Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung aus dem Studium heraus? - DGUF

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                               Prekariat und Selbstausbeutung:
       publication there: http://journals.ub.uni-heidelberg.de/arch-inf TheEine   kontinuierliche
                                                                            printed                   Entwicklung
                                                                                    volume will be available             aus dem Studium heraus?
                                                                                                             there: http://www.archaeologische-informationen.de.

                               Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung
                                                                      aus dem Studium heraus?

                                                                                                                           Doris Gutsmiedl-Schümann

                   Zusammenfassung – Ausgehend von der Beobachtung, dass bereits während des Studiums in der Annahme, nur so erfolgreich einen
                   Abschluss erwerben zu können, Selbstausbeutung sowohl erwartet als auch praktiziert wird, möchte dieser Beitrag insbesondere Lehren-
                   de und in der Studiengangsplanung Tätige für diese Problematik und die darin implizierte Ungleichbehandlung Studierender sensibilisie-
                   ren. Es wird zudem aufgezeigt, dass im Zuge der Bologna-Reform und der damit verbundenen Einführung modularisierter Studiengänge
                   das Äquivalent einer Vollzeitstelle als Maßstab für die Studiengangsplanung herangezogen wurde.

                   Schlüsselwörter – Archäologie; Studium; Studiengangsplanung; Curriculum; Workload; Praktika

                   Title – Precariat and self-exploitation: An ongoing development out of study programmes?

                   Abstact – Based on the observation that self-exploitation is both expected and practised in study programmes, assuming that students
                   are only able to successfully acquire a degree that way, the article aims to sensitize lecturers and those involved in study programme to
                   this problem and the implicit unequal treatment of students. It is also discussed that with the Bologna reform and the introduction of modu-
                   larized study programmes, the equivalent of a full-time position was used as a benchmark for course planning.

                   Key Words – archaeology; study programme; study programme management; workload; practical training

                   Einleitung                                                                   Abgesehen davon, dass wahrscheinlich jede
                                                                                            bei diesen Erstsemesterbegrüßungen anwesende
                   Meinem Diskussionsbeitrag zum Thema „Preka-                              Person eine andere Vorstellung davon hat, was
                   riat und Selbstausbeutung“ möchte ich eine These                         unter „in der Archäologie etwas erreichen“ zu ver­
                   voranstellen: Selbstausbeutung wird bereits im                           stehen ist, ist diese Aussage per se problematisch.
                   Studium sowohl erwartet als auch praktiziert.                            Die Studierenden wurden zu diesem Zeitpunkt
                   Der Übergang von Studium zum Beruf erfolgt                               in der Regel im Rahmen von Studieninforma­
                   aus archäologischen Studiengängen heraus oft                             tionsveranstaltungen sowie im Prozess der Ein­
                   schleichend, daher wird die bereits im Studium                           schreibung immer wieder darauf hingewiesen,
                   praktizierte Selbstausbeutung auch im Berufsle­                          dass sie sich für ein Vollzeitstudium einschreiben,
                   ben unhinterfragt beibehalten.                                           welches analog zu einer Vollzeitstelle zu sehen
                       Diese These beruht zunächst einmal auf per­                          ist: Sie müssen also, wenn sie nach den vorge­
                   sönlichen Beobachtungen. Ich habe in den ver­                            sehenen Studienverlaufsplänen studieren, min­
                   gangenen Jahren jeweils zu Semesterbeginn un­                            destens mit den für eine durchschnittliche Voll­
                   terschiedliche Einführungsveranstaltungen und                            zeitstelle üblichen 40 Stunden pro Woche für das
                   Begrüßungen von Erstsemestern und Studieren­                             Studium rechnen. Diejenigen Studierenden, die
                   den durch verschiedene Professorinnen und Pro­                           nicht finanziell abgesichert und persönlich un­
                   fessoren archäologischer Disziplinen erlebt. So                          gebunden sind, sondern sich z. B. nebenher ihren
                   unterschiedlich diese Begrüßungen auch waren,                            Lebensunterhalt verdienen müssen, Kinder oder
                   eines hatten sie gemeinsam: Die Professorinnen                           pflegebedürftige Angehörige zu versorgen haben
                   und Professoren haben den Studierenden sehr                              oder andere Arten von Verpflichtungen haben,
                   deutlich gesagt, dass es nicht ausreiche, den ge­                        haben es damit schon schwer genug, ihr Studium
                   wählten Studiengang im vorgesehenen Studien­                             und andere Lebensbereiche unter einen Hut zu
                   plan zu studieren und die vorgesehenen Zeiten                            bekommen. Wenn Studierenden nun auch schon
                   für Praktika auch für diese zu nutzen, sondern                           im ersten Semester gesagt wird, dass das, was
                   dass die Studierenden, wenn sie in der Archäolo­                         laut Studien- und Prüfungsordnungen sowie Mo­
                   gie etwas erreichen wollten, unbedingt mehr ma­                          dulplänen in einem Vollzeit-Studium gefordert
                   chen müssten: Mehr Veranstaltungen besuchen,                             ist, nicht ausreichen werde, ihre Ziele zu errei­
                   mehr Praktika machen, mehr Sprachen lernen,                              chen, dann führt das entweder zu Demotivation
                   und so weiter…                                                           und zum schnellen Studienabbruch oder zu per­

