2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone

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2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
2017                    F R E I R A U M |1
                        Vierzig Jahre Landesgrünzone
Jahresjournal der
Abteilung Raum-
planung und Baurecht,
Amt der Vorarlberger
Landesregierung
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Landesgrünzone
                                                                          Bilanz 1977 – 2017
                                                                   Zur Sicherung von überörtlich zusammenhängenden Frei­
                                                           flächen vor Zersiedelung wurde 1977 die Landesgrünzone in den Tal­
                                                   sohlen von Rheintal und Walgau verordnet. Dieser Landesraumplan dient
                                           der Erhaltung des Landschaftsbildes, der Naherholungsgebiete, des Naturhaushaltes
                                    und vor allem der Flächensicherung für die Landwirtschaft und erlaubt den Gemeinden
                            keine Bauflächenwidmungen. Gleichzeitig werden mit dieser Flächenfreihaltung langfristige
                      Planungsspielräume für kommende Generationen offen gehalten. Die Landesgrünzone, die sich über
                  30 Gemeinden mit einem Ausmaß von 136 km 2 erstreckt, hat in den vergangenen vier Jahrzehnten eine
                       sehr positive Steuerungswirkung in der Siedlungsentwicklung von Rheintal und Walgau entfaltet.
                           Vor dem Hintergrund starker Bevölkerungszunahme und prosperierender wirtschaftlicher Ent-
                               wicklung konnten in den Talsohlen zusammenhängende Freiflächen weitestgehend erhalten
     Inhalt                         werden. Die quantitative Bilanz nach 40 Jahren zeigt eine Abnahme von lediglich -0,89 km2
                                        (= -0,65 %) der ursprünglichen Gesamtfläche oder umgerechnet -2,2 Hektar pro Jahr. In
 3   Landesgrünzone                          qualitativer Hinsicht zeigt sich allerdings der zunehmende Nutzungsdruck
     im Rheintal und Walgau                       durch unterschiedlichste Sondernutzungen. So ergibt die Auswertung mit
     Flächenverteilung nach Widmungen                  1.1.2017 insgesamt 325 verschiedene Sondergebiets- und 62 Vorbe-
 4   Rede und Gegenrede                                      haltsflächenwidmungen in der Landesgrünzone, davon viele für
     Stimmen zur Landesgrünzone                                  Einrichtungen des Gemeinbedarfs (Sportanlagen und Freizeit­
                                                                      infrastruktur, Strom- und Wasserversorgung, Abwasser-
 6   Verantwortung für den Raum                                           und Abfallverwertung), aber auch landwirtschaftsnahe
     40 Jahre Landesgrünzone              34 Der Stadtwanderer                   Sondernutzungen und betriebsähnliche Nutzungs-
     verändern Sichtweisen                      Lustenau ist überall                 formen. Die raumplanerische Bilanz der Lan-
     Friedrich Schindegger                      Benedikt Loderer
                                                                                         desgrünzone erfordert für die Zukunft
                                          38 Orthofotografischer Essay                       quantitativ weiterhin einen behut-
14   „Die Einsicht, dass groß-
                                                                                                  samen und restriktiven Umgang
     räumige Freiflächen ein              40 Bau- und Raumplanungsrecht                               und qualitativ eine Verbes­
     wertvolles Gut sind,                       Bauen in der Freifläche – geht das?                       serung und Stärkung
     ist deutlich gewachsen.“                   Marlene Burtscher und Manuel Fleisch
                                                                                                               der inneren Frei­
     Tina Mott im Gespräch mit
                                          42 Zwischen Land und Gemeinden                                            flächenfunk-
     Helmut Feurstein
                                                Wie viele Regios braucht das Land?                                          tionen.
21   Draußen vor der Tür                        Manfred Walser
     Ein Plädoyer für eine
                                          44 Flächennutzung in den verschiedenen
     Landschaft im Kleinen,
                                                Regios Vorarlbergs
     die Großes entstehen lässt
                                                Flächenverteilung nach Widmung
     Angelus Eisinger
                                         46    Nachwort des Landesstatthalters
28   Unterwegs in der Grünzone
                                               Den Spagat wagen
     Alexandra Abbrederis Simpson
                                               Karlheinz Rüdisser

32   Die RaumMenschen                    47    Ausblick
     Die Abteilung Raumplanung
     und Baurecht stellt sich vor
     Gerhard Hofer

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2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Landesgrünzone im Rheintal und Walgau
Flächenverteilung nach Widmungen                                                  Bilanz der Landesgrünzone 1977 – 2017
Stand 01. 01. 2017                                                                                Herausnahme - 0,82 km2
                                                                                                    Erweiterung + 0,60 km2
                                                                                                    Ausnahmen - 0,26 km2
                                                                                           FS betriebsorientiert - 0,39 km2
                                                                                                       Sonstige - 0,02 km2

                                                                                             Gesamt (- 0,65 %) - 0,89 km2

                                                                                             Freifläche
                                                                                             Landwirtschaftsgebiet
         Freifläche                                                                          52,1 km2
    Freihaltegebiet
          46,7 km2

      Gewässerfläche 7,1 km2
                                                                            FS – freiraumorientiert 3,3 km2

                                                                            FS – sportanlagenorientiert 0,36 km2
                                            Waldfläche   Verkehrsfläche     FS – betriebsorientiert 0,39 km2
                                            20,7 km2          4,15 km2      Vorbehaltsflächen 0,97 km2
                                                                            Ausnahmen 0,26 km2 und Sonstige 0,02 km2

                                                                                                 FS = Freifläche Sondergebiet
Flächenverteilung
in Vorarlberg

                      Landesfläche Vorarlberg
                        100 % = 2.603 km2

                                                            ungenutzt
                                                            39,5 km2                   genutzt
                                                                                      79,5 km2

                             Grünzone                      gewidmete Bau- und Bauerwartungsflächen
                         5,2 % = 136 km2                               4,6 % = 119 km2
                                                                   ohne Vorbehaltsflächen

                                                                                                                       3
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Rede und Gegenrede
Stimmen zur Landesgrünzone

                                                                Univ. Prof.in DIin Sibylla Zech
                                                                Architektin und Raumplanerin
                                                                Stadtland, Wien

      DIin Maria Anna Schneider-Moosbrugger
      Landschaftsplanerin
      Land Rise Landschaftsplanung & Projektmanagement, Egg

