2017 Vierzig Jahre Landesgrünzone
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2017 F R E I R A U M |1 Vierzig Jahre Landesgrünzone Jahresjournal der Abteilung Raum- planung und Baurecht, Amt der Vorarlberger Landesregierung
Landesgrünzone Bilanz 1977 – 2017 Zur Sicherung von überörtlich zusammenhängenden Frei flächen vor Zersiedelung wurde 1977 die Landesgrünzone in den Tal sohlen von Rheintal und Walgau verordnet. Dieser Landesraumplan dient der Erhaltung des Landschaftsbildes, der Naherholungsgebiete, des Naturhaushaltes und vor allem der Flächensicherung für die Landwirtschaft und erlaubt den Gemeinden keine Bauflächenwidmungen. Gleichzeitig werden mit dieser Flächenfreihaltung langfristige Planungsspielräume für kommende Generationen offen gehalten. Die Landesgrünzone, die sich über 30 Gemeinden mit einem Ausmaß von 136 km 2 erstreckt, hat in den vergangenen vier Jahrzehnten eine sehr positive Steuerungswirkung in der Siedlungsentwicklung von Rheintal und Walgau entfaltet. Vor dem Hintergrund starker Bevölkerungszunahme und prosperierender wirtschaftlicher Ent- wicklung konnten in den Talsohlen zusammenhängende Freiflächen weitestgehend erhalten Inhalt werden. Die quantitative Bilanz nach 40 Jahren zeigt eine Abnahme von lediglich -0,89 km2 (= -0,65 %) der ursprünglichen Gesamtfläche oder umgerechnet -2,2 Hektar pro Jahr. In 3 Landesgrünzone qualitativer Hinsicht zeigt sich allerdings der zunehmende Nutzungsdruck im Rheintal und Walgau durch unterschiedlichste Sondernutzungen. So ergibt die Auswertung mit Flächenverteilung nach Widmungen 1.1.2017 insgesamt 325 verschiedene Sondergebiets- und 62 Vorbe- 4 Rede und Gegenrede haltsflächenwidmungen in der Landesgrünzone, davon viele für Stimmen zur Landesgrünzone Einrichtungen des Gemeinbedarfs (Sportanlagen und Freizeit infrastruktur, Strom- und Wasserversorgung, Abwasser- 6 Verantwortung für den Raum und Abfallverwertung), aber auch landwirtschaftsnahe 40 Jahre Landesgrünzone 34 Der Stadtwanderer Sondernutzungen und betriebsähnliche Nutzungs- verändern Sichtweisen Lustenau ist überall formen. Die raumplanerische Bilanz der Lan- Friedrich Schindegger Benedikt Loderer desgrünzone erfordert für die Zukunft 38 Orthofotografischer Essay quantitativ weiterhin einen behut- 14 „Die Einsicht, dass groß- samen und restriktiven Umgang räumige Freiflächen ein 40 Bau- und Raumplanungsrecht und qualitativ eine Verbes wertvolles Gut sind, Bauen in der Freifläche – geht das? serung und Stärkung ist deutlich gewachsen.“ Marlene Burtscher und Manuel Fleisch der inneren Frei Tina Mott im Gespräch mit 42 Zwischen Land und Gemeinden flächenfunk- Helmut Feurstein Wie viele Regios braucht das Land? tionen. 21 Draußen vor der Tür Manfred Walser Ein Plädoyer für eine 44 Flächennutzung in den verschiedenen Landschaft im Kleinen, Regios Vorarlbergs die Großes entstehen lässt Flächenverteilung nach Widmung Angelus Eisinger 46 Nachwort des Landesstatthalters 28 Unterwegs in der Grünzone Den Spagat wagen Alexandra Abbrederis Simpson Karlheinz Rüdisser 32 Die RaumMenschen 47 Ausblick Die Abteilung Raumplanung und Baurecht stellt sich vor Gerhard Hofer 2
Landesgrünzone im Rheintal und Walgau Flächenverteilung nach Widmungen Bilanz der Landesgrünzone 1977 – 2017 Stand 01. 01. 2017 Herausnahme - 0,82 km2 Erweiterung + 0,60 km2 Ausnahmen - 0,26 km2 FS betriebsorientiert - 0,39 km2 Sonstige - 0,02 km2 Gesamt (- 0,65 %) - 0,89 km2 Freifläche Landwirtschaftsgebiet Freifläche 52,1 km2 Freihaltegebiet 46,7 km2 Gewässerfläche 7,1 km2 FS – freiraumorientiert 3,3 km2 FS – sportanlagenorientiert 0,36 km2 Waldfläche Verkehrsfläche FS – betriebsorientiert 0,39 km2 20,7 km2 4,15 km2 Vorbehaltsflächen 0,97 km2 Ausnahmen 0,26 km2 und Sonstige 0,02 km2 FS = Freifläche Sondergebiet Flächenverteilung in Vorarlberg Landesfläche Vorarlberg 100 % = 2.603 km2 ungenutzt 39,5 km2 genutzt 79,5 km2 Grünzone gewidmete Bau- und Bauerwartungsflächen 5,2 % = 136 km2 4,6 % = 119 km2 ohne Vorbehaltsflächen 3
Rede und Gegenrede Stimmen zur Landesgrünzone Univ. Prof.in DIin Sibylla Zech Architektin und Raumplanerin Stadtland, Wien DIin Maria Anna Schneider-Moosbrugger Landschaftsplanerin Land Rise Landschaftsplanung & Projektmanagement, Egg Mit vorliegender Flächenanalyse zur Landesgrünzone Naturgebiete, bäuerliche Kultur- und Produkti- stößt die Raumplanung hart an ihre Grenzen. Die ge- onslandschaften, Waldflächen, Gewässer und setzliche Grundlage zur Landesgrünzone definiert den Retentionsräume, Grünverbindungen und Erho- räumlichen Schwerpunkt für ökologische sowie land lungsräume bilden unsere grüne Infrastruktur. schaftsä sthetische Belange, Naherholungsbedürfnisse Diese ist wesentlich für die Attraktivität der Re- und die landwirtschaftliche Produktion am Talboden. gion, für die Menschen vor Ort, für Gäste und Nüchterne Flächenangaben zu Wald, Gewässer, Land- ebenso für den Wirtschaftsstandort, der bei der wirtschaftsgebiet und Freihaltegebiet begeistern jedoch Rekrutierung von Fachkräften in Konkurrenz wenig. Hinsichtlich der Qualität von Naturhaushalt und mit Städten und Regionen weltweit steht. Nicht Landschaftsbild sowie zur Praxis einer nachhaltigen nur die Flächenausdehnung ist für die Bedeutung und leistungsfähigen Landwirtschaft sind keine aussa- der Landesgrünzone relevant. Vielmehr geht es gekräftigen Daten verfügbar. Es fehlen uns also stich- darum, sie als zusammenhängendes Freiraum- haltige Argumente für den konsequenten Schutz der netz im dicht besiedelten Rheintal und Walgau Landesgrünzone. Angesichts landesweit vorliegender zu begreifen und zu gestalten. Auch wenn die als Wid mungsreserven ist eine Flächenreduktion für die FS (Freifläche Sondergebiet) gewidmeten Flächen Landesgrünzone in den nächsten 40 Jahren hoffentlich nur wenige Prozent der Grünzone ausmachen, kein Thema. Eine behutsame Mobilisierung der Reserven ist die Wirkung der von Baulichkeiten, Gelände- deckt den Bedarf rein rechnerisch jedenfalls über Jahr- veränderungen, versiegelten bzw. vegetations- zehnte. Derweil sollten wir zwei Herausforderungen be- freien Flächen, Unruhe, Lärm, Licht und Verkehr gegnen. In zunehmend dichter bebauten Räumen werden geprägten FS-Splitter viel weiträumiger. Die Pra- öffentlich nutzbare Grünräume, Freiräume und Plätze un- xis der Flächenwidmung versucht der Fragmen- verzichtbar. Freiräumliche Vernetzungsstrukturen und tierung der Kulturlandschaft gegenzusteuern, Trittsteine zwischen privaten und öffentlichen Orten tun beispielsweise durch die FF-Widmung (Freifläche not. Insbesondere die schwächsten Bevölkerungsschich- Freihaltegebiet), die eine Bebauung ausschließt. ten, ältere Menschen, Kinder und sozial schwache Men- Dennoch bleiben viele Nutzungen durch die schen sind auf die Begegnungsqualität und Grünkraft raumplanerischen Instrumente nicht fassbar – innerhalb des Dauersiedlungsraumes sowie an dessen etwa, wenn funktional gewerbliche Nutzungen Rändern angewiesen. Ungeachtet der Lebensraumquali- (Transport, Erdbeweger, Lager, …) als landwirt- tät innerhalb der Siedlungen gilt es, das Profil der Lan schaftliche Nutzungen eingestuft werden oder desg rünzone gegenüber der vorliegenden gesetzlichen „abfallwirtschaftliche Anlagen“ die Flächenwid- Grundlage zu schärfen. Denn die Landesgrünzone kann mung rechtlich ausstechen. mehr: Stadt und Land werden, an der Grenze, zur Pers- pektive für nachfolgende Generationen. Dazu bedarf es jedoch einer Auseinandersetzung und schließlich eines Es geht darum, die Landesgrünzone als zusammen- Zieldialogs auf Basis einer vielschichtigen, differenzier- hängendes Freiraumnetz im dicht besiedelten ten Analyse des Werts unserer Landesgrünzone. Rheintal und Walgau zu begreifen und zu gestalten. 4
