Rechtliche Aspekte im Umgang mit Sedativa für nicht-ärztliches Personal - Dr. Eva Rütz, LL.M. 3. September 2021
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Rechtliche Aspekte im Umgang mit Sedativa für nicht-ärztliches Personal Dr. Eva Rütz, LL.M. 3. September 2021
Inhalt 1. Einleitung • Umstrittenes Arzneimittel? • Medizinischer Hintergrund • Nurse-administered propofol sedation • Positionspapier DKG 2. Arztvorbehalt • Rechtsprechung • Abgrenzung anhand des medizinischen Standards 3. Haftungsrecht • Ermittlung des medizinischen Standards • Konkreter Standard beim Einsatz von Propofol 4. Zusammenfassung Luther | 03.09.2021 | 2
1. Einleitung - Umstrittenes Arzneimittel? Quelle: SPIEGEL Wissenschaft vom 30.01.2009 Aktuell: Quelle: WELT (Online) vom 28.09.2011 Quelle: Das Erste BRISANT vom 15.04.2020 17:15 Uhr Luther | 03.09.2021 | 4
1. Einleitung - Medizinischer Hintergrund Vorteile des Einsatzes von Propofol Gut steuerbar und verträglich aufgrund kurzer Halbwertszeit kürzere Aufwachphase keine Intubation erforderlich Luther | 03.09.2021 | 5
1. Einleitung - Medizinischer Hintergrund Nachteile des Einsatzes von Propofol geringe therapeutische Breite (hohes abstraktes Gefahrpotential) kein Antidot anfällig für bakterielle Kontamination wegen Lipophilie hohes Letalitätsrisiko bei Fehldosierung Hohe Anforderungen an die Überwachung von Patienten und im Umgang mit Propofol Luther | 03.09.2021 | 6
1. Einleitung - nurse-administered propofol sedation • Arzt bezieht entsprechend qualifizierte Pflegekraft in die Administration (Perfusor / Infusomat) ein • Medizinische Verantwortung (und Haftung) nur beim Arzt • Indikationsstellung • Dosis und Dauer der Anwendung • Delegation von Handreichungen und Einzelelementen • Problematisch: Aktuell noch keine Empfehlung/Leitlinie über die Durchführung von Sedierung bei elektrophysiologischen Eingriffen • Lediglich Anleihe bei S 3 Leitlinie Gastroenterologie haftungsrechtlich ausreichende Absicherung? • Problematisch: Abgrenzung zur Kompetenz der Anästhesie / nur bei Allgemeinanästhesie (Verlust Spontanatmung) Luther | 03.09.2021 | 7
1. Einleitung - nurse-administered propofol sedation • Blick über den Tellerrand: • Vergleichbar mit anderen Ländern? Schwierig wegen anderem Qualifikationsprofil • USA: 4 Jahre College + 1 Jahr Berufspraxis + 2 jährige Zusatzausbildung Certified Registered Nurse Anesthetist • Derzeit vergleichbare Ausbildung in Deutschland nicht vorhanden / Idee: Physician Assistant • Deshalb: nur enges Anwendungsfeld der Delegation bei Sedierung und erst recht bei Anästhesie • Zur Substitution bestimmter ärztlicher Leistungen noch langer Weg Verantwortung verbleibt beim Arzt + trägt Entscheidungsrecht (kein Formerfordernis bei Weisungen) Luther | 03.09.2021 | 8
1. Einleitung - Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie • Voraussetzungen der Einbeziehung 1. Kardiologe mit a. mind. 6 Monaten Erfahrung internistische Intensiv- und Notfallmedizin b. Facharztstandard Kardiologie muss gewährt werden können c. Erfahrung in der Anwendung von Sedativa und Analgetika 2. Gesamtes Team: spezielle Kenntnisse in Theorie und Praxis in Komplikationsmanagement von akuten respiratorischen und kreislaufrelevanten Komplikationen 3. Dauerhafte Anwesenheit eines Arztes 4. Ständige Möglichkeit des Hinzuziehen eines zweiten Arztes (Rufweite) Luther | 03.09.2021 | 9
1. Einleitung - Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie • Voraussetzungen der Einbeziehung 5. Begrenzter Kreis von Eingriffen a. Diagnostische elektrophysiologische Untersuchungen b. Kathetherablationen von Herzrhythmusstörungen c. Implantationen von kardialen Devices (Herzschrittmacher, Defibrillatoren) d. Elektrische Kardioversion 6. Apparativ: Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen und Monitoring 7. Besondere Aufklärungsanforderungen (auch über Einbeziehung Pflegekraft?) Luther | 03.09.2021 | 10
2. Arztvorbehalt Luther | 03.09.2021 | 11
