ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE - RECHTLICHER RAHMEN UND HANDLUNGS-OPTIONEN DER KINDER- UND JUGENDHILFE - BAFF-ZENTREN
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Bundesfachverband unbegleitete BumF minderjährige Flüchtlinge ARBEITSHILFE ABSCHIEBUNG UND (UNBEGLEITETE) JUNGE GEFLÜCHTETE Rechtlicher Rahmen und Handlungs- optionen der Kinder- und Jugendhilfe
Impressum Herausgeber: Bundesfachverband BumF – Bundesfachverband unbegleitete unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. BumF minderjährige Flüchtlinge Paulsenstr. 55 – 56, 12163 Berlin www.b-umf.de Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V. Paulsenstraße 55-56, 12163 Berlin www.baff-zentren.org Copyright: BumF / BAfF Dezember 2018. Alle Rechte vorbehalten. Autor/innen: Nerea González Méndez de Vigo, BumF e.V. – Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; Nina Hager, BAfF e.V. – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer; Dr. Jonathan Leuschner, Rechtsanwalt Layout: Daniela Krebs, BAfF e.V. Gefördert durch das:
Arbeitshilfe Abschiebung und (unbegleitete) junge Geflüchtete Rechtlicher Rahmen und Handlungs- optionen der Kinder- und Jugendhilfe Nerea González Méndez de Vigo Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Nina Hager Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychoso- zialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer Dr. Jonathan Leuschner Rechtsanwalt 3
Vorwort Der politische und gesellschaftliche Die Dunkelziffer von Fällen, in denen Ton ist rau geworden – nicht nur, aber Abschiebungen rechtswidrig erfolgt vor allem, wenn es um Geflüchte- sind und mit unverhältnismäßiger te geht. Ausdruck findet dies u. a. in Gewaltanwendung durchgeführt einer härteren Vollzugspraxis, wobei wurden, dürfte noch um einiges hö- sich die Härte an der konsequente- her sein, als es die Berichterstattung ren Umsetzung von vollstreckbaren vermuten lässt. Personen mit be- Entscheidungen ebenso zeigt, wie an schränkten Geldmitteln und Ressour- der Art und Weise der Vollziehung. So cen, die mitten in der Nacht ohne Vor- prangerte beispielsweise die Natio- ankündigung abgeschoben werden, nale Stelle zur Verhütung von Folter haben – trotz häufig bestehender jüngst das Vorgehen bei einer Ab- Hilfsnetzwerke – eine geringe Chance schiebung aus Manching an, bei der ihre Anliegen gerichtlich überprüfen ein 14-jähriger Junge – ebenso wie zu lassen. seine psychisch kranke Mutter – ge- fesselt wurde.1 Der Flüchtlingsrat Dabei machen die aus dem verän- Thüringen berichtete von dem Ver- derten politischen und gesellschaft- such der Abschiebung einer schwan- lichen Klima folgenden behördlichen geren Frau mitten in der Nacht aus Handlungen vor unbegleiteten min- einem Krankenhaus heraus.2 Auch derjährigen Flüchtlingen (umF) be- der Versuch, einen werdenden Vater dauerlicherweise keinen Halt. Bera- aus dem Krankenhaus abzuschieben, tungsanfragen und Rückmeldungen während seine Frau in den Wehen lag, aus Fortbildungsveranstaltungen zei- hat kürzlich für Aufsehen gesorgt.3 Ak- gen, dass es deutlich erkennbare Ver- tuell stehen zudem Sammelabschie- suche gibt, auch die Vollzugspraxis bungen der Berliner Ausländerbehör- gegenüber unbegleiteten Minderjäh- de aufgrund der Art und Weise ihrer rigen zu verschärfen. In jüngster Ver- Durchführung im Fokus von Untersu- gangenheit erreichen uns immer wie- chungen.4 der Berichte und Fallschilderungen, in denen unbegleitete Minderjährige 1 Bayerischer Rundfunk, Anti-Folter-Stelle erhebt schwere Vorwürfe 05/2018, https://www.br.de/ nachrichten/anti-folter-stelle-erhebt-schwere-vorwuerfe-100.html [letzter Abruf: 21.12.2018]. 2 Flüchtlingsrat Thüringen, Pressemitteilung 05/2018, https://www.fluechtlingsrat-thr.de/ aktuelles/pressemitteilungen/unmenschlicher-abschiebeversuch-einer-frau-mit-risikoschwangerschaft, [letzter Abruf: 21.12.2018]. 3 Spiegel Online v. 24.10.2018, Werdender Vater sollte während der Geburt abgeschoben werden, http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/thueringen-werdender-vater-sollte- abgeschoben-werden-hebammen-wehren-sich-a-1234907.html [letzter Abruf: 21.12.2018]. 4 Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin v. 22.10.2018, http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_ neue_meldungen2.php?post_id=878 [letzter Abruf 21.12.2018]. 4
abgeschoben werden – insbesondere Die Ausländerbehörde Berlin hat vor in die Westbalkanstaaten. So wurde diesem Hintergrund auf Weisung der z.B. ein Fall an uns herangetragen, in Senatsverwaltung für Inneres und dem trotz vorheriger Versicherung, es Sport in ihren Verfahrenshinweisen handele sich nur um einen Vorspra- ausdrücklich festgehalten, dass Ab- chetermin bei der Ausländerbehörde, schiebungen von umF und jungen von hier direkt die Abschiebung voll- Volljährigen aus Jugendhilfeeinrich- zogen wurde, ohne Vormund/in oder tungen unzulässig sind.6 Jugendamt hierüber zu informieren. Zum Teil erfolgt eine Abschiebung Zwar sind Abschiebungen von unbe- auch aus den Jugendhilfeeinrichtun- gleiteten Minderjährigen nicht per se gen heraus. Ein besonders tragisches rechtswidrig und selbst die UN-Kin- Beispiel für die um sich greifende be- derrechtskonvention geht von der hördliche Härte gegenüber Minder- Möglichkeit der Abschiebungen von jährigen war zuletzt der Fall eines unbegleiteten Minderjährigen aus, 12-Jährigen, der trotz Traumata zu wenn dabei das Kindeswohl berück- seinem einschlägig vorbestraften sichtigt wird.7 Die Anforderungen an drogenabhängigen Vater abgescho- die Behörden, die die Abschiebung ben wurde. Dieser hatte deutlich ge- vollziehen, sind jedoch aus guten macht, sich nicht um seinen Sohn Gründen sehr hoch und in vielen Fäl- kümmern zu können. Zudem lebte len kaum zu erfüllen. Elementar bei die sorgeberechtigte Großmutter in der Betreuung und Unterstützung Deutschland.5 von umF ist es daher, diese Anforde- rungen und die Rechte zu kennen, die Dabei ist nicht nur besorgniserre- den Betroffenen bei einer (drohen- gend, dass Abschiebeversuche den) Abschiebung zustehen. überhaupt vorgenommen werden, sondern dass diese z.T. auch aus Ju- Die vorliegende Arbeitshilfe soll hier- gendhilfeeinrichtungen heraus ver- zu einen Beitrag leisten und den in der sucht werden. Dabei betrifft das nicht Beratung Aktiven Orientierung bieten nur die jungen Menschen, gegen die und Handlungsoptionen aufzeigen. die Abschiebungshandlung adres- Ihr Ziel ist es, den regelmäßig auf- siert ist, sondern insbesondere auch tretenden Fragen nachzugehen, die all die anderen jungen Menschen, im Zusammenhang mit der Abschie- denen die Jugendhilfe aufgrund brü- bung von umF auftreten können. chiger Lebensbiographien Schutz Hierbei soll erklärt werden, wann und einen sicheren Ort bieten soll. und unter welchen Voraussetzungen 5 Hessenschau, Abschiebung eines Zwölfjährigen sorgt für Diskussionen 02/2018, https://www. hessenschau.de/gesellschaft/abschiebung-eines-zwoelfjaehrigen-sorgt-fuer-diskussionen,abschiebung- zwoelfjaehriger-mazedonien-100.html [letzter Abruf: 21.12.2018]. 6 Verfahrenshinweise der Ausländerbehörde Berlin vom 27.11.2018, S. 387. 7 Art. 9 Abs. 4 UN-KRK. 5
