IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN

Die Seite wird erstellt Reinhold Friedrich
 
WEITER LESEN
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
IBA BERLIN
 zwanzig
 zwanzig
VorKonzept
  12/2010
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
1

Grußwort
Ingeborg Junge-Reyer
Die Internationalen Bauausstellungen von 1957 und 1984/87 waren Meilensteine
der Stadtentwicklung, mit denen sich Berlin an die Spitze der Diskussion um die
Zukunft großer Städte gesetzt hat. Eine IBA, die sich heute den Fragen nach den
Stärken Berlins stellt und Wege sozialer und nachhaltiger Stadtentwicklung be-
schreitet, ist daher eine lohnende Investition in die Zukunft.
Stadtkapital! Das ist das Motto der neuen IBA, der IBA Berlin 2020. Dieses Kapital,
die Vielfalt, Kreativität und das kulturelle Potential Berlins wollen wir nutzen, um
die Stadt in ihrer Beispielhaftigkeit wie auch ihrer Besonderheit herauszustellen.
Dabei sollen die unterschiedlichsten Projekte Pionierarbeit für die Stadt von mor-
gen leisten.
Die Vorarbeiten für die dritte IBA in Berlin haben begonnen, eine erste Positions-
bestimmung liegt vor. Gemeinsam begeben wir uns jetzt in einen Prozess des
Sammelns und Identifizierens von attraktiven Projekten. Zu diesem spannenden
Vorhaben lade ich Sie herzlich ein!

Ihre
Ingeborg Junge-Reyer
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
2    wenn eine IBA sich viel mit Prozessen und mentalen Veränderungsprozessen                    3
                                                                                              aus­einandersetzt.
                                                                                              Ich freue mich, dass nun die IBA fassbar wird für viele. Ich lade alle ins IBA-Studio ein, um
                                                                                              mitzudiskutieren, Anregungen und Ideen zu geben, um die „Autorenschaft“ dieser IBA
                                                                                              zu vervielfältigen.
                                                                                              Ende Mai wird dann das vertieft reflektierte Prae-IBA-Konzept vorliegen als Grundlage
                                                                                              für eine politische Entscheidung, ob Berlin tatsächlich eine IBA 2020 durchführen will.
Grußwort                                                                                      Ich danke der Senatorin und meinen Kolleginnen Staatssekretärinnen für die Unterstüt-
Regula Lüscher                                                                                zung und das Vertrauen, mir und dem Prae-IBA-Team diese erste Konzeptphase in die
Als ich vor gut drei Jahren in einem Interview vorschlug, die Entwicklung der Tempel­         Hände zu legen und dem Prae-IBA-Team tausend Dank für seine großartige Leistung.
hofer­Freiheit durch eine 3. Internationale Bauausstellung zu qualifizieren, hat dies einen   Viel Spaß beim Lesen!
Stein ins Rollen gebracht, der nun mit diesem ersten Vor-Konzept für eine Berlin weite
3. IBA einen ersten konkreten Stand erreicht. Das freut mich sehr.
Erfreulicherweise wurde diese Überzeugung, dass Berlin zum dritten Mal Zentrum einer
internationalen Stadtentwicklungsdebatte werden könnte, durch die Stadtentwick-
lungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer und auch schnell vom Regierenden Bürgermeis-
ter Klaus Wowereit sowie von vielen Fachkolleginnen und -kollegen aufgenommen.
Schnell wurde aber auch klar, dass eine 3. IBA, die sich mit den drängenden Problemen
der europäischen Metropolen des 21. Jahrhunderts. und den spezifischen Fragestellungen­
Berlins auseinandersetzen soll, weit über den Kristallisationspunkt „Tempelhofer Frei-
heit“ hinausgehen muss. Aufgabe war es also, ausgehend von den Leitkriterien: res­
sourcen­effizient, partnerschaftlich-integrativ und zukunftsorientiert-unterneh­merisch,
ein auf die Spezifik Berlins abgestimmtes Konzept zu erarbeiten, welches für die nächs-
ten 10 Jahre die internationale Debatte und die lokale Stadtentwicklungspraxis beflü-
geln und Exzellenz in Prozess und Umsetzung hervorbringen kann.
Um ein solches Vor-Konzept professionell zu erarbeiten, wurde ein Prae-IBA-Team be-
stehend aus 7 externen Expertinnen und Experten berufen ein Prae-IBA-Konzept zu er-
arbeiten. Dieser erste Vorschlag für eine IBA Berlin 2020 liegt nun vor und steht in den
kommenden Monate im „IBA-Studio“ öffentlich zur Diskussion.
Ich bin überzeugt, dass das vorliegende Konzept, welches das spezifische „Kapital“ Ber-
lins verknüpft mit globalen Fragestellungen, in der interessierten Berliner „Community“
gut ankommen wird und viele begeistern kann, sich mit uns auf den langen Weg einer
IBA zu machen.
Hauptstadt, Raumstadt, Sofortstadt bezeichnet eine städtebauliche Strategie, welche
die Kraft hat, Fragen des Klimawandels, der Integration und Teilhabe und Fragen des
alternativen Wirtschaftens in Zeiten knapper Mittel umzusetzen. Eine IBA muss sich
in gestaltetem Raum umsetzen, eine IBA muss greifbare Resultate produzieren, auch
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
Sonja Beeck                                                                           5
          Martin Heller
          zusammen mit
          Vanessa Miriam Carlow
          Markus Bader
          Pamela Dorsch
          Thilo Lang
          Fritz Reusswig

          Wir freuen uns, mit diesem Vor-Konzept die Diskussion über eine dritte Internationale
          Bauausstellung in Berlin bereichern und konkretisieren zu können.
          In diesem Bericht erörtern wir die Möglichkeiten, aber auch die Ansprüche, die mit einer
          IBA 2020 verbunden sind. Zugleich schlagen wir vor, welche inhalt­lichen und methodi-
          schen Schwerpunkte einer IBA 2020 ihr ein unverwechsel­bares Gesicht geben könnten.
          Sie soll ein substantieller Beitrag sein zur Entwicklung der Metropole Berlin und eine

VORWoRT
          lokale wie internationale Öffentlichkeit in die Auseinandersetzung mit Stadtentwick-
          lungsfragen einbeziehen. Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem das Bewusstsein
          für die zentrale Bedeutung von Städten im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang
          größer ist als je.
          Unsere Vorschläge müssen nun in einem weiteren Kreis aufgenommen, geprüft, disku-
          tiert, vertieft und weitergeformt werden. Doch ebenso wichtig ist: Es müssen auf der
          Basis des Vor-Konzepts mögliche IBA-Projekte gefunden und entwickelt werden. Erst
          die Vorstellung einer derartigen Projektlandschaft vermag das Gefühl dafür zu schär-
          fen, was die kommende Bauausstellung leisten könnte.
          Das vorliegende Dokument ist eine Gemeinschaftsarbeit im besten Sinne. Es baut auf
          einer Vielzahl von Ideen, Gedanken und auch schon zu Papier gebrachten Überlegun-
          gen aus den zurückliegenden Jahren auf. Die Leitkriterien, die wir auf unseren Weg mit-
          bekamen, sind Ergebnis der ersten Untersuchung zu einer IBA von den Büros bgmr und
          ASTOC/KCAP aus dem Jahr 2009. Unterschiedlichste Kompetenzen sind eingeflossen.
          Die Differenz der Professionen und Haltungen ist in den Texten nach wie vor spürbar,
          aber als Teile eines neuen Ganzen – Resultat eines offenen, anregenden und produkti-
          ven Prozesses.
          Beauftragt wurde die Konzeptarbeit von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtent-
          wicklung. Zwischenergebnisse sind mehrfach im Austausch reflektiert worden. Dank
          dafür geht an Regula Lüscher, Senatsbaudirektorin, Dr. Dagmar Tille, Leiterin der Werk-
          statt Architektur und Denkmalschutz sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber
          auch an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops am 1.11.2010.
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
IBA BERLIN
 zwanzig
 zwanzig
   STADT
  KAPITAL!
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
VORWORT  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  4
         		                                      I STADTKAPITAL! EIN PLÄDOYER  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10