      Mit vorliegender Flächenanalyse zur Landesgrünzone Naturgebiete, bäuerliche Kultur- und Produkti-
      stößt die Raumplanung hart an ihre Grenzen. Die ge- onslandschaften, Waldflächen, Gewässer und
      setzliche Grundlage zur Landesgrünzone definiert den Retentionsräume, Grünverbindungen und Erho-
      räumlichen Schwerpunkt für ökologische sowie land­ lungsräume bilden unsere grüne Infrastruktur.
      schafts­ä sthetische Belange, Naherholungsbedürfnisse Diese ist wesentlich für die Attraktivität der Re-
      und die landwirtschaftliche Produktion am Talboden. gion, für die Menschen vor Ort, für Gäste und
      Nüchterne Flächenangaben zu Wald, Gewässer, Land- ebenso für den Wirtschaftsstandort, der bei der
      wirtschaftsgebiet und Freihaltegebiet begeistern jedoch Rekrutierung von Fachkräften in Konkurrenz
      wenig. Hinsichtlich der Qualität von Naturhaushalt und mit Städten und Regionen weltweit steht. Nicht
      Landschaftsbild sowie zur Praxis einer nachhaltigen nur die Flächenausdehnung ist für die Bedeutung
      und leistungsfähigen Landwirtschaft sind keine aussa- der Landesgrünzone relevant. Vielmehr geht es
      gekräftigen Daten verfügbar. Es fehlen uns also stich- darum, sie als zusammenhängendes Freiraum-
      haltige Argumente für den konsequenten Schutz der netz im dicht besiedelten Rheintal und Walgau
      Landesgrünzone. Angesichts landesweit vorliegender zu begreifen und zu gestalten. Auch wenn die als
      Wid­ mungsreserven ist eine Flächenreduktion für die FS (Freifläche Sondergebiet) gewidmeten Flächen
      Landesgrünzone in den nächsten 40 Jahren hoffentlich nur wenige Pro­zent der Grünzone ausmachen,
      kein Thema. Eine behutsame Mobilisierung der Reserven ist die Wirkung der von Baulichkeiten, Gelände-
      deckt den Bedarf rein rechnerisch jedenfalls über Jahr- veränderungen, versiegelten bzw. vegetations-
      zehnte. Derweil sollten wir zwei Herausforderungen be- freien Flächen, Unruhe, Lärm, Licht und Verkehr
      gegnen. In zunehmend dichter be­bauten Räumen werden geprägten FS-Splitter viel weiträumiger. Die Pra-
      öffentlich nutzbare Grünräume, Freiräume und Plätze un- xis der Flächenwidmung versucht der Fragmen-
      verzichtbar. Freiräumliche Vernetzungsstrukturen und tierung der Kulturlandschaft gegenzusteuern,
      Trittsteine zwischen privaten und öffentlichen Orten tun beispielsweise durch die FF-Widmung (Freifläche
      not. Insbesondere die schwächsten Bevölkerungsschich- Freihaltegebiet), die eine Bebauung ausschließt.
      ten, ältere Menschen, Kinder und sozial schwache Men- Dennoch bleiben viele Nutzungen durch die
      schen sind auf die Begegnungsqualität und Grünkraft raumplanerischen Instrumente nicht fassbar –
      innerhalb des Dauersiedlungsraumes sowie an dessen etwa, wenn funktional gewerbliche Nutzungen
      Rändern angewiesen. Ungeachtet der Lebensraumquali- (Transport, Erdbeweger, Lager, …) als landwirt-
      tät innerhalb der Siedlungen gilt es, das Profil der Lan­ schaftliche Nutzungen eingestuft werden oder
      des­g rünzone gegenüber der vorliegenden gesetzlichen „abfallwirtschaftliche Anlagen“ die Flächenwid-
      Grundlage zu schärfen. Denn die Landesgrünzone kann mung rechtlich ausstechen.
      mehr: Stadt und Land werden, an der Grenze, zur Pers-
      pektive für nachfolgende Generationen. Dazu bedarf es
      jedoch einer Auseinandersetzung und schließlich eines              Es geht darum, die Landesgrünzone als zusammen-
      Zieldialogs auf Basis einer vielschichtigen, differenzier-              hängendes Freiraumnetz im dicht besiedelten
      ten Analyse des Werts unserer Landesgrünzone.                     Rheintal und Walgau zu begreifen und zu gestalten.

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2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Die künftige Herausforderung ist,                                                                   Die Landesgrünzone könnte eine
 Freiflächen nicht nur in ihrer Quantität,                                                   Art Labor für zukunftsfähige Formen der
 sondern auch in ihrer Qualität                                                                                    Landnutzung sein.
 zu erhalten.

                                                                                                  Simon Vetter
                                                                                                  Landwirt
                                                                                                  Vetterhof, Lustenau
                                                Josef Waltle
                                                Inhaber der Firma Alcolor, Nenzing

                                                Ich finde die Landesgrünzone ein hervorra-
                                                gendes und wichtiges Instrument, um den Frei-
                                                raum zu erhalten – die geringe Herausnahme
 Markus Grabher                                 zeigt, wie effektiv diese Planung wirkt und
 Diplom-Biologe                                 dass sie dennoch die Entwicklung nicht ver­un­­
 UMG Umweltbüro Grabher, Bergenz                möglicht. Unsere Firma liegt in einem abge-
                                                schlossenen Gewerbegebiet, das einst Teil der
 Es war sicher nicht zu früh, als 1977          Landesgrünzone war.                               Raumplanung in Vorarlberg. Dieses
 im Rheintal und Walgau überörtliche            Wir dürfen nicht vergessen, dass Vorarlberg       Th­e­men­feld hat sich in den letzten
 Frei­flächen durch die Landesregierung         in großem Maße von den lokalen Gewerbe­           Jahrzehnten nicht gerade durch
 festgelegt wurden. Die vor 40 Jahren           betrie­ben und Industrien lebt und prosperiert.   mutige und weitblickende Schritte
 definierten Ziele waren durchaus weit­         Da kaum noch Gewerbegrundstücke auf dem           hervorgetan. Die Er­    r ichtung der
 blickend: Themen wie „funktionsfä-
 ­­                                             Markt erhältlich sind, erscheint die Diskussion   Landesgrünzone vor über 40 Jah-
 higer Naturhaushalt, Landschaftsbild,          über die punktuelle Umwidmung der Landes-         ren bildet eine erfreuliche Aus­
 Nah­­­­e r­­­holungsraum, leis­t ungsfähige    grünzone unumgänglich. Im Vordergrund ste­        nahme.
 Land­­­w irt ­­­­schaft“ sind heute brennen-   hen der Hausverstand und das Ziel einer ge-       Die Landesgrünzone dient dem An­
 der denn je.                                   sellschaftlichen Balance. Ohne Betriebe keine     bau von Lebensmitteln mit kurzen
 Die Ansprüche sind also hoch. Zwar             Arbeit, ohne Grünflächen keine Lebensquali-       Trans­portwegen, als Wasserspeicher,
 wurde das Verbot der Widmung von               tät! Auch die Politik ist gefordert bei ihren     CO2-Senke, Nah­erholungs­raum und
 Bau- und Bauerwartungsflächen in               Entscheidungen. Sie darf nicht den Ansinnen       als Ort, an dem sich Biodiverstität
 der Vergangenheit nicht immer konse-           einzelner Interessensgruppen nachgeben, mö-       in all ihren Facetten entfalten kann.
 quent gehandhabt, die Vorgaben wur-            gen sie noch so medial auftreten.                 Das ist eine Idealvorstellung, zu
 den aber mehr oder weniger berück-             Wir Unternehmer müssen sparsam mit den            deren Verwirklichung wir noch sehr
 sichtigt. Allerdings finden wir in der         Grundstücksflächen umgehen. Unser Betrieb         viel beitragen müssen.
 Grünzone auch – ganz legal – Verkehrs­         pro­duziert auf zwei Geschossen und benötigt      Die Landesgrünzone könnte eine
 flächen aller Art, Landwirtschaftsbe-          daher weniger Grundfläche. Es erfordert aller-    Art Labor für zukunftsfähige For-
 triebe, deren Flächenbedarf mittleren          dings hohe Anstrengungen und Investitionen,       men der Landnutzung sein. Land-
 Industriebetrieben kaum nachsteht, ver­        um auf zwei Ebenen produktiv zu sein.             wirtschaft, Naturschutz und Naher-
 schiedenste Sportanlagen und selbst            Das Thema Parkplätze für Mitarbeiter ist ein      holung finden nicht sauber getrennt
 Gewerbebetriebe mit Sonderwidmung.             permanent gegenwärtiges Thema. Wir fördern        nebeneinander statt, sondern müs-
 Die künftige Herausforderung ist Frei­         aktiv die Nutzung der Bahn mit einer Halte-       sen Modelle finden, wie den unter­
 flächen nicht nur in ihrer Quantität,          stelle in unmittelbarer Nähe, indem wir den       schiedlichsten Ansprüche an den
 sondern auch in ihrer Qualität zu er-          Schichtbeginn an den Fahrplan anpassen. Ab­       knappen Raum, gemeinsam Rech-
 halten. Mehr noch: da und dort quali­          standsflächen in Gewerbegebieten gehören auf      nung getragen wird.
 tativ aufzuwerten, etwa was das Land­          das Minimum reduziert im Sinne einer opti-        Die Herausforderung – aber auch
 schaftsbild betrifft. Denn je intensiver       malen Bodennutzung.                               das Spannende daran – liegt in der
 der Talraum genutzt wird, desto not-                                                             Tat­
                                                                                                     sache, dass wir uns selbst auf
 wendiger ist eine Grünzone, in der wir                                                           die Suche nach neuen Lösungsan-
 die ursprünglich definierten Funk­               Im Vordergrund ste­hen der Hausverstand         sätzen machen müssen. 40 Jahre
 tionen tatsächlich wiederfinden. Die               und das Ziel einer gesellschaftlichen         Landesgrünzone sind ein Grund zu
„innere Weiterentwicklung“ der Frei­                Balance. Ohne Betriebe keine Arbeit,          feiern, aber wie die aktuelle Dis-
 flächen ist daher eine Aufgabe von                          ohne Grünflächen                     kussion zeigt, kein Grund sich aus-
 zunehmender Relevanz.                                     keine Lebensqualität!                  zuruhen!