eine Abschiebung in Betracht kommt, welche Besonderheiten im sog. Dub- lin-Verfahren sowie für „Anerkannte“ (also Personen, die einen Schutzsta- tus in einem anderen europäischen Land zugesprochen bekommen ha- ben) gelten und praxisnah erläutert werden, welche Handlungsoptionen bestehen, wenn die Polizei plötzlich vor der Tür steht. Die Lektüre dieser Arbeitshilfe kann nicht den Blick in Lehrbücher und/oder Kommentare ersetzen und erst recht nicht die Be- ratung durch fachkundige Personen im Einzelfall. Sie kann aber hoffent- lich einen ersten Überblick zu einer schwierigen Thematik geben. Danksagung Die Herausgeber danken dem Bun- desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem DRK-Ge- neralsekretariat für die finanzielle Unterstützung, ohne die die Erstel- lung dieser Arbeitshilfe nicht möglich gewesen wäre. 6
Inhalt 1. Grundlagen und typische Fallkonstellationen.......................................... 8 1.1. Was ist eine Abschiebung?................................................................................ 8 1.2. Vollziehbare Ausreisepflicht.............................................................................. 8 1.3. Ablehnung des Asylantrages im nationalen Verfahren ................................... 9 1.3.1. Ablehnung als „einfach unbegründet“............................................................... 9 1.3.2. Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“................................................... 10 1.4. Ablehnung des Asylantrages als unzulässig (Dublin-/Anerkanntenfälle)..... 11 1.4.1. Asylantrag in anderem Staat nicht entschieden.............................................. 11 1.4.2. Asylantrag in anderem Staat abgelehnt........................................................... 13 1.4.3. Schutzstatus in anderem Staat zuerkannt....................................................... 13 1.4.4. Exkurs: Unzulässigkeitsentscheidungen bei Familien mit Kleinkindern bekommen....................................................................................................... 14 1.5. Verzicht auf die Einleitung eines Asylverfahrens........................................... 15 1.6. Welche Duldungsgründe können der Abschiebung entgegenstehen?......... 15 1.6.1. Reiseunfähigkeit ............................................................................................... 15 1.6.2. Fehlende Dokumente........................................................................................ 18 1.6.3. Ausbildung ........................................................................................................ 18 1.6.4. Besonderer Minderjährigenschutz ................................................................... 18 1.7. Verhältnismäßigkeit ....................................................................................... 20 1.8. Wird die Abschiebung angekündigt?.............................................................. 21 1.9. Zwischenfazit .................................................................................................. 22 2. Drohende Abschiebung – was tun?..........................................................23 2.1. Einstweiliger Rechtsschutz............................................................................. 23 2.2. Anwesenheitsrecht – gibt es „vormundfreie“ Räume?.................................. 24 2.2.1. Jugendhilfeeinrichtung und Grundrechteschutz nach Art. 13 GG? ................ 26 2.2.2. Verhältnismäßigkeit.......................................................................................... 29 2.2.3. Fallkonstellation: Der/die Jugendliche wird trotzdem mitgenommen........... 31 2.2.4. Praktische Tipps und Hinweise......................................................................... 32 7
1. Grundlagen und typische Fallkonstellationen 1.1. Was ist eine Abschiebung? Unter Abschiebung versteht man die erneut zu prüfen.9 Wurde zum Bei- zwangsweise Durchsetzung der Aus- spiel ein Asylantrag bestandskräftig reisepflicht.8 Die Abschiebung stellt abgelehnt, wird im Rahmen der Ab- einen sog. Realakt dar, sie ist schlich- schiebung nicht erneut kontrolliert, tes Verwaltungshandeln im Rahmen ob die Ablehnung möglicherweise zu der Verwaltungsvollstreckung. Die Unrecht erfolgte. Rechtsschutz gegen einzelnen Voraussetzungen des zu- die Abschiebung kann allerdings den- grunde liegenden Verwaltungsaktes noch erlangt werden (s.u. Ziff. 2). sind während der Abschiebung nicht 1.2. Vollziehbare Ausreisepflicht Wann eine Abschiebung vollzogen Ausreisepflichtig ist eine Person, werden kann, richtet sich nach § 58 wenn sie keinen Aufenthaltstitel Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Nach (mehr) besitzt11 – etwa nach dem Absatz 1 ist ein/e Ausländer/in abzu- (endgültigen) negativen Abschluss schieben, wenn die des Asylverfahrens oder aber, wenn • Ausreisepflicht vollziehbar ist, weder ein Asylantrag gestellt (und • eine Ausreisefrist nicht gewährt positiv entschieden) noch aus ande- wurde oder diese abgelaufen ist, rem Grund eine Aufenthaltserlaub- und nis von der Ausländerbehörde erteilt • die freiwillige Erfüllung der wurde. Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder die Überwachung der Vollziehbar ist die Ausreisepflicht Ausreise erforderlich ist. insbesondere, wenn die ablehnende behördliche Entscheidung bestands- Zentrale Voraussetzung einer Ab- kräftig geworden ist – also entweder schiebung ist also, dass der/die die Rechtsmittelfrist abgelaufen oder Ausländer/in vollziehbar ausreise- eine negative gerichtliche Entschei- pflichtig ist.10 dung ergangen (und hiergegen nicht weiter vorgegangen wurde) sowie die 8 Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage, 2016, § 58 Rn. 2. 9 Hocks, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 58, Rn. 1. 10 § 58 AufenthG. 11 § 50 AufenthG. 8
