Schwarzbuch Versorgungssicherheit - Greenpeace

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Wohin geht die deutsche Energiepolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                3

Der Klimawandel hat längst begonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                5

Öl und Gas - Wann endet das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                  6
       Erdöl - Schmierstoff der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite                              6
       Peak Oil - Schluss mit dem billigen Erdöl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                          8
       Gas - Eine Überbrückungs-Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite                                    9
       Ressourcenkriege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite            11
       Grünbuch Energiesicherheit und Natostrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                         12

Kohle: Dinosaurier-Energie des Industriezeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                         14
        Braunkohlekraftwerk Neurath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                            16
        Kohlesubventionen: Die Verfestigung des fossilen Energiepfades . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                                             17
        Emissionszertifikate: Neue Industriesubventionen in Milliardenhöhe . . . . . . . . . . . Seite                                                                                 18

Risiko Atomenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite   20
        Uran - Ein Rohstoff zwischen ziviler und militärischer Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                                       20
        Atomenergie: Keine Rettung fürs Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                        22
        Wie sicher sind deutsche Atomkraftwerke wirklich? Altreaktoren in Biblis . . . . . . Seite                                                                                     23
        Proliferation: Der Streit um die Atompläne des Iran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                      24

Monopolstrukturen und Vetternwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                    25
     Kein fairer Wettbewerb im liberalisierten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                     25
     Filz und Cliquenwirtschaft in der Energieindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                        26
     RWE und die Brüsseler Anti-Klimaschutz-Lobby . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                        27

Erneuerbare Energien: Blockierte Potenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                    28
       Dezentrale Energieerzeugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                               31

Anforderungen an eine nachhaltige Energieversorgung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . Seite                                                                               32

Greenpeace Zehn-Punkte-Plan - Leitplanken für eine grüne Versorgungssicherheit . . . . Seite                                                                                           34

Herausgeber: Greenpeace e.V., Große Elbstraße 39, 22767 Hamburg, Tel. 040/306 18 – 0,
Fax 040/306 18 – 100, E-Mail: mail@greenpeace.de, Internet: www.greenpeace.de
Autoren Greenpeace Deutschland: Thomas Breuer (Atom), Jörg Feddern (Erneuerbare Energien),
Gabriela von Goerne (Kohle), Karsten Smid (Öl, Gas). Textredaktion: Susanne Commerell
V.i.S.d.P.: Karsten Smid
Titelfotos: ivleva/Greenpeace, Thomas Einberger/argum/Greenpeace, Gerald Hänel/Greenpeace
Stand: 03/2006
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Energiepolitik 3

Wohin geht die deutsche Energiepolitik?
Rasant steigende Energiepreise sorgen für         sächlich in klimaschädliche Kohletechnik
Unmut bei den Energieabnehmern und zuneh-         – investieren. Doch mit dem Bau von Koh-
mende Kritik am Geschäftsgebaren der gro-         lekraftwerken werden die langfristigen Klima-
ßen Versorgungsunternehmen. Der russisch-         schutzziele konterkariert.1 Bevor der Gipfel
ukrainische Gaskonflikt zum Jahreswechsel         überhaupt stattfindet, wird der Klimaschutz
2005/2006 hat zudem die Verwundbarkeit und        den Interessen der Energieindustrie geopfert.
Abhängigkeit der Energieversorgung Westeu-
ropas deutlich sichtbar werden lassen. Prompt
                                                  Energiepolitik unter dem Primat von
forderten nicht zuletzt einige Ministerpräsi-
                                                  Geopolitik und Geostrategie
denten konservativ regierter Bundesländer
den Ausstieg aus dem Atomausstieg und damit       Die Energiepolitik gewinnt zunehmend an ge-
die Verlängerung der Restlaufzeiten für die       ostrategischer Bedeutung. Bei rasant steigender
deutschen Atomkraftwerke. Auch die Zukunft        Nachfrage wird immer offensichtlicher: Der
der Steinkohle steht zur Diskussion, denn die     Vorrat an fossilen Brennstoffen und Uran ist
Ruhrkohle AG will an die Börse, möchte das        endlich. Der Zugriff auf die wertvollen Res-
Risiko für diesen Schritt aber gerne auf den      sourcen wird daher mit politischer Macht gesi-
Staat abwälzen.                                   chert und nötigenfalls mit militärischer Gewalt
     Dabei ist die Zukunft der Energieversor-     verteidigt. Diese Politik der Energiesicherung
gung nicht allein ein Thema der Umwelt- oder      verstärkt die Ungerechtigkeit in der Welt. Wäh-
der Wirtschaftspolitik, sondern wirft zuneh-      rend die reichen Industrieländer ungehemmt
mend außen- und sicherheitspolitische Frage-      ihren Energiehunger stillen, haben die ärmeren
stellungen auf. Versorgungssicherheit, Preispo-   Länder das Nachsehen. Angesichts sinkender
litik, wachsende internationale Konkurrenz um     Reserven ist zu befürchten, dass sich die Kon-
die Ressourcen, Klimazerstörung und die Fort-     flikte um den Zugang zu Energie noch ver-
entwicklung des Emissionshandels, der Streit      schärfen werden – einschließlich bewaffneter
um die Laufzeiten der AKWs, die atomaren          Auseinandersetzungen.
Pläne des Iran und die Gefahren der Prolife-          Weltweit sind derzeit Tendenzen zur Stär-
ration sind die Schlagworte, die unmittelbar an   kung nationalstaatlicher Energiepolitik (wie in
die deutsche Energiedebatte gekoppelt sind.       Frankreich und Spanien angesichts drohender
     Deutschland steht vor einer energiepo-       Übernahmen von Energieversorgern durch
litischen Weichenstellung: Wird der Ausbau        ausländische Energiekonzerne) sowie zur Wie-
erneuerbarer Energien forciert oder steigt der    derverstaatlichungspolitik (wie in Russland,
Verbrauch fossiler und atomarer Energieträger     Asien und Lateinamerika) unübersehbar. Diese
weiterhin ungebremst an mit der Folge wach-       Entwicklung stellt multilaterale Kooperationen
sender Abhängigkeit. Dabei geht es um eine        oder rein marktwirtschaftliche Ansätze in Fra-
doppelte Abhängigkeit: Zum einen um die Ab-       ge.
hängigkeit von Rohstoffimporten (vor allem            Die Bundesregierung hat die Frage der
aus Russland), zum anderen um die Abhängig-       Versorgungssicherheit bislang den Energie-
keit von den Energiekonzernen. Es ist ein weit    konzernen überlassen, deren Unternehmens-
verbreiteter Irrglaube, dass die Interessen der   strategie natürlich vorrangig an wirtschaftlicher
Konzerne mit den Interessen der Bundesregie-      Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Die Ent-
rung übereinstimmen.                              wicklung der russischen Energiepolitik in den
     So ist der im Vorfeld des Energiegipfels     letzten Jahren aber zeigt: Der globale Markt
vom 3. April 2006 durchgesickerte Deal zwi-       kann und wird es nicht richten.
schen Bundesregierung und Energieindustrie            Russland betreibt derzeit eine Energiepoli-
- auch wenn nur ein Teil davon stimmen sollte     tik, in der die wirtschaftlichen den außen- und
- ein Affront gegen den Klimaschutz. Danach       sicherheitspolitischen Interessen untergeord-
will die Bundesregierung auf dem Gipfel zu-       net sind, baut seine Monopolstellung in den
sagen, Kohlekraftwerke beim Emissionshandel       Nachfolgestaaten der UdSSR weiter aus und
auch langfristig ausreichend mit Zertifikaten     ist auf dem besten Wege, die Gasversorgung
auszustatten und sie gegenüber Gasanlagen         Westeuropas unter seine Kontrolle zu bringen.
nicht zu benachteiligen. Im Gegenzug will die         Es ist ein Fehler, die strategische Energie-
Energieindustrie 13 Milliarden Euro – haupt-      politik den Energiekonzernen zu überlassen.
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4 Energiepolitik

