AGRARÖKOLOGIE POSITIONSPAPIER - FÜR EINE GRUNDLEGENDE TRANSFORMATION DER AGRAR- UND ERNÄHRUNGSSYSTEME - Forum Umwelt & Entwicklung

 
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AGRARÖKOLOGIE POSITIONSPAPIER - FÜR EINE GRUNDLEGENDE TRANSFORMATION DER AGRAR- UND ERNÄHRUNGSSYSTEME - Forum Umwelt & Entwicklung
S I T I O N S PA P I E R
            PO

AGRARÖ KO LO G I E
   STÄ R KE N
                     R U N D L E G E N D E
      FÜR EINE G
             N S FO  R M A T I O N DER
        TRA                               T E M E
                   R N Ä H R U N G S S YS
AG R A R - U N D E
Das Positionspapier wird getragen von:

                                                    junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft

                         nyéléni
                              .de
                                Wege zur
                           Ernährungssouveränität
AGRARÖKOLOGIE
     STÄRKEN
4	Gemeinsam für naturnahe bäuerliche
   Anbausysteme und solidarische Lebensräume

5	Agrarökologie als Alternative zur industriellen
   Landwirtschaft

6	Das Potenzial von Agrarökologie ausschöpfen

8    Forderungen an die Bundesregierung

10   Zum Weiterlesen

                                                     3
Gemeinsam für naturnahe
    bäuerliche Anbausysteme und
    solidarische Lebensräume

    Es ist Bewegung in die internatio­nale       gewichte zwischen großen Unternehmen        Das belegen auch viele wissenschaftliche
    Agrarökologie-Debatte gekommen. Immer        im gesamten Agrar- und Ernährungs­          Studien.1
    mehr Menschen aus Bewegungen, Wissen­        system und Erzeuger*innen sowie Arbei-
    schaft, Organisationen und Verbänden         ter*innen und Verarbeiter*innen nehmen           Immer mehr wichtige Akteure wie
    sowie einigen Regierungen haben verstan-     zu und die soziale Ungleichheit steigt      die Ernährungs- und Landwirtschaftsorga­
    den, dass ein „Weiter-wie-bisher“ keine      weltweit. Die Folgen: Kleinere bäuerliche   ni­sation der UN (Food and Agriculture
    Option ist. Das hatte der Weltagrarbericht   Betriebe werden vom Markt verdrängt,        Organization, FAO), aber auch Regierun­
    schon 2009 postuliert. Inzwischen ist die    Menschenrechte von Bauern und Bäu-          gen und wissenschaftliche Institutionen
    Botschaft angekommen. Die negativen          erinnen vor allem im globalen Süden         stellen chemie- und energiebasierte Inten­
    Auswirkungen der industriellen Landwirt-     systematisch verletzt, Landarbeiter*innen   sivierungsansätze infrage. Trotz Milliar­
    schaft sind seit Langem offensichtlich.      schuften für Hungerlöhne und sind gifti­    den-Unterstützung von Regierungen
    Beispielhaft zu nennen sind Wasser-          gen Pestiziden ausgesetzt. Laut einem       und Stiftungen wie der Bill-und-Melinda-
    knappheit, Arten­sterben, hohe Treibhaus-    aktuellen Bericht der Vereinten Nationen    Gates-Stiftung, wird der Einsatz externer
    gasemissionen, Bodendegradation und          (UN) sterben 200 000 Menschen jährlich      Betriebsmittel wie chemisch-synthetisch
    Landraub. Die sozialen, ökonomischen         an akuten Pestizid­vergiftungen. 99 Pro-    hergestellter Düngemittel, Pestizide und
    und ökologischen Schäden gefährden die       zent dieser Todesfälle ereignen sich in     Hochertragssaatgut, um damit die Erträge
    bäuerlichen Lebensgrundlagen und die         Ländern des globalen Südens.                um jeden Preis zu steigern, nicht mehr
    Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme an                                                    als Lösung für die Umwelt-, Armuts- und
    die bereits spürbaren Folgen der Klima­          Obwohl die Menge an erzeugten Nah-      Hungerprobleme angesehen.
    krise. Das Geschäftsmodell der interna-      rungsmitteln ausreichen würde, um zehn
    tionalen Pestizid- und Saatgutkonzerne       Milliarden Menschen zu ernähren, ist die        Das Konzept der Agrarökologie
    basiert auf dem Konzept der Grünen           Zahl der Hungernden in den letzten drei     bietet zahlreiche Lösungen für die grund-
    Revolution, die Erträge durch massiven       Jahren wieder gestiegen. Sie liegt auf      legende Transformation der Agrar- und
    Einsatz von künstlichem Mineraldünger        dem Niveau von vor zehn Jahren. Nach        Ernährungssysteme. Um Agrarökologie
    und Pestizi­den zu steigern. Doch dieses     Schätzungen der UN sind derzeit mehr als    zu stärken, müssen die verfehlten Agrar-,
    System gerät immer stärker unter massi­      820 Millionen Menschen unterernährt –       Handels-, Forschungs- und Subventions­
    ven Rechtfer­tigungsdruck.                   15 Millionen mehr als im Jahr 2016. Zwei    politiken grundlegend und schnell geän-
                                                 Milliarden Menschen sind mangelernährt      dert werden.
       Nur noch wenige kapitalkräftige           und weitere 1,9 Milliarden Menschen
    multinationale Konzerne kontrollieren die    übergewichtig. Das zeigt, dass die gegen-
    Märkte vom Acker bis zur Ladentheke, die     wärtigen Agrar- und Ernährungssysteme       1 Eine Liste mit weiterführender Literatur finden
                                                                                                Sie am Ende dieses Papieres.
    Übernahme von Monsanto durch Bayer ist       nicht in der Lage sind, für eine gute
    nur ein Beispiel dafür. Die Machtungleich-   Ernährung für alle Menschen zu sorgen.

