RENTE: EIGNET SICH SCHWEDEN ALS VORBILD FÜR DEUTSCHLAND? - Nr. 69 Policy Brief WSI 4/2022 - Hans-Böckler-Stiftung

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POLICY BRIEF
Nr. 69 · Policy Brief WSI · 4/2022

RENTE: EIGNET SICH SCHWEDEN
ALS VORBILD FÜR DEUTSCHLAND?
Florian Blank
1 Einleitung

In letzter Zeit wird das schwedische Alterssicherungssystem immer wieder
als Vorbild für Deutschland dargestellt, 2021 etwa in einem Konzeptpapier
von Johannes Vogel und Christian Dürr, zwei Bundestagsabgeordneten der
FDP (Vogel/Dürr 2021). Der schwedische Fall findet vor allem dann Beach-
tung, wenn es um eine Reform der zusätzlichen kapitalgedeckten Alters-
vorsorge oder allgemeiner um einen Ausbau der Kapitaldeckung in der
Alterssicherung geht. Dabei werden aber häufig nur Ausschnitte des Al-
terssicherungssystems betrachtet. In diesem Policy Brief wird der Frage
nachgegangen, inwiefern sich das schwedische Alterssicherungssystem
als Vorbild für Deutschland eignet, wenn die sozialpolitisch relevanten Fra-
gen nach Leistungen und Finanzierung in den Mittelpunkt rücken.
Das schwedische System der Alterssicherung wird im Folgenden kurz dar-
gestellt. Daran anschließend wird insbesondere auf die Fragen eingegan-
gen, wie die Leistungen des schwedischen Rentensystems einzuschätzen
sind und wie die Finanzierung des Systems geregelt ist. In Ergänzung der
Informationen zum schwedischen System wird zur Orientierung teils auf
den deutschen Fall verwiesen.
Ausgeblendet bleibt in diesem Papier die grundsätzliche Frage, ob Kapital-
deckung als Finanzierungsweg in der Alterssicherung sinnvoll ist. Ebenso
wird auf die Regulierung der schwedischen kapitalgedeckten Systeme nicht
weiter eingegangen. 1

2 Das schwedische Rentensystem –
  grundlegende Strukturen

Das schwedische Alterssicherungssystem umfasst ein ausdifferenziertes
öffentliches System und weit verbreitete betriebliche Altersversorgung. Im
Folgenden wird nur das neue, in den 1990er Jahren geschaffene Siche-
rungssystem dargestellt. Das alte, auslaufende System (ATP-Renten)
bleibt ausgeblendet. 2 Das reformierte System gilt für die Jahrgänge ab
1954, für die Jahrgänge ab 1938 gelten Übergangsregelungen. Für vor
1938 Geborene gilt das alte System weiter. Entsprechend ist bei den Aus-
führungen weiter unten zu beachten, dass durchschnittliche Rentenzahlun-
gen für alle Rentner*innen noch die Leistungen des alten Systems enthal-
ten, diese bei Angaben zu den jüngeren Jahrgängen aber eine geringere
Rolle spielen.
Das öffentliche System wird oft als ein Schichtensystem beschrieben. Es
umfasst eine Mindestrente (Garantierente, garantipension) sowie ein ein-
kommensbezogenes Sicherungssystem, das wiederum aus zwei Elemen-
ten besteht: Einkommensersatz wird durch die umlagefinanzierte Einkom-

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1   Der Autor dankt den Kolleginnen und Kollegen im WSI und in der Hans-Böckler-Stiftung für ihre Unterstützung bei der Erstellung
    dieses Textes sowie Josef Wöss und Erik Türk (Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien) für ihre Anmerkungen.
2   Einen detaillierten Überblick über das neue System bieten u. a. OECD 2021a, c, MISSOC 2021, Anderson 2021, Börsch-Supan et
    al. 2017, Pensionsmyndigheten o. J. b, c, auf die sich die folgende Darstellung – ergänzt um neuere Zahlen – stützt. Zu den Hinter-
    gründen der Reformen und zum alten ATP-System s. insbesondere Anderson 2021, Abschnitt 2.1.

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mensrente (inkomstpension) und die obligatorische, staatlich regulierte und
teils öffentlich, teils privat umgesetzte Prämienrente (premiepension) ge-
leistet. Einkommensrente und Prämienrente sind beitragsorientiert, d. h. es
gibt kein konkretes Leistungsversprechen. Die Leistungshöhe wird – etwas
vereinfacht – aus der Summe der eingezahlten Beiträge, die im Zeitverlauf
verzinst bzw. angepasst werden, und aus der durchschnittlichen Lebens-
erwartung zum Zeitpunkt des Rentenantritts ermittelt. Die Einkommensren-
te macht den deutlich größeren Anteil der Leistungen aus. In das System
sind Beschäftigte – auch Beamte – und Selbständige einbezogen.

2.1        Einkommensrente

In der umlagefinanzierten Einkommensrente werden die Rentenbeiträge
der Versicherten und Arbeitgeber in Schwedischen Kronen (SEK) auf indi-
viduellen Konten gutgeschrieben. Das entstehende Guthaben ist „fiktiv“, da
das Geld im Umlageverfahren nicht angespart wird (Notional Defined Con-
tribution, NDC). Es existieren aus dem früheren Rentensystem übernom-
mene Pufferfonds, also Kapitalstöcke in Ergänzung der Umlagefinanzie-
rung.
Die Beiträge der Beschäftigten und Arbeitgeber, die dem Aufbau von An-
sprüchen dienen, werden durch eine Beitragsbemessungsgrenze in Höhe
von 550.000 SEK (2021) beschränkt. Oberhalb dieser Grenze werden kei-
ne weiteren Beiträge der Arbeitnehmer*innen mehr erhoben, damit sind
auch die späteren Leistungen gedeckelt. Die Grenze entsprach 2021 rund
54.000 Euro (MISSOC 2021, Deutsche Bundesbank 2022). 3 Neben Pha-
sen der Beitragszahlung aus Erwerbsarbeit ergeben sich Ansprüche aus
Phasen des Bezugs von Sozialversicherungsleistungen (zu Kindererzie-
hungszeiten s. Blank/Blum 2017). Personen mit langer Beschäftigung in
Schweden können seit 2021 einen Zuschlag zur Einkommensrente von
maximal 600 SEK monatlich erhalten. Die Höhe dieses Zuschlags hängt
von der bezogenen Einkommensrente und der Anzahl der Jahre ab, in de-
nen in Schweden versicherungspflichtiges Einkommen verdient wurde
(Pensionsmyndigheten, o. J. a; s. zu den Hintergründen Anderson 2021, S.
35).
Die Ansprüche der Beitragszahler*innen werden auf Grundlage der Lohn-
entwicklung angepasst, wobei die Anpassung im Rahmen des „automati-
schen Ausbalancierens“ zwischen (fiktivem) Vermögen und Verbindlichkei-
ten modifiziert werden kann (s. u.). Bei Renteneintritt wird das fiktive Ver-
mögen verrentet, wobei für jeden Geburtsjahrgang eine eigene Berechnung
der ferneren Lebenserwartung die Rentenhöhe beeinflusst und eine „Vo-
rausrendite“ gezahlt wird. In die Berechnung der individuellen Renten fließt
außerdem das Alter bei Rentenantritt ein. Derzeit liegt das Mindestalter für
den Bezug einer einkommensbezogenen Rente bei 62 Jahren, das emp-
fohlene Renteneintrittsalter bei 65 Jahren. Ein späterer Renteneintritt führt
zu höheren Rentenleistungen. In der Summe würden ein steigendes emp-
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3   Zur Einordnung: Der Durchschnittslohn in Schweden lag 2020 nach OECD-Angaben bei 45.404 Euro (OECD 2021c). D. h. die
    damalige Beitragsbemessungsgrenze lag bei etwa dem 1,13-Fachen des Durchschnittsverdienstes.

