AUF NEUEM KURS Q8 Praxis 02
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I N H A LT Inhalt 4 Im Gespräch: Das Geheimnis gelungener Quartiersentwicklung 6 Im Überblick: Quartiere bewegen – Kirchen mitten drin 8 Netzwerk Kooperation 301: Das neue Wir-Gefühl 10 Der Anfang: Sorgestrukturen im Quartier verankern 12 Das Gebiet: Ein Quartier mit vielen Gesichtern 14 WIR IM QUARTIER – Refugees mit uns: Gut zusammenleben 16 Der Hintergrund: Gemeinde im Gemeinwesen – Motor von Quartiersentwicklung 18 Die Arbeitsfelder: Gutes möglich machen 20 Winterhuder TischNachbar: Alle an einem Tisch 22 Die Projekte: Miteinander gestalten – voneinander lernen 28 Die Kirchengemeinde: Zeitgemäße Kirche im Quartier 30 Der Fachtag: Kirche im Sozialen 32 Die Perspektive der Kirche: Die Stadt mitgestalten – Kirche und Diakonie als Akteure der Stadtentwicklung 35 Die Perspektive des Sozialraummanagements: Ein Mehrwert für das Quartier 36 tagewerk.machbar: Brücken ins Quartier bauen 38 Die Empfehlungen: Was wir gelernt haben 42 Was ist Q8? Neue Lösungen für soziale Fragen 44 Dank 46 Kontakt
INTRO AUF NEUEM KURS Quartiersentwicklung und Kirche In den Hamburger Stadtteilen Winterhude und Uhlenhorst wird seit 2012 eine neue Form der Gemeinwesenentwicklung aus der Kirche heraus erprobt und mit Leben gefüllt: Q8/Kirche hat sich auf einen neuen Kurs begeben: Die Entwicklung des Quartiers und die Veränderung der Arbeit der Kirchengemeinde sind dabei parallel laufende Prozesse, die sich gegenseitig bereichert haben. Die Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst arbeitet mit der intermediären Quartiersentwicklerin „Q8 – Quartiere bewegen“ der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (ESA) zusammen. Das Ziel: Im Quartier gemeinsam die soziale Versorgung für die Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern. In den letzten Jahren sind viele Netzwerke und Kooperationen entstanden, Projekte entwickelt und umgesetzt worden. Die wichtigsten Themen dabei: Bildung, Nachbarschaft und Inklusion. Der Gedanke der Teilhabe für alle Menschen zieht sich wie ein roter Faden durch die gemeinsame Arbeit. Wie die Quartiersentwicklung aus der Kirchengemeinde heraus funktioniert, und was die Beteiligten daraus gelernt haben, wird in dieser Broschüre vorgestellt.
IM GESPRÄCH A S T R I D K L E I S T U N D H A N N E S T I E F VAT E R es um wesentliche Fragen unseres Menschseins und um Das Geheimnis Frieden und Gerechtigkeit geht. Es ist nur konsequent, wenn sich eine Kirchengemeinde in ihrem Quartier ganz gelungener praktisch engagiert und damit bekennt, wofür sie steht und wo sie sich einbringen will. Quartiersentwicklung Wie sind die Evangelische Stiftung Alsterdorf und die Kirche zusammengekommen? Hanne Stiefvater: Wir sind durch gleiche Werte ge- prägt. Es lag quasi auf der Hand, dass wir als diakonisches Sozialunternehmen mit der Kirche und den Gemeinden Astrid Kleist, Hauptpastorin und Pröpstin im Kirchen- zusammenarbeiten. Ziel ist es, den Aufbau inklusions- kreis Hamburg-Ost, spricht mit Hanne Stiefvater, Vor- fördernder Strukturen aus der Kirchengemeinde heraus ständin der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, über neue zu unterstützen. Gerade in Zeiten zunehmender sozialer Chancen der Zusammenarbeit von Kirche und sozialem Divergenzen und Spaltungen wollen wir beide aktiv für Dienstleister im Quartier. ganzheitliche Perspektiven eines jeden Menschen eintre- ten, darum ringen, dass alle Menschen an allen gesell- Q8/Kirche ist eine neue Form der Zusammenarbeit schaftlichen Entwicklungen teilnehmen können – jede in einem intermediären Quartiersmanagement. mit ihren Möglichkeiten und jeder mit der Unterstüt- Warum engagiert sich die Kirche bzw. eine zung, die er dafür benötigt. Kirchengemeinde in der Gemeinwesenarbeit? Astrid Kleist: Der christliche Glaube ist seit seinen An- Welchen gesellschaftlichen Impuls möchte die fängen keine Sache der frommen Innerlichkeit, sondern Kirche damit geben? eine Religion der Weltgestaltung. Jesus selbst ist Vorbild Kleist: Mit ihrer besonderen Perspektive und Gabe, darin, sich einzumischen und parteilich zu sein, wenn Netze zu spannen und Verbindungen herzustellen, 4 Q8 PRAXIS
die Trennungen überwinden helfen, kann die Kirche es gebraucht wird, Menschen zusammenbringen, sie bei der Gefahr entgegenwirken, dass sich die Gesellschaft ihrem Engagement unterstützen, gemeinsam die Proble- mehr und mehr aufspaltet. Etwa bei Prozessen der me angehen und das Quartier aktiv gestalten! Transformation, bei denen immer die Gefahr besteht, Kleist: Die Menschen im Quartier können auf neue Wei- dass sie auf dem Rücken derer ablaufen, denen der se mit den alten Hoffnungsbildern und für unser Zusam- Zugang zu öffentlichen Gütern und die Möglichkeit, sich menleben grundlegenden Werten der christlichen Tra- am öffentlichen Leben zu beteiligen, verweigert oder dition in Verbindung kommen. Wenn Kirche sich offen erschwert wird. Hier muss die Kirche darauf achten, dass zeigt für neue Kooperationen und Kommunikationsfor- die gesellschaftliche Trennung in Gewinner und Verlierer men, kann sie ihre Botschaft und ihre Werte auf neue nicht ungebremst und ins Uferlose verläuft. Weise plausibel machen und Menschen vor Ort mitei- nander verbinden, die zuvor in keiner oder einer sogar