           Rede und Gegenrede                                                                                                   5
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Verantwortung für den Raum                                                           Ökologie Flora, Fauna und das Landschaftsbild

40 Jahre Landesgrünzone verändern                                                 innerhalb der Landesgrünzone sind geprägt durch
                                                                                       eine überraschende Vielfalt auf engem Raum.
Sichtweisen.                                                                        Dieser Reichtum entsteht durch den Rhein, seine
                                                                                          Nebenarme und die vielgestaltigen Formen
Friedrich Schindegger                                                                 seines einstigen und aktuellen Schwemmlands.

        Der runde Geburtstag der Landesgrünzone ist ein        Der Raum ist der Fußabdruck der Gesellschaft
        guter Grund, um über Raumplanung nachzudenken.         Wir haben uns daran gewöhnt, die überlieferten
        Was soll sie, was kann sie – und was kann sie nicht?   historischen Raumstrukturen im Zusammenhang
        Dieses Nachdenken empfiehlt sich umso mehr, als        mit jenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu sehen,
        sich die Wahrnehmung dieses zentralen Freiraumes       die sie hervorgebracht haben. Wir haben uns jedoch
        des Vorarlberger Rheintals mit der Zeit offensicht-    noch nicht angewöhnt, unsere eigenen zeitgenös-
        lich verändert hat. 1977 heißt es in den entspre-      sisch geschaffenen Raumstrukturen im Zusammen-
        chenden Verordnungen der Vorarlberger Landesre-        hang mit den gesellschaftlichen – und gesellschafts-
        gierung (LGBl. 8/1977 und LGBl. 9/1977), dass in       politischen – Umständen zu sehen, die sie abbilden,
        den Talsohlen des Rheintals und des Walgaus aus-       genauso deutlich wie im Falle unserer Vorfahren.
        gewiesene Gebiete                                      Unsere Landschaften – die Siedlungsräume sowie die
                                                               sogenannten Freiräume – sind kaum je das Ergebnis
        a) zur Erhaltung eines funktionsfähigen                eines ausgeführten Planes. Sie sind die manchmal
        	­Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes,           beeindruckend beharrliche räumliche Manifestation
        b) zur Erhaltung von Naherholungsgebieten sowie        der Wertvorstellungen und Kräfteverhältnisse der
        c) zur Sicherung der räumlichen Voraussetzungen        darin lebenden Gesellschaften, in all ihrer Komple-
           für eine leistungsfähige Landwirtschaft,            xität und durch die gesamte Menschheitsgeschichte
                                                               hindurch, auch in unserer Gegenwart. Heute werden
        als überörtliche Freiflächen festgelegt werden.        die eigentlichen Nutzungs- und Standortentschei-
                                                               dungen nicht von Herrschern getroffen, sondern
        Das ist eine ziemlich klare Begründung, an deren       von Landwirten, privaten Haushalten, Wohnbauträ-
        Berechtigung sich nichts geändert haben dürfte.        gern, Betrieben, Investoren und der öffentlichen
        Über vier Jahrzehnte hinweg hat diese Regelung         Hand, in aller Bruchstückhaftigkeit auf Grund ihres
        auch ihre guten Dienste getan, indem sie das Grün-     je individuellen Kalküls – wenn auch im Rahmen
        land einfach tabuisierte. In der öffentlichen Wahr-    baubehördlicher Genehmigungen, die ihrerseits
        nehmung unterliegt der das Tal prägende, unver-        wieder an den Rahmen der überörtlichen Raumpla-
        baute Freiraum, widerstreitenden Ansichten. Wird       nung gebunden sind.
        die Grünzone als ein Schutzdamm gegen die ansons-      Dabei ist für das Grundverständnis raumplanungs-
        ten ungebremst ausufernde Siedlungsentwicklung         rechtlicher Festlegungen zu bedenken, dass sie ja
        angesehen, so ist gleichzeitig mitunter auch von       nur dann wirksam werden können, wenn eine bauli-
        der „Flächenreserve“ die Rede – für alle möglichen     che Nutzung stattfindet. Nach bisheriger und der-
        Raumansprüche, insbesondere nachfolgender Gene-        zeitiger Rechtslage im Lande können jedoch hoheit-
        rationen. Also eine Landschaft mit Ablaufdatum?        liche Maßnahmen keinen Einfluss darauf nehmen,
        Das Nachdenken über die verschiedenen Sicht- bzw.      ob bzw. dass eine Bebauung im Sinne der Flächen-
        Herangehensweisen sollte sich deshalb auf die          widmung tatsächlich stattfindet, sondern die Behör-
        Raum­ordnung im Allgemeinen und auf die Grünzone       den müssen sich dazu privatrechtlicher Vereinba-
        im Besonderen beziehen – was sowieso nicht wirk-       rungen bedienen. Ebenso ist zu beachten, dass sich
        lich zu trennen ist.                                   die Wirkungsweise der überörtlichen Raumplanung
                                                               von der Planung im Bauwesen wesentlich unter-
                                                               scheidet: Ohne Bauplan kein Bau, ohne Raumplan
                                                               aber durchaus Entwicklung im Raum – wie gehabt!

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2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Raumplanung ist räumliche Gemeinwohlvorsorge           Raumplanung ist die räumliche Gemeinwohlvorsor-
Die einzelne Liegenschaft ist keine Insel unbe- ge schlechthin. Jeweilig deshalb, weil Gemeinwohl-
grenzter privater Verfügbarkeit, sondern eingewo- interessen sich auf verschiedenen Ebenen, den real-
ben in ein Netz räumlicher Bezüge und Abhängig- weltlichen Lebensräumen entsprechend, artikulieren.
keiten, aus denen Ansprüche von Nachbarn ebenso Hier kommt uns der föderative Staatsauf bau mit
wie von der Allgemeinheit resultieren können. Ent- seinen gestuften Zuständigkeiten und Ver­        a nt­
                                                                                                        wor­
sprechend der Sozialpflichtigkeit des Eigentums tun­gen entgegen. So wenig wie die Summe indivi-
sind also mit jedem Grundstück bzw. jedem Stand- dueller räumlicher Interessen das Gemeindeinteresse
ort nicht nur individuelle Interessen, sondern grund- ergibt, kann auch die Summe räumlicher Gemeinde­
sätzlich auch die Interessen der allgemeinen Öf- interessen nicht als das Landesinteresse verstanden
fentlichkeit verbunden, gleichsam als Folie darüber. werden.
Überörtliche Regelungen der Raumplanung sind Raumplanung ist kein Selbstzweck, sondern einer
des­halb unverzichtbar. Die additive Genehmigung der wichtigsten Zugänge staatlichen Handelns, um
von einzelnen Neubauvorhaben – wer auch immer wesent­         l iche aktuelle gesellschaftspolitische Ziele
der jeweilige Nutznießer ist – führt mitnichten zu zu verfolgen. In welchem politischen Maßnahmen-
einer für das Gemeinwohl bestmöglichen Struktur. bereich sonst kann so gebündelt
Es braucht also gegenüber den Einzelinteressen eine
Verantwortung für den jeweiligen Gesamtraum: _ die Einsparung öffentlicher Mittel
                                                      _ die Vermeidung von Ressourcenvergeudung
                                                      _ die bestmögliche Nutzung vorhandener
                                                         Potenziale der gebauten und unbebauten Welt
                                                      _ die Reduktion von Umweltbelastungen

                                                       verfolgt werden?

Verantwortung für den Raum                                                                                     7
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Naherholung Die Landschaft vor der Haustüre bietet
zahlreiche Möglichkeiten zur Erholung und zur Gestaltung
der Freizeit. Neben der hohen Aufenthaltsqualität
stecken dort aber auch die potenziellen Konflikte,
wenn Hunde auf Jogger treffen, Ornithologen auf Piloten
von Kleinflugzeugen oder Ruhesuchende auf Menschen,
die in der Abgeschiedenheit ein Fest feiern möchten.