Die künftige Herausforderung ist, Die Landesgrünzone könnte eine Freiflächen nicht nur in ihrer Quantität, Art Labor für zukunftsfähige Formen der sondern auch in ihrer Qualität Landnutzung sein. zu erhalten. Simon Vetter Landwirt Vetterhof, Lustenau Josef Waltle Inhaber der Firma Alcolor, Nenzing Ich finde die Landesgrünzone ein hervorra- gendes und wichtiges Instrument, um den Frei- raum zu erhalten – die geringe Herausnahme Markus Grabher zeigt, wie effektiv diese Planung wirkt und Diplom-Biologe dass sie dennoch die Entwicklung nicht verun UMG Umweltbüro Grabher, Bergenz möglicht. Unsere Firma liegt in einem abge- schlossenen Gewerbegebiet, das einst Teil der Es war sicher nicht zu früh, als 1977 Landesgrünzone war. Raumplanung in Vorarlberg. Dieses im Rheintal und Walgau überörtliche Wir dürfen nicht vergessen, dass Vorarlberg Themenfeld hat sich in den letzten Freiflächen durch die Landesregierung in großem Maße von den lokalen Gewerbe Jahrzehnten nicht gerade durch festgelegt wurden. Die vor 40 Jahren betrieben und Industrien lebt und prosperiert. mutige und weitblickende Schritte definierten Ziele waren durchaus weit Da kaum noch Gewerbegrundstücke auf dem hervorgetan. Die Er r ichtung der blickend: Themen wie „funktionsfä- Markt erhältlich sind, erscheint die Diskussion Landesgrünzone vor über 40 Jah- higer Naturhaushalt, Landschaftsbild, über die punktuelle Umwidmung der Landes- ren bildet eine erfreuliche Aus Nahe rholungsraum, leist ungsfähige grünzone unumgänglich. Im Vordergrund ste nahme. Landw irt schaft“ sind heute brennen- hen der Hausverstand und das Ziel einer ge- Die Landesgrünzone dient dem An der denn je. sellschaftlichen Balance. Ohne Betriebe keine bau von Lebensmitteln mit kurzen Die Ansprüche sind also hoch. Zwar Arbeit, ohne Grünflächen keine Lebensquali- Transportwegen, als Wasserspeicher, wurde das Verbot der Widmung von tät! Auch die Politik ist gefordert bei ihren CO2-Senke, Naherholungsraum und Bau- und Bauerwartungsflächen in Entscheidungen. Sie darf nicht den Ansinnen als Ort, an dem sich Biodiverstität der Vergangenheit nicht immer konse- einzelner Interessensgruppen nachgeben, mö- in all ihren Facetten entfalten kann. quent gehandhabt, die Vorgaben wur- gen sie noch so medial auftreten. Das ist eine Idealvorstellung, zu den aber mehr oder weniger berück- Wir Unternehmer müssen sparsam mit den deren Verwirklichung wir noch sehr sichtigt. Allerdings finden wir in der Grundstücksflächen umgehen. Unser Betrieb viel beitragen müssen. Grünzone auch – ganz legal – Verkehrs produziert auf zwei Geschossen und benötigt Die Landesgrünzone könnte eine flächen aller Art, Landwirtschaftsbe- daher weniger Grundfläche. Es erfordert aller- Art Labor für zukunftsfähige For- triebe, deren Flächenbedarf mittleren dings hohe Anstrengungen und Investitionen, men der Landnutzung sein. Land- Industriebetrieben kaum nachsteht, ver um auf zwei Ebenen produktiv zu sein. wirtschaft, Naturschutz und Naher- schiedenste Sportanlagen und selbst Das Thema Parkplätze für Mitarbeiter ist ein holung finden nicht sauber getrennt Gewerbebetriebe mit Sonderwidmung. permanent gegenwärtiges Thema. Wir fördern nebeneinander statt, sondern müs- Die künftige Herausforderung ist Frei aktiv die Nutzung der Bahn mit einer Halte- sen Modelle finden, wie den unter flächen nicht nur in ihrer Quantität, stelle in unmittelbarer Nähe, indem wir den schiedlichsten Ansprüche an den sondern auch in ihrer Qualität zu er- Schichtbeginn an den Fahrplan anpassen. Ab knappen Raum, gemeinsam Rech- halten. Mehr noch: da und dort quali standsflächen in Gewerbegebieten gehören auf nung getragen wird. tativ aufzuwerten, etwa was das Land das Minimum reduziert im Sinne einer opti- Die Herausforderung – aber auch schaftsbild betrifft. Denn je intensiver malen Bodennutzung. das Spannende daran – liegt in der der Talraum genutzt wird, desto not- Tat sache, dass wir uns selbst auf wendiger ist eine Grünzone, in der wir die Suche nach neuen Lösungsan- die ursprünglich definierten Funk Im Vordergrund stehen der Hausverstand sätzen machen müssen. 40 Jahre tionen tatsächlich wiederfinden. Die und das Ziel einer gesellschaftlichen Landesgrünzone sind ein Grund zu „innere Weiterentwicklung“ der Frei Balance. Ohne Betriebe keine Arbeit, feiern, aber wie die aktuelle Dis- flächen ist daher eine Aufgabe von ohne Grünflächen kussion zeigt, kein Grund sich aus- zunehmender Relevanz. keine Lebensqualität! zuruhen! Rede und Gegenrede 5
Verantwortung für den Raum Ökologie Flora, Fauna und das Landschaftsbild 40 Jahre Landesgrünzone verändern innerhalb der Landesgrünzone sind geprägt durch eine überraschende Vielfalt auf engem Raum. Sichtweisen. Dieser Reichtum entsteht durch den Rhein, seine Nebenarme und die vielgestaltigen Formen Friedrich Schindegger seines einstigen und aktuellen Schwemmlands. Der runde Geburtstag der Landesgrünzone ist ein Der Raum ist der Fußabdruck der Gesellschaft guter Grund, um über Raumplanung nachzudenken. Wir haben uns daran gewöhnt, die überlieferten Was soll sie, was kann sie – und was kann sie nicht? historischen Raumstrukturen im Zusammenhang Dieses Nachdenken empfiehlt sich umso mehr, als mit jenen gesellschaftlichen Verhältnissen zu sehen, sich die Wahrnehmung dieses zentralen Freiraumes die sie hervorgebracht haben. Wir haben uns jedoch des Vorarlberger Rheintals mit der Zeit offensicht- noch nicht angewöhnt, unsere eigenen zeitgenös- lich verändert hat. 1977 heißt es in den entspre- sisch geschaffenen Raumstrukturen im Zusammen- chenden Verordnungen der Vorarlberger Landesre- hang mit den gesellschaftlichen – und gesellschafts- gierung (LGBl. 8/1977 und LGBl. 9/1977), dass in politischen – Umständen zu sehen, die sie abbilden, den Talsohlen des Rheintals und des Walgaus aus- genauso deutlich wie im Falle unserer Vorfahren. gewiesene Gebiete Unsere Landschaften – die Siedlungsräume sowie die sogenannten Freiräume – sind kaum je das Ergebnis a) zur Erhaltung eines funktionsfähigen eines ausgeführten Planes. Sie sind die manchmal