Frist zur freiwilligen Ausreise abge- • bei einer Ablehnung des Asyl- laufen ist.12 antrages als „unzulässig“ (dazu 1.4); Im Rahmen der Betreuung von umF • bei einem Verzicht auf die Ein- sind insbesondere drei Konstellatio- leitung eines Asylverfahrens bei nen denkbar, in denen die vollziehba- gleichzeitiger Ablehnung eines re Ausreisepflicht und damit letztlich Antrages auf Erteilung einer Auf- eine Abschiebung drohen kann: enthaltserlaubnis (dazu 1.5). • bei einer Ablehnung des Asylan- trages im nationalen Verfahren (dazu 1.3); 1.3. Ablehnung des Asylantrages im nationalen Verfahren Die wohl am häufigsten vorkommen- kein Raum ist für die Feststellung de Fallkonstellation bei der Betreu- von nationalen Abschiebungsverbo- ung von umF und jungen Volljährigen ten. Mit dem negativen Bescheid des ist die Ablehnung des Asylantrages BAMF wird neben der Ablehnung auch im nationalen Verfahren. Dabei muss die sog. Abschiebungsandrohung13 dringend unterschieden werden zwi- erlassen und eine Frist zur freiwilli- schen der Ablehnung als „einfach un- gen Ausreise von 30 Tagen gesetzt. begründet“ und „offensichtlich unbe- Die Abschiebungsandrohung soll den gründet“. Staat bezeichnen, in den der/die Aus- länder/in abgeschoben werden soll. Grundsätzlich kommt auch eine Ab- 1.3.1. Ablehnung als „einfach schiebung in einen anderen Staat in unbegründet“ Betracht, wenn der/die Ausländer/ in in diesen Staat einreisen darf oder Die Ablehnung eines Asylantrages als der Staat zu der Rücknahme ver- „einfach unbegründet“ beschreibt pflichtet ist.14 Wurde ein Asylantrag die Feststellung des Bundesamtes auf diese Weise abgelehnt, kann hier- für Migration und Flüchtlinge (BAMF), gegen innerhalb von zwei Wochen15 dass weder die Voraussetzungen des Klage vor dem zuständigen Verwal- Flüchtlingsschutzes noch des subsi- tungsgericht erhoben werden, die diären Schutzes vorliegen und auch aufschiebende Wirkung entfaltet.16 12 § 58 Abs. 2 AufenthG. 13 § 34 AsylG iVm § 59 AufenthG. 14 § 34 AsylG iVm § 59 Abs. 2, 3 AufenthG. 15 § 74 Abs. 1 S. 1 AsylG. 16 § 74 Abs. 1 S. 1 iVm § 38 Abs. 1 AsylG. 9
Wird die Klage fristgerecht erho- über diesen Antrag bleibt der/die Be- ben, ist die betroffene Person wäh- troffene gestattet und somit vor einer rend des Klageverfahrens vor einer Abschiebung asylrechtlich geschützt. Abschiebung geschützt und kann Erst mit Eintritt der Rechtskraft nicht abgeschoben werden. Gegen lebt die Frist zur freiwilligen Ausrei- eine ablehnende Entscheidung des se wieder auf und der/die Betroffe- Verwaltungsgerichts kann ein (nur ne ist vollziehbar ausreisepflichtig. extrem selten erfolgreicher) Antrag Liegen keine Duldungsgründe vor, auf Zulassung der Berufung gestellt droht die Abschiebung. werden. Auch bis zur Entscheidung Beispiel: 1. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt. 2. Der Antrag auf Asylanerkennung wird abgelehnt. 3. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkannt. 4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor. 1.3.2. Ablehnung als „offen- sich von der einfachen Ablehnung sichtlich unbegründet“ insbesondere dadurch, dass eine Kla- ge gegen den Bescheid keine auf- Insbesondere bei der Betreuung von schiebende Wirkung hat und daher jungen Volljährigen aus Ländern, die zusätzlich zur Klage ein Antrag auf auf der Liste der sog. „sicheren Her- Anordnung der aufschiebenden Wir- kunftsstaaten“ stehen, begegnet Un- kung (häufig als Eilantrag bezeichnet) terstützer/innen von (ehemals) umF nötig ist. Wird dieser Eilantrag ab- auch die deutlich schärfere Ableh- gelehnt, besteht eine vollziehbare nungsform „offensichtlich unbegrün- Ausreisepflicht. Auch hier gilt dann: det“. Asylanträge von umF, die nicht Liegen keine Duldungsgründe vor, aus den sog. „sicheren Herkunfts- droht die Abschiebung. staaten“ kommen, dürfen nicht als „offensichtlich unbegründet“ abge- lehnt werden.17 Diese unterscheidet 17 Artikel 25 Abs. 6 lit. a i.V.m. Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU. 10
1. Der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt. 2. Der Antrag auf Asylanerkennung wird als offensichtlich unbegründet abgelehnt. 3. Der subsidiäre Schutzstatus wird nicht zuerkannt. 4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes liegen nicht vor. 1.4. Ablehnung des Asylantrages als unzulässig (Dublin-/Anerkanntenfälle) Von großer praktischer Bedeutung ist sonders genau zu prüfen, welche auch die Frage, wie mit Fällen umzu- Fallkonstellation bei dem oder der gehen ist, in denen die Zuständigkeit betreuten Jugendlichen bzw. jungen eines anderen Staates und damit die Volljährigen vorliegt. Nachstehend Unzulässigkeit des Asylantrages in die derzeit am häufigsten vorkom- Deutschland droht. Wird ein Asylan- menden Sachverhalte: trag gestellt, prüft das BAMF in der Regel zunächst, ob Deutschland für die Prüfung des Asylantrages zustän- 1.4.1. Asylantrag in anderem dig ist. Stellt die Behörde dabei fest, Staat nicht entschieden dass bereits in einem anderen Mit- gliedstaat der Europäischen Union, Hat eine Person als Minderjährige/r Schweiz, Liechtenstein, Norwegen (über ihre/n/seine/n Vormund/in) oder Island ein Asylantrag gestellt einen Asylantrag in Deutschland ge- wurde (und über diesen vielleicht stellt und liegt aus einem anderen sogar bereits entschieden wurde), Dublin-Staat lediglich eine Regist- wird der Asylantrag als unzulässig rierung (ohne Asylantrag) oder die abgelehnt. Das BAMF prüft dann nur Information vor, dass über den dort noch, ob die Voraussetzungen für gestellten Asylantrag noch nicht ent- den Erlass von nationalen Abschie- schieden wurde, droht nach derzeiti- beverboten gem. § 60 Abs. 5 oder ger Rechtslage keine Abschiebung in Abs. 7 AufenthG vorliegen. In diesem den anderen Dublin-Staat. Dies folgt Zusammenhang lohnt es sich, be- aus einer Entscheidung des Euro- 11
