Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Daten, Ursachen, Maßnahmen

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Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Daten, Ursachen, Maßnahmen
Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit
von Frauen und Männern
Daten, Ursachen, Maßnahmen
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Inhalt

Startpunkt: Einleitung                                                   4

1    Erste Station: Status quo                                           5
     1.1 Wer verdient wie viel in Deutschland?                           6
     1.2 Der Gender Pay Gap: Gradmesser für Chancengleichheit            8
         1.2.1 Entgeltgleichheit aus ökonomischer Sicht                  8
         1.2.2 Entgeltungleichheit aus rechtlicher Sicht                11

2    Zweite Station: Ursachen                                           14
     2.1 Horizontale und vertikale Geschlechtersegregation              15
     2.2 Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit                     20
     2.3 Diskriminierungsgefahren bei der Entgeltfindung                29

3    Zwischenstopp: Blick nach Europa                                   39
     3.1 Warum der Gender Pay Gap in Europa unterschiedlich ausfällt    42
     3.2 Best Practices aus europäischen Ländern                        45

4    Dritte Station: Lösungsansätze und Maßnahmen                       48

5    Schlusspunkt: Fazit                                                62

Literatur                                                               64

                                                                              3
Auf dem Weg zur Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Daten, Ursachen, Maßnahmen


    Startpunkt: Einleitung
    Nach wie vor verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt
    20 ­Prozent weniger als Männer. Warum ist das so? Was sind die Ursachen?
    Und was ist dagegen zu tun? Um Antworten auf diese Fragen zu finden,
    macht sich dieses Dossier auf den Weg. In der ersten Station erfahren Sie,
    was der Gender Pay Gap aussagt und wie er ermittelt wird. Außerdem
    erhalten Sie einen Überblick, wer wie viel in Deutschland verdient.

    In der zweiten Station geht es um die großen Fragen: Warum fällt die
    Entgeltlücke in Deutschland so konstant hoch aus? Was sind die Ursa-
    chen des Gender Pay Gaps? Wie können Unternehmen das Prinzip
    „gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ umsetzen? Denn
    gleiche Löhne für Frauen und Männer für gleiche oder gleichwertige
    Arbeit bedeuten gleiche Chancen und sind ein Gebot der Gleichbe­
    rechtigung – nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa. Das
    Dossier wirft zudem einen Blick nach Europa und zeigt die unterschied-
    lichen Methoden und Ansätze europäischer Nachbarländer auf dem
    Weg zu mehr Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern auf.

    In der letzten Station steht die Rückkehr nach Deutschland an: Welche
    Initiativen und Gesetze zur Förderung der Entgeltgleichheit zwischen
    Frauen und Männern gibt es hier? Dazu zählen neben dem Entgelttrans-
    parenzgesetz, dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz oder dem Elterngeld
    auch nicht gesetzliche Initiativen wie die „Girls’ und Boys’Days“. Alle
    diese Maßnahmen zielen darauf, für mehr Chancengleichheit zwischen
    den Geschlechtern zu sorgen – sei es bei der Studien- und Berufswahl,
    bei der Berufsausübung oder bei der Frage der besseren Vereinbarkeit
    von Familie und Beruf.

    Alle Maßnahmen fördern eine Gesellschaft, in der Mädchen und Jungen
    sowie Frauen und Männer ihren Weg zu einer eigenständigen Existenz-
    sicherung frei von einengenden Geschlechterstereotypen und Vorurtei-
    len gehen können. Sie zielen auf eine Gesellschaft, in der für gleiche und
    gleichwertige Arbeit tatsächlich gleiches Entgelt gezahlt wird – unabhän-
    gig vom Geschlecht.

4
1
            Erste Station:
             Status quo
 In kaum einem anderen Land Europas verdienen Frauen im
Vergleich zu Männern so unterschiedlich wie in Deutschland.
            Ein Überblick der Zahlen und Fakten.
1 Erste Station: Status quo

1.1 Wer verdient wie viel in Deutschland?
Sie haben die gleichen Rechte, bringen gute                                      •   Frauen sind in den ostdeutschen Bundes­
Leistungen in ihren Jobs – und verdienen doch                                        ländern auch in höher bezahlten Berufen
nicht gleich viel: Frauen und Männer in Deutsch-                                     der Industrie und Fertigung tätig.
land. Der Gender Pay Gap, also die Lohnlücke
zwischen Frauen und Männern, hält sich seit                                      •   Männer arbeiten in Ostdeutschland öfter im
vielen Jahren hartnäckig – bei über 20 Prozent.                                      niedriger bezahlten Dienstleistungsbereich.
Im Jahr 2019 betrug sie in Deutschland erstmals
genau 20 Prozent (Statistisches Bundesamt 2020a).                                •   In der Privatwirtschaft arbeiten Frauen in
Das bedeutet: Pro Stunde erhielten Frauen 2019                                       den ostdeutschen Bundesländern häufiger
durchschnittlich 17,72 Euro brutto, Männer hin-                                      in Führungspositionen.
gegen 22,16 Euro. In jeder Arbeitsstunde ver­
dienten Frauen also durchschnittlich 4,44 Euro                                   Dazu kommt, dass die Löhne und Gehälter in
weniger.                                                                         Ostdeutschland durchschnittlich niedriger aus­
                                                                                 fallen als die Durchschnittsverdienste in West-
                                                                                 deutschland. Frauen und Männer verdienen hier
                                                                                 durchschnittlich fast 17 Prozent weniger. Das
Was Ost- und Westdeutschland                                                     liegt unter anderem daran, dass sich die Struktur
beim Gender Pay Gap unterscheidet                                                der Unternehmen in Ostdeutschland anders als
                                                                                 in Westdeutschland darstellt:

In Ostdeutschland lag der Gender Pay Gap 2019                                    •   mehr klein- und mittelständische Betriebe,
bei sieben Prozent. In Westdeutschland und Berlin                                    weniger große Unternehmen
bei 21 Prozent. Dieser deutliche Unterschied ist
auf vielfältige Ursachen zurückzuführen:                                         •   weniger tarifgebundene Betriebe

•       In Ostdeutschland arbeiten Frauen öfter in                               •   weniger Industrie-Jobs, mehr Jobs im
        Vollzeit.                                                                    ­Dienstleistungsbereich

So hat sich der Gender Pay Gap entwickelt

30
                                                                                                                                  Deutschland
                                                                                                                                  gesamt
           24           24             24             23             23              22            22             21              Früheres
                                                                                                                                  Bundesgebiet
20         23
                        22             22             22             21              21            21             20              Neue
                                                                                                                                  Bundesländer

                                        9
10
                         7                             8              7              7              7              7
            6

    0
           2006         2010           2014           2015           2016            2017          2018           2019         Jahr
Im Jahr 2019 lag der Gender Pay Gap erstmals bei genau 20 Prozent. Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2020a

6
1 Erste Station: Status quo

So hoch ist der Gender Pay Gap in den Bundesländern

                                                                                                        21,9   Deutschland gesamt

                                                                                                        26,8   Baden-Württemberg

                                                                                                        24,4   Bayern

                                                                                                        24,2   Hessen

                                                                                                        23,6   Bremen

                                                                                                        23,5   Saarland

                                                                                                        22,8   Nordrhein-Westfalen

                                                                                                        21,7   Niedersachsen

                                                                                                        21,4   Rheinland-Pfalz

                                                                                                        21,1   Hamburg

                                                                                                        17,7   Schleswig-Holstein

                                                                                                        12,9   Berlin

                                                                                                        11,7   Sachsen

                                                                                                         7,9   Thüringen

                                                                                                         6,9   Mecklenburg-Vorpommern

                                                                                                         6,5   Brandenburg

                                                                                                         5,3   Sachsen-Anhalt

0                 5                10               15                20               25          30

In westdeutschen Bundesländern ist der Gender Pay Gap besonders hoch.
Gender Pay Gap in den einzelnen Bundesländern, absteigend sortiert in Prozent. Quelle: Beck 2018

Da sowohl die Branche als auch die Betriebsgröße                                  Pay Gap mit Ausnahme von Schleswig-Holstein
wesentliche Einflussfaktoren für die Höhe des                                     mit 20 Prozent und mehr besonders hoch. In den
Entgelts von Frauen und Männern sind, beein-                                      ostdeutschen Bundesländern ist die Lücke viel
flusst die Wirtschaftsstruktur auch den Gender                                    geringer. Sie liegt zwischen fünf und elf Prozent.
Pay Gap. Zusammengefasst führen also viele
strukturelle Besonderheiten und Arbeitsmarkt-                                     Trotz der Unterschiede zwischen Ost und West
charakteristika zu einem geringeren Gender Pay                                    und zwischen den einzelnen Bundesländern bleibt
Gap in Ostdeutschland.                                                            festzuhalten: In allen Bundesländern verdienen
                                                                                  Frauen im Durchschnitt weniger als Männer.
An der Spitze der Skala stehen ausschließlich                                     Daran hat sich auch in den letzten Jahren kaum
westdeutsche Bundesländer. Hier ist der Gender                                    etwas verändert.