            Die bisherige Energieversorgung führt dazu,                tionen an, da veraltete Kraftwerke durch mo-
            dass einige wenige Konzerne riesige Gewinne                dernere Technologien ersetzt werden müssen.
            einstreichen und ihre Monopolstellung weiter               Die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Ziele
            ausbauen. Die Umsätze einiger großer Ener-                 zum Klimaschutz können nur erreicht werden,
            giekonzerne gehen sogar über das Bruttosozi-               wenn weniger fossile Brennstoffe zum Einsatz
            alprodukt einiger europäischer Staaten hinaus.             kommen und die Energieeffizienz erheblich
            Die Rechnung zahlen letztlich die Verbraucher,             verbessert wird.
            deren einzige Alternative angesichts der Preis-                Es gibt keine Alternative zum Ausstieg aus
            sprünge nach oben Energieeinsparungen im                   den fossilen Energien. Nachhaltigkeit ist nur in
            privaten Bereich bleiben.                                  einer solaren Gesellschaft machbar. Wir brau-
                Nachhaltige Versorgungssicherheit können               chen eine mittel- und langfristig angelegte Um-
            langfristig nur erneuerbare Energien und de-               orientierung der Energiepolitik, die nicht nur
            zentrale Strukturen garantieren.                           die Risiken minimiert, sondern die Struktur der
                                                                       Energienutzung ändert:
            Einziger Ausweg: Weg von den
            fossilen Energien                                                 -    eine Neuausrichtung zugunsten zu-
                                                                                   kunftssicherer Investitionen
            Nur der Ausbau der erneuerbaren Energien si-                      -    reale Veränderungen im Verbraucher-
            chert Unabhängigkeit, bewahrt vor politischer                          verhalten
            und ökonomischer Erpressbarkeit und schützt                       -    die besondere Berücksichtigung der
            vor der Unterbrechung der Energieversorgung                            globalen Erwärmung.
            durch politische, militärische oder gar terroris-
            tische Ereignisse in den Erzeuger- oder Tran-              Diese Anforderungen können nur durch die
            sitländern.                                                intensive Förderung erneuerbarer Energien
                Spätestens 2021 geht in Deutschland das                erfüllt werden.
            letzte AKW vom Netz. Bis dahin müssen
            schrittweise Kapazitäten auf Basis anderer En-             1
                                                                           Handelsblatt vom 17. März 2006: Stromversorger
            ergieträger aufgebaut werden. Zudem stehen                     wollen Milliardeninvestitionen in Kohlekraftwerke
            in den kommenden Jahren erhebliche Investi-                    zusagen

                                          ĀȀ̀ЀԀ‫଀਀܀ऀࠀ؀܀؀‬ఀऀഀ଀ఀऀ฀਀ༀက̀ऀԀ଀ᄀԀऀഀ‫ऀ܀؀‬ሀऀഀༀጀഀ‫؀‬฀Ԁ‫଀؀‬
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                                                         !ကᄀ଀ഀက##‫܀‬
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Klimawandel 5

Der Klimawandel hat längst begonnen
Es lässt sich nicht mehr leugnen: Wir sind        Österreichs und der Schweiz unter Wasser.
mittendrin im Klimawandel. Extreme Wetter-            Im Sommer 2003 plagte eine ungewöhnli-
ereignisse wie starke Stürme und immer neue       che Hitzewelle ganz Europa. 35.000 Menschen
Rekordfluten nehmen in Folge der globalen         starben. Allein die landwirtschaftlichen Schä-
Erwärmung dramatisch zu – und mit ihnen           den wurden mit 10 Milliarden Euro beziffert.
menschliche Tragödien.                                Rund 30 Prozent der Gletscher-Fläche in
    Die Treibhausgase verhindern, dass die        Europa sind bereits geschmolzen. Das Volu-
von der Erdoberfläche zurückgestrahlte Wär-       men der Gletscher hat sich seit 1850 sogar um
me in den Weltraum entweichen kann. Mit           mehr als die Hälfte verringert.
der zunehmenden Erwärmung der unteren                 Wegen fehlender Schneeflächen in Mittel-
Atmosphäre steigt die Verdunstung über den        europa bilden sich kaum noch stabile Kälte-
Ozeanen. Stärkere Tiefdruckgebiete bilden         hochs aus, die als natürliche Barriere gegen
sich aus. Die Energie entlädt sich in Hurrikans   Sturmtiefs aus dem Atlantik wirken. Orkan
und Orkanen.                                      „Lothar“ im Dezember 1999 beispielsweise
    Doch Überschwemmungen finden nicht            brauste mit Windgeschwindigkeiten von bis zu
mehr nur in Bangladesh, Wirbelstürme nicht        215 Stundenkilometern über Frankreich, die
mehr nur im Süden der USA statt. Es ist wis-      Schweiz und Süddeutschland hinweg. 80 Men-
senschaftlich belegt, dass die Durchschnitts-     schen starben; zerstörte Wälder, abgeknickte
temperaturen steigen. Die Sommer werden           Strommasten und umgeworfene Kräne koste-
heißer, sintflutartige Regenfälle nehmen zu       ten etwa 9 Milliarden Dollar.
und milde, regenreiche Winter führen immer            Selbst die Versicherungen schlagen mittler-
häufiger zu Überschwemmungen.                     weile Alarm und fordern wirksame Maßnah-
In den vergangenen 30 Jahren stieg die globale    men zum Klimaschutz. Nach Aussagen der
Durchschnittstemperatur um 0,6 Grad Celsius       Münchener Rück, einer weltweit führenden
an. Die zehn heißesten Jahre lagen nach 1990.     Rückversicherung, erhöhte sich die Häufigkeit
Das Jahr 2005 war das wärmste seit Beginn der     großer Naturkatastrophen seit 1960 um das
Wetteraufzeichnungen. Die Folgen sind auch        Dreifache, die volkswirtschaftlichen Schäden
in Deutschland und Europa zu spüren:              stiegen sogar um das Neunfache. Die Erder-
    Die Oderflut im Sommer 1997 richtete          wärmung wird nach einer Studie der UNO ab
schwere Schäden in Tschechien, Polen und          2050 mehr als 300 Milliarden Dollar an Folge-
Deutschland an und forderte 114 Todesopfer.       kosten pro Jahr nach sich ziehen.
Wolkenbruchartige Regenfälle im Erz- und im           Die Erde wird sich in den nächsten Jahr-
Riesengebirge lösten im August 2002 verhee-       zehnten noch schneller erwärmen, als bisher
rende Überschwemmungen in Tschechien und          angenommen wurde. Das Klimagremium der
Deutschland aus. Die Elbe und ihre Neben-         Vereinten Nationen erwartet bis zum Jahr 2100
flüsse überfluteten ganze Landstriche und rich-   einen Temperaturzuwachs von bis zu 5,8 Grad
teten riesige Zerstörungen an. Im August 2005     Celsius. Bislang wurde von einer Steigerung
standen nach sintflutartigen Regenfällen im Al-   um maximal 3,5 Grad Celsius ausgegangen.
pennordraum erneut große Teile Südbayerns,
Schwarzbuch Versorgungssicherheit - Greenpeace
6 Öl und Gas

