TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20

 
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TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20
TRANSFER
    DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20

SPEISEPLAN DER ZUKUNFT:
 WENN DIE ALGORITHMEN
  DAS MENÜ BESTIMMEN
TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20
STEINBEIS: PLATTFORM FÜR ERFOLG
Steinbeis ist mit seiner Plattform ein verlässlicher Partner für Unter-
nehmensgründungen und Projekte. Wir unterstützen Menschen und
Organisationen aus dem akademischen und wirtschaftlichen Umfeld,
die ihr Know-how durch konkrete Projekte in Forschung, Entwicklung,
Beratung und Qualifizierung unternehmerisch und praxisnah zur
Anwendung bringen wollen.

Über unsere Plattform wurden bereits über
2.000 UNTERNEHMEN
gegründet.

Entstanden ist ein Verbund aus mehr als 6.000 EXPERTEN
      1.100 UNTERNEHMEN, die jährlich mit mehr als
in rund
10.000 KUNDEN Projekte durchführen.

So werden Unternehmen und Mitarbeiter professionell in der Kompetenz-
bildung und damit für den Erfolg im Wettbewerb unterstützt.

Und unser Verbund wächst stetig: Infos und Kontaktdaten unserer
aktuell gegründeten Unternehmen finden Sie unter

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TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20
EDITORIAL           3

LIEBE LESERINNEN UND LESER,
das Steinbeis Transfer-Magazin hat seit mehr als 30 Jahren eine besondere Bedeutung für die Erfüllung des Steinbeis-
Stiftungszwecks, Wissen zu vermitteln: Es kommuniziert es. Magazinbeiträge der Steinbeis-Unternehmen verdeutlichen,
in welchen Bereichen Steinbeis projektbezogen Wissen und Technologien transferiert. Und das zeigt auch, wo Steinbeis-
Experten an der Entwicklung von Zukunftstechnologien beteiligt sind. Das Transfer-Magazin begleitete 2020 das
verbundübergreifende Steinbeis-Projekt Technologie*Begreifen #techourfuture. Ziel des Projektes war es, den Menschen
in Baden-Württemberg (und darüber hinaus) Inhalte und Veranstaltungsformate anzubieten, die es ihnen leicht machen
sollten, sich vertieft und neutral über neue Technologien zu informieren. Dabei war und bleibt es ein Experiment heraus-
zufinden, wie offen die Gesellschaft dafür ist, sich mit Zukunftstechnologien auseinanderzusetzen.

Die Themen der drei im Rahmen des Projekts realisierten Events standen 2020 im Mittelpunkt der Fokusthemen-
Kampagne im Steinbeis Transfer-Magazin. Das Interesse am Projekt mit seinen Ergebnissen ist seit der ersten
#techourfuture-Veranstaltung zum Thema „Zukunft Autonomes Fliegen“ über den Schwerpunkt „Zukunft Gesundheit“
bis zum dritten Fokus „Zukunft Ernährung“ stetig gewachsen. Die aktuelle Ausgabe des Magazins richtet ihr Augen-
merk auf diesen dritten Fokus der zukünftigen Ernährung.

Der Steinbeis-Verbund und seine Expertenbeiträge spiegeln die unternehmerische Sicht in Baden-Württemberg: Start-
ups im Bereich Ernährung gibt es hier nur wenige, in den Themen „autonome Mobilität“ und „Operation 4.0 – Daten-
enabling in der Gesundheit“ ist weit mehr Expertise vorhanden. Deutlich wird jedoch, dass auch dem unternehmerischen
Technologietransfer die gesellschaftliche Dimension inhärent ist. Dabei kann es sich lohnen, auf Themen aufmerksam
zu machen, die aktuell die Menschen bewegen.

Ergänzt werden sie in der aktuellen Transfer-Magazin-Ausgabe durch die Einblicke der #techourfuture-Expertinnen
und -Experten inner- und außerhalb des Steinbeis-Verbundes. Darüber hinaus helfen die Auswertungen des Ferdinand-
Steinbeis-Instituts im Rahmen des Projekts Technologie*Begreifen #techourfuture Aufschluss darüber zu geben, ob und wie
die Gesellschaft Zukunftstechnologien annimmt und welche Aspekte aus Sicht der Bevölkerung besonders relevant sind.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre der aktuellen Ausgabe!

Ihre

DR. MARLENE GOTTWALD                                   PROF. DR.-ING. DR. H.C. NORBERT HÖPTNER
marlene.gottwald@steinbeis.de (Autorin)                norbert.hoeptner@steinbeis.de (Autor)

Marlene Gottwald und Norbert Höptner setzen seit mehreren Jahren gemeinsam das Projekt Technologie*Begreifen #techourfuture des Ferdinand-Steinbeis-Instituts
um. Der vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Initiative liegt die Frage zugrunde, wie die Bevölkerung Zukunfts-
technologien gegenübersteht. Das Team arbeitet an der Entwicklung einer Vertrauensplattform, die neutral und ganzheitlich über Zukunftstechnologien informiert.
Marlene Gottwald und Norbert Höptner hoffen, so den in der Bevölkerung erlebten Kontrollverlust zu mindern und es Bürgern zu ermöglichen, die Zukunft wissentlich
mitzugestalten.

Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart)
www.steinbeis.de/su/1212 | www.steinbeis-fsti.de | www.techourfuture.de

                                                                                                          Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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                             EDITORIAL                                   DAS „SAUBERE“ FLEISCH AUS DEM LABOR
                                                                          Die Forscher an der Hochschule Reutlingen
                                                                          haben Tierwohl und Umweltschutz im Blick

                             FOKUS                                                          24
                                                                            „JEDE TECHNOLOGIE MUSS IN IHRER
                                                                      ANWENDUNG UND IHREM NUTZEN ÜBERZEUGEN“
                                 08                               Im Gespräch mit Dr. Helga Gruber, Managerin Forschung und
                 DIE VERPACKUNG VON MORGEN:                                   Entwicklung der Print2Taste GmbH
                   ESSEN STATT WEGWERFEN
       Steinbeis-Experten initiieren ZIM-Netzwerkprojekt für
               essbare Lebensmittelbeschichtungen
                                                                                            26
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                                 11
      „DIE LEBENSMITTELSICHERHEIT SOLLTE PRIORITÄR
                     GEWÄHRLEISTET SEIN“
         Im Gespräch mit Professor Dr. Christine Wittmann,
      Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum
                                                                                   QUERSCHNITT
          Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion

                                 14                                                         28
                                                                               VON DER KÖNIGSDISZIPLIN IM
                      #TECHOURFUTURE:                                            PROJEKTMANAGEMENT
            ZUKUNFT ERNÄHRUNG – BLICK ÜBER DEN                        Steinbeis-Unternehmerin Dr. Karen Dittmann und
                     TELLERRAND HINAUS                             parsQube-Geschäftsführer Mehrschad Zaeri im Gespräch
            Neue technologische Wege in der Ernährung                           über hybrides Projektdesign

                                 17                                                         30
              „ALLES, WAS DIE PFLANZENZÜCHTUNG                    DIGITALISIEREN MIT ERFOLG: WIE MAN PRODUKTIVITÄT
                        BESCHLEUNIGT, IST                                        UND QUALITÄT STEIGERT
                       EINE POSITIVE SACHE“                          Steinbeis-Studierender konzipiert die Digitalisierung
          Im Gespräch mit Professor Dr. Thomas Miedaner,                   von Auftrags- und Rechnungsprozessen
    Leiter des Arbeitsgebiets Roggen der Landessaatzuchtanstalt
                    an der Universität Hohenheim
                                                                                            34
                                                                               IM FOKUS: NACHHALTIGKEIT
                                                                       Experten der SIBE entwickeln Zukunftsszenarien
                                                                                       für Südtirol mit

Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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         STEINBEIS ENGINEERING TAG 2021:                                  DATENGENOSSENSCHAFTEN:
       INTELLIGENTE VERNETZTE PRODUKTE                               EINE CHANCE FÜR KI IM MITTELSTAND
Wenn künstliche Intelligenz auf das Internet der Dinge trifft        Das Ferdinand-Steinbeis-Institut gestaltet
                                                                   das Genossenschaftsprinzip im digitalen Raum
                            36
          VOM ENDE DER ZETTELWIRTSCHAFT:                                               54
          DAS E-REZEPT ALS GAME-CHANGER                            MENTALE FITNESS ALS FÜHRUNGSSTÄRKE
        Ein Steinbeis-Team analysiert Chancen und                   Steinbeiser Dr. Michael Ullmann arbeitet
                  Risiken des E-Rezeptes                            mit Führungskräften und Spitzensportlern
                                                                            an deren mentaler Stärke
                            39
         KLEINE STRUKTUREN GROß IM BLICK                                               56
          Mannheimer Forscherteam entwickelt                               DICHTHEITSPRÜFUNG UNTER
            Messtechnik zur strukturellen und                                 EXTREM­BEDINGUNGEN
       stofflichen Unterscheidung von Oberflächen                       Das Offenburger Steinbeis-Team führt
                                                                herstellerunabhängige Prüfungen der Dichtheit durch
                            42
   „GREEN DEAL“ UND „VOM HOF AUF DEN TISCH“:                                           58
 EU-STRATEGIEN FÜR VERBESSERTE LEBENSMITTEL                       USABILITY UND USER EXPERIENCE IM FOKUS
           UND BIOLOGISCHE VIELFALT                                    bwcon ist Partner des Mittelstand
       Das Steinbeis-Europa-Team unterstützt                           4.0-Kompetenzzentrums Usability
             bei der EU-Antragstellung