                                                                                                                                       7
1 Erste Station: Status quo

1.2 Der Gender Pay Gap:
    Gradmesser für Chancengleichheit

Wie viel Zeit widmen Frauen und Männer ihren          Entgeltdifferenzen zwischen Frauen und Männern
Kindern oder der Pflege ihrer Eltern? Welchen         beruhen demzufolge darauf, dass weibliche und
Beruf ergreifen sie? Wie stehen ihre Chancen für      männliche Beschäftigte unterschiedlich in ihr
einen beruflichen Aufstieg? Diese und weitere         Humankapital investiert haben. Deshalb arbeiten
Fragen beeinflussen zumindest indirekt, wie viel      sie unterschiedlich produktiv. Auch die Entschei-
Frauen im Vergleich zu Männern verdienen.             dungen von Frauen und Männern für bestimmte
                                                      Berufe und Branchen werden als ökonomisch
Der Gender Pay Gap gilt als Gradmesser für die        rational angesehen.
Chancengleichheit von Frauen und Männern
im Erwerbsleben. In ihm verdichten sich viele
­Probleme und Benachteiligungen, mit denen
 Frauen im Zusammenhang mit ihrer Erwerbs­            So wird der Gender Pay Gap ermittelt
 tätigkeit konfrontiert sind. Dazu zählen Hinder-
 nisse auf dem Karriereweg genauso wie nicht                                         4,44 Euro
 ausreichende Möglichkeiten der Vereinbarkeit
 von Familie und Beruf; ebenso klassische Rollen-                                     = 20 %
 vorstellungen, die das Berufswahlspektrum von
 Frauen einschränken und den beruflichen Wie-
 dereinstieg nach einer Familienphase erschweren.
 Alle diese Faktoren haben indirekte Auswirkungen
 auf den Gender Pay Gap. Hinzu kommen Einflüs-
 se, die sich direkt auf das Entgelt auswirken, wie
                                                                        22,16 Euro

                                                                                       17,72 Euro

 die (Unter-)Bewertung typischer Frauenberufe.
 Deshalb wird oft der Gender Pay Gap herangezo-
 gen, um über die Entgeltungleichheit zwischen
 Frauen und Männern zu sprechen.

1.2.1 Entgeltgleichheit aus                                 Im Jahr 2019 verdienten Frauen im Schnitt
ökonomischer Sicht                                           4,44 Euro pro Stunde weniger als Männer.
                                                            Der Gender Pay Gap betrug also 20 Prozent.

Der Gender Pay Gap basiert auf einer ökonomi-
                                                      1. stundenverdienste
                                                           Ermittelt werden die durchschnittlichen Brutto-
schen Definition der Entgeltgleichheit. Sie geht                           von Frauen und Männern in
davon aus, dass Beschäftigte unterschiedlich             Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten. Im
produktiv sind und deshalb unterschiedlich viel            Jahr 2019 waren das 17,72 Euro für Frauen und
verdienen. Die Produktivität wiederum hängt                22,16 Euro für Männer.
vom sogenannten Humankapital ab: Wie gut ist
eine Person qualifiziert? Wie leistungsfähig und
                                                      2. also 4,44 Euro.
                                                           Es wird die Differenz dieser Durchschnitte gebildet,
-bereit ist sie? Über welche berufliche Erfahrung
verfügt sie? Die Idee der klassischen ökonomi­
schen Definition der Entgeltgleichheit: Wenn
                                                      3. Differenz
                                                           Es wird errechnet, welchen Prozentanteil die
Frauen und Männer gleiches Humankapital                            am durchschnittlichen Bruttostunden-
aufweisen und somit gleich produktiv sind,               verdienst der Männer ausmacht. Für das Jahr 2019
erhalten sie gleiches Entgelt.                             ergibt das 20 Prozent.

8
1 Erste Station: Status quo

Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern 2014

                                                                                Gründe für den Unterschied
                                                                                                  Unerklärter Rest
                                                                 4,43                     1,16    (bereinigter Gender Pay Gap)
                                                               (2014)
                                                                                          0,13    Bildung und Berufserfahrung

                                                                                          0,42    Beschäftigungsumfang

                          19,87
                                                                                          1,33    Beruf und Branche
                                                                 15,44
  Männer

                                         Frauen

                                                                                                  Führungs- und
                                                                                          0,94    Qualifikationsanspruch

                                                                                          0,46    Sonstige Faktoren

Für das Jahr 2014 betrug der bereinigte Gender Pay Gap 5,8 Prozent.
Bruttostundenverdienst in Euro. Quelle: Statistisches Bundesamt 2017a

Was bedeutet „bereinigt“                                                 Was der bereinigte
und „unbereinigt“?                                                       Gender Pay Gap erklärt

Der Gender Pay Gap von 20 Prozent wird als un-                           Für das Jahr 2014 betrug der bereinigte Gender
bereinigter Gender Pay Gap bezeichnet. Mit ihm                           Pay Gap 5,8 Prozent (Finke et al. 2017). Von den
werden allgemein die Durchschnittsverdienste                             durchschnittlich 4,43 Euro brutto, die Männer
von Frauen und Männern miteinander verglichen.                           damals pro Stunde mehr als Frauen verdienten,
Davon zu unterscheiden ist der sogenannte                                konnte das Statistische Bundesamt 3,28 Euro
bereinigte Gender Pay Gap.                                               auf Unterschiede zwischen Frauen und Männern
                                                                         bei den erwähnten einkommensbestimmenden
Der bereinigte Gender Pay Gap gibt an, wie                               Merkmalen zurückführen (siehe Abbildung). Die
groß die Entgeltdifferenz zwischen Frauen und                            verbleibende Einkommensdifferenz von rund
Männern wäre, wenn ansonsten alle Vorausset-                             1,16 Euro konnte nicht erklärt werden. Sie ist der
zungen für ihren Verdienst gleich wären. Dazu                            „unerklärte Rest“.
zählen Qualifikation, Tätigkeit und Beruf, Position,
Berufserfahrung, Beschäftigungsumfang und                                Welche Merkmale hatten den größten Einfluss
Branche. Um den Einfluss dieser Merkmale wird                            auf die unterschiedlichen Gehälter von Frauen
der ursprünglich berechnete Gender Pay Gap                               und Männern? Dass Frauen häufiger als Männer
mithilfe statistischer Methoden „bereinigt“.                             in niedrig bezahlten Berufen und Branchen
Übrig bleibt der bereinigte Gender Pay Gap.                              arbeiten, war für 1,33 Euro des Einkommens-
                                                                         unterschiedes von insgesamt 4,43 Euro verant-
                                                                         wortlich. Weitere 94 Cent ließen sich auf die
                                                                         hierarchische Position im Betrieb zurückführen.
                                                                         Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung
                                                                         trugen 42 Cent zur Entgeltlücke bei.

                                                                                                                              9
1 Erste Station: Status quo

Nicht alles kann die                               Warum der Gender Pay Gap oft
Statistik erklären                                 falsch interpretiert wird

Angenommen, zwei Beschäftigte bringen ver-         In der Statistik bedeutet „erklärt“ so viel wie
gleichbare Voraussetzungen in ihrem Beruf mit      „zurückzuführen auf“. „Erklärt“ bedeutet nicht
ein. Sowohl die Frau als auch der Mann sind        „gerechtfertigt“ oder „frei von Diskriminierung“.
ähnlich qualifiziert, haben ähnlich viel Berufs-   Deshalb können auch im erklärten Teil des Gender
erfahrung, arbeiten in einer ähnlichen Position    Pay Gaps Benachteiligungen eine Rolle spielen.
und so weiter. Der bereinigte Gender Pay Gap       Wenn zum Beispiel ein großer Teil der Differenz
gibt an, welcher Verdienstunterschied auch         damit „erklärt“ wird, dass Frauen seltener in Füh-
dann noch zwischen beiden bestehen würde.          rungspositionen arbeiten, kann das bedeuten, dass
Gemessen am Mittelwert für das Jahr 2014           sie beim Zugang zu Führungs­positionen benach-
würden sie beim Gehalt knapp sechs Prozent         teiligt werden. Und auch wenn Teilzeitarbeit von
trennen. Da die Statistik dafür keine Erklärung    Frauen einen Teil des Gender Pay Gaps erklären
hat, sagt man zum bereinigten Gender Pay Gap       kann, kann daraus nicht geschlossen werden, dass
auch unerklärter Teil des Gender Pay Gaps.         Teilzeitarbeit immer angemessen vergütet wird.
                                                   Oder dass Frauen sich immer freiwillig für ein
                                                   Teilzeitmodell entscheiden, ohne Rücksicht
                                                   nehmen zu müssen auf vorhandene oder nicht
Diese Bestandteile gehören zum unbereinigten       vorhandene Infrastrukturen, gesellschaftliche
Gender Pay Gap                                     Erwartungen und Rollenstereotype.