Worum geht es genau vor Ort? eher destruktiven Verbindung zueinander standen. Für Stiefvater: Wir haben als Evangelische Stiftung Alster- eine Kirchengemeinde ist diese Beteiligung zugleich eine dorf vor vielen Jahren begonnen, in die Stadtteile zu ge- große Chance, sich weiter zu entwickeln: Wir erleben ja hen – und gleichzeitig die großen Sondereinrichtungen an manchen Stellen so etwas wie eine innere Stagnati- für Menschen mit Behinderung aufgelöst. Dabei konn- on, weil sich bestimmte äußere Formen, auch im Ge- ten wir auch feststellen, dass die Unterstützungsstruktu- meindeleben, überlebt zu haben scheinen. Da kann es ren vor Ort eine Teilhabe oft wenig ermöglichten. Mit Q8 für eine Kirchengemeinde eine ungeheure Bereicherung betrachten wir den gesamten Sozialraum. Wir wollen sein, sich zusammen mit anderen im Quartier zu enga- Antworten auf gesellschaftliche Fragen finden: Wie kön- gieren und einzusetzen. nen Menschen mit Unterstützungsbedarf aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung gut in ihrem Quartier Vor welchen Herausforderungen stehen Kirchen leben und sich versorgen? Wie können wir die vorhan- bzw. Kirchengemeinden, die sich in ähnlicher Form denen Ressourcen besser nutzen? Was brauchen wir im engagieren wollen? Quartier, damit das möglich ist? Kleist: Sie müssen gepflegte alte Selbstverständnis- se und Sicherheiten aufgeben und der Verheißung des Welche spezifische Kompetenz kann Kirche im Neuen vertrauen. Dafür gibt es in der Bibel viele gute Quartier als ihren originären Beitrag einbringen? Vorbilder, wenn man z. B. an Abraham und Sarah denkt, Kleist: Der Beitrag der Kirche im Quartier liegt für mich die auf Gottes Zusage vertrauen und in ein unbekanntes darin, dass sie die Kompetenz und den Auftrag hat, Land aufbrechen. Deutungsangebote zu machen und Verbindungen her- zustellen, die das Leben aus einer neuen, mitunter auch Gibt es etwas, das Sie persönlich mitgenommen sehr ungewohnten Perspektive betrachten helfen und haben? Sinnebenen erschließen. Sie ist nicht die einzige Orga- Stiefvater: Besonders beeindruckt hat mich, wie hier nisation, die so etwas kann und soll, aber sie kann es aus dem Stand heraus Nacht für Nacht dutzenden von aufgrund ihrer Tradition und ihres Selbstverständnisses Geflüchteten mehr als nur ein Obdach geboten wurde. besonders gut. Zudem liegt ihre spezifische Gabe darin, Ich habe großen Respekt davor, dass in der Folge aus generationsübergreifend Gemeinschaft zu stiften, und der Initiative „WIR IM QUARTIER“ ein richtig tolles Pro- sich für Frieden und Gerechtigkeit zu engagieren. Es ge- gramm entwickelt worden ist. Das bringt alle Facetten hört zu ihrem Auftrag, parteilich zu sein und die Stimme der Willkommenskultur zusammen. Da wird gemeinsam zu erheben für die, die in einer Gesellschaft ausgegrenzt gekocht, gesungen und auf der Alster gepaddelt. zu werden drohen. Kleist: Es gibt eine wunderbare Begegnung, von der mir einer der beteiligten Pastoren erzählt hat: Eine Gruppe Welchen Gewinn versprechen Sie sich für die von jüngeren Pastorinnen und Pastoren suchte zu Fort- Menschen im Quartier, wie auch in der Gemeinde bildungszwecken den Kontakt mit anderen Institutionen davon? und Organisationen, um deren Veränderungsnotwen- Stiefvater: Q8/Kirche nimmt sowohl die Entwicklung digkeiten kennenzulernen und daraus für die eigene einer Kirchengemeinde, als auch die sozialen Strukturen Entwicklung zu lernen. Auf die Frage, woran die Kir- des Quartiers in den Fokus. Damit macht es moderne chengemeinden derzeit arbeiten, bekannten sie freimü- Gemeinwesenarbeit aus einer Kirchengemeinde heraus tig: „Wir versuchen die Türen zu öffnen.“ Darauf Ge- möglich. Konkret freuen wir uns über das Engagement lächter und die ungläubige Rückfrage: „Warum macht von so vielen Menschen, von der Gemeinde, von Nach- ihr sie nicht einfach auf?“ Es sind solche Erlebnisse, die barinnen und Nachbarn, von Institutionen wie dem unsere Horizonte erweitern und uns zeigen, dass wir der Goldbekhaus oder dem Bauspielplatz. Das ist Kirche mit- Realität nicht ausgeliefert sind, sondern sie verändern tendrin und es ist auch Q8. Hier zeigt sich das Geheimnis können. von gelungener Quartiersentwicklung: Zupacken, wenn Q8 PRAXIS 5
Erfolgreiche Kooperation in Winterhude: Quartiersbüro in der Heilandskirche Quartiere bewegen – Kirchen mitten drin Seit 2012 kooperiert „Q8 – Quartiere bewegen“ der Die Ausgangsfrage lautet: Wie können Sorgestruk- Evangelischen Stiftung Alsterdorf mit der Kirchenge- turen für Menschen so aufgebaut werden, dass sie trag- meinde Winterhude-Uhlenhorst. Mit im Verbund ist fähig sind? Wie wird Nachbarschaft so gestärkt, dass der Kirchenkreis Hamburg-Ost. Daraus hat sich ei- keine und keiner außen vor bleibt? Eine gute Quar- ne erfolgreiche Zusammenarbeit entwickelt. Sie ver- tiersvernetzung kommt allen zugute, besonders jenen, schränkt Quartiersentwicklung eng mit den kirchlichen die über eine geringere Mobilität verfügen: Älteren, Ju- Prozessen von Gemeinwesenarbeit. Das Quartier um- gendlichen, Kindern und Familien sowie Menschen mit fasst das Gemeindegebiet. Es besteht aus Teilen der Einschränkungen. Diese Ausgangslage verbindet sich Hamburger Stadtteile Winterhude, Uhlenhorst und mit der Suchbewegung der Kirchengemeinden: Mit Barmbek-Süd*. welchem Selbstverständnis wollen die Kirchen vor Ort 6 Q8 PRAXIS * Folgend zusammengefasst im Quartier Winterhude