                            45                                                         60
          NACH DER KRISE IST VOR DER KRISE                      NEUERSCHEINUNGEN IN DER STEINBEIS-EDITION
     Die Steinbeis Advanced Risk Technologies Group
hat eine Cloud-Plattform entwickelt, die das Management                                62
       einer Krise ermöglicht und optimal begleitet                          VORSCHAU & TERMINE

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            ENTSCHEIDEND IST VERTRAUEN                                             IMPRESSUM
             Das Digital Trust Forum fördert
            das Vertrauen in digitale Lösungen
                   für physische Assets

                                                                            Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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SPEISEPLAN DER ZUKUNFT:
 WENN DIE ALGORITHMEN
  DAS MENÜ BESTIMMEN

       Wir stellen heute viel höhere Anforderungen an unsere ERNÄHRUNG als
       frühere Generationen. Ging es in der Vergangenheit vor allem darum satt
       zu werden, erwarten wir heute wesentlich mehr: Essen soll GESUND sein,
       BEZAHLBAR, für jeden ausreichend VORHANDEN und selbstverständlich gut
       SCHMECKEN. Auch die Aspekte der EFFIZIENZ UND NACHHALTIGKEIT der
       Lebensmittel gewinnen immer mehr an Bedeutung. Kombiniert mit der stetig
       wachsenden Erdbevölkerung verlangen diese Anforderungen nach neuen
       LÖSUNGEN im Ernährungsbereich, die nur mithilfe von DISRUPTIVEN
       INNOVATIONEN und NEUEN TECHNOLOGIEN, wie zum Beispiel Digitalisierung,
       realisiert werden können. Wie der „Speiseplan der Zukunft“ aussehen kann und
       welche technologischen und materiellen WERKZEUGE dabei zum Einsatz kommen,
       darüber berichten Experten auf den folgenden Seiten und zeigen in konkreten
       Projekten, was bereits jetzt möglich ist.

                                                                 © istockphoto.com/Kinwun

                                                            © istockphoto.com/DrAfter123
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8       FOKUS

DIE VERPACKUNG
VON MORGEN:
ESSEN STATT
WEGWERFEN
STEINBEIS-EXPERTEN INITIIEREN
ZIM-NETZWERKPROJEKT FÜR
ESSBARE LEBENSMITTELBESCHICHTUNGEN

Es geht nicht ohne: die Verpackung von              ten entfällt auf Gemüse (26 %) und Obst
Lebensmitteln. Zwar schützt sie ihren               (18 %), gefolgt von Backwaren (15 %)
Inhalt und erhöht dessen Haltbarkeit,               und Speiseresten (12 %). [2] Aktuelle
am Ende muss sie aber entsorgt wer-                 Studien zeigen, dass eine Halbierung der
den, was die Umwelt stark belastet. Be-             Lebensmittelabfälle auf Einzelhandels-
rücksichtigt man noch dazu die wach-                und Verbraucherebene bis 2030 (gemäß
sende Weltbevölkerung und den dadurch               dem Ziel der Bundesregierung) die auf
steigenden Bedarf an Lebensmitteln so-              den Lebensmittelkonsum in Deutsch-
wie die gleichzeitige enorme Lebens-                land zurückzuführenden Treibhausgas-       finden, die über entsprechende Eigen-
mittelverschwendung, wird deutlich,                 emissionen im Vergleich zu 2015 um         schaften verfügen, müssen Alternativen
dass wir umweltfreundliche Alternati-               9,5 % sinken lassen würde. [1] Vor die-    entwickelt werden. Neben biobasierten
ven brauchen, die gleichzeitig die Halt-            sem Hintergrund ist es wichtig darüber     und bioabbaubaren Verpackungen stel-
barkeit von Lebensmitteln erhöhen. Ei-              nachzudenken, wie die Haltbarkeit von      len essbare Verpackungen einen neuen,
ne der möglichen Lösungen kann die                  Lebensmitteln erhöht und damit der An-     innovativen Ansatz dar. Durch die Be-
essbare Verpackung sein. Hier setzt                 teil der Lebensmittelabfälle reduziert     schichtung von Lebensmitteln mit ess-
das von der Steinbeis 2i GmbH initiier-             werden kann. Eine Möglichkeit hierfür      baren funktionellen Überzügen wird er-
te ZIM-Netzwerkprojekt an, mit dem                  bietet der Einsatz von neuen Verpa-        reicht, dass weniger Sauerstoff in das
Ziel, die optimale Rezeptur für essba-              ckungen. Dazu kommt ein weiterer As-       Innere gelangt und gleichzeitig weniger
re Beschichtungen zu entwickeln. Der                pekt, der die Notwendigkeit neuer Ver-     Feuchtigkeit entweicht. Auf diese Weise
Steinbeis-Experte Hartmut Welck er-                 packungslösungen unterstreicht: das        können die Zellatmung reduziert, der
klärt, warum gerade die essbaren Ver-               gestiegene Umweltbewusstsein der Ver-      Reifeprozess herabgesetzt und damit die
packungen ein großes Potenzial besit-               braucher. Denn Kunden lehnen zuneh-        Produkte länger frisch gehalten werden.
zen und welche Herausforderungen bei                mend die Kunststoffverpackungen von
der Projektumsetzung zu bewältigen                  zum Beispiel Obst und Gemüse ab.           Durch diesen Effekt kann auch fossile
sind.                                                                                          Verpackung eingespart werden. Hier-
                                                    ESSBARE VERPACKUNG: INNOVATIV,             für stehen eine Reihe an natürlichen
In Deutschland werden Unmengen an                   UMWELTSCHONEND, EFFIZIENT                  Roh- und Reststoffen zur Verfügung, mit
Lebensmitteln weggeworfen: Laut des                                                            denen verschiedene Schutzwirkungen
Thünen Instituts landen jährlich rund               Verpackungen tragen wesentlich zur         erzielt werden können, wie zum Bei-
12,7 Millionen Tonnen Essen im Wert von             Haltbarkeit von Lebensmitteln bei, in-     spiel:
über 22 Milliarden Euro im Müll. Der                dem zum Beispiel Reifeprozesse und
Großteil der Abfälle entsteht mit 55 %              damit verbundene Qualitätsverände-          Chitosan von Schalen-/Krustentieren,
(7 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten.             rungen verlangsamt werden. Um neue          Alginat aus Algen,
[1] Der größte Teil der vermeidbaren                Verpackungslösungen – vor allem als         Pflanzliche Fette
Lebensmittelabfälle in Privathaushal-               Ersatz zu fossilen Verpackungen – zu         (Lipide und Glycerolipide),

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TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20
FOKUS                  9