                                                   Umgekehrt gilt: Auch in den 5,8 Prozent des
                                                   bereinigten Gender Pay Gaps aus dem Jahr 2014
                                                   stecken nicht automatisch 5,8 Prozent Diskrimi-
                                                   nierung. Denn vielleicht fehlen einkommens­
                                                   relevante Merkmale in der Berechnung, die gar
                                                   nicht diskriminierend sind. Ihr Beitrag zur
                                                   Erklärung der Entgeltdifferenzen wäre dann
                                                   verdeckt im unerklärten Anteil enthalten.

                                                   Im Gender Pay Gap verdichten sich zahlreiche
                                                   Probleme und Benachteiligungen, mit denen
                                                   Frauen im Arbeitsleben konfrontiert sind. Er ist
                                                   ein wichtiger Indikator für die Chancengleich-
                                                   heit von Frauen und Männern – im Erwerbsleben
     Erklärter Teil des Gender Pay Gaps
                                                   allgemein und besonders für Unterschiede bei
                                                   den Entgelten – auch wenn für ein vollständiges
                                                   Bild weitere Größen betrachtet werden müssen.
     Unerklärter Teil des Gender Pay Gaps
     (bereinigter Gender Pay Gap)
                                                   Der Gender Pay Gap zeigt auf, wie sich die unter­
                                                   schiedlichen Erwerbsbiografien von Frauen
                                                   und Männern auf das Einkommen beider Ge­
                                                   schlechter auswirken und welcher Ansätze es
                                                   bedarf, um die Gleichbehandlung und Gleich­
                                                   stellung von Frauen und Männern im Arbeits­
                                                   leben durchzusetzen.

10
1 Erste Station: Status quo

1.2.2 Entgeltungleichheit                            Nach dem Entgelttransparenz­gesetz ist das der
                                                     Fall, wenn eine Frau und ein Mann sich unter der
aus rechtlicher Sicht                                Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren
                                                     in einer vergleichbaren Situation befinden. Es
Der rechtliche Grundsatz der Entgeltgleichheit       geht bei den Faktoren um die Anforderungen an
schreibt vor, dass Frauen und Männer für gleiche     die Tätigkeiten – unab­hängig von den Personen,
oder gleichwertige Arbeit das gleiche Entgelt        die sie ausüben und unabhängig von deren indi­
erhalten müssen. Eine Busfahrerin muss also          vidueller Leistung. Dazu wird beurteilt: Sind die
grundsätzlich dasselbe verdienen wie ein Bus­        Anforderungen an die Ausbildung ähnlich hoch?
fahrer, eine Krankenpflegerin dasselbe wie ein       Welche weiteren Anforderungen stellen die
Krankenpfleger. Darin dürften sich alle einig        Tätigkeiten? Wie sehen Anforderungen an die
sein – zu­mindest, wenn sie in demselben Unter-      Kommunikation und Kooperation aus? Wofür
nehmen arbeiten. Doch ist es in Ordnung, wenn        übernehmen Beschäf­tigte Verantwortung? Welche
eine Krankenpflegerin weniger verdient als           physischen und psychischen Belastungen tragen
ein Kfz-Mechaniker, ein Metzgergeselle mehr          sie auf der Arbeit? Die Anforderungen können
als eine Verkäuferin an der Fleischtheke? Diese      unterschiedlich aussehen. Entscheidend ist, dass
Tätig­keiten sind unterschiedlich. Doch sie könn-    sie in der Summe gleich hoch sind. Dann sind
ten gleich­wertig sein und müssten dann auch         auch die Tätigkeiten gleichwertig.
gleich bezahlt werden – zumindest, wenn alle
Beschäftigten in einem Unternehmen arbeiten.

Gleich oder gleichwertig –
was bedeutet das?

Wenn eine Frau und ein Mann an verschiedenen
                                                      Diese Tätigkeiten sind gleich.
Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben
Arbeitsplatz identische oder gleichartige Tätig­          Kfz-Mechanikerin             =     Kfz-Mechaniker
keiten verrichten, dann leisten sie gleiche Arbeit          Kinderärztin               =       Kinderarzt
(§ 4 Entgelttransparenzgesetz). Sie können sich
                                                            Buchhalterin               =       Buchhalter
ohne Weiteres gegenseitig vertreten oder ersetzen,
wie zum Beispiel eine Kfz-Mechanikerin und ein             Personalleiterin            =     Personalleiter
Kfz-Mechaniker in einer Autowerkstatt oder eine               Erzieherin               =        Erzieher
Kinderärztin und ein Kinderarzt in einem Kran-
kenhaus.

                                                      Sind diese Tätigkeiten gleichwertig?
Ob eine Frau und ein Mann eine gleichwertige
Arbeit verrichten, ist auf den ersten Blick nicht         Krankenpflegerin             ?     Kfz-Mechaniker
zu erkennen. Es muss deshalb sorgfältig überprüft
                                                            Kinderärztin               ?         Chirurg
werden. Gleichwertige Arbeit bedeutet, dass die
Tätigkeiten zwar inhaltlich unterschiedlich, aber           Buchhalterin               ?       Verkäufer

von den An­forderungen und Belastungen – also              Personalleiterin            ?      Betriebsleiter
ihrem „Wert“ nach – gleich einzuschätzen und
                                                              Erzieherin               ?     Programmierer
zu bewerten sind.

                                                                                                               11
1 Erste Station: Status quo

Benachteiligung hat viele Gesichter
Eine Benachteiligung beim Entgelt kann viele            Das rechtliche Verbot der Benachteiligung
Gesichter haben. Wenn beispielsweise eine Frau          beim Entgelt
weniger Gehalt erhält als ihr Kollege mit den           Seit 2017 regelt das Entgelttransparenzgesetz
gleichen Aufgaben, spricht viel für eine unmit­         den Grundsatz der Entgeltgleichheit. Es ver­
telbare Entgeltbenachteiligung wegen des Ge-            bietet allen Arbeitgebern, Beschäftigte wegen
schlechts. Eine unmittelbare Benachteiligung            ihres Geschlechts unmittelbar oder mittelbar
liegt auch vor, wenn eine Frau wegen Schwanger-         beim Entgelt zu benachteiligen. Das galt übri-
schaft oder Mutterschaft weniger verdient. Das          gens schon vor dem Entgelttransparenzgesetz
legt das Entgelttransparenzgesetz in § 3 Absatz 2       und gilt auch weiterhin nach dem Allgemeinen
ausdrücklich fest. Weitere Beispiele für unmittel-      Gleichbehandlungsgesetz. Für Deutschland
bare Benachteiligungen beim Entgelt sind: Die           entschied das Bundesarbeitsgericht bereits
Nachfolgerin erhält bei gleicher Tätigkeit 200 Euro     im Jahr 1955, dass das Grundgesetz auch den
weniger Entgelt als der Vorgänger. Eine Köchin          Grundsatz der Entgeltgleichheit von Frauen
wird nach Tarif bezahlt, der Koch als ihr unmittel-     und Männern umfasst. Der Grundsatz bindet
barer Kollege erhält eine nicht weiter begründete       nicht nur alle Arbeitgeber in Deutschland. Auch
Zulage von 300 Euro.                                    die Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, sich
                                                        daran zu halten. In Europa gilt der Grundsatz
Beschäftigte können beim Entgelt auch dann              der Entgeltgleichheit seit 1957 und findet
benachteiligt sein, wenn die geringere Bezah-           sich heute als Artikel 157 im Vertrag über die
lung gar nicht unmittelbar an das Geschlecht            Arbeitsweise der Europäischen Union. Die
anknüpft. Zum Beispiel, weil der unterschied­           Gender-Richtlinie 2006/54/EG konkretisiert ihn.
lichen Bezahlung Vorschriften zugrunde liegen,
die auf den ersten Blick neutral erscheinen. Wenn
diese Vorschriften dennoch mehr Nachteile für
ein Geschlecht als für das andere bedeuten, kann
eine mittelbare Benachteiligung beim Entgelt          dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. So
vorliegen. Zum Beispiel, wenn Teilzeitbeschäf­        hat der Europäische Gerichtshof beispielsweise
tigte von der betrieblichen Altersversorgung aus-     entschieden, dass es ein rechtmäßiges Ziel ist, die
geschlossen sind und deutlich mehr Frauen als         Berufserfahrung zu honorieren, wenn sie Beschäf-
Männer in Teilzeit arbeiten, trifft sie der Aus-      tigte befähigt, ihre Arbeit besser zu verrichten.
schluss besonders. Oder als weiteres Beispiel: Das
überwiegend weibliche Küchen- und Reinigungs-         Die Frage, was Entgeltungleichheit bedeutet, wird
personal erhält keine Erfolgsprämie, während          aus ökonomischer Perspektive mit dem Gender
alle übrigen Beschäftigten in demselben Unter-        Pay Gap als Indikator anders beantwortet als aus
nehmen eine erhalten.                                 rechtlicher Sicht auf Basis des Grundsatzes des
                                                      gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige
Im Unterschied zur unmittelbaren Benachteili-         Arbeit. Beide Sichtweisen umschreiben aus ver-
gung kann die mittelbare Benachteiligung eines        schiedenen Blickwinkeln eine nach wie vor be-
Geschlechts beim Entgelt gerechtfertigt werden        stehende ungleiche Behandlung von Frauen und
(§ 3 Absatz 3 Entgelttransparenzgesetz) – nämlich     Männern in der Bezahlung. Sie machen beide
dann, wenn die jeweiligen Vorschriften durch ein      deutlich, dass Entgeltgleichheit zwischen Frauen
rechtmäßiges Ziel sachlich gerecht­fertigt werden     und Männern noch nicht umgesetzt ist und
können und die gewählten Mittel zur Erreichung        weiterhin Handlungsbedarf besteht.