IM ÜBERBLICK Matthäuskirche in der Gottschedstraße Menschen erreichen? Welche Rolle können die Kirchen- gemeinden in ihrer Nachbarschaft, in ihrem Quartier spielen? Der Ansatz: Q8 und die Kirchengemeinde bewegen sich auf der Basis einer intermediären Quartiersentwick- lung gemeinsam ins Quartier. Dieser Prozess nützt nicht nur dem Quartier, sondern auch dem Bestand, der Ent- wicklung und der Lebendigkeit der Gemeinde. Das Besondere: Auf der einen Seite steht eine In- termediärin, die in einer neuen Mischung aus Sozial- raumorientierung, Quartiersentwicklung und Inklu- sionsprozessen die Entwicklungen im Stadtteil aufnimmt und unterstützend begleitet. Auf der anderen Seite steht eine Kirchengemeinde, die sich als Akteur im Sozial- raum neu definieren möchte. Dabei teilen die Koope- rationspartnerInnen gemeinsame Werte und ein ge- meinsames Ziel: Sie wollen Inklusion fördern und aktiv Gemeinschaft stiften. Das Vorgehen: Eine erste Quartiersanalyse hat erge- ben, dass viele Menschen nicht gut genug von den vor- handenen Sorgestrukturen und Netzwerken erreicht werden. Dazu gehören u.a. Menschen mit Beeinträch- tigungen, Geflüchtete sowie eine überdurchschnittlich hohe Anzahl alleinlebender SeniorInnen. Q8 knüpfte Kontakte im Quartier, organisierte fachlichen und per- sönlichen Austausch und stieß erste Projekte an. Für die Zusammen für Quartier und Gemeinde: Gemeinde setzte ein Umdenken ein: Sie begann sich als Miriam Meyer, Michael Ellendorff Teil des Sozialraumes zu verstehen. Dieses neue Denken führte unter der Überschrift „Kirche mittenmang“ zu ei- nem neuen Leitbild der Gemeinde. Aus Sicht der Kirche war dabei die Rolle der Quartiersentwicklerin entschei- dend, die in die Gemeinde eingebettet ist und doch un- abhängig agiert. „Was sie tut, können wir als Pastorin- nen und Pastoren nicht, weder zeitlich noch inhaltlich. milien unterstützt. Daraus hat sich mit der Kooperation Sie ist die Kümmerin, die Fädenspinnerin, die Person, WIR IM QUARTIER eine Initiative gegründet, die unab- die zugleich Quartier und Gemeinde im Blick hat und hängig von Alter, Herkunft, Religion oder Geschlecht beides auf neue Weise zusammen sehen kann“, sagt an einem nachbarschaftlichen Miteinander arbeitet. die Pastorin Tomke Ande. Hinzu kommen u.a. Netzwerke im Bildungsbereich oder auch Projekte der inklusiven Ökonomie, die dem Mittlerweile sind viele konkrete Projekte und Netzwer- Quartier zugutekommen. Damit wurden mögliche Ant- ke entstanden: Zum Beispiel stärken Initiativen wie der worten für eine ganze Reihe von Zukunftsfragen ent- Winterhuder TischNachbar das Nachbarschaftsleben. wickelt, mit denen sich Kirchengemeinden heute kon- Mit den GIVE-SHELTER-NIGHTS wurden Flüchtlingsfa- frontiert sehen. Q8 PRAXIS 7
Das neue Wir-Gefühl Mitten in Winterhude: Ein großer Platz, so weit entfernt von den Häuserblöcken, dass man ihn allenfalls hinter Büschen und Bäumen erahnen kann. Ein Refugium für Kinder und Jugendliche, schon seit den 1970er Jahren. Der Bauspielplatz Poßmoorwiese hat seine Anziehungskraft nicht verloren, ist Abenteuerspielplatz für Schulklassen, Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft und aus Familien von Geflüchteten. Christian Rottmann, einer von zwei hauptamtlichen Mitarbeitern, entdeckt ein neues „Wir- Gefühl“ in Winterhude. „Das hat sich entwickelt von ‚Spiel nicht mit den Schmuddelkindern‘ bis jetzt, wo ein Miteinander für alle funktioniert und die Jugendlichen wieder einen Vertrauensbonus im Stadtteil haben.“ Der Platz profitiert vom Netzwerk im Quartier, ist sich Christian Rottmann sicher. In der Quartiers- analyse gab es nur einen offensichtlichen sozialen Brennpunkt, eine Unterkunft für Menschen mit Migrationshintergrund. In der benachbarten Kita kamen etwa 75 Prozent der Kinder aus diesen Familien. Zur Unterstützung bildete sich eine Arbeitsgruppe, die eng mit dem Bauspielplatz kooperierte. Daraus wuchsen Impulse, die die Poßmoorwiese allmählich zu einem wichtigen Mittelpunkt in Winterhude und der Kirchengemeinde machten. Christian Rottmann: „Locker verbunden waren wir immer, aber durch die nachhaltige Arbeit der Q8-Projektleiterin Miriam Meyer sind wir zu echten KooperationspartnerInnen zusammengewachsen.“ Regelmäßige Höhepunkte: Die gemeinsamen Sommerfeste auf dem Bauspielplatz: „Da sitzen dann die Senioren zwischen den Kindern und strahlen – das ist einfach toll!“ Und das Netzwerk sorgt dafür, dass es keinen Stillstand gibt: Zum neuen Gartenprojekt hat der Bauspielplatz seine Unterstützung angeboten: „Wir könnten mit unserer Erfahrung und Material helfen, die Hochbeete zu bauen“, freut sich Christian Rottmann auf die neue Herausforderung. Q8 PRAXIS 9