          Neubewertung der Grünzone                               ­ emeinden eingesetzt. Auch ist die Frage der ver-
                                                                  G
          Zunächst ist festzustellen, dass die Landesgrünzone     pflichtenden Siedlungsgrenzen kein Gegenstand
          mit ihrer verbindlichen Siedlungsraumbegrenzung         der Diskussion mehr, wenn auch nicht der konse-
          1977 eine raumplanungspolitische Pioniertat darstell-   quenten Umsetzung.
          te, nicht nur für Österreich. Noch zwanzig Jahre        Was die inhaltliche Wahrnehmung der Grünzone
          danach wurde in mehreren östlichen Bundesländern        betrifft, werden die Regelungen zur „Tabuisierung“
          die Durchsetzung überörtlicher Siedlungsgrenzen         der Grünzone vor 40 Jahren und ihre bisher weitge-
          mit verfassungsrechtlichen Bedenken verhindert. Da      hende Bewahrung angesichts der rapide wachsen-
          war sogar von planwirtschaftlichen Verirrungen          den Flächenansprüche aller Raumnutzungen alleine
          unter dem Einfluss östlicher, damals noch kommu-        nicht ausreichen, diesen multifunktionalen Frei-
          nistischer Nachbarstaaten die Rede. Dabei wurde         raum auch in Zukunft zu erhalten. So ist auch im
          freilich nicht zur Kenntnis genommen, dass in der       Rahmen des 2004 gestarteten Pro­       jekts „Vision
          Nachbarschaft von Österreich, in ebenso demokrati-      Rheintal“ eine Veränderung der Sichtweisen deut-
          schen wie wohlhabenden Ländern (Schweiz, Südtirol,      lich geworden. Es zeigt sich, dass es nicht einfach
          Bayern) im Fall von beschränkten Raumreserven           genügt, den zentralen Landschaftsraum des Rhein-
          schon längst neue Instrumente eingesetzt wurden,        tals dem Baulandwidmungszugriff der Gemeinden
          um die Entwicklung stärker zu lenken. Dazu gehören      zu entziehen, wenn es darum geht, den Freiraum
          u. a. befristete Baulandwidmungen sowie verbindli-      mit seinen vielfältigen Eignungen und Ansprüchen
          che Vereinbarungen der Vertragsraumordnung, die         ökologisch und für die Gesellschaft funktionell am
          beispielsweise Nutzungsverpflichtungen, Mehrwert-       Leben zu erhalten. Dabei wurden differenzierte Ide-
          abschöpfung von Widmungsgewinnen oder Siche-            en entwickelt, die hier nur mit den Slogans „Grünes
          rung von Flächen für den sozialen Wohnbau betref-       Netz“, „Nahprodukte und Freiraum“, „Breitwasser
          fen. Inzwischen werden solche Instrumente mehr          statt Hochwasser“ beispielhaft angedeutet werden
          und mehr auch in österreichischen Städten und           können.

     8
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Von der Zone zum Lebensraum                             So kann die multifunktionale freie Landschaft im
Das auf breitester Mitwirkung von Bürgern und           Zentrum dieses urbanen Raums als das funktionelle
zivil­gesellschaftlichen Institutionen beruhende ge-    Äquivalent zu den verdichteten – und zu verdichten-
meinsame Projekt der Landesregierung und der 29         den – Gebieten dienen, gleichsam als „Central Park“
Talgemeinden „Vision Rheintal“ hat deutlich ge-         für eine polyzentrische Regionalstadt Rheintal.
macht, dass bisher getrennt voneinander betrachtete     Diese „Regionalstadt Rheintal“ hat als Alleinstel-
Raumelemente tatsächlich in einem engen Zusam-          lungsmerkmal mehrere Mittelpunkte: die Seestadt,
menhang stehen. Dem vernetzten Leben im Raum            die Messestadt, den Millenniums-Wirtschaftspark,
muss also auch eine vernetzte Wahrnehmung sei-          die Renaissancestadt, die Alte Stadt. Die dazwischen
tens der Raumplanung entsprechen. Eine zukunfts-        liegenden Siedlungsräume, in diesem Fall der Um-
orientierte Wahrnehmung der Raumstruktur des            raum dieser Zentren, umschließen gemeinsam die
Rheintales darf nicht länger ignorieren, dass es sich   zentrale Grünlandschaft. Alle zusammen bilden sie
um einen urbanisierten Raum handelt, mit der nach       den Lebens- und Wirtschaftsraum der Menschen im
Wien und Graz höchsten Einwohnerdichte. Dieser          Rheintal.
längst nicht mehr ländliche Raum ist gleichzeitig       Vor allem die besiedelten Zwischenräume zwischen
eine der wirtschaftlich stärksten und dynamischs-       den genannten Zentren sind die Gestaltungsräume
ten Regionen Österreichs, hat eine hohe Industrie-      der Zukunft. Gerade hier geht es um eine Entwicklung
quote, weist branchenführende innovative Betriebe       der Fragmente zu einer tatsächlich zusammenhän-
im High-Tech-Bereich auf und ist mit seiner starken     genden Gestalt. Polyzentrische Struktur, Fragmente
Außenhandelsorientierung ein Rückgrat der Vorarl-       von Zentren, urbane Nutzung der Bahnhofstandorte,
berger Wirtschaft.                                      städtebauliche Antworten auf urbane Fragmente,
                                                        Eingangstore an Siedlungsrändern, die Beurteilung
                                                        von überörtlich bedeutsamen Einrichtun­gen, „grüne
                                                        Finger“, lineare und fraktale Ränder waren die Stich-
                                                        worte im Projekt „Vision Rheintal“.

Verantwortung für den Raum                                                                                      9
2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
Das im Raum bereits hochgradig vernetzte Leben           Neue Strategien der Raumentwicklung
     wird durch ein öffentliches Verkehrsangebot von          Raumordnungspolitik verfügt über mehr Möglich-
     hohem Standard ermöglicht. Stadtbus, Landbus und         keiten als Bauland-Tabuzonen zu errichten oder im
     Bahn mit gemeinsamem Corporate Design, Tarif­            öffentlichen Interesse erwünschte Baulandnutzun-
     system und abgestimmtem Taktfahrplan im Ver-             gen in Form von Flächenwidmungen auszuweisen.
     kehrsverbund, versorgen nicht nur, sondern bilden        Zunächst muss es um die Frage gehen, wie die be-
     mit ihrem „Stadtverkehr durch die Dörfer“ auch ein       trächtlichen Baulandreserven den vorgesehenen Nut-
     identitätsstiftendes, urbanes Element im Erschei-        zungen zugeführt werden können – bevor Ansprüche
     nungsbild. Die Ergänzung auf der regionalen Ebene        an die Grünzone gestellt werden. Das wird meines
     bilden die innenliegende „Stadt-Bahn“ der ÖBB und        Erachtens wohl nicht ohne gesetzliche Verankerung
     die außenliegende Stadt-Autobahn als Rückgrat.           der Befristung von Baulandausweisungen bzw. einer
     Die polyzentrische Regionalstadt Rheintal ermög-         Infrastruktur­abgabe für erschlossenes, aber unbe-
     licht durch Synergieeffekte, im Wettbewerb der Re-       bautes Bauland gehen. Letztlich ist es eine Frage, die
     gionen in der höheren Liga der europäischen Städte       ins Grundsätzliche reicht: Was spricht dafür, mit
     mitzuspielen. Gerade an der Peripherie der Einzugs-      neuen Baulandwidmungen in die Grünzone einzu-
     bereiche von Zürich und München könnte eine              greifen, während gleichzeitig fortgesetzte Wertstei-
     Marktlücke für eine polyzentrische europäische Mit-      gerungen für bislang ungenutzte Baulandflächen
     telstadt liegen. Die zentrale Grünzone als „Central      ermöglicht werden? Es kommt auf die Sichtweise an.
     Park“ spielt dabei eine wesentliche Rolle für das        Das Denken in Alternativen muss vielmehr die
     Standortimage im internationalen Standortwettbe-         Leerstands-Nutzungen und Industriebrachen in Be-
     werb. Sie ist ein konstitutives und identitätsstiften-   tracht ziehen. Weiter stellt sich die Frage, warum
     des Element einer solchen urbanen Struktur und           nicht neue Wohnungen und Büro- und Gewerbeflä-
     nicht eine Flächenreserve zur sukzessiven Abde-          chen flächensparend in einem gemeinsamen Gebäu-
     ckung neuer Bebauungsansprüche.                          dekomplex untergebracht werden, anstatt jede neue
                                                              Nutzung isoliert voneinander „auf die grüne Wiese