12
1 Erste Station: Status quo

Entgeltungleichheit summiert sich                                                schnittlich 244 Euro weniger, nur weil sie
                                                                                 Frauen sind. Im Jahr haben sie durchschnittlich
Hinter allen Durchschnittszahlen, Prozent­wer­                                   knapp 3.000 Euro und nach 30 Berufsjahren fast
ten und Grundsätzen stehen Einzelpersonen,                                       88.000 Euro brutto weniger verdient. Auf dem
die finanzielle Einbußen haben. Diese Einbußen                                   Konto kann sich dieser Unterschied noch deut-
machen sich monatlich bemerkbar, addieren sich                                   licher bemerkbar machen – nämlich dann, wenn
im Laufe eines Jahres und machen nach 30 Jahren                                  Verheiratete die Steuer­klasse IV aufgeben und
Berufstätigkeit eine erhebliche Summe aus. Wenn                                  stattdessen die Steuer­klassen III und V kombinie-
in einer vereinfachten Rechnung eine Entgelt­                                    ren. Das führt dazu, dass die steuerlichen Abzüge
lücke von „nur“ sechs Prozent angenommen                                         vom Verdienst der geringer verdienenden Part­
wird, erhalten beispielsweise Buchhalterinnen                                    nerin beziehungsweise des geringer verdienenden
im Vergleich zu Buchhaltern im Monat durch­                                      Partners proportional höher ausfallen.

Wie sich die Entgeltlücke im Laufe des Berufslebens summiert

                                                Köchin/Koch                          Krankenpflegerin/                          Buchhalterin/
                                                                                      Krankenpfleger                             Buchhalter

Bruttomonatsverdienst
von Männern in Vollzeit                             2.108 Euro                                   3.196 Euro                              4.068 Euro

Bruttomonatsverdienst
von Frauen in Vollzeit                             1.982 Euro                                   3.004 Euro                              3.824 Euro

Entgeltlücke von 6 Prozent

im Monat                                       126,48 Euro                             191,76 Euro                              244,08 Euro

im Jahr                                     1.517,76 Euro                           2.301,12 Euro                            2.928,96 Euro

in 30 Berufsjahren                       45.532,80 Euro                          69.033,60 Euro                           87.868,80 Euro

Auch wenn sie die gleichen Berufe ausüben, blicken Frauen und Männer am Ende ihres Berufslebens auf ganz unterschiedliche Gehälter.
Quelle: Statistisches Bundesamt 2017b, eigene Berechnungen

                                                                                                                                                13
2
           Zweite Station:
             Ursachen
     Der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap zeigt den
Unterschied im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von
  Frauen und Männern. Er ist gleichzeitig ein Indikator für die
   fehlende Gleichstellung von Frauen und Männern auf dem
 Arbeitsmarkt. Um zu verstehen, wie die Entgeltlücke entsteht,
 hilft ein Blick auf die drei Ursachenkomplexe: horizontale und
vertikale Geschlechtersegregation, Aufteilung von Erwerbs- und
 Sorgearbeit und fehlende Transparenz und Diskriminierungs­
                  gefahren bei der Entgeltfindung.
2 Zweite Station: Ursachen

2.1 Horizontale und vertikale Geschlechter-
    segregation

Um den Ursachen für den Gender Pay Gap auf
die Spur zu kommen, sollte man sich zwei Aspekte
vor Augen führen. Erstens: Frauen und Männer          Was ist ein „Frauen“-, was ein „Männerberuf“?
verteilen sich auf unterschiedliche Branchen und      Liegt der Anteil von Frauen in einem Beruf
Berufe. Die Arbeitsmarkt­forschung nennt das          bei mehr als 70 Prozent, spricht man von
horizontale Segregation. Der zweite Aspekt:           einem „Frauenberuf“. Analog dazu arbeiten in
Frauen und Männer nehmen in Betrieben unter-          ­„Männerberufen“ über 70 Prozent männliche
schiedliche Positionen ein und arbeiten auf            Beschäftigte. Allerdings sagt die Bezeichnung
verschiedenen Hierarchieebenen. Das wird als           nichts darüber aus, ob Frauen oder Männer
vertikale Segregation beschrieben. Da oft auch         grundsätzlich besser für einen Beruf geeignet
unterschiedliche Tätigkeitsbereiche und Berufe         sind, oder ob dieser Beruf ein „Frauen- oder
in einem hierarchischen Verhältnis stehen, hän-        Männerberuf“ bleiben muss. Bei ausgewogene-
gen beide Dimensionen zusammen. So sind soge-          ren Verhältnissen, also wenn der Anteil eines
nannte Frauenberufe im Bereich der personen­           Geschlechts bei unter 70 Prozent beziehungs-
bezogenen und sozialen Dienstleistungen, wie           weise über 30 Prozent liegt, spricht man von
zum Beispiel Krankenschwester oder Erzieherin,         einem „Mischberuf“.
überwiegend mit geringen Verdienst-, Aufstiegs-
und Entwicklungsmöglichkeiten verknüpft. Um-
gekehrt sieht es in einem sogenannten Männer­
beruf wie Ingenieur aus: Ingenieure verdienen
im Durchschnitt vergleichsweise viel und verfü-     Weichen. Der Grundstein dafür, dass Mädchen
gen über mehr Karriereoptionen. Die horizontale     und Jungen bestimmte Berufe vorziehen, wird
und vertikale Segregation ist ein Grund für den     schon in Kindheit und früher Jugend gelegt.
Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Män-         Die Familien, Kinderbetreuungseinrichtungen
nern, der 2014 durchschnittlich 4,43 Euro pro       oder die Schulen als Sozialisationsinstanzen sowie
Stunde betrug. Davon ließen sich 1,33 Euro damit    Gleichaltrige spielen dabei eine wichtige Rolle.
erklären, dass Frauen in anderen Branchen arbei-    Bekannte Geschlechterstereotype wirken auf
ten als Männer (Statistisches Bundesamt 2017a).     die Berufswahl ein: die Annahme, Männer könn-
                                                    ten besser in technischen oder handwerklichen
Für die horizontale und vertikale Geschlechter­     Berufen arbeiten, Frauen besser in erzieherischen
segregation auf dem Arbeitsmarkt gibt es viele      oder pflegerischen Berufen. Begriffe wie „ge-
Ursachen. Vor allem die Phasen des Berufsein-       schlechtsspezifische Arbeitsteilung“, „männliche“
stiegs und der Familiengründung entscheiden         oder „weibliche“ Tätigkeiten erwecken zudem den
über die Segregation am Arbeitsmarkt (Bundes­       Eindruck, eine Arbeit oder Tätigkeit sei an ein
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und       bestimmtes Geschlecht gebunden. Tatsächlich
Jugend 2011). Zunächst stellen der Berufseinstieg   gibt es aber keine Tätigkeit, die nur von einem
und das Ausbildungssystem entscheidende             Geschlecht ausgeübt werden kann.