Sorgestrukturen im Quartier verankern 2012 stand eine große Idee im Raum: Die Evangelische Die Lebensgeister rufen Stiftung Alsterdorf nahm Kirche als zivilgesellschaftli- chen Akteur ins Visier. Dazu suchte man eine Partnerin, Der erste gemeinsame Fachtag in der Heilandskirche eine Kirchengemeinde. Aber: Wo und wie anfangen? stand unter dem Thema „Lebensgeister: Warum Q8 die Hamburg ist groß, hat über hundertsiebzig evangeli- Kirche im Dorf lassen will“. Birgit Schulz, damals Mit- sche Kirchengemeinden. Da traf es sich gut, dass eine glied im Vorstand der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, dieser Kirchengemeinden ebenfalls auf der Suche war. begründete das Engagement: „Glaubensgemeinschaf- Pastor Michael Ellendorff in Winterhude-Uhlenhorst: ten können wesentliche sinn- und friedensstiftende Ak- „Wir wollten uns in den Stadtteil bewegen, dieser Ge- teure im Gemeinwesen sein. Denn neben der individu- danke war schon da. Aber wir hatten auch das Gefühl, ellen Bedeutung für gläubige Menschen, bieten sie die dass eine professionelle Herangehensweise nötig war.“ Möglichkeit, soziale Werte im Quartier zu thematisie- Es gab persönliche Kontakte, der Kirchenkreis Ham- ren und zu verankern.“ Das gelte vor allem, wenn sie burg-Ost vermittelte, eins kam zum anderen. „Dann sich mit anderen Initiativen und Akteuren vernetzen. schien es irgendwann perfekt zu passen.“ Für Pastor Kirchengemeinden, die sich dem Sozialraum zuwen- Ellendorff ein einschneidendes Erlebnis: „Der Urknall!“ den und an der Quartiersvernetzung mitwirken, stärken 10 Q8 PRAXIS
D E R A N FA N G Gute Lebensgeister: Dr. Esther Bollag, Leitung des Zentrums für Disability Studies; Hanns-Stephan Haas, Vorstandsvorsitzender ESA; Gerhard Ulrich, Landesbischof; Birgit Schulz, ehem. Vorstand ESA Gelingt das überhaupt? Sind die Institutionen Kirche – in Gestalt von Kirchenkreis und Kirchengemeinde – sowie der diakonische Träger Evangelische Stiftung Alsterdorf in der Lage, miteinander eng zu kooperie- ren? Diese Fragen stellte sich Pastor Joachim Tröstler, der 2012 im Bereich Diakonie des Kirchenkreises Ost den Start der Kooperation begleitete. Für Tröstler und Christiansen gehörte viel Mut dazu: „Es muss Leute geben, die ein Interesse daran haben, das Experiment zu wagen, mit der Möglichkeit, zu gewin- nen oder auch zu scheitern.“ Einen wesentlichen Anteil am Gelingen weisen sie auch der intermediären Person zu, in diesem Falle Miriam Meyer, die von Beginn an geschickt als Mittlerin zwischen Institutionen, Initiativen und Einzelpersonen agierte und von allen Seiten viel Anerkennung erntete. Den Wandel gestalten sich selbst als Institution, in dem sie neue Aufgaben, Schritt für Schritt knüpften die Akteure ein Netzwerk Arbeitskreise und Unterstützer hinzugewinnen. Darü- mit weiteren PartnerInnen, aus dem sich Angebote und ber hinaus verfügen Kirchengemeinden über Gebäude, Unterstützungssysteme für die Menschen im Quartier Räume und Ausstattung, so dass sie auch durch diese ergaben, für junge und alte, Menschen mit und ohne infrastrukturellen Qualitäten zu Quartiersknotenpunk- Behinderung, gesunde und kranke, Familien und Sing- ten werden können. les, langjährige BewohnerInnen und neu ansässige, Hamburger und Menschen mit Fluchterfahrung. Da- Die Herausforderung annehmen mit ist der gesellschaftliche Nutzen erreicht, den Birgit Schulz von Beginn an im Blick hatte: „Durch die Bünde- Die Diskussionen schwankten zwischen Vision und lung von Aktivitäten im Quartier sollen alle Menschen Machbarkeit. Ein Prozess, der anfangs nicht einfach gut zusammenleben können“. war. Pastor Ellendorff spürte zu Beginn durchaus Vor- behalte in der Kirchengemeinde: „Die Mehrheit wollte Joachim Tröstler wertet das Projekt als gutes Beispiel, zwar das Projekt, aber manche konnten es sich nicht von dem andere Gemeinden lernen können: „In Situ- richtig vorstellen.“ Kein Wunder, denn hier ging es um ationen, wo eine Umsteuerung nötig ist, sei es gesell- grundsätzliches Umdenken. Theo Christiansen, Lei- schaftlich, personell oder eine andere Aufgabe der Um- ter des Bereichs Diakonie und Bildung im Kirchenkreis strukturierung, ist es nur klug, jemanden von außen Hamburg-Ost, beschreibt die neue Herausforderung: einzubinden, mit intermediärer Funktion und Fachkom- „Die Arbeitsansätze sollten sich auf das Quartier bezie- petenz.“ Sein Fazit: „Es ist auf jeden Fall gut, wenn sich hen, nicht nur auf die Kirchengemeinde. Bis jetzt ver- verschiedene Player im selben Quartier um das Gemein- stand sich die Kirchengemeinde aber als etwas in sich wohl kümmern. Und es ist gut, wenn das große Player Abgeschlossenes.“ sind.“ Q8 PRAXIS 11
DAS GEBIET Ansichten des Quartiers: Goldbekhaus, Hofwegkanal, Eckkneipe im Bereich Bildung und Kultur sowie eine Kirchenge- meinde, die es ernst nimmt mit der Kirche „mitten- mang“. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich vieles verän- dert: Untere Einkommensgruppen wurden verdrängt durch den Zuzug wohlhabenderer Gruppen (double Ein Quartier mit income, no kids). Ein „sozialer Mix“ ist noch dort vor- handen, wo Wohnungsgenossenschaften mit ihrem vielen Gesichtern Bestand vertreten sind. Es gibt keine sozialen Wohn- projekte im Quartier. Die Zahl der geförderten Woh- nungen ist gering und sinkt. Der Wohnraum wird knapper, Miete und Eigentum teurer. Heute gibt es zwei Wohnunterkünfte des städtischen Trägers för- dern & wohnen. Diese bieten vor allem Familien und Winterhude-Uhlenhorst ist ein attraktives grünes Zuwanderern ein vorübergehendes Zuhause, die Quartier in der Nähe zur Alster und zum Stadtpark. durch physische und psychische Erkrankungen belas- Ein Großteil der BewohnerInnen verfügt über hohe Bil- tet sind. dungsabschlüsse. Es ist ein wohlhabendes Quartier mit einer gut ausgebauten Infrastruktur. Die Arbeitslosen- In Fragen von Beteiligung, Teilhabe und Teilgabe be- quote ist gering, soziale Probleme sind kaum sichtbar. stehen wenige sich selbst tragende Strukturen. Inklusi- In den westlich gelegenen, alsternahen Bereichen ist on ist kaum ein Thema, mit dem sich näher beschäftigt der Lebensstandard deutlich höher als im Osten des wird, Lücken in den Versorgungsstrukturen beziehen Quartiers. Es gibt große und bekannte Einrichtungen sich im Besonderen auf die ältere Generation. 12 Q8 PRAXIS