         		                                                II Was ist eine IBA?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14
           II/1 Fakten                                                 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  15
           II/2 Wirkungen einer IBA                                    . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17
           II/3 Eine dritte IBA für Berlin?                            . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  18

         		                             III Die Kapitalien Berlins  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  20
           III/1 Das Kapital der Städte                . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
           III/2 Berlins Stadtkapital                  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23

         		         IV Berlin: Herausforderungen der Stadtentwicklung . . . . . . 28
           IV/1 Globale und spezifische Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  29
           IV/2 Ansprüche                           . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  32

INHALT
         		                                V IBA Berlin 2020: Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . .  36
           V/1 Hauptstadt                                       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  38
           V/2 Raumstadt                                        . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  44
           V/3 Sofortstadt                                      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  54

         		                                VI IBA Berlin ZWANZIG ZWANZIG: Orte  . . . . . . . . . . . . . . . .  60

         		                      VII IBA Berlin ZWANZIG ZWANZIG: Verknüpfungen . . . . . . . . . .  82

         		                           VIII IBA Berlin ZWANZIG ZWANZIG: Projekte . . . . . . . . . . . . . . . 88

         		                  IX IBA Berlin ZWANZIG ZWANZIG: Prozess  . . . . . . . . . . . . . .  96
           IX/1 Phasen                            . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  97
           IX/2 Organisation                      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  99
           IX/3 Finanzen                          . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

         		                                                         Quellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
I
                                                                                                    11

            Internationale Bauausstellung: Ein fast schon magisches Wort und eine inspirierende

  Stadt
            Aussicht. Zwei solcher Ausstellungen haben in Berlin Geschichte gemacht und ge-
            zeigt, welche starken Impulse sie geben können. Heute ist Berlin nicht mehr die ge-
            teilte Stadt von damals, von 1957, von 1987. Berlin ist eine aufstrebende Metropole
            mit Ecken, Kanten und so viel Charme wie Entwicklungsbedarf. So lockt und funkelt
            die Idee, hier nachzulegen – mit einer IBA 2020 eine Investition in die Berliner Zukunft

 kapital!
            zu tätigen. Vielleicht wird es sogar eine Investition in die Zukunft Deutschlands, denn
            Berlin, die Hauptstadt, steht heute in der internationalen Wahrnehmung wie keine
            andere Stadt für die Bundesrepublik. Das erhöht den Anspruch aber auch die Verant-
            wortung einer dritten Berliner IBA.
                                 Wovon soll diese IBA reden? Woran soll sie bauen? Wen soll sie

   Ein
            mitnehmen und wen bezaubern? Was soll sie erreichen? Eines ist gewiss: Der Ent-
            schluss, in Zeiten knapper staatlicher Finanzen eine IBA zu verantworten, muss nachvoll-
            ziehbar begründet sein. Deshalb lohnt es sich, bereits die ersten Konturen der IBA, wie
            ihr Ausnahmezustand auf Zeit genutzt werden soll, so präzise wie möglich zu umreißen.
            Sie muss sowohl auf der Höhe der aktuellen urbanistischen Erkenntnisse agieren, als

Plädoyer
            auch die absehbar wichtigsten Diskussionen vor Ort bearbeiten.
                Das vorliegende Vor-Konzept hat dafür drei Spannungsfelder gefunden: Hauptstadt.
            Raumstadt. Sofortstadt. – Erprobungsräume für die Trilogie einer mentalen, einer städte­
            baulichen und einer beteiligenden Strategie. In ihnen soll die IBA 2020 tätig werden.
                Im Hintergrund dieser Spannungsfelder steht die These, dass Berlin über einen
            grossen Reichtum an Vorzügen und Möglichkeiten verfügt, die man mit geschickter
            Ver­knüpfung und den richtigen Strategien und Instrumenten nutzen kann – das Stadt­
            kapital. Denn brachliegendes Kapital macht wenig Sinn, wenn Handlungsbedarf be-
            steht. Es zu aktivieren und es zu erhöhen ist deshalb eine Pflicht. Stadtkapital aber meint
            eben nicht nur Geld, sondern jene Vermögen und Fähigkeiten, die ausschließlich Berlin
            gehören, hier zuhause sind und nur hier ins urbane Spiel gebracht werden können –
            nicht in München, nicht in Stuttgart, nicht in Hamburg.
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
Was behaupten die drei IBA-Spannungsfelder für Einzigartig­keiten?                     12
Hauptstadt, die gibt es in Deutschland nur einmal; sie wird sich profilieren und wird ka-
pitaler auftreten, nach innen wie nach außen. Raumstadt nimmt Berlins Raumreserven
auf, bewertet und bewirtschaftet sie im Hinblick auf öffentliche und private Bedürfnis-
se. Sofortstadt verlässt sich auf besondere Berliner Fähigkeiten, Energien und Kreativi-
tät zur lustvollen Mitgestaltung der städtischen Lebenswelt.
    Damit lässt sich in ganz Berlin arbeiten. Die IBA 2020 schließt die ganze Stadt ein
und meint viele Orte, die im Laufe des Prozesses als neuralgische Punkte gefunden
werden. Gemeinsam mit vielen, die das tagtäglich tun und Stadtentwicklung als ein
Zusammenwirken vielfältiger Kräfte und Akteurinnen und Akteure aus Verwaltung und
Zivilgesellschaft begreifen, werden diese Orte gesucht, gefunden und bearbeitet.
    Es ist eine Aufgabe, die den Erfordernissen auch großräumiger, überregionaler bis
globaler Veränderungen gerecht werden muss. Deshalb setzt sich die IBA 2020 klare
Qualitätskriterien. Ihre Arbeit und ihre Projekte müssen den Anforderungen an eine er-
folgreiche und nachhaltig wirtschaftende Stadt genügen. Sie sind ressourceneffi­zient,
partnerschaftlich und unternehmerisch – weil sie die Anforderungen des Klimawandels
umsetzen, die Notwendigkeit der Integration ernst nehmen und das Potential einer ent-
schieden zukunftsorientierten Ökonomie begreifen.
    Innerhalb dieser Vorgaben kann nun das Programm der Bauausstellung entworfen
werden. In hartnäckiger Kleinarbeit und großen Würfen, mit Hilfe von Ideenwerkstätten,
Expertinnengesprächen und Autorenbeiträgen. Dialogbereitschaft ist ebenso gefordert
wie prozessuales Verständnis.

   Die Zeit für umsichtiges Vorgehen ist vorhanden und will genutzt werden.

Ziel ist eine IBA 2020, in der die Projekte und Erfahrungen aus den drei Spannungsfel-
dern zu einer beispielhaften Strategie verbunden werden. Diese Strategie muss zeigen,
wie die Entwicklung von Metropolen jenseits von herkömmlichen Ansätzen betrieben
werden kann – ausgedacht in Berlin und maßgeschneidert für Berlin, erörtert, beurteilt
und aufgenommen von einer internationalen Gemeinde.
    Breite Aufmerksamkeit und fachliches Interesse erfährt diese Berliner IBA schon jetzt
im Vorfeld. Mit Recht – Berlin wird auch mit diesem Projekt markante, dem Stellen­wert
der Stadt gemäße Zeichen setzen. Erste Gewinne können demnach schon bald einge-
fahren werden; die Vorbereitungszeit mit all ihren Allianzen, Debatten und Zwischen­
ergebnissen ist bereits Teil der Wirkung.
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
II
                                                                                                 15

                 /1 Fakten

          Die Internationalen Bauausstellungen haben sich als Instrument deutscher Planungs-
          und Baukultur international einen beachtlichen Ruf erworben.
               Folgt man der Zählweise des Architekturhistorikers Werner Durth, so kann man

Was ist
          seit Beginn des letzten Jahrhunderts von insgesamt sieben abgeschlossenen und ei-
          ner noch laufenden IBA sprechen. Bereits die klassischen Bauausstellungen zeigten
          bahnbrechende Ergebnisse – so etwa die Stuttgarter Ausstellung 1927 mit der Weißen­
          hofsiedlung. Die eigentliche Konturierung der Marke IBA findet jedoch mit der IBA
          1984–1987 in Berlin statt. Hier rückt zum ersten Mal die auf Bauten konzentrierte Archi-

 eine
          tektur- und Städtebauausstellung in den Hintergrund. Stattdessen werden im Rahmen
          der IBA ästhetische, planungskulturelle und besonders soziale Fragen verhandelt. Die
          IBA wandelt sich, so Durth, von einer Bau-Ausstellung zu einer Bau-Kultur-Ausstellung,
          die auch immer den Zeitgeist verdichtet und deshalb sehr eng mit den Fragen und
          Rahmenbedingungen der Zeit verknüpft ist.