4
Mehr Vielfalt auf dem Hof und auf dem
Teller – ein produktives Gesamtsystem
statt nur Produktionssteigerung
um den Preis hoher ökologischer und
sozialer Kosten

Agrarökologische Systeme sind nicht nur                      Agrarökologie als Alternative
produktiv, sie schützen natürliche Res­
sourcen und machen landwirtschaftliche                       zur industriellen Landwirtschaft
Betriebe widerstandsfähiger gegen die
Folgen des Klimawandels wie extreme
Dürren oder anhaltende Regenfälle.2                          Agrarökologie ist ein wissenschaftlich           Agrarökologie ist die Alternative
Pretty et al. wiesen in einer wichtigen                      fundiertes Konzept, das zugleich auf         zur industriellen Landwirtschaft, sie
Studie nach, dass sich die Gesamtpro­                        ökologischen Prinzipien, dem politischen     stärkt die bäuerliche Landwirtschaft und
duktivität von Agrarsystemen im globa­                       Ansatz der Ernährungssouveränität5 und       sichert gute Arbeit auf dem Land. Der
len Süden um bis zu 80 Prozent erhöht,                       dem Recht auf angemessene Nahrung            Transformationsprozess hin zur Agrar-
wenn agrarökologische Erzeugungs­                            basiert. Trotz wenig institutioneller        ökologie ist jedoch vielschichtig, denn
methoden angewandt werden.3                                  Unterstützung wird sie von Bauern und        Agrarökosysteme sind sehr unterschied-
    Oft wird die Verbesserung der                            Bäuerinnen weltweit praktiziert und          lich und komplex, so dass es nicht eine
Ernährungssituation vor allem daran                          weiterentwickelt und soziale Bewegungen      Heran­gehensweise für alle Situationen
gemessen, ob mehr Nahrung produziert                         überall auf der Welt fordern sie ein. Vor    geben kann. Agrarökologische Trans-
wird und mehr Kalorien verfügbar sind.                       allem durch die Arbeit der internationalen   formationsprozesse basieren auf einem
Politische Regulierungen fördern noch                        Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“       Bottom-up-Ansatz, das heißt die lokale
immer überwiegend Ansätze, mit denen                         und durch den im Jahr 2007 initiierten       Bevölkerung, bäuerliche Erzeuger*innen,
Produktionssteigerungen erreicht wer­                        Nyéléni-Prozess6 hat das Konzept der         Verarbeiter*innen und Vermarkter*innen
den sollen.4 Faktoren wie die Qualität                       Agrarökologie an Überzeugungskraft           gestalten die Veränderungen selbst,
der Nahrung, der Zugang zu ihr, intakte                      gewonnen und große Bekanntheit erlangt.      anstatt sie „von oben“ von Staaten,
Ökosysteme oder partizipative Ent­                                                                        Unternehmen und internationalen Orga­
scheidungsprozesse fließen nur selten                            Agrarökologie zielt auf eine sozial      nisationen verordnet zu bekommen.
in die Bewertung von Agrar- und Ernäh­                       gerechte und ökologisch nachhaltige
rungssystemen ein. Vermehrt schlagen
                                                             Umgestaltung der Agrar- und Ernährungs­
internationale Expert*innen wie der
                                                             systeme ab, in denen die Bauern und Bäu-     5 Mitte der 1990er Jahre wurde das Konzept der Ernäh-
ehemalige UN-Sonderberichterstatter                                                                          rungssouveränität vor allem von La Via Campesina,
                                                             erinnen, handwerkliche Verarbeiter*innen        der internationalen Bewegung der Kleinbauern
für das Recht auf Nahrung Olivier de
                                                             und Verbraucher*innen im Zentrum der            und -bäuerinnen und Landarbeiter*innen, entwickelt.
Schutter vor, dass der gesamte Produk­                                                                       Ausgangspunkt von Ernährungssouveränität ist das
                                                             Entscheidungen stehen. Das Konzept baut         Recht aller Menschen, ihre Landwirtschafts- und
tionsprozess in die Bewertung von Agrar­
                                                             auf den grundlegenden Prinzipien des            Ernährungspolitik selbst zu bestimmen. Jedem
ökosystemen einbezogen werden sollte.                                                                        Menschen soll es möglich sein, sich in Würde zu er-
                                                             ökologi­schen Landbaus auf, zu denen vor-
In ein „full cost accounting“ würden alle                                                                    nähren – entsprechend den eigenen wirtschaftlichen,
                                                             nehmlich der Erhalt der Bodenfruchtbar-         sozialen, kulturellen und ökologischen Umständen
Kosten, die wirklich in einem Ernährungs­                                                                    und ohne die Ernährungs- und Lebensgrundlagen
                                                             keit, der Kreislauf von Boden-Pflanze-Tier
system entstehen, einfließen – von den                                                                       anderer und zukünftiger Generationen zu zerstören.
                                                             und Mensch sowie die Unabhängigkeit          6 Nyéléni ist eine weltweite Bewegung für Ernährungs-
Umweltauswirkungen der Nahrungs­
mittelerzeugung bis zur sozialen Teilhabe
                                                             der Betriebe von externen Betriebsmitteln       souveränität, die ihren Ursprung in Ländern des glo-
                                                                                                             balen Südens hat und sich auf dem internationalen
der Erzeuger*innen – und nachhaltige
                                                             gehören. Insgesamt sind die Grundsätze          Forum für Agrarökologie 2015 in Mali auf ein gemein-