Quartier* Winterhude-Uhlenhorst Größe ca. 6 km² Einwohnerzahl ca. 40.000 BürgerInnen Wanderungssaldo + 505 Unter 18-Jährige 10,7 % (Hamburg 15,7 %) 65-Jährige und Ältere 16,7 % (Hamburg 18,8 %) Sozialversicherungspflichtig 54,4 % (Hamburg 54,9 %) Beschäftigte Einpersonenhaushalte 66,1 % (Hamburg 54,3 %) Einwohner je m² 6.800 (Hamburg) 2.388 km² Anteil Migrations- 21,3 (Hamburg 31,5 %) Das Quartier ist eine Hochburg von Einpersonen- hintergrund** haushalten. Zwei Drittel der knapp über vierzigtau- Start Q8 Winterhude April 2012 send BewohnerInnen leben allein. Davon rund 3.500 Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Dahinter ver- Projektleitung Q8 Miriam Meyer (vormals birgt sich eine soziale Problemlage. Oft lebt die älte- Krohn) re Generation allein in großen Wohnungen mit hohen Mieten. Viele Ältere können sich das Leben in Winter- Kooperationspartner Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst, hude-Uhlenhorst kaum mehr leisten, viele bleiben zu 10.000 Gemeindeglieder, Hause, vereinsamen oder müssen wegziehen. vier Pastorenstellen Das Quartier weist eine statistische Besonderheit auf: Der Anteil der BezieherInnen von Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII, die den grund- legenden Bedarf für den Lebensunterhalt von älteren Menschen ab 65 Jahren sowie von auf Dauer erwerbs- *Folgend sind statistische Daten der Quartiersanalyse aus 2013 (erho- ben 2012) aus Winterhude-Uhlenhorst übernommen. Unter www.sta- geminderten Menschen ab 18 Jahren sichern, liegt im tistik-nord.de/fileadmin/Dokumente/NORD.regional/NR17_Statistik-Pro- Quartier mit zwei Prozent im Vergleich zum Hambur- file_HH_2015.pdf können die aktuellen und ergänzenden Berichte über ger Durchschnitt relativ hoch. Uhlenhorst und Barmbek-Süd nachvollzogen werden. Die komplette Quartiersanalyse findet sich unter www.q-acht.net/166.html Das Quartiersgebiet entspricht dem der Kirchenge- **Mit dem Mikrozensus 2005 hat das Statistische Bundesamt eine De- meinde Winterhude-Uhlenhorst. Es umfasst Teile der finition geliefert: demnach sind Ausländerinnen und Ausländer, im Aus- Hamburger Stadtteile Winterhude, Uhlenhorst und land Geborene und nach dem 1. Januar 1950 Zugewanderte, Einge- Barmbek-Süd. Der größte Teil (zwei Drittel) liegt in bürgerte sowie Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil in eine der Winterhude. genannten Kategorien fällt, BürgerInnen mit Migrationshintergrund. Q8 PRAXIS 13
„WIR VO R W OIM RT: GQUARTIER - E R , WAG N E R E S P R Ä C H S T I E F VAT REFUGEES MIT UNS“ Gut zusammenleben „Wir im Quartier – Refugees mit uns“. Dieses Kooperationsprojekt startete 2015, als plötzlich Hunderte von Geflüchteten in Hamburg gestrandet waren. Suse Hartmann, stellvertretende Geschäftsführerin des Goldbekhauses, ist heute noch berührt von der plötzlichen Hilfsbereitschaft der Menschen im Quartier: „Am Anfang ging es schlicht darum, zu helfen. Jetzt steht die Frage im Vordergrund: Wie können wir gut mit allen zusammenleben?“ Nach und nach entwickelte sich aus einzelnen Hilfsaktionen ein umfangreiches Programm. Heute gibt es viele Angebote in den Bereichen Kunst und Kultur, Sport und Bewegung, es werden mehr als 30 freundschaftliche Patenschaften übernommen und Reparaturwerkstätten geführt. Die Ehrenamtlichen haben ein offenes Ohr für kleine und große Sorgen, unterstützen bei Behördenangelegenheiten oder begleiten zum Arzt und zu Veranstaltungen. „Da ist viel Power dahinter“, freut sich Suse Hartmann. Dazu kommen noch Veranstaltungsreihen wie Welcome- Movies und Klangspiele, Theaterprojekte, Lauftreffs und Schwimmkurse. Viel Zuspruch findet die Fahrradwerkstatt in der Heilandskirche, in der Geflüchtete gespendete Fahrräder selbst reparieren und nutzen. Hier treffen sich neue und alte Nachbarn und jede und jeder kann mit tun. Das gleiche Konzept wird erfolgreich seit Herbst 2017 auf eine Nähwerkstatt mit Kinderbetreuung übertragen. Suse Hartmann spürt deutlich, wie das Engagement im Quartier wirkt: „Die Zusammenarbeit mit Q8/Kirche ist sehr lebendig. Sie wirkt der Spaltung entgegen, gestaltet gute Nachbarschaft und bündelt Ressourcen.“ 14 Q8 PRAXIS
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„… Q8 /Kirche: ein eindrucksvolles neues Format“ Gemeinde im Gemeinwesen: Motor von Quartiersentwicklung Von Prof. Dr. Wolfgang Hinte 16 Q8 PRAXIS