 IBA?
               Seitdem ist eine IBA ein interdisziplinäres Experimentierfeld, in dem aktuelle Fragen­
          modellhaft bearbeitet werden. Das tut sie mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die
          ein Experiment mit sich bringt: öffentlicher Zuspruch oder barsche Ablehnung, Ab-
          wege, Irrwege und Umwege, nicht zuletzt auch das Risiko des Scheiterns. Doch ge-
          nau dieses Laborieren und Experimentieren sowie den „Ausnahmezustand auf Zeit“
          braucht es, um grundsätzliche Projekte und Strategien zu entwickeln, um Impulse für
          ein neues Koordinatensystem in der Stadtentwicklung zu setzen. Am Ende einer IBA
          steht meist das eigene Erstaunen darüber, wie weit man eigentlich gekommen ist.
          Eine­­ IBA wirkt für die Verwaltung wie ein kleines, starkes Beiboot, das sehr langsam
          den Kurs dieses Tankers ein wenig korrigiert. Dadurch, dass sich eine Verwaltung eine
          IBA als externe Struktur leistet, schafft sie es, die Stärken der Verwaltung mit der Krea-
          tivität des Prozesses zusammenzuführen.
               Das Wichtigste an einer IBA war und ist ihre Grundausrichtung. In den jeweils
          leitenden­Fragestellungen kommen gesellschaftliche Veränderungsprozesse zum Aus-
          druck, die den Raum, das Bauen und das urbane Leben entscheidend prägen.
IBA BERLIN ZWANZIG ZWANZIG VORKONZEPT 12/2010 - STADTENTWICKLUNG BERLIN
II
     IBA Berlin – Interbau 1957                                                       16                                                                                            17
   • Wie kann der Wiederaufbau zu einem städtebaulichen und
     architektonischen Neubeginn beitragen?

                                                                                                  / 2 Wirkungen einer IBA
     IBA Berlin 1984/87
   • Wie macht man innerstädtische Lagen wieder zu lebenswerten Wohnorten?
     IBA Emscher Park 1989–1999 im Ruhrgebiet
   • Wie gibt man einer Region, die ihre Industrie verloren hat, eine neue Zukunft?        Eine IBA ist ein langjähriges Projekt, sie entfaltet ihre volle Blüte erst in der Rezeption,­
     IBA See 2000–2010 in der Lausitz                                                      wenn sich eine neue Planungskultur sedimentiert hat und wenn sich die nachhaltige­
   • Wie transformiert man eine Tagebaulandschaft in eine lebenswerte                      Wirkung der Projekte zeigt. Im besten Fall haben die Bürgerinnen und Bürger über Jah-
     Kultur­landschaft?                                                                    re hinweg aktiv an zahlreichen Initiativen der Umwandlung teilgenommen und die
                                                                                           Möglichkeit aktiver Teilhabe erfahren. Diese positive Erfahrung ist die Voraussetzung
     IBA Stadtumbau 2002–2010 in Sachsen Anhalt                                            dafür, sich auch in Zukunft einzumischen und Anteil zu nehmen an der lebendigen
   • Wie entwickelt man Städte unter den Bedingungen des demografischen                    Entwicklung ihres Quartiers und ihrer Stadt.
     Wandels?                                                                                  Die sichtbarsten und damit prominentesten Produkte einer IBA sind ihre gebauten
                                                                                           Resultate. Die Bauten, ob temporär oder beständig, repräsentieren innovative Ideen und
     IBA Hamburg 2006–2013                                                                 Verfahren. Sie müssen deshalb baukulturelle Maßstäbe setzen – und hier verpflichtet
   • Wie verhilft man benachteiligten Stadtquartieren zu nachhaltigen Qualitäten?          sich eine IBA zu qualifizierten Verfahren in der Projektentwicklung auf höchstem Niveau.­
                                                                                           ­­Damit sind nicht nur Wettbewerbe gemeint, sondern die vielen Ideenwerkstätten­und
Sowohl in der Wahl ihrer Versuchsanordnung wie auch in der Durchführung ist eine IBA       anderen Formate, die direkt mit den Beteiligten in den Dialog treten. Sie sind wichtige
auf sich gestellt. Weil es keine übergeordnete IBA-Vergabestelle gibt, kann theoretisch    Instrumente für den Umgang mit komplexen Fragen in der Stadt.
jede Stadt, jede Kommune, jedes Bundesland eine IBA ausrufen. Es gibt kein festge-             So zeigt sich die Wirkung einer IBA am nachhaltigsten in den veränderten Diskursen­
legtes Format, keinen Rahmenplan, auch keine definierten Kriterien – das Experiment        von Stadtplanung und Stadtentwicklung. Oftmals sind neue verwaltungstechnische
IBA widersetzt sich jeder Reglementierung. Zurecht: Innovative Lösungen entstehen          und auch rechtliche Instrumente während einer IBA vorbereitet und im Anschluss daran
im produktiven Streit und müssen in offenen Prozessen immer wieder neu erarbeitet          im Gesetz verankert worden. So beeinflusste beispielsweise die Diskussion um die be-
werden. Kurzum: Jede IBA steht vor der Aufgabe, sich als IBA neu zu erfinden, von ihren    hutsame Stadterneuerung und die kritischen Rekonstruktion der IBA 1984/87 den Erlass
Zielen bis zur geeigneten Organisationsform. Eine IBA ist zudem eine Selbstverpflich-      des Baugesetzbuches BauGB vom 8.12.1986 zum Sanierungsrecht. Die IBA Stadtumbau
tung zu Qualität – zu baulicher, aber auch zu prozessualer Qualität. Denn eine IBA ist     wiederum hatte direkten Einfluss auf die Entwicklung von den in Sachsen-­Anhalt­ mo-
keine reine Theorieveranstaltung für ein Fachpublikum; sie bringt konkrete Verände-        dellhaft in Deutschland verabschiedeten Denkmalschutzrichtlinien und lieferte wert-
rungen des jeweiligen Ortes und seiner Bewohnerinnen und Bewohner mit sich. Damit          volle Hinweise für die juristischen Instrumentarien für den Umgang mit Flächen- und
wird sie zur erwünschten kollektiven Erfahrung und zu einer internationalen Referenz­      Bodenmanagement und der Raumordnungspolitik in den ländlichen Gebieten.
für zeitgenössische Fragen der Stadtentwicklung.
II
                                                                                      18    klimawirksame­Flächen im Sinne der Vermeidung und Adaption bewirtschaftet, 19
                                                                                            für spätere, jetzt noch nicht bekannte Nutzungen und Aneignungen offen gehalten,
                                                                                            umgenutzt oder als potentielle Baufläche vorbereitet und mit modellhaften Architek-
                                                                                            turen bebaut werden. „Sofortstadt“ wiederum ist Methode und Proberaum zugleich,
       / 3 Eine dritte IBA für Berlin?
                                                                                            begleitet alle baulichen Ideen, Abwägungsprozesse und Projektentwicklungen.
                                                                                            „Sofortstadt“ steht für eine weiterentwickelte Planungskultur in Berlin, die das tempo-
                                                                                            räre, dialogische­und prozesshafte Mitmachen­fördert und diesem einen bedeutenden
Berlin ist stolz auf seine beiden IBA 1957 und 1984/87. Mit Recht, denn sie waren Meilen-   Stellenwert einräumt.
steine in der Stadtentwicklung. Im Zuge der IBA 57 entstand das Hansaviertel:­ Modell-          Ihre Kraft erhält diese IBA durch die Aktivierung vieler ungenutzter Ressourcen in
haft wurde der Wechsel von der engen Stadt des 19. Jahrhunderts zu einer funktionalen,      der Stadt. Deshalb ist die These, dass qualitative Entwicklung nur mit maximaler unter-
durchgrünten Stadt in moderner Architektur realisiert. Die IBA 84/87 wiederum führte        nehmerischer Intelligenz sowie mit der klugen Verknüpfung unterschiedlichster Kapi-
exemplarisch vor, wie Gründerzeitquartiere in mehreren Stadtteilen Westberlins durch        talien der Stadt erreicht werden kann, Ausgang und Maxime dieser IBA. Deshalb heißt
eine veränderte Planungsperspektive zu lebenswerten Wohngebieten­wurden, und inte-          der Leitbegriff der neuen IBA 2020 in Berlin kurz und knapp: Stadtkapital!
grierte darin überdies auf belebende Weise einen neuen sozialen Wohnungsbau.
    Nun aber rückt mit der kommenden IBA 2020 die Stadt als Ganzes ins Blickfeld.
Zukunfts­weisende Entwicklungsstrategien werden vorbildhaft für andere europäische
Metropolen an verschiedenen Pilotprojekten getestet. Gleichzeitig aber ist Berlin der
„Sonderfall“ unter den europäischen Hauptstädten. Letztlich geht es darum, wie Berlin
von der subventionierten Insel wieder die Rolle als Hauptstadt wahrnehmen und dabei
doch so eigensinnig, brüchig und charmant bleiben kann, wie es immer war. An dieser
Aufgabe muss von allen Seiten her gearbeitet werden. Raus aus den sektoralen Befind-
lichkeiten und hin zu inhaltliche und räumliche Grenzen überschreitenden Arbeitsgrup-
pen, die jede Sackgasse hemmender Aufgabenteilung meiden! Alle machen Stadt. Für
das Stadtplanen braucht es nicht nur Ingenieure und Planerinnen. Wie die Verwaltung
der Stadt, so formen auch Bürgerinnen und Bürger durch ihr Tun die Stadt. Mit dem Blick
auf die Zukunft der Stadt steht das Feld der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Ver-
waltung und Bürgergesellschaft und ihren Interessen im besonderen Fokus einer IBA.
Berlin hat viele Talente und Ideen, die es auf lange Sicht hin zu beleben gilt.
    Das Rezept hierfür ist die Verknüpfung einer Identitätssuche mit einer städte-
baulichen Strategie sowie einem methodischen Ansatz. In der entschiedenen Suche
nach seiner Identität als „Hauptstadt“ baut Berlin den Vorteil und seine Verpflichtung,
erste Stadt der Republik zu sein, aus. Berlin wird in Zukunft – selbstbestimmt und
selbstbewusst – in und mit seinem Eigensinn und seinen Besonderheiten weiter in
die Rolle der Hauptstadt hineinwachsen und diese immer wieder neu interpretie-
ren. Dieses Ziel wird mit einer städtebaulichen Strategie – „Raumstadt“ – untersetzt.
Darin werden die Leerstellen in Gebäuden, Brachen und Resträumen jeder Größe
adressiert. Sie können entweder als entwicklungsfähige offene Räume gesichert, als
III
                                                                                                   21