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fohlenes Renteneintrittsalter und die steigende Lebenserwartung zu sin-
kenden Rentenniveaus führen (Rentenleistung gemessen am Durch-
schnittseinkommen der letzten fünf Jahre vor Verrentung) (Pensionsmyn-
digheten o. J. c, S. 75).
Die laufenden Renten werden ebenfalls entsprechend der skizzierten Logik
angepasst und durch einen weiteren Faktor gedämpft, der die „Vorausren-
dite“ spiegelt (für weitere Details zur Berechnung einschließlich der Be-
handlung der „Vorausrendite“ s. Anderson 2021, S. 16). Erwerbsminde-
rungsrenten werden durch andere Sozialversicherungszweige geleistet.
Hinterbliebenenrenten werden im Rahmen der Einkommensrenten für
(Ehe-) Partner*innen nur für einen kurzen Zeitraum gezahlt. Darüber hinaus
existieren Waisenrenten.
Ein Anpassungsmechanismus setzt Einnahmen und Ausgaben sowie Ver-
bindlichkeiten des Gesamtsystems ins Verhältnis und soll sie ausbalancie-
ren. Dieser Mechanismus soll für finanzielle Nachhaltigkeit sorgen, die mit
Stabilität der Beitragssätze gleichgesetzt wird. Im Rahmen des Anpas-
sungsmechanismus werden fiktives und tatsächliches Vermögen und Ver-
bindlichkeiten ins Verhältnis gesetzt. Wenn dieses Verhältnis geringer als 1
ist, werden Renten und Ansprüche nicht entsprechend der Lohnentwick-
lung angepasst (im Falle der Rentenzahlungen noch weiter modifiziert),
sondern um einen verringerten Wert, bis sich Vermögen und Verbindlich-
keiten – in SEK – wieder entsprechen. In der Konsequenz kam es in den
Jahren 2010, 2011 und 2014 zu nominalen Kürzungen der Einkommens-
renten. Diese Kürzungen ergaben sich aus einer schwachen Lohnentwick-
lung und Verlusten der Pufferfonds (Anderson 2021, S. 24). Die Einkom-
mensverluste der Rentner*innen wurden teilweise durch Änderungen im
Steuersystem ausgeglichen (Anderson 2021, S. 19–20). Eine Folge dieses
Mechanismus ist, dass die Anpassung der Renten und Ansprüche eine Zeit
lang unterhalb der Lohnentwicklung liegen kann. Diese Abweichung von
der Lohnentwicklung kann im Zeitverlauf wieder ausgeglichen werden, die
Renten und Ansprüche erreichen dann wieder den Wert, der sich ergibt,
wenn sie durchgehend entsprechend der Lohnentwicklung angepasst wor-
den wären (Pensionsmyndigheten o. J. c, S. 24). Die zwischenzeitlichen
geringeren Zahlungen werden aber nicht rückwirkend ausgeglichen.
Infolge der Erfahrungen mit dem automatischen Ausbalancieren wurde der
Anpassungsmechanismus 2009 und 2015 modifiziert, um größere
Schwankungen in der Rentenanpassung – auch durch die Entwicklung der
Pufferfonds – zu vermeiden (Anderson 2021, S. 25).

2.2       Prämienrente

In die obligatorische Prämienrente fließen 2,5 Punkte des gesamten Bei-
tragssatzes von 18,5 Prozent (s. u.). Das angesammelte Kapital kann bei
Renteneintritt entweder in eine feste oder in eine variable Rente umgewan-
delt werden. Auch hier werden die kohortenspezifische fernere Lebenser-
wartung sowie eine „Vorausrendite“ berücksichtigt. Im Falle der variablen
Rente hängt die Rentenleistung von der weiteren Entwicklung der Kapital-
märkte auch im Rentenalter ab. Hinterbliebenenrenten sind optional. In den

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offiziellen Vorausberechnungen werden Leistungen der Prämienrente ab
etwa 2040 über 20 Prozent der öffentlichen einkommensbezogenen Ren-
ten ausmachen (Pensionsmyndigheten o. J. c, S. 73-74). Damit geht das
Basisszenario der Berechnungen davon aus, dass der Anteil der Leistun-
gen der Prämienrente an den öffentlichen Rentenleistungen oberhalb ihres
Anteils an der Finanzierung von 13,5 Prozent liegen wird, da Überschüsse
erwirtschaftet und ausgeschüttet würden. 4
Bei der verpflichtenden Prämienrente haben die Beitragszahler*innen die
Wahlmöglichkeit zwischen mehreren hundert Fonds, wobei der staatliche
„Standardfonds“ AP7 – in den die Beiträge fließen, wenn die Beschäftigten
keine aktive Wahl treffen – im Zeitraum 2000–2020 eine deutlich höhere
Rendite erzielt hat als die privaten Fonds im Durchschnitt (AP7 o. J., S. 5).
Von den Wahlmöglichkeiten wird nur sehr wenig Gebrauch gemacht (An-
derson 2021, S. 27).

2.3        Garantierente

Die Garantierente wird bei geringem Einkommen ausgezahlt. Für den vol-
len Betrag sind 40 Jahre Aufenthalt im Land nötig, eine Bedingung, die
etwa Zuwanderer nicht unbedingt erfüllen können. 5 Der Höchstbetrag lag
2021 bei 8.651 SEK für Alleinstehende, das waren etwa 850 Euro. Bei stei-
gendem Einkommen aus den einkommensbezogenen Renten wird dieser
Betrag abgeschmolzen. Diese Anrechnung erfolgt in zwei Schritten: Bei
geringerem Einkommen werden einkommensbezogene Renten zunächst
voll angerechnet, zwischen 4.998 und 12.609 SEK werden einkommensbe-
zogene Renten nur noch zu 48 Prozent angerechnet (Werte für Alleinste-
hende; Pensionsmyndigheten 2021, S. 3). 6 Zusätzlich kann ein Wohnzu-
schlag bezogen werden. Die Höhe dieser Leistungen war auch politisch
umstritten und wurde erst kürzlich angepasst (Anderson 2021, S. 34).
Werden die Werte für das Jahr 2020 zugrunde gelegt, lag der Höchstbetrag
der Garantierente für Alleinstehende deutlich unterhalb der von Eurostat
ausgewiesenen Armutsgefährdungsgrenze. Aber auch die Höchstgrenze,
ab der kein Anspruch auf eine anteilige Garantierente mehr besteht, lag
noch unter der Armutsgefährdungsgrenze. 7 Dabei ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass im Haushaltskontext noch weitere Einkommen wie Betriebs-
renten hinzukommen können. Ein direkter Schluss aus der Höhe durch-
schnittlicher öffentlicher Renten oder von rechtlichen Grenzwerten auf Al-
tersarmut ist nicht möglich.