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Wirtschaft und Infrastruktur                                         Diese Informationen können als Bringschuld der
Die Talschaften von Rheintal und Walgau werden                       Raumplanung der öffentlichen Hand angesehen
wesentlich geprägt und teilweise getrennt durch die                  werden.
linearen Strukturen von Bahn und Autobahn
                                                                     Eine derart verbesserte Wahrnehmung der raumbe-
sowie das Stakkato der Strommasten.
                                                                     zogenen Aufgabenstellungen für die Politik, sowie
Herausnahmen für Gewerbe­gebiete bilden Inseln
in der Landesgrünzone, teilweise liegen die
                                                                     die transparente sachbezogene Auseinandersetzung
Gewerbebauten auch innerhalb der Freihaltezone.                      darüber, sind die notwendige Grundlage für die Ak-
                                                                     zeptanz künftiger Raumordnungspolitik. Der Begriff
                                                                     Wahrnehmung ist dabei in seiner Doppelbedeutung
                                                                     zu verstehen: im Sinne von erkennen und aufgreifen.
                                                                     Das Raumverständnis des Rheintals soll der ­Realität
          zu treiben“. Salzburger Wohnbauträger reagieren be-        entsprechen und nicht irgendwelchen ideologisch
          reits mit solchen Projekten auf die Verknappung von        geprägten Mythen. Eine Regionalstadt Rheintal
          Bauland und den Anstieg der Grundstückspreise. In          kann nicht von Bewohnern entwickelt werden, die
          Wien werden inzwischen Wohnungen über bereits              sich selbst als Dorf bewohner betrachten.
          existierenden Einzelhandelsmärkten gebaut. Ent-            Es geht im Übrigen auch um eine intensivere Ko-
          wicklung muss also nicht in jedem Fall automatisch         operation zwischen Architektur und Raumplanung.
          Neubau auf zusätzlichen Flächen bedeuten.                  Gerade weil erstere in Vorarlberg einen internatio-
          Dazu genügt allerdings eine re-aktive Regulierungs-        nal bekannt hohen Standard hat, sollte es nicht
          planung nicht. Es braucht vielmehr eine pro-aktive         schwerfallen, in einer gemeinsamen räumlichen Ge­
          Politik, die sich neben den Erweiterungen des Raum-        meinwohlvorsorge die sowieso nicht genau definier-
          planungsrechts auch neuer politischer Steuerungs-          baren Grenzen zwischen den Disziplinen zu über-
          formen auf verschiedenen Ebenen bedient. Dazu              schreiten. Dabei sollte es darum gehen, gemeinsam
          gehört auch die Lenkung von öffentlichen und priva-
          ten Standortentscheidungen, etwa durch die Bindung         _   die jeweils besten Standorte für die Nutzungen
          von Wohnbauförderung und Investitionsförderun-                 mit spezifischen Ansprüchen zu sichern,
          gen an Raumplanungskriterien. Von zunehmender              _   motorisierten Individualverkehr durch differen-
          Bedeutung ist auch die Förderung von Akteuren                  zierte Standortplanung (für öffentliche
          durch Vernetzung, Ausbildung und Beratung sowie                Einrichtungen, publikumsintensive Anlagen,
          Vermittlung durch Modelllösungen, Modellverfah-                transportintensive Anlagen) zu vermeiden,
          ren und die organisierte Kommunikation zwischen            _   erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen
          Beteiligten. Genau das ist in dem auch internatio-             auf Nachbar- und auch Konkurrenzräume mit ins
          nal anerkannten Projekt „Vision Rheintal“ bereits              Kalkül zu nehmen,
          entwickelt und teilweise praktiziert worden. Nach-         _   räumlich-funktionelle Verflechtungen mit dem
          weislich hat sich dadurch die Problemwahrnehmung               jeweiligen urbanen Umfeld wahrzunehmen,
          breiter Bevölkerungskreise wesentlich verändert.           _   identitätsstiftende Orte und ablesbare Verbindun-
          Darauf gilt es seitens der öffentlichen Verantwor-             gen durch Wege zu schaffen – da Wege und Orte die
          tungsträger aufzubauen.                                        Konstituierenden für die räumliche Erfahrung sind,
                                                                     _   Spielräume für künftige Nutzungsentwicklungen
           Raumplanung braucht Mehrheit                                  offenzuhalten,
           Um im Widerstreit der Interessen auch der räumli-
           chen Gemeinwohlvorsorge eine Stimme zu verschaf-          und das auf den verschiedenen Ebenen räumlichen
           fen, brauchen die für die Raumordnungspolitik ver-        Maßstabs.
           antwortlichen Akteure hinreichenden Rückhalt in
           der öffentlichen Meinung. Es geht darum, auf dem          All das sind aber nicht nur Kriterien für die unmit-
           Meinungsmarkt Mehrheiten zu gewinnen.                     telbaren Akteure. Diese Ziele werden in Zukunft nur
           Eine wichtige Rolle kommt dabei der zivilgesellschaft-    mit mehr Rückhalt im öffentlichen Bewusstsein er-
           lichen Öffentlichkeit zu. Das erfordert allerdings eine   reicht werden können.
           qualifiziertere Information über
          _ die Veränderungen der tatsächlich relevanten
              Lebensbedingungen im Raum, über
          _ die verschiedenen Möglichkeiten und Alterna-
                                                                     Friedrich Schindegger
              tiven der Problemlösungen sowie über                   (Jg. 1938), DI (Architektur), Dr. (Raumplanung)
          _ die Art und Wirkungen der eingesetzten                   Langjähriger Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Raumplanung,
              Maßnahmen.                                             Autor zahlreicher Publikationen. Von 2004 bis 2006 Berater der erweiter-
                                                                     ten Projektleitung des Projektes „Vision Rheintal“.

          Verantwortung für den Raum                                                                                                   11
12
Straße über Land: A14 Rheintalautobahn, Obere Mähder   13
„Die Einsicht, dass großräumige
 Freiflächen ein wertvolles Gut sind,
 ist deutlich gewachsen.“
Tina Mott im Gespräch mit
 Helmut Feurstein

                                                                           In der neu geschaffenen Abteilung bestand die Mög-
                                                                           lichkeit, ein kleines Team mit fachlich qualifizierten
                                                                           und sehr motivierten Mitarbeitern aufzubauen, das
                                                                           schlussendlich aus drei Architekten, einem Geo-
                                                                           graphen und einem Geologen bestand sowie mir als
                                                                           Abteilungsvorstand. Bis dahin war ich in etwa zehn
                                                                           verschiedenen Positionen als juristischer Mitarbei-
                                                                           ter in der Landesverwaltung tätig gewesen.
                                                                           Zur selben Zeit ist das Vorarlberger Raumplanungs-
                                                                           gesetz erlassen worden, an dessen Erarbeitung die
                                                                           Raumplanungsabteilung bereits mitwirken konnte.
                                                                           Durch dieses Gesetz wurde uns die Aufgabe übertra-
                                                                           gen, neben der örtlichen Raumplanung, die damals
Der Jurist Dr. Helmut Feurstein erstellte mit seinem Team die Pläne und    vor allem im Erstellen der Flächenwidmungspläne
die Grundlagen der Landesgrünzone. Mit dem beispiellosen Vorgehen          durch die Gemeinden bestand, auch die sogenannte
leistete seine Abteilung der Landesregierung Pinoier­arbeit in der Raum-   überörtliche Raumplanung anzugehen, also die
planung. Die Tiroler Architektin und Publizistin Tina Mott traf ihn
                                                                           Raumplanung durch das Land.
zum Gespräch, um die Anfänge und die Wirkung dieses einzigartigen
                                                                           Als wesentliches Aufgabenfeld für die überörtliche
Planungsinstruments zu reflektieren.
                                                                           Raumplanung wurden von Anfang an die noch vor-
                                                                           handenen Freiflächen angesehen, die an die Verdich-
                                                                           tungsräume von Rheintal und Walgau angrenzten.
                                                                           Es galt ein weiteres Auswuchern der Siedlungen in
                                                                           diese Freiräume hintanzuhalten, um damit eine Be-
                                                                           einträchtigung der Qualität dieser Räume in Bezug
          Die Landesgrünzone in Vorarlberg feiert heuer ihr                auf Erholung, Landschaft und Naturschutz sowie
          40-jähriges Bestehen und ist inzwischen im Bewusst-              eine Verdrängung der Landwirtschaft zu verhin-
          sein der Bürger tief verankert. Welche Voraussetzun-             dern. Es war nämlich zu befürchten, dass bei der
          gen führten damals dazu, die Arbeit an einer über-               damals einsetzenden Flächenwidmungsplanung das
          örtlichen Freiflächenplanung aufzunehmen?                        überörtliche Interesse an der Erhaltung zusammen-
                                                                           hängender Freiflächen mitunter nicht ausreichend
          Im Jahr 1969 wurde mir die Leitung der Abteilung                 berücksichtigt wird.
          für Wirtschaftliche Angelegenheiten beim Amt der
          Vorarlberger Landesregierung übertragen, zu deren                In Österreich leisteten Sie mit diesem Projekt abso-
          Aufgaben auch die Raumplanung, das Baurecht und                  lute Pionierarbeit. Es gab keine vergleichbaren Pla-
          die Abfallbeseitigung gehörten. Drei Jahre später                nungen, an denen Sie sich orientieren konnten. Nach
          wurden die Raumplanungsagenden jedoch ausge-                     welchen Kriterien wählten Sie die Methode, um eine
          gliedert und der neu geschaffenen Abteilung für                  derart komplexe Aufgabe umzusetzen?
          Raumplanung und Baurecht übertragen, da die ver-
          schiedenen Arbeitsbereiche neben den wirtschaftli-               Über Rezepte, wie wir dieses Problemfeld angehen
          chen Angelegenheiten einen Umfang angenommen                     sollten, verfügten wir nicht. Prof. Wurzer aus Wien,
          hatten, der von einer einzelnen Abteilung nicht                  der mit unermüdlichem Engagement die Notwendig-
          vertieft hätte betreut werden können.                            keit einer planmäßigen Entwicklung des Landes