                                                                                                                                  © istockphoto.com/posteriori

   flanzliche Kohlenhydrate z. B.
  P                                                   beschichtungen durch natürliche Aus-                wird gerade durch die Steinbeis 2i GmbH
  in Form von Fruchtzucker (Fruktose),                gangsstoffe/Rohstoffe zusätzlich einen              ein ZIM-Netzwerkprojekt aufgesetzt.
  T ierische Proteine aus z. B. Milch­               mechanischen Schutz vor Transport-                  Sein Ziel ist es, eine optimale Rezeptur
  bestandteilen (Casein, Molke).                      schäden (zum Beispiel durch natürliche              zu entwickeln, die den lebensmittelzu-
                                                      Wachse, Harze etc.) erhalten.                       lassungsrechtlichen Voraussetzungen
Neben diesem biologisch-funktionellen                                                                     entspricht und eine verfahrenstechni-
Schutz kann auch ein antimikrobieller                 STEINBEIS-EXPERTEN SETZEN AUF                       sche und kostengünstige Umsetzung
Schutz durch natürliche Rohstoffe als                 ESSBARE BESCHICHTUNGEN                              ermöglicht. Zudem sollen das Bewusst-
Bestandteile einer Beschichtung erzielt                                                                   sein und die Wertschätzung für Lebens-
werden, wie zum Beispiel bestimmte In-                Das Interesse des deutschen Lebens-                 mittel gesteigert und die Verbraucher
haltsstoffe der Zitrone (wie Flavonoide),             mitteleinzelhandels an solchen Lösun-               über diese Innovation aufgeklärt wer-
von Ingwer (wie Cineol) oder auch von                 gen zeigt sich an den ersten essbaren               den, um eine entsprechende Verbrau-
Knoblauch, Pfeffer und Chili (wie Allicin)            Beschichtungen, die beispielsweise bei              cherakzeptanz und Verhaltensänderung
und ebenso durch Pflanzenextrakte, wie                Avocados von der US-amerikanischen                  zu erreichen. Dadurch soll ein Beitrag
zum Beispiel von Traubenkernen. Dieser                Firma Apeel Science angeboten werden.               zur Reduzierung der Lebensmittelver-
Aspekt gewinnt insbesondere vor dem                   EU- beziehungsweise deutsche Anbieter               schwendung und des fossilen Plastik-
Hintergrund des zunehmenden Hygiene-                  für solche Lösungen gibt es zurzeit noch            aufkommens geleistet werden.
bewusstseins der Bevölkerung an Be-                   nicht. Um dies zu ändern und eine deut-
deutung.                                              sche Alternative für essbare Verpackun-
                                                      gen als Beschichtung von zum Beispiel
Um Verpackungen auch beim Transport                   Obst und Gemüse mit den entsprechen-
zu reduzieren, können Lebensmittel-                   den funktionellen Wirkungen anzubieten,

Quellen
[1] Thünen Institut, Lebensmittelverschwendung befeuert Klimawandel, Pressemitteilung vom 2.10.2019
[2] DLR, 2020, Lebensmittelverschwendung in Deutschland

                                                                                                       Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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10       FOKUS

            „DER KUNDE SOLL
       ORGAN­OLEPTISCH UND OPTISCH
             NICHTS MERKEN“
        IM GESPRÄCH MIT HARTMUT WELCK, SENIOR PROJECT MANAGER DER STEINBEIS 2i GMBH

     Herr Welck, die Idee einer essbaren            An dieser Stelle kommen wir mit unse-
     Verpackung ist an sich nicht neu, so           rer essbaren Beschichtung ins Spiel:
     entwickelte zum Beispiel das itali-            Sie soll zunächst für frisches Obst als
     enische Kaffeeunternehmen Lavaz-               geschmacksneutraler Überzug entwi-
     za bereits 2003 den „Cookie Cup“               ckelt werden und nur aus lebensmittel-
     für seinen Espresso. Aber bis jetzt            rechtlich zugelassenen natürlichen In-
     fand diese Art von Verpackungen                haltsstoffen bestehen. Der Kunde soll
     keine breite Anwendung. Woran lag              also organoleptisch und optisch nichts
     es Ihrer Meinung nach und wie wol-             merken.
     len Sie in dem von der Steinbeis 2i
     initiierten Projekt die Akzeptanz da-            Welche Chancen, aber auch Risiken
     für schaffen?                                    bieten essbare Verpackungen?

Die Lebensmittelverschwendung ist                   Essbare Beschichtungen können einen
derzeit ein großes Thema, allein in                 großen Vorteil in Sachen Haltbarkeits-
Deutschland werden rund 13 Millionen                verlängerung, aber auch Reduktion von
Tonnen Lebensmittel jährlich wegge-                 Verpackungsmaterial, zum Beispiel bei
worfen, das sind im Durchschnitt etwa               der Lagerung und beim Transport, be-
85 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf.                 wirken. Die Risiken liegen eher bei der
Viele von den weggeworfenen Lebens-                 Verbraucheraufklärung, aber auch hier
mitteln sind aber weiter verwendbar,                haben wir gute Argumente für essbare
da oft nur das Mindesthaltbarkeitsda-               Beschichtungen. Wir wollen über eine
tum abgelaufen ist oder die Lebens-                 Lebenszyklus-Analyse aufzeigen, wie-
mittel optische Fehler haben. Die weg-              viel CO2 eingespart worden ist.
geworfenen Lebensmittel haben zudem
eine negative Implikation auf den CO2-                Wo sehen Sie die größten Heraus-
Ausstoß.                                              forderungen bei der Umsetzung?

Neben dem Ziel der Reduktion von Nah-               Die größte Herausforderung liegt bei
rungsmittelverschwendung, dem sich                  der Entwicklung einer optimalen For-
auch die Bundesregierung verpflichtet               mulierung und des exakten homogenen
hat, hat sich aktuell eine klimafreund-             Auftragens der essbaren Verpackung
liche Ernährung – möglichst verpa-                  auf die unterschiedlichen Oberflächen-
ckungsarm/-frei – zu einem Trend ent-               gegebenheiten. Ebenso müssen bishe-       HARTMUT WELCK
wickelt. Dies ist nicht mit 2003, als               rige Verfahren der Beschichtung, wie      hartmut.welck@steinbeis.de (Autor)
Lavazza die Idee des „Cookie Cups“ prä-             zum Beispiel Spritz-/Sprüh-/Walz-/                        Senior Project Manager
sentierte, zu vergleichen. Nach einer               Tauchtechnik, auf die ausgewählten Me-                    Bioökonomie, Ernährung,
                                                                                                              industrielle Biotechnologie und
Umfrage von Statista im Jahr 2017 wol-              dien angepasst beziehungsweise weiter-                    Innovationsmanagement
len 87 % der Deutschen verpackungs-                 entwickelt werden. Projekte in diesem                     Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart)
frei einkaufen, wenn es die Möglichkeit             Bereich benötigen daher immer einiges                     www.steinbeis.de/su/2017
dazu gäbe.                                          an Test- und Entwicklungsaufwand.                         www.steinbeis-europa.de

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FOKUS             11

„DIE LEBENSMITTELSICHERHEIT
SOLLTE PRIORITÄR
GEWÄHRLEISTET SEIN“
IM GESPRÄCH MIT PROFESSOR DR. CHRISTINE WITTMANN,
STEINBEIS-UNTERNEHMERIN AM STEINBEIS-TRANSFERZENTRUM
BIOPROZESSANALYTIK IN DER LEBENSMITTELPRODUKTION

                                                                                                                 © istockphoto.com/metamorworks

Bio-Lebensmittel, Nudeln aus Insektenmehl oder Algenbier: Bevor wir neuartige Lebensmittel in den Ladenregalen finden,
werden sie von Lebensmittelanalytikern genau unter die Lupe genommen. Welche Methoden die Wissenschaftler dabei ein-
setzen, welchen Einfluss die aktuellen und zukünftigen Ernährungstrends auf diesen Bereich haben und welche Aufgaben
die Lebensmittelanalytik in Zukunft übernehmen wird – diese und weitere Fragen hat die TRANSFER Professor Dr. Christine
Wittmann, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion und
Expertin für biochemische Schnelltests und Biosensoren, gestellt.

  Frau Professor Wittmann, nachhal-      mittelindustrie, die sich zum Beispiel mit      Einsatz kommen, zeichnen sich gleich
  tig, gesund und für möglichst viele    der Herstellung von Algenbier oder Nu-          mehrere Trends ab: Vegane und vege-
  Menschen verfügbar soll die Er-        deln aus Insektenmehl beschäftigen.             tarische Lebensmittel sind zunehmend
  nährung der Zukunft sein und setzt     Gleichzeitig hat der 3D-Druck, wie Sie          beliebt, so konnten sich zum Beispiel ve-
  dabei auf neue, unkonventionelle       erwähnt haben, auch Einzug in die Le-           gane und vegetarische Wurstwaren gut
  Nahrungsmittel wie Algenbrot, In-      bensmittelherstellung gefunden, aller-          etablieren. Bei einer rein vegetarischen
  sektenburger oder Steaks aus dem       dings in erster Linie bei Süßwaren. Dort        oder veganen Ernährung spielen vor al-
  3D-Drucker. Wie verändern diese        existieren mittlerweile auch entspre-           lem der Vitamingehalt, bedingt durch
  Entwicklungen die Aufgaben der Le-     chende Angebote für Verbraucher, um             den Mangel an Vitamin B12 in pflanzli-
  bensmittelanalytik?                    beispielsweise die eigenen Weingummi-           cher Rohware, und auch eine potenziel-
                                         Formen mit einem eigenen 3D-Drucker             le Unterversorgung an essenziellen
Es gibt seit einigen Jahren zahlreiche   zu gestalten. Hinsichtlich der Rohstoffe,       Spurenelementen eine wichtige Rolle.
Produktentwicklungen in der Lebens-      die bei der Lebensmittelherstellung zum         So können unter anderem Algen wie