                   Eingereicht: 23. Aug. 2021                                                               Archäologische Informationen 44, Early View
                   angenommen: 6. Sept. 2021                                                                                                  CC BY 4.0
                   online publiziert: 6. Okt. 2021                                      1                        FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung
                                                                                                              FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung
Doris Gutsmiedl-Schümann

manenter Selbstausbeutung, die somit schon zu            in der Studienorganisation und der Lehre sowie
Beginn des Studiums angelegt und im weiteren             durch die Lehrenden erst ermöglicht werden. Ein
Verlauf des Studien- und Berufslebens internali­         wichtiges Element hierbei ist die Planbarkeit des
siert und zur Gewohnheit wird.                           Studiums, die u.a. durch die Modularisierung der
    Ein Blick in einführende Literatur und Stu­          Studiengänge und die Veröffentlichung von Stu­
dienratgeber bestätigt dies: Auch dort wird den          dienverlaufsplänen im Rahmen von Studien- und
Studierenden nahegelegt, über den Studien­               Prüfungsordnungen erreicht werden soll (vgl.
verlaufsplan hinaus weitere Qualifikationen zu           Haeger, 2008).
erwerben (Bergemann, 2000, 8; Rychener, 2001,                In einen Vollzeitstudiengang wird pro Seme­
36; Trachsel, 2008, 33), Praktika zu machen              ster ein Workload von 30 ECTS angenommen.
(Rychener, 2001, 36; Trachsel, 2008, 33), Tagungen       Je nach zu Grunde liegender Studienordnung
zu besuchen (Trachsel, 2008, 34) oder auch sich          werden für 1 Leistungspunkt nach dem ECTS-
bereits im Studium um eigene Projekte und Dritt­         Modell meist 30 Arbeitsstunden angesetzt: In
mittel zu bemühen (Trachsel, 2008, 34).                  einem Semester werden somit durchschnittlich
    Allerdings sind viele der aktuell erhältlichen       900 Arbeitsstunden erwartet, in einem Jahr 1.800
Studienratgeber noch vor bzw. mit der Einfüh­            Arbeitsstunden (Hochschulrektorenkonferenz,
rung der Bachelor- und Masterstudiengänge                o.J.; Blüthmann, 2012, insbes. 46-48). Nach den
entstanden; sie beziehen sich v.a. mit ihrer For­        Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Be­
derung nach weiteren Qualifikationen sowie               rufsforschung betrug die durchschnittliche tat­
nach selbstorganisierter praktischer Erfahrung           sächliche Jahresarbeitszeit im Jahr 2019 für eine
auf ältere Studiengangsmodelle, in denen in der          Vollzeitstelle beschäftigter Arbeitnehmerinnen
Regel im Studienverlaufsplan nur fachspezifische         und Arbeitnehmer (inkl. Überstunden und Ur­
Inhalte vorgesehen waren. Im Gegensatz dazu              laub) in Deutschland 1.639 Stunden, für Selbst­
sehen insbesondere Bachelorstudiengänge heute            ständige 1.906 Stunden (Arbeitsmarkt, 2021): Die