           Öl und Gas - Wann endet das?
           Erdöl - Schmierstoff der Neuzeit
           Durchschnittlich verbraucht jeder Erdbewoh-         zum Beispiel jährlich aus dem westsibirischen
           ner zwei Liter Öl am Tag. Aber das sagt nur         Samotlor-Ölfeld in zwei deutsche Raffinerien
           die Statistik. In Wirklichkeit liegen Welten zwi-   in Leuna und Schwedt, die von dem internatio-
           schen den Bürgern und Bürgerinnen Indiens           nalen Ölkonzern Total betrieben werden. Aber
           (0,37 Liter pro Kopf) und denen der USA (elf        während in Deutschland nur blanke Rohre zu
           Liter). Vor allem die moderne Überflussgesell-      sehen sind, bietet sich im Fördergebiet ein Bild
           schaft ist auf Erdöl gebaut – mit schwerwie-        des Grauens.
           genden Folgen für die Umwelt, das Klima und             Aus russischen Pipelines und Förderanla-
           die gerechte Verteilung von Chancen für alle.       gen fließen im Schnitt jeden Tag 42.000 Ton-
               Der Reichtum der Industriestaaten beruht        nen Öl (fünf Prozent der Fördermenge) in die
           auf ihrem Zugang zu Öl. Mit einer Förderung         Taiga und Tundra – das entspricht der Menge,
           von 3,847 Milliarden Tonnen und einem Anteil        die beim Tankerunglück der Exxon Valdez in
           von 36,8 Prozent am Primärenergieverbrauch          Alaska insgesamt auslief. Eine Fläche drei-
           war Erdöl auch 2004 der weltweit wichtigste         mal so groß wie das Saarland ist ölverseucht.
           Energieträger. Niemand weiß genau zu sagen,         Ganze Wälder sterben im Ölschlamm, Flüsse
           wann das weltweite Fördermaximum (der so            und Seen sind mit einem Ölfilm überzogen, an
           genannte „Peak Oil“) erreicht sein wird, aber       der Oberfläche treiben verendete Fische, das
           wenn dieser Wendepunkt nicht schon über-            Trinkwasser ist verseucht. Die Krebsrate ist
           schritten ist, dann liegt er nicht mehr fern.       in diesen Regionen deutlich erhöht, vor allem
           Derzeit sind noch 160 Milliarden Tonnen an          Darmkrebs und Lungenerkrankungen bedro-
           Reserven nachgewiesen, weitere, aber nur un-        hen die Menschen. Die Lebenserwartung der
           ter Mehraufwand erschließbare Vorkommen             indigenen Einwohner ist in den letzten Jahren
           werden mit 82 Milliarden Tonnen beziffert.          von 61 auf 45 Jahre gesunken. Die Weltbank
           Experten gehen davon aus, dass es noch gut 40       klassifizierte das Samotlor-Ölfeld, in dem seit
           Jahre dauert, bis der letzte Tropfen konventio-     40 Jahren Öl gefördert wird, als „ökologische
           nelles Erdöl verbraucht ist. Die Ölkrise beginnt    Katastrophenzone“.
           an dem Tag, an dem der „Peak Oil“ überschrit-           Die Temperatur in der sibirischen Tundra,
           ten wird und das Angebot mit der steigenden         die sich nördlich an die Taiga anschließt, hat
           Nachfrage nicht mehr Schritt hält.                  sich vor allem in den Wintermonaten um drei
               In der EU gibt es kaum Erdölvorkommen.          bis fünf Grad erhöht. Die stärkste Erwärmung
           Die bestätigten gemeinsamen Reserven wer-           tritt in den Inlandseisgebieten auf. Dadurch
           den schon in den nächsten Jahren verbraucht         verringert sich die Dauer der Schneebede-
           sein. Der Bedarf in Deutschland wird fast           ckung. Technisches Gerät für die Öl- und Gas-
           vollständig aus Importen gedeckt. So stehen         exploration kann nur noch an 100, statt wie vor
           einem Verbrauch von 113,2 Millionen Tonnen          30 Jahren an 200 Tagen transportiert werden.
           Importe von 110,1 Millionen Tonnen gegen-           Steigende Temperaturen führen zu einer Ver-
           über. Mit einem Anteil von 36,2 Prozent am          kürzung der Jahreszeit, in der die Eisstraßen
           Primärenergieverbrauch 2004 ist Erdöl auch in       genutzt werden können. Pipelinetrassen sacken
           Deutschland noch immer der wichtigste Ener-         weg und drohen auseinander zu reißen. Auf-
           gieträger. Die Kosten aber steigen: Lagen die       grund der kurzen Vegetationsperiode braucht
           Rohölpreise 2002 noch deutlich unter 30 Dol-        die Natur Jahre, um sich zu regenerieren. Der
           lar pro Barrel, so bewegte sich das Preisniveau     auftauende Permafrostboden der Tundra setzt
           in den ersten Monaten des Jahres 2006 deutlich      zudem das Treibhausgas Methan frei, das be-
           über der 60-Dollar-Grenze.                          sonders klimawirksam ist. Leidtragende sind zu
                                                               allererst die Rentierzüchter und ihre Herden,
           Erdölförderung in Russland:                         die durch diese Landschaften streifen.
           Verschmutzte Landschaften und
           kranke Menschen                                     Rekordbilanzen der Ölmultis
           Über 40 Prozent der deutschen Ölimporte             Die Ölmultis betreiben einen gnadenlosen
           stammen aus Russland. Allein zwischen neun          Wettstreit um die Ausbeutung der weltweiten
           und zehn Millionen Tonnen Erdöl fließen             Energieressourcen. 51 der 100 größten Wirt-
Schwarzbuch Versorgungssicherheit - Greenpeace
Öl und Gas 7

schaftseinheiten der Welt sind multinationale     fortschreitenden Konzentrationsprozessen in
Konzerne, darunter die Ölmultis ExxonMobil,       der Energiewirtschaft zuzuschauen und sehen-
Shell, BP, ChevronTexaco und Total. Etwa          den Auges in die Abhängigkeitsfalle zu laufen,
ein Prozent der Konzerne investieren ca. 50       müssen die Regierungen die Ölkonzerne end-
Prozent der Auslandsdirektinvestitionen, dabei    lich in die Pflicht nehmen, ihren Beitrag für
steht die Ölindustrie mit an vorderster Stelle.   den Klimaschutz zu leisten.
ExxonMobil ist der weltweit größte Ölkon-
zern. Er hat einen Umsatz von 228 Milliarden
US-Dollar, etwa so groß wie das Bruttoin-         Fazit
landsprodukt von Schweden (238 Milliarden         Wegen sich erschöpfender Reserven in Europa
US-Dollar). BP und Shell haben jeweils einen      wird der Anteil an Erdöllieferungen aus den
Umsatz von über 140 Milliarden US-Dollar,         OPEC-Ländern, insbesondere der Golfregion,
das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt des       zunehmen. Diese Länder gelten als politisch
Iran oder Indonesiens.                            ebenso instabil wie die gesamte Kaukasus-
    Für das Jahr 2004 meldeten die großen Öl-     Region. Die stetig sinkende Fördermenge aber
multis riesige Gewinne. Die französische Total    wird absehbar nicht ausreichen, den weltweit
erzielte Gewinne von 7,5 Milliarden Dollar, die   steigenden Bedarf zu decken. Das Ökosystem
britische BP machte einen Gewinn von 16,2         ist bereits an den Grenzen seiner Belastbarkeit
Milliarden Dollar, Shell erreichte sogar einen    angekommen: Unberührte Urwaldgebiete in
Gewinn von 16,6 Milliarden Dollar und der         Afrika und Lateinamerika werden von Ölpipe-
Ölgigant ExxonMobil übertraf alle mit einer       lines durchschnitten, Ölleckagen bedrohen
Summe von 25,3 Milliarden Dollar. Schon           artenreiche Naturschutzgebiete in Alaska,
mit einem Bruchteil davon ließe sich in den       Westsibirien oder Sachalin, in manchen Orten
Öl-Krisengebieten Wesentliches ändern. Keine      Chinas ist die Luft gesättigt mit Schadstoffen.
andere Branche verdient so viel Geld und tut      Die Klimaerwärmung verursacht zunehmende
so wenig für den Umweltschutz.                    Wetterextreme und bringt großes Leid über
    Die Ölkonzerne stecken nur zwei Prozent       viele Menschen.
ihrer Investitionen in erneuerbare Energien           Erdöl ist viel zu kostbar, um es einfach zu
und noch immer 98 Prozent in die Erschlie-        verbrennen. Als Grundstoff zum Beispiel in
ßung von Öl- und Gasquellen. Dabei stammen        der Chemieindustrie wird es noch auf lange
41 Prozent der Emissionen des Treibhausgases      Sicht gebraucht. Es ist Zeit für einen Umstieg:
Kohlendioxid aus dem Verbrauch von Mineral-       Weg vom Öl und hin zu erneuerbaren Energi-
ölprodukten. Statt tatenlos den immer weiter      en.
8 Öl und Gas