                                                                                      Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
12      FOKUS

                                                                »
         HINSICHTLICH DER ROHSTOFFE, DIE BEI DER
     LEBENSMITTELHERSTELLUNG ZUM EINSATZ KOMMEN,
            ZEICHNEN SICH MEHRERE TRENDS AB

die Spirulina-Alge einen wesentlichen               Ein anderer Aspekt, bei dem die Lebens-     eindeutig gesetzlich geregelt werden
Beitrag zu einer nachhaltigen und ge-               mittelanalytik eine große Rolle spielt,     müssen. Neben der Tierhaltung sind
sunden Ernährung leisten, denn sie ent-             ist das gestiegene Gesundheitsbewusst-      auch potenzielle Risiken für die Verbrau-
hält Makro- und Mikronährstoffe sowie               sein. So soll die Lebensmittelindustrie     cher noch weiter zu minimieren. Es wird
zusätzlich auch weitere Inhaltsstoffe wie           in vielen Produkten zum Beispiel Zu-        leicht vergessen, dass neben der aktuel-
Phycocyanine, die eine leuchtend blaue              cker- und Fettgehalt reduzieren. Mit die-   len Bedrohung durch die afrikanische
Einfärbung von Lebensmitteln erlauben.              ser Aufgabe ist viel Forschung verbun-      Schweinepest durchaus auch endemi-
In diesem Zusammenhang sind auch                    den, die von der Lebensmittelanalytik       sche Viren, wie zum Beispiel Hepatitis
Insekten zu nennen, die nicht nur einen             übernommen wird. Auch der Trend zu          E-Viren, bei der Schweinehaltung aus-
hohen Eiweiß-Anteil haben, sondern                  Bio-Produkten verlangt nach einer Le-       geschlossen werden sollten, um auf
auch zusätzlich ein interessantes Fett-             bensmittelkontrolle, die durch die Le-      diese Art und Weise das Risiko für Zoo-
säureprofil aufweisen. An dieser Stelle             bensmittelanalytik zu gewährleisten ist.    nosen noch weiter zu reduzieren. Im
setzt die Lebensmittelanalytik mit klas-                                                        Hinblick auf den Einsatz der Gentech-
sischen und modernen Methoden zur                     Als Lebensmittelanalytikerin befas-       nik bei Pflanzen existieren bereits zahl-
näheren Charakterisierung der Inhalts-                sen Sie sich vor allem mit der heute      reiche Schnellmethoden um auszu-
stoffe an.                                            notwendigen Sensorik, die auch zu         schließen, dass Öko-Landwirten ein
                                                      einem Teil die sehr dezentrale Pro-       Schaden entsteht, wenn ihre Ackerflä-
Mir und natürlich den Lebensmittelher-                duktion von Nahrungsmitteln be-           chen an konventionell bewirtschaftete
stellern geht es in erster Linie um die               rücksichtigt – Stichwort „ökologi-        Flächen angrenzen. Hier können vor al-
Sicherheit von Lebensmitteln. Dabei                   sche Landwirtschaft“. Können Sie          lem sogenannte Lateral Flow Assays auf
spielen diese zusätzlichen Aspekte von                aus Ihrem eigenen wissenschaftli-         Basis spezifischer Antikörper eingesetzt
neuen Nahrungsquellen keine Rolle. Es                 chen Umfeld einen Trend für die Zu-       werden, um ein rasches Ergebnis zu er-
gibt die vom Gesetzgeber vorgegebenen                 kunft ableiten? Werden wir eher noch      halten. Dies gilt auch dann, wenn Futter-
Grundlagen im Bereich Lebensmittelsi-                 mehr dezentrale, regionale Erzeu-         mittel wie Soja-Extraktionsschrot von
cherheit. Diese gesetzlichen Vorschriften             ger haben – oder geht die Entwick-        Öko-Landwirten zugekauft werden und
müssen alle Lebensmittel erfüllen und                 lung hin zu wenigen großen Fabriken?      die entsprechenden Erzeugnisse mit dem
hier kommt die Lebensmittelanalytik ins                                                         Bio-Label gekennzeichnet werden sollen.
Spiel. Wenn wir bei Algen bleiben, dann             Diese Frage lässt sich nicht so einfach
müssen diese zum Beispiel auf Cyano-                beantworten, da nicht zuletzt bedingt       Was Ihre Frage nach den Erzeugern an-
toxine geprüft werden, die ab einer                 durch die Corona-Pandemie der Blick         geht, so muss man bedenken, dass wir
bestimmten Menge gefährlich werden                  insbesondere auf die fleischverarbeiten-    in unterschiedlichen Bundesländern un-
können. Wenn wir Produkte aus Insek-                de Industrie noch einmal verschärft wur-    terschiedliche Bedingungen haben. In
ten, zum Beispiel Insekten-Burger, neh-             de. Auch die Diskussion um ein zusätz-      Mecklenburg-Vorpommern gibt es zum
men, werden hier unter anderem der                  liches Label „Aktion Tierwohl“ hat die      Beispiel sehr große Agrarflächen. Da-
Ursprungsort, die Haltung, aber auch                Verbraucher noch einmal zum Nachden-        zu stehen einige Flächen unter Natur-
die Tötungsart gesetzlich geregelt. Wenn            ken darüber angeregt, ob neben höhe-        schutz. Ich denke, dass hier der Trend
es um einen ganz neuen Rohstoff für Le-             ren Preisen für Lebensmittel tierischer     eher zu größeren Fabriken geht. Aktu-
bensmittel geht, dann muss der Herstel-             Herkunft nicht auch die Haltungsbedin-      ell haben wir durch die Corona-Pande-
ler mithilfe zahlreicher Tests nachwei-             gungen der Tiere für die Lebensmittel-      mie bedingt verstärkt Rufe nach mehr
sen, dass das Produkt sicher ist, dass es           produktion noch weiter verbessert so-       regionalen Erzeugern. Auch die steigen-
zum Beispiel keine Allergiereaktionen               wie bestimmte Vorgehensweisen, wie          de Nachfrage nach Bio-Produkten spielt
hervorrufen kann. Das sind die Aufgaben             die Kastration männlicher Ferkel und        eine wichtige Rolle. Ich denke, dass sich
der Lebensmittelanalytik.                           das „Schreddern“ männlicher Küken,          in der Landwirtschaft zwei extreme Ent-