Systeme würden entsprechend durch die
                                                             der Agrarökologie einer umfassend               sames Verständnis von Agrarökologie geeinigt hat.
                                                                                                             Vgl.: http://www.foodsovereignty.org/wp-content/
Agrar- und Ernährungspolitik bevorzugt                       ökologisch und sozial nachhaltigen Land-        uploads/2015/02/Download-declaration-Agroecolo-
gefördert.                                                   wirtschaft und Lebensmittelerzeugung            gy-Nyeleni-2015.pdf
                                                             verpflichtet.

2 Unterschiedliche Studien nach IPES 2016: Folke
   et al., 2002; Holt-Giménez, 2002; IAASTD, 2009;
   Lin, 2011; Tirado & Cotter, 2010; Rosset et al., 2011;
   Pretty et al., 2011; Mijatović et al., 2013; Altieri et
   al., 2015; Rodale Institute, 2015
3 Siehe Pretty et al., 2006: Untersucht wurden 286
   Projekte auf drei Kontinenten. https://pubs.acs.
   org/doi/abs/10.1021/es051670d
4 U. a. Duncan, 2015: Global Food Security gover-
   nance: Civil Society engagement in the reformed
   Committee on World Food Security

                                                                                                                                                                    5
Das Potenzial von Agrarökologie ausschöpfen
    Agrarökologie entwickelt Lösungsansätze für viele soziale und ökologische Probleme in Landwirtschafts- und Ernährungssystemen
    in Zeiten des Klimawandels. Sie gründet dabei auf folgenden gleichberechtigten Elementen:7

    1. Mehr Vielfalt                             3. Selbstregulationsfähigkeit                6. Gesunde Ernährung
    über und unter der Erde:                     im Agrarökosystem stärken:                   und lokale Versorgung stärken:

    Agrarökologie integriert systematisch        Je mehr Biodiversität vorhanden ist, desto   Kürzere Wege und enge Stadt-Land-Verbin-
    Biodiversität im Anbausystem und             geringer ist das Risiko von Krankheiten      dungen können Bauern und Bäuerinnen
    respektiert biologische Prozesse. Boden,     und Schädlingen. Umgekehrt wirken sich       mit handwerklichen Lebensmittelherstel-
    Pflanzen und Tiere werden als Ökosystem      Pestizide auf die biologische Vielfalt –     ler*innen und Verbraucher*innen stärker
    verstanden und das Wissen darüber in         Insekten und Pflanzen im und auf dem         zusammenbringen. Kurze Transportwege
    den Vordergrund gestellt. Vielfältige        Boden – negativ aus. Dies wiederum ver-      verringern auch Emissionen. Märkte,
    Fruchtfolgen und eine kontinuierliche        stärkt die Abhängigkeit von externen         welche die Arbeit der Erzeuger*innen mit
    Bodenbedeckung durch Ackerwildkräuter        Betriebsmitteln. Die Selbstregulierungs-     gerechten Preisen honorieren und vielfäl-
    und Zwischenfrüchte füttern die Boden­       kräfte werden durch Agrarökologie ge-        tige Lebensmittel bereitstellen, befördern
    lebewesen, ermöglichen Humusaufbau           stärkt und der Teufelskreis von Resistenz-   eine ortsnahe Versorgung mit frischen,
    und verhindern Bodendegradierung.            bildung und Pestizideinsatz durchbrochen.    gesunden und vielfältigen Lebensmitteln.