(© BAfF e.V.) Auch bei umF und jungen Volljährigen werden häufig die Asylanträge abgelehnt – sie benötigen bei den Klagen dringend rechtliche Unterstützung. päischen Gerichtshofs (EuGH) vom antragstellung maßgeblich.20 Wenn 06.06.201318 und der sich anschlie- also ein/e unbegleitete/r minderjäh- ßend hierzu etablierten Rechtspra- rige/r Asylsuchende/r in Deutschland xis. Bei unbegleiteten minderjähri- vor dem 18. Geburtstag einen Asyl- gen Asylsuchenden gelten demnach antrag stellt, dann darf keine Über- wichtige Ausnahmen bezüglich des stellung in einen anderen Staat nach Dublin-Regimes. Für diese Personen- der Dublin-III-VO erfolgen. Ergeht in gruppe soll – anders als für Erwach- dieser Fallkonstellation dennoch ein sene – gerade nicht ausschlaggebend Unzulässigkeitsbescheid mit einer sein, wo sie ihren ersten Asylantrag Abschiebungsanordnung, sollte drin- gestellt haben oder über die euro- gend im Rechtsmittelwege hiergegen päische Außengrenze auf europäi- vorgegangen werden, um den Behör- schem Boden gelangt sind, sondern denfehler zu beseitigen. Schnelles in allererster Linie die Anwesenheit Handeln ist dabei geboten – zusätz- von Familienangehörigen in einem lich zur Klage ist nämlich ein Eilantrag anderen Dublin-Staat.19 Sind keine erforderlich, für den nur eine Woche Familienangehörigen in einem Dub- nach Zustellung des Bescheides Zeit lin-Staat, so ist die letztmalige Asyl- bleibt.21 18 EuGH, 06.06.2013 – C-648/11. 19 Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO. Zu der Familienzusammenführung nach Dublin finden Sie hier: https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/02_2018_Familienzusammenfu__hrungen.pdf Informationen zu Verfahren und Voraussetzungen. 20 Art. 8 Abs. 3 Dublin III-VO. 21 § 34a Abs. 2 AsylG. 12
1.4.2. Asylantrag in anderem Im Fazit gilt für alle Konstellationen: Staat abgelehnt Kommt es nach der Ablehnung ei- nes Asylantrages in einem anderen Eine besonders schwierige Fallkons- Dublin-Staat zu einem Unzulässig- tellation liegt vor, wenn der Schutz- keitsbescheid in Deutschland, sollte antrag einer Person, die minderjäh- umgehend rechtlicher Rat eingeholt rig einen (weiteren) Asylantrag in werden, da auch hier schnelles Han- Deutschland gestellt hat, in einem an- deln geboten ist und die Ablehnung deren Dublin-Staat bereits abgelehnt im anderen Dublin-Staat zudem nicht wurde. Mit Teilen der Rechtspre- selten in Kombination mit einer feh- chung22 wird davon ausgegangen, lerhaften Altersfestsetzung auftritt. dass auch in diesen Fällen das oben zitierte EuGH-Urteil vom 06.06.2013 volle Wirkung entfaltet, der letztmali- 1.4.3. Schutzstatus in anderem ge Asylantrag also ausschlaggebend Staat zuerkannt für Zuständigkeit der Durchführung des Asylverfahrens ist (s. unter 1.4.1.). Problematisch sind außerdem Fälle, Teilweise wird jedoch argumentiert, in denen bereits über den Asylan- der Antrag sei in dieser Konstellation trag in einem anderen Mitgliedstaat als unzulässig abzulehnen, weil die der Europäischen Union positiv ent- Zuständigkeit des Erstantragsstaates schieden wurde. Hat ein anderer angenommen werden müsse – die Dublin-Staat dem/der Betroffenen oben dargestellte Rechtsprechung den Flüchtlingsschutz oder den sub- des EuGHs wird hier also nicht für sidiären Schutzstatus zuerkannt, anwendbar gehalten, da es sich um wird das BAMF den Asylantrag als einen sog. Zweitantrag handele. unzulässig ablehnen und nur prü- Wird dieser als Zweitantrag gewer- fen, ob Abschiebungsverbote vor- tete Asylantrag negativ beschieden, liegen. Die aus der Rechtsprechung etwa, weil keine neuen Beweismittel des EuGHs folgenden Privilegien für vorgelegt wurden oder sich die dem Minderjährige (s.o.) gelten dann ge- Verwaltungsakt zugrunde liegende rade nicht mehr, weil die Dublin-VO Sach- oder Rechtslage nachträglich schlicht nicht mehr anwendbar ist. nicht zugunsten des Betroffenen ge- Minderjährige teilen in dieser Fall- ändert hat, kann die Abschiebung in konstellation vielmehr das Schick- den Herkunftsstaat angeordnet wer- sal von Erwachsenen und müssen den. In dem Fall kann mit der oben versuchen, auf gerichtlichem Wege zitierten Rechtsprechung des EuGH gegen den Unzulässigkeitsbescheid nicht mehr unmittelbar argumentiert anzukämpfen, um zu vermeiden, werden, weil sich der Betroffene nicht vollziehbar ausreisepflichtig zu wer- mehr im Dublin-Verfahren befindet. den. Die konkrete Rechtsschutzform 22 OVG Saarlouis 9.12.2014 – 2 A 313/13, JAmt 2015, S. 154. 13
hängt dabei maßgeblich davon ab, erhebliche konkrete Gesundheitsge- für welche Bescheidform sich die Be- fahren für die in besonderem Maße hörde entscheidet.23 auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen, wenn es belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von 1.4.4. Exkurs: Unzulässigkeits- Kapazitätsengpässen bei der Unter- entscheidungen bei Familien bringung rückgeführter Asylsuchen- mit Kleinkindern bekommen der gibt.24 Das BAMF hat bereits vor dem Er- Maßgeblich ist hierbei eine konkrete lass der Abschiebungsanordnung bei und individuelle Zusage. Eine blo- der Überstellung von Familien mit ße Bestätigung der Behörde eines Neugeborenen und Kleinstkindern Mitgliedstaats, dass die betroffene bis zum Alter von drei Jahren in Ab- Familie nach der Überstellung in ein stimmung mit den Behörden des bestimmtes Projekt übernommen Zielstaats sicherzustellen, dass die werde, stellt keine ausreichende Ga- Familie bei der Übergabe an diese rantieerklärung dar.25 eine gesicherte Unterkunft erhält, um Übersicht Rechtsmittel: 1.2 Ablehnung als „einfach unbegründet“: Klagefrist 2 Wochen 1.3 Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“: Klagefrist und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche 1.4 Ablehnung des Asylantrages als „unzulässig“ (Dublin-/Anerkanntenfälle) 1.4.1 Asylantrag in anderem Staat nicht entschieden: Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche 1.4.2 Asylantrag in anderem Staat abgelehnt: Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO: 1 Woche 1.4.3 Schutzstatus in anderem Staat zuerkannt: Klage und Eilantrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO26: 1 Woche 23 Da das BAMF in dieser Konstellation z.T. von der gesetzlichen Regelung abweicht, sollte entweder sofort anwaltlicher Rat eingeholt werden oder der/die nicht anwaltlich vertretene Minderjährige sollte sich an die Vorgaben der Rechtsbehelfsbelehrung halten. 24 EGMR, Urteil vom 04.11.2014, Nr. 29217/12 (Tarakhel). 25 BVerfG, Beschluss vom 17.04.2015, 2 BvR 602/15. 26 Beachte Fußnote 23. 14