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FOKUS       13

wicklungen herauskristallisieren: Zum      identifizieren lassen. Neben den bereits         das Fleisch von Pferden stammte, die
einen die Landwirtschaft 4.0 mit viel      seit Langem üblichen NIR-Methoden zur            mit Tierarzneimitteln behandelt wurden.
Hightech und zum anderen nachhaltig        raschen Ermittlung der Hauptinhalts-             Denn deren Rückstände hätten beim
betriebene ökologische Landwirtschaft.     stoffe eines Lebensmittels, wie Proteine,        Verzehr der Lasagne ein gesundheitli-
Diese beiden Entwicklungen befinden        Fette, Kohlenhydrate usw., wird auch             ches Problem für die Verbraucher be-
sich in zwei unterschiedlichen Preis-      zunehmend die Raman-Spektroskopie                deutet.
segmenten. Allerdings wollen immer         in Handheld-Geräten genutzt.
mehr Verbraucher wissen, wo Produkte                                                        Ein wesentlicher Bereich, in dem ebenso
herkommen und was die Haltungsbe-             Welchen Einfluss wird die persona-            Verfälschungen ausgeschlossen wer-
dingungen von Tieren sind. Auch die           lisierte Ernährung auf Ihre Tätigkeit         den müssen, ist die Gastronomie. So fin-
Frage der Rentabilität für die Landwirte      haben? Gibt es in Zukunft den „Sen-           den sich zum Beispiel des Öfteren Ver-
spielt eine große Rolle. Und man darf         sor für Jedermann“?                           fälschungen im Bereich „Seafood“. Es
natürlich die politischen Entscheidun-                                                      ist nicht leicht zu erkennen, ob ein See-
gen in diesem Bereich nicht vergessen.     Wünschenswert wäre es schon, wenn in             zungenfilet tatsächlich das Filet dieses
Ich denke, man kann die Frage nicht ab-    Analogie zur individualisierten Verord-          Fisches ist oder aber ob ein deutlich
schließend beantworten, es wird noch       nung von Arzneimitteln eine auf die spe-         kostengünstigerer Plattfisch die Aus-
sehr spannend werden, wohin die Rei-       zifischen Anforderungen zugeschnittene           gangsbasis darstellt. Dies lässt sich gut
se gehen wird.                             Empfehlung für eine „gesunde“ Ernäh-             mit Techniken auf Basis selektiver Anti-
                                           rung gegeben werden könnte, die glei-            körper, mithilfe DNA-basierter Metho-
  Die neuen Herausforderungen ver-         chermaßen körperlichen und psychi-               den oder aber auch mit MALDI-TOF-MS
  langen zum Teil auch neue Werkzeu-       schen Erkrankungen vorbeugt. Diese               abklären.
  ge, also neue Analysemethoden            Empfehlung könnte beispielsweise auf
  und -verfahren. Welche Trends gibt       dem individuellen Mikrobiom oder der             Was sehr spannend wäre, wäre wie be-
  es aktuell in diesem Bereich und         genetischen Prädisposition basieren. Es          reits erwähnt die Möglichkeit, mit den
  welche werden die Zukunft der Le-        gibt aber auf diesem Gebiet noch jede            Lebensmitteln gezielt gegen bestimm-
  bensmittelanalytik aus Ihrer Sicht       Menge Forschungsbedarf sowohl hin-               te Mangelerscheinungen oder sogar Er-
  bestimmen?                               sichtlich des individuellen Genoms, Me-          krankungen vorzugehen. Jeder kennt die
                                           taboloms sowie vor allem auch des Mik-           Joghurts, deren Bakterien im Darm an-
Wir beschäftigen uns bereits seit Langem   robioms und der Auswirkungen auf die             gekommen das Mikrobiom positiv be-
mit der Entwicklung von Antikörper- so-    langfristige Gesundheit. Ferner stellt sich      einflussen sollen. Ob dies tatsächlich so
wie DNA-basierten Testsystemen, die in     die Frage nach den Kosten beziehungs-            funktioniert, ist die andere Frage, denn
unterschiedlichen Formaten, zum Bei-       weise der Kostenübernahme für solche             jeder Mensch hat ein eigenes Mikro-
spiel als Biosensor, auf Teststreifenba-   Tests.                                           biom. Und es ist aktuell noch unklar,
sis als innerhalb weniger Minuten aus-                                                      ob die Bakterien lebend im Darm an-
lesbarer Lateral Flow Assay sowie auch        Schon heute muss die Lebensmittel-            kommen. Aber die Idee an sich ist sehr
in verschiedenen Mikrotiterplattenfor-        analytik oft die Frage beantworten,           interessant, da es wissenschaftlich be-
maten für zahlreiche Proben parallel,         ob ein bestimmtes Lebensmittel Ori-           wiesen ist, dass die Ernährung bei be-
angewendet werden können. Dabei sind          ginal oder Fälschung ist. Wird dieses         stimmten Erkrankungen eine wichtige
gemeinsam mit der Firma Biometec in           Problem in Zukunft noch größer wer-           Rolle spielt. Das Problem bei der Rea-
Greifswald zahlreiche spezifische mo-         den? Und wenn ja, welche Anforde-             lisierung besteht darin, dass die Um-
noklonale Antikörper entwickelt worden,       rungen stellt es an die Analyseme-            setzung sehr individuell sein muss, an-
unter anderem für den Nachweis von            thoden?                                       gepasst an den einzelnen Menschen,
RR-Soja, Bt-Mais, Schimmelpilzen so-                                                        was viel Forschung erfordert und na-
wie diversen Allergenen, die für diese     Die Authentizität von Lebensmitteln ist          türlich sehr kostenintensiv ist.
Testformate als Ausgangsmaterialien        nach wie vor von großer Bedeutung
bereitstehen. Daneben gewinnen zuneh-      neben dem zunächst aus meiner Sicht
                                                                                            PROF. DR. CHRISTINE WITTMANN
mend auch instrumentell-analytische        ungleich wichtigeren Aspekt der Le-              christine.wittmann@steinbeis.de (Autorin)
Methoden wie MALDI-TOF-MS an Be-           bensmittelsicherheit. Die Lebensmittel-
                                                                                                            Steinbeis-Unternehmerin
deutung, mit denen sich neben Mikro-       sicherheit sollte prioritär gewährleistet                        Steinbeis-Transferzentrum
organismen auch Schimmelpilze sowie        sein. Das war gut beim „Pferdefleisch-                           Bioprozessanalytik in der
                                                                                                            Lebensmittelproduktion
Tierarten und Fischspezies mit relativ     Skandal“ zu erkennen: Zunächst muss-                             (Neubrandenburg)
geringem Probenvorbereitungsaufwand        te einmal ausgeschlossen werden, dass
                                                                                                            www.steinbeis.de/su/0766

                                                                                         Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
14      FOKUS

 #TECHOURFUTURE:
 ZUKUNFT ERNÄHRUNG – BLICK
 ÜBER DEN TELLERRAND HINAUS
 NEUE TECHNOLOGISCHE WEGE IN DER ERNÄHRUNG

 Vom 15. Oktober bis zum 5. November 2020 fanden im Steinbeis-Haus für Management und Technologie (SHMT) in Stuttgart und
 online die finalen drei Veranstaltungen zum dritten Schwerpunktthema des #techourfuture Technologie*Begreifen-Projektes
 statt. Unter dem Motto „Zukunft Ernährung – Blick über den Tellerrand hinaus“ präsentierten führende Experten aus Wissen-
 schaft und Wirtschaft verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Technologie im Bereich Ernährung. Alle drei Veranstaltungen
 wurden live über den YouTube-Kanal des Ferdinand-Steinbeis-Instituts übertragen. Angeregt diskutiert wurden dabei nicht
 nur Fragen des Geschmacks, sondern auch Chancen und Risiken für die Gesellschaft.

Welchen Einfluss hat Technologie auf un-             SPEISEPLAN DER ZUKUNFT –                  kurzen Umfrage zu Beginn der Veran-
sere Ernährung? Welche Rolle spielt die              ESSEN AUS DEM 3D-DRUCKER                  staltung, dass sie hinter der Technolo-
Gen-Schere CRISPR in der Pflanzen-                                                             gie durchaus einen gesellschaftlichen
zucht? Drucken wir unser Mittagessen                 Im Fokus des ersten Events stand die      Nutzen vermutet. Dr. Helga Gruber,
bald mit dem 3D-Drucker? Wird Fleisch                Frage, ob es sich bei 3D-gedruckten       Managerin Forschung und Entwicklung
in Zukunft künstlich hergestellt und mit             Nahrungsmitteln nur um eine Spiele-       der Print2Taste GmbH, erklärte nicht
welchen Auswirkungen? Antworten auf                  rei für Hobbyköche handelt oder ob die    nur die Funktionsweise der 3D-Food
diese und weitere Fragen gab das Team                Anwendung des additiven Fertigungs-       Printer, sondern führte auch aus, dass
des Ferdinand-Steinbeis-Instituts mit                verfahrens im Bereich der Ernährung       Essen aus dem 3D-Drucker beispiels-
#techourfuture, einem vom Ministerium                einen tatsächlichen Nutzen für die Ge-    weise Menschen mit Kau- und Schluck-
für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau               sellschaft hat. Die überwiegende Mehr-    beschwerden eine individuelle und an-
Baden-Württemberg geförderten Projekt.               heit der Teilnehmer bestätigte in einer   sprechende Versorgung ermöglichen

 Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS        15

kann. Ihre Kollegin Teresa Dufter, Lei-    men, sondern auch außergewöhnliche           gen und effizienter machen können. Der
terin des F&E-Bereichs für Lebensmit-      Geschmackserlebnisse zu schaffen.            Unterschied zwischen den verschiede-
tel und Anwendungen, zeigte live, wie                                                   nen Methoden besteht darin, dass ent-
3D-gedrucktes Essen auf den Teller         PFLANZENZÜCHTUNG                             weder auf der Basis des gesamten Ge-
kommt. Wie das schmeckt, darüber           DER ZUKUNFT – VON MENDEL                     noms Auslese betrieben werden kann
konnte sich die kleine Anzahl derjeni-     BIS ZUR GENOM-EDITIERUNG                     oder einzelne Gene aus der Natur in
gen, die vor Ort teilgenommen hatten,                                                   Kulturpflanzen eingebracht oder mit-
selbst ein Bild machen. Zu probieren       Nach den Veränderungen durch neue            tels Genom-Editierung gezielt verän-
gab es kleine Kostproben aus Schoko-       Technologien im Bereich der Lebens-          dert werden können, um beispielsweise
lade sowie ein Mittagsmenü mit Brok-       mittelverarbeitung richtete Teil 2 der       die Krankheitsresistenzgene von „an-
koli, Karotte und Leberkäse. Die rund      Veranstaltungsreihe den Fokus auf            fällig“ auf „resistent“ umzuprogrammie-
50 online zugeschalteten Teilnehmer        den Anfang der landwirtschaftlichen          ren. Diskutiert wurde unter anderem die
interessierte vor allem die Haltbarkeit    Produktionskette. Professor Dr. Tho-         Effizienz dieser Verfahren, aber auch ih-
der 3D-gedruckten Speisen und ob es        mas Miedaner, Leiter des Arbeitsgebiets      re Auswirkungen auf die genetische Viel-
möglich sei, mit mehr als einer Zutat      Roggen der Landessaatzuchtanstalt an         falt der Pflanzen sowie die Artenvielfalt
gleichzeitig zu drucken. Helga Gruber      der Universität Hohenheim, nahm die          selbst und deren Rolle im Klimawandel.
erklärte, dass neben der Reduzierung       Teilnehmer mit auf eine Reise durch die      Das zu Beginn und zum Ende der Veran-
der Produktionszeit auch daran gear-       Pflanzenzüchtung der Zukunft. Er erläu-      staltung über Mentimeter abgefragte
beitet werde, den Drucker mit mehre-       terte, dass in Anbetracht der wachsen-       Stimmungsbild über die verschiedenen
ren Düsen auszustatten, um das gleich-     den Weltbevölkerung, des Klimawan-           Methoden zeigte, dass die Mehrheit der
zeitige Drucken mit verschiedenen          dels und der globalen Verbreitung von        Teilnehmer die klassische Pflanzen-
Zutaten zu ermöglichen. Dass in einer      Krankheitserregern die Pflanzenzüch-         züchtung weiterhin als zulässigen Ein-
Profiküche zukünftig 3D-Drucker die        tung auch in Zukunft unverzichtbar sein      griff in die Natur einstuft. Rund 50 Pro-
„Chefs“ ersetzen, hielten beide Exper-     wird. Anhand anschaulicher Beispiele         zent der Befragten empfinden auch die
tinnen für unwahrscheinlich. Die Food      aus der Roggen- und Maiszüchtung er-         neueren Methoden wie die Genom-Edi-
Printer bieten jedoch bereits nach dem     klärte Thomas Miedaner die Funktions-        tierung ebenfalls als zulässigen Eingriff
heutigen Stand der Technik gänzlich        weise neuer Technologien, wie DNS-           in die Natur. Dass die Vorbehalte gegen-
neue Möglichkeiten, Lebensmittel zu ver-   Markertechniken, Gentechnologie oder         über neuen Technologien abnehmen, be-
arbeiten, beispielsweise Schokolade im     Genom-Editierung, die den langwierigen,      stätigte auch Thomas Miedaner.
Bereich des Konditorhandwerks, und         zwischen sechs und zehn Jahre dauern-
mittels 3D-Druck nicht nur neue For-       den Prozess der Züchtung beschleuni-

                                                                                     Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
16      FOKUS

                                                                »
  AUS PROJEKTSICHT IST ES NUN AN DER ZEIT, DIE IM
LAUFE DER VERGANGENEN ZWEI JAHRE EXPERIMENTELL
UMGESETZTEN FORMATE MITEINANDER ZU VERGLEICHEN

CLEAN MEAT –                                        del ein. In den YouTube Live-Chat ein-      nen Blickwinkeln zu diskutieren sowie
FLEISCH AUS DEM LABOR                               gebrachte Teilnehmerfragen umfassten        eigene Zukunftsvisionen einzubringen.
                                                    Aspekte der gesunden Ernährung, der         Nach der ganztägigen Präsenzveran-
Der dritte und letzte Teil der #techour-            Marktreife und des Preises, der Ver-        staltung zur Zukunft des autonomen
future-Reihe „Zukunft Ernährung“ wid-               wendung tierischer Stammzellen sowie        Fliegens (November 2019) und den rei-
mete sich der Frage, welchen Einfluss               des Kochverhaltens. Wenngleich in der       nen Online-Veranstaltungen zur Zukunft
neue Technologien auf die Fleischer-                Diskussion Vorbehalte gegenüber der         unserer Gesundheit (Juni/Juli 2020) war
zeugung haben können. 2013 stellte der              Verwendung von tierischem Wachstums-        es geplant, den dritten Themenblock als
niederländische Forscher Professor                  serum deutlich wurden, schätzte die         Hybridevent zu realisieren, bei dem In-
Mark Post den ersten im Labor gezüch-               Mehrheit der Teilnehmer das Labor-          teressierte zwischen der Teilnahme vor
teten Hamburger vor – umgerechnet für               fleisch als klimafreundliche Alternative    Ort und der Teilnahme online wählen
einen Preis von rund 250.000 Euro. Tech-            gegenüber der Massentierhaltung ein.        konnten. Bei Teil 1 und 2 gelang dies, bei
nisch ist es also möglich, Fleisch in der                                                       Teil 3 dagegen war aufgrund der aktu-
Petrischale heranwachsen zu lassen.                 TECHNOLOGIE*BEGREIFEN:                      ellen Situation nur die Online-Teilnahme
Aber wie wird das sogenannte Clean                  INFORMIEREN, DISKUTIEREN,                   möglich. Die Teilnehmeranzahl ist von
Meat genau hergestellt? Was benötigt                VERSTEHEN                                   Veranstaltung zu Veranstaltung gestie-
man dazu? Und schmeckt das im La-                                                               gen. Die #techourfuture-Veranstaltung
bor gezüchtete Fleisch wie konventio-               Das durch das Ministerium für Wirt-         zu „Zukunft Ernährung“ hatte die bisher
nelles Fleisch? Zu Beginn der Veran-                schaft, Arbeit und Wohnungsbau Ba-          größte Reichweite. Wie sich diese Ent-
staltung ging knapp die Hälfte der                  den-Württemberg geförderte Pilotpro-        wicklung erklären lässt und welche
Teilnehmer davon aus, dass der Ge-                  jekt nähert sich damit dem Ende seiner      Rolle hierbei das jeweilige Thema so-
schmack ähnlich sei. Die verschiedenen              Laufzeit (lesen Sie hierzu auch das Edi-    wie das Veranstaltungsmedium spiel-
Schritte zur Herstellung von Fleisch im             torial auf S. 3). Aus Projektsicht ist es   ten, gilt es nun auszuwerten. Ein erster
Labor erläuterte Professor Dr. Petra                nun an der Zeit, die im Laufe der vergan-   Rückschluss kann jedoch bereits jetzt
Kluger, Vizepräsidentin Forschung und               genen zwei Jahre experimentell umge-        gezogen werden: Die Formatentwick-
Professorin für Tissue Engineering und              setzten Formate noch einmal genauer         lung wird auch in Zukunft neben der
Biofabrication an der Hochschule Reut-              zu untersuchen und miteinander zu ver-      inhaltlichen Ausrichtung und der Ziel-
lingen, die mit ihrem Team seit 2019 an             gleichen, um somit dem Projektziel von      gruppe die realen aktuellen gesell-
der Züchtung von tierischem Gewebe                  #techourfuture Technologie*Begreifen        schaftlichen Bedingungen berücksich-
arbeitet und forscht. In ihrem Vortrag              gerecht zu werden: ein Format zu ent-       tigen.
ging sie auch auf derzeitige Herausfor-             wickeln, das in einem Vertrauensraum
derungen sowie einen möglichen ge-                  sachlich über Zukunftstechnologien in-
sellschaftlichen Mehrwert des Fleischs              formiert und es gleichzeitig ermöglicht,
aus der Petrischale mit Blick auf die               den Einsatz dieser Technologien kri-
Massentierhaltung und den Klimawan-                 tisch zu hinterfragen, aus verschiede-

                                                                                                DR. MARLENE GOTTWALD
                                                                                                marlene.gottwald@steinbeis.de (Autorin)

                                                                                                                Senior Research Fellow
     Veranstaltung verpasst? Alle Aufzeichnungen der #techourfuture-                                            Ferdinand-Steinbeis-Institut
                                                                                                                (FSTI) (Stuttgart)
     Veranstaltungsreihe „Zukunft Ernährung“ finden Sie auf dem YouTube-Kanal
     des Ferdinand-Steinbeis-Instituts: bit.ly/3pdgwNN                                                          www.steinbeis.de/su/1212
                                                                                                                www.steinbeis-fsti.de
                                                                                                                www.techourfuture.de

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FOKUS        17

„ALLES, WAS DIE
PFLANZENZÜCHTUNG
BESCHLEUNIGT, IST
EINE POSITIVE SACHE“
IM GESPRÄCH MIT PROFESSOR DR. THOMAS MIEDANER,
LEITER DES ARBEITSGEBIETS ROGGEN DER LANDES-
SAATZUCHTANSTALT AN DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM

Für oder gegen Gentechnik? Dass diese Frage die Gesellschaft in zwei Lager spaltet,
weiß Professor Dr. Thomas Miedaner, Leiter des Arbeitsgebiets Roggen der Landes-
saatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim, ganz genau. Warum das so ist, ob
und wie man dieser Spaltung entgegenwirken kann und um welche Risiken, aber
auch Chancen es sich eigentlich bei den neuen Technologien in der Pflanzenzüch-
tung handelt, hat die TRANSFER bei ihm als weiterem #techourfuture-Experten
nachgefragt.