    2. Mehr Resilienz und                        4. Mehr Kontrolle                            7. Weniger Abhängigkeit,
    Anpassung an die Klimakrise:                 über Lebensgrundlagen:                       mehr Autonomie:

    Diversifizierte Anbausysteme machen          Um natürliche Ressourcen und Ökosyste­       Agrarökologie erhöht die Autonomie der
    Bauern und Bäuerinnen krisensicherer         me zu erhalten, brauchen Bauern und          Erzeuger*innen. Als schwächstes Glied in
    gegenüber externen Schocks wie Klima-        Bäuerinnen, Hirt*innen, indigene Gemein-     der Lieferkette haben Bauern und Bäue-
    krisen oder Preisschwankungen. Agrar-        schaften und ländliche Gemeinden ein         rinnen der Marktmacht der Konzerne im
    ökologische Systeme verbessern die           Recht auf und die Kontrolle über Land,       derzeitigen Agrarsystem wenig entgegen-
    Wasserspeicher- beziehungsweise Wasser-      Saatgut, Wasser, Artenvielfalt und Wissen.   zusetzen. Agrarökologie schafft Existenz-
    aufnahmefähigkeit von Böden, die Pflan-      Kollektive Besitz- und Bewirtschaftungs-     grundlagen für bäuerliche Haushalte und
    zen können tiefer wurzeln, der Schädlings-   formen müssen dafür anerkannt und            trägt dazu bei, die Märkte, die Wirtschaft
    und Krankheitsdruck wird verringert.         geschützt werden.                            und den Arbeitsmarkt vor Ort zu stärken
    Durch eine verbesserte Bodengesundheit                                                    und auf die lokale Nachfrage zu reagieren.
    und die Erholung ausgelaugter Böden
    (Förderung der Kohlenstoffbindung) oder
    durch einen geringeren Energieverbrauch      5. Bäuerliche Agri-Kultur                    8. Gleichberechtigung von Frauen
    (Vermeidung von Treibhausgasemissio­         stärken:                                     und Männern:
    nen) trägt Agrarökologie zum Klimaschutz
    bei. Integrierte Tier-Pflanzen-Systeme       Wenn Bauern und Bäuerinnen ihre Höfe         Ein solidarisches Miteinander von Frauen
    fördern die Fruchtbarkeit des Bodens,        und ihren Anbau diversifizieren und sie in   und Männern basiert auf gleichen
    geschlossene Nährstoffkreisläufe und die     lokale oder regionale Weiterverarbeitungs-   Rechten, einem gewaltfreien Umgang
    Verwendung von pflanzlichen Reststoffen      systeme und Vermarktungsnetzwerke            miteinander und gleichen Entwicklungs-
    (Recycling).                                 eingebunden sind, können bäuerliche          möglichkeiten. Die gleichberechtigte
                                                 Betriebe erhalten, Arbeitsplätze geschaf-    Kontrolle über produktive Ressourcen,
                                                 fen und regionale Wirtschaftskreisläufe      der gleiche Zugang zu Bildung und agrar-
                                                 gestärkt werden. Dank einer Diversifi-       ökologischer Beratung sowie die gleichbe-
                                                 zierung der Produktion sind die Erzeu-       rechtigte Mitbestimmung in Haushalten,
                                                 ger*innen weniger anfällig für marktbe­      Organisationen und Politikprozessen sind
                                                 zogene Risiken wie schwankende Preise,       untrennbar mit Agrarökologie verbunden.
                                                 die durch den Klimawandel zunehmen.          Negative sozia­le Normen und Geschlech-
                                                                                              terstereotypen gilt es zu überwinden.