                        / 1 Das Kapital der Städte

             Die IBA Berlin 2020 wird die Berliner Stadtkapitalien nutzen und entwickeln. Dabei soll
             der Kapitalbegriff nicht sozialkritisch mit Karl Marx auf Ausbeutung und Akkumulation
             abstellen. Vielmehr soll – in Anlehnung an den französischen Soziologen Pierre­ Bour-

   Die
             dieu – auf das zukünftig verwertbare Vermögen einer Stadt in ökonomischer, sozial­er
             und kultureller Hinsicht abgestellt werden. Denn die klassischen monetären Messgrö-
             ßen für die Lage und das Entwicklungspotenzial einer Stadt müssen ergänzt werden
             um Indikatoren für die Struktur und Dynamik der lokalen Wirtschaft, das kulturelle Ka-
             pital einer Stadt, das Engagement ihrer Bürgerschaft, das Qualifikationsniveau ihrer Er-

Kapitalien
             werbstätigen und die Qualität ihrer natürlichen Ressourcen.
                  Das Leitprinzip des Stadtkapitals ist Entwicklung, nicht Wachstum, wie beim ökono-
             mischen Kapital. Entwicklung kann Wachstum einschließen, muss es aber nicht. Auch
             eine schrumpfende Stadt entwickelt sich, und auch der Prozess des Schrumpfens kann
             positive wie negative Folgen haben. Berlin schrumpft nicht, aber seine Entwicklung

 Berlins
             ist in vieler Hinsicht auch nicht durch klassische Wachstumsprozesse zu beschreiben.
             Nicht alles, was Berlin „ist“ oder ausmacht, ist auch für eine IBA relevant. In der Folge
             werden daher nur solche Kapitalien skizziert, die es für eine IBA Berlin 2020 insbeson-
             dere zu nutzen und zu entwickeln gilt.
III
                                                                                                              23