Naturhaushaltes und des Landschaftsbildes, beeindruckend beharrliche räumliche Manifestation b) zur Erhaltung von Naherholungsgebieten sowie der Wertvorstellungen und Kräfteverhältnisse der c) zur Sicherung der räumlichen Voraussetzungen darin lebenden Gesellschaften, in all ihrer Komple- für eine leistungsfähige Landwirtschaft, xität und durch die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch, auch in unserer Gegenwart. Heute werden als überörtliche Freiflächen festgelegt werden. die eigentlichen Nutzungs- und Standortentschei- dungen nicht von Herrschern getroffen, sondern Das ist eine ziemlich klare Begründung, an deren von Landwirten, privaten Haushalten, Wohnbauträ- Berechtigung sich nichts geändert haben dürfte. gern, Betrieben, Investoren und der öffentlichen Über vier Jahrzehnte hinweg hat diese Regelung Hand, in aller Bruchstückhaftigkeit auf Grund ihres auch ihre guten Dienste getan, indem sie das Grün- je individuellen Kalküls – wenn auch im Rahmen land einfach tabuisierte. In der öffentlichen Wahr- baubehördlicher Genehmigungen, die ihrerseits nehmung unterliegt der das Tal prägende, unver- wieder an den Rahmen der überörtlichen Raumpla- baute Freiraum, widerstreitenden Ansichten. Wird nung gebunden sind. die Grünzone als ein Schutzdamm gegen die ansons- Dabei ist für das Grundverständnis raumplanungs- ten ungebremst ausufernde Siedlungsentwicklung rechtlicher Festlegungen zu bedenken, dass sie ja angesehen, so ist gleichzeitig mitunter auch von nur dann wirksam werden können, wenn eine bauli- der „Flächenreserve“ die Rede – für alle möglichen che Nutzung stattfindet. Nach bisheriger und der- Raumansprüche, insbesondere nachfolgender Gene- zeitiger Rechtslage im Lande können jedoch hoheit- rationen. Also eine Landschaft mit Ablaufdatum? liche Maßnahmen keinen Einfluss darauf nehmen, Das Nachdenken über die verschiedenen Sicht- bzw. ob bzw. dass eine Bebauung im Sinne der Flächen- Herangehensweisen sollte sich deshalb auf die widmung tatsächlich stattfindet, sondern die Behör- Raumordnung im Allgemeinen und auf die Grünzone den müssen sich dazu privatrechtlicher Vereinba- im Besonderen beziehen – was sowieso nicht wirk- rungen bedienen. Ebenso ist zu beachten, dass sich lich zu trennen ist. die Wirkungsweise der überörtlichen Raumplanung von der Planung im Bauwesen wesentlich unter- scheidet: Ohne Bauplan kein Bau, ohne Raumplan aber durchaus Entwicklung im Raum – wie gehabt! 6
Raumplanung ist räumliche Gemeinwohlvorsorge Raumplanung ist die räumliche Gemeinwohlvorsor- Die einzelne Liegenschaft ist keine Insel unbe- ge schlechthin. Jeweilig deshalb, weil Gemeinwohl- grenzter privater Verfügbarkeit, sondern eingewo- interessen sich auf verschiedenen Ebenen, den real- ben in ein Netz räumlicher Bezüge und Abhängig- weltlichen Lebensräumen entsprechend, artikulieren. keiten, aus denen Ansprüche von Nachbarn ebenso Hier kommt uns der föderative Staatsauf bau mit wie von der Allgemeinheit resultieren können. Ent- seinen gestuften Zuständigkeiten und Ver a nt wor sprechend der Sozialpflichtigkeit des Eigentums tungen entgegen. So wenig wie die Summe indivi- sind also mit jedem Grundstück bzw. jedem Stand- dueller räumlicher Interessen das Gemeindeinteresse ort nicht nur individuelle Interessen, sondern grund- ergibt, kann auch die Summe räumlicher Gemeinde sätzlich auch die Interessen der allgemeinen Öf- interessen nicht als das Landesinteresse verstanden fentlichkeit verbunden, gleichsam als Folie darüber. werden. Überörtliche Regelungen der Raumplanung sind Raumplanung ist kein Selbstzweck, sondern einer deshalb unverzichtbar. Die additive Genehmigung der wichtigsten Zugänge staatlichen Handelns, um von einzelnen Neubauvorhaben – wer auch immer wesent l iche aktuelle gesellschaftspolitische Ziele der jeweilige Nutznießer ist – führt mitnichten zu zu verfolgen. In welchem politischen Maßnahmen- einer für das Gemeinwohl bestmöglichen Struktur. bereich sonst kann so gebündelt Es braucht also gegenüber den Einzelinteressen eine Verantwortung für den jeweiligen Gesamtraum: _ die Einsparung öffentlicher Mittel _ die Vermeidung von Ressourcenvergeudung _ die bestmögliche Nutzung vorhandener Potenziale der gebauten und unbebauten Welt _ die Reduktion von Umweltbelastungen verfolgt werden? Verantwortung für den Raum 7
Naherholung Die Landschaft vor der Haustüre bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Erholung und zur Gestaltung der Freizeit. Neben der hohen Aufenthaltsqualität stecken dort aber auch die potenziellen Konflikte, wenn Hunde auf Jogger treffen, Ornithologen auf Piloten von Kleinflugzeugen oder Ruhesuchende auf Menschen, die in der Abgeschiedenheit ein Fest feiern möchten. Neubewertung der Grünzone emeinden eingesetzt. Auch ist die Frage der ver- G Zunächst ist festzustellen, dass die Landesgrünzone pflichtenden Siedlungsgrenzen kein Gegenstand mit ihrer verbindlichen Siedlungsraumbegrenzung der Diskussion mehr, wenn auch nicht der konse- 1977 eine raumplanungspolitische Pioniertat darstell- quenten Umsetzung. te, nicht nur für Österreich. Noch zwanzig Jahre Was die inhaltliche Wahrnehmung der Grünzone danach wurde in mehreren östlichen Bundesländern betrifft, werden die Regelungen zur „Tabuisierung“ die Durchsetzung überörtlicher Siedlungsgrenzen der Grünzone vor 40 Jahren und ihre bisher weitge- mit verfassungsrechtlichen Bedenken verhindert. Da hende Bewahrung angesichts der rapide wachsen- war sogar von planwirtschaftlichen Verirrungen den Flächenansprüche aller Raumnutzungen alleine unter dem Einfluss östlicher, damals noch kommu- nicht ausreichen, diesen multifunktionalen Frei- nistischer Nachbarstaaten die Rede. Dabei wurde raum auch in Zukunft zu erhalten. So ist auch im freilich nicht zur Kenntnis genommen, dass in der Rahmen des 2004 gestarteten Pro jekts „Vision Nachbarschaft von Österreich, in ebenso demokrati- Rheintal“ eine Veränderung der Sichtweisen deut- schen wie wohlhabenden Ländern (Schweiz, Südtirol, lich geworden. Es zeigt sich, dass es nicht einfach Bayern) im Fall von beschränkten Raumreserven genügt, den zentralen Landschaftsraum des Rhein- schon längst neue Instrumente eingesetzt wurden, tals dem Baulandwidmungszugriff der Gemeinden um die Entwicklung stärker zu lenken. Dazu gehören zu entziehen, wenn es darum geht, den Freiraum u. a. befristete Baulandwidmungen sowie verbindli- mit seinen vielfältigen Eignungen und Ansprüchen che Vereinbarungen der Vertragsraumordnung, die ökologisch und für die Gesellschaft funktionell am beispielsweise Nutzungsverpflichtungen, Mehrwert- Leben zu erhalten. Dabei wurden differenzierte Ide- abschöpfung von Widmungsgewinnen oder Siche- en entwickelt, die hier nur mit den Slogans „Grünes rung von Flächen für den sozialen Wohnbau betref- Netz“, „Nahprodukte und Freiraum“, „Breitwasser fen. Inzwischen werden solche Instrumente mehr statt Hochwasser“ beispielhaft angedeutet werden und mehr auch in österreichischen Städten und können. 8