                                                                                                       15
2 Zweite Station: Ursachen

                                            1                                                          1
                                        2                                                    2
                       3                                                     3

  Junge Frauen wählen überwiegend Ausbildungsberufe            Junge Männer besetzen stärker Berufe wie Kraftfahrzeug-
 im kaufmännischen Bereich. Besonders beliebte Berufe               mechatroniker, Elektroniker oder verschiedene
    sind zudem (zahn-)medizinische Fachangestellte,               andere mechanische Berufe. Erst danach folgen die
               Verkäuferin oder Friseurin.                                    kaufmännischen Berufe.

 Die beliebtesten Ausbildungsberufe von Frauen 2018             Die beliebtesten Ausbildungsberufe von Männern 2018

 Kauffrau für Büromanagement                          10,6 %    Kraftfahrzeugmechatroniker                            7,6 %

 Medizinische Fachangestellte                          8,4 %    Industriemechaniker                                   4,8 %

 Zahnmedizinische Fachangestellte                      6,5 %    Elektroniker                                          4,6 %

 Industriekauffrau                                     6,0 %    Anlagenmechaniker für Sanitär-,                       4,0 %
                                                                Heizungs- und Klimatechnik
 Kauffrau im Einzelhandel                              5,9 %
                                                                Fachinformatiker                                      3,9 %
 Verkäuferin                                           4,3 %
                                                                Kaufmann im Einzelhandel                              3,2 %
 Friseurin                                             3,4 %
                                                                Mechatroniker                                         3,0 %
 Kauffrau im Groß- und                                 2,9 %
 Außenhandel                                                    Fachkraft für Lagerlogistik                           2,7 %

 Verwaltungsfachangestellte                            2,8 %    Kaufmann im Groß- und Außenhandel                     2,6 %

 Hotelfachfrau                                         2,6 %    Elektroniker für Betriebstechnik                      2,5 %

Quelle: Statistisches Bundesamt 2020b                          Quelle: Statistisches Bundesamt 2020b

Da die von Frauen bevorzugt gewählten Berufe                   Ausbildungsberufe. Bei jungen Männern verteilt
in der Regel schlechter bezahlt sind als die von               sich mehr als die Hälfte auf 20 Ausbildungsberufe.
Männern, haben Frauen geringere Gehälter und
schlechtere Einkommensmöglichkeiten im Le-                     Der Medianlohn beschreibt den Lohn, der die
bensverlauf. Die Folgen dieser Berufswahl ziehen               Rangreihe der Löhne genau in der Mitte teilt.
sich durch das Leben und enden mit einer nie­                  Das heißt, dass es genauso viele Menschen mit
drigeren Rente für Frauen. Dazu kommt: Häufig                  einem höheren wie mit einem niedrigeren Lohn
wählen Frauen und Männer nicht nur Berufe,                     gibt. Berufe, in denen viele Frauen arbeiten, wei-
die als „weiblich“ oder „männlich“ gelten. Sie                 sen niedrigere Medianlöhne auf als Berufe mit
suchen sich ihren Beruf auch aus einem ver­                    einem geringen Frauenanteil. Die fünf Berufe
gleichsweise kleinen Ausbildungsspektrum                       mit den höchsten Medianlöhnen sind ausnahms-
aus – und schränken ihre beruflichen Möglich­                  los „Männerberufe“: Unternehmer, Ingenieure,
keiten damit deutlich ein. Mehr als die Hälfte                 Datenverarbeitungsfachleute und Bank- sowie
der jungen Frauen konzentriert sich auf zehn                   Versicherungsfachleute (Wrohlich/Zucco 2017).

16
2 Zweite Station: Ursachen

Frauenanteil und mittlerer Lohn (Medianlohn) in den 30 häufigsten Berufen

                                                                                                      Tageslohn in Euro pro Tag
                                                                               0      20      40      60 80 100 120 140 160 180 200

Unternehmerinnen, Unternehmer und Geschäftsführende
Sonstige Ingenieurinnen, Ingenieure
Datenverarbeitungsfachleute
Bankfachleute
Lebens- und Sozialversicherungsfachleute
Sonstige Technikerinnen, Techniker
Maschinenschlosserinnen, Maschinenschlosser
Groß- und Handelskaufleute
Buchhalterinnen, Buchhalter
Dreherinnen, Dreher
Elektroinstallateurinnen, Elektroinstallateure und
-monteurinnen, -monteure
Bürofachkräfte mit Ausbildung
Heimleiterinnen, Heimleiter und Sozialpädagoginnen,
Sozialpädagogen
Krankenschwestern und -pfleger, Hebammen
Stenografinnen, Stenografen
Bürofachkräfte mit Abitur/Hochschulabschluss
Bürofachkräfte ohne Ausbildung
Kindergärtnerinnen, Kindergärtner
Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter und
Sozialpflegerinnen, Sozialpfleger
Lagerverwalterinnen, Lagerverwalter und
Magazinerinnen, Magaziner
Kraftfahrzeuginstandsetzerinnen, Kraftfahrzeuginstandsetzer
Helfende in der Krankenpflege
Metallarbeiterinnen, Metallarbeiter/Warenaufmacherinnen,
Warenaufmacher und Versandfertigmacherinnen, Versand-
fertigmacher/Kunstoffverarbeitende
Kraftfahrzeugführende
Lager-, Transportarbeiterinnen, -arbeiter
Verkäuferinnen, Verkäufer
Sprechstundenhelferinnen, Sprechstundenhelfer
Köchinnen, Köche
Raum-, Hausratreinigerinnen, -reiniger
Kellnerinnen, Kellner und Stewards

                                                                                      10      20      30      40      50      60      70      80     90
                                                                                                        Frauenanteil in Prozent
                                                                                   Männerberufe                Mischberufe              Frauenberufe
In Berufen, in denen viele Frauen arbeiten, sind die Medianlöhne niedriger als in Berufen mit geringem Frauenanteil. Anmerkung: Die Berechnungen basieren
nur auf Vollzeiterwerbstätigen. Die Einteilung in die jeweiligen Berufe basiert auf der KldB 88. Frauenanteil in Prozent, Tageslohn (Median) in Euro pro Tag.
Quelle: Wrohlich/Zucco 2017