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4   Die zugrunde liegenden Annahmen des Basisszenarios sind eine Verzinsung von 3,9 Prozent, eine Inflationsrate von 2,0 Prozent
    und Verwaltungskosten in Höhe von jährlich 0,39 Prozent des Kapitals, wobei für die Zeit zwischen Erhebung der Beiträge bis zur
    Investition geringere Renditen unterstellt werden (Pensionsmyndigheten o. J. c, S. 71).
5   Die zudem potenziell über kürzere Erwerbsbiografien in Schweden und damit geringere Ansprüche auf einkommensbezogene
    Renten verfügen; vgl. Gasslander 2022.
6   Die entsprechenden Werte für Paare liegen etwas niedriger.
7   Werte für 2020 für Alleinstehende: Höchstbetrag der Garantierente 8.597 SEK (820 Euro), Schwelle, ab der einkommensbezogene
    Renten nur noch zu 48 Prozent angerechnet werden, 4.966 SEK (473 Euro), Grenze, ab der kein Anspruch mehr besteht, 12.530
    SEK (1.195 Euro); Armutsgefährdungsgrenze (60 Prozent des medianen Äquivalenzeinkommens) 1.235 Euro; Pensionsmyndighe-
    ten o. J. c, S. 28, Deutsche Bundesbank 2022, Eurostat 2022.

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                                                                                 Seite 5
2.4       Betriebsrenten

Aufgrund der sehr hohen Tarifbindung schwedischer Unternehmen sind
90 Prozent der Beschäftigten in den vier betrieblichen Versorgungswerken
abgesichert (Jansson et al. 2018). Betriebsrenten spielen im Zusammen-
hang mit den gesetzlichen Renten eine spezielle Rolle. Die Finanzierung
erfolgt durch die Arbeitgeber mit Beiträgen von in der Regel 4,5 Prozent
des Einkommens unterhalb der Beitragsgrenze der gesetzlichen Rente
(s. o.) und rund 30 Prozent des darüber liegenden Einkommens. Während
so für Bezieher*innen von Einkommen unterhalb der Grenze die Rente
aufgestockt wird, wird für höher verdienende Beschäftigte eine Lohnersatz-
leistung auch oberhalb der gesetzlichen Grenze geschaffen; sie beziehen
proportional zu ihrem Einkommen höhere Betriebsrenten. Im Rahmen des
Betriebsrentensystems können Beschäftigte häufig individuelle Anlageent-
scheidungen treffen.
Private Renten spielen insgesamt eine untergeordnete Rolle. 2016 wurde
die steuerliche Förderung privater Vorsorge beendet.

2.5       Rentenalter

Das schwedische Rentenrecht kennt in Bezug auf die einkommensbezoge-
nen Renten kein fixes Rentenalter. Ein Rentenbezug ist ab 62 Jahren mög-
lich, wobei auch Teilrenten bezogen werden können. Diese Grenze soll laut
OECD auf 63 Jahre (2023) und 64 Jahre (2026) ansteigen (OECD 2021c).
Das empfohlene Rentenalter liegt bei 65 Jahren. Ein späterer Renteneintritt
führt zu höheren individuellen Rentenleistungen (s. o.). Die Garantierente
kann frühestens mit 65 Jahren bezogen werden. Auch diese Altersgrenze
soll steigen, auf 67 Jahre im Jahr 2026. Zudem ist die Kopplung der Alters-
grenzen an die Lebenserwartung geplant (OECD 2021a, S. 79).

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3 Leistungen – Vorbild Schweden?

Wie hoch sind die Leistungen des schwedischen Rentensystems? Eine
erste Orientierung können administrative Werte (wie etwa der Höchstbetrag
der Garantierente) oder empirische Durchschnittswerte bieten. Eine weitere
Vergleichsmöglichkeit bieten Modellrechnungen für idealtypische Lebens-
läufe.

3.1        Durchschnittliche Rentenleistungen

Im Dezember 2020 betrugen die öffentlichen Renten (einkommensbezoge-
ne Renten einschließlich ATP-Rente sowie Garantierente) bei Frauen im
Durchschnitt 11.700 SEK, bei Männern bei 14.700 SEK. Das entsprach
1.150 bzw. 1.440 Euro (Pensionsmyndigheten o. J. c, S. 39; Deutsche
Bundesbank 2022).
Tabelle 1 bietet einen Überblick über die Rentenleistungen der verschiede-
nen öffentlichen Teilsysteme. Angeben sind die Durchschnittszahlungen
pro Monat im Jahresdurchschnitt. 8 Eine Person kann entsprechend der
Struktur des Systems Renten aus mehreren dieser Teilsysteme beziehen,
in Abhängigkeit vom Alter und Haushaltskontext. In den in der Tabelle aus-
gewiesenen Gesamtdurchschnitt fließen diese verschiedenen Kombinatio-
nen ein. 9 Entsprechend sind im Gesamtdurchschnitt sowohl die Leistungen
des älteren Systems (ATP-Renten) enthalten, die aus diesem Grund eben-
falls in der Tabelle ausgewiesen werden, wie auch die nur von einem Teil
der Rentner*innen bezogenen Garantierenten.
Zur Orientierung werden die durchschnittlichen Altersrenten (brutto) der
deutschen Rentenversicherung aufgeführt. Ein direkter Vergleich der
schwedischen Leistungen mit den deutschen ist allerdings schwierig:
–        In Deutschland existiert kein universelles Rentensystem, Beamte er-
         halten großzügige öffentliche Pensionen und bestimmte Gruppen von
         Erwerbstätigen sind durch eigene Versorgungssysteme abgesichert.
         Die höheren Bezüge für diese Gruppen fließen nicht in die deutschen
         Durchschnittswerte ein.
–        In Schweden spielen unterschiedliche öffentliche Durchführungswege
         zusammen und ergeben aus individueller Sicht das Gesamteinkom-
         men. Die einkommensbezogenen Renten werden bei geringen An-
         sprüchen durch die Garantierente ergänzt.
–        In den Rentenleistungen zeigen sich auch rechtliche Unterschiede wie
         die Beitrags- und Leistungsbegrenzungen. In Schweden liegen diese
         Grenzen relativ zum Durchschnittseinkommen niedriger als in Deutsch-
         land.

—————————
8   Die schwedische Statistik weist die Werte für die einzelnen Monate aus. Um einen Jahresdurchschnitt zu erzielen, wurden die
    Monatsangaben mit der Zahl der Bezieher*innen gewichtet.
9   Vgl. Pensionsmyndigheten o. J .c, S. 39 für das Zusammenspiel der unterschiedlichen Rentenarten nach Geschlecht und
    Einkommen. Das Alterseinkommen von Frauen umfasste zu einem größeren Anteil Garantierenten als das der Männer.