2. Arztvorbehalt - Rechtsprechung Grenze: Arztvorbehalt In der Regel trifft der Gesetzgeber keine ausdrückliche Entscheidung über die Frage, ob eine bestimmte Leistung dem Arztvorbehalt unterliegt (Ausnahmen z. B.: § 4 Hebammengesetz; § 48 Arzneimittelgesetz) Keine spezifische gesetzliche Regelung im Kontext der Gabe von Propofol / Anästhesien Maßstäbe aus der Rechtsprechung zur Auslegung von § 1 HeilPraktG: Ausübung von Heilkunde liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn die Tätigkeit ärztliche oder medizinische Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung bei einer generalisierenden und typisierenden Betrachtungsweise der Tätigkeit gerade gesundheitliche Schäden verursachen kann (z. B. grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1958 – I C 25.56, NJW 1959, 833-834 (833)) Folgerung: Keine Risikoerhöhung durch den Einsatz von nichtärztlichem Personal für den Patienten Luther | 03.09.2021 | 12
2. Arztvorbehalt - Rechtsprechung Grenze: Arztvorbehalt Was muss Arzt machen? Was darf delegiert werden? Grundsatz: Durch Delegation darf nie Risikoerhöhung eintreten. Anästhesie: Einleitung delegierbar: Vorbereitung und Überprüfung von Medikamenten, Injektion/Infusion unter direkter Aufsicht des Anästhesisten; Dosierung und Bestimmung der Dauer nicht delegierbar Anästhesieführung delegierbar sind nur reine Überwachungsmaßnahmen Anästhesieausleitung delegierbar: Injektion / Infusion unter Aufsicht Postanästhesie / Aufwachraum delegierbar: Überwachung Luther | 03.09.2021 | 13
2. Arztvorbehalt - Rechtsprechung Grenze: Arztvorbehalt Verbot der sog. „Schwesternarkose“ Verbot der sog. Doppelanästhesie/Parallelnarkose Keine parallele Anästhesie in verschiedenen Sälen Deshalb auch sog. MAfA-Konzept von Helios unzulässig Medizinischer Assistent für Anästhesie Anästhesist dadurch entlastet in mehreren Operationssälen Gerechtfertigt m.E. durch hohes Gefahrenpotential bei Komplikationen im Bereich der Allgemeinanästhesie Problem: Vergleichbar bei bloßer Sedierung? Luther | 03.09.2021 | 14
2. Arztvorbehalt - Propofol in der Rechtsprechung AG Augsburg, Urteil vom 21. November 2013 – 8 Ls 200 Js 112337/09, Rn. 40 f. juris: „Allgemein führt die im Jahr 2008 von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen e.V. (DGVS) gemeinsam mit etlichen Fachverbänden und Organisationen veröffentlichte Sedierungsleitlinie (S 3 - Leitlinie "Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie"; nachfolgend: "Sedierungsleitlinie") hierzu aus: "Der endoskopierende Arzt ist während der Durchführung der Endoskopie in aller Regel nicht in der Lage, den Vitalfunktionen des Patienten die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken." Weiter erläutert die Sedierungsleitlinie: "Ein Arzt kann nicht in Personalunion zur gleichen Zeit den invasiven Eingriff durchführen und die Sedierung und/oder das Analgesieverfahren überwachen." Erneut die Sedierungsleitlinie: "Nicht der den Eingriff durchführende Arzt, sondern eine speziell geschulte, in der Regel ärztliche Person sollte verantwortlich sein für das Sedierungsverfahren und die Überwachung der Vitalfunktionen." Die Herstellerangaben des als Sedierungsmittel eingesetzten Propofol führten unter "Hinweise/Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung" spätestens seit Juni 2006 aus: "Propofol darf nur in Krankenhäusern oder in adäquat ausgerüsteten anderen Einrichtungen von anästhesiologisch bzw. intensivmedizinisch ausgebildeten Ärzten verabreicht werden. Die Sedierung mit Propofol und die Durchführung der diagnostischen oder chirurgischen Maßnahme dürfen nicht von derselben Person erfolgen." (Stand 1.4.2012). Bezüglich der Herstellerangaben führt die Sedierungsleitlinie aus: "Den detaillierten Hinweisen der Hersteller der jeweils verwendeten Pharmaca, insbesondere zur Strukturqualität (z.B. apparative und personelle Ausstattung) ist zu folgen." Luther | 03.09.2021 | 15
2. Arztvorbehalt - Propofol in der Rechtsprechung BGH, Beschluss vom 20. 12. 2007 - 1 StR 576/07 (LG Ellwangen): „Der Angeklagte wusste, dass die von ihm regelmäßig und auch in den vorliegenden Fällen praktizierte Wiederverwendung angebrochener Flaschen mit dem Narkosemittel Propofol den Warnhinweisen des Herstellers widersprach, nach der einschlägigen Fachliteratur sogar zum Tode des Patienten führen konnte, und daher in keiner Weise kunstgerecht, sondern vielmehr sogar mit einer Gefahr für Leib und Leben der Patienten verbunden war. Gleichwohl setzte er sich über die anerkannten Regeln der Heilkunst, die ihm eine Wiederverwendung angebrochener Propofolflaschen untersagte, wissentlich hinweg. Damit wusste er auch, dass seine Narkosen von den jeweils erteilten Einwilligungen nicht gedeckt und damit vorsätzliche Körperverletzungshandlungen waren.“ Luther | 03.09.2021 | 16