                                                                                                                                                                17
2 Zweite Station: Ursachen

Geschlechterstereotype wirken fort                   Insgesamt sind Frauen in Ostdeutschland stärker
                                                     in den Führungsetagen vertreten als in West-
Die Geschlechterstereotype, die die Berufswahl       deutschland (Kohaut/Möller 2019). Im Jahr 2018
von Jugendlichen prägen, wirken auch im weite-       lag der Anteil weiblicher Führungskräfte im Osten
ren Erwerbsleben fort. Das trägt dazu bei, dass      Deutschlands rund sechs Prozentpunkte über
manche Berufe und Positionen für Frauen – teils      dem Wert in Westdeutschland – sowohl im Top-­
auch für Männer – verschlossen bleiben. So funk-     Management als auch in der zweiten Führungs-
tionieren Personalauswahl und -entwicklung           ebene und in Führungspositionen in kleineren
oft nach dem „Similar-to-me-Effekt“ oder auch        Betrieben. Ein Unterschied zwischen Ost- und
Ähnlichkeitsprinzip: Bei Personalentscheidungen      Westdeutschland besteht auch bei der Vergütung
werden Bewerberinnen oder Bewerber als unge-         der Führungspositionen. So werden Führungs-
eignet für einen Beruf oder eine Position einge-     positionen in Westdeutschland im Durchschnitt
schätzt, weil sie den Vorgängerinnen oder Vorgän-    besser vergütet als in Ostdeutschland. Auch die
gern nicht ähnlich genug sind. Sie erfüllen nicht    Gehaltsunterschiede von weiblichen und männ-
die bestehenden Muster. Ein weiteres Beispiel, wie   lichen Führungskräften sind im Osten nicht so
das Geschlecht die berufliche Entwicklung prägt:     groß. Darin liegt eine weitere Ursache für den
Mädchen schneiden im Vergleich zu Jungen im          vergleichsweise niedrigen Gender Pay Gap in den
Schulsystem besser ab. Sie machen häufiger das       östlichen Bundesländern.
Abitur und verlassen seltener die Schule ohne
Schulabschluss. Dennoch haben sie geringere          Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen
Chancen, diese Qualifikationen am Ausbildungs-       zu erhöhen, gilt seit 2016 eine feste Geschlechter-
und Arbeitsmarkt so einzusetzen, dass daraus         quote von 30 Prozent für neu zu besetzende Auf-
bessere Karriere- und Einkommensmöglichkeiten        sichtsratsposten in etwa 100 börsennotierten
für sie entstehen.                                   und paritätisch mitbestimmten Unternehmen.
                                                     Dass sie wirkt, zeigen die Zahlen aus dem Jahr
So bleibt der Anteil von Frauen in Leitungs- und     2019: Hier lag der Frauenanteil in den Aufsichts-
Entscheidungspositionen bis heute sehr gering.       räten der Unternehmen, die unter die Geschlech­
Dieses Phänomen der „Gläsernen Decke“, bei           terquote fallen, bei 34,9 Prozent. Auch der Anteil
dem oberhalb einer gewissen Hierarchiestufe          der Frauen im Vorstand ist in dieser Gruppe
kaum noch Frauen vertreten sind, ist in Deutsch­     stärker gestiegen als im Durchschnitt aller DAX-­
land besonders ausgeprägt. Nur knapp jede dritte     Unternehmen. Im Jahr 2019 kletterte er auf
­Führungskraft war 2018 eine Frau (Statistisches     10,3 Prozent – verglichen mit 8,5 Prozent im
Bundesamt 2020d). Im Vergleich zu anderen Län-       Jahr 2018 (Kirsch/Wrohlich 2020).
dern der Europäischen Union lag Deutschland
damit nur im unteren Drittel. Insbesondere in        Die erhofften Übertragungseffekte, genannt
der Privatwirtschaft bleibt der Anteil von Frauen    „Spill-Over-­Effekte“, auf Unternehmen, die nicht
an Führungspositionen weit unter ihrem Anteil        unter die gesetzliche Quotenregelung fallen,
an den Beschäftigten. Daran hat sich in den letz-    blieben bislang jedoch aus: Der Frauenanteil
ten Jahrzehnten nur wenig verändert.                 auf allen anderen Führungs­ebenen, insbeson­
                                                     dere auf der Vorstandsebene, bleibt gering. Ende
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen          2019 war in knapp 39,6 Prozent der 200 umsatz-
stieg zwischen 1995 und 2015 in der Privatwirt-      stärksten Unternehmen ohne den Finanzsektor
schaft gerade einmal um zehn Prozentpunkte           mindestens eine Frau im Vorstand vertreten. Der
auf 30 Prozent (Holst/Friedrich 2017).               Frauenanteil an allen Vorstands­mitgliedern betrug
                                                     10,4 Prozent. Das bedeutet umgekehrt, dass wei-
                                                     terhin knapp 90 Prozent aller Vorstandsmitglieder
                                                     in den 200 umsatzstärksten Unternehmen männ-
                                                     lich sind.

18
2 Zweite Station: Ursachen

So hat sich der Frauenanteil in den Top-200-Unternehmen entwickelt

40                                                                                                                             Aufsichtsrat

                                                                                                                                    Mit fester
                                                                                                                                    Geschlechter-
                                                                                                                                    quote
                                                                                                                                    Ohne feste
30
                                                                                                                                    Geschlechter-
                                                                                                                                    quote

20                                                                                                                             Vorstand

                                                                                                                                    Mit fester
                                                                                                                                    Geschlechter-
                                                                                                                                    quote im
                                                                                                                                    Aufsichtsrat
10
                                                                                                                                    Ohne feste
                                                                                                                                    Geschlechter-
                                                                                                                                    quote

  0
           2013             2014             2015              2016             2017             2018               2019       Jahr

Unternehmen, in deren Aufsichtsrat die Geschlechterquote gilt, hatten zuletzt mehr weibliche Vorstandsmitglieder.
Angaben in Prozent. Quelle: Kirsch/Wrohlich 2020

In Führungsetagen sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert

50
                                                                                                                                    Alle Beschäftigten

                                                                                                                                    2. Führungsebene
40
                                                                                                                                    1. Führungsebene

30

20

10

  0
            2004                2008                2012                2014                2016                2018           Jahr
Der Frauenanteil liegt in der ersten und zweiten Führungsebene deutlich unter dem Anteil der Frauen an allen Beschäftigten. Angaben in Prozent.
Quelle: IAB-Betriebspanel 2004, 2008, 2012, 2014, 2016 und 2018, gewichtete Werte; für 2006 und 2010 liegen keine Daten vor (Kohaut/Möller 2019).

                                                                                                                                                    19
2 Zweite Station: Ursachen

Horizontale und vertikale Geschlechtersegrega-                             Führungspositionen in „Frauenberufen“ eben-
tion stehen also in einem engen Zusammenhang:                              falls in einem hierarchischen Verhältnis zu den
So sind Frauen zwar am häufigsten in den Wirt-                             Führungspositionen in „Männerberufen“. In
schaftsbereichen Gesundheits- und Sozialwesen,                             sogenannten Frauenberufen gibt es in der Regel
Erziehung und Unterricht in Führungspositionen                             weniger Aufstiegsmöglichkeiten, die Einkommen
vertreten. Allerdings liegt ihr Anteil an Führungs-                        fallen im Schnitt geringer aus und Frauen sind
kräften auch hier deutlich unter ihrem Beschäftig-                         weniger entscheidungsbefugt im Unternehmen.
tenanteil in diesen Bereichen. Zudem stehen die

2.2 Frauen leisten mehr unbezahlte Sorgearbeit
In Deutschland sind Erwerbsarbeit und Sorge­                               Dass private Sorgearbeit ungleich verteilt ist,
arbeit, oft mit dem englischen Begriff „Care-­                             liegt unter anderem daran, dass in vielen Fami­
Arbeit“ bezeichnet, zwischen Frauen und Männern                            lien stereotype Vorstellungen über die Rollen
ungleich verteilt. Frauen erledigen häufiger un­                           von Frau und Mann herrschen und Frauen
bezahlte Hausarbeit, betreuen und erziehen die                             traditionell häufiger Sorgearbeit übernehmen.
Kinder und/oder pflegen Angehörige. Pro Tag                                Das wirkt sich auch auf den Erwerbsumfang von
leisten Männer im Schnitt zwei Stunden und                                 Frauen aus. Denn es ist kaum möglich, in Vollzeit
46 Minuten unbezahlte Sorgearbeit, Frauen hin-                             zu arbeiten, nebenbei kleinere Kinder zu versor-
gegen vier Stunden und 13 Minuten (Klünder                                 gen oder sich um ältere oder kranke Angehörige
2017). Das zeigen Analysen des Statis­tischen                              zu kümmern. Zugleich bildet jedoch das soge-
Bundesamtes.1 Um das Ungleichgewicht in der                                nannte Normalarbeitsverhältnis, das eine unbe-
Verteilung der Sorgearbeit zwischen Frauen und                             fristete, sozial abgesicherte und tariflich entlohn-
Männern deutlich zu machen, wurde für den                                  te Vollzeittätigkeit beschreibt, die Basis für das
zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregie-                            Rentensystem und die Arbeitslosenversicherung.
rung (Bundesministerium für Familie, Senioren,                             Jede andere Erwerbsform gilt als „atypisch“ und
Frauen und Jugend 2017) ein neuer Indikator                                führt zu einer schlechteren sozialen Absicherung.
entwickelt: der Gender Care Gap. Er zeigt den
Unterschied zwischen Frauen und Männern bei
der Über­nahme unbezahlter Sorgearbeit an. Er
beträgt derzeit 87 Minuten pro Tag. Das entspricht
einem Gender Care Gap von 52,4 Prozent. Der
Begriff der unbezahlten Sorgearbeit wird dabei
breit gefasst und beinhaltet sämtliche Arbeiten im
Haushalt und Garten, die Pflege und Betreuung
von Kindern und Erwachsenen sowie ehrenamt-
liches Engagement und unbezahlte Hilfen für
andere Haushalte.

1    Die Zeitverwendungserhebung wird alle zehn Jahre durchgeführt. Die Angaben hier beziehen sich auf die letzte Erhebung 2012/2013, die das
     Statistische Bundesamt 2015 veröffentlicht hat. Statistisches Bundesamt, 2015: Zeitverwendungserhebung. Aktivitäten in Stunden und Minuten
     für ausgewählte Personengruppen. Wiesbaden.