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–      Grundsätzlich spiegeln die aktuellen Rentenleistungen auch vergange-
       ne Arbeitsmarktentwicklungen (wie etwa die Frauenerwerbsbeteiligung
       und die Nutzung von Teilzeitarbeit) wider, die sich nicht unbedingt in
       den zukünftigen Renten der jetzt Erwerbstätigen niederschlagen müs-
       sen.
–      Auf Rentenleistungen werden in unterschiedlichem Maße Steuern
       (Schweden) bzw. Steuern und Sozialabgaben (Deutschland) erhoben.
       Die Berechnung dieser Abzüge würde weitere Annahmen zur Ein-
       kommenssituation von Haushalten voraussetzen. 10
–      In beiden Ländern spielen betriebliche und private Vorsorge in unter-
       schiedlichen Ausprägungen eine Rolle, deren Leistungen hier nicht
       ausgewiesen werden.
Werden die für abhängig Beschäftigte maßgeblichen öffentlichen Systeme
betrachtet und die schwedischen in der Summe behandelt, scheinen die
Leistungen der schwedischen Systeme nur wenig großzügiger zu sein als
die der deutschen Rentenversicherung. An den unteren Rändern der Al-
terseinkommen greift in Schweden allerdings (mit der Voraussetzung eines
40-jährigen Aufenthalts im Lande für den vollen Umfang der Leistung) die
Garantiepension, für die es in Deutschland kein Äquivalent gibt. In
Deutschland werden dafür auch relativ höhere Einkommen im öffentlichen
System abgesichert.
Auffällig ist, dass sowohl in Schweden wie in Deutschland die Leistungen
für Männer höher liegen als für Frauen, der Abstand in Deutschland aber
größer ist (vgl. zum Gender Pension Gap Dessimirova/Bustamante 2019).
Zur Orientierung sind außerdem die Jahresbruttoverdienste nach OECD-
Angaben aufgeführt („average worker earnings“, OECD 2021b, c). Gemes-
sen an diesen Zahlen scheinen die schwedischen Renten zwar relativ hö-
her zu sein als die deutschen. Dies relativiert sich jedoch, wenn für
Deutschland zur Orientierung das durchschnittliche Jahresarbeitsentgelt
herangezogen wird, das zur Bestimmung des Standardrentenniveaus in der
Rentenversicherung verwendet wird (Deutsche Rentenversicherung 2021).
Dieser Abgleich kann allerdings nur eine erste Orientierung in Bezug auf
die Größenordnungen geben, da beispielsweise die schwedischen Renten
auch diejenigen der Selbständigen umfassen, deren Einkommen für einen
exakten Vergleich in das Durchschnittseinkommen einfließen müssten. 11
Ein methodisch sauberer Vergleich müsste neben vergleichbare Renten
auch vergleichbare Einkommensgrößen stellen.

—————————
10 In den weiter unten behandelten Vorausberechnungen der OECD wird für den Standardfall (d. h. für eine Person, deren Durch-
   schnittseinkommen während des Erwerbslebens dem Durchschnittslohn entsprach), davon ausgegangen, dass Steuern und Abga-
   ben in den beiden Ländern mit rund 21 Prozent in etwa dieselbe Höhe erreichen (OECD 2021a, S. 143). Diese Vorausberechnungen
   entsprechen allerdings nicht den 2020 noch anzuwendenden Regelungen, da in Deutschland der Übergang zur nachgelagerten
   Besteuerung noch nicht abgeschlossen ist. Für eine genaue Berechnung der Steuern müssten zudem weitere Annahmen getroffen
   werden, da sich die Einkommenssteuern auf das gesamte Haushaltseinkommen beziehen, nicht allein auf die Renten.
11 Zur Definition des Durchschnittslohns lt. OECD s. OECD 2021e, Anhang A.

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Tab. 1: Durchschnittliche Rentenleistungen in Schweden (öffentliche Systeme) und Altersrenten der deutschen Rentenversicherung
  (Rentenbestand), vor Steuern und Abgaben, nach Geschlecht, sowie Durchschnittslöhne und Beitragsbemessungsgrenzen, 2020
  Angaben in Euro

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                                                                              Öffentliche Renten (Monat)                                            Renten der DRV
                                                                                                                                                       (Monat)
                                             öffentliche           ATP-Rente          Einkommens-                Prämien-              Garantie-      Altersrenten
                                               Renten                                     rente                    rente                rente       (Bestand, brutto)
                                             insgesamt
 Insgesamt                                       1.244                 639                   734                        69                162                 1.102
 Männer                                          1.395                 716                   822                        76                169                 1.367
 Frauen                                          1.109                 569                   649                        63                160                  891

                                                                                       Schweden                                                      Deutschland
 Durchschnittslohn                                                                       45.404                                                              52.104
 lt. OECD (Jahreswert, brutto)
 durchschnittliches Jahresarbeits-                                                           -                                                               39.167
 entgelt in der deutschen Renten-
 versicherung

 Beitragsbemessungsgrenzen                                                               51.415                                                              82.800
                                                                                                                                                             (West)
Quelle: Pensionsmyndigheten o. J. c, d, Deutsche Rentenversicherung 2021, OECD 2021b, c, eigene Berechnungen.
Schweden: öffentliche Renten insgesamt einschließlich ATP-Renten; die schwedischen Werte ergeben sich aus dem gewichteten Mittel der Monatswerte,
Umrechnung in Euro laut Deutsche Bundesbank 2022; die Werte für die Rentenarten beziehen sich jeweils auf die ausgezahlten Renten. Deutschland: Bruttoren-
ten errechnet aus Zahlbeträgen mit von der DRV ausgewiesenem Umrechnungsfaktor 1,114. OECD: „average worker earnings“.

  Zu berücksichtigen ist bei der Einordnung der Kaufkraftunterschied
  – in Schweden lag das Preisniveau 2020 deutlich über dem deutschen
  (Eurostat 2021). Wird das in den Vergleich einbezogen, fallen die Leistun-
  gen des öffentlichen Systems Schwedens insgesamt niedriger aus als die
  Altersrenten im Bestand der deutschen Rentenversicherung. Tabelle 2 gibt
  einen Überblick über die kaufkraftbereinigten Werte (KKS – Kaufkraftstan-
  dard).

  Tab. 2: Öffentliche Renten in Schweden insgesamt, Altersrenten in Deutschland (Rentenbestand),
  vor Steuern und Abgaben, nach Geschlecht, 2020
  Angaben in SEK, Euro und Kaufkraftstandard (KKS)

                                                       Schweden                                          Deutschland
                                            öffentliche Renten insgesamt                          Altersrenten (Bestand)
                                         SEK               Euro           KKS                    Euro           KKS (EU 27)
                                                                         (EU27)
   Insgesamt                            13.043             1.244             944                 1.102                 1.025
   Männer                               14.627             1.395          1.059                  1.367                 1.272
   Frauen                               11.625             1.109             841                  891                   829
  Quelle: Pensionsmyndigheten o. J. d, Deutsche Rentenversicherung 2021, Eurostat 2021, Deutsche Bundesbank 2022,
  eigene Berechnungen. Anmerkungen s. Tabelle 1.

  Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                                                                                Seite 9
Problematisch an solchen Vergleichen ist wie gesagt, dass die empirischen
Leistungen sowohl die Lebensläufe der Menschen, die in Rente gegangen
sind, widerspiegeln, als auch die Vielzahl der unterschiedlichen voneinan-
der abweichenden nationalen Regelungen. So werden beispielsweise die
deutschen Renten in der Zukunft immer stärker auch die Arbeitslosigkeits-
erfahrungen der Nachwendezeit reflektieren. In Schweden zeigt sich eine
höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen auch darin, dass die Renten der
Frauen näher an denen der Männer liegen, als das in Deutschland der Fall
ist.
Außerdem spielen rentenrechtliche Besonderheiten eine Rolle, wie etwa
Anspruchsvoraussetzungen. In Schweden kommt das neue System erst
schrittweise zur Anwendung. Das zeigt sich auch im Vergleich unterschied-
licher Jahrgänge: Die durchschnittlich bezogenen Leistungen der ATP-
Rente sind in älteren Jahrgängen höher. Umgekehrt beziehen die jüngeren
Jahrgänge höhere Leistungen aus der neuen Einkommensrente und der
Prämienrente.
Tabelle 3 stellt daher die durchschnittlichen Leistungen für die Gruppe der
65-69-Jährigen dar. Der Durchschnitt der öffentlichen Renten liegt gering-
fügig über den Werten in Tabelle 1, die Betrachtung der einzelnen Renten-
arten zeigt deutlichere Unterschiede. Die in Tabelle 3 behandelte Gruppe
hat im Schnitt die höchsten Einkommenspensionen aller Altersgruppen.
Diese liegen auch höher als in der Altersgruppe der 62-64-Jährigen, da bei
Betrachtung der 65-69-Jährigen auch die Renten derjenigen einfließen, die
zu einem späteren Zeitpunkt in Rente gehen, was sich in der Berechnung
deren Renten widerspiegelt (Pensionsmyndigheten o. J. d.). 12