DER HINTERGRUND gionsausübung oder als Ausgangspunkt für pastorale Seelsorge, dann können von einer lebendigen Gemein- de spannende Impulse für die Arbeit im Gemeinwesen ausgehen. Im Einsatz mit den Menschen im Quartier „Gemeinwesenarbeit“ im Sinne von Quartiersent- wicklung will gemeinsam mit den Menschen im Gemeinwesen deren Lebensbedingungen verbes- sern, so dass sie ihren Bedürfnissen entsprechen und möglichst allen Gruppen vielfältige Anregungen und Entwicklungsmöglichkeiten öffnen. Gemeinwesenar- beiterInnen tun möglichst nichts ohne die betroffenen Menschen. Sie denken mit den BewohnerInnen darüber nach, was diese selbst zur Verbesserung ihrer Situation tun können. Sie regen, oft in Kooperation mit Ehrenamt- lerInnen, Projekte an, die möglichst bald von den Bür- gerInnen selbst getragen und verantwortet werden. Sie verweisen aber auch zuständige Instanzen und im Ge- meinwesen angesiedelte Institutionen nachdrücklich da- rauf hin, wo es Versäumnisse gibt und wer bislang seinen Aufgaben nicht nachgekommen ist. Wichtige Anknüp- fungspunkte für Gemeinwesenarbeit/Quartiersentwick- lung sind bestehende Gruppierungen wie Bürgervereine, Elternbeiräte, lokale Politik-Gremien, Pfarrgemeinderäte oder Presbyterien. Grundsätzlich gilt: Im Zentrum stehen die Interessen der Bevölkerung, der „Wille“ der Men- schen und deren Einsatz für ihren Lebensentwurf. Das Potential der Kirchengemeinde Gemeinwesenarbeit kann von der Kirchengemeinde ausgehen und von ihr getragen werden. Wenn Kir- che nicht ausschließlich eine Kirche der Macht oder Mission sein will, dann kann sie verstärkt gesamtge- sellschaftliche Dialoge anregen und mit dem Poten- tial der Gemeinde, ihrer Lebendigkeit, den engagier- ten Gemeindemitgliedern und den Hauptamtlichen, ins Gemeinwesen hineinwirken, also „Gemeinwesenar- beit“ betreiben. Die große Chance der Kirchen liegt u.a. darin, dass sie als unverdächtige Instanz mit Standpunk- Die Berliner nennen es „Kiez“, die Kölner „Veedel“, ten, Werten und hoher Offenheit für Interessen, Mei- die Österreicher „Sprengel“, die Schweizer „Quartier“: nungen, Verletzungen, Ängste und Fragen der Men- Stadtteile, Straßenzüge, Siedlungen, Dörfer – durch- schen auftreten und Foren schaffen können, über die all weg geografisch definierte Einheiten unterschiedlicher die Aktivitäten angeregt werden, die aus der Gemein- Größe, in denen verschiedene Bevölkerungsgruppen wesenarbeit bekannt sind: Die Skala reicht von Stadt- zusammenleben. Frauen und Männer, Junge und Al- teilkomitees, Familiengruppen, Mieterbeiräten bis hin te, Einheimische und MigrantInnen, Angestellte, Händ- zu Flüchtlingsinitiativen, Beratungs- und Anlaufstellen ler, Arbeitslose, Kinder und Familien. Menschen unter- für zahlreiche Alltagsthemen, zielgruppenspezifischen schiedlichster Herkunft, unterschiedlichster Religionen Aktionen und zahlreichen Varianten klassischer und und Lebensentwürfe. In diesen „territorialen Gemein- moderner Öffentlichkeitsarbeit. wesen“ gibt es zudem mehr oder weniger gut orga- nisierte Gruppierungen, Vereine, Interessenverbän- Gemeinde im Gemeinwesen versteht sich so als Motor de und – last, not least – kirchliche Gemeinden. Diese von Quartiersentwicklung, als aktivierende, aber auch sind ein (wesentlicher) Mosaikstein im Gesamtbild eines anwaltliche Instanz, als Plattform für Menschen, Bedar- Gemeinwesens, und wenn Gemeinde sich als ein we- fe, Ideen und Ressourcen und als Ausgangspunkt für sentlicher Systembestandteil im Gemeinwesen versteht vielfältige spontane wie auch langfristig angelegte Akti- und sich nicht ausschließlich definiert als Hort der Reli- onen und Aktivitäten. Q8 PRAXIS 17
DIE ARBEITSFELDER GUTES MÖGLICH MACHEN Quartiersarbeit und Gemeinwesenent- bewegt sich“ diskutierten die BewohnerInnen des wicklung unter einem Hut Quartiers, Einrichtungen und Initiativen gemeinsam über ihre Themen wie Wohnen, Unterstützung, Assis- Die Tätigkeit als Quartiersentwicklerin nahm Miri- tenz oder Freizeit, Kultur und Bildung. Als eines der am Meyer im April 2012 auf. Ihr Büro befindet sich in ersten Projekte entstand ein ehrenamtlich geführter der Heilandskirche, mitten drin in der Gemeinde und Quartiersmittagstisch, der in den Räumen der Kirchen- im Quartier. Sie ist Mitglied einer Steuerungsgruppe gemeinde seinen Platz gefunden hat. der Kirchengemeinde und doch ist sie als Intermedi- ärin unabhängig unterwegs. Von Beginn an begleitet Die Rolle der Kirchengemeinde in die Quartiersentwicklerin zwei parallele Prozesse: den dieser Entwicklung Entwicklungsprozess des Quartiers und den Verände- rungsprozess der Kirchengemeinde. Zusammen mit den Der Veränderungsprozess der Kirchengemeinde Winter- Beteiligten spürt sie Gemeinsamkeiten für die und Po- hude-Uhlenhorst (KGWU) wuchs aus dem Willen her- tentiale in der Zusammenarbeit auf. So wird der Vorzug aus, sich als Gemeinde neu im Quartier zu positionieren sichtbar, der entstehen kann, wenn der Entwicklungs- – um sich als Kirche vor Ort als eine sichtbare und wich- prozess des Quartiers mit dem Veränderungsprozess tige Größe im Quartier zu etablieren, parallel Möglich- der Kirchengemeinde verschränkt wird und umgekehrt. keiten und Entwicklungen räumlicher Veränderungen in Das gelingt je nach Bedarf und Ressourcenlage mal den Blick zu nehmen, sich für die Zukunft wirtschaftlich mehr und mal weniger. Oft aber mehr, da es immer da- auf gesunde Füße zu stellen. Das Ziel: die eigene ge- rum geht, sich für ein gutes Miteinander einzusetzen. meinwesenorientierte Arbeit zu sichern. Was hat das mit den Menschen im Die Kirchengemeinde hatte sich zum Ziel gesetzt, die Quartier zu tun? Potentiale der zwei Kirchenstandorte der Gemeinde so- wie das große Raumangebot besser auszuschöpfen. Um Auf Basis der Ressourcen von Quartier und