                                    / 2 Berlins Stadtkapital

                         Kapital: Kompakte Metropole & föderale Hauptstadt Berlin ist als Deutschlands
                         Hauptstadt zugleich die größte Stadt des Landes und eine traditions­reiche europäi-
                         sche Metropole mit Weltruf. Dennoch wirkt Berlin anders als London oder Paris. Das
                         liegt zum einen daran, dass es – historisch bedingt – jene wuchernde urbane Agglo-
                         meration nicht kennt, die für die meisten europäischen Metropolen charakter­istisch ist.
                         Trotz „Speckwürfel“-Ansätzen am Rande: außerhalb der Stadtgrenzen wird es schnell
                         ländlich um Berlin. Damit kann die Stadt auch Zeichen setzen: die kompakte Stadt, die
                         ihr Umland schont, ihren ökologischen Fußabdruck begrenzt.
                             Der Unterschied zu Paris oder London liegt aber auch darin, dass Berlins Metro­
                         polen­funktion nicht die schiere Folge der Hauptstadtwahl von DDR oder Bundesrepu-
                         blik ist. Als Metropole hat sich Berlin auch wegen seinen Anders- und Besonderheiten
                         als Hauptstadt etabliert.
                             Berlins Besonderheit als Hauptstadt hängt auch mit Deutschlands langer und bis
                         heute stark föderaler Tradition zusammen. Deutschlands Hauptstadt wird man nicht so
                         einfach: Ehrgeizigen Erwartungen und argwöhnischen Blicken des Restes der Republik
                         gegenüber muss sich Berlin immer wieder beweisen. Berlin kann dies als Ansporn ver-
                         stehen und als Sicherheit, nicht in unhinterfragten Selbstverständlichkeiten zu erlah-
                         men. Aber auch als seine Aufgabe, weiterhin eine „Herausforderung“ für den Rest der
                         Republik zu bleiben. Für die IBA Berlin 2020 bieten die Landesvertretung der Bundes-
                         länder in Berlin eine gute Gelegenheit, auch dort mit dem Spannungsfeld Hauptstadt
                         sichtbar zu werden.
                             Berlins besonderes Hauptstadtkapital liegt auch in seiner eigenen Dezentralität
                         und seiner historisch bedingten Zentralismus-Skepsis. Berlin verkörpert auch städte­
                         baulich die Gewaltenteilung im Lande und seine oft beklagte, quartiersbezogene
                         Hauptstadtferne zeugt vom Bewusstsein der Grenzen von (zentralstaatlicher) Politik
                         und ihrer Symbolik. Berlin hat mit seinem Bewusstsein für die Geschichte – nur hier
                         kann deutsche Geschichte in allen Höhen und Tiefen in größter Dichte erfahren wer-
                         den – die besten Voraussetzungen, Hauptstadt eines neuen föderalen und demokrati-
                         schen Deutschland zu sein. Nur in und mit Berlin kann die Bundesrepublik als ein Kern-
                         land des vereinten Europa Gestalt gewinnen. Allein in Berlin kann Deutschland zeigen,
Die Kapitalien Berlins
wie man mit einer IBA auf die Metropolen-Herausforderungen des beginnenden 24                 Berlin ist eine der ersten Großstädte in Europa, die sich den Herausforderungen 25
21. Jahrhunderts reagiert.                                                                    des Klimawandels aktiv stellen und das Thema Anpassung in die langfristige Stadt­
                    Kapital: Raum Trotz seiner beachtlichen Bevölkerungsdichte von            entwicklungsplanung (StEP Klima) aufnimmt. Auch beim Klimaschutz setzt Berlin
3.864 Einwohnern pro km² ist Berlin eine Stadt mit viel Raum. Kaum eine andere                Zeichen.­ Es hat seine Minderungsziele von 25 Prozent bis 2010 gegenüber 1990 im
Groß­stadt verfügt über so ausgedehnte Grün- und Erholungsräume. Knapp die Hälf-              Jahr 2005 bereits­erreicht und strebt daher bis 2020 eine Reduzierung um mehr als 40
te des Berliner Stadtgebiets wird von Wäldern, Landwirtschaftsflächen, Gewässern              Prozent gegenüber 1990 an. Berlin ist auf dem langsamen und schweren Weg in eine
und Grünanlagen­eingenommen. Diese besitzen neben ihrer Freizeit- und Erholungs-              Low Carbon City. Eine IBA 2020 könnte diesen Trend ebenso illustrieren wie verstärken.
funktion eine zentrale Bedeutung für das Stadtklima, den Wasserhaushalt und den                                     Kapital: Kreativität & Experimentierfreude Berlin schneidet­in den
Erhalt der biologischen Vielfalt. Berlins Straßen und Innenhöfe sind grüner als vieler-       wirtschaftsorientierten Städterankings oft nicht gut ab: Arbeitslosigkeit, Anteil der
orts sonst. Brach­flächen, Baulücken, ungenutzte Ecken – sie alle kennzeichnen diese          Transferempfänger, Einkommen pro Kopf, Verschuldung der öffentlichen Haushalte,­
Stadt deutlich stärker als andere Metropolen. Sie stellen klassische Entwicklungspo-          Sitz großer Unternehmen – Berlin rangiert auf den hinteren Plätzen. Allerdings sagen
tenziale der Innenraumverdichtung dar, aber sie bieten auch als „Leerflächen“ inner-          diese Zahlen nicht die ganze Wahrheit über Berlins Wirtschaft, die neben wettbe-
städtische Freiräume und sind damit ein notwendiges Komplement der baulichen                  werbsfähigen industriellen Nischen, dem breiten Dienstleistungsmix postmoderner
Stadtentwicklung.                                                                             Gesellschaften und einer hohen Selbständigen- und Gründerquote (auch bei Migran-
    Der gemessen an anderen Metropolen überproportional hohe Anteil an günstigen              tinnen und Migranten) einen klaren Standortvorteil im Bereich der Kreativwirtschaft
Mietflächen in Berlin begünstigt den ökonomischen Spielraum von Gewerbetreibenden             hat. Auch wenn man das Moment der Beschwörung in der Rede von ihr einmal abzieht:
und Mietern. Und es ist vor allem für diejenigen von Vorteil, die hier mit einer Idee, aber   Berlin ist so kreativ wie keine andere deutsche Stadt. Der politische und planerische
wenig Kapital etwas anfangen wollen – nicht zuletzt die Kreativen. Das setzt allerdings       Umgang mit dem in sich durchaus vielschichtigen Phänomen Kreativwirtschaft dage-
voraus, dass die städtische Politik den breitflächigen Anstieg der Mieten für Wohn- und       gen ist alles­ andere als einfach. Auch wenn sie notorisch unterfinanziert ist und Geld
Gewerbeimmobilien auf längere Sicht begrenzen kann. Andernfalls droht mit der sozia-          braucht: das klassi­sche Instrumentarium der Wirtschaftsförderung reicht nicht hin.
len Verdrängung auch das Abwürgen von Innovations- und Kreativpotenzialen.                    Denn „weiche“ Standortfaktoren sind für Kreative viel wichtiger als für Bäckerinnen­
                    Kapital: Umwelt & Natur Berlins Kapital Raum besteht hauptsächlich­       oder Maschinenbauer. Hier muss Stadtplanung auch „auf Bande spielen“ können.
aus vielfältigen Grünräumen und stellt damit eine ökologische Ressource dar, die für          Mietniveaus und soziale Sicherung sind das Eine. Eine inspirierende Umgebung, an-
die gesunde und dauerhafte Entwicklung der Stadt und ihrer Einwohnerinnen und Ein-            spruchsvolle Kundschaft, kulturelle Angebote, Internationalität das Andere. Ein gewis-
wohner lebenswichtig ist.                                                                     ses Maß an „Schrägheit“, Unfertigem und Offenheit beschreiben wohl am Besten, was
    In keiner anderen deutschen Großstadt arbeiten so viele Menschen in den Leitmärk-         die Kreativen brauchen. Umgekehrt helfen jene Komponenten, wenn es darum geht,
ten der Green Economy (Umweltfreundliche Energiewirtschaft, Wasserwirtschaft, Kreis-          das Gentrifizierungsrisiko zu begrenzen, das von den kreativen „jungen Pionieren und
laufwirtschaft, Rohstoff- und Materialeffizienz). Berlins Solarbranche wächst kräftig.­ In    Pionierinnen“ eben auch ausgeht. Auch die Frage nach der zukünftigen Entwicklung
keinem Bundesland werden so wenige Rohstoffe für die Produktion einer Einheit des             der Kreativwirtschaft und ihres Beitrags zur Stadtentwicklung gilt es im Rahmen der
BIP benötigt. Die Berliner Wirtschaft produziert fast dreimal so energieeffizient wie der     Berliner IBA 2020 zu stellen.
Bundesdurchschnitt – die höhere Energieproduktivität ist ein Merkmal aller Sektoren­                                Kapital: Vielfalt & Internationalität Berlins Kreativität und Experi­
der Wirtschaft. Keine deutsche Großstadt verfügt über mehr Akteure, die am EMAS-              mentierfreude ist eine direkte Folge seiner Vielfalt und Internationalität. Gleich ob
System (Eco-Management and Audit Scheme) teilnehmen.                                          sozial,­kulturell, sprachlich, kulinarisch, sexuell oder städtebaulich: Berlin ist die vielfäl-
    Auch europaweit belegen Berlins Umweltqualitäten einen vorderen Platz – insbeson­         tigste Stadt dieses Landes und kann es mit allen europäischen Metropolen aufnehmen.­
dere wegen der energetischen Sanierung des Gebäudebestands, seiner Grünflächen                Dazu gehört, dass Berlin nicht überall „schick“ und up-to-date ist. Manche Viertel zei-
und der Qualität seiner Wasserversorgung. Und das, obwohl Berlin im europäischen              gen unverhohlen die alltagsästhetischen Reste der 1970er Jahre. Wäre es gelungen,
Metropolenvergleich ökonomisch gesehen eher arm ist.                                          Berlins­Ungleichzeitigkeiten wegzusanieren, fehlte der Avantgarde von morgen heute
so manche Inspiration. Eine IBA 2020 muss diese soziale, zeitliche und räumliche­ 26            Dieses kulturelle Kapital muss für die Stadtentwicklung fruchtbar gemacht, Stadt- 27
Vielfalt zum Leuchten bringen.                                                                  entwicklung auf es hin überdacht werden. Das Konzept der Sofortstadt ist nicht zuletzt
    Berlins Entwicklung hat immer schon Menschen von überall angezogen und wäre                 der Versuch, diese Wechselwirkung für eine IBA zu operationalisieren.
ohne sie nicht möglich gewesen. Das gilt für die Arbeitsmigranten aus dem Reichs-                                    Kapital: Bildung & Innovation Berlin hat eine Wissenschaftsdichte,­
gebiet während des Gründerzeitbooms ebenso wie für die vielen ausländischen Mig-                die es in sich hat. Die Stadt gehört mit ihrer hohen Dichte an Bildungs- und Forschungs­
rantinnen und Migranten in der Nachkriegszeit. Mit einem Ausländeranteil von 14 %               einrichtungen zu den bedeutendsten Wissenschaftsregionen in Europa. Auch hier trägt
liegt Berlin zwar hinter Städten wie Frankfurt oder Stuttgart, aber an der Spitze aller         die Stadt ein durchaus nicht immer leicht zu tragendes Erbe der deutschen Teilung­
Bundesländer – selbst vor den Stadtstaaten Hamburg (13,8%) und Bremen (12,6%). Im               als Geschenk in die Zukunft. In Berlin haben 4 Universitäten, 4 Kunsthochschulen,
bundesweiten Diskurs steht die Stadt daher nicht selten für Parallelgesellschaften und          7 Fachhochschulen sowie 70 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ihren­ Sitz
Nicht-Integration.                                                                              – und dabei ist die vielfältige Wissenschaftslandschaft Brandenburgs noch gar nicht
    So gravierend die soziale Lage von Migranten und Migrantinnen in bestimmten                 mitbetrachtet. Diese Orte des Wissens verteilen sich zudem breit über den Berliner­
Vierteln auch sein mag – eine Sicht allein aus der Perspektive der Sozialarbeit wird der        Stadtkörper (Dahlem, Charlottenburg, Mitte, Adlershof ), was ihre lokalen Ausstrah-
Vielfalt und Vielschichtigkeit des Themas nicht gerecht. Notwendig ist vielmehr, hinter         lungseffekte begünstigt.
die vordergründigen Schablonen des „Migrationshintergrunds“ zu blicken und dort ein                 Diese hohe Dichte und Qualität der Berliner Wissenschaftslandschaft ist auch für die
Sammelsurium an nicht-deutschen Menschen zu finden, die kaum auf einen Nenner zu                lokale Wirtschaft von größter Bedeutung. Hier funktioniert der vielbeschworene Wis-
bringen sind. Selbst „die Türken“ als größte ethnische Gruppe weisen – die Studien des          senstransfer von Wissenschaft und (wirtschaftlicher) Praxis reibungsloser als andern-
Sinus-Instituts haben es gezeigt – große Unterschiede hinsichtlich ihrer sozialen Lage          orts. Die Zukunft, das sagen alle Forscherinnen und Forscher, die sich damit professio­
und ihrer Grundorientierung auf. Von Touristen, internationalen Studierenden, Diplo­            nell befassen, gehört den wissensbasierten Wirtschaftszweigen.
maten, Kongress- und Messebesuchern sowie Geschäftsleuten aus der ganzen Welt                       Aber der Wert von Bildung erschöpft sich nicht in erzeugtem Bruttosozialprodukt,
ganz zu schweigen.                                                                              so wichtig es für die Stadt sein mag. Bildung öffnet Horizonte, formt Persönlichkeiten,
    Die IBA 2020 muss Berlins Spitzenposition im Feld „Ausländer in Deutsch-                    schafft Verbindungen. Berlins Bildungskapital umfasst daher unter anderem auch seine
land“ nutzen,­ um Integrations- wie Differenzerfahrungen fruchtbar zu machen.                   805 allgemeinbildenden und 142 berufsbildenden Schulen. Und natürlich die rund 2.000
Deutschland braucht die Bildungsqualifikationen und die produktive Energie seiner               Kinder­tagesstätten, in denen neben Betreuung eben auch schon Bildung beginnt.
Eingewanderten,­ und es muss auch (städte)baulich zum Ausdruck bringen, zu wel-                                      BERLINS STADTKAPITAL IST BEACHTLICH! Insgesamt steht es also
chen Angeboten für ein vielfältiges Leben und Arbeiten es in der Lage und welche                nicht schlecht um Berlins Stadtkapital. In vielen Bereichen ist es deutsche, ja euro-
Anforderungen es dafür zu stellen willens ist.                                                  päische Spitze. Zugleich verkörpert es den eigenwilligen Charme, die Offenheit und
                     Kulturelles Kapital Jeden Tag finden in Berlin rund 1.500 kulturelle­      Kreativität einer Stadt, in der bewiesen wurde, woran viele zweifeln und verzweifeln:
Veranstaltungen statt. Die Vielfalt des kulturellen Angebots ist überwältigend und zieht        scheinbar unüberwindliche Grenzen können überwunden werden.
viele Touristen in die Stadt. Neben seiner reichen und qualitativ hochwertigen „offiziellen“­
Kultur an Opern, Theatern, Konzertsälen, Museen, Schlössern, Galerien und Kinos ist Berlin
auch die Hauptstadt der Subkulturen. Diese wird durch eine durchlässige Grenze von der
anderen geschieden, hat ihr eigenes Leben und Publikum, bildet aber auch den „Humus“,­
ohne den die offizielle Kultur letztlich erstarren und vertrocknen würde.
    Berlin ist schließlich auch die Hauptstadt einer hoch aktiven und international weit-
hin beachteten freien Kulturszene. Noch wird in Berlins Galerien nicht das große Geld
verdient, aber nirgendwo sonst hat man einen so breiten Überblick über junge Talente
und aktuelle Trends.
IV
                                                                                                    29