           Peak Oil - Schluss mit dem billigen Erdöl
           Die Industriegesellschaften stehen an einem       der Nordsee werden beim derzeitigen Förder-
           historischen Wendepunkt: 150 Jahre lang war       volumen in 25 Jahren erschöpft sein. Darüber
           Erdöl der Treibstoff der aufstrebenden Natio-     hinaus vermuten einige Geologen, dass die
           nen. Der Zugang zur billigen Ressource sichert    russischen Erdgasreserven weniger groß sind
           ihnen auch heute noch Wohlstand, Überfluss        als angegeben.
           und Macht.                                            Schon jetzt sind Preisrekorde, Liefer-
               Doch unaufhaltsam nähert sich das Ende        engpässe und Kriege um Öl Anzeichen der
           des Ölzeitalters. Jedes Jahr wird so viel Erdöl   Verknappung. Gleichzeitig wächst der Energie-
           verfeuert, wie die Natur im Laufe von einer       hunger, besonders in den bevölkerungsreichen
           Million Jahren geschaffen hat. 90 Prozent des     Schwellenländern China und Indien. Bis zum
           konventionellen Öls sind bereits entdeckt.        Jahr 2020 wird die globale Öl-Nachfrage um
           Weltweit kommt auf zwei Fass Öl, die ver-         60 Prozent steigen. Die EU erwartet laut ihrem
           braucht werden, nicht einmal ein Fass Öl, das     Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strate-
           gefunden wird. Die Konzerne müssen immer          gie für Energieversorgungssicherheit“ aus dem
           mehr Aufwand treiben, um Ölquellen zu er-         Jahre 2001, dass bis 2030 70 Prozent aller in
           schließen, und dringen zu diesem Zweck in         der Staatengemeinschaft benötigten Energien
           immer sensiblere Naturregionen vor.               importiert werden müssen. Bei Rohöl steige
               Geologen sehen den „Peak Oil“ (auch:          der Importbedarf von 76 auf 90 Prozent, bei
           „depletion midpoint“), den Zeitpunkt, an          Erdgas von 40 auf 70 Prozent. Der Grund ist
           dem die höchste Ölfördermenge erreicht wird,      nicht etwa ein höherer Energiebedarf, sondern
           kommen. Manche Experten erwarten ihn um           schwindende eigene Reserven.
           das Jahr 2010. Ab der Wendemarke wird die             Der Peak Oil ist deshalb besonders wichtig,
           Weltölproduktion langsam sinken. Wann der         weil mit seinem Erreichen ein überproportio-
           Punkt genau überschritten ist, wird man erst      naler Anstieg der Preise und eine letzte, große
           im Nachhinein feststellen können. In den          Ölkrise erwartet werden. Dann wird nicht
           einstmals ölreichen USA wurde die Produkti-       mehr die Nachfrage den Marktpreis bestim-
           onsspitze bereits 1971 erreicht, in Großbritan-   men, sondern das immer knappere Angebot.
           nien 1999.                                            Es gibt deshalb keine Alternative: Nur ver-
               Ähnlich verhält es sich mit dem Erdgas,       stärkte Anstrengungen zur Verbesserung der
           dessen Fördermaximum nach Expertenschät-          Energieeffizienz und die konsequente Förde-
           zungen schon um das Jahr 2025 erwartet wird.      rung zum Ausbau der erneuerbaren Energien
           Die norwegischen Erdgasreserven mussten           weisen den Weg in eine sichere Energiezu-
           bereits um 30 Prozent nach unten korrigiert       kunft.
           werden. Die Erdgas- und Erdölvorkommen
Öl und Gas 9

Gas - Eine Überbrückungs-Energie
Der Verbrauch von Erdgas weist in den letzten     kohleeinheit 1,5 Tonnen Kohlendioxid.
Jahren die größten Steigerungsraten unter den         Die Trassenführung für die Pipelines wirft
nicht-erneuerbaren Energieträgern auf. Unter      zudem häufig ökologische Probleme auf. So
den fossilen Energien ist es zudem der Roh-       soll die neue BTE-Pipeline (siehe unten) von
stoff, der die geringsten Kohlendioxid-Emissi-    Erdbeben gefährdete Regionen und sehr arten-
onen erzeugt.                                     reiche Naturschutzgebiete passieren. Sie wird
    Die meisten Gasvorkommen wurden in            durch das Gobustani Reservat in Aserbaid-
den 60er und frühen 70er Jahren entdeckt. Mit     schan verlaufen, das als Weltkulturerbe von der
dem verstärkten Einsatz von Erdgas als En-        UNESCO unter Schutz gestellt ist, und führt
ergieträger stiegen die Neufunde in den 90er      an wertvollen Feuchtgebieten vorbei. Über
Jahren nochmals kräftig an. 2004 waren sichere    eine 20 Kilometer lange Strecke streift sie den
Reserven in Höhe von 176 Terakubikmeter           Bordschomi-Naturpark, das Einzugsgebiet für
(T.m³=1012 m³) nachgewiesen. An zusätzlichen      das Bordschomi-Mineralwasser.
Ressourcen stehen noch 207 Terakubikmeter             Um neue Erdgasvorkommen zu entdecken,
zur Verfügung. Förderung und Verbrauch lagen      dringen die Explorations-Unternehmen mit-
2004 weltweit bei knapp 2,8 Terakubikmeter.       tlerweile selbst in die wenig erforschte Tiefsee
Bei gleich bleibender Förderung und ohne Zu-      vor. Dort sind die geologischen Vorausset-
nahme der Reserven ist die Hälfte der bislang     zungen für Gasfunde zwar wesentlich besser
entdeckten Weltreserven bis 2022 verbraucht.      als für Ölfunde, die Förderung aber wird sehr
Experten gehen davon aus, dass Erdgas noch        kostspielig werden.
gut 60 Jahre zur Energieerzeugung genutzt
werden kann. Mit einem Anteil von ca. 24 Pro-     Die verletzlichen Adern der
zent am weltweiten Primärenergieverbrauch ist     Erdgasversorgung
Erdgas der drittwichtigste Energieträger hinter
Erdöl und Steinkohle.                             Das Erdgas aus Russland wird auf dem Land-
    Innerhalb der EU wird ein Großteil des        weg über Pipelines nach Europa gepumpt. Die
Erdgasverbrauchs noch aus eigenen Reserven        deutschen Erdgasimporte verlaufen entweder
bestritten. In Großbritannien hat die Förde-      über die Transitländer Ukraine, die Slowakei
rung ihr Maximum jedoch bereits überschrit-       und Tschechien oder über Weißrussland und
ten und die erdgasreichen Niederlande werden      Polen. Wie anfällig dieses zweiadrige Versor-
ihre Vorkommen absehbar zur eigenen Ener-         gungssystem ist, hat der russisch-ukrainische
gieversorgung nutzen. Ihre Importe bezieht        Gasstreit gezeigt. Als Russland wegen Ausei-
die EU vorrangig aus Russland, Norwegen und       nandersetzungen um die Preisgestaltung zum
Algerien. Die Erdgasversorgung stellt bislang     1. Januar 2006 die Gaslieferung an die Ukraine
eher einen Regionalmarkt dar, aber das wird       stoppte, meldeten gleich mehrere europäische
auf Dauer nicht so bleiben.                       Länder einen vorübergehenden Rückgang der
    Mit 99,9 Milliarden Kubikmetern ist           vereinbarten Liefermengen um bis zu 40 Pro-
Deutschland das drittgrößte Verbraucherland       zent.
weltweit. 22,4 Prozent machte der Anteil von      Um diese Abhängigkeit zu verringern, sind
Erdgas am Primärenergieverbrauch 2004 aus.        gleich zwei große Pipelineprojekte in Planung.
91,8 Milliarden Kubikmeter mussten impor-         Über die ungefähr 1.295 Kilometer lange
tiert werden. Der Hauptteil dieser Zulieferun-    Trans-European Gaspipeline (Ostseepipeline)
gen stammt mit 41 Prozent aus Russland, das       soll das russische Gas von St. Petersburg durch
weltweit über das größte Potential an Erdgas      die Ostsee nach Norddeutschland und dann
verfügt.                                          weiter über die Niederlande nach Großbri-
                                                  tannien gepumpt werden. 20 bis 30 Milliarden
                                                  Kubikmeter pro Jahr sollen über diese Pipeline
Erdgas ist nicht umweltneutral                    transportiert werden. Das Gas soll hauptsäch-
Auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger, der   lich aus dem Shtokman-Feld kommen, das
beim Verbrennen das Treibhausgas Kohlendi-        rund 650 Kilometer von Murmansk in der
oxid freisetzt. Zwar stößt ein Gaskraftwerk im    Barentssee liegt.
Vergleich zu selbst dem modernsten Braun-             Das zweite Projekt ist die Azerbaidschan -
kohlekraftwerk nur halb soviel CO2 aus, doch      Georgia - Türkei Gaspipeline, die Gas aus der
sind auch das pro umgerechneter Tonne Stein-      kaspischen Region liefern soll. Diese Pipeline
10 Öl und Gas

           (auch „BTE Pipeline“ genannt) verläuft von        Fazit
           Azerbaidschan nach Tbilisi und dann südwärts
           an der türkischen Stadt Erzurum vorbei. Dort      Erdgas ist wie Erdöl ein endlicher Energieträ-
           soll sie an das türkische Leitungssystem ange-    ger. Mit den langfristigen Zielen zum Schutz
           schlossen werden. Die BTE-Rohrleitung soll        des Klimas ist auch ein erhöhter Erdgasver-
           das Erdgas vom Giant-Offshorefeld Azeri von       brauch nicht vereinbar. Erdgas kann deshalb
           Shah Deniz transportieren, dessen Reserven        nur ein „Bridging Fuel“ auf dem Weg ins Zeit-
           auf 460 Milliarden Kubikmeter geschätzt wer-      alter der unerschöpflichen und klimafreundli-
           den. Im vollen Ausbaustadium ab 2009 soll sie     chen erneuerbaren Energien sein.
           eine Kapazität von etwa 8 Milliarden Kubik-           Wie beim Erdöl haben große Versorgungs-
           metern pro Jahr erreichen.                        unternehmen den Markt unter Kontrolle.
               Noch im Ausbau sind derzeit die Techniken     Russland mit seinem Staatsunternehmen Gas-
           zur Verflüssigung von Erdgas durch Kompres-       prom ist auf dem besten Wege, gemeinsam
           sion und/oder Kühlung. Durch den Einsatz          mit seinen (mehr oder weniger abhängigen)
           von Tankschiffen können damit auch weiter         Nachbarländern eine Art „Gaskartell“ aufzu-
           entfernte Erdgasquellen in Ländern wie Iran,      bauen. Auf der deutschen Seite finden sich
           Katar oder Nigeria in die Versorgung einbezo-     E.ON-Ruhrgas, RWE, Wingas und Co., die
           gen werden.                                       ihre eigenen Interessen verfolgen – vor allem
               Da die Infrastruktur für die Lieferung von    das Interesse der Profitmaximierung. Die Ge-
           Erdgas zu Lande wie zu Wasser sehr teuer ist,     fahr einer neuen Abhängigkeit von Oligopol-
           werden die Gaspreise absehbar weiter steigen.     strukturen ist unabweisbar.