Kirchenge- den Veränderungen Orientierung und Handlungssicher- meinde wurde eine Vielzahl von Projekten initiiert und/ heit zu geben, wurde in der Gemeinde ein Leitbild er- oder begleitet. Dazu gehören beispielsweise die Koope- arbeitet und parallel ein Gebäude- und Raumnutzungs- ration 301 und die Winterhuder Bildungsgespräche. plan bzw. die Entwicklung von Immobilien und Flächen Eine zentrale Kooperationspartnerin war von Anfang angeschoben. Dabei entstand u.a. auch die Idee eines an das Stadtteilkulturzentrum Goldbekhaus e.V.. inklusiven Wohnprojektes. In den von Q8 organisierten Bürgerforen „Winterhude Q8 Prozessentwicklung Inklusives Koop 301: Winterhude-Uhlenhorst Wohnprojekt Integration Flüchtlinge Perspektive Nachbarschafts- Inklusives Glaube kontor Kita, Baui,Schule, Wohnprojekt Wohnunterkunft, Perspektive Bildung Wohnen Goldbekhaus Nachbarschafts- Bürgerforen KGWU kontor Quartier „Winterhude bewegt sich“ Goldbekhaus „Winterhuder Immobilienentwicklung Leitbildprozess KGWU Bildungsgespräche“ Lawaetz Quartiersprofil Gebäude- und Raumnutzungsplanung QUARTIER Q8 Winterhude-Uhlenhorst KGWU Schaubild 1: Arbeitsweise zu Beginn von Q8: Mit dem Quartiersprofil Potentiale, Ressourcen und Probleme analysieren und erste Themen setzen. 18 Q8 PRAXIS
Welche Arbeitsfelder gibt es? viele Freiwillige gestalten eine gute Willkommenskul- tur in der Nachbarschaft. Dafür stärken die Koopera- Nach fünf Jahren Arbeit haben sich tragfähige Projek- tionspartnerInnen auf institutioneller Ebene das bür- te und Netzwerke etabliert. Entlang von vier Arbeits- gerschaftliche Engagement, bündeln Ressourcen, schwerpunkten mit Netzwerktätigkeit, Projektmanage- vernetzen Kapazitäten und schaffen so den Raum für ment und Kommunikation werden unterschiedliche Teilhabe und Begegnung zwischen „alten“ und „neu- Akteure – BürgerInnen, Einrichtungen, Kirchengemein- en“ NachbarInnen. de, Initiativen und Institutionen – zu einer „Landkarte der Kooperationen“ verknüpft. Inklusion: Teilhabe zieht sich als roter Faden durch die meisten Projekte. Jedes Projekt, jedes Netzwerk wird Bildung: Bildungsakteure treffen sich regelhaft und hinsichtlich seiner inklusionsfördernden Potentiale hin- verbindlich zum Austausch, zur Entwicklung gemeinsa- terfragt. Ein nie abgeschlossener Prozess, der oft in mer Projekte und zur Lobbyarbeit. Gemeinsam arbeitet kleinen Schritten vorwärts geht. Dies gilt auch für ein das Netzwerk Winterhuder Bildungsgespräche an der geplantes inklusives Wohnprojekt oder auch für Ar- Weiterentwicklung der Qualität pädagogischer Ange- beitsmöglichkeiten für Menschen mit sehr hohem As- bote im Quartier. sistenzbedarf. Nachbarschaft: In den Bürgerforen „Winterhude be- Wer sich kümmern will, wegt sich“ hatte sich ausgehend vom Bedarf allein- muss Ressourcen einsetzen lebender SeniorInnen die Idee eines gemeinsamen Mittagstisches entwickelt. Laufend arbeitet eine nach- Die Finanzierung von Q8/Kirche wurde von Anfang barschaftliche Initiative daran, diesen zum Ausgangs- an maßgeblich durch die Kirche übernommen – durch punkt für eine Kultur des Treffens, des Unterstützens, den Kirchenkreis Hamburg-Ost und die Kirchengemein- des kulturellen Austauschs sowie der Beratung und Un- de selbst. Zudem stellt diese die örtliche Infrastruktur terstützung auszubauen. Rund um den Mittagstisch or- zur Verfügung. Eine Kooperationsvereinbarung von ganisiert sich bürgeschaftliches Engagement, Nachbar- drei PartnerInnen im Verbund, also gemeinsam mit der schaft und Inklusion. Evangelischen Stiftung Alsterdorf, stellt sicher, dass die Arbeit in Winterhude bis mindestens 2021 fortgesetzt Q8 Quartiersentwicklung Integration: Aus einem Hilfeprojekt für Transitflücht- werden kann. linge entwickelte sich das integrative Netz WIR IM QUARTIER. Goldbekhaus e.V., Kirchengemeinde und Winterhude-Uhlenhorst Q8 Quartiersentwicklung Winterhude-Uhlenhorst Nachbarschaft WINTERHUDER Integration TISCHNACHBAR Arbeits- Treffpunkt WIR IM QUARTIER Vernetzung kreis Beteiligung Bürger Inklusives Kultur Initiative Kooperation Bürger und Bürgerinnen Gemeinde K 301 Austausch Bürgerinnen Winterhude- Wohnprojekt Beratung Initiativen Initiativen Uhlenhorst Kooperations- praxis Q8 Q8 Bezirksamt HH Nord Netzwerk Institutionen Winterhuder Einrichtungen Inklusion lokale Vereine Beschäftigung Ökonomie Bildungsgespräche Einkaufsunterstützung Vernetzung Leben & Wohnen Kooperation Urban Gardening Austausch Schaubild 2: Arbeitsweise nach gelungenem Start der Quartiersentwicklung: Potentiale und Ressourcen werden zu tragfähigen Sorgestrukturen ausgebaut. Q8 PRAXIS 19
WINTERHUDER VO R W O RT: G E S P R Ä C H S T I E F VAT E R , WAG N E R TISCHNACHBAR 20 Q8 PRAXIS