1.5. Verzicht auf die Einleitung eines Asylverfahrens Die vollziehbare Ausreisepflicht enthaltserlaubnis abgelehnt und die kann schließlich auch dann eintre- Abschiebung angedroht, beträgt die ten, wenn der/die Vormund/in sich Klagefrist einen Monat.28 Die Klage gegen die Einleitung eines Asylver- und ein eventuell erforderlicher Wi- fahrens entschieden hat, stattdessen derspruch entfalten in diesen Fällen einen Antrag auf Erteilung einer Auf- keine aufschiebende Wirkung29, so- enthaltserlaubnis27 gestellt hat und dass zusätzlich ein Antrag gem. § 80 dieser Antrag abgelehnt wurde. Wird Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsord- ein Antrag auf Erteilung einer Auf- nung (VwGO) zu stellen ist. 1.6. Welche Duldungsgründe können der Abschiebung entgegenstehen? Bevor die Abschiebung einer vollzieh- bar ausreisepflichtigen Person tat- 1.6.1. Reiseunfähigkeit sächlich – und rechtmäßig – durch- geführt werden kann, muss geprüft Der Abschiebung kann die Reiseun- werden, ob die Vollzugsmaßnahme fähigkeit des/der Minderjährigen hindernde Gründe, d.h. Duldungs- oder jungen Volljährigen entgegen- gründe, vorliegen. Dabei unterschei- stehen. den sich die möglichen Duldungs- gründe in Verfahren mit Beteiligung Das Vorliegen der Reiseunfähigkeit von umF zunächst nicht von denen muss die mit der Abschiebung be- in Verfahren mit Beteiligung von Er- fasste Behörde allerdings nicht von wachsenen. Der Abschiebung können sich aus prüfen. Vielmehr vermutet somit rechtliche, tatsächliche und/ das Gesetz grundsätzlich erst einmal, oder dringende persönliche bzw. hu- dass die vollziehbar ausreisepflichti- manitäre Duldungsgründe entgegen- ge Person gesund genug ist, um die stehen. Von besonderer Bedeutung Abschiebung durchzustehen.30 Diese sind in der Regel die Duldung wegen Vermutung kann nur widerlegt wer- Reiseunfähigkeit, wegen fehlender den, indem die Person eine sog. qua- Heimreisedokumente, weil eine Aus- lifizierte ärztliche Bescheinigung bei bildung begonnen wurde und – ins- der mit der Abschiebung befassten besondere bei umF – aus Gründen Behörde einreicht. des Minderjährigenschutzes. 27 Bspw. § 25 Abs. 3 AufenthG. 28 § 74 VwGO. 29 § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. 30 § 60 a Abs. 2 c AufenthG. 15
Die Anforderungen an diese sog. qua- lich“ bei den Behörden vorgelegt lifizierte ärztliche Bescheinigung sind werden.32 Unter „unverzüglich“ wird jedoch hoch. Damit eine ärztliche Be- ein Zeitraum von höchstens zwei Wo- scheinigung zu einer „qualifizierten“ chen verstanden.33 Bescheinigung wird, müssen folgen- de Kriterien erfüllt sein: Wenn die Bescheinigung erst zwei • tatsächliche Umstände, auf Wochen nach ihrer Ausstellung vor- deren Grundlage eine fachliche gelegt wird, geht die Ausländerbehör- Beurteilung erfolgt ist; de in der Regel davon aus, dass die • die Methode der Tatsachenerhe- Bescheinigung nicht mehr „unver- bung; züglich“ vorgelegt wurde. Das Gesetz • die fachlich-medizinische Be- sieht dann vor, dass diese Beschei- urteilung des Krankheitsbildes nigung nicht berücksichtigt werden (Diagnose); darf. Das bedeutet, dass die Auslän- • den Schweregrad der Erkran- derbehörde ohne Berücksichtigung kung; der ärztlichen Bescheinigung weiter • Folgen, die sich nach ärztlicher davon ausgeht, dass die Person rei- Beurteilung aus der krankheits- sefähig ist und abgeschoben werden bedingten Situation voraussicht- kann. liche ergeben. Wenn die qualifizierte ärztliche Be- Die Bescheinigung muss von einem scheinigung rechtzeitig vorgelegt Arzt oder eine Ärztin ausgestellt wer- wurde, kann die Ausländerbehörde den.31 In der Praxis gestaltet es sich eine ärztliche Untersuchung durch in vielen Teilen Deutschlands sehr einen Amtsarzt/eine Amtsärztin an- schwer, eine solche Bescheinigung ordnen. Dieser Termin sollte unbe- zu erhalten, da die Anforderungen dingt in Begleitung einer Bezugs- sehr hoch sind und oft monatelang person wahrgenommen werden. Der auf einen Termin bei einer Ärztin oder Amtsarzt/die Amtsärztin sind jedoch einem Arzt gewartet werden muss. nicht verpflichtet, die Anwesenheit Sollte die Person es trotzdem ge- der Bezugsperson bei der Unter- schafft haben, eine entsprechende suchung zu gestatten, wenn davon qualifizierte ärztliche Bescheinigung ausgegangen werden kann, dass das zu erhalten, muss diese „unverzüg- Untersuchungsergebnis dadurch be- 31 Eine Bescheinigung beispielsweise von Psychologischen Psychotherapeuten / -therapeutinnen oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen / -therapeuten sind nicht ausreichend (Allgemeine Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zur Duldungserteilung nach § 60 a AufenthG, S. 15, https://www.frsh.de/fileadmin/pdf/behoerden/ Erlasse_ab_2012/BMI_Entwurf_Allgemeine-Anwendungshinweise-_60aAufenthG_20170424.pdf )[letzter Abruf: 21.12.2018]. 32 § 60a Abs. 2d S. 1 AufenthG. 33 A.a.O. Fn. 31. 16
(CC0 Nietjuh / pixabay.de) Die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind hoch und sie muss den Be- hörden unverzüglich vorgelegt werden. einträchtigt werden könnte.34 Wenn sichtigt wurde. Die mit der Abschie- der Termin ohne Entschuldigung bung befasste Behörde sollte unbe- nicht wahrgenommen wird, ist die dingt über den gestellten Eilantrag Ausländerbehörde berechtigt, die informiert werden. Zusätzlich sollte vorgetragenen Erkrankung nicht zu das Gericht dazu angehalten werden, berücksichtigen.35 der Behörde mitzuteilen, dass es von einem „Stillhalten“ der Behörde bis Wird die ärztliche Bescheinigung erst zur Entscheidung über den Eilantrag eingereicht, wenn die Abschiebung ausgeht.36 akut droht, sollte zusätzlich ein Eil- antrag beim zuständigen Verwal- tungsgericht gestellt werden, um zu verhindern, dass die Abschiebung erfolgt, ohne dass die Bescheinigung durch die Ausländerbehörde berück- 34 Vgl. hierzu RA Joachim Francke, Ist die Anwesenheit von Begleitpersonen bei medizinischen Begutachtungen zuzulassen? 28.01.2013, http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/ foren/c/2013/C1-2013_Anwesenheit_Begleitpersonen_bei_Begutachtung.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018] 35 § 60 a Abs. 2 d S. 3 AufenthG. 36 Die Vorkommnisse der vergangenen Monate haben in diesem Zusammenhang zu einem massiven Vertrauensverlust gegenüber den Behörden geführt, da – jedenfalls nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen – Hinweise dazu vorliegen, dass in Einzelfällen Abschiebungen trotz noch laufender Gerichtsverfahren vorangetrieben wurden. 17