einen bestimmten Bereich des Studiums für inter­         durchschnittlich erwartete Arbeitszeit in Studien­
disziplinäre und überfachliche Qualifikationen,          gängen bewegt sich damit über der durchschnitt­
den Erwerb von Schlüsselqualifikationen und              lichen Jahresarbeitszeit von Angestellten, aber
Sprachkenntnissen sowie für berufsvorbereiten­           noch unter der durchschnittlichen Jahresarbeits­
de Veranstaltungen und Praktika vor (vgl. HRK            zeit von Selbstständigen.
Fachgutachten, 2014).
    Um die Frage nach studentischer Arbeitsbe­
lastung und möglicher Selbstausbeutung näher             Praktika
zu beleuchten, sollen im Folgenden Aufbau und
Struktur aktueller Studiengänge sowie die Ziele          Während die Vorlesungszeit in der Regel durch
der sog. Bologna-Reform näher beleuchtet werden.         die regelmäßig stattfindenden Präsenzphasen
                                                         vergleichsweise gut strukturiert und durchgetak­
                                                         tet ist und damit auch eine gewisse Planbarkeit
Ziele der Bologna-Reform                                 einhergeht, wird die vorlesungsfreie Zeit gerne
                                                         für Praktika genutzt. Die vorlesungsfreien Zeiten
Mit dem sog. Bologna-Prozess und der damit               sind aber auch jene Phasen im Jahr, in denen Stu­
verbundenen Einführung einer gestuften Stu­              dierende sich durch Jobs ein finanzielles Polster
diengangsstruktur wurde unter anderem das                für die Vorlesungszeit zulegen können, um sich
zentrale Ziel verfolgt, die universitäre Ausbil­         im laufenden Semesterbetrieb auf das Studium
dung geschlechtergerechter und inklusiver zu             konzentrieren zu können. Aus diesem Grund sol­
gestalten: Die Vielfalt der Gesamtbevölkerung            len die in den aktuellen Bachelorstudiengängen
sollte sich auch in der Studierendenschaft wi­           geforderten Praktika hier einmal genauer unter
derspiegeln. Menschen aus allen Gesellschafts­           die Lupe genommen werden: Als Beispiel wer­
schichten sollen unabhängig von ihrem sozialen           de ich Bachelorstudiengänge zur Prähistorischen
Hintergrund gleiche Chancen auf höhere Bildung           Archäologie oder mit Beteiligung der Prähisto­
und die damit verbundenen Möglichkeiten haben            rischen Archäologie betrachten.
(Kommuniqué, 2003). Ein formal gleicher Zugang               Derzeit kann an 12 Universitäten in Deutsch­
zur Bildung garantiert aber noch keine echte             land Prähistorische Archäologie in einem diszi­
Teilhabe an dieser: Die Chancen aller sozialen           plinspezifischen Bachelorstudiengang studiert
Gruppen, ein Studium erfolgreich abzuschlie­             werden, an 14 Universitäten wird Prähistorische
ßen, müssen durch entsprechende Maßnahmen                Archäologie in einem übergreifenden Bachelor­

FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung            2
Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung aus dem Studium heraus?