                 Energieabhängigkeit der Regionen

                                                              USA          Europa          China
                                                                           (EU-25)

                 Erdölvorräte

                 Erdölvorräte (sicher gewinnbar) in Mrd. t     3,6           2,7            2,3

                 Anteil an weltweiten Reserven                2,5 %         1,7 %          1,4 %

                 Statische Reichweite bei gegenwärtiger
                 Förderung in Jahren                          11,1            9            13,4

                 Erdölverbrauch

                 Mio. t pro Jahr (2004)                        937           694            308

                 Importe in Mio. t pro Jahr                    501           508            123
                 (Anteil in %)                               (53,5 %)      (73,2 %)      (39,9 %)

                 davon aus dem Nahen Osten in Mio. t           125           159            63
                 (Anteil in %)                               (25,0 %)      (31,3 %)      (51,2 %)
                 Quellen: BMWI, BP Statistical Review 2005
Öl und Gas 11

Ressourcenkriege
Erdöl ist das Schmiermittel der Weltwirtschaft.     weniger Öl als ursprünglich geplant. In Saudi
Bei knapper werdenden Ressourcen sind drei          Arabien konnte ein Terroranschlag auf den
Trends zu verzeichnen, die sich gegenseitig         weltgrößten Raffinerie-Komplex „Bukajk“ im
verstärken:                                         Februar 2006 gerade noch verhindert werden.
                                                    Die „Straße von Hormuz“, über die täglich 14
•   Die steigende Nachfrage auf den in-             Millionen Fass Rohöl mit gigantischen Tankern
    ternationalen Märkten verschärft die            transportiert werden, ist ein Flaschenhals für
    Abhängigkeit von Ölimporten.                    die Weltölversorgung.
                                                        Um den weltweit wachsenden Ölbedarf zu
•   Das importierte Öl kommt zunehmend
                                                    befriedigen, müsste die Förderung am Golf
    aus instabilen oder der westlichen Kul-         Prognosen zufolge um 85 Prozent steigen (von
    tur abgeneigten Regionen.                       24 Mio. Fass pro Tag im Jahr 1999 auf 44,5
•   Die wachsende Abhängigkeit des Welt-            Mio. in 2020). Dazu bedarf es gigantischer In-
    marktes von instabilen Versorgern und           vestitionen in neue Infrastruktur und Förder-
    Krisenregionen erzeugt sozialen, wirt-          techniken. Die IEA schätzt den Investitionsbe-
    schaftlichen und politischen Druck in           darf auf 523 Milliarden Dollar bis 2030. Ohne
    den Ölförderländern. Das Risiko von             ausländische Firmen werden die Golfstaaten
    Unruhen und Konflikten steigt.                  diese Summe kaum aufbringen können. Das
                                                    aber läuft ihrer erklärten Absicht zuwider, die
    Der Beschaffungsdruck kann ständig zu           Kontrolle über ihren nationalen Energiesektor
Versorgungsengpässen führen und Preissprün-         behalten zu wollen.
ge auslösen. Die ökonomischen Konsequenzen              Ein vierter Trend spitzt die Lage weiter
eines steigenden Ölpreises sind fatal. Allein die   zu: Die steigende Ölnachfrage Chinas. Für die
USA zahlen bei einem durchschnittlichen Preis       USA wird China zum größten Rivalen um neu-
von 50 US-Dollar pro Fass 200 Milliarden US-        es Öl. Das kann zu einer tödlichen Konfronta-
Dollar für ihre Ölimporte pro Jahr. Steigen die     tion der militärischen Mächte führen.
US-Importe von heute vier Milliarden wie pro-           Der Zugriff auf Ölvorkommen ist seit
gnostiziert auf sieben Milliarden Fass im Jahr      langem ein Hauptfaktor für strategische Pla-
2020, wachsen die Kosten auf mindestens 350         nungen und geostrategische Machtpolitik. Die
Milliarden US-Dollar.                               wachsende Beteiligung von amerikanischen
    Schon heute geben die USA Hunderte von          Truppen an Konflikten ums Öl ist eine unver-
Milliarden Dollar jährlich für ihre militärische    meidbare Konsequenz aus dem Dilemma der
Präsenz in den Golfstaaten und anderen ver-         wachsenden Abhängigkeit von Ölimporten.
letzlichen Ölregionen der Welt aus. Allein die          Kriege ums Öl werden angesichts der
militärischen Kosten im mittleren Osten be-         schwindenden Ressourcen und des weltweit
laufen sich auf 50 Milliarden Dollar pro Jahr.      anschwellenden Ölverbrauchs immer wahr-
Dadurch wird jedes importierte Fass Öl noch         scheinlicher. Viele regionale Konflikte künden
einmal um 10 Dollar pro Fass teurer.                heute schon davon.
    Knapp zwei Drittel der weltweiten Ressour-          Die EU kann mit ihrer engen Bindung an
cen an Öl liegen im Nahen Osten. Gerade die         den „Energiepartner“ Russland das Problem
Ölpolitik der USA setzt auf den zuverlässigen       nicht lösen. Versorgungssicherheit ist auf Dau-
Zugang zu den Ölfeldern Saudi Arabiens.             er nur zu gewährleisten, wenn die europäischen
Doch in der Region brodelt es. Im Irak lassen       Staaten konsequent auf den Ausbau erneuer-
die Anschläge auf Pipelines und die Infrastruk-     barer Energien setzen.
tur der Ölindustrie nicht nach. Irak exportiert
12 Öl und Gas