Von der Zone zum Lebensraum So kann die multifunktionale freie Landschaft im Das auf breitester Mitwirkung von Bürgern und Zentrum dieses urbanen Raums als das funktionelle zivilgesellschaftlichen Institutionen beruhende ge- Äquivalent zu den verdichteten – und zu verdichten- meinsame Projekt der Landesregierung und der 29 den – Gebieten dienen, gleichsam als „Central Park“ Talgemeinden „Vision Rheintal“ hat deutlich ge- für eine polyzentrische Regionalstadt Rheintal. macht, dass bisher getrennt voneinander betrachtete Diese „Regionalstadt Rheintal“ hat als Alleinstel- Raumelemente tatsächlich in einem engen Zusam- lungsmerkmal mehrere Mittelpunkte: die Seestadt, menhang stehen. Dem vernetzten Leben im Raum die Messestadt, den Millenniums-Wirtschaftspark, muss also auch eine vernetzte Wahrnehmung sei- die Renaissancestadt, die Alte Stadt. Die dazwischen tens der Raumplanung entsprechen. Eine zukunfts- liegenden Siedlungsräume, in diesem Fall der Um- orientierte Wahrnehmung der Raumstruktur des raum dieser Zentren, umschließen gemeinsam die Rheintales darf nicht länger ignorieren, dass es sich zentrale Grünlandschaft. Alle zusammen bilden sie um einen urbanisierten Raum handelt, mit der nach den Lebens- und Wirtschaftsraum der Menschen im Wien und Graz höchsten Einwohnerdichte. Dieser Rheintal. längst nicht mehr ländliche Raum ist gleichzeitig Vor allem die besiedelten Zwischenräume zwischen eine der wirtschaftlich stärksten und dynamischs- den genannten Zentren sind die Gestaltungsräume ten Regionen Österreichs, hat eine hohe Industrie- der Zukunft. Gerade hier geht es um eine Entwicklung quote, weist branchenführende innovative Betriebe der Fragmente zu einer tatsächlich zusammenhän- im High-Tech-Bereich auf und ist mit seiner starken genden Gestalt. Polyzentrische Struktur, Fragmente Außenhandelsorientierung ein Rückgrat der Vorarl- von Zentren, urbane Nutzung der Bahnhofstandorte, berger Wirtschaft. städtebauliche Antworten auf urbane Fragmente, Eingangstore an Siedlungsrändern, die Beurteilung von überörtlich bedeutsamen Einrichtungen, „grüne Finger“, lineare und fraktale Ränder waren die Stich- worte im Projekt „Vision Rheintal“. Verantwortung für den Raum 9
Das im Raum bereits hochgradig vernetzte Leben Neue Strategien der Raumentwicklung wird durch ein öffentliches Verkehrsangebot von Raumordnungspolitik verfügt über mehr Möglich- hohem Standard ermöglicht. Stadtbus, Landbus und keiten als Bauland-Tabuzonen zu errichten oder im Bahn mit gemeinsamem Corporate Design, Tarif öffentlichen Interesse erwünschte Baulandnutzun- system und abgestimmtem Taktfahrplan im Ver- gen in Form von Flächenwidmungen auszuweisen. kehrsverbund, versorgen nicht nur, sondern bilden Zunächst muss es um die Frage gehen, wie die be- mit ihrem „Stadtverkehr durch die Dörfer“ auch ein trächtlichen Baulandreserven den vorgesehenen Nut- identitätsstiftendes, urbanes Element im Erschei- zungen zugeführt werden können – bevor Ansprüche nungsbild. Die Ergänzung auf der regionalen Ebene an die Grünzone gestellt werden. Das wird meines bilden die innenliegende „Stadt-Bahn“ der ÖBB und Erachtens wohl nicht ohne gesetzliche Verankerung die außenliegende Stadt-Autobahn als Rückgrat. der Befristung von Baulandausweisungen bzw. einer Die polyzentrische Regionalstadt Rheintal ermög- Infrastrukturabgabe für erschlossenes, aber unbe- licht durch Synergieeffekte, im Wettbewerb der Re- bautes Bauland gehen. Letztlich ist es eine Frage, die gionen in der höheren Liga der europäischen Städte ins Grundsätzliche reicht: Was spricht dafür, mit mitzuspielen. Gerade an der Peripherie der Einzugs- neuen Baulandwidmungen in die Grünzone einzu- bereiche von Zürich und München könnte eine greifen, während gleichzeitig fortgesetzte Wertstei- Marktlücke für eine polyzentrische europäische Mit- gerungen für bislang ungenutzte Baulandflächen telstadt liegen. Die zentrale Grünzone als „Central ermöglicht werden? Es kommt auf die Sichtweise an. Park“ spielt dabei eine wesentliche Rolle für das Das Denken in Alternativen muss vielmehr die Standortimage im internationalen Standortwettbe- Leerstands-Nutzungen und Industriebrachen in Be- werb. Sie ist ein konstitutives und identitätsstiften- tracht ziehen. Weiter stellt sich die Frage, warum des Element einer solchen urbanen Struktur und nicht neue Wohnungen und Büro- und Gewerbeflä- nicht eine Flächenreserve zur sukzessiven Abde- chen flächensparend in einem gemeinsamen Gebäu- ckung neuer Bebauungsansprüche. dekomplex untergebracht werden, anstatt jede neue Nutzung isoliert voneinander „auf die grüne Wiese 10
Wirtschaft und Infrastruktur Diese Informationen können als Bringschuld der Die Talschaften von Rheintal und Walgau werden Raumplanung der öffentlichen Hand angesehen wesentlich geprägt und teilweise getrennt durch die werden. linearen Strukturen von Bahn und Autobahn Eine derart verbesserte Wahrnehmung der raumbe- sowie das Stakkato der Strommasten. zogenen Aufgabenstellungen für die Politik, sowie Herausnahmen für Gewerbegebiete bilden Inseln in der Landesgrünzone, teilweise liegen die die transparente sachbezogene Auseinandersetzung Gewerbebauten auch innerhalb der Freihaltezone. darüber, sind die notwendige Grundlage für die Ak- zeptanz künftiger Raumordnungspolitik. Der Begriff Wahrnehmung ist dabei in seiner Doppelbedeutung zu verstehen: im Sinne von erkennen und aufgreifen. Das Raumverständnis des Rheintals soll der Realität zu treiben“. Salzburger Wohnbauträger reagieren be- entsprechen und nicht irgendwelchen ideologisch reits mit solchen Projekten auf die Verknappung von geprägten Mythen. Eine Regionalstadt Rheintal Bauland und den Anstieg der Grundstückspreise. In kann nicht von Bewohnern entwickelt werden, die Wien werden inzwischen Wohnungen über bereits sich selbst als Dorf bewohner betrachten. existierenden Einzelhandelsmärkten gebaut. Ent- Es geht im Übrigen auch um eine intensivere Ko- wicklung muss also nicht in jedem Fall automatisch operation zwischen Architektur und Raumplanung. Neubau auf zusätzlichen Flächen bedeuten. Gerade weil erstere in Vorarlberg einen internatio- Dazu genügt allerdings eine re-aktive Regulierungs- nal bekannt hohen Standard hat, sollte es nicht planung nicht. Es braucht vielmehr eine pro-aktive schwerfallen, in einer gemeinsamen räumlichen Ge Politik, die sich neben den Erweiterungen des Raum- meinwohlvorsorge die sowieso nicht genau definier- planungsrechts auch neuer politischer Steuerungs- baren Grenzen zwischen den Disziplinen zu über- formen auf verschiedenen Ebenen bedient. Dazu schreiten. Dabei sollte es darum gehen, gemeinsam gehört auch die Lenkung von öffentlichen und priva- ten Standortentscheidungen, etwa durch die Bindung _ die jeweils besten Standorte für die Nutzungen von Wohnbauförderung und