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9. Mehr Beteiligung und                                 Agrarökologie erfolgreich fördern – Beispiele weltweit
Mitsprache:
                                                        Brasilien: Die Nationale Politik für         Frankreich: Rennes fördert das Ange­
Agrarökologie fördert Formen sozialer                   Agrarökologie und Ökolandbau (PNAPO)         bot von lokal und ökologisch erzeugten
Organisation, die Voraussetzung für eine                früherer brasilianischer Regierungen         Lebensmitteln. Die Stadt unterstützt
Mitgestaltung der Agrar- und Ernährungs-                ist das Resultat eines intensiven zivil­     zum Beispiel den Aufbau urbaner Gärten,
systeme sind. Sie schafft Anreize, sich                 gesellschaftlichen Engagements in dem        die Gründung solidarischer Landwirt­
selbst zu organisieren und in Gruppen                   lateinamerikani­schen Land. PNAPO ist        schaftsprojekte, kooperativer Lebens­
und Netzwerken auf verschiedensten                      eine einzigartige föderale Rahmenpolitik     mittelläden und die Einrichtung von
Ebenen – ob lokal oder global – kollek-                 zur Förderung von Agrarökologie und          „Open-Air“-Märkten zur Feierabendzeit.
tiv tätig zu sein. Bauernorganisationen,                ökologischem Anbau, die sich auf sieben      Sie fördert diese Projekte finanziell, stellt
Verbraucherverbände und andere zivilge-                 umfassende Leitlinien stützt. Im Rahmen      Abholorte für Gemüse-Abo-Kisten be­
                                                        von PNAPO wurden bislang mehr als            reit und führt Informationskampagnen
sellschaftliche Akteure haben die Möglich-
                                                        364 Millionen Euro investiert, was zu        durch. Die Stadt- und Raumplanung
keit, frühzeitig Programme und relevante
                                                        umfangreichen Verbesserungen für             berücksichtigt den Erhalt stadtnaher
Politiken in ihrem Sinne zu beeinflussen.
                                                        Kleinbauern und -bäuerinnen sowie            landwirtschaftlicher Flächen und sieht
                                                        anderer benachteiligter Gruppen in           eine Stärkung der Beziehungen zwischen
                                                        Brasilien führte. Unter anderem wurden       der Stadt und ihrem Umland vor. Die
10. Förderliche Politiken und
                                                        agrarökologische Beratungsdienste            Metropolregion Rennes hat dafür einen
partizipative Forschung:
                                                        finanziert, 143 000 Zisternen gebaut, und    übergreifenden lokalen Plan für die
                                                        5300 Gemeinden dabei unterstützt, min­       Landwirtschaft entworfen.
Um das Potenzial von Agrarökologie
                                                        destens 30 Prozent ihres Schulessen­
auszuschöpfen, ist die Unterstützung von
                                                        budgets für den Einkauf von regionalen,      Indien: Der indische Bundesstaat
Politiker*innen und Verwaltungen auf al-                biologischen und agrarökologischen           Sikkim hat durch eine konsequente
len Ebenen und sind förderliche politische              Produkten von Familienbetrieben aufzu­       Politik die Landwirtschaft komplett auf
Rahmenbedingungen notwendig; ob für                     wenden. Wie es mit diesem Programm           zertifizierten Ökolandbau umgestellt.
Gemeinschaftsverpflegung, für eine Infra­               unter der rechten Regierung Bolsonaros       Insgesamt bewirtschaften rund 66 000
struktur für bäuerliche Vermarktung oder                weitergehen wird, ist aktuell noch offen.    Familienbetriebe etwa 75 000 Hektar
für die Unterstützung lokaler und regio-                                                             Land. 2018 wurde Sikkim für die Stärkung
naler Diversifizierung. Politikkohärenz ist             Deutschland: Im Norden Deutschlands          der Agrarökologie mit dem Future Policy
hierbei eine unabdingbare Voraussetzung.                leistet die 1988 gegründete Erzeuger-        Award gewürdigt. Bemerkenswert ist
    Agrarökologische Forschung baut auf                 Verbraucher-Gemeinschaft (EVG)               insbesondere das schrittweise Verbot
dem Wissen von Züchter*innen, Bauern                    Landwege einen wichtigen Beitrag zur         von synthetischen Düngemitteln und
und Bäuerinnen sowie von handwerk-                      Förderung der bäuerlich-ökologischen         Pestiziden. Doch der Wandel geht in
lichen Lebensmittelhersteller*innen auf.                Landwirtschaft. In einem Kreis von ma­       Sikkim weit über die Öko-Erzeugung
Die Ausrichtung der Forschung wird mit                  ximal 100 km rund um Lübeck trägt die        hinaus und hat das Land und die Men­
ihnen gemeinsam entwickelt. In der Wirt-                Genossenschaft dazu bei, dass Erzeu­         schen nachhaltig verändert. Sozio-öko­
schaftsforschung sollte ein Schwerpunkt                 gungsstrukturen erhalten bleiben und         nomische Aspekte wie Verbrauch und
auf die solidarische Ökonomie gelegt                    Arbeitsplätze vor Ort geschaffen werden.     Wachstum, kulturelle Elemente sowie
werden.                                                 Die regionale Wertschöpfungskette            Gesundheit, Bildung, ländliche Entwick­
                                                        sichert den gerechten und direkten           lung und nachhaltiger Tourismus spielen
                                                        Handel. Zu der Gemeinschaft zählen           in dem Gesetz ebenso zentrale Rollen.
7 Die Elemente beruhen auf verschiedenen wichtigen     inzwischen rund 30 ökologische Höfe,
   Rahmenwerken zu Agrarökologie wie der Erklärung
                                                        über 800 Mitglieder und mehr als 100
   von Nyéléni (2007), den SOCLA-Kriterien (2014),
   der Nyéléni-Erklärung zu Agrarökologie (2015), den   Mitarbeiter*innen. Die EVG Landwege
   CIDSE-Prinzipien der Agrarökologie (2018) und den    fördert soziale Projekte und leistet einen
   FAO 10 Elements of Agroecology (2018).
                                                        großen Beitrag zur Bildung für nachhal­
                                                        tige Entwicklung.