Tab. 3: Durchschnittliche Rentenleistungen der öffentliche Systeme in Schweden, vor Steuern, 65–69-
Jährige, nach Geschlecht, 2020
Angaben in Euro

                           öffentliche         ATP-Rente            Einkommens-                Prämien-             Garantie-
                             Renten                                     rente                    rente               rente
                           insgesamt
 Insgesamt                     1.250              161                    1.007                    112                   161
 Männer                        1.346              190                    1.092                    120                   190
 Frauen                        1.157              161                      922                    105                   146
Quelle: Pensionsmyndigheten o. J. d, eigene Berechnungen. Öffentliche Renten insgesamt einschließlich ATP-Renten.
Die schwedischen Jahreswerte ergeben sich aus dem gewichteten Mittel der Monatswerte, Umrechnung in Euro laut
Deutsche Bundesbank 2022.

—————————
12   Die Prämienpensionen fallen unter den 62–64-Jährigen höher aus. Die Garantierente wird aufgrund der Altersgrenze von 65 Jahren
     für die Altersgruppe der 62–64-Jährigen nicht ausgewiesen.

Seite 10                                                                       Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung
3.2         Modellrechnungen

Um dem „Kern“ der Rentensysteme näher zu kommen und den Fallstricken
bei der Betrachtung empirischer Durchschnittswerte zu entgehen, lassen
sich idealisierte Lebensläufe und ihre rentenrechtliche Behandlung verglei-
chen. Die OECD berechnet anhand von Modellbiografien Ersatzraten (Ren-
tenleistungen gemessen am individuellen Durchschnittseinkommen)
(OECD 2021a). Auf diese Modellbiografien wird der aktuelle Rechtsstand in
der Rentenpolitik angewendet. So wird dargestellt, welche Leistungen Be-
rufseinsteiger*innen bei Renteneintritt zu erwarten haben, wenn bestimm-
ten Annahmen zum Lebenslauf, aber auch zu volkswirtschaftlichen Rah-
mendaten – das betrifft im Rahmen der Kapitaldeckung auch Annahmen zu
Renditen und Kosten – getroffen werden. Der aktuelle Standardfall der
OECD geht von einem Berufseinstieg mit 22 Jahren aus und einem ab-
schlagsfreien Renteneintritt. Die Berechnungen der OECD legen in Schwe-
den einen Renteneintritt mit 65 Jahren, in Deutschland mit 67 Jahren zu-
grunde – also unterschiedlich lange Erwerbskarrieren. Entsprechend erfolgt
der Renteneintritt in diesen Berechnungen im Jahr 2063 (Schweden) bzw.
2065 (Deutschland). Diese Berechnungen sind vereinfachend und können
nicht die Vielfalt der individuellen Lebensläufe abbilden. Sie bieten aber
ebenso wie empirische Durchschnittswerte einen Einstieg, um die Leistun-
gen des Rentensystems für Personen, die einem*einer „Normalarbeitneh-
mer*in“ nahekommen, abzuschätzen. 13 Ergebnis dieser Berechnungen sind
Brutto- und Nettoersatzraten.
Die Daten zeigen, dass Schweden einschließlich der weiterverbreiteten
(„quasi mandatory“) betrieblichen Altersversorgung nach diesen Vorausbe-
rechnungen – bei einer um zwei Jahre kürzeren Erwerbskarriere – etwas
schlechter abschneidet als das bestehende deutsche System einschließlich
der „Riester-Rente“ 14, wenn die Bruttoersatzraten als Vergleichsmaßstab
herangezogen werden (Abbildung 1; OECD 2021a, S. 141). Dabei liegen
die Bruttoersatzraten der beiden öffentlichen Systeme etwa in der gleichen
Höhe, wenn Personen mit Durchschnittsverdienst betrachtet werden. Die
gesamte Bruttoersatzrate für Personen mit halbem Durchschnittseinkom-
men liegt in Schweden etwas höher als in Deutschland. Bei den Nettoer-
satzraten steht das deutsche System besser dar, wenn Personen mit
halbem und einfachem Durchschnittsverdienst betrachtet werden (Abbil-
dung 2; OECD 2021a). Beim doppelten Durchschnittsverdienst liegt die
Ersatzrate brutto wie netto in Schweden höher, was ein Ergebnis der groß-
zügigen Betriebsrenten für Gutverdiener*innen sein dürfte: Bei Personen
mit doppeltem Durchschnittsverdienst tragen die schwedischen Betriebs-
renten rund 43 Prozentpunkte zur gesamten Bruttoersatzrate in Höhe von
rund 67 Prozent bei.
Problematisch ist, dass die Durchschnittseinkommen nach OECD-
Definition höher liegen als die in anderen Quellen. Der „halbe Durch-
schnittsverdiener“ ist damit nur begrenzt aussagekräftig, wenn es um die
—————————
13   Darüber hinaus können auf dieser Grundlage Variationen der Biografien erstellt werden; vgl. OECD 2021a, Kapitel 5.
14   Dabei ist in den OECD-Berechnungen der Beitrag der „Riester-Rente“ zur gesamten Bruttoersatzrate bei Durchschnittsverdienern in
     Deutschland sogar höher als der Beitrag der Betriebsrenten in Schweden. Die „Riester-Rente“ erreicht aufgrund des freiwilligen
     Charakters allerdings bei weitem nicht die Verbreitung, die die quasi-verpflichtenden Betriebsrenten in Schweden erzielen.

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                                                                               Seite 11
Alterseinkommen von Geringverdienern geht – die Wirkungen der Grund-
rente in Deutschland und der Garantierente in Schweden werden damit nur
ansatzweise abgebildet.
Das schwedische System liefert damit (wie auch das deutsche) für Durch-
schnittsverdiener deutlich geringere Leistungen als andere Systeme wie
etwa das österreichische oder niederländische System. Die Vergleichbar-
keit ist aber eingeschränkt durch die unterschiedlich langen Erwerbskarrie-
ren. Bei gleicher Erwerbsdauer steigen die schwedischen Ersatzraten auf-
grund längerer Beitragszahlung und Verzinsung.

Abb. 1 Bruttoersatzraten öffentlicher und privater verpflichtender Systeme sowie freiwilliger Systeme in
europäischen Ländern (Schweden inklusive Betriebsrenten, Deutschland inklusive Riester-Rente)
Angaben in Prozent

       Dänemark
      Luxemburg
         Portugal
           Italien
       Österreich
         Spanien
           Türkei
    Griechenland
     Niederlande
          Ungarn
      Frankreich
            Irland
         Finnland
    Deutschland                                41,5                      14,1
       Schweden                                41,3                      12,0
        Slowakei
          Estland
          Belgien
           Island
      Tschechien
  Großbritannien
       Norwegen
         Schweiz
         Lettland
       Slowenien
          Litauen
            Polen

                     0         10         20          30          40            50        60          70          80        90

        Bruttoersatzrate: öffentliche verpflichtende Systeme             Bruttoersatzrate: private verpflichtende Systeme
        Bruttoersatzrate: freiwillige Systeme

Quelle: OECD 2021a; Darstellung für Person mit Durchschnittsverdienst. In Deutschland zählt die „Riester-Rente“
als freiwilliges System, in Schweden sind die Betriebsrenten als privates verpflichtendes System klassifiziert.