           Grünbuch Energiesicherheit und Nato-Strategien
           Die Abhängigkeit Europas von Öl- und Ga-          nehmende Konkurrenz der Hochverbrauchs-
           simporten wächst beständig. Das im März           länder bei enger werdenden Weltreserven ist
           2006 von der EU-Kommission vorgestellte           auch Thema der Nato und ihrer militärischen
           „Grünbuch Energiesicherheit“ bemerkt dazu:        Strategien zur Ressourcensicherung. So ist die
           „Der Energiebedarf der Union [wird] in den        geostrategische Sicherung lebenswichtiger Res-
           nächsten 20 bis 30 Jahren zu 70 % (statt wie      sourcen ein Teil der offiziellen NATO-Strate-
           derzeit zu 50 %) durch Importe gedeckt wer-       gie seit April 1999. „Die Interessen der Allianz
           den, wobei einige aus Regionen stammen, in        können auch durch Risiken weitläufiger Natur
           denen unsichere Verhältnisse drohen“.             gefährdet werden, zu denen die Zufuhr von
               Was kaum ein Europäer weiß: Die EU im-        lebenswichtigen Ressourcen gehört“, so das
           portiert mehr Rohöl als die USA, die gemein-      strategische Konzept der Nato.2
           hin als besonders ölabhängig gelten. Im Jahr           Die „Aufrechterhaltung des freien Welthan-
           2004 führte die EU 547 Millionen Tonnen Öl        dels und des ungehinderten Zugangs zu Märk-
           ein (USA: 508 Millionen Tonnen), davon allein     ten und Rohstoffen in aller Welt“ gehört somit
           159 Mio. Tonnen aus dem Mittleren Osten.1         ebenfalls zu den „vitalen Sicherheitsinteressen“
               Das Grünbuch mahnt folgerichtig eine          der Bundesrepublik und ist Bestandteil der
           „klar definierte Energieaußenpolitik“ an. Diese   verteidigungspolitischen Richtlinien der Bun-
           soll die Modernisierung und den Bau neuer         deswehr.
           Infrastruktureinrichtungen,       insbesondere         Die EU bereitet sich bereits auf kommen-
           Erdöl- und Erdgasrohrleitungen und Flüs-          de Kriege um Ressourcen vor. Dies geht aus
           siggas-(LNG)-Terminals sicherstellen, die für     Unterlagen des Instituts für Sicherheitsstudien
           eine stabile Energieversorgung als erforderlich   (ISS) hervor. Das „European Defence Paper“,
           betrachtet werden. Daneben sollen Energie-        das im Auftrag des EU-Rates vom ISS in Paris
           dialoge die Partnerschaft mit Erzeuger- und       erstellt wurde, spielt entsprechende Szenarien
           Transitländern festigen.                          durch. So heißt es: „Das militärische Ziel der
               Für die EU ist die kaspische Region dabei     [fiktiven] Operation ist es, das besetzte Territo-
           von zentraler Bedeutung. Neue Öl- und Erd-        rium zu befreien und Kontrolle über einige der
           gaspipelines sollen die europäischen Energie-     Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des
           versorger an die Region anbinden. Der Kampf       Landes X zu bekommen.“³
           um die Ölreserven am kaspischen Meer, das              Zukünftige regionale Kriege könnten Euro-
           „Great Game“, ist voll entbrannt. Nach dem        pas Interessen in sehr wichtigen Fragen berüh-
           Zerfall der Sowjetunion versucht Washington,      ren. So könnte nach dem Szenario des „Euro-
           auf die kaspischen Energievorräte zuzugreifen     pean Defence Paper“ „die direkte Bedrohung
           und unterstützt Initiativen, um die Ölfelder      von Europas Wohlstand und Sicherheit, zum
           für westliche Investoren zu erschließen und       Beispiel in Form von Unterbrechung der Öl-
           Exportpipelines zu errichten, wie die drei Mil-   versorgung und/oder der massiven Steigerung
           liarden Dollar teure Baku-Tbilisi-Ceyhan-Pipe-    für die Kosten von Energie-Ressourcen“ einen
           line (BTC). Das Engagement wird unterstützt       Nato-Einsatz im Mittleren Osten notwendig
           durch amerikanische Streitkräfte im kaspischen    machen.4
           Raum. Neben Europa und den USA will sich               Die Militarisierung des kaspischen Raumes
           auch China von Osten her über Kasachstan          ist in vollem Gange. Auf der Konferenz „Ver-
           den Zugriff auf das kaspische Öl sichern.         sorgungssicherheit im Kaspischen Raum“, ver-
               Auf politischer Ebene will die EU bei der     anstaltet vom Marshall European Center for
           Internationalen Energie Agentur (IEA) und         Security Studies (US Office of the Secretary of
           beim G8-Gipfel im Juli 2006 in St. Peters-        Defense), trafen sich im September 2005 En-
           burg die Versorgungssicherheit zum Thema          ergieexperten aus der Region mit hochrangigen
           machen. Das Grünbuch sieht Europas Ener-          Nato-Vertretern und US-Experten in Gar-
           giesicherheit gefährdet: „ Eine geringere Nut-    misch Partenkirchen, um über die militärstra-
           zung fossiler Brennstoffe durch diese Länder      tegische Dimension der Energiesicherung zu
           [Vereinigte Staaten, Kanada, China, Japan und     diskutieren. Auf der Tagesordnung standen die
           Indien] wäre auch für die Energieversorgungs-     Reaktion auf kriegerische Auseinandersetzun-
           sicherheit Europas von Vorteil.“                  gen, terroristische Attacken und Unfälle in der
               Die wachsende Energieabhängigkeit, die zu-    Region sowie die Schulung von Streitkräften
Öl und Gas 13

zur Sicherung von Ölpipelines, Pumpstationen   1
                                                 BP- Statistical Review, Zahlen von 2004
und Gas- und Ölplattformen.5
                                               2
                                                 North Atlantic Treaty Organization, NATO: The
                                                 Alliance´s Strategic Concept, Brüssel, 1999
Damit nähert sich die Strategie der europäi-   3
                                                 Zitiert nach: Andreas Zumach: Die kommenden Kriege,
schen Energieaußenpolitik unter dem Druck      Köln 2005.
wachsender Ressourcenknappheit der vielfach    4
                                                 Instutute for Security Studies, European defence – A pro-
kritisierten aggressiven US-amerikanischen       posal for a White Paper, Report of an independent Task
                                                 Force, Paris, May 2004, www.iss-eu.org
Außenpolitik zur strategischen Absicherung     5
                                                 Energy Security in the Caspian Basin – September 25 – 28,
ihrer Öllieferungen und Transportrouten an.      2005, www.marshallcenter.org
14 Kohle

           Kohle: Dinosaurier-Energie des Industriezeitalters
           Seit mehr als hundert Jahren ist Kohle der Ga-     Braunkohle am Primärenergieverbrauch in
           rant für eine relativ sichere Energieversorgung,   Deutschland 11,4 Prozent, der Anteil impor-
           aber auch für Umweltzerstörungen und Klima-        tierter und heimischer Steinkohle belief sich
           schäden riesigen Ausmaßes.                         auf 13,4 Prozent.
               Sieht man von den erneuerbaren Energien
           ab, ist Kohle der Energieträger mit der größ-
                                                              Braunkohle: Auf Kosten von
           ten Nutzungsreichweite. 2004 waren weltweit
                                                              Landschaft und Klima
           Reserven in Höhe von 709 Milliarden Tonnen
           SKE (Steinkohleeinheiten) nachgewiesen, da-        Der Braunkohletagebau in Deutschland er-
           von 642 Milliarden Tonnen SKE Steinkohle           streckt sich über eine Fläche von mehr als
           und 67 Milliarden SKE Weichbraunkohle. Bei         230.000 Hektar, die auch nach der Rekul-
           gleich bleibendem Verbrauch reichen diese          tivierung nur eingeschränkt nutzbar bleibt.
           Reserven für 172 bzw. 218 Jahre, gemessen          Bergbaufolgelandschaften bestehen vor allem
           am weltweiten Kohleverbrauch im Jahr 2004.         aus Seen und minderwertigen Forst- und
           Kohle trägt mit 27,5 Prozent (Hartkohle 24,5       Ackerflächen. Als besonders schwerwiegend
           Prozent und Weichbraunkohle ca. 3 Prozent)         erweisen sich die unvermeidbaren Eingriffe in
           zur Weltenergieversorgung bei.                     den Wasserhaushalt: Umfangreiche Entwässe-
               Auch Deutschland verfügt über Braun- und       rungen (so genannte Sümpfungen) senken den
           Steinkohlevorkommen. Von den 4,7 Milliarden        Grundwasserspiegel im weiten Umkreis ab.
           Tonnen Steinkohle gelten wegen der ungüns-         Mit der Entnahme von mehreren Milliarden
           tigen geologischen Bedingungen aber nur 0,2        Kubikmeter Grundwasser werden wertvol-
           Milliarden Tonnen als gewinnbar. Im Jahr 2004      le Trinkwasserreserven zerstört. Allein die
           förderte Deutschland 25,9 Millionen Tonnen         Grundwasserdefizite im Mitteldeutschen und
           Steinkohle. Diese Menge deckt etwa fünf            Lausitzer Braunkohlerevier betragen über 15
           Prozent des Gesamtenergieverbrauchs ab. Ver-       Milliarden Kubikmeter, das ist etwa ein Drittel
           treter der deutschen Kohlewirtschaft beziffern     der Wassermenge des Bodensees. Im rheini-
           die Reichweite der deutschen Steinkohle unter      schen Revier sind die Folgen der Grundwasser-
           Beibehaltung der derzeitigen Fördermengen          absenkungen bis zur niederländischen Grenze
           auf etwa 400 Jahre.                                nachweisbar.
               Der Steinkohleabbau in Deutschland ist             Mehr als 30.000 Menschen mussten in den
           nicht wirtschaftlich und muss deshalb vom          vergangenen 50 Jahren dem Braunkohletage-
           Staat subventioniert werden. Aufgrund man-         bau weichen und Haus und Hof verlassen.
           gelnder Konkurrenzfähigkeit sind in den            Die Schäden in ihrer früheren Heimat bleiben
           vergangenen Jahrzehnten immer mehr Kohle-          auf Jahrhunderte bestehen, da die Wiederher-
           flöze stillgelegt worden. Importkohle ist preis-   stellung eines ausgeglichenen Wasserhaushalts
           werter als heimische Kohle. 2004 importierte       extrem schwierig ist. Allein im Mitteldeutschen
           Deutschland 45,9 Millionen Tonnen, das sind        und Lausitzer Braunkohlerevier würden dafür
           knapp 65 Prozent der benötigten Steinkohle.        mehr als 21 Milliarden Kubikmeter Wasser
           Die Einfuhren stammen zu zwei Dritteln aus         benötigt. Darüber hinaus gefährden die Sicker-
           den vier Lieferländern Polen, Südafrika, Aus-      wässer aus Tagebauseen mit ihren hohen Salz-,
           tralien und Kolumbien. Die Preise haben sich       Eisen- und Schwermetallgehalten benachbarte
           zwischen 2002 und 2004 mehr als verdoppelt.        Oberflächengewässer und das langsam wieder
           Nur 16 Prozent der Weltförderung werden            ansteigende Grundwasser, das Trinkwasser
           international gehandelt, der Rest wird in den      späterer Generationen.
           Erzeugerländern selbst verbraucht.                     Die in Deutschland primär zur Stromer-
               Die Braunkohlevorkommen in Deutschland         zeugung genutzte Braunkohle setzt bei ihrer
           werden derzeit mit 77 Milliarden Tonnen bezif-     Verbrennung im Vergleich zu anderen fossilen
           fert von denen cirka 51 Milliarden Tonnen mit      Energieträgern besonders viel Kohlendioxid
           heutiger Technologie und auf gegenwärtigem         (CO2) frei, das sich in der Atmosphäre anrei-
           Preisniveau gewinnbar wären. Zur Gewinnung         chert und das Klima aufheizt. Allein im Jahr
           frei gegeben sind momentan 6,6 Milliarden          2003 wurden 184,1 Millionen Tonnen CO2 aus
           Tonnen.                                            der Braunkohlenutzung in die Luft geblasen,
               Mit einer Fördermenge von 181,9 Milli-         das waren 22 Prozent der damaligen deutschen
           onen Tonnen in 2004 betrug der Anteil der          Emissionen.
Kohle 15

