten/-innen nicht zugänglich)          • Einhalten von Pausen- und Regene-
                                                              rationszeiten
          • Lärmquellen reduzieren, ggf. Lärm-
            schutzmaßnahmen ergreifen
          • Ausreichende Beleuchtung
          • Regelmäßige Durchführung von
            Gefährdungsbeurteilungen:
            ➞ Begehung der Räume
            ➞ Einbeziehung der psychischen
          			 Belastungen
            ➞ Umsetzung notwendiger Maßnahmen
        Politische Forderungen
          • Bereitstellung ausreichend großer Unter-
        		 künfte für Klienten/-innen
        		(möglichst mit Einzelapartments und
        		Gruppenräumen)
          • Überprüfung, ob gesetzlich vorgeschriebene
            Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 Arbeits-
            schutzgesetz durchgeführt werden

28   Praxishandbuch_2020_Arbeitsanforderungen
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