Seite 12                                                                        Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung
Abb. 2 Nettoersatzraten der öffentlichen und privaten verpflichtenden und freiwilligen Systeme, Deutsch-
land und Schweden (Schweden einschließlich Betriebsrente, Deutschland einschließlich Riester-Rente),
Vielfaches des Durchschnittsverdienstes nach OECD-Definition
Angaben in Prozent

                  75,0                                                                                      75,3
                                                          70,2
                               65,1
                                                                                                 58,3
                                                                     56,2

                         0,5                                     1                                      2

                                                     Deutschland       Schweden

Quelle: OECD 2021a.

Für den deutschen Fall ist darauf hinzuweisen, dass die OECD-
Berechnungen noch das sinkende Rentenniveau berücksichtigen. Das ist
zum Zeitpunkt des Verfassens des Policy Briefs zwar noch geltende
Rechtslage (nach Auslaufen der aktuellen Regelung sinkt das Niveau ab
2025 weiter). Eine dauerhafte Stabilisierung des Sicherungsniveaus vor
Steuern bei mindestens 48 Prozent, wie im Koalitionsvertrag der seit 2020
regierenden Parteien vereinbart (SPD u. a., 2021), müsste zu einer Anpas-
sung der OECD-Berechnungen führen. Da das Bruttorentenniveau gegen-
wärtig rund 45 Prozent beträgt und die Berechnungsgrundlage (Durch-
schnittsverdiener mit 45 Jahren Einkommen und abschlagsfreiem Renten-
eintritt) der OECD-Biografie entspricht, muss für die Zukunft von einer Brut-
toersatzrate des öffentlichen Systems in dieser Höhe ausgegangen werden
(anstelle der gegenwärtig vorausberechneten rund 42 Prozent). 15
Diese Anmerkungen stellen aber den Befund nicht in Frage, dass die Al-
terssicherungssysteme der beiden Länder nicht als besonders großzügig
einzuordnen sind, wenn andere nord- und westeuropäische Länder als
Maßstab genommen werden (vgl. Abbildung 1). Das gilt insbesondere bei
mittleren und geringen Einkommen nach OECD-Definition. Die Berechnun-
gen der OECD für Personen mit doppeltem Durchschnittsverdienst weisen
zudem daraufhin, dass im Unterschied zu Deutschland in Schweden diese
Personen höhere Ersatzraten erwarten können als diejenigen mit geringe-
ren Einkommen – eine Folge der Größe und Funktion der Betriebsrenten.
Im direkten Vergleich der öffentlichen Systeme muss gerade bei Stabilisie-
rung des deutschen Rentenniveaus davon ausgegangen werden, dass die

—————————
15   Schließlich muss für beide Fälle angemerkt werden, dass die zugrundeliegenden Annahmen zur Verzinsung als optimistisch einzu-
     ordnen sind (vgl. Türk/Mum 2016).

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                                                                              Seite 13
beiden Länder auch künftig in etwa einer Liga spielen. Damit wird aus die-
ser Perspektive bestätigt, was der Blick auf die empirischen Werte nahe
gelegt hat: Schweden ist kein Beispiel für eine deutlich großzügigere Ren-
tenpolitik, zumal das schwedische beitragsorientierte System keine Ziel-
größe beim Leistungsniveau kennt und außerdem noch stärker als das
deutsche System auf Beitragssatzstabilität hin orientiert ist. Hervorzuheben
ist im Falle Schwedens die Garantierente als eine Mindestsicherung, die in
dieser Form in Deutschland nicht existiert.

4 Finanzierung der Alterssicherung

Das schwedische System wird aus Beiträgen der Beschäftigten und Arbeit-
geber finanziert, wobei die Arbeitgeber den größeren Anteil übernehmen.
Berechnungsgrundlage ist das beitragspflichtige Einkommen abzüglich des
von den Beschäftigten zu tragenden Beitragssatzes von 7 Prozent. Auf
dieser Grundlage wird ein Beitragssatz von 18,5 Prozent erhoben. 16
Bezogen auf den Lohn insgesamt sind das 17,21 Prozent. Davon tragen
die Beschäftigten 7 Prozentpunkte und die Arbeitgeber 10,21 Prozentpunk-
te. Oberhalb der Beitragsgrenze (s. o.) zahlen Arbeitgeber Beiträge in glei-
cher Höhe, die als Steuer aber nicht in die Alterssicherung fließen, sondern
in den Staatshaushalt. Selbständige tragen den vollen Beitragssatz (Pensi-
onsmyndigheten o. J. c, S. 22, dort auch Fußnote 4).
Hinzu kommen die von den Arbeitgebern zu tragenden, quasi-
obligatorischen Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung. Der
Beitragssatz beträgt in der Regel 4,5 Prozent des Einkommens bis zur Be-
messungsgrenze abzüglich 7 Prozent, darüber 30 etwa Prozent.
Entsprechend der unterschiedlichen Beitragssätze und Funktionen der
Teilsysteme stellt sich auch die Größenverhältnisse im ganzen System dar:
62 Prozent der Beiträge flossen in die öffentlichen Systeme, die über
43 Prozent des Vermögens verfügten und für 67 Prozent der Rentenzah-
lungen verantwortlich waren. In das Betriebsrentensystem flossen dagegen
37 Prozent des gesamten Beitragsaufkommens, auf dieses System entfie-
len 49 Prozent des Vermögens und 27 Prozent der Ausgaben (Rest zu
100 Prozent: private Rentenversicherungen; Werte für 2018; Anderson
2021, S. 23).
Ein direkter staatlicher Beitrag aus Steuermitteln zum System der Alterssi-
cherung existiert nur in der Garantierente. Laut MISSOC (2021) wird aber
der Rentenbeitrag der Beschäftigten sowie ein entsprechender Anteil der
Beiträge der Selbstständigen „vollständig durch eine Steuerermäßigung
ausgeglichen”. Es lässt sich damit argumentieren, dass es im Endeffekt
keinen Beitrag der Beschäftigten gibt, sondern nur Arbeitgeberbeiträge und
öffentliche Finanzierung. 17

—————————
16   Davon fließen 16 Prozentpunkte in die Einkommens- und 2,5 Prozentpunkte in die Prämienrente.
17   „Since the individual receives a tax deduction for national public pension contributions on their tax returns, it can be seen as the state
     paying the national public pension contribution.” (Pensionsmyndigheten o. J. c, S. 22)