studiengang angeboten, meist kombiniert mit an­          von den Studierenden verpflichtend Eigenbeteili­
deren Archäologien oder Altertumswissenschaf­            gungen gefordert: Die Studierenden können also
ten; darunter befinden sich zwei Universitäten,          in der vorlesungsfreien Zeit nicht nur nicht einer
die beide Möglichkeiten zulassen. In 15 dieser           bezahlten Arbeit nachgehen, um sich ein finanzi­
Studiengänge sind Praktika im Bereich Feldfor­           elles Polster für die Vorlesungszeit anzulegen, son­
schung, Prospektion und Ausgrabung verpflich­            dern sie müssen darüber hinaus auch noch dafür
tend vorgeschrieben: Dabei werden nach einer             bezahlen, von der Universität angebotene Praktika
Durchsicht der Studien- und Prüfungsordnungen            mitmachen zu dürfen.
zwischen 11 und 90 nachgewiesene Praktikums­                 Studienordnungen mit hohen Anteilen ver­
tage verlangt (Gutsmiedl-Schümann, 2019, Tab. 2).        pflichtender Praktika sind im Kern sicherlich im
Hierzu steht in einem Studium, das in den typi­          Sinne einer umfassenden und berufsvorbereiten­
scherweise angedachten 6-7 Semestern Regelstu­           den Ausbildung der Studierenden gedacht; aller­
dienzeit absolviert wird, nur ein Zeitkontingent         dings fördern allzu viele verpflichtend geforderte
von meist 4-5 „Semesterferien“ zur Verfügung (die        Praktikumstage auch die studentische Selbstaus­
vorlesungsfreie Zeit vor dem Abschlusssemester           beutung – insbesondere, wenn sich Studierende
ist oftmals v.a. zur Vorbereitung der Bachelorar­        ihr Studium und ihren Lebensunterhalt während
beit gedacht). Die vorlesungsfreie Zeit zwischen         des Studiums selbst verdienen müssen. Meines
Winter- und Sommersemester beträgt in der                Erachtens sollte ein wichtiger Punkt hierbei nicht
Regel 7-8 Wochen, die vorlesungsfreie Zeit zwi­          übersehen werden: Ein Studium ist keine Berufs­
schen Sommer- und Wintersemester in der Regel            ausbildung, und auch nicht als solche angelegt.
11-12 Wochen. An manchen Universitäten fallen            Ein Studium kann und soll im Rahmen seiner
in diese Zeiten auch noch explizit ausgewiesene          Module und Lehrveranstaltungen den Studieren­
Prüfungsphasen, die typischerweise jeweils eine          den einen bunten Strauß an Kenntnissen, Wissen,
Woche der Vorlesungszeit und drei Wochen der             Fähigkeiten und Kompetenzen vermitteln, die in
vorlesungsfreien Zeit beanspruchen: Insgesamt            vielen unterschiedlichen Bereichen Anwendung
stehen damit pro Jahr dann noch ca. 12-13 Wochen         finden können: Das können archäologische Be­
für Praktika zur Verfügung. Um die maximale              rufsfelder sein, das können aber auch ganz ande­
Anzahl von 90 Feldforschungstagen zu erreichen,          re Berufsfelder sein. Berufsvorbereitende Anteile
müssen bei 5 Arbeitstagen pro Woche 18 Wochen            im Studium und verpflichtende Praktika sollten
Tätigkeit auf Prospektionen und Ausgrabungen             daher auch nicht überschätzt werden: Sie können
nachgewiesen werden: Dies entspricht also in             weder die Erfahrung noch die Routine vermit­
etwa drei vollen „Semesterferien“. Hier bleibt den       teln, die sich erst in der Berufstätigkeit nach und
Studierenden nicht mehr viel Zeit, um sich in der        nach einstellen werden.
vorlesungsfreien Zeit entweder auch noch ein fi­
nanzielles Polster zuzulegen oder weitere prak­
tische Erfahrungen in anderen Arbeitsbereichen           Schlussfolgerungen für die
der Archäologien wie etwa im Museums- oder               Studiengangsgestaltung
Ausstellungswesen – oder in ganz anderen Be­
rufsfeldern – zu sammeln.                                Jeder fachliche Lebenslauf beginnt mit dem
    Da in einem Studium verpflichtend zu erbrin­         Stu­dium. Chancen, die dort verspielt werden,
gende Praktika ebenso wie Praktika mit einer Dau­        kommen nicht wieder – und wer aufgrund von
er von unter drei Monaten nicht unter das Min­           ungleich verteilten Chancen, erwarteter und prak­
destlohngesetz fallen (vgl. Deutscher Bundestag,         tizierter Selbstausbeutung oder auch Diskriminie­
Wissenschaftliche Dienste, 2015; Bundesministerium       rungserfahrung aus einem Archäologiestudium
für Arbeit und Soziales, 2019), können Studierende       ausgestiegen ist, wird nicht nur sicherlich nicht
nicht davon ausgehen, dass sie das Erwerben von          wieder zurückkommen – die Archäologien kön­
praktischen Erfahrungen in der vorlesungsfreien          nen auf diese ehemaligen Studierenden auch nicht
Zeit mit dem oftmals überlebenswichtigen Aspekt          mehr zählen, wenn es um den gesellschaftlichen
des Geldverdienens verbinden können: Im Gegen­           Diskurs etwa zu kulturellem Erbe allgemein oder
teil, sie müssen unter Umständen zusätzlich zum          um die gesellschaftliche Akzeptanz spezifischer
Praktikum noch einer Erwerbsarbeit nachgehen,            archäologischer Maßnahmen wie etwa einer Ret­
um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Darüber hi­         tungsgrabung in deren Wohnort geht, die z. B.
naus werden an manchen Universitäten für Ver­            kommunale Baumaßnahmen verzögert.
anstaltungen, die an außeruniversitären Lernorten            Wenn wir nun aber allen in der Archäologie
durchgeführt werden, wie z. B. Lehrgrabungen,            irgendwie Tätigen – Studierenden, Promovie­