Investitionsförderun- mit spezifischen Ansprüchen zu sichern, gen an Raumplanungskriterien. Von zunehmender _ motorisierten Individualverkehr durch differen- Bedeutung ist auch die Förderung von Akteuren zierte Standortplanung (für öffentliche durch Vernetzung, Ausbildung und Beratung sowie Einrichtungen, publikumsintensive Anlagen, Vermittlung durch Modelllösungen, Modellverfah- transportintensive Anlagen) zu vermeiden, ren und die organisierte Kommunikation zwischen _ erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen Beteiligten. Genau das ist in dem auch internatio- auf Nachbar- und auch Konkurrenzräume mit ins nal anerkannten Projekt „Vision Rheintal“ bereits Kalkül zu nehmen, entwickelt und teilweise praktiziert worden. Nach- _ räumlich-funktionelle Verflechtungen mit dem weislich hat sich dadurch die Problemwahrnehmung jeweiligen urbanen Umfeld wahrzunehmen, breiter Bevölkerungskreise wesentlich verändert. _ identitätsstiftende Orte und ablesbare Verbindun- Darauf gilt es seitens der öffentlichen Verantwor- gen durch Wege zu schaffen – da Wege und Orte die tungsträger aufzubauen. Konstituierenden für die räumliche Erfahrung sind, _ Spielräume für künftige Nutzungsentwicklungen Raumplanung braucht Mehrheit offenzuhalten, Um im Widerstreit der Interessen auch der räumli- chen Gemeinwohlvorsorge eine Stimme zu verschaf- und das auf den verschiedenen Ebenen räumlichen fen, brauchen die für die Raumordnungspolitik ver- Maßstabs. antwortlichen Akteure hinreichenden Rückhalt in der öffentlichen Meinung. Es geht darum, auf dem All das sind aber nicht nur Kriterien für die unmit- Meinungsmarkt Mehrheiten zu gewinnen. telbaren Akteure. Diese Ziele werden in Zukunft nur Eine wichtige Rolle kommt dabei der zivilgesellschaft- mit mehr Rückhalt im öffentlichen Bewusstsein er- lichen Öffentlichkeit zu. Das erfordert allerdings eine reicht werden können. qualifiziertere Information über _ die Veränderungen der tatsächlich relevanten Lebensbedingungen im Raum, über _ die verschiedenen Möglichkeiten und Alterna- Friedrich Schindegger tiven der Problemlösungen sowie über (Jg. 1938), DI (Architektur), Dr. (Raumplanung) _ die Art und Wirkungen der eingesetzten Langjähriger Mitarbeiter des Österreichischen Instituts für Raumplanung, Maßnahmen. Autor zahlreicher Publikationen. Von 2004 bis 2006 Berater der erweiter- ten Projektleitung des Projektes „Vision Rheintal“. Verantwortung für den Raum 11
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Straße über Land: A14 Rheintalautobahn, Obere Mähder 13
„Die Einsicht, dass großräumige Freiflächen ein wertvolles Gut sind, ist deutlich gewachsen.“ Tina Mott im Gespräch mit Helmut Feurstein In der neu geschaffenen Abteilung bestand die Mög- lichkeit, ein kleines Team mit fachlich qualifizierten und sehr motivierten Mitarbeitern aufzubauen, das schlussendlich aus drei Architekten, einem Geo- graphen und einem Geologen bestand sowie mir als Abteilungsvorstand. Bis dahin war ich in etwa zehn verschiedenen Positionen als juristischer Mitarbei- ter in der Landesverwaltung tätig gewesen. Zur selben Zeit ist das Vorarlberger Raumplanungs- gesetz erlassen worden, an dessen Erarbeitung die Raumplanungsabteilung bereits mitwirken konnte. Durch dieses Gesetz wurde uns die Aufgabe übertra- gen, neben der örtlichen Raumplanung, die damals Der Jurist Dr. Helmut Feurstein erstellte mit seinem Team die Pläne und vor allem im Erstellen der Flächenwidmungspläne die Grundlagen der Landesgrünzone. Mit dem beispiellosen Vorgehen durch die Gemeinden bestand, auch die sogenannte leistete seine Abteilung der Landesregierung Pinoierarbeit in der Raum- überörtliche Raumplanung anzugehen, also die planung. Die Tiroler Architektin und Publizistin Tina Mott traf ihn Raumplanung durch das Land. zum Gespräch, um die Anfänge und die Wirkung dieses einzigartigen Als wesentliches Aufgabenfeld für die überörtliche Planungsinstruments zu reflektieren. Raumplanung wurden von Anfang an die noch vor- handenen Freiflächen angesehen, die an die Verdich- tungsräume von Rheintal und Walgau angrenzten. Es galt ein weiteres Auswuchern der Siedlungen in diese Freiräume hintanzuhalten, um damit eine Be- einträchtigung der Qualität dieser Räume in Bezug Die Landesgrünzone in Vorarlberg feiert heuer ihr auf Erholung, Landschaft und Naturschutz sowie 40-jähriges Bestehen und ist inzwischen im Bewusst- eine Verdrängung der Landwirtschaft zu verhin- sein der Bürger tief verankert. Welche Voraussetzun- dern. Es war nämlich zu befürchten, dass bei der gen führten damals dazu, die Arbeit an einer über- damals einsetzenden Flächenwidmungsplanung das örtlichen Freiflächenplanung aufzunehmen? überörtliche Interesse an der Erhaltung zusammen- hängender Freiflächen mitunter nicht ausreichend Im Jahr 1969 wurde mir die Leitung der Abteilung berücksichtigt wird. für Wirtschaftliche Angelegenheiten beim Amt der Vorarlberger Landesregierung übertragen, zu deren In Österreich leisteten Sie mit diesem Projekt abso- Aufgaben auch die Raumplanung, das Baurecht und lute Pionierarbeit. Es gab keine vergleichbaren Pla- die Abfallbeseitigung gehörten. Drei Jahre später nungen, an denen Sie sich orientieren konnten. Nach wurden die Raumplanungsagenden jedoch ausge- welchen Kriterien wählten Sie die Methode, um eine gliedert und der neu geschaffenen Abteilung für derart komplexe Aufgabe umzusetzen? Raumplanung und Baurecht übertragen, da die ver- schiedenen Arbeitsbereiche neben den wirtschaftli- Über Rezepte, wie wir dieses Problemfeld angehen chen Angelegenheiten einen Umfang angenommen sollten, verfügten wir nicht. Prof. Wurzer aus Wien, hatten, der von einer einzelnen Abteilung nicht der mit unermüdlichem Engagement die Notwendig- vertieft hätte betreut werden können. keit einer planmäßigen Entwicklung des Landes 14
propagierte, hatte damals im Auftrag der Landesre- Eine Planung in dieser Größenordnung verlangt gierung den Entwurf für ein Landesentwicklungs- auch einen enormen technischen und logistischen programm erarbeitet. Als dieser Entwurf vorgestellt Aufwand. Wie gestaltete sich die Durchführung und ins Begutachtungsverfahren gebracht wurde, dieses umfangreichen Projekts? zeigte sich allerdings, dass die Zeit für solch ein umfassendes Programm zu früh war, da die dazu Als ersten Schritt erteilte die Landesregierung der erforderlichen Erkenntnisse und Erfahrungen noch Raumplanungsabteilung den Auftrag, einen Entwurf weitgehend fehlten. für die Abgrenzung überörtlicher Freiflächen im Von dieser Einsicht ausgehend gelangten wir zu der Rheintal und im Walgau zu erarbeiten. Auffassung, dass bei der überörtlichen Raumpla- Für die sofortige Aufnahme der Arbeiten war von nung zunächst nur ein problembezogenes Vorgehen wesentlicher Bedeutung, dass geeignetes Planma- sinnvoll sei. Dies bedeutete, dass wir terial für das ganze Landesgebiet in vor allem dort, wo konkrete