Seite 14                                                                              Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung
Mit dem schwedischen System der Finanzierung ist ein Haken verbunden,
der nicht verschwiegen werden sollte: Da die Beiträge fixiert sind und der
Staat Einnahmeschwankungen nicht ausgleicht (wie etwa in Österreich),
sind das flexible Element zum Erreichen finanzieller Nachhaltigkeit die Ren-
ten. Dieses Prinzip hat in der Vergangenheit zu absoluten Kürzungen der
Renten geführt. Ökonomische und speziell Arbeitsmarktrisiken schlagen
damit auf Seiten der Rentner*innen und der Anspruchsberechtigten voll
durch.
Die Arbeitgeber übernehmen also einen deutlich größeren Anteil der Fi-
nanzierung der Alterssicherung. 18 Grundsätzlich sollte die Frage nach der
Höhe der Sozialabgaben bzw. der Beiträge zu einzelnen Sicherungssyste-
men jedoch nicht überbewertet werden, da diese sich wiederum in ein wei-
teres System der lohnbezogenen Steuern und Abgaben einbetten.
Auch internationale Vergleiche der Beitragssätze zu einzelnen Sicherungs-
systemen haben ihre Tücken, da beispielsweise sichergestellt sein muss,
dass die Sicherungssysteme auch dieselben Risiken behandeln (in
Deutschland wird das Risiko der Erwerbsminderung durch die Rentenversi-
cherung abgesichert, in Schweden nicht). Im Vergleich ist es dennoch inte-
ressant zu sehen, dass Arbeitgeberbeiträge zur sozialen Sicherung im
schwedischen System – ohne Berücksichtigung der betrieblichen Alters-
versorgung – bei Durchschnittsverdiener*innen deutlich höher liegen als im
deutschen, dafür aber die deutschen Arbeitnehmerbeiträge insgesamt
deutlich höher sind (vgl. Abbildung 3; vgl. OECD 2021d).

Abb. 3 Steuern und Abgaben im Vergleich, 2020
Angaben in Prozent des Arbeitnehmer*innenbruttoeinkommens für alleinstehende Durchschnittsverdiener*innen
nach OECD-Definition

                                                                                    Arbeitnehmer*innenbrutto
                                                                                            = 100 %

           Schweden                                75,3                           17,7       7,0         31,4

         Deutschland                        61,1                        18,8          20,1            19,9

                       0             20              40            60          80             100            120     140

                                  Nettoeinkommen
                                  Durchschnittliche Einkommenssteuer (% des Bruttolohns)
                                  Durchschnittliche Sozialbeiträge Beschäftigte (% des Bruttolohns)
                                  Durchschnittliche Sozialbeiträge Arbeitgeber (% des Bruttolohns)

Quelle: OECD 2021d. Schweden: ohne Aufwendungen zur betrieblichen Altersversorgung.

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18   Im alten ATP-System übernahmen sie sogar die vollen Kosten.

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                                                                        Seite 15
Aufgrund dieser Unterschiede in der Verbeitragung relativieren sich die
Unterschiede zwischen den beiden Ländern, was die Löhne der Beschäftig-
ten angeht. Bezieht ein*e alleinstehende*r Durchschnittsverdiener*in nach
OECD-Angaben (OECD 2022) in Deutschland noch einen Bruttolohn, der
133 Prozent des schwedischen Äquivalents entspricht, reduziert sich dieser
Wert auf 107 Prozent beim Nettolohn (Angaben in US-Dollar, kaufkraftbe-
reinigt [US dollars using PPP exchange rates], 2020). Allerdings bleibt zu
beachten, dass in diese Berechnungen weder die private Altersvorsorge in
Deutschland eingeht, noch weitere freiwillige oder tarifvertraglich festgeleg-
te Bestandteile der Arbeitskosten wie etwa Beiträge zu Betriebsrenten (Ab-
bildung 4).

Abb. 4 Steuern, Abgaben und Löhne im Vergleich, 2020
Angaben kaufkraftbereinigt in US-Dollar (US dollars using PPP exchange rates) für alleinstehende*n Durch-
schnittsverdiener*in nach OECD-Definition

    Schweden

  Deutschland

              0,00               20.000,00             40.000,00             60.000,00           80.000,00

         Nettoeinkommen      Einkommensteuer       Sozialabgaben der Beschäftigten    Sozialabgaben der Arbeitgeber

Quelle: OECD 2021d. Schweden: ohne Aufwendungen zur betrieblichen Altersversorgung.

Diese Angaben beziehen sich stets auf den*die Durchschnittsverdiener*in
nach OECD-Definition. Davon zu unterscheiden sind die Arbeitskosten pro
Stunde, die in Schweden in der Privatwirtschaft insgesamt und im privaten
Dienstleistungssektor höher liegen als in Deutschland. Im verarbeitenden
Gewerbe liegen dagegen die Arbeitskosten in Deutschland höher (Herzog-
Stein/Stein 2021, S. 11).

5 Automatismen und Nachhaltigkeit

Die „Nachhaltigkeit“ des schwedischen Systems beruht einerseits auf dem
oben beschriebenen Anpassungsmechanismus für die Leistungen und an-
dererseits auf der Fixierung des Beitragssatzes. Die Rentenleistungen sind
völlig davon abhängig, wie sich die Einnahmenseite und das Vermögen
entwickeln. Ein Leistungsziel besteht in den einkommensbezogenen Ren-
ten nicht, eine sozialpolitische Zielsetzung ist damit im Rentensystem nicht
vorgesehen.

Seite 16                                                                 Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung
Allerdings hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass diese Fokussierung
auf den Beitragssatz und die Einführung eines Automatismus die Politik
nicht entlastet: In dem Augenblick, in dem nominale Rentenkürzungen
drohten, wurde zwar nicht direkt in der Rentenpolitik, aber durch Änderun-
gen im Steuersystem sichergestellt, dass Rentner*innen kaum eine Kür-
zung ihrer Netto-Bezüge hinnehmen mussten.
Eine Entlastung der Politik war allerdings durchaus angestrebt, und zwar in
dem Sinne, dass eine auch durch wahltaktische Motive gesteuerte, perma-
nente rentenpolitische Auseinandersetzung vermieden werden sollte, in-
dem grundsätzliche Entscheidungen von einer möglichst großen Parteien-
koalition getragen werden sollten – explizit auch unter Einschluss von Tei-
len der Opposition. Das aktuelle Rentensystem ist das Ergebnis eines „Ab-
kommens“ von fünf Parteien in den 1990er Jahren, das bis heute im We-
sentlichen gehalten hat. Diese Parteien formen – zusammen mit einer
sechsten neu hinzugekommenen – die Rentengruppe, in der rentenpoliti-
sche Entscheidungen im Konsens entschieden werden. (Zwei Parteien
stehen außerhalb der Rentengruppe.) Das schwedische Rentensystem ist
damit durch eine erhebliche politische Nachhaltigkeit gekennzeichnet, die
auf einem auf Dauer angelegten politischen Konsens über die langfristigen
Ziele und Instrumente der Rentenpolitik beruht. Der Preis dieses politischen
Konsenses ist jedoch die Aufgabe einer echten sozialpolitischen Ausrich-
tung des Systems, mithin eines Leistungsziels. Der grundsätzliche Konsens
verhindert im Übrigen nicht, dass es regelmäßig zu rentenpolitischen De-
batten kommt, da trotz der grundlegenden Vereinbarung die beteiligten
Parteien durchaus unterschiedliche Präferenzen haben (Anderson 2021).
Diese politische Nachhaltigkeit ist aus der deutschen Perspektive interes-
sant. Hierzulande werden von einzelnen Wissenschaftlern grundsätzliche
Zweifel daran geäußert, dass eine langfristig wirksame und bindende Politik
von Parteien entschieden und umgesetzt werden kann; die Alternative be-
stünde in einer stärkeren Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf
Expert*innen (vgl. Voigt 2020). Offensichtlich sind aber demokratische Par-
teien durchaus in der Lage, solche Entscheidungen zu treffen und gegebe-
nenfalls im Konsens auch weiterzuentwickeln. Damit soll allerdings das
inhaltliche Ergebnis des schwedischen Konsenses nicht positiv bewertet
werden.
Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die schwedischen Gewerk-
schaften die Reformen in den Neunzigerjahren nicht unterstützten, sondern
stillschweigend akzeptierten, und dass sie seither den Rückgang der Er-
satzquoten kritisieren, u. a. einen höheren Beitragssatz fordern und auch
Vorschläge zur Anhebung des Rentenalters nicht bedingungslos akzeptier-
ten (Anderson 2021, S. 36).