2. Arztvorbehalt - Abgrenzung anhand des medizinischen Standards Delegation nur bei Einhaltung des medizinischen Standards Kein bestimmter „Erfolg“ geschuldet, sondern Behandlung „lege artis“ Behandlung = lege artis, insbes. wenn Facharztstandard eingehalten wird Sonst: Behandlungsfehler und Haftung Luther | 03.09.2021 | 17
3. Haftungsrecht Luther | 03.09.2021 | 18
3. Haftungsrecht - Ermittlung des medizinischen Standards Problemfelder im Haftungsrecht Was ist der medizinische Standard? Wie wird dieser ermittelt? Bindungswirkung von Leitlinien? Wann gelten diese als überholt? Was ist der maßgebliche Zeitpunkt bei der Bestimmung des medizinischen Maßstabes? Luther | 03.09.2021 | 19
3. Haftungsrecht - Leitlinien = medizinischer Standard? Wirkung von Leitlinien Unterschiedliche Evidenzlage und Bindungswirkung Nur deklaratorisch, nicht konstitutiv, d.h. entsprechend des Erkenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft (BGH, Urteil vom 29. Januar 1991 – VI ZR 206/90, BGHZ 113, 297 ff.) Bloße Indizwirkung: Nimmt mit mangelnder Aktualität ab Verstoß indiziert umgekehrt zunächst Fehler, aber nicht zwingend grobe Fehlerhaftigkeit; maßgeblich ist Plausibilität der Abweichungsgründe (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2008 – VI ZR 161/08, BeckRS 2008, 00865) Luther | 03.09.2021 | 20
3. Haftungsrecht - Arztvorbehalt bei Propofolgaben? Konkreter medizinischer Standard? Rechtliche Überlegungen, die für die Einhaltung des Arztvorbehalt sprechen: Ggf. entsprechende Herstellerangaben = grundsätzlich zwingend einhalten reine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen rechtfertigen kein Risiko für den Patienten, daher ist eine Anlehnung an nicht unmittelbar einschlägige Leitlinien oder bloßer Positionspapiere problematisch Gewichtiges Nachweisproblem: ohne Indizwirkung durch eine stützende Leitlinie ist ein Beleg der Ungefährlichkeit einer Delegation an nicht-ärztliches Personal praktisch unmöglich Medizinische Entscheidung (ggf. im Einzelfall nach ASA-ER3 ER4 Klassifizierung) Luther | 03.09.2021 | 21
Slide 21 ER3 ASA 1: normaler, gesunder Patient ASA 2: Patient mit leichter Allgemeinerkrankung ASA 3: Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung ASA 4: Patient mit schwerer Allgemeinerkrankung, die eine ständige Lebensbedrohung ist ASA 5: moribunder („totgeweihter“) Patient, der ohne Operation voraussichtlich nicht überleben wird ASA 6: hirntoter Patient, dessen Organe zur Organspende entnommen werden Eva Ruetz; 30.08.2021 ER4 Marschroute der Anästhesisten Eva Ruetz; 30.08.2021
3. Haftungsrecht - Abweichungen vom konkreten medizinischem Standard? Kaum Rechtfertigungsgründe: Eine Abweichung von Herstellerangaben ist ausnahmsweise möglich Voraussetzung: z. B. Ausnahmegenehmigung durch das BfArM zur ausnahmsweisen Aufteilung von Durchstechflachen im Hinblick auf Lieferengpässe Empfehlung: engmaschige Prüfung der zeitlichen Geltung der Ausnahmegenehmigung; sorgfältige Dokumentation der Notwendigkeit zum Rückgriff auf die Ausnahme und Erteilung von Verfahrensanweisungen zur möglichst sicheren Durchführung der Aufteilung der Flaschen Notstandslagen Luther | 03.09.2021 | 22
4. Zusammenfassung Luther | 03.09.2021 | 23
3. Zusammenfassung und Ausblick: Einfluss auf den medizinischen Standard? Die medizinische Frage nach dem fachlichen Standard entscheidet über die Zulässigkeit von Propofolgaben Ein individueller Nachweis der Einhaltung des geltenden Maßstabes „keine Risikoerhöhung für den Patienten durch Delegation der Maßnahme“ ist praktisch nicht möglich Abweichungen vom fachlichen Standard sind nur in Notfalllagen denkbar Handlungsoption: Fachliche Diskussion der Anforderungen und Mitarbeit an den Leitlinien Ziel: Etablierung von möglichst präzisen S3-Leitlinien Luther | 03.09.2021 | 24
Ihre Fragen Luther | 03.09.2021 | 25
Vielen Dank! Luther | 03.09.2021 | 26
Ihre Ansprechpartnerin Dr. Eva Maria Rütz, LL.M. Rechtsanwältin Fachanwältin für Medizinrecht Fachanwältin für Arbeitsrecht Partnerin Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Anna-Schneider-Steig 22, 50678 Köln, Germany Graf-Adolf-Platz 15, 40213 Düsseldorf, Germany Phone: +49 211 5660 27048 Fax: +49 211 5660 110 Mobil: +49 152 016 27048 eva.ruetz@luther-lawfirm.com Luther | 03.09.2021 | 27
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