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Doris Gutsmiedl-Schümann

renden, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und                Trauen Sie den Studierenden etwas zu! Unsere
Mitarbeitern, Professorinnen und Professoren,              Studierenden sind junge Erwachsene, die bereits
inklusive uns selbst – zugestehen würden, neben            ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht ha­
dem „wissenschaftlichen Leben“ ein „Privatleben“           ben, die bereits Verantwortungen tragen mussten,
zu haben, dann würde dies schon im Grundsatz               sich mitunter politisch oder gesellschaftliche enga­
dabei helfen, eine gewisse Work-Life-Balance zu            giert haben, oder ähnliches. Sie mögen vergleichs­
halten und Selbstausbeutung zu vermeiden.                  weise wenig vertieftes Wissen, Kenntnisse und Er­
    Absolventinnen und Absolventen, die schon              fahrungen in den Archäologien haben, doch jeder
im Studium gelernt haben, eine Balance zwi­                und jede von ihnen bringt Wissen, Kenntnis und
schen dem wissenschaftlichen Leben und ihren               Erfahrung aus individuell unterschiedlichen Be­
anderen Lebensbereichen zu finden, können dies             reichen mit ins Studium. Wenn es gelingt, in den
nach dem Berufseinstieg leichter beibehalten und           Lehrveranstaltungen an dieses Wissen anzuknüp­
geraten nicht in die Gefahr, im Berufsleben per­           fen, erleichtert das den Einstieg ins und das Fort­
manente Selbstausbeutung zu betreiben. Sie sind            kommen im Fachstudium und sorgt für eine steile
damit auch für ihre Mitarbeiterinnen und Mitar­            Lernkurve. Wenn wir dieses Momentum nutzen,
beiter Vorbilder, die zu einem besseren und ge­            dann muss das Studium nicht auf Selbstausbeu­
sünderen Arbeitsleben beitragen.                           tung aufbauen und kann dennoch sehr facetten­
    Studiengänge, die auf Selbstausbeutung ange­           reich sein und zum Erfolg führen.
legt sind, benachteiligen eine Vielzahl von Studie­
renden: All jene, die nicht dem Idealtypus eines
persönlich, familiär und finanziell unabhängigen           Literatur
Studierenden ohne über das Studium hinaus­
gehende Verpflichtungen entsprechen. Dies wi­              Arbeitsmarkt – Institut für Arbeitsmarkt- und
derspricht den eingangs dargestellten Zielen des           Berufsforschung (2021). Durchschnittliche Arbeitszeit
„Bologna-Prozesses“. Die archäologischen Fächer            und ihre Komponenten (Stand: 8.6.2021):,https://
könnten mit ihrem spezifischen, dinglichem bzw.            www.iab.de/de/daten/iab-arbeitszeitrechnung.aspx
                                                           [26.8.2021].
materiellem Quellenmaterial im Sinne der Studi­
enreform insbesondere integrativ wirken und für            Bergemann, J. (2000). Orientierung Archäologie: Was sie
Studierende aus – im weiteren Sinne – bildungs­            kann, was sie will. Reinbek: Rowohlt
fernen Schichten einen Zugang zu Geistes- und              Blüthmann, I. (2012). Studierbarkeit, Studienzufriedenheit
Kulturwissenschaften schaffen. Ich halte es daher          und Studienabbruch: Analysen von Einflussfaktoren in
für sehr wichtig, sich dieses Potenzials bei der Ge­       den Bachelorstudiengängen. Dissertation Freie Universität
staltung von Veranstaltungen und Modulen be­               Berlin. http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/
wusst zu sein und darauf zu achten, Lehreinheiten          FUDISS_thesis_000000096820 [13.11.2019].
bzw. Lehr-Lern-Aktivitäten diversity-sensibel zu           Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2019).
gestalten und Maßnahmen zu ergreifen, die die              Der Mindestlohn für Studierende. https://www.
Vielfalt und Diversität der Studierenden fördern           bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-
bzw. erhalten und nicht Studierende mit bestimm­           Publikationen/a765-mindestlohn-fuer-studierende.
tem Vorwissen oder aus bestimmten sozialen oder            pdf?__blob=publicationFile&v=3 [25.11.2019].
kulturellen Hintergründen bevorzugen.                      Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste
    Das heißt nun aber nicht, dass ein Studium die         (2015). Rechtliche Rahmenbedingungen für Praktika:
Studierenden nicht fordern darf – im Gegenteil:            Ausgewählte Fragestellungen. (Ausarbeitung WD 6 –
Das geisteswissenschaftliche Studium ist ins­              3000 – 006/15: https://www.bundestag.de/resource/
besondere dazu geeignet, die Studierenden aus              blob/409968/8ed7f5c93e2774a539b805d87f918981/
ihrer Komfortzone zu holen, ihren Horizont zu              WD-6-006-15-pdf-data.pdf [25.11.2019].
erweitern und ihnen neue Einsichten und Per­               Gutsmiedl-Schümann, D. (2019). Gendered and
spektiven zu bieten.                                       diversified fieldwork classes in prehistoric archaeology?
    Um dies auf der einen Seite zu erreichen, auf          An examination of and a perspective on Bachelor study
der anderen Seite aber den Studierenden in der             programs of German universities. In J. K. Koch & W.
zur Verfügung stehenden Regelstudienzeit im                Kirleis (Hrsg.), Gender Transformations in Prehistoric and
Umfang von umgerechnet 180 ECTS eine fun­                  Archaic Societies. (p. 65 – 91). Leiden: Sidestone.
dierte und facettenreiche Ausbildung zu ermögli­           Haeger, K. S. (2008). Modularisierung. In K. S.
chen, möchte ich mit einem Appell schließen, der           Haeger, M. Schröder, D. Mager & B. Papayannakis
sich insbesondere an Lehrende und in der Studi­            (Hrsg.), Bologna-Reader III: Texte und Hilfestellungen zur
engangsplanung Tätige richtet:                             Umsetzung der Ziele des Bologna-Prozesses an deutschen

FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung              4
Prekariat und Selbstausbeutung: Eine kontinuierliche Entwicklung aus dem Studium heraus?

Hochschulen. (Beiträge zur Hochschulpolitik 8/2008)
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HRK Fachgutachten (2014). Employability und Praxisbezüge
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Hochschulrektorenkonferenz (o.J.). Stichworte
„Module, ECTS-Punkte und Workload“. (Projekt nexus:
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Trachsel, M. (2008). Ur- und Frühgeschichte: Quellen,
Methoden, Ziele. Zürich: Orell Füssli

Über die Autorin
PD Dr. Doris Gutsmiedl-Schümann MHEd pro­
movierte 2010 in Vor- und Frühgeschichtlicher
Archäologie an der Rheinischen Friedrich-Wil­
helms-Universität Bonn und habilitierte 2018 in
Prähistorischer Archäologie an der Freien Univer­
sität Berlin. Sie war bis November 2019 Gastpro­
fessorin am Institut für Prähistorische Archäologie
der Freien Universität Berlin und gehört dem Insti­
tut derzeit als Privatdozentin an. Darüber hinaus
ist sie Lehrbeauftragte an der Helmut-Schmidt-
Universität/Universität der Bundeswehr Ham­
burg sowie an der Leuphana Universität Lüne­
burg. Sie hat 2017 das berufsbegleitende Studium
des Masters of Higher Education abgeschlossen:
Seither beschäftigt sie sich neben ihrer archäolo­
gischen Forschung auch intensiv mit Fragen zur
Studiengangs- und Curriculumsentwicklung.

     PD Dr. Doris Gutsmiedl-Schümann MHEd
               Freie Universität Berlin
       Institut für Prähistorische Archäologie
                  Fabeckstraße 23-25
                     14195 Berlin
            doris.gutsmiedl@fu-berlin.de

       https://orcid.org/0000-0002-8470-1298

                                                           5      FAiG 2019: Prekariat und Selbstausbeutung
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