   14
propagierte, hatte damals im Auftrag der Landesre- Eine Planung in dieser Größenordnung verlangt
 gierung den Entwurf für ein Landesentwicklungs- auch einen enormen technischen und logistischen
 programm erarbeitet. Als dieser Entwurf vorgestellt Aufwand. Wie gestaltete sich die Durchführung
 und ins Begutachtungsverfahren gebracht wurde, dieses umfangreichen Projekts?
 zeigte sich allerdings, dass die Zeit für solch ein
 umfassendes Programm zu früh war, da die dazu Als ersten Schritt erteilte die Landesregierung der
 erforderlichen Erkenntnisse und Erfahrungen noch Raumplanungsabteilung den Auftrag, einen Entwurf
 weitgehend fehlten.                                    für die Abgrenzung überörtlicher Freiflächen im
 Von dieser Einsicht ausgehend gelangten wir zu der Rheintal und im Walgau zu erarbeiten.
 Auffassung, dass bei der überörtlichen Raumpla- Für die sofortige Aufnahme der Arbeiten war von
 nung zunächst nur ein problembezogenes Vorgehen wesentlicher Bedeutung, dass geeignetes Planma-
 sinnvoll sei. Dies bedeutete, dass wir                              terial für das ganze Landesgebiet in
 vor allem dort, wo konkrete Probleme Der Entwurf für die Grün­      den Maßstäben 1:5.000 und 1:20.000
 anstanden, tätig werden sollten, da- zonen erfolgte im Maßstab bereits zur Verfügung stand. Die
 für aber diese vertieft behandelten, 1:5000. Mit den Vertretern Raumplanungsstelle hatte zuvor ein
 um zu konkreten und umsetzbaren des Landschaftsschutzes              Konzept für die Beschaffung des für
 Lösungen zu kommen. Von umfas- und der Landwirtschaft               die örtliche und überörtliche Raumpla-
 senden Entwicklungsplänen wurde ­gingen wir das gesamte Plan- nung benötigten Planmaterials ent­
 zunächst abgesehen. Diese damals gebiet ab. Die unter­suchten wickelt. Dieses konnte trotz hoher Kos-
 von Planungsfachleuten kritisch be- Bereiche dürften insgesamt ten umgehend realisiert werden. Für
 urteilte Herangehensweise war uns eine Ausdehnung von etwa das gesamte Landesgebiet wurden –
 auch möglich, weil wir alle keine ge- 100 km2 gehabt haben. An      eingepasst in ein Rastersystem – Ein-
 lernten Raumplaner waren und uns besonders heiklen Stellen          zelblätter mit einem Ausmaß von
 keiner „Schule“ verpflichtet fühlten. erklärten sich ein­zelne Re­  50 cm x 50 cm angelegt. Die Pläne im
 Dieses problemorientierte Vorgehen gierungsmitglieder dazu be- Maßstab 1:5.000 bauten auf den Ka-
 hatte vor allem den Vorteil, dass die reit, am Lokalaugenschein     tasterplänen auf und wiesen damit
 zuständigen politischen Organe sich teilzunehmen.                   alle Grundstücke innerhalb des Lan-
 nicht mit schwer überschaubaren                                     des mit deren Grenzen aus. Die Dar-
 Planungswerken, sondern mit konkreten Fragestel- stellungen auf den Plänen reichten jeweils über die
 lungen auseinanderzusetzen hatten. Dies brachte einzelnen Gemeindegrenzen hinaus und erleichter-
 auch mit sich, dass die zur Entscheidung anstehen- ten damit den Blick über den „Zaun“. Dasselbe Ma-
 den Fragen von der politischen Seite jeweils inten- terial erhielten wir auch im Maßstab 1:20.000 für
 siv beraten wurden. Im Herbst 1975 beschloss die Übersichtsdarstellungen.
 Landesregierung ein Sofortprogramm, das neben Die detaillierte Ausarbeitung des Entwurfs für die
 Maßnahmen zur Unterstützung der Gemeinden bei Grünzonen erfolgte im Maßstab 1:5.000. Mit den
 der Flächenwidmungsplanung eine vorläufige Aus- Vertretern des Landschaftsschutzes und der Land-
 weisung von überörtlichen Grünzonen in den Tal­ wirtschaft fuhren oder gingen wir das gesamte
 ebenen im Rheintal und Walgau vorsah.                  Plangebiet ab. In dieser ersten Planungsphase nah-
 Die damalige Landesregierung sah die Raumplanung men wir zunächst die Abgrenzungen vor Ort mit
 als eine wichtige Aufgabe des Landes an und unter- freiem Auge vor und hielten diese mit einem „Strich“
 stützte sie entsprechend. So fand man für die Ein- in den Plänen fest. Die untersuchten Bereiche dürf-
 stellung der benötigten Fachleute sowie die Bereit- ten insgesamt eine Ausdehnung von etwa 100 km 2
 stellung der Mittel für die teilweise kostspieligen gehabt haben. An besonders heiklen Stellen erklär-
 Erfordernisse immer Gehör. Von Vorteil für unsere ten sich sogar einzelne Regierungsmitglieder dazu
 Arbeit war insbesondere, dass immer wieder die bereit, am Lokalaugenschein teilzunehmen.
 Möglichkeit bestand, anstehende Fragen unmittel-
 bar mit der Landesregierung zu erörtern. Insbeson- Die Akzeptanz des Projektes bei der Bevölkerung
 dere der damalige Landeshauptmann Dr. Herbert war eine grundlegende Voraussetzung für die er-
 Keßler trat engagiert für die Belange der Raumpla- folgreiche Umsetzung Ihrer Konzepte. Auf welche
 nung ein; bereits als Bürgermeister von Rankweil Weise wurden die Bürger und ihre politischen Ver-
 ließ er den ersten Flächenwidmungsplan in Vorarl- treter in die Planungsarbeiten miteinbezogen?
 berg erstellen. Auch im Ruhestand beschäftigten
 ihn Fragen der Raumplanung. So nahm er mich bei Wir erwirkten durch einen weiteren Regierungsbe-
 einer Veranstaltung auf die Seite und gebot mir: schluss ein Auflege- und Anhörungsverfahren in
„Helmut, verteidige die Grünzone mit Zähnen und einer Art und einem Umfang, die bis dahin in unse-
 Klauen!“                                               rem Land einzigartig waren. Die Entwürfe für das

Interview                                                                                                     15
Jeder Bürger konnte in die aufliegenden Pläne Einsicht
­nehmen und prüfen, ob in seinem Eigentum stehende
 ­Liegenschaften davon betroffen waren. Es wurden etwa
  500 Abänderungsvorschläge eingereicht, die sich zum
  Großteil auf siedlungsnahe Bereiche bezogen. Auf der
  Grundlage der Ergebnisse des Auflage- und Anhörungs­
  verfahrens wurde der Entwurf nochmals überarbeitet.
  Dabei war man um möglichst abgerundete Abgrenzungen
  bemüht, damit nicht der überörtliche Charakter der
  Grünzonen in Frage gestellt werden konnte.