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                          Seite 17
6          Fazit: Als Vorbild nur bedingt geeignet

Taugt das schwedische Rentensystem als Vorbild? In der deutschen De-
batte wird häufig dann auf Schweden verwiesen, wenn es um Kapitalde-
ckung als Finanzierungsmechanismus geht oder um die Regulierung kapi-
talgedeckter Vorsorge. Kapitalgedeckte Elemente finden sich im öffentli-
chen System (Pufferfonds in der Einkommensrente, Prämienrente) und in
der betrieblichen Altersversorgung. In der Vergangenheit hat sich gezeigt,
dass Schwankungen auf den Kapitalmärkten im schwedischen System zu
Einbußen bei Ansprüchen und Renten führen.
Die öffentliche, verpflichtende Prämienrente und die weit verbreitete be-
triebliche Altersversorgung scheinen dann sinnvoller zu sein als die bishe-
rige freiwillige Vorsorge in Deutschland („Riester-Rente“), wenn es darum
geht, Lücken in der Verbreitung kapitalgedeckter Vorsorge zu vermeiden.
Diese Einsicht spricht aber nicht ohne Weiteres für einen Auf- und Ausbau
von kapitalgedeckten Elementen angesichts der spezifischen Risiken die-
ses Finanzierungsweges und auch der makroökonomischen Wirkungen
des Ausbaus eines Kapitalstocks. 19 Mit Blick auf die zukünftigen Erträge
aus den kapitalgedeckten Systemen ist zudem auf die Unsicherheiten bei
der Kalkulation künftiger Renditen hinzuweisen (Türk/Mum 2016). Bei Vor-
schlägen für eine Übertragung des schwedischen Modells muss mitbedacht
werden, dass die Betriebsrenten die Lebensstandardsicherung oberhalb
der Beitragsbemessungsgrenze übernehmen, also eine spezielle Funktion
erfüllen.
„Nachhaltigkeit“ wird im schwedischen System einseitig als finanzielle
Nachhaltigkeit, als Stabilität des Beitragssatzes interpretiert. Die finanzielle
Nachhaltigkeit war – und ist zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Policy
Briefs – auch Leitschnur der deutschen Rentenpolitik, wenn auch in milde-
rer Form. Diese Interpretation von Nachhaltigkeit kann in Schweden zu
sinkenden Rentenleistungen führen und hat die Politik in der Vergangenheit
auch nur teilweise entlastet. In diesem Sinne sind „Automatismen“ in der
Rentenpolitik zwar möglicherweise Handlungserleichterungen, die vom
regelmäßigen diskretionären Entscheiden entlasten, die Vorstellung einer
Entpolitisierung führt aber in die Irre. 20 Die schwedische Interpretation von
Nachhaltigkeit als absolute Beitragssatzstabilität hat Risiken einseitig bei
den Beschäftigten und Rentner*innen verortet. Weder Arbeitgeber noch der
Staat sind bei Arbeitsmarkt- oder Finanzmarktproblemen, die zu niedrige-
ren Einnahmen führen, direkt für das Rentensystem verantwortlich. In der
Vergangenheit hat sich bereits gezeigt, in welchem Umfang Schwankungen
der Kapitalmärkte auf die Renten durchschlagen können – mit der Konse-
quenz nominaler Rentenkürzungen. Die Wahlmöglichkeiten, die das Sys-
tem eröffnet, können zudem als weitere Privatisierung von Verantwortung
für die Alterssicherung gesehen werden.

—————————
19   S. hierzu Blank et al. 2017, Logeay et al. 2009, Logeay et al. 2022.
20   Erinnert sei daran, dass die OECD auch die deutsche Rentenanpassung als „automatic adjustment mechanism“ klassifiziert und die
     in der Formel wirkenden Faktoren als „automatic balancing mechanism“ (OECD 2021a, Kapitel 2).

Seite 18                                                                       Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung
Das Rentenalter scheint in Schweden auf den ersten Blick anders reguliert
zu werden und flexibler zu sein. Im Grunde lässt sich aber argumentieren,
dass die Anpassung der individuellen Rentenleistungen entsprechend des
Zeitpunktes des Renteneintritts nur eine Umformulierung des in Deutsch-
land bekannten Systems der Ab- und Aufschläge darstellt.
Die Vorbildfunktion Schwedens ist eher an anderer Stelle zu suchen: In
Schweden sind sowohl Beamt*innen wie auch Selbstständige in das öffent-
liche System einbezogen. Das entspricht der hierzulande diskutierten Re-
formoption „Erwerbstätigenversicherung“. Das Land verfügt überdies mit
der Garantierente über eine steuerfinanzierte Mindestsicherung im Renten-
system. Für sich genommen ist die Garantierente allerdings nicht armuts-
fest. Das schwedische System liefert Leistungen in etwa in der Größenord-
nung des deutschen Systems. Das Sicherungsniveau der öffentlichen Sys-
teme wird laut Vorausberechnungen bei steigendem Renteneintrittsalter
künftig noch sinken – in Deutschland ist dagegen die Stabilisierung des
Sicherungsniveaus geplant. Das bisherige Leistungslevel wird in Schweden
jedoch mit einer deutlich höheren Beteiligung der Arbeitgeber finanziert als
in Deutschland. Aus Beschäftigtensicht sind Rentenleistungen damit güns-
tiger zu haben, zumal die Beiträge der Beschäftigten durch das Steuersys-
tem rückerstattet werden. Die weitaus stärker als in Deutschland ausge-
bauten Betriebsrenten werden voll von den Arbeitgebern finanziert – hier-
von profitieren besonders Personen mit überdurchschnittlichem Einkom-
men.
Schließlich zeigt Schweden, dass politische Stabilität und Selbstbindung
demokratischer Parteien möglich sind – Vorschläge, die auf eine Experto-
kratie abzielen, können mit Verweis auf das schwedische Beispiel zurück-
gewiesen werden.
Insgesamt legen die Berechnungen der OECD aber auch ein erster, mit
Vorsicht zu genießender Abgleich der aktuellen Rentenzahlungen beider
Länder nahe, dass Schweden und Deutschland mit Blick auf die Leistungen
in etwa in einer Liga spielen. Den höheren Leistungen für überdurchschnitt-
lich verdienende Beschäftigte stehen auch höhere Aufwendungen der Ar-
beitgeber gegenüber. Die kapitalgeckten Zweige sind auch ein Grund für
Schwankungen bei den Rentenleistungen. Das deutsche System wirkt da
stabiler. Als Vorbild für eine insgesamt großzügigere und auch sozial nach-
haltige öffentliche Rentenpolitik dient Schweden damit nicht. Was Schwe-
den aber durchaus zeigt ist: Höhere Arbeitgeberbeiträge sind durchaus
möglich und tragbar und eine echte Grundrente ist machbar.

Nr. 69 · April 2022 · Hans-Böckler-Stiftung                          Seite 19
Literatur

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