1.6.2. Fehlende Dokumente hin nicht erkannt haben und diese restriktiv anwenden. Bezüglich der Soweit der/die Jugendliche bzw. Einzelheiten und der bestehenden junge Volljährige nicht abgeschoben Anwendungsprobleme bei der Aus- wird, weil seine oder ihre Identität bildungsduldung wird auf die zahl- nicht abschließend geklärt und daher reichen Ratgeber und Arbeitshilfen auch nicht das Rücknahmeverspre- verwiesen, die inzwischen erhältlich chen des vermeintlichen Aufnahme- sind.38 staates eingeholt werden kann, stellt auch dies einen Duldungsgrund dar. Die Praxis zeigt jedoch, dass es sich 1.6.4. Besonderer Minderjähri- hierbei um den unsichersten und ver- genschutz mutlich auch unangenehmsten Dul- dungsgrund handelt, weil er jederzeit Einen besonderen Duldungsgrund für wegfallen kann und die Ausländerbe- unbegleitete Minderjährige enthält hörden starken Druck hinsichtlich der schließlich § 58 Abs. 1 a AufenthG.39 Mitwirkungspflichten ausüben.37 Diese Vorschrift verlangt, dass der/ die Minderjährige im Zielland einer geeigneten Einrichtung oder einer 1.6.3. Ausbildung sorgeberechtigten Person übergeben werden kann. Von enorm großer praktischer Be- deutung ist der Duldungsgrund der Die Anforderungen an diesen Nach- qualifizierten Berufsausbildung in weis sind aus Gründen des Minder- § 60a Abs. 2 S. 4 ff AufenthG. Der jährigenschutzes extrem hoch. In der Gesetzgeber hat hiermit auf den Praxis können sie kaum erfüllt wer- großen Wunsch der deutschen Wirt- den: schaft nach Arbeitskräften reagiert und einen Anspruch auf die Erteilung Nach der Rechtsprechung des Bun- der sogenannten Ausbildungsdul- desverwaltungsgerichts40 reicht dung formuliert. Bedauerlich ist in dabei nämlich nicht die abstrakte diesem Zusammenhang, dass einige Möglichkeit aus, der/die Minderjähri- Ausländerbehörden – insbesonde- ge werde an Verwandte übergeben. re in Bayern – den Sinn und großen Vielmehr müssen „die Ausländerbe- Nutzen dieser Regelung auch weiter- hörden – und ggf. die Verwaltungs- 37 Zu den Mitwirkungspflichten Themenschwerpunkt im Asylmagazin 1 – 2/2018, S. 7–28, https:// www.asyl.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2018/AM18-1-2_thema_ mitwirkungspflichten.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018]. 38 Siehe z.B. https://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/ ausbildungsduldung.pdf m.w.N. [letzter Abruf: 21.12.2018]. 39 § 58 Abs. 1 a AufenthG setzt Art. 10 der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) um. 40 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 -BVerwG 10 C 13.12. 18
gerichte – in jedem Einzelfall die derjährigen aufzunehmen, sind in Überzeugungsgewissheit davon ver- diesem Kontext irrelevant und ent- schaffen, dass die Übergabe des un- binden die Ausländerbehörde nicht begleiteten Minderjährigen an eine von ihrer Nachweispflicht, die sich in der Vorschrift genannte Person allein nach den oben dargestellten oder Einrichtung nicht nur möglich Grundsätzen richtet. ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird (konkrete Möglichkeit der Über- Der Minderjährigenschutz, der in die- gabe).“41 Diese konkrete Möglichkeit ser Regelung Ausdruck findet, ver- der Übergabe an die in der Norm ge- pflichtet außerdem die Ausländer- nannten Stellen oder Personen muss behörde, den/die Vormund/in bzw. zur Überzeugung der Ausländerbe- rechtliche Vertretung des/der Min- hörde sowie – im Falle der Ergreifung derjährigen über den Ausgang der von Rechtsmitteln – der Verwaltungs- Ermittlung in Kenntnis zu setzen gerichte feststehen. Der Verwaltungs- und zwar so, dass diese/r die Möglich- gerichtshof Baden-Württemberg hat keit hat, das Ergebnis der Ausländer- in einer aktuellen Entscheidung42 die behörde (gerichtlich) überprüfen zu Voraussetzungen weiter konkreti- lassen. Entgegen der Auffassung vie- siert. Danach folgt u.a. auch aus der ler Ausländerbehörden ist dies auch vorrangigen Berücksichtigung des nicht entbehrlich geworden, weil Kindeswohls nach Art. 3 UN-Kinder- Abschiebungen seit Oktober43 nicht rechtskonvention (UN-KRK), dass mehr angekündigt werden dürfen.44 auch die konkrete Eignung der Auf- Die hier beschriebene Mitteilungs- nahmeeinrichtung in diesem Kon- pflicht der Ausländerbehörden ge- text ausschlaggebend ist. Hierzu hat genüber der rechtlichen Vertretung sich die Ausländerbehörde nicht nur des Minderjährigen knüpft nämlich über die grundsätzlichen Strukturen an die Vergewisserungspflicht der vor Ort zu informieren, sondern ganz Ausländerbehörde sowie der Rechts- konkret über das Bestehen und zur schutzgarantie aus Art. 19 Grund- Verfügungstehen eines Platzes in gesetz (GG) an.45 Unangekündigte einer für die/den jeweilige/n Minder- Abschiebungen von unbegleiteten jährige/n geeigneten Einrichtung. Minderjährigen sind deshalb von vor- Die Bereitschaft der Behörden im neherein unzulässig. Zielland, etwa aufgrund von Abkom- men oder aufgrund von Zusagen im Einzelfall, den abgeschobenen Min- 41 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 -BVerwG 10 C 13.12. 42 VGH Mannheim 22.5.2017 – 11 S 322/17, JAmt 2017, S. 460. 43 BGBl. I 2015, S. 1722. 44 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG. 45 BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 13.12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.05.2017-11 S 322/17. 19
1.7. Verhältnismäßigkeit Da die Abschiebung eine Zwangs- hältnismäßigkeitsgrundsatz in Ein- maßnahme darstellt, kann diese nur klang zu bringen. unter Wahrung der Verhältnismä- ßigkeit erfolgen. Möchte sich der/die In Fällen, in denen (begleitete) Min- Betroffene gegen eine Abschiebung derjährige abgeschoben werden sol- wehren bzw. die Art und Weise der len, die zur Schule gehen, ist darüber Durchführung gerichtlich überprüfen hinaus zu berücksichtigen, dass das lassen, so ist hierauf ein besonderes Recht das Schuljahr zu beenden ein Augenmerk zu legen. Denn die Be- dringender persönlicher Grund im hörde hat bei Ergreifung staatlicher Rahmen der Ermessensduldung48 Zwangsmaßnahmen besonders sen- darstellt und sich gemeinsam mit sibel zu prüfen, wie sie ihr Ziel er- dem vorrangig zu berücksichtigen- reicht, ohne übermäßig in die Rechte den Kindeswohl – auch von der Aus- der betroffenen Person einzugreifen. länderbehörde – zu einem Anspruch verdichten kann.49 Zu den Besonder- Eine konsequente Anwendung des heiten, die gelten, wenn junge Men- Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes schen in Jugendhilfeeinrichtungen führt z. B. dazu, dass sich Abschie- leben, s. unter Ziff. 2.2. ff. bungen aus Schulen bspw. immer verbieten, insbesondere wenn da- mit einher geht, dass Schüler/innen aus dem Unterricht geholt, vor allen anderen bloßgestellt werden und damit Unruhe in die Klasse oder die Einrichtung getragen wird.46 Die Poli- zei hat hier zu berücksichtigen, dass es keine sachliche Notwendigkeit gibt, die Abschiebung gerade von der Schule (oder vom Kindergarten) aus vorzunehmen und auf diese Weise den staatlichen Bildungsauftrag zu stören.47 Auch die Anwendung von Gewalt – vor allem gegenüber jungen Menschen – ist kaum mit dem Ver- 46 RA Hubert Heinhold, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Bayern, Abschiebung aus Schulen und Betrieben, Juni 2017, S. 5. https://www.gew-bayern.de/fileadmin/ media/publikationen/by/Flugblaetter/GEW_Leitfaden_Abschiebung_Schule_Bayern_Heinhold_ Juni_2017.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018]. 47 A.a.o. Fn. 45. 48 Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage, § 60a Rn. 36. 49 Art. 3 Abs. 1 UN-KRK. 20