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Forderungen an die Bundesregierung

                                              • Die Bundesregierung sollte dazu alle      werden und die aufzeigt, wie solche
                                                 zwei Jahre einen Fortschrittsbericht     Elemente stärker in die EZ aufgenom-
    Mit Agrarökologie lassen sich viele          vorlegen. Darin sollten sowohl Fort-     men und unterstützt werden können.
    der globalen Nachhaltigkeitsziele            schritte und Herausforderungen bei
    (Sustainable Development Goals,              der Implementierung von Programmen • Die Bundesregierung sollte sich aus
    SDGs) erreichen. Bislang stehen die          als auch bei der Kohärenz von Politik-   der Förderung von Initiativen und Pro-
    politischen Rahmenbedingungen ei­            bereichen wie der Agrar-, Handels- und   jekten wie der Allianz für eine Grüne
    ner Entwicklung hin zu Agrar­ökologie        Energiepolitik aufgeführt werden.        Revolution in Afrika (Alliance for a
    auf vielen Ebenen ent­gegen, unter                                                    Green Revolution in Africa, AGRA)
    anderem in der Agrar-, Ernährungs-,                                                   zurückziehen, weil deren Ansatz dem
    Handels-, Bioökonomie-, Saatgut-          2. Entwicklungszusammenarbeit               Konzept der Agrarökologie diametral
    oder Patentpolitik. Auch in der staat­                                                entgegensteht.
    lichen Entwicklungszusammen­arbeit        • In der staatlichen EZ sollte Agraröko­
    (EZ) spielt Agrarökologie nur eine           logie zum zentralen Förderkonzept zur • Die Bundesregierung sollte von 2019
    marginale Rolle.                             Armutsbekämpfung auf dem Land            bis 2021 300 Millionen Euro zur Förde-
                                                 werden. Insbesondere bei der Über­       rung der Agrarökologie national und
                                                 arbeitung des Konzepts zur ländlichen    international zur Verfügung stellen, da-
    Die unterzeichnenden Organisatio­            Entwicklung sollte sie systematisch      von 200 Millionen Euro für die „Scaling
    nen fordern die Bundesregierung              integriert und grundlegend verankert     up Agroecology Initiative“ der FAO und
    auf, folgende Maßnahmen zur                  werden. Dabei könnte ein internatio-     100 Millionen Euro für ein Förderpro-
    Unterstützung von Agrarökologie              naler Beirat helfen, der das Bundes­     gramm „Agrarökologie und Frauen“,
    zu ergreifen:                                ministerium für wirtschaftliche          das gezielt die Arbeit von Frauenorga-
                                                 Zusammenarbeit und Entwicklung           nisationen unterstützt.
                                                 (BMZ) zu Agrarökologie berät. Dieser
                                                 muss mit einem Budget für unab­
                                                 hängige Studien und weitere Publika­ 3. Forschung und Beratung
                                                 tionen ausgestattet werden.
    1. Politische Rahmenbedingungen                                                     • Die Bundesregierung muss Forschung
                                              • Die Bundesregierung muss sich in          und Beratung am Vorsorgeprinzip
    • Die Bundesregierung sollte sich klar       ihrer internationalen Arbeit für eine    ausrichten. Dabei sollte das Prinzip
      zur Agrarökologie bekennen. Daher          Förderung von Agrarökologie einsetzen    der gemeinschaftlichen Wissenserar-
      sollte sie eine Stellungnahme veröf-       und sollte dafür die Gründung einer      beitung („co-creation of knowledge“)
      fentlichen, in der sie das Potenzial       „Agrarökologischen Geber-Allianz“        angewendet werden - als Basis für die
      der Agrarökologie zum Erreichen von        vorantreiben. Sie sollte sich dafür      Wissenschaft („farmer-led research“)
      umwelt- und sozialverträglichen Land-      einsetzen, die Entwicklungspolitik       und auch in der landwirtschaftlichen
      wirtschafts- und Ernährungssystemen        der Europäischen Union im Sinne von      und lebensmittelhandwerklichen
      beschreibt und anerkennt sowie sich        Agrarökologie neu auszurichten.          Beratungsarbeit, beispielsweise durch
      zur schrittweisen Umsetzung agraröko-                                               bäuerliche Agrarökologie-Schulen
      logischer Elemente verpflichtet.        • Das BMZ sollte eine Studie basierend      oder horizontalen Wissensaustausch
                                                 auf der Methodologie von Pimbert/        („farmer-to-farmer“).
    • Dies schließt auch die Beendigung          Moeller in Auftrag geben, in der die
      schädlicher Politiken mit ein, zum         landwirtschaftlichen Projekte des BMZ • Forschungen und Best-Practice-Beispie­
      Beispiel das Verbot des Einsatzes          seit dem Jahr 2013 im Hinblick auf die   le von zivilgesellschaftlichen Gruppen
      von gesundheitsschädigenden Agrar-         Anwendung der oben genannten agrar-      aus dem globalen Süden sollten in
      chemikalien wie Glyphosat.                 ökologischen Elemente untersucht         Forschungsfragen und -programmen