Probleme Der Entwurf für die Grün den Maßstäben 1:5.000 und 1:20.000 anstanden, tätig werden sollten, da- zonen erfolgte im Maßstab bereits zur Verfügung stand. Die für aber diese vertieft behandelten, 1:5000. Mit den Vertretern Raumplanungsstelle hatte zuvor ein um zu konkreten und umsetzbaren des Landschaftsschutzes Konzept für die Beschaffung des für Lösungen zu kommen. Von umfas- und der Landwirtschaft die örtliche und überörtliche Raumpla- senden Entwicklungsplänen wurde gingen wir das gesamte Plan- nung benötigten Planmaterials ent zunächst abgesehen. Diese damals gebiet ab. Die untersuchten wickelt. Dieses konnte trotz hoher Kos- von Planungsfachleuten kritisch be- Bereiche dürften insgesamt ten umgehend realisiert werden. Für urteilte Herangehensweise war uns eine Ausdehnung von etwa das gesamte Landesgebiet wurden – auch möglich, weil wir alle keine ge- 100 km2 gehabt haben. An eingepasst in ein Rastersystem – Ein- lernten Raumplaner waren und uns besonders heiklen Stellen zelblätter mit einem Ausmaß von keiner „Schule“ verpflichtet fühlten. erklärten sich einzelne Re 50 cm x 50 cm angelegt. Die Pläne im Dieses problemorientierte Vorgehen gierungsmitglieder dazu be- Maßstab 1:5.000 bauten auf den Ka- hatte vor allem den Vorteil, dass die reit, am Lokalaugenschein tasterplänen auf und wiesen damit zuständigen politischen Organe sich teilzunehmen. alle Grundstücke innerhalb des Lan- nicht mit schwer überschaubaren des mit deren Grenzen aus. Die Dar- Planungswerken, sondern mit konkreten Fragestel- stellungen auf den Plänen reichten jeweils über die lungen auseinanderzusetzen hatten. Dies brachte einzelnen Gemeindegrenzen hinaus und erleichter- auch mit sich, dass die zur Entscheidung anstehen- ten damit den Blick über den „Zaun“. Dasselbe Ma- den Fragen von der politischen Seite jeweils inten- terial erhielten wir auch im Maßstab 1:20.000 für siv beraten wurden. Im Herbst 1975 beschloss die Übersichtsdarstellungen. Landesregierung ein Sofortprogramm, das neben Die detaillierte Ausarbeitung des Entwurfs für die Maßnahmen zur Unterstützung der Gemeinden bei Grünzonen erfolgte im Maßstab 1:5.000. Mit den der Flächenwidmungsplanung eine vorläufige Aus- Vertretern des Landschaftsschutzes und der Land- weisung von überörtlichen Grünzonen in den Tal wirtschaft fuhren oder gingen wir das gesamte ebenen im Rheintal und Walgau vorsah. Plangebiet ab. In dieser ersten Planungsphase nah- Die damalige Landesregierung sah die Raumplanung men wir zunächst die Abgrenzungen vor Ort mit als eine wichtige Aufgabe des Landes an und unter- freiem Auge vor und hielten diese mit einem „Strich“ stützte sie entsprechend. So fand man für die Ein- in den Plänen fest. Die untersuchten Bereiche dürf- stellung der benötigten Fachleute sowie die Bereit- ten insgesamt eine Ausdehnung von etwa 100 km 2 stellung der Mittel für die teilweise kostspieligen gehabt haben. An besonders heiklen Stellen erklär- Erfordernisse immer Gehör. Von Vorteil für unsere ten sich sogar einzelne Regierungsmitglieder dazu Arbeit war insbesondere, dass immer wieder die bereit, am Lokalaugenschein teilzunehmen. Möglichkeit bestand, anstehende Fragen unmittel- bar mit der Landesregierung zu erörtern. Insbeson- Die Akzeptanz des Projektes bei der Bevölkerung dere der damalige Landeshauptmann Dr. Herbert war eine grundlegende Voraussetzung für die er- Keßler trat engagiert für die Belange der Raumpla- folgreiche Umsetzung Ihrer Konzepte. Auf welche nung ein; bereits als Bürgermeister von Rankweil Weise wurden die Bürger und ihre politischen Ver- ließ er den ersten Flächenwidmungsplan in Vorarl- treter in die Planungsarbeiten miteinbezogen? berg erstellen. Auch im Ruhestand beschäftigten ihn Fragen der Raumplanung. So nahm er mich bei Wir erwirkten durch einen weiteren Regierungsbe- einer Veranstaltung auf die Seite und gebot mir: schluss ein Auflege- und Anhörungsverfahren in „Helmut, verteidige die Grünzone mit Zähnen und einer Art und einem Umfang, die bis dahin in unse- Klauen!“ rem Land einzigartig waren. Die Entwürfe für das Interview 15
Jeder Bürger konnte in die aufliegenden Pläne Einsicht nehmen und prüfen, ob in seinem Eigentum stehende Liegenschaften davon betroffen waren. Es wurden etwa 500 Abänderungsvorschläge eingereicht, die sich zum Großteil auf siedlungsnahe Bereiche bezogen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Auflage- und Anhörungs verfahrens wurde der Entwurf nochmals überarbeitet. Dabei war man um möglichst abgerundete Abgrenzungen bemüht, damit nicht der überörtliche Charakter der Grünzonen in Frage gestellt werden konnte. Rheintal und den Walgau samt einem ausführlichen werden. Die ausgelegten Pläne, in die übrigens alle Erläuterungsbericht wurden allen 30 betroffenen Ge Abänderungsvorschläge eingetragen waren, ergaben meinden zur Auflage zugestellt. Allein das Zeichnen ein eindrucksvolles Bild, denn die Pläne der Talebe- und Verteilen der Unmengen von Plänen war eine nen von Rheintal und Walgau lagen so ausgebreitet logistische Herausforderung besonderer Art. Für die auf den Tischen, dass jedes einzelne Grundstück Bürgermeister und Gemeinderäte aller Gemeinden vom Bodensee bis Feldkirch bzw. von Feldkirch bis wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt. Bludenz ohne größere Schwierigkeiten aufzufinden Zudem wurde eine intensive Öffentlichkeitsarbeit war. „Dekoriert“ wurde das Planwerk mit Luftbil- betrieben, da wir darin den Schlüssel zum Erfolg dern der kritischen Stellen. Bei der Besichtigung sahen. Jeder Bürger konnte in die aufliegenden Pläne der Pläne und der Erörterung der Abänderungsvor- Einsicht nehmen und prüfen, ob in seinem Eigen- schläge sind wir mit den Mitgliedern der Regierung tum stehende Liegenschaften davon betroffen waren. das Rheintal und den Walgau buchstäblich abge- Es wurden etwa 500 Abänderungsvorschläge ein gangen. Am 22. April 1977 hat die Regierung dann gereicht, die sich zum Großteil auf siedlungsnahe die Landesraumpläne erlassen, mit denen die über- Bereiche bezogen. Jeder einzelne Einspruch wurde örtlichen Freiflächen in den Talsohlen des Rhein- im Zuge der Erarbeitung des endgültigen Entwurfes tals und Walgaus festgelegt wurden. sorgfältig geprüft und dazu eine Stellungnahme aus gearbeitet. Nach dem Inkrafttreten der Grünzonenplä- Solche Planungen sind immer mit Unsicherheiten ne sind allen Personen, deren Abänderungsvorschläge und Opposition verbunden. Wie hat die Öffentlich- nicht berücksichtigt werden konnten, entsprechende keit darauf reagiert? Informationen zugeleitet worden. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Auflage- und Die Entwürfe waren in der Öffentlichkeit nicht auf Anhörungsverfahrens wurde der Entwurf nochmals größere Widerstände gestoßen. Es fiel damit auch überarbeitet. Dabei war man um möglichst abgerun- der Landesregierung nicht schwer, das von ihr als dete Abgrenzungen bemüht, damit nicht der über- notwendig angesehene Vorhaben zu beschließen. örtliche Charakter der Grünzonen in Frage gestellt Dabei war wohl entscheidend, dass die politischen werden konnte. Alle Änderungswünsche wurden mit Organe vom Anliegen überzeugt waren und sich in Vertretern der berührten Dienststelle erörtert. Ge- jeder Phase des Planungsprozesses eingebracht hat- meinsam mit Mitgliedern der Landesregierung wur- ten. Zum Erfolg hat aber auch die Einbeziehung der den in einem VW-Bus Teilbereiche abgefahren, um betroffenen und interessierten Mitbürger im Rah- kritische Fälle besser beurteilen zu können. men des breit angelegten Anhörungsverfahren bei- Die auf Grund der Ergebnisse des Begutachtungs- getragen. Die Einsicht, dass die großräumigen Frei verfahrens überarbeiteten Pläne wurden vor der Be- flächen ein wertvolles Gut sind, ist im Verlaufe der schlussfassung der Landesregierung vorgestellt und Zeit deutlich gewachsen, auch wenn im Einzelfall erläutert. Im seinerzeitigen Landhaus hatten wir die Interessen und Meinungen mitunter nicht auf damals gar keinen so großen Raum, um die Plan- einen Nenner zu bringen sind. Die intensive Dis- blätter für das Rheintal und den Walgau im Maß- kussion, wie sie derzeit geführt wird, trägt dazu bei, stab 1:5000 auslegen zu können. Zusammengenom- dass dem sorgsamen Umgang mit den verbliebenen men erstreckten sie sich doch auf eine Länge von Freiflächen, die ohnehin schon mit vielerlei Nut- etwa 10 Metern. Es musste also in den Sitzungssaal zungen belastet sind, mehr Bedeutung beigemessen der Bezirkshauptmannschaft Bregenz ausgewichen wird denn je. 16
Landesgrünzone Stand 2017 17
Auch in rechtlicher Hinsicht war die parzellenschar- ten Betriebsgebieten begrenzt sind. Durch Aufnahme fe Ausweisung von Flächen zur Wahrung überörtli- einer Ausnahmebestimmung in die Grün zonen- cher Interessen eine Pionierleistung. Bis dahin Verordnungen wurde die Möglichkeit geschaffen, herrschte die Meinung vor, dass die überörtliche diesem Anliegen allenfalls Rechnung tragen zu Raumplanung einer Gemeinde keine konkrete Ge- können. Die Ausweisung von Gebieten in den Grün- bietsabgrenzung verbindlich vorgeben könne. Bei zonen für Betriebe mit einem großem Flächenbe- uns war man jedoch der Auffassung, dass dies sehr darf, die sich in dem im Flächenwidmungsplan wohl möglich, aber auch notwendig sei, um erfor- hierfür festlegten Bereichen nicht realisieren lassen, derlichenfalls Standorte für Anlagen von überörtli- sollte also nicht von vornherein ausgeschlossen chem Interesse festlegen zu können. In den ersten sein. Man ging aber davon aus, dass vor Erteilung Jahren wurde die Rechtmäßigkeit der Grünzonen von Ausnahmen eingehend die Frage des Bedarfs zu mehrfach ohne Erfolg in Frage gestellt. Die grund- prüfen sein wird, aber auch, ob das Vorhaben die sätzliche Frage, ob Vorgaben für abgegrenzte Flä- für die Grünzonen festgelegten Ziele nicht unvertret- chen durch die überörtliche Raumplanung zulässig bar beeinträchtigt, wie etwa den Landschaftsschutz sind, wurde schließlich vom Verfassungsgerichtshof und die Sicherung von Böden für eine leistungs in einem Fall in Niederösterreich unter der Voraus- fähige Landwirtschaft. Je nach den Gegebenheiten setzung für zulässig erklärt, dass diese im Hinblick wird es daher Bereiche in den überörtlichen Freiflä- auf überörtliche Interessen notwendig sind. Damit chen geben, die trotz wirtschaftlich wichtiger Inter wurde die von Vorarlberg schon ein Jahrzehnt zu- essen für eine Betriebsansiedlung nicht in Frage vor vertretene Auffassung endgültig bestätigt. kommen. Mit anderen Worten: wirtschaftliche In- teressen werden nicht in schlechthin jedem Fall Als Sie in den 1970er-Jahren mit der Projektierung den Vorrang vor anderen Interessen haben können, und Umsetzung einer überörtlichen Freifläche be- wie dies gelegentlich gefordert wird. gannen, konnten viele gesellschaftliche und raum- Bei der Erteilung von Ausnahmen wurden von An- planerische Entwicklungen im Land nur erahnt fang an durchwegs strenge Maßstäbe angelegt. Da- werden. Welche Planungsparameter waren dafür ran hat sich erfreulicherweise in den folgenden entscheidend, ein bis heute tragfähiges Konzept zu Jahrzehnten nichts geändert. Die meisten Ausnah- entwickeln? men betrafen auch früher Betriebserweiterungen am Rande der Grünzonen. Angesichts des hohen Nach dem damaligen Verständnis haben wir in Stellenwertes, der den Grünzonen beigemessen orarlberg Planung nicht in erster Linie als die V wurde, erfolgte die Entscheidung – von unbedeuten- Festlegung wünschbarer räumlicher Zustände, son- den Fällen abgesehen – jeweils durch die Landesre- dern vor allem als ein Instrument zur Sicherung und gierung in kollegialer Beschlussfassung. Erhaltung von Entscheidungs- und Gestaltungsmög- lichkeiten angesehen. Die Festlegung der Grünzo- Sie waren über 25 Jahre lang mit der Leitung der nen gründet sich auf dieses Verständnis. Für die Raumplanungsagenden des Landes betraut. Welchen Grünzonen wurden deshalb nicht konkrete Festle- Stellenwert nimmt die Schaffung der Landesgrün- gungen getroffen, sondern lediglich ein Widmungs- zone in ihrer persönlichen Berufslauf bahn ein? verbot für Bauflächen festgelegt, um ein weiteres Ausgreifen der Siedlungen in die noch verbliebenen In der Rückschau empfinde ich die gemeinsamen größeren Freiräume hintanzuhalten. Bemühungen von Politik und Verwaltung um die Die immer wieder geäußerte Meinung, dass die Schaffung der Landesgrünzonen, die damals beson- Grünzone eine Art Naturschutzgebiet sei, ist so- ders enge Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer wohl aus rechtlicher Sicht als auch von den Beweg- Dienststellen und vor allem in der Abteilung selbst gründen her nicht zutreffend, die für deren Aus- als einen Höhepunkt meines beruflichen Werdegan- weisung maßgebend waren. Rechtsgrundlage ist ges. Dies mag aber nicht zuletzt daran liegen, dass ausschließlich das Raumplanungsgesetz. Auch der mit dem Vorhaben in rechtlicher und planerischen Schutzinhalt der Grünzonen-Verordnungen ist ein Hinsicht, aber auch von der Abwicklung her, Neu- rein raumplanungsrechtlicher, nämlich das Wid- land beschritten wurde und damit den gemeinsamen mungsverbot für Bau flächen. Damit werden aber Bemühungen auch etwas Abenteuerliches anhaftete, gleichzeitig weitgehende Entscheidungsmöglichkei- etwas was in der Verwaltung schon damals nicht ten für naturschutzrechtliche Festlegungen und alltäglich war. sonstige Interessen gesichert. Schon im Auflageverfahren wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten für die Unter- bringung größerer Betriebe in den bereits gewidme- Die Landesgrünzone ist kein Naturschutzgebiet. Rein rechtlich gesehen handelt es sich um ein Widmungsverbot für Bauflächen. Dies erlaubt auch eine intensive landwirt- 18 schaftliche Nutzung sowie Widmungen für Freizeitanlagen.