   Berlin
                        / 1 Globale und spezifische Herausforderungen

              Berlin präsentiert sich nach langen Phasen des wirtschaftlichen, sozialen und poli­tischen

  Heraus
              Wandels auch im Jahr 2010 als ‚unfertige’ Stadt mit immensen Freiräumen, die immer
              wieder besonderen Platz für Kreativität, Kultur und Innovation ermöglicht haben. Neben
              diesem besonderen Potenzial, steht Berlin allerdings auch besonderen Herausforderun-
              gen gegenüber. Dabei überlagern sich globale Herausforderungen, die unter anderem
              aus dem weltweiten Klimawandel, aus dem sozialen und demographischen Wandel und

forderungen
              aus der ökonomischen Globalisierung resultieren, mit Berlin-spezifischen Herausforde-
              rungen, die der besonderen Geschichte und Entwicklung Berlins geschuldet sind.
                                   Zum Umgang mit Wachstum und Raum Zu den spezifischen Her-
              ausforderungen gehört an erster Stelle die Frage, wie Berlin mit seinen Freiräumen –
              seien es neue Freiflächen, aufgegebene Industrieareale oder einzelne Baulücken – um-

    der
              gehen soll. Dieses Raumpotenzial ermöglicht zwar das, was Berlin derzeit besonders
              macht. Doch langsam scheint auch Berlin an einem Wendepunkt angekommen zu sein:
              verschiedene Nutzungsansprüche an freie oder frei werdende Räume stehen aufgrund
              eines wachsenden Verwertungsinteresses der Immobilienwirtschaft z.B. im Bezirk­Mitte
              zunehmend in Konkurrenz zu alternativen, temporären oder künstlerischen Raumpro-