Größter Einzelverursacher von CO2-Emissi-          und die Industriegewerkschaft Bergbau und
onen sind die Rheinisch-Westfälischen Elek-        Energie. Sie formulierten als Ziel, „einen le-
trizitätswerke (RWE), auf deren Rechnung           benden und gesamtwirtschaftlich vertretbaren
knapp 90 Millionen Tonnen jährlich gehen.          Bergbau (zu) erhalten.“
Mit dem Neubau eines Braunkohlekraftwerks              Ende 2003 wurden konkrete Finanzie-
in Neurath wollen die RWE diesen Anteil um         rungszusagen für die Jahre 2006 bis 2012
weitere 14 Millionen Tonnen CO2 erhöhen.           getroffen. Allein seit 1980 sind rund 100 Milli-
Ein modernes Gaskraftwerk würde weniger            arden Euro geflossen. Der größte Teil der Sub-
als die Hälfte dieses Braunkohlekraftwerkes        ventionen diente dazu, die deutsche Steinkohle
ausstoßen – statt über 800 Gramm nur 365           wettbewerbsfähig zu halten. Dazu wurde die
Gramm CO2 pro Kilowattstunde..                     Differenz zwischen den hohen Förderkosten
                                                   für die deutsche Steinkohle und dem um etwa
                                                   70 Prozent niedrigeren Preis der Importkohle
Steinkohle – Subventionsfass ohne
                                                   durch Subventionen ausgeglichen.
Boden                                                  Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang
Die Gewinnung von Steinkohle muss vom              Clement, heute im Aufsichtsrat von RWE,
Staat bezuschusst werden. Seit 1980 sind rund      hat mit der Ausgestaltung des Nationalen
100 Milliarden Euro in die Subventionierung        Allokationsplans für den europäischen Emissi-
der Steinkohleförderung geflossen. Für den         onshandel und des Energiewirtschaftsgesetzes
Zeitraum 2006 bis 2012 wurden insgesamt            dem Brennstoff Kohle und den großen Ener-
15,87 Milliarden Euro an Finanzierungshilfen       giekonzernen Wettbewerbsvorteile gesichert.
zugesagt. Im Jahr 2004 förderte Deutschland        Das nationale Stromnetz dient hauptsächlich
25,9 Millionen Tonnen Steinkohle, bezuschusst      der Verteilung des Stroms von vier großen
mit 2,25 Milliarden Euro. Diese Menge deckte       Konzernen, die Deutschland unter sich auf-
fünf Prozent des Gesamtenergieverbrauchs           geteilt haben – RWE, E.ON, Vattenfall und
und etwa 11 Prozent der Stromerzeugung ab.         EnBW. Etwa 50 Großkraftwerke bedienen die
    Steinkohle als Brennstoff ist der zweitgröß-   Stromverbraucher. An Kohle sind RWE und
te CO2-Emittent. Bei der Verbrennung von           Vattenfall besonders interessiert. Sie besitzen
einer Tonne Steinkohle entstehen 2,68 Tonnen       die Abbaurechte von Braunkohletagebauen
CO2 (Braunkohle: 3,25 Tonnen). Klimapoli-          und wollen den preiswerten Brennstoff auch in
tisch wäre mit einem Ende der Steinkohleför-       Zukunft nutzen. Die negativen Kostenfakto-
derung in Deutschland nichts gewonnen. Beim        ren, wie zum Beispiel die langfristigen Schäden
Ersatz heimischer Steinkohle durch Import-         durch Tagebaue und die Klimafolgeschäden
kohle würde die globale Umwelt- und Klimabi-       sollen die Verbraucher tragen.
lanz wegen der notwendigen Transporte sogar            Der Amtsvorgänger von Clement und
noch weiter verschlechtert. Dennoch kann eine      heutige Chef der Ruhrkohle AG Werner Mül-
Dauersubventionierung heimischer Steinkohle        ler plant, sein Unternehmen an die Börse zu
keine Antwort auf steigende Abhängigkeiten         bringen. Die RAG, in der alle ehemaligen deut-
von Importen sein. Zur Rohstoffversorgung in       schen Steinkohlebergbaugesellschaften aufge-
der Stahlindustrie bleibt Steinkohle erst einmal   gangen sind, ist heute mit ihren Kernbereichen
unersetzlich – ob nun aus in- oder ausländi-       Chemie, Immobilien, Energie und Bergbau
scher Produktion.                                  eines der größten Industrieunternehmen in
                                                   Deutschland. Den hoch subventionierten
                                                   Steinkohlebergbau mit seinen Altlasten möch-
Politik(er) für die Kohle
                                                   te Müller an den Staat abtreten, unter Beigabe
Deutsche Energiepolitik ist in der Vergan-         von vier Milliarden Euro, die er aus dem Erlös
genheit immer Politik für die Kohle gewesen.       des Börsengangs erwartet. Diese Summe soll
Noch bis Ende des Jahres 2005 beruhte die          zur Deckung aller künftigen Folgeschäden die-
deutsche Steinkohlepolitik auf der im März         nen. Die RAG und mit ihr die Hauptaktionäre
1997 getroffenen kohlepolitischen Verein-          E.ON, RWE und Thyssen-Krupp wären ein
barung. Beteiligt daran waren die damalige         ebenso riesiges wie unkalkulierbares Risiko
Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut         los. Den Schaden haben wieder einmal die Ver-
Kohl, die Bergbauländer Nordrhein-Westfalen        braucher.
und Saarland sowie die Bergbauunternehmen
16 Kohle

           Die Mär von der sauberen Kohle                    rund ein Drittel und die Reserven sinken wei-
                                                             ter, bei gleichzeitig steigenden Rohstoffprei-
           Die Nutzung von Kohle zur Energieerzeugung
                                                             sen.
           verursacht große Umweltprobleme und schä-
           digt das Klima. Neue Kraftwerkstechnologien,
           die darauf abzielen, das klimaschädliche Koh-     Fazit
           lendioxid zukünftig im Kraftwerk aufzufangen      Kohle ist der Sargnagel für das Klima. Seit
           und im geologischen Untergrund zu speichern,      über hundert Jahren trägt die Verbrennung
           sind in der Entwicklung. In 10 bis 15 Jahren      von Kohle zur Klimazerstörung bei. Mit neuen
           könnte diese Technologie einsatzbereit sein.      Kraftwerken wird dieser Weg für die nächsten
           Kraftwerksbetreiber nutzen diese Technologie      40 Jahre fortgesetzt. Die Speicherung von
           als Alibi zum Bau neuer Kraftwerke. Allerdings    Kohlendioxid im Untergrund macht Kohle
           werden Kraftwerke, die heute gebaut werden,       nicht zu einem nachhaltigen Energieträger.
           kein CO2 speichern und stattdessen weiterhin      Weiterhin wird viel Kohlendioxid entstehen,
           das Klima zerstören – für die nächsten 40 Jah-    nur muss es dann aufwändig im Untergrund
           re. Die Nachrüstung bestehender Kraftwerke        gelagert werden.
           ist teuer, der Wirkungsgrad der Kraftwerke           Bequem ist die Technologie nur für die auf
           sinkt, viel mehr Kohle muss verbrannt wer-        Kohle setzenden Energieversorger, die mit ih-
           den.                                              rem „Business as Usual“ weiter Kohle verbren-
               Einen Beitrag für mehr Versorgungssicher-     nen und ihre alten Energieversorgungsstruktu-
           heit leistet diese Technologie damit ebenfalls    ren auf Basis von Großkraftwerken am Leben
           nicht. Der Kohleverbrauch erhöht sich um          erhalten können.