  Herr Professor Miedaner, seit Jahr-       die Pflanzenzüchtung deutlich zu be-
  tausenden bilden Pflanzen die             schleunigen, was gerade im Hinblick
  Grundlage der menschlichen Er-            auf die von Ihnen genannten Probleme
  nährung und werden auch in Zu-            natürlich von Vorteil wäre. Was die kon-
  kunft unverzichtbar sein. Allerdings      krete Zeitersparnis angeht, so hängt das
  stellen die wachsende Weltbevöl-          vom Merkmal ab: Geht es um eine ein-
  kerung, der Klimawandel sowie der         fach vererbbare Krankheitsresistenz,
  Trend der nachhaltigen und gesun-         kann das schneller realisiert werden,
  den Ernährung die Pflanzenzüch-           während dieser Prozess bei komplexen             heitserreger dar. Wie kann dieses
  tung vor Herausforderungen. Mit           Merkmalen, wie zum Beispiel Trocken-             gelöst werden?
  welchen neuen Technologien können         toleranz, mit Sicherheit Jahrzehnte dau-
  die Menschen diese bewältigen?            ert. Ein großes Problem besteht darin,        Wie gesagt, es gibt Krankheitsresisten-
                                            dass viele Merkmale, mit denen wir uns        zen, die nur durch ein einziges Gen ver-
Pflanzenzüchtung ist ein zeitlich sehr      beschäftigen, komplex, also durch vie-        erbt werden. Diese sind relativ einfach
aufwendiges Verfahren. Wir rechnen mit      le Gene, vererbt werden. Und auch mit         zu bearbeiten, was aber oft keinen dau-
acht bis zehn Jahren, um eine neue Sor-     Gentechnik und Genom-Editierung kann          erhaften Effekt hat. Das heißt, der Krank-
te zu konzipieren und zu züchten. Des-      man zunächst nur einzelne Gene ver-           heitserreger ist oft in der Lage sich an
wegen können wir in der Züchtung nicht      ändern oder hinzufügen. Hier stellt sich      diese Resistenz relativ schnell anzupas-
kurzfristig reagieren. Und deshalb ist      die Frage, ob man Regulationsgene fin-        sen, weil sich auch die Krankheitser-
alles, was die Pflanzenzüchtung be-         det, die wirklich komplexe Merkmale           reger wieder verändern. Wenn ich also
schleunigt, eine positive Sache. Dazu ge-   verändern. Das ist im Moment nicht der        eine sehr einfache ererbte Krankheits-
hören zum Beispiel die vor über 100 Jah-    Fall. Wir können aktuell damit nicht die      resistenz habe, kann diese entweder
ren entwickelte Hybridzüchtung, aber        perfekte Sorte züchten, weder mit Gen-        zehn Jahre funktionieren oder nach drei
auch die neuen Technologien, wie bei-       technik noch mit Genom-Editierung.            Jahren wieder unwirksam werden. Wenn
spielsweise Markertechniken, mit denen                                                    man mit den sogenannten quantitativen
ich mich im Wesentlichen beschäftige,         Ein großes Problem in der Pflanzen-         Resistenzen arbeitet, dann werden fünf,
Gentechnik und Genom-Editierung. Die-         züchtung stellt die globale Verbrei-        zehn oder zwanzig Gene gleichzeitig ver-
se Technologien können dazu beitragen,        tung der bereits erwähnten Krank-           erbt, von denen jedes einen kleinen Bei-

                                                                                       Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
18       FOKUS

trag liefert. Diese sind zwar dauerhaft,            viel einfacher in dem kleinen Genom zu      verändern will, verändert wird, sondern
aber der Aufwand ist natürlich sehr viel            finden sind. Auf diese Weise werden         noch weitere Gene im Genom, die man
höher. An dieser Stelle wollen wir mit              neue Eigenschaften erzeugt, die es bis-     eigentlich nicht beeinflussen will. Aber
den DNS-Markertechniken den Prozess                 her in diesen Pflanzen nicht gab, wie       alle Pflanzen, ob verändert oder normal
verbessern, da wir damit mehrere Gene               zum Beispiel Herbizid- oder Insekten-       gezüchtet, müssen erst im Gewächs-
gleichzeitig selektieren können.                    resistenz. An dieser Stelle will ich er-    haus und dann im Feld geprüft werden
                                                    wähnen, dass gentechnisch veränder-         und hier fallen solche Defekte natür-
     DNS-Markertechniken, Gentechno-                te Pflanzen inzwischen weltweit seit 25     lich auf. Wir brauchen am Ende immer
     logie oder Genom-Editierung – mit              Jahren auf riesigen Flächen internati-      eine Feldprüfung. Sonstige Risiken se-
     diesen Technologien kann die Pflan-            onal angebaut werden. Bis heute wur-        he ich bei dieser Methode nicht.
     zenzüchtung beschleunigt und effi-             den die erwarteten beziehungsweise be-
     zienter gestaltet werden. Was sind             fürchteten Risiken, beispielsweise der        Aktuell wird viel von der CRISPR/
     deren Chancen und Risiken?                     Zusammenbruch von Ökosystemen,                Cas-Methode gesprochen. Könnten
                                                    nicht festgestellt. Allerdings können         Sie uns möglichst einfach erklären,
Diese drei Techniken muss man getrennt              sich nur sehr gut aufgestellte, multina-      wie diese Methode funktioniert?
betrachten, weil sie verschiedene Grund-            tionale Konzerne die Gentechnik wegen
lagen haben. Die DNS-Markertechniken                der hohen Kosten und der sehr aufwen-       Im Prinzip geht es dabei um ein kleines
sind zum Beispiel reine Diagnoseverfah-             digen Genehmigungsverfahren leisten.        Stück einer RNs-Sequenz, das dafür
ren: Wir suchen im Genom einer Pflanze                                                          sorgt, dass das zu verändernde Gen ge-
nach den günstigen Ausprägungen, zum                Im Gegensatz zur Gentechnologie han-        zielt angesteuert wird. Hier liegt der
Beispiel nach Krankheitsresistenzen                 delt es sich bei der Genom-Editierung um    große Unterschied zur herkömmlichen
oder früher reifenden Pflanzen. Dabei               eine Methode, die auch von mittelständi-    Gentechnik, denn dort werden Gene in
wird das Genom gescannt und mithilfe                schen Unternehmen in Zusammenarbeit         die Pflanze eingebracht, aber man kann
relativ aufwendiger Rechenverfahren                 mit Wissenschaftlern technisch umge-        nicht beeinflussen, wo genau diese lan-
festgestellt, welche Bereiche im Genom              setzt werden kann. In Deutschland ist es    den. Und dann gibt es die Cas-Enzyme,
für diese Eigenschaft verantwortlich                bereits die gängige Praxis, dass Wissen-    die einen Doppelstrangbruch verursa-
sind. Wir können uns dann die günstigen             schaft und Pflanzenzüchtung sehr eng        chen, sodass die DNS genau an der Stel-
Varianten heraussuchen und mithilfe der             zusammenarbeiten. Bei der Genom-Edi-        le, die man über die RNs-Sequenz ange-
DNS diese Varianten bereits im Keim-                tierung werden keine fremden Gene ein-      steuert hat, geschnitten wird. Das ergibt
lingsstadium im Labor auswählen. Der                gebracht, sondern die in der Pflanze        einen Bruch und die Zelle hat zwei Mög-
große Vorteil ist, dass an der Pflanze              bereits vorhandenen Gene durch Aus-         lichkeiten diesen zu reparieren: Ent-
selbst nichts verändert wird, sondern               tausch von einzelnen DNS-Bausteinen         weder sie packt andere Basenpaare in
wir sie ganz normal züchten, der Pro-               verändert. Und das ist das Besondere        diesen Bruch, was in der Regel dazu
zess wird lediglich um die DNS-Diag-                an diesem Verfahren. Ein schönes Bei-       führt, dass das Gen nicht mehr funkti-
nose ergänzt. Daher sehe ich hier auch              spiel dafür kommt aus Israel: Dort ist      oniert, oder man bietet der Pflanze eine
keine Risiken.                                      es Wissenschaftlern gelungen, durch         Reparatursequenz an. Und genau darin
                                                    die Veränderung eines einzigen Gens         besteht die CRISPR/Cas-Methode: Ent-
Bei der Gentechnologie haben wir eine               eine Resistenz gegen drei verschiedene      weder man schaltet Gene aus, macht
ganz andere Situation, denn hier wer-               Pflanzenviren zu erzeugen. Wenn Sie         sie also funktionsunfähig, oder man ver-
den komplette Gene aus anderen Or-                  jetzt nach Risiken fragen: Natürlich gibt   ändert sie in einzelnen Bestandteilen.
ganismen in Pflanzen eingebracht. Das               es Risiken, dass etwas schiefgeht, die      Allerdings bedarf dieses Verfahren noch
geschieht meistens mit bakteriellen Ge-             gibt es immer. Es kann zum Beispiel pas-    weiterer Forschung, bis es jedes Labor
nen, weil diese einfacher organisiert und           sieren, dass nicht nur das Gen, das man     anbieten kann.