         Rheintal und den Walgau samt einem ausführlichen       werden. Die ausgelegten Pläne, in die übrigens alle
         Erläuterungsbericht wurden allen 30 betroffenen Ge­    Abänderungsvorschläge eingetragen waren, ergaben
         meinden zur Auflage zugestellt. Allein das Zeichnen    ein eindrucksvolles Bild, denn die Pläne der Talebe-
         und Verteilen der Unmengen von Plänen war eine         nen von Rheintal und Walgau lagen so ausgebreitet
         logistische Herausforderung besonderer Art. Für die    auf den Tischen, dass jedes einzelne Grundstück
         Bürgermeister und Gemeinderäte aller Gemeinden         vom Bodensee bis Feldkirch bzw. von Feldkirch bis
         wurden Informationsveranstaltungen durch­geführt.      Bludenz ohne größere Schwierigkeiten aufzufinden
         Zudem wurde eine intensive Öffentlichkeitsarbeit       war. „Dekoriert“ wurde das Planwerk mit Luftbil-
         betrieben, da wir darin den Schlüssel zum Erfolg       dern der kritischen Stellen. Bei der Besichtigung
         sahen. Jeder Bürger konnte in die aufliegenden Pläne   der Pläne und der Erörterung der Abänderungsvor-
         Einsicht nehmen und prüfen, ob in seinem Eigen-        schläge sind wir mit den Mitgliedern der Regierung
         tum stehende Liegenschaften davon betroffen waren.     das Rheintal und den Walgau buchstäblich abge-
         Es wurden etwa 500 Abänderungsvorschläge ein­          gangen. Am 22. April 1977 hat die Regierung dann
         gereicht, die sich zum Großteil auf siedlungsnahe      die Landesraumpläne erlassen, mit denen die über-
         Bereiche bezogen. Jeder einzelne Ein­spruch wurde      örtlichen Freiflächen in den Talsohlen des Rhein-
         im Zuge der Erarbeitung des endgültigen Entwurfes      tals und Walgaus festgelegt wurden.
         sorgfältig geprüft und dazu eine Stellungnahme aus­
         gearbeitet. Nach dem Inkrafttreten der Grünzonenplä-   Solche Planungen sind immer mit Unsicherheiten
         ne sind allen Personen, deren Abänderungsvorschläge    und Opposition verbunden. Wie hat die Öffentlich-
         nicht berücksichtigt werden konnten, en­t­sprechende   keit darauf reagiert?
         Informationen zugeleitet worden.
         Auf der Grundlage der Ergebnisse des Auflage- und      Die Entwürfe waren in der Öffentlichkeit nicht auf
         Anhörungsverfahrens wurde der Entwurf nochmals         größere Widerstände gestoßen. Es fiel damit auch
         überarbeitet. Dabei war man um möglichst abgerun-      der Landesregierung nicht schwer, das von ihr als
         dete Abgrenzungen bemüht, damit nicht der über-        notwendig angesehene Vorhaben zu beschließen.
         örtliche Charakter der Grünzonen in Frage gestellt     Dabei war wohl entscheidend, dass die politischen
         werden konnte. Alle Änderungswünsche wurden mit        Organe vom Anliegen überzeugt waren und sich in
         Vertretern der berührten Dienststelle erörtert. Ge-    jeder Phase des Planungsprozesses eingebracht hat-
         meinsam mit Mitgliedern der Landesregierung wur-       ten. Zum Erfolg hat aber auch die Einbeziehung der
         den in einem VW-Bus Teilbereiche abgefahren, um        betroffenen und interessierten Mitbürger im Rah-
         kritische Fälle besser beurteilen zu können.           men des breit angelegten Anhörungsverfahren bei-
         Die auf Grund der Ergebnisse des Begutachtungs-        getragen. Die Einsicht, dass die großräumigen Frei­
         verfahrens überarbeiteten Pläne wurden vor der Be-     flächen ein wertvolles Gut sind, ist im Verlaufe der
         schlussfassung der Landesregierung vorgestellt und     Zeit deutlich gewachsen, auch wenn im Einzelfall
         erläutert. Im seinerzeitigen Landhaus hatten wir       die Interessen und Meinungen mitunter nicht auf
         damals gar keinen so großen Raum, um die Plan-         einen Nenner zu bringen sind. Die intensive Dis-
         blätter für das Rheintal und den Walgau im Maß-        kussion, wie sie derzeit geführt wird, trägt dazu bei,
         stab 1:5000 auslegen zu können. Zusammengenom-         dass dem sorgsamen Umgang mit den verbliebenen
         men erstreckten sie sich doch auf eine Länge von       Freiflächen, die ohnehin schon mit vielerlei Nut-
         etwa 10 Metern. Es musste also in den Sitzungssaal     zungen belastet sind, mehr Bedeutung beigemessen
         der Bezirkshauptmannschaft Bregenz ausgewichen         wird denn je.

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Landesgrünzone Stand 2017   17
Auch in rechtlicher Hinsicht war die parzellenschar-   ten Betriebsgebieten begrenzt sind. Durch Aufnahme
     fe Ausweisung von Flächen zur Wahrung überörtli-       einer Ausnahmebestimmung in die Grün­          zonen-
     cher Interessen eine Pionierleistung. Bis dahin        Verordnungen wurde die Möglichkeit geschaffen,
     herrschte die Meinung vor, dass die überörtliche       diesem Anliegen allenfalls Rechnung tragen zu
     Raumplanung einer Gemeinde keine konkrete Ge-          können. Die Ausweisung von Gebieten in den Grün-
     bietsabgrenzung verbindlich vorgeben könne. Bei        zonen für Betriebe mit einem großem Flächenbe-
     uns war man jedoch der Auffassung, dass dies sehr      darf, die sich in dem im Flächenwidmungsplan
     wohl möglich, aber auch notwendig sei, um erfor-       hierfür festlegten Bereichen nicht realisieren lassen,
     derlichenfalls Standorte für Anlagen von überörtli-    sollte also nicht von vornherein ausgeschlossen
     chem Interesse festlegen zu können. In den ersten      sein. Man ging aber davon aus, dass vor Erteilung
     Jahren wurde die Rechtmäßigkeit der Grünzonen          von Ausnahmen eingehend die Frage des Bedarfs zu
     mehrfach ohne Erfolg in Frage gestellt. Die grund-     prüfen sein wird, aber auch, ob das Vorhaben die
     sätzliche Frage, ob Vorgaben für abgegrenzte Flä-      für die Grünzonen festgelegten Ziele nicht unvertret-
     chen durch die überörtliche Raumplanung zulässig       bar beeinträchtigt, wie etwa den Landschaftsschutz
     sind, wurde schließlich vom Verfassungsgerichtshof     und die Sicherung von Böden für eine leistungs­
     in einem Fall in Niederösterreich unter der Voraus-    fähige Landwirtschaft. Je nach den Gegebenheiten
     setzung für zulässig erklärt, dass diese im Hinblick   wird es daher Bereiche in den überörtlichen Freiflä-
     auf überörtliche Interessen notwendig sind. Damit      chen geben, die trotz wirtschaftlich wichtiger Inter­
     wurde die von Vorarlberg schon ein Jahrzehnt zu-       essen für eine Betriebsansiedlung nicht in Frage
     vor vertretene Auffassung endgültig bestätigt.         kommen. Mit anderen Worten: wirtschaftliche In-
                                                            teressen werden nicht in schlechthin jedem Fall
     Als Sie in den 1970er-Jahren mit der Projektierung     den Vorrang vor anderen Interessen haben können,
     und Umsetzung einer überörtlichen Freifläche be-       wie dies gelegentlich gefordert wird.
     gannen, konnten viele gesellschaftliche und raum-      Bei der Erteilung von Ausnahmen wurden von An-
     planerische Entwicklungen im Land nur erahnt           fang an durchwegs strenge Maßstäbe angelegt. Da-
     werden. Welche Planungsparameter waren dafür           ran hat sich erfreulicherweise in den folgenden
     entscheidend, ein bis heute tragfähiges Konzept zu     Jahrzehnten nichts geändert. Die meisten Ausnah-
     entwickeln?                                            men betrafen auch früher Betriebserweiterungen
                                                            am ­ Rande der Grünzonen. Angesichts des hohen
     Nach dem damaligen Verständnis haben wir in            Stellenwertes, der den Grünzonen beigemessen
     ­ orarlberg Planung nicht in erster Linie als die
     V                                                      wurde, erfolgte die Entscheidung – von unbedeuten-
     Festlegung wünschbarer räumlicher Zustände, son-       den Fällen abgesehen – jeweils durch die Landesre-
     dern vor allem als ein Instrument zur Sicherung und    gierung in kollegialer Beschlussfassung.
     Erhaltung von Entscheidungs- und Gestaltungsmög-
     lichkeiten angesehen. Die Festlegung der Grünzo-       Sie waren über 25 Jahre lang mit der Leitung der
     nen gründet sich auf dieses Verständnis. Für die       Raumplanungsagenden des Landes betraut. Welchen
     Grünzonen wurden deshalb nicht konkrete Festle-        Stellenwert nimmt die Schaffung der Landesgrün-
     gungen getroffen, sondern lediglich ein Widmungs-      zone in ihrer persönlichen Berufslauf bahn ein?
     verbot für Bauflächen festgelegt, um ein weiteres
     Ausgreifen der Siedlungen in die noch verbliebenen     In der Rückschau empfinde ich die gemeinsamen
     größeren Freiräume hintanzuhalten.                     Bemühungen von Politik und Verwaltung um die
     Die immer wieder geäußerte Meinung, dass die           Schaffung der Landesgrünzonen, die damals beson-
     Grünzone eine Art Naturschutzgebiet sei, ist so-       ders enge Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer
     wohl aus rechtlicher Sicht als auch von den Beweg-     Dienststellen und vor allem in der Abteilung selbst
     gründen her nicht zutreffend, die für deren Aus-       als einen Höhepunkt meines beruflichen Werdegan-
     weisung maßgebend waren. Rechtsgrundlage ist           ges. Dies mag aber nicht zuletzt daran liegen, dass
     ausschließlich das Raumplanungsgesetz. Auch der        mit dem Vorhaben in rechtlicher und planerischen
     Schutzinhalt der Grün­zonen-Verordnungen ist ein       Hinsicht, aber auch von der Abwicklung her, Neu-
     rein raumplanungsrechtlicher, nämlich das Wid-         land beschritten wurde und damit den gemeinsamen
     mungsverbot für Bau­    flächen. Damit werden aber     Bemühungen auch etwas Abenteuerliches anhaftete,
     gleichzeitig weitgehende Entscheidungsmöglichkei-      etwas was in der Verwaltung schon damals nicht
     ten für naturschutzrechtliche Festlegungen und         alltäglich war.
     sonstige Interessen gesichert.
     Schon im Auflageverfahren wurde mehrfach darauf
     hingewiesen, dass die Möglichkeiten für die Unter-
     bringung größerer Betriebe in den bereits gewidme-                               Die Landesgrünzone ist kein Naturschutzgebiet.
                                                                      Rein rechtlich gesehen handelt es sich um ein Widmungsverbot
                                                                            für Bauflächen. Dies erlaubt auch eine intensive landwirt-
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Landwirtschaft
     Mit einem Anteil von 52.1 km² bildet die Freifläche-Landwirtschaftsgebiet den größten Widmungsteil an der Landesgrünzone. Landwirtschaft-
     liche Bewirtschaftung erfolgt zu wesentlichen Teilen auch auf Freifläche-Freihaltegebiet (46.7 km²). Die Konzentration ist nachvollziehbar:
     Im Rheintal und Walgau finden sich die wertvollsten landwirtschaftlichen Potenzialflächen (vgl. Seite 27). Die landwirtschaftlichen Infrastruk-
20   turen und Nutzbauten bilden eine Konstante in der gesamten Landesgrünzone.
Draußen vor der Tür
Ein Plädoyer für eine Landschaft
im Kleinen, die Großes
entstehen lässt
Angelus Eisinger