20
2 Zweite Station: Ursachen

Der tägliche Zeitaufwand von Frauen und Männern für unbezahlte Sorgearbeit

06:00 h                                                                                                        Männer

                                                                                                               Frauen
                                                               83,3
                                                                                                               Gender
                                                                                                               Care
05:00 h                                                                                                        Gap in
                                                                                                               Prozent

                    35,7                                                             52,4
04:00 h

03:00 h

02:00 h

01:00 h

00:00 h
                  Paare ohne Kinder                          Paare mit Kinder         Insgesamt

Bei Paaren mit Kindern ist der Gender Care Gap mit über 80 Prozent besonders hoch.
Angaben zum Gender Care Gap in Prozent. Quelle: Klünder 2017

                                                                                                                     21
2 Zweite Station: Ursachen

Unbezahlte Sorgearbeit partner-                      weile über 40 Prozent der Väter Elterngeld und
schaftlich aufteilen                                 unterbrechen oder reduzieren ihre Erwerbstätig-
                                                     keit zeitweise, um sich um ihr Kind zu kümmern.
                                                     Der Anteil der Mütter, die Elterngeld beziehen,
Eine Familie zu gründen, wirkt sich wegen der        liegt bei fast 98 Prozent (Statistisches Bundesamt
damit verbundenen stereotypen Aufgabenver­           2020e). Immer mehr Väter entscheiden sich für das
teilung nach wie vor stark auf die Erwerbsver­       ElterngeldPlus und nutzen das Elterngeld länger
läufe von Frauen aus. Das Neugeborene braucht        als nur für die Mindestdauer von zwei Monaten,
Fürsorge – und die braucht Zeit. Frauen unter­       die sogenannten Partnermonate. Beim Elterngeld-
brechen ihre Erwerbstätigkeit für die Familien-      Plus liegt die durchschnittliche Bezugsdauer der
gründung weit häufiger und in der Regel auch         Väter bei 8,9 Monaten (Statis­tisches Bundesamt
deutlich länger als Männer. Ein Grund dafür          2020c). Das wirkt sich auch positiv auf eine gleich-
sind oft die eigenen Wünsche. Auch spielt es eine    berechtigte Kinderbetreuung aus: 82 Prozent der
wichtige Rolle, wie familienfreundlich der eigene    Eltern, die den Partnerschaftsbonus nutzen, teilen
Arbeitgeber ist (Allensbach 2015). Aus Sicht der     sich die Kinderbetreuung etwa hälftig auf (Deut-
Familien ist das Modell, dass die Mutter zunächst    scher Bundestag 2018).
das Kind versorgt, aber auch eine unabhängig von
Geschlechterstereotypen getroffene, rationale        Unabhängig von der Dauer des Elterngeldbezugs
Entscheidung. Da Frauen im Durchschnitt weni-        durch die Väter ist die Wirkung nachhaltig. Stu-
ger verdienen, wirkt sich der Einkommensverlust      dien zeigen, dass Väter in Elternzeit mehr Zeit
nicht so stark auf das Familieneinkommen aus         mit ihrem Kind verbringen und dieser Effekt
wie der Ausfall des in der Regel höheren Einkom-     auch nach Ende des Elterngeldbezugs anhält.
mens von Männern. Insofern verstärken sich hier      Eine stärkere Beteiligung der Väter an der unbe-
Ursache und Auswirkung des Gender Pay Gaps.          zahlten Sorgearbeit ermöglicht den Müttern
                                                     außerdem, Anschluss im Beruf zu halten. Ver-
Mit Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007,        schiedene Studien haben gezeigt, dass das Eltern-
das Mütter und Väter für die Zeit der Erwerbs-       geld zu kürzeren Erwerbsunterbrechungen von
unterbrechung finanziell unterstützt, wurden         Müttern führt und insgesamt die Erwerbstätigkeit
die Weichen für eine gerechtere Verteilung von       von Müttern fördert (Wrohlich/Berger et al. 2012).
Familienarbeit gestellt und Veränderungen in den     Darüber hinaus wirkt das Elterngeld auch breit in
Familien herbeigeführt. Ein weiterer Schritt zu      die Gesellschaft und verändert Einstellungen über
mehr Partnerschaftlichkeit war die Einführung        die Aufgaben und Geschlechtervorstellungen von
von ElterngeldPlus und Parnterschaftsbonus mit       Müttern und Vätern. So wollen nicht nur Väter
weiteren Gestaltungsmöglichkeiten. Gleichzeitig      selbst viel Zeit mit ihren Kindern verbringen. Auch
bleibt es allerdings bei einem geringeren Erwerbs-   zwei Drittel der Bevölkerung erwarten von Vätern,
umfang von Frauen im Vergleich zu Männern.           dass sie sich auch um ihre kleinen Kinder küm-
Während das Erziehungsgeld bis 2007 lediglich        mern, sich stark im Familienalltag engagieren und
drei Prozent der Väter nutzten, beziehen mittler-    ihre Partnerinnen unterstützen (Allensbach 2019).

22
2 Zweite Station: Ursachen

Familie und Beruf vereinbaren                                                     der unter Dreijährigen, deutlich gestiegen. Be-
                                                                                  suchten im Jahr 2007 in Deutschland nur 15,5 Pro-
Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit auch                                    zent der Kinder unter drei Jahren eine Kinder­
deshalb häufig, weil es in Deutschland lange Zeit                                 betreuungseinrichtung, verdoppelte sich der
keine oder nur unzureichende Betreuungsplätze                                     Anteil 2019 auf 34,3 Prozent. Noch immer zeigen
für Kinder gab. Um Familie und Beruf besser                                       sich dabei deutliche Unterschiede zwischen den
vereinbaren zu können, sind seit 2007 viele neue                                  westdeutschen und den ostdeutschen Bundes­
Betreuungsplätze entstanden. Seit August 2013                                     ländern: So besucht in Ostdeutschland mehr als
haben Eltern zudem einen Rechtsanspruch auf                                       die Hälfte der unter Dreijährigen eine Kita oder
einen Betreuungsplatz für Kinder, die das erste                                   wird von Tageseltern bereut. In Westdeutschland
Lebensjahr vollendet haben. Durch diese Maß­                                      sind es nur rund 30 Prozent.
nahmen ist die Betreuungsquote, insbesondere

Kinder in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege

                                                                                                                                              94,2
                                                                           93,6                                                        93 92,7
                                                                    89 88,1

                                                                                                                    52,1
                                                    40,7
                                                                                                  34,3
       Deutschland                                                                                    30,3
       gesamt

       Früheres Bundes-           15,5
       gebiet ohne Berlin                   9,8
       Neue Bundes-
       länder mit Berlin
                                       Kinder unter                  Kinder von 3 bis                  Kinder unter                    Kinder von 3 bis
                                         3 Jahren                     unter 6 Jahren                     3 Jahren                       unter 6 Jahren
                                                             2007                                                           2019
Kinder unter drei Jahren besuchen in den ostdeutschen Bundesländern doppelt so häufig eine Kita oder werden von Tageseltern betreut.
Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2019a

                                                                                                                                                          23
2 Zweite Station: Ursachen

Öffnungszeiten von Kitas und Horten

                                                                            Öffnungszeiten von Kitas 2017
                                                                            West

                                                                                                                                                        57
                                                                                                                                                        44
                                                                            Ost

                                                                                                                                                        88
                                                                                                                                                         8

                                                                            Öffnungszeiten von Horten 2017
                                                                            West

                                                                                                                                                        21
                                                                                                                                                        13
                                                                            Ost

                                                                                                                                                        88
                      Vor 7:30 Uhr geöffnet
                                                                                                                                                         9
                   Vor 16:30 Uhr geschlossen
                                                                            0           20           40           60            80          100

Nur 57 Prozent der Kindertagesstätten in den westdeutschen Bundesländern haben vor 7:30 Uhr geöffnet. Und 44 Prozent schließen bereits vor 16:30 Uhr.
Angaben in Prozent. Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2018

Obwohl immer mehr Kinder in Kitas und Kinder-                                    in Deutschland weiterhin für das Vollzeit-Teilzeit-­
tagespflege betreut werden können, liegt der                                     Modell. Das bedeutet, ein Elternteil – mehrheitlich
Betreuungsbedarf in vielen Städten und Regionen                                  der Vater – arbeitet in Vollzeit. Der andere Eltern-
noch immer über der tatsächlichen Betreuungs-                                    teil – mehrheitlich die Mutter – arbeitet in Teilzeit.
quote. Daher finden immer noch viele Eltern                                      In mehr als der Hälfte (53,6 Prozent) der Paar­
keinen Betreuungsplatz, der zu ihren individuel-                                 familien mit einem Kind unter drei Jahren war
len Arbeitszeiten passt. Damit beide Elternteile                                 2018 nur der Vater erwerbstätig. In gut 35 Prozent
auch in Vollzeit oder vollzeitnah erwerbstätig                                   der Paarfamilien mit kleinen Kindern waren beide
sein können, muss die Kinderbetreuung weiter                                     Eltern erwerbstätig. Dass beide Elternteile in Voll­
quantitativ und qualitativ ausgebaut und zudem                                   zeit erwerbstätig sind, bleibt die Ausnahme, ins­
besser an den zeitlichen Betreuungsbedarfen der                                  besondere wenn die Kinder noch sehr klein sind.
Eltern angepasst werden. Familie und Beruf lassen                                Nur neun Prozent der Paarfamilien mit einem
sich daher bis heute oft nur schwer unter einen                                  Kind unter drei Jahren wählen dieses Modell.
Hut bringen. Deshalb entscheiden sich viele Eltern