           Braunkohlekraftwerk Neurath:
           Mit RWE zurück in die Energiesteinzeit
           Die RWE genießen heute schon den zwei-            Energieschwankungen aus Wind-, Wasser- und
           felhaften Ruf, größter Klimakiller in Europa      Solarkraftwerken angepasst werden können.
           zu sein. Sie zeichnen verantwortlich für den      Diese Flexibilität bieten zum Beispiel moderne
           Ausstoß von jährlich 168 Millionen Tonnen         Gaskraftwerke. Die Braunkohle-Verstromung
           Kohlendioxid. Allein 16 Millionen Tonnen          ist daher doppelt klimaschädlich: Sie behindert
           davon entfallen auf die fünf Blöcke des Braun-    den Ausbau erneuerbarer Energien und heizt
           kohlekraftwerks Neurath bei Grevenbroich.         mit ihrem hohen CO2-Ausstoß das Klima
           Bis 2010 will RWE den Kraftwerkspark um           stärker auf als alle anderen Energieträger. Da
           zwei weitere Blöcke ergänzen, behält jedoch       neue Braunkohlekraftwerke eine Laufzeit von
           für sich, ob und welche Altanlagen dafür vom      40 Jahren haben, blockiert RWE eine zukunfts-
           Netz gehen sollen.                                fähige und klimafreundliche Energiepolitik auf
               Das neue „Braunkohle-Kraftwerk mit op-        Jahrzehnte hinaus.
           timierter Anlagentechnik“ (BoA) weist zwar            RWE kann sich diese klimaschädliche Ge-
           mit 43 Prozent einen höheren Wirkungsgrad         schäftspolitik nur erlauben, weil die Bundes-
           als die alten Blöcke auf. Mit zusätzlichen 14     regierung die Emissions-Zertifikate kostenlos
           Millionen Tonnen CO2 jährlich aber würde der      verteilt hat. 14 Millionen Tonnen Kohlendioxid
           Standort Neurath mit zur größten Kohlendi-        entsprechen beim derzeitigen Zertifikatspreis
           oxid-Schleuder Europas. Die Bundesregierung       von rund 25 Euro immerhin einem Gegenwert
           könnte die Erreichung ihrer Klimaschutzziele      von 350 Millionen Euro. Die steigenden Kurse
           abschreiben.                                      für die Zertifikate zu ignorieren und weiterhin
               Braunkohle-Kraftwerke sind wie Dinosauri-     auf kostenlose Emissionsrechte zu bauen,
           er: Relikte der Vergangenheit. Sie sind schwer-   stellt nicht nur ein wirtschaftliches Risiko für
           fällig in der Steuerung. Für den Energiemix der   RWE dar. Die Rechnung zahlen letztlich die
           Zukunft aber sind leicht regulierbare Kraftwer-   Verbraucher.
           ke nötig, deren Leistungen an wetterabhängige
Kohle 17

Kohlesubventionen:
Die Verfestigung des fossilen Energiepfades
In ihrem Umweltbericht 2001 für Deutschland            So wurden nicht-internalisierte externe
stufte die OECD (Organization for Economic         Kosten und subventionsähnliche staatliche Re-
Cooperation and Development) etwa 35 Pro-          gelungen bei den traditionellen Energieträgern
zent der Subventionen als umweltschädlich ein.     nicht berücksichtigt. Bei den so genannten ex-
Darunter fallen auch die Kohlesubventionen,        ternen Kosten handelt es sich zum Beispiel um
die jahrzehntelang mit dem Erhalt eines heimi-     Gesundheits- und Klimafolgeschäden, für die
schen Energieträgers und vieler Arbeitsplätze      der Verursacher nicht aufkommen muss. Bei
gerechtfertigt wurden.1 Zwar sinken die Zu-        Einbeziehung aller Subventionsarten würde
schüsse seit Jahren, doch für den Zeitraum 2006    sich die Bilanz zugunsten der erneuerbaren
bis 2012 wird der deutsche Steinkohlebergbau       Energien erheblich verändern.5
immer noch mit insgesamt 15,87 Milliarden              Die externen Kosten durch Emissionen der
Euro gefördert. Die Kohlesubventionen haben        Braunkohlenutzung werden mit 2,2 bis 21,7
dazu beigetragen, dass die Nutzung fossiler        Cent pro Kilowattstunde Strom oder insgesamt
Energieträger zum Trampelpfad der deutschen        in der Spannbreite von 3,5 bis 34,4 Milliarden
Energiepolitik wurde. Und so ist es denn auch      Euro jährlich angegeben. Dazu kommen die
die Kohleindustrie in Nordrhein-Westfalen, die     nicht quantifizierten externen Effekte durch
viele ökologisch sinnvolle Gesetzesvorhaben2       die Folgewirkungen des Tagebaus. In der
im Energiesektor immer wieder torpediert hat.      Summe beziffert das Wuppertal-Institut die
    Die Braunkohleindustrie dagegen behaup-        Vergünstigungen für die Braunkohlewirtschaft
tet von sich, der einzige subventionsfreie         auf insgesamt mindestens 4,5 Milliarden Euro
Energieträger in Deutschland zu sein. Sie          jährlich.
verschweigt die indirekten Begünstigungen,
die den Wettbewerb verzerren. Das Wuppertal        1
                                                     Durch die Steinkohlesubventionen wird die Differenz
Institut identifizierte in einer Kurzstudie3 die   zwischen dem Weltmarktpreis und den (höheren) Kosten
Freistellung von Wasserentnahmeentgelten, die      für die hiesige Förderung finanziert. Da sie den Markt-
                                                   preis nicht verändern, haben sie keine direkte Auswirkung
Förderabgabe für Bodenschätze sowie die För-
                                                   auf die Struktur der Energieträger in Deutschland und
derung der Modernisierung der ostdeutschen         sind insofern nicht direkt ökologisch kontraproduktiv.
Braunkohle mit einem Subventionswert von           Allerdings könnten die Mittel für ökologisch wesentlich
364 Millionen Euro pro Jahr. Für die Sanierung     sinnvollere Zwecke verwendet werden (Gebäudesanie-
des Braunkohletagebaus werden derzeit im           rung, erneuerbare Energiequellen etc.).
                                                   2
Jahresdurchschnitt rund 360 Millionen Euro           Als Beispiele sind zu nennen: die Auseinandersetzung
                                                   um die Quote der Kraft-Wärme-Kopplung, die Ausge-
aufgewendet.4                                      staltung des Nationalen Allokationsplanes 2005 bis 2007
    Stattdessen verunglimpfen interessierte        im Emissionsrechtehandel zugunsten der Kohle oder die
Kreise gerne die erneuerbaren Energien als         Ausgestaltung des Energiewirtschaftsgesetzes.
                                                   3
Subventionsfass ohne Boden. Ein Vergleich            Wuppertal-Institut: Braunkohle – ein subventionsfreier
im Jahr 2003 zeigt, dass die Fördermittel für      Energieträger? Studie im Auftrag des UBA, 2003
                                                   4
erneuerbare Energien höher waren als jemals          Bismarck, F.: Programm der Braunkohlesanierung : Wei-
                                                   chenstellung für Regionen?, in: ZAU, Sonderheft 14, hrsg.
zuvor. Sie bleiben aber immer noch unter den       von C. Gläßer: Nachhaltige Entwicklung von Folgeland-
aktuellen – und erst recht unter den vergan-       schaften des Braunkohlebergbaus, Berlin 2004
genen – Förderungen für Atomenergie und            5
                                                     Meyer, B.: Subventionen und Regelungen mit subventi-
Kohle.                                             onsähnlichen Wirkungen im Energiebereich, 2005
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