   Stadt
              jekten und Bewohner getragenen Wohnformen. Indikator dafür ist auch die Entwick-
              lung auf dem Wohnungsmarkt, der längst nicht mehr so entspannt ist wie vor einigen
              Jahren. Auf die Frage, wie Entwicklung funktionieren kann, ohne die für Berlin­typischen
              und zu wichtigen „Spielräumen“ der Stadtentwicklung gewordenen Raumpotenziale­
              aufzuzehren­und ohne breite Schichten der eingesessenen Bevölkerung zu verdrängen,

entwicklung
              fehlen bisher überzeugende Antworten.
                                   Sozial-räumliche Polarisierung Der bundesweite Trend zur sozial-
              räumlichen Polarisierung wird in Berlin aufgrund einer weit überdurchschnittlichen
              Arbeitslosigkeit und unterdurchschnittlichen Erwerbstätigkeit besonders sichtbar:
              Im November 2010 lag die Arbeitslosenquote in Berlin bei über zwölf Prozent und
              weist damit im Ländervergleich nach wie vor den höchsten Anteil auf. Das zeigt sich
              auch bei dem Anteil der Empfänger von staatlichen Transferleistungen, der in Berlin
              bei zwanzig­ Prozent liegt; noch gravierender ist die Lage bei den Kindern unter 15
              Jahren,­ von denen­ sind fast vierzig Prozent auf staatliche Unterstützung angewie-
sen. Zudem konzentrieren­ sich Haushalte mit Niedrigeinkommen in als prekär 30            sen Herausforderungen­ stellen und Antworten auf der Ebene des nachhaltigen 31
einzustufenden­Quartieren,­was einer bis dato in Berlin wenig relevanten Segregation      Bauens,­der Infrastruktur und neuer Verhaltensmuster suchen.
weiter Vorschub leistet. In den Bezirken Mitte, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg                          Globalisierung und Internationalisierung Eine weitere große Her-
sind über ein Fünftel der Einwohnerinnen und Einwohner von Armut bedroht. Insge-          ausforderung für Metropolen wie Berlin ist die Globalisierung und Internationalisierung­
samt lässt sich auch in Berlin­ beobachten, dass die sozialen Gegensätze zunehmen;        der Wirtschaft. In Verbindung mit einem ökonomischen Strukturwandel verlangt sie den
dabei werden Bewohner und Bewohnerinnen aus besonders attraktiven und zentralen           Beschäftigten und Bewohnern der Städte immer mehr zeitliche und räumliche Flexibilität­
Stadtteilen zunehmend verdrängt, in anderen Quartieren hingegen verschlechtert sich       ab, die sich auch in veränderten Wohn- und Lebensformen zeigt. Ein weiteres Resultat
die Lage durch eben diese Zuzüge.                                                         der zunehmenden internationalen Verflechtungen der Wirtschafts- und Finanzkreisläu-
                   Demographischer und sozialer Wandel Auch Berlins Bevölkerung           fe ist eine verschärfte Städtekonkurrenz auf globaler Ebene und die „Metropolisierung“
wird langfristig weniger und älter. Für den Zeitraum nach 2030 wird von einem Bevöl-      der Raumentwicklung. Berlin ist ein Knotenpunkt im globalen System­ und steht damit
kerungsrückgang bei gleichzeitig deutlicher Alterung ausgegangen, die Zahl der über       im direkten Standortwettbewerb mit anderen Metropolen. Prozesse der Globalisierung
80-Jährigen beispielsweise wird sich bis dahin nahezu verdoppeln. Für die Gestaltung      haben u.a. auch in Berlin den Strukturwandel beschleunigt und zu einem anhaltend
des Wohnungsbestandes, des öffentlichen Raums und des Nahverkehrs wird daher die          schnellen Abbau der Industriebeschäftigten in der Hauptstadt geführt. Auf dem Weg
Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Bürgerinnen und Bürger immer wichtiger.          in eine moderne, hoch spezialisierte Dienstleistungsgesellschaft stellt sich die Frage, in-
    Berlin wird außerdem durch die Ausdifferenzierung von Familienstrukturen und          wiefern die Bewohnerinnen und Bewohner Berlins an den neuen­Ökonomien teilhaben
Lebensstilen sowie durch internationale Wanderungen heterogener. Als Großstadt            können, die diese Lücke schließen, oder ob die Schere zwischen Arm und Reich noch
war Berlin zwar schon immer Ort des Zuzugs. Mit der Globalisierung haben sich die         weiter auseinandergeht. Wenn mit jeder technologischen Evolutions­stufe der Anteil
Wanderungsbewegungen und die ethnische und kulturelle Vielfalt der Stadtbevölke-          Langzeitarbeitsloser größer wird, stellt sich zwangsläufig die Frage nach erwünschten
rung jedoch verstärkt. So leben heute beispielsweise in Neukölln Menschen aus 147         Formen und Grenzen des Wachstums.
unterschiedlichen Nationen. Dies stellt auch an die Planung neue Anforderungen. Die                            Steuerung von Stadtentwicklung Ebenso steht die Stadtentwick-
„Integrationsmaschine Stadt“ funktionierte lange Zeit scheinbar selbstverständlich,       lung selbst vor der Herausforderung, die Steuerung ihrer Planungs- und Entwicklungs-
indem­ sie Integration und sozialen Aufstieg durch Arbeit ermöglichte. Die Entwick-       prozesse neu zu denken. Die Komplexität der Aufgaben hat in den letzten zwei Jahr-
lung unseres vormals industriellen Wirtschaftssystems zu einem postindustriellen hat      zehnten spürbar zugenommen, ebenso der Steuerungsdruck angesichts des globalen
diese Selbstverständlichkeit in Frage gestellt. Damit sind die Städte herausgefordert,    Wettbewerbs – und das alles bei geringer werdenden Spielräumen öffentlicher Haus-
Alternativen und Ergänzungen zur alleinigen Integration durch Arbeit zu finden und        halte. Im Ländervergleich zeigt sich, dass Berlin 2010 mit mehr als 60 Milliarden Euro
der Herstellung von Chancengleichheit, z.B. im Bereich der frühzeitig differenzierten     Schulden den traurigen Spitzenplatz einnimmt. So muss die öffentliche Hand auf der
Bildung,­mehr Aufmerksamkeit zu schenken.                                                 einen Seite (notgedrungen) die Wahrnehmung von Aufgaben neu strukturieren. Auf
                   Klimawandel und Ressourcenknappheit Städte verursachen über            der anderen Seite fordern aber zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure gerade
drei Viertel des weltweiten Energieverbrauchs. Berlin besitzt als große Kapitale daher    in Berlin seit Jahren eine stärkere und direktere Beteiligung an der Stadtentwicklung.
eine besondere globale Klimaverantwortung und hat, bei steigenden Energiekosten,          Dabei zeigt sich jedoch, dass die Stadtgesellschaft nach einer anderen, aktiveren Rolle
zugleich ein besonderes Interesse an Fragen und Techniken der Ressourceneffizienz.        sucht. Dieser Spannung muss Stadtentwicklung begegnen. Sie kann nicht mehr als eine
Da Gebäude, Infrastrukturen und Verhaltensmuster lokal auf eine bestimmte Band­           rein hoheitliche Aufgabe gesehen werden. Sie verteilt sich zunehmend auf die Schultern
breite des Klimas eingestellt sind, tritt das Wettergeschehen im Alltag völlig in den     unterschiedlichster Akteure und Akteurinnen. Dieser Prozess wird allgemein als Wandel
Hintergrund. Berlin wird sich aber aufgrund des globalen Klimawandels spätestens ab       von Government zu Governance beschrieben und fordert gerade auf lokaler Ebene ein
2050 auf eine merkliche Erwärmung und geringere Niederschlagsmengen im Sommer             neues Paradigma von Planung und Steuerung.
einstellen müssen. Um diesen Folgen der Klimaveränderung adäquat zu begegnen,
müssen­ sich Städte wie Berlin – auch als Vorreiter der ökologischen Entwicklung – die-
IV
                                                                                    32     nungen und Nutzungen von Stadt zulassen. Sie muss einen Rahmen schaffen für 33
                                                                                           die Vielfalt der Bürgerinnen und Bürger und deren unterschiedliche Interessen, indem
                                                                                           sie u. a. für (Rückzugs-)Nischen auf der einen und Räume für Begegnungen und Ausei-
                                                                                           nandersetzungen auf der anderen Seite sorgt.
                       / 2 Ansprüche
                                                                                               Integration ohne Aufgabe von Vielfalt kann nur gelingen, wenn Stadtentwicklung
                                                                                           auf der Ebene des sozialen Ausgleichs Chancengleichheit für alle herstellt. Gerecht wer-
                                                                                           den kann Stadtentwicklung diesen Ansprüchen, indem sie sich als partnerschaftlich und
Diesen beschriebenen Herausforderungen der Stadtentwicklung stellt sich die IBA Ber-       inte­grativ versteht, d.h. die Bürger und Bürgerinnen als aktive, eigenverantwortliche­
lin 2020 im Rahmen ihrer Spannungsfelder Hauptstadt, Raumstadt und Sofortstadt.            und gleichberechtigte Akteurinnen und Akteure der Stadtentwicklung wahrnimmt
Ganz im Sinne der nachhaltigen Stadtentwicklung begegnet die IBA Berlin 2020 dabei         und die Gestaltung dieser Prozesse auf verschiedene Akteure und Akteurinnen mithilfe
den erläuterten sozialen (Polarisierung), ökonomischen (Strukturwandel) und ökolo-         von Partizipation verteilt. Hierbei wird sich das Verhältnis von Stadtplanung und Stadt-
gischen (Klimawandel) Herausforderungen durch die Formulierung von Leitkriterien,          gesellschaft ändern müssen. Auf der einen Seite: Vom versorgenden „Vater Staat“ hin
denen zukünftige IBA-Projekte gerecht werden müssen. Die Leitkriterien waren ein Er-       zu einem Partner der Stadtentwicklung, der auch den Rahmen für neuartige­ Formen
gebnis der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Jahr 2009 bei den Büros        der Kooperation entwickelt. Auf der anderen Seite: Von ehemals „rundum­versorgten
bgmr und ASTOC/KCAP in Auftrag gegebenen Studie „Entwicklungsstrategie Tempel-             Bewohnern“ zu aktiven Bürgerinnen und Bürgern.
hofer Feld“. Im Folgenden werden die diesen Leitkriterien zugrunde liegenden Ansprü-                            Die zukunftsorientiert-unternehmerische Stadt Mit diesem Leit-
che an eine partnerschaftlich-integrative Stadt, eine zukunftsorientiert-unternehmeri-     kriterium betritt die IBA Berlin 2020 programmatisches Neuland. In bisherigen Bauaus-
sche Stadt und an eine ressourceneffiziente Stadt weiter ausgeführt.                       stellungen spielten Fragen der ökonomischen Entwicklung eher eine untergeordnete
                                                                                           Rolle. Um Antworten auf die drängenden sozialen Fragen Berlins zu finden, muss die
                                                                                           IBA nach innovativen Lösungen suchen, die eine soziale Wirtschaftsentwicklung er-
                                          HAUPTSTADT   RAUMSTADT   SOFORTSTADT
                                                                                           möglichen und die Bewohnerinnen und Bewohner als das größte Potenzial einer lokal
                 partnerschaftlich-
Leitkriterien