Landwirtschaft Mit einem Anteil von 52.1 km² bildet die Freifläche-Landwirtschaftsgebiet den größten Widmungsteil an der Landesgrünzone. Landwirtschaft- liche Bewirtschaftung erfolgt zu wesentlichen Teilen auch auf Freifläche-Freihaltegebiet (46.7 km²). Die Konzentration ist nachvollziehbar: Im Rheintal und Walgau finden sich die wertvollsten landwirtschaftlichen Potenzialflächen (vgl. Seite 27). Die landwirtschaftlichen Infrastruk- 20 turen und Nutzbauten bilden eine Konstante in der gesamten Landesgrünzone.
Draußen vor der Tür Ein Plädoyer für eine Landschaft im Kleinen, die Großes entstehen lässt Angelus Eisinger Unser Anliegen beginnt beim täglichen Blick aus um Traditionen und Besitzverhältnisse, Einsichten dem Fenster: Die Frei-, Erholungs- und Landschafts- in Gewohnheiten und die Bedürfnisse der Nutzen- räume, denen diese Zeilen gewidmet sind, gibt es den. Es geht aber ebenso um Flüsse, Wälder und schon – und es gibt sie nicht zu wenig. Allerdings markante Einzelobjekte. Sie alle formen ein Narra- wissen wir kaum um sie und oft ist es auch mit ihrer tiv, aus dem heraus sich Landschaft als stimmiges Erreichbarkeit und Zugänglichkeit so eine Sache. Ganzes erzählen lässt, weil es konzeptionell keine Meine Ausführungen sind ein Plädoyer, sich auf die blinden Flecken und Tabus gibt. Landschaftliche Suche nach dieser Landschaft vor der Haustüre zu Konzepte für Alltagsräume müssen solche Kompli- machen. Die These lautet wie folgt: Die Auseinan- zenschaft suchen – mit den Bauern, dem Naturschutz dersetzung mit dieser scheinbar banalen, meist viel ebenso wie der Raumplanung. zu vertrauten Landschaft in einem kleinen Maßstab schafft die Grundlagen für zukunftsfähige Alltags- räume in großen Zusammenhängen. Dieses Potenzial gilt es zu aktivieren. Landschaft ist ein Paradebeispiel dafür, was Planer Landschaft entwickeln bedeutet, Zukunftsfragen ein Querschnittsthema nennen. An der Landschaft einen Rahmen zu geben zu arbeiten heißt Siedlungsentwicklung, Verdichtung, Darüber hinaus verlangt die Arbeit an der Land- Verkehr, Naturschutz und Ökologie miteinander in schaft oft genug, sich den tiefen Schürfungen zu Bezug zu setzen. Das wohnt der Angelegenheit inne. stellen, in denen sich der gesellschaftliche Wandel Diese Vielschichtigkeit verlangt nicht nach größen- der vergangenen Jahrzehnte in die Landschaft ein- wahnsinnigen Projekten oder überkomplexer Detail- geschrieben hat: große Infrastruktursysteme, Abbau planung – was wir brauchen, ist eine Annäherung und Übernutzung, einseitige Fokussierung auf Sied- ohne Scheuklappen, die genaues Beobachten mit lungserweiterung. Die Grundlage dafür bildet ein sorgfältigem Sammeln und Ordnen von Eindrücken fundamentaler Paradigmenwechsel in der Planung: und Hinweisen verbindet und die Erkenntnisse in Die Siedlungsentwicklung von der Landschaft her einer konzeptionellen Leitidee synthetisiert. Die kon zu denken. Die Vorzüge dieses Perspektivenwech- zeptionelle Maxime auf diesem Weg zur Landschaft sels haben sich über die letzten Jahrzehnte in einer lautet: Keep it simple. Konkret: Gestaltung verlangt Reihe planerischer Versuchsanordnungen gezeigt. nach Augenmaß für die eigenen Vorschläge, gerade Ganz wesentlich zu diesem Sichtwechsel haben die im Umgang mit den Realitäten, die die landschaftli- Internationalen Bauausstellungen beigetragen, die che Entwicklung faktisch prägen. Nur mit diesem sogenannten IBAs, die als Labore für die Planung unerschrocken realistischen Blick entstehen die not immer wieder neue Akzente setzen können. Im Fol- wendigen Allianzen, die es braucht, um ein Konzept genden möchte ich einige dieser kleineren und grö- wirkungsvoll umzusetzen. Dieser Realismus begeg- ßeren Planungsexperimente kurz vorstellen, die zu net der Gefahr von konzeptionellen Überzeichnun- einer neuen Sichtweise der Landschaft und des gen und überzogenen Forderungen von großen Ges- Freiraums beigetragen haben. Aus ihnen sind Pla- ten. An ihre Stelle tritt die Auseinandersetzung mit nungsansätze hervorgegangen, die auch Anregun- präzise benannten neuralgischen Punkten, die die gen für den Umgang mit der Landesgrünzone in Aneignung der Landschaft durch ihre Nutzerinnen Vorarlberg bieten. und Nutzer zum Ausgangspunkt macht. Dazu benö- Mit der IBA Berlin von 1987 verlagerte sich der Fo- tigt man profunde Kenntnisse vor Ort, das Wissen kus von der kritischen Rekonstruktion des einzel- nen Gebäudes und dem behutsamen Stadtumbau auf die Transformation und Überformung des Beste- henden – und damit vom einzelnen Objekt zu den Draußen vor der Tür 21
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