(CC0 Wokandapix/ pixabay.de) Eine konsequente Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt z. B. dazu, dass sich Ab- schiebungen aus Schulen immer verbieten. 1.8. Wird die Abschiebung angekündigt? Grundsätzlich darf nach Ablauf der Bei unbegleiteten Minderjährigen o.g. Frist zur freiwilligen Ausreise der hingegen gilt, dass eine bevorstehen- Termin der Abschiebung nicht ange- de Abschiebung bzw. das Ergebnis kündigt werden.50 Etwas anderes gilt der Ermittlung, ob eine Abschiebung nur dann, wenn eine Person ein Jahr in Einklang mit § 58 Abs. 1a AufenthG oder länger geduldet wurde und die durchgeführt werden kann, dem/der Duldung widerrufen wird, weil der Vormund/in immer rechtzeitig mitge- Duldungsgrund entfallen ist.51 Endet teilt werden muss. Diese/r muss die die Duldung durch Ablauf der Gültig- Möglichkeit haben, das Ergebnis der keitsdauer oder erlischt sie durch Ein- Ausländerbehörde gerichtlich über- treten einer auflösenden Bedingung, prüfen zu lassen und sich hiergegen dann bedarf es keiner vorherigen An- zu wehren (s. unter Ziff. 1.6.4).53 kündigung.52 50 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG. Dies gilt aber nur für die Mitteilung des Abschiebungstermins selbst, nicht aber für die Mitteilung darüber, ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Abschiebung schon erfüllt sind. 51 § 60 a Abs. 5 S. 4 AufenthG. 52 Bruns, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, 2016, § 60a, Rn. 42. Da die Ausländerbehörde in einem solchen Fall unter Umständen ein Festnahmerecht gem. § 62 Abs. 5 AufenthG zusteht, bietet es sich an, deutlich vor Ablauf der Duldung bei der Ausländerbehörde vorzusprechen. 53 § 59 Abs. 1 S. 8 AufenthG. 21
1.9. Zwischenfazit Wie dargestellt, ist eine Abschiebung Härtefallverfahren oder im Wege ei- von unbegleiteten Minderjährigen nes Asylfolgeantrages erfolgen kann. nur in wenigen Ausnahmefällen rechtmäßig. Gerade bei Personen aus den sog. si- cheren Herkunftsstaaten sollte in die- Grundsätzlich sollte bei einer nega- sem Kontext auch immer an die Auf- tiven Entscheidung im Asylverfahren enthaltserlaubnis aus humanitären dringend die Einlegung von Rechts- Gründen gem. § 25 Abs. 3 AufenthG mitteln durch eine/n auf das Asyl- wegen des Bestehens von Abschie- recht spezialisierte/n Rechtsanwäl- beverboten etwa wegen katastropha- tin/Rechtsanwalt geprüft werden. ler Versorgungslage im Zielstaat bei Scheitert der Versuch der Aufent- umF54 oder gesundheitlichen Gründe haltssicherung auf asylrechtlichem gedacht werden.55 Wege endgültig (also auch vor Ge- richt), muss die Ausländerbehörde Gelingt die Aufenthaltssicherung auf die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 a keinem der genannten Wege und AufenthG und das Vorliegen weiterer steht die Abschiebung tatsächlich un- Duldungsgründe prüfen. Hierbei soll- mittelbar bevor, kann noch versucht ten sich die Betroffenen nicht auf den werden, diese mittels gerichtlicher Amtsermittlungsgrundsatz der Aus- Eilentscheidung zu verhindern (dazu länderbehörden verlassen, sondern s. unter Ziff. 2.). stattdessen proaktiv auf bestehende Duldungsgründe hinweisen. Dies gilt in besonderem Maße in Bezug auf das Vorliegen von gesundheitlichen Einschränkungen, da diesbezüglich – wie oben gezeigt – der Amtsermitt- lungsgrundsatz durch den Gesetzge- ber zu Lasten der Betroffenen einge- schränkt wurde. Die Betroffenen und ihre Betreuer/ innen sollten während des gesamten Verfahrens zudem stets überprüfen, ob die Aufenthaltssicherung über Bleiberechtsregelungen (§ 25a Auf- enthG), humanitäre Regelungen (z. B. § 25 Abs. 5 AufenthG), Petitions- bzw. 54 BVerwG v. 13.06.2013 -- 10 C 13.12. 55 § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. 22
2. Drohende Abschiebung – was tun? Im Idealfall gelingt die Aufenthaltssi- derjähriger bei der Ausländerbehör- cherung auf einem der oben genann- de festgenommen und im direkten ten Wege. Anschluss abgeschoben, obwohl dem Vormund zuvor mehrfach mündlich Was ist jedoch, wenn die Person bei- mitgeteilt wurde, dass bei der Vor- spielsweise im Rahmen der Verlänge- sprache keine Festnahme erfolgen rung einer Duldung festgenommen würde und sowohl mit der Auslän- wird? Verwiesen sei beispielsweise derbehörde als auch dem zuständi- auf dem im Vorwort genannten Fall: gen Sozialamt die freiwillige Ausreise Hier wurde eine unbegleiteter Min- besprochen worden war. 2.1. Einstweiliger Rechtsschutz In einem solchen Fall sollte sofort Im Falle der Volljährigkeit gestaltet – wenn möglich – die zuständige sich dies schwieriger. Rechtsanwältin oder der zuständige Rechtsanwalt informiert werden. Ist Ist die aufenthaltsrechtliche Situa- ein Rechtsanwalt / eine Rechtsanwäl- tion der/des jungen Volljährigen un- tin noch nicht mandatiert und muss sicher, ist es daher dringend ratsam, es schnell gehen, sollte ein Eilantrag frühzeitig Kontakt zu einer/einem auf gem. § 123 VwGO auf vorläufige Aus- Asyl- und Aufenthaltsrecht spezia- setzung der Abschiebung an das zu- lisierten Rechtsanwältin/Rechtsan- ständige Verwaltungsgericht gefaxt walt aufzunehmen. Sollte noch kein werden. Der Antrag ist bei Minder- Anwalt / keine Anwältin mandatiert jährigen durch den/die Vormund/ sein, sollte eine Vollmacht des/der in zu stellen. In dem Antrag muss so jungen Volljährigen vorgehalten wer- genau wie möglich dargelegt werden, den, um kurzfristig Rechtsbeistand weshalb eine Abschiebung rechts- beauftragen zu können. widrig sein könnte. Liegen zum Bei- spiel neue ärztliche Bescheinigungen Falls dies nicht möglich sein sollte, vor, sind diese ebenfalls zu übersen- gestaltet sich die Situation schwie- den. Die Ausländerbehörde und auch rig, da junge Volljährige Eilanträge die Bundespolizei sollten umgehend an das Verwaltungsgericht eigenhän- über den Eilantrag informiert wer- dig unterzeichnen müssen.57 Das gilt den.56 auch für die Fälle, in denen eine Vor- 56 Vergleiche hierzu ausführlich: Berliner Flüchtlingsrat, Handlungsoptionen im Fall von Abschiebungen aus Sammelunterkünften, Dezember 2017, https://www.wir-treten-ein.de/wp- content/uploads/2015/01/15_01_21_BHP_PA_Ratgeber_A6.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018]. 57 § 67 Abs. 1 VwGO. 23