                                                                                           verankerten Ökonomie erkennen. Die IBA Berlin 2020 ergänzt damit bestehende Stra-
                 integrative Stadt
                                                                                           tegien der Wirtschaftsförderung um eine bürgernahe und stärker problemorientierte
                 zukunftsorientiert-
                 unternehmerische Stadt           IBA-PROJEKTE                             Perspektive.
                 ressourceneffiziente                                                          IBA-Projekte werden dabei insbesondere drei Themen aufgreifen, die in der klassi-
                 Stadt                                                                     schen Wirtschaftsförderung bisher zu kurz kommen: Innovation und Bildung, Ansätze­
                Spannungsfelder                                                            einer lokalen und sozialen Ökonomie sowie neue Modelle des Eigentums und der
                                                                                           Finanz­ierung von stadtentwicklungsrelevanten Projekten.
                   Die partnerschaftlich-integrative Stadt Eine zentrale Aufgabe der           Individuelle Innovationsfähigkeit und Bildung sind heute mehr denn je die Grund-
IBA Berlin 2020 wird es sein, zu einer Abmilderung sozialer Gegensätze im Sinne partizi­   voraussetzung für ein zukunftsorientiertes Wirtschaftssystem. Durch die gezielte För-
patorischer Strategien beizutragen und im Rahmen einer integrierten Stadtentwick-          derung einer Innovations- und Kreativitätskultur, von „Lernen von klein auf“ und von
lung sozial-ökonomischen Ansätzen besonderes Gewicht zu verleihen. Ein partizipatori-      einer lokalen Unternehmenskultur, die sich systematisch auch auf die Bewohnerinnen
scher Ansatz muss die Interessen der vielfältiger gewordenen Bewohnerschaft und ihre       und Bewohner bezieht, kann Berlin gestärkt und zur innovativen Stadt im Sinne ih-
Bedürfnisse differenziert wahrnehmen und in die Planungsprozesse integrieren­. Auf-        rer Bürger werden. So sollte die lokale und soziale Ökonomie als spezifisches Gegen-
grund der durch den sozialen und demographischen Wandel vielfältigeren Probleme­           gewicht zur globalen Ökonomie ausgebaut werden: Hier besteht die Chance für die
und Bedürfnisse und den daraus resultierenden komplexer zu organisierenden Partizi-        Stadt, konsequent auf die Entwicklung und Qualifizierung einer Form von Ökonomie
pationsprozessen muss Stadtentwicklung Räume schaffen, die unterschiedliche Aneig-         zu setzen, die mehr Teilhabechancen besonders für ältere Bürgerinnen und Bürger so-
wie schlechter Qualifizierte bietet.                                                 34

Schließlich müssen in der IBA Berlin 2020 neue Eigentums- und Finanzierungs­modelle­
einer bewohnerorientierten Stadtentwicklung erprobt werden, die darauf angelegt
sind, Stadt beispielsweise in Form von Genossenschaftsmodellen oder Bürgerfonds
stärker in die Verantwortung ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu geben und damit
unerwünschte Effekte einer stark auf Investoren ausgerichteten Stadtentwicklung zu
bremsen.
                     Die ressourceneffiziente Stadt Die Stadt der Zukunft muss mit den
natürlichen Ressourcen aus allgemeinem und eigenem Interesse deutlich klüger und
sparsamer umgehen, als es die Stadt des „fossilen Zeitalters“ getan hat. Berlin muss als
ressourceneffiziente Stadt einerseits ihren „Stoffwechsel“ mit den sie umgebenden öko-
logischen Systemen weiter harmonisieren und mit den ihr zur Verfügung stehenden
Ressourcen klüger und sparsamer umgehen. Dabei berührt Ressourceneffizienz ver-
schiedenste Bereiche; neben den auf Dauer kostspieligen fossilen Energieträgern, auch
das Trinkwasser sowie das Abwasser, den Umgang mit Abfall insgesamt und für Berlin
als immer noch wachsender Metropole den klugen Umgang mit der Ressource Raum.
     Der Vorteil der städtischen Dichte muss noch konsequenter als bisher in eine Stra-
tegie der Reduktion des sog. ökologischen Fußabdrucks umgesetzt werden. Dies ist
durch integrierte Maßnahmen der Stadt- und Verkehrsplanung, der Energieversor-
gung, des Gebäudemanagements und der ökologischen Neujustierung von Urban
Governance möglich. Substanzielle Fortschritte bei der Reduktion ihres ökologischen
Fußabdrucks kann Berlin aber nur erreichen, wenn es gelingt sowohl die Wirtschaft
wie auch die Bürgerinnen und Bürger an diesem Prozess aktiv zu beteiligen. Und dafür
ist sowohl die unternehmerische Stadt als auch eine eigenverantwortliche und aktive
Bürgergesellschaft wichtig.
     Berlin hat sich anspruchsvolle klimapolitische Ziele gesetzt. Die IBA Berlin 2020
kann diesen Zielen Legitimation und Sichtbarkeit verschaffen. Mit fortschreitender
Klima­politik auf allen Ebenen weltweit wird es zudem auch wirtschaftlich attraktiv, eine
„Low Carbon Society“ aufzubauen – nicht nur als vorbildliches Rollenmodell, sondern
auch und besonders als Lieferant von Wissen und Produkten dieser Technologie, für die
Andere bereit sind zu zahlen. Aktive Klimapolitik stärkt die regionale Ökonomie und
erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Die IBA Berlin 2020 wird
dabei auch durch Musterbeispiele die Machbarkeit der anspruchsvollen Klimaschutz-
ziele der Bundesregierung unterstreichen.
Sie können auch lesen