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öffentlich finanzierter wissenschaft-     5. Europäische Union                          der Zivilgesellschaft ist im Sinne des
  licher Einrichtungen eingebunden                                                        Partnerschaftsprinzips sicherzustellen.
  werden, einschließlich der Consultative   • Die Bundesregierung sollte sich bei der
  Group on International Agricultural         anstehenden Reform der Gemeinsamen
  Research-Systems (CGIAR). Das               Europäischen Agrarpolitik (GAP) da-       6. UN-Welternährungsausschuss
  CGIAR-System sollte im Sinne von            für einsetzen, dass agrarökologische
  Agrarökologie neu ausgerichtet wer-         Elemente zentraler Bestandteil sind.      • Agrarökologie steht 2019 auf der Agen-
  den. Darüber hinaus sollten zivilge-        Statt agrarindustrielle Betriebsmodelle     da des UN-Welternährungsausschuss
  sellschaftliche Gruppen, vor allem aus      zu unterstützen, sollte die GAP art­        (Committee on World Food Security,
  dem globalen Süden, in Entscheidungs-       gerechte Tierhaltung sowie einen Um-        CFS). Die Bundesregierung muss sich
  gremien öffentlicher Forschungsein-         bau im Ackerbau (mehr Fruchtfolge,          dafür einsetzen, dass insbesondere jene
  richtungen personell vertreten sein.        Leguminosenanbau, vielfältige Flächen-      Menschen, deren Rechte verletzt und
                                              struktur) fördern und wirkungsvoll zu       die häufig von Prozessen ausgeschlos-
• Bei Forschungsprogrammen muss die           Umwelt-, Tierschutz- und Klimazielen        sen werden, umfassend beteiligt wer-
  Förderung für Agrarökologie massiv          beitragen. Die pauschalen Flächen­          den. Dies umfasst die Konsultation zum
  aufgestockt werden. Transdisziplinäre       prämien sollten vollständig durch eine      Bericht des wissenschaftlichen Beirates
  Forschung sollte deutlich ausgebaut         gezielte Honorierung gesellschaftlicher     (High Level Panel of Experts, HLPE)
  und Langzeitstudien finanziert werden,      Leistungen von Landwirt*innen ersetzt       des CFS als auch die Verhandlungen
  welche die Effekte agrarökologischer        werden. Der Fokus muss dabei stärker        der Entscheidungsvorlage in der Ar-
  Systeme untersuchen.                        auf kleine und mittlere sowie auf viel-     beitsgruppe und im Plenum des CFS.
                                              fältig strukturierte Betriebe gerichtet
                                              werden.                                   • Die Bundesregierung sollte sich dafür
4. Klima und Landwirtschaft                                                               einsetzen, dass der Bericht folgende
                                            • Wirtschaftskreisläufe, Regionalunter-       Elemente berücksichtigt: Agrarökologie
• Die Bundesregierung sollte sich im          nehmen und lokale Vermarktungs­             sollte als Wissenschaft, Praxis und
  Rahmen der EU dafür einsetzen, dass         netzwerke von Bauern und Bäuerin­-          soziale Bewegung betrachtet werden.
  die positiven Effekte von Agrarökologie     nen sollten durch entsprechende In-         Jede Komponente ist gleichermaßen
  für Emissionsminderung, Klimaanpas-         strumente und Regelungen gestärkt           wichtig. Die Sichtweise von Agraröko-
  sung und den Schutz natürlicher Koh-        werden. Dies sollte durch gezielte          logie als holistischer und systemischer
  lenstoffspeicher in den Politikempfeh-      Investitionen im Rahmen der GAP in          Ansatz sollte im CFS berücksichtigt
  lungen des neuen Arbeitsprogramms           lokale Vermarktungsnetzwerke unter-         werden. Dabei ist die Menschenrechts-
  der UN-Klimarahmenkonvention für            füttert werden. Gleichzeitig müssen         perspektive von entscheidender Bedeu­
  Landwirtschaft und Ernährungssi-            negative Auswirkungen der EU-Agrar-         tung. Besondere Aufmerksamkeit sollte
  cherheit besondere Beachtung finden.        politik auf die lokalen Märkte des          kleinbäuerlichen Erzeuger*innen und
  Transformative agrarökologische An-         globalen Südens auch jenseits von           ihren Wissenssystemen gewidmet
  sätze müssen klar abgegrenzt werden         Exportsubventionen beendet werden.          werden.
  von „klimasmarter“ Landwirtschaft, die
  weiter auf Mineraldüngung, Pestizide      • Die für Umwelt- und Tierschutz, Ge-       • Die Bundesregierung sollte sich dafür
  und Gentechnik setzt und das konven-        sundheit, Ernährung sowie für Ent-          einsetzen, dass der Bericht des HLPE
  tionelle Agrarmodell damit im Wesent-       wicklungspolitik zuständigen Ressorts       Politikempfehlungen enthält, an denen
  lichen fortschreibt.                        sollten bei der GAP-Planung auf den         sich Staaten bei der Einführung und
                                              Ebenen von EU, Mitgliedsstaaten und         Umsetzung agrarökologischer Politiken
• Die Bundesregierung sollte Klimagelder      gegebenenfalls in den Regionen mitent-      orientieren.
  für die Landwirtschaft, insbesondere in     scheidend eingebunden werden. Die
  der Forschung, verstärkt in Vorhaben        Beteiligung aller relevanten Akteure
  zur Agrarökologie einsetzen.