        Unser Anliegen beginnt beim täglichen Blick aus          um Traditionen und Besitzverhältnisse, Einsichten
        dem Fenster: Die Frei-, Erholungs- und Landschafts-      in Gewohnheiten und die Bedürfnisse der Nutzen-
        räume, denen diese Zeilen gewidmet sind, gibt es         den. Es geht aber ebenso um Flüsse, Wälder und
        schon – und es gibt sie nicht zu wenig. Allerdings       markante Einzelobjekte. Sie alle formen ein Narra-
        wissen wir kaum um sie und oft ist es auch mit ihrer     tiv, aus dem heraus sich Landschaft als stimmiges
        Erreichbarkeit und Zugänglichkeit so eine Sache.         Ganzes erzählen lässt, weil es konzeptionell keine
        Meine Ausführungen sind ein Plädoyer, sich auf die       blinden Flecken und Tabus gibt. Landschaftliche
        Suche nach dieser Landschaft vor der Haustüre zu         Konzepte für Alltagsräume müssen solche Kompli-
        machen. Die These lautet wie folgt: Die Auseinan-        zenschaft suchen – mit den Bauern, dem Naturschutz
        dersetzung mit dieser scheinbar banalen, meist viel      ebenso wie der Raumplanung.
        zu vertrauten Landschaft in einem kleinen Maßstab
        schafft die Grundlagen für zukunftsfähige Alltags-
        räume in großen Zusammenhängen. Dieses Potenzial
        gilt es zu aktivieren.
        Landschaft ist ein Paradebeispiel dafür, was Planer      Landschaft entwickeln bedeutet, Zukunftsfragen
        ein Querschnittsthema nennen. An der Landschaft          einen Rahmen zu geben
        zu arbeiten heißt Siedlungsentwicklung, Verdichtung,     Darüber hinaus verlangt die Arbeit an der Land-
        Verkehr, Naturschutz und Ökologie miteinander in         schaft oft genug, sich den tiefen Schürfungen zu
        Bezug zu setzen. Das wohnt der Angelegenheit inne.       stellen, in denen sich der gesellschaftliche Wandel
        Diese Vielschichtigkeit verlangt nicht nach größen-      der vergangenen Jahrzehnte in die Landschaft ein-
        wahnsinnigen Projekten oder überkomplexer Detail-        geschrieben hat: große Infrastruktursysteme, Abbau
        planung – was wir brauchen, ist eine Annäherung          und Übernutzung, einseitige Fokussierung auf Sied-
        ohne Scheuklappen, die genaues Beobachten mit            lungserweiterung. Die Grundlage dafür bildet ein
        sorgfältigem Sammeln und Ordnen von Eindrücken           fundamentaler Paradigmenwechsel in der Planung:
        und Hinweisen verbindet und die Erkenntnisse in          Die Siedlungsentwicklung von der Landschaft her
        einer konzeptionellen Leitidee synthetisiert. Die kon­   zu denken. Die Vorzüge dieses Perspektivenwech-
        zeptionelle Maxime auf diesem Weg zur Landschaft         sels haben sich über die letzten Jahrzehnte in einer
        lautet: Keep it simple. Konkret: Gestaltung verlangt     Reihe planerischer Versuchsanordnungen gezeigt.
        nach Augenmaß für die eigenen Vorschläge, gerade         Ganz wesentlich zu diesem Sichtwechsel haben die
        im Umgang mit den Realitäten, die die landschaftli-      Internationalen Bauausstellungen beigetragen, die
        che Entwicklung faktisch prägen. Nur mit diesem          sogenannten IBAs, die als Labore für die Planung
        unerschrocken realistischen Blick entstehen die not­     immer wieder neue Akzente setzen können. Im Fol-
        wendigen Allianzen, die es braucht, um ein Konzept       genden möchte ich einige dieser kleineren und grö-
        wirkungsvoll umzusetzen. Dieser Realismus begeg-         ßeren Planungsexperimente kurz vorstellen, die zu
        net der Gefahr von konzeptionellen Überzeichnun-         einer neuen Sichtweise der Landschaft und des
        gen und überzogenen Forderungen von großen Ges-          Freiraums beigetragen haben. Aus ihnen sind Pla-
        ten. An ihre Stelle tritt die Auseinandersetzung mit     nungsansätze hervorgegangen, die auch Anregun-
        präzise benannten neuralgischen Punkten, die die         gen für den Umgang mit der Landesgrünzone in
        Aneignung der Landschaft durch ihre Nutzerinnen          Vorarlberg bieten.
        und Nutzer zum Ausgangspunkt macht. Dazu benö-           Mit der IBA Berlin von 1987 verlagerte sich der Fo-
        tigt man profunde Kenntnisse vor Ort, das Wissen         kus von der kritischen Rekonstruktion des einzel-
                                                                 nen Gebäudes und dem behutsamen Stadtumbau
                                                                 auf die Transformation und Überformung des Beste-
                                                                 henden – und damit vom einzelnen Objekt zu den

        Draußen vor der Tür                                                                                             21
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