24
2 Zweite Station: Ursachen

Mütter und Väter mit Kindern nach Erwerbstyp sowie mit Kindern unter drei Jahren

100       91,3        86                  88,6 82,6                                                                                        Väter
                                                                                                                                              Erwerbstätige
  80                                                                    71,1                                                                  Vollzeit

  60                                                                                                                                          Teilzeit
                                                                                            46,4

  40                                                                                                     36,3
                                                                                   24,7                                     25,6           Mütter
                                                                                                                                              Erwerbstätige
  20                                                                                                               10,8
                              5,2                            6,0
                                                                                                                                              Vollzeit
    0                                                                                                                                         Teilzeit
                Insgesamt               Mit Kindern < 3 Jahre                 Insgesamt                Mit Kindern < 3 Jahre
Frauen mit Kindern unter drei Jahren sind mit gut 36 Prozent viel seltener erwerbstätig als Männer und arbeiten überwiegend in Teilzeit.
Angaben in Prozent. Quelle: Statistisches Bundesamt 2019b

Arbeitszeiten von Frauen und Männern in verschiedenen Lebensphasen

45,0
                                                                                                                                                    Männer

                                                                                                                                                    Frauen
                               40,1               40,0               40,3               40,3               39,8
40,0         39,0
                               37,1                                                                                           36,7
             37,8
35,0

                                                                                                           30,9
30,0

                                                                                        25,9
                                                                     24,5
25,0                                                                                                                          27,3
                                                  26,4

20,0
          Single ohne        Paare ohne             Paare             Paare             Paare           Paare ohne Paare ohne
          Kinder < 45        Kinder < 45          jüngstes          jüngstes          jüngstes           Kinder im  Kinder im
                                                  Kind < 7         Kind 7–12         Kind 13–18          Haushalt Haushalt vor
                                                                                                          46–59     der Rente

Die Arbeitszeiten von Müttern und Vätern entwickeln sich nach der Geburt des ersten Kindes auseinander. Angaben von durchschnittlichen Wochenstunden (2016).
Quelle: Kümmerling 2018 auf Basis von Scientific use files des Labour Force Survey (2016)

                                                                                                                                                         25
2 Zweite Station: Ursachen

Männer haben in jeder Lebensphase längere                Was bedeutet das für den
Arbeitszeiten als Frauen. Die Unterschiede sind          Gender Pay Gap?
jedoch bei Singles vergleichsweise gering. Erst
mit der Partnerschaft und dem gemeinsamen
Haushalt mit Kindern entwickeln sich die Arbeits­        In Deutschland arbeiten Frauen sehr viel häufiger
zeiten von Frauen und Männern deutlich ausei­            in Teilzeit mit einem geringen Stundenumfang als
nander. Während die Arbeitszeiten von Männern            in anderen europäischen Ländern (Boll/Lange­
meistens über alle Lebensphasen kon­stant lang           mann 2018). So betrug die Teilzeitquote 2018 in
bleiben, sieht es bei Frauen anders aus. Mit Kin-        Deutschland 46,7 Prozent, im EU-Durchschnitt
dern unter sieben Jahren arbeiten Mütter mehr            hingegen nur 30,8 Prozent. Nur in den Niederlan-
als 13 Stunden weniger als Väter in der gleichen         den ist der Anteil von Frauen in Teilzeitarbeit mit
Lebensphase. Die Erwerbstätigkeit dieser Frauen          73,8 Prozent deutlich höher, in Österreich ist er
liegt damit immer noch fast zehn Stunden unter           ähnlich hoch (47,6 Prozent) (Eurostat 2020). Die
der von kinderlosen Frauen in Partnerschaften.           hohe Teilzeitquote wirkt sich deshalb in Deutsch-
                                                         land auch stärker auf den Gender Pay Gap aus.
Anders ausgedrückt: Während vor der Geburt des           2018 betrug die durchschnittliche Wochenarbeits-
ersten Kindes die meisten berufstätigen Frauen           zeit der teilzeitbeschäftigten Frauen 21,5 Stunden.
und Männer in Vollzeit erwerbstätig sind, sinkt          Als besonders nachteilig mit Blick auf den Gender
der Anteil der Eltern, die beide in Vollzeit arbeiten,   Pay Gap erweist sich die sogenannte Teilzeitfalle.
nach der Geburt des ersten Kindes deutlich. Das          Sie bezeichnet die Beobachtung, dass Frauen –
führt dazu, dass die Arbeitszeiten von berufstätigen     häufig nach der Geburt des ersten Kindes und
Vätern im Durchschnitt 42 Stunden in der Woche           der Elternzeit – von einer Vollzeittätigkeit in eine
betragen. Mütter gehen pro Woche durchschnitt-           Teilzeittätigkeit wechseln und von dort aus kaum
lich nur noch 25 Stunden ihrem Beruf nach.               mehr in eine Vollzeittätigkeit zurückkehren. Die
                                                         damit für viele Erwerbsbiografien von Frauen
Frauen übernehmen nicht nur häufiger die                 typischen unterbrochenen Erwerbsverläufe und
Betreuung und Sorge von Kindern. Sie sind im             das nied­rige Arbeitsvolumen beeinträchtigen
Alter zwischen 45 und 64 Jahren auch stärker in          jedoch die Karriereentwicklung. Das führt auch
die Pflege von Angehörigen eingebunden. Der              dazu, dass Frauen im Verlauf ihres Lebens weniger
erste Bericht des unabhängigen Beirats für die           verdienen.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kommt zu
dem Ergebnis, dass zwei Drittel der Hauptpflege-         Auch die Stundenlöhne von Frauen und Männern
personen weiblich sind. Das entspricht 1,65 Millio-      gehen ab dem Alter von 30 Jahren deutlich aus­
nen Frauen. Lässt man die Unterscheidung                 einander. Mit der Geburt des ersten Kindes steigt
zwischen Haupt- und sonstigen Pflegepersonen             der Anteil von in Teilzeit arbeitenden Müttern
außer Acht, leisten Frauen in Pflegehaushalten           deutlich, während für Väter keine Veränderung
mit 57 Prozent häufiger Pflegearbeit als Männer,         des Erwerbsumfangs festzustellen ist (Schrenker/
die auf 38 Prozent kommen, und übernehmen                Zucco 2020). Bei den unter 30-Jährigen beträgt
auch öfter die zeitintensive Pflege (Geyer 2016).        der Gender Pay Gap neun Prozent. Bei den über
Frauen reduzieren also auch eher ihre Wochen-            30-Jährigen steigt er stark an und beträgt 28 Pro-
arbeitszeit, um Pflegetätigkeiten zu übernehmen.         zent bei Frauen und Männern, die 49 Jahre alt
                                                         sind. Für das Jahr 2019 lag der Gender Pay Gap in
                                                         dieser Altersgruppe damit weit über dem Durch-
                                                         schnitt von rund 20 Prozent.

26
2 Zweite Station: Ursachen

Durchschnittlicher Stundenlohn, Teilzeitanteil und durchschnittliches Alter bei Geburt des ersten Kindes

Bruttostundenlohn in Euro
  25
                                                                                                                                      Männer

                                                                                                                                      Frauen

  20                                                                                                                                  Geburt
                                                                                                                                      des ersten
                                                                                                                                      Kindes

  15

  10                                                                              Alter der Väter bei der Geburt
                                                                                  des ersten Kindes: 33,5 Jahre

    5                                                                             Alter der Mütter bei der Geburt
                                                                                  des ersten Kindes: 30,0 Jahre

    0                                                                                                                             Alter in
          20               25              30              35              40               45              50               55   Jahren

                           Mittlerer Lohn von Frauen stagniert ab Geburt des ersten Kindes

Teilzeitanteil in Prozent
 100

  90

  80

  70

  60

  50

  40

  30

  20

  10

    0                                                                                                                             Alter in
           20              25              30               35              40              45              50               55   Jahren
Mit der Geburt des ersten Kindes steigt der Anteil von Teilzeit arbeitenden Mütter deutlich. Quelle: Schrenker/Zucco 2020
Datenquellen: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Verdienststrukturerhebung 2014, Mikrozensus 2014–2016

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