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Zum Weiterlesen

     CIDSE (2018): The principles of agroecology. Towards just, resilient and sustainable food systems.
     https://www.cidse.org/publications/just-food/food-and-climate/the-principles-of-agroecology.html

     Colin, A., Pimbert, M. und C. Kiss (2015):
     Building, defending and strengthening agroecology, a global struggle for food sovereignty.
     https://pureportal.coventry.ac.uk/en/publications/building-defending-and-strengthening-agroecology-a-global-struggl-2

     Declaration of the international forum for agroecology – Nyéléni, Mali – 27 February 2015.
     http://www.foodsovereignty.org/wp-content/uploads/2015/02/Download-declaration-Agroecology-Nyeleni-2015.pdf

     FAO (2018): The 10 elements of agroecology. Guiding the transition to sustainable food and agricultural systems.
     http://www.fao.org/3/I9037EN/i9037en.pdf

     FIAN Österreich (2017): Mit Agrarökologie für das Recht auf Nahrung.
     https://fianat-live-7318544636224c40bb0b0af5b09-745b6a8.divio-media.net/filer_public/1b/0a/1b0a427c-ff8c-4aa4-8657-85f6d-
     56f38ee/mit-agraroekologie-fuer-das-recht-auf-nahrung.pdf

     Forum Umwelt und Entwicklung et al. (2016): Besser anders, anders besser.
     Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten.
     http://www.forumue.de/wp-content/uploads/2016/10/Agraroekologie_Broschuere_A4_web1.pdf

     Friends of the Eath International (2018): Agroecology: innovating for sustainable food systems and agriculture.
     https://www.foei.org/resources/publications/agroecology-innovating-for-sustainable-food-systems-and-agriculture

     Holt-Giménez, E. und M. Altieri (2012): We already grow enough food for 10 billion people …
     and still can’t end hunger.

     IPES-Food (2016): From uniformity to diversity: A paradigm shift from industrial agriculture
     to diversified agroecological systems.
     http://www.ipes-food.org/_img/upload/files/UniformityToDiversity_FULL.pdf

     SOCLA (2014): Agroecology: concepts, principles and applications.
     https://www.socla.co/wp-content/uploads/2014/socla-contribution-to-FAO.pdf

     Wezel, A. et al. (2009): Agroecology as a science, a movement and a practice. A review.

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Impressum

Stand: Januar 2019

Mit finanzieller Unterstützung der
Heinrich-Böll-Stiftung.

Layout: Marischka Lutz Grafikdesign

V.i.S.d.P.:
INKOTA-netzwerk e. V.,
Arndt von Massenbach,
Chrysanthemenstr. 1–3, 10407 Berlin,
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