(CC0 Pexels / pixabay.de) Ist die aufenthaltsrechtliche Situation der/des jungen Volljährigen unsicher, ist es dringend ratsam, frühzeitig Kontakt zu einer/einem Rechtsanwältin/Rechtsanwalt aufzunehmen. mundschaft über das 18. Lebensjahr hen aber ernstliche Zweifel an der hinaus besteht. Denn im asyl- und Rechtmäßigkeit der beabsichtigten aufenthaltsrechtlichen Verfahren ist Abschiebung, sollten zumindest die Vollendung des 18. Lebensjahres Freund/innen oder Betreuer/innen maßgeblich für die Begründung der mit schriftlicher (!) Vollmacht der Verfahrensfähigkeit und nicht – wie betroffenen Person einen formlosen im Vormundschaftsrecht – das Hei- Antrag an das Verwaltungsgericht matrecht.58 richten, die Abschiebung einstweilen zu untersagen.59 Damit ist zumindest Ist der Rechtsbeistand / die Rechts- eine Überprüfung der Aktenlage si- beiständin nicht erreichbar, beste- chergestellt.60 2.2. Anwesenheitsrecht – gibt es „vormundfreie“ Räume? Immer wieder treten Fragen im Hin- stands gegenüber den Behörden – in blick darauf auf, in welchen Situatio- diesem Fall in der Regel gegenüber nen der/die Minderjährige oder der/ der Ausländerbehörde bzw. der Poli- die junge Volljährige sich eines Bei- zei – bedienen können. 58 § 80 AufenthG; § 12 AsylG. 59 A.a.o. Fn. 45. 60 Vgl. ebd. 24
Besonders häufig gelangt die Frage rechtmäßig handeln zu können und zu uns, ob Jugendliche Termine bei um das Gebot des effektiven Rechts- der Ausländerbehörde alleine wahr- schutzes zu wahren.61 Ohne Vor- nehmen können. Mitunter wird dies mund/in könnten Minderjährige das von der Ausländerbehörde auch so Verwaltungshandeln nicht überprü- vorgegeben. Vormünder/Vormundin- fen, wozu sie jedoch grundgesetzlich nen und Betreuende kommen dem berechtigt sind.62 Zudem hat ein/e dann – trotz Unbehagen – oftmals Vormund/in die tatsächliche Sorge nach. Vielfach geschieht dies wegen für den/die Minderjährige/n inne. So- mangelnder Kenntnis der eigenen weit die Betreuenden des Heims / der Rechte. So auch in dem oben be- Jugendhilfeeinrichtung eine Sorge- schriebenen Fall. rechtsvollmacht des/der Vormund/ in bezüglich der Vertretung im aus- Kommt es daher zu einer Situation, in länderrechtlichen Verfahren haben, der der/die Vormund/in oder die be- gilt dies gleichermaßen für sie. Eine treuende Person von den Behörden Sorgerechtsvollmacht kann formlos an der Teilnahme an Gesprächen ge- erteilt werden.63 hindert werden, ist es zentral, die ent- sprechenden Anwesenheitsrechte zu Für junge Volljährige gilt – wie für kennen und durchzusetzen. jede andere Person, die sich in einem Verwaltungsverfahren befindet – Grundsätzlich gilt, dass weder die dass ein Beistand / eine Beiständin Polizei noch die Mitarbeiter/innen zur Unterstützung hinzugezogen wer- der Ausländerbehörde den/die Vor- den kann.64 Beistände müssen keine mund/in davon abhalten dürfen, bei Jurist/innen sein, sondern können jedweden Terminen anwesend zu jede von den jungen Volljährigen ge- sein und die Interessen der Jugendli- wählte Person sein, solange diese chen wahrzunehmen. Bei Minderjäh- Person nicht von der Behörde zurück- rigen besteht die Pflicht, die gesetz- gewiesen wird.65 Grundsätzlich ha- liche Vertretung hinzuzuziehen, um ben Beistände das Recht, an Bespre- 61 § 80 AufenthG i.V.m. §1793 BGB. 62 Art. 19 Abs. 4 GG. 63 Hoffman, Sorgerechtsvollmachten, Themengutachten TG-1035, abrufbar über http://kijup- online.de. 64 § 14 VwVfG findet im verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Verfahren – spricht der Abschiebung – Anwendung, da es sich auch hierbei um eine Verwaltungstätigkeit iSv § 1 Abs. 1 VwVfG. 65 § 14 Abs. 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG): Eine Zurückweisung kann nur in sehr engem Rahmen geschehen, z.B. bei mangelnder Eignung. Diese liegt vor, wenn der Beistand nicht die Fähigkeit hat, den für das Verfahren maßgeblichen Sachverhalt und die rechtliche Bedeutung sachdienlicher Erklärungen, Anträge usw. zum Verfahren zu erfassen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 14, Rn. 38). 25
chungen und Verhandlungen mit den diese Aufgabe im Spannungsfeld von Behörden teilzunehmen.66 Sollten Kindeswohl, Asyl- und Aufenthalts- Beistände von den Behörden ohne recht sowie den dem konkreten An- Angabe von Gründen an der Teilnah- stellungsverhältnis innewohnenden me an einer Besprechung gehindert Sachzwängen gut bewältigt werden werden, so muss dies unbedingt do- kann, ist eine der zentralen Heraus- kumentiert werden. forderungen für die Führung einer Vormundschaft für unbegleitete min- Das gilt auch uneingeschränkt für die derjährige Flüchtlinge. Die Fähigkeit Anhörung im Asylverfahren, was ge- zur fortwährenden selbstkritischen rade für junge Volljährige, die keine/n Auseinandersetzung mit dem eige- Vormund/in mehr haben, besonders nen professionellen Selbstverständ- bedeutsam ist.67 nis und der beruflichen Rolle sind da- bei wesentlicher Bestandteil. 69 Hierzu Aber nicht nur die Kenntnis der eige- gehört auch, dass – besonders vor nen Rechte erscheint hier zentral, um dem Hintergrund sich ständig verän- die jungen Menschen gut zu unter- dernder Rechtslagen – externe fach- stützen. Mindestens ebenso wichtig liche Beratung und Expertise hinzu- ist es, sich über die eigene Rolle als gezogen wird. Vormund/in Klarheit zu verschaffen und zu vergegenwärtigen, dass die Interessen, denen der/die Vormund/ 2.2.1. Jugendhilfeeinrichtung in – gleich welche Form der Vormund- und Grundrechteschutz nach schaft geführt wird – in erster Linie Art. 13 GG? verpflichtet ist, diejenigen des jungen Menschen sind. Am Kindeswohl und Werden Verfahren zur Abschiebung an den Interessen des betroffenen eingeleitet, muss der/die Vormund/ jungen Menschen muss sich das Han- in darüber informiert werden, damit deln der Vormundin / des Vormunds rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt orientieren und messen lassen. Der/ werden können (s.u. Ziff. 1.6.4). Aus die Vormund/in ist dabei parteili- diesem Grund sollte die Situation, che Interessenvertretung des Kindes dass die Polizei zum Zweck der Ab- oder Jugendlichen – auch im Rah- schiebung unangekündigt vor der Tür men der Amtsvormundschaft.68 Wie steht, nicht vorkommen. Dennoch 66 A.a.o. Fn. 63. 67 Flüchtlingsrat Niedersachsen 2016, Anhörung im Asylverfahren – Anwesenheit eines Beistands, https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2016/10/beistand-anh%c3%b6rung- 161025-fr_2.pdf [letzter Abruf: 21.12.2018]. 68 § 55 Abs. 3 S. 2 SGB VIII. 69 Vgl. bspw. LVR Rheinland/Westfalen, Arbeits- und Orientierungshilfen Qualitätsstandards für Vormünder, https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/service/arbeitshilfen/dokumente_94/ jugend_mter_1/amtsvormundschaft/Qualitaetsstandards_fuer_Vormuender_20131201.pdf , S. 28. ff. [letzter Abruf: 21.12.2018]. 26
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