      »           PFLANZENZÜCHTUNG IST EIN ZEITLICH SEHR
                        AUFWENDIGES VERFAHREN

Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS          19

  Wenn es um Gentechnologie geht,
  ist die Skepsis oft groß. Welche Vor-
  behalte begegnen Ihnen in Ihrer Ar-
  beit und wie gehen Sie damit um?

Als Wissenschaftler würde man natür-
lich sofort sagen, dass Aufklärung enorm
wichtig ist, denn wir müssen den Men-
schen erklären, worum es sich bei einer
neuen Technologie, einem neuen Ver-
fahren handelt. Andererseits wird ge-
nau das bereits seit mehr als 20 Jahren
gemacht. Es steht allerdings fest, dass
sich die Fronten ideologisch sehr stark
verhärtet haben. Ich vermute, dass es
viele Leute gibt, die sich nicht um das
Thema kümmern. Aber es gibt auch Ak-
tivisten, die grundsätzlich dagegen sind
und die mit sachlichen Argumenten nicht
mehr zu überzeugen sind.

Wenn wir das Thema Genom-Editierung
als Beispiel nehmen, ist hier der größte
Streitpunkt die Frage, wie ich die Genom-
                                                 #techourfuture-Experte Thomas Miedaner im Gespräch mit Moderatorin Marlene Gottwald.
Editierung einordne. Der Europäische
Gerichtshof hat gesagt, dass das das-
selbe wie Gentechnik und daher genau
wie diese zu regulieren ist. Das bedeu-
tet, dass die Genom-Editierung in Euro-     Für die jüngere Generation ist es natür-         rig. Hinzu kommt eine Tatsache, die für
pa nicht kommerziell durchgeführt wer-      lich wichtig, diese umfassend zu infor-          uns, die mit Pflanzen arbeiten, sehr
den wird, weil die Auflagen sehr hoch       mieren. Wenn wir aber über die Men-              schwer verständlich ist, dass zum Bei-
sind und das Produkt als gentechnisch       schen sprechen, die bereits ihre negative        spiel moderne Medikamente zum gro-
verändert gekennzeichnet werden muss.       Meinung über bestimmte Technologien              ßen Teil mithilfe gentechnisch verän-
Andere Länder gehen einen anderen           gebildet haben, dann stellt sich aus mei-        derter Bakterien erzeugt werden. Auch
Weg: In den USA beispielsweise wird das     ner Sicht die schwierige Frage, ob wir           Vitamine, ganz viele Zusatzstoffe, die
Ergebnis von der staatlichen Seite ge-      diese überhaupt noch erreichen können            Sie in Lebensmitteln finden, werden
prüft und wenn die Veränderung keine        und ob sie erreicht werden wollen.               mithilfe von gentechnisch veränderten
fremde, sondern nur pflanzeneigene                                                           Bakterien hergestellt. Das interessiert
DNA enthält und wenn Merkmale her-          Dazu will ich anmerken, dass ich es irre-        überhaupt niemanden, nur bei Pflan-
vorgerufen werden, die es auch natür-       führend finde, wenn auf allen möglichen          zen ist es immer ein ganz großes Dis-
licherweise in der Pflanze gibt, dann ist   Produkten „ohne Gentechnik“ steht, weil          kussionsthema.
das keine Gentechnik und kann ohne          in Europa, außer auf kleinen Flächen in
Einschränkungen angewendet, ange-           Spanien, überhaupt keine gentechnisch
baut und auch vermarktet werden. Das        veränderten Pflanzen angebaut werden.
sind die zwei unterschiedlichen Auf-        Die gibt es weder auf dem Acker noch
fassungen, die es derzeit gibt.             auf dem Markt, sodass es überhaupt
                                                                                             PROF. DR. THOMAS MIEDANER
                                            keine Produkte aus gentechnisch ver-             thomas.miedaner@uni-hohenheim.de (Autor)
  Wie können Ihrer Meinung nach die         änderten Pflanzen geben kann. Aber
                                                                                                             Leiter des Arbeitsgebiets Roggen
  Wissenschaftler die Bevölkerung er-       wenn auf einigen Produkten „ohne Gen-                            der Landessaatzuchtanstalt
  reichen, um deren Hemmschwelle in         technik“ steht, impliziert das, dass es                          der Universität Hohenheim
                                                                                                             (Stuttgart)
  Bezug auf die neuen Technologien zu       welche mit Gentechnik gibt. Dies macht
  senken?                                   den Umgang mit dem Thema schwie-                                 www.uni-hohenheim.de

                                                                                          Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
20      FOKUS

           DAS „SAUBERE“
          FLEISCH AUS DEM
               LABOR
  DIE FORSCHER AN DER HOCHSCHULE REUTLINGEN
  HABEN TIERWOHL UND UMWELTSCHUTZ IM BLICK

Fleisch genießen, ohne Tiere zu töten – diese Herausforderung an die Forschung
  ist aktueller denn je. Denn erschreckende Bilder aus der Massentierhaltung,
 Skandale in der Fleischindustrie sowie die dramatischen Folgen der Fleischer-
 zeugung für das Klima erfordern eine nachhaltige und zukunftsfähige Lösung.
Prof. Dr. Petra Kluger, Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen,
   stellt sich dieser Herausforderung und arbeitet im Labor daran, künstliches
Fleisch aus isolierten tierischen Zellen zu züchten. Im Mittelpunkt ihrer Forschung
  stehen die Fragen, wie eine erfolgreiche Massenproduktion gelingen und wie
gesundes künstliches Fleisch aussehen kann. Davon berichtet hat sie als Exper-
         tin der #techourfuture-Veranstaltungsreihe „Zukunft Ernährung”.

Alles begann mit Petra Klugers Vorle-               natürliches Schweine- oder Rindfleisch      chen Fleischversorgung dar. Dieses
sungen in Tissue Engineering, also dem              aus, ein Tier muss dafür nicht geschlach-   ‚saubere Fleisch‘, vom englischen ‚Clean
Züchten von Gewebe, in denen auch das               tet werden. Das mit Enzymen aufgespal-      Meat‘, kommt zudem dem Tierwohl zu-
Fleisch aus dem Labor Thema war. Das                tene Fleisch wird durch Siebe gegeben,      gute und birgt weniger gesundheitliche
große Interesse der Studierenden und                um die kleineren Stammzellen von grö-       Risiken, die bei der konventionellen
ihr Eröffnungsvortrag bei der interna-              ßeren Bestandteilen zu trennen. Die auf     Fleischherstellung vor allem durch den
tionalen Cultured Meat Konferenz 2018               diese Weise isolierten Zellen wachsen       Einsatz von Antibiotika in der Massen-
in Maastricht motivierten die studierte             im Reutlinger Labor bei 37 Grad Celsius     tierhaltung entstehen.“
Biologin, selbst die Forschung zu die-              in einem Inkubator. Danach kommen
sem Thema aufzunehmen. Bevor sie 2019               sie in einen 3D-Drucker und werden dort     Aktuell arbeitet die Reutlinger Forscher-
mit der Züchtung von Fleisch aus dem                zu einem essbaren Stück Fleisch beste-      gruppe daran, das Fleisch aus dem 3D-
Labor begann, beschäftigte sie sich mit             hend aus Muskel- und Fettgewebe auf-        Drucker zur Marktreife zu bringen. Da-
der Züchtung von menschlichem Gewe-                 gebaut, das in jede beliebige Form ge-      bei steht die Kostenfrage der Massen-
be für biomedizinische Fragestellungen              bracht werden kann.                         produktion im Mittelpunkt. Im Mai 2020
an der Hochschule Reutlingen. Inzwi-                                                            startete ein von der Avina Stiftung geför-
schen forscht die Arbeitsgruppe aus                 Petra Kluger ist vom Potenzial ihrer For-   dertes Gemeinschaftsprojekt der Hoch-
Doktoranden, Wissenschaftlern und Stu-              schung überzeugt: „Fleisch aus dem La-      schule Reutlingen mit der Universität
dierenden um Petra Kluger in mehre-                 bor benötigt im Vergleich zur konventio-    Hohenheim mit dem Ziel, Lösungen für
ren Projekten an diesem Thema.                      nellen Fleischgewinnung viel weniger        die Überführung in industrielle Maßstä-
                                                    Ressourcen – wie etwa Wasser oder           be zu entwickeln. „Wir untersuchen We-
Um die zur Fleischzucht im Labor benö-              Landflächen – und produziert weniger        ge, um die Produktion in industriellen
tigten Stammzellen zu erhalten, reicht              Treibhausgase. Deshalb stellt es eine       Maßstäben voranzubringen. Dafür op-
den Forschern ein kleines Stückchen                 nachhaltige Alternative zur bisher übli-    timieren wir die Herstellungsprozesse,

Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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