Alle an einem Tisch Ein Mittagessen in offener und herzlicher Stimmung: Dreimal pro Woche bewirtet der Winterhuder TischNachbar Menschen aus dem Quartier mit frisch gekochtem Essen. Den „Dienst“ teilt sich ein zwölfköpfiges Team. Eva-Maria Küther gehört seit 2016 dazu. Sie freut sich darauf, die Gäste im Kirchencafé zu bedienen, einem hellen und freundlichen Raum mit großen Fenstern. Eva-Maria Küther kennt die Stammkunden: „Sie schätzen die nette Atmosphäre im Kirchencafé. Alle sitzen an einem langen Tisch, können ins Gespräch kommen, müssen aber nicht.“ Die jüngsten sind Mitte 20, die älteste Seniorin ist 97 Jahre alt. Das Essen ist gesunde Hausmannskost, frisch zubereitet von der gemeinnützigen Dulsberger Stadtteilküche „Pottkieker“, für 4 Euro pro Portion – einschließlich Nachtisch. Wer weniger hat, zahlt auch weniger. Eigentlich schmeckt es ja immer („Die Gäste sagen dann: Ihr habt wieder gut gekocht!“), aber Eva-Maria Küther weiß, dass es Lieblingsessen gibt. Königsberger Klopse zum Beispiel oder Hähnchen Cordon bleu. Davon werden stets ein paar Portionen mehr bestellt – zum Mitnehmen für den nächsten Tag. Der Winterhuder TischNachbar bietet nicht nur Versorgung mit Essen: „Die Menschen kümmern sich auch um einander. Fragen auch mal: Warum ist Frau H. heute nicht da? Und gehen nachschauen. Diese Kontakte sind eine große Bereicherung.“ Die Gäste kommen gerne. Ebenso auch das mittlerweile gut eingespielte Team der Ehrenamtlichen. Eva Maria Küther: „Man lernt sich kennen, es entwickeln sich Gespräche. Und wir überlegen uns, wie man noch mehr Menschen ansprechen könnte, zu unserem Mittagstisch zu kommen.“ Viel Freude am menschlichen Miteinander also – bei den Gästen ebenso wie bei den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Q8 PRAXIS 21
DIE PROJEKTE Beliebt: Campus Uhlenhorst und Goldbekhaus bieten inklusives Stand-Up-Paddling an Miteinander gestalten – voneinander lernen Netzwerk: Winterhuder dungsakteure als starke Gemeinschaft. Möglichst viele Bildungsgespräche Kinder sollen durch die kulturellen Bildungs-, Freizeit- und Unterstützungsangebote erreicht werden. Eine Plattform für die Bildungsakteure im Quartier ist das Netzwerk Winterhuder Bildungsgespräche: Kitas 2015/16 haben unter dem Motto „Inklusion ist eine und Hortbetreuung, Schulen, Kultureinrichtungen, Haltung“ Quartiersspaziergänge zu Trägern klassischer offene Kinder- und Jugendarbeit, Kirchengemeinde, Behindertenhilfe im Quartier, organisierte Interviews, Sportvereine, Elterninitiativen sowie VertreterInnen der Podiumsdiskussionen und Fachreferate stattgefunden. Fachbehörden, der Politik und der Quartiersentwicklung. Mittlerweile ist eine erfolgreiche und verlässliche Zu- sammenarbeit etabliert: Die Treffen finden in den Ein- Seit September 2013 fördert das Netzwerk Zusammen- richtungen reihum statt, die Vermittlung von Prakti- arbeit und Kooperation, setzt Projekte gemeinsam um, kumsplätzen für Menschen mit Behinderungen oder regt fachlichen Austausch an und positioniert die Bil- die Nutzung von Räumen untereinander sind selbstver- 22 Q8 PRAXIS
Beim Bürgerforum: Bestandsaufnahme für die Arbeit an inklusionsfördernden Strukturen ständlich geworden. In 2017 wurden gemeinsam mit takt gab es einen Beitrag einer Vereinsinitiative, in der der Evangelischen Stiftung Alsterdorf Bildungsveran- BürgerInnen in ihrer Nachbarschaft Hilfsdienste für ein staltungen zum Thema Inklusion und Sport angeboten. geringes Entgelt leisten und bei Bedarf helfen, alltägli- Campus Uhlenhorst und Goldbekhaus e.V. bieten z.B. che Aufgaben selbstbestimmt zu meistern. Der Clou: einen inklusiven Stand-Up-Paddling-Kurs an. Wer möchte, kann auf das Entgelt verzichten und über ein persönliches Kontosystem Hilfsdienste für kommen- Bürgerforen: „Winterhude bewegt sich“ de Zeiten sammeln. In der Zukunftswerkstatt zum The- ma Wohnen kam der Impuls von Dr. Josef Bura, Vor- Zusammen mit dem Stadtteilkulturzentrum Goldbek- sitzender des Forums Gemeinschaftliches Wohnen e.V., haus e.V. und der Kirchengemeinde wurden im Sinne „Anders als gewohnt – Neue Wohnformen im Alter“ von Teilhabe und Teilgabe Bürgerforen und Zukunfts- gut an. Es bildete sich eine Gruppe Interessierter, die sich werkstätten durchgeführt. Diese beschäftigten sich mit mit alternativen Wohnformen beschäftigt, hamburg- Themen wie Leben und Wohnen im Alter, Hilfe und Un- weit vernetzt ist, und quartiersübergreifend Arbeitskrei- terstützung sowie Freizeit und Aktivitäten. Oft wirkten se gründet. die Veranstaltungen als Impuls für gelebte Nachbar- schaft und mündeten in konkreten Projekten. Praxis- Eine besondere Wirkung zog die Veranstaltung „Quar- wissen und Erfahrungen bereitstellen, miteinander ins tier trifft auf Nachbarschaft, Gestaltung, Rat und Un- Gespräch kommen, sich vernetzen, initiativ werden und terstützung“ nach sich. In ihr konkretisierte sich die mitgestalten: Heute sind das Aspekte, die wieder einen Planung eines Mittagstisches, der generationenüber- wichtigen Platz im Quartier einnehmen. greifend NachbarInnen erreichen sowie Anlaufstelle und offener Treffpunkt für alle werden sollte. Mehr als 100 interessierte BewohnerInnen kamen zum Bürgerforum ‚Leben und Wohnen im Alter‘. Zum Auf- Q8 PRAXIS 23
DIE PROJEKTE Winterhuder TischNachbar Aus der Idee des gemeinsamen Mittagstisches entstand Der Winterhuder TischNachbar schreibt Kooperation die Initiative „Winterhuder TischNachbar“. Hier treffen und Engagement groß: sich Menschen zum Essen, zu kulturellen Angeboten, um ihre Freizeit zu verbringen und um nachbarschaft- • Mit der Stadtteilküche aus Dulsberg konnte ein liche Projekte in die Tat umzusetzen. Der Quartiersmit- sozialer Dienstleister als Caterer gewonnen werden, tagstisch wird von Beginn an, seit Februar 2015, ehren- der ein Essen für 4 Euro pro Mahlzeit bietet. Ein amtlich geführt. Er richtet sich nicht nur an SeniorInnen Team aus 12 engagierten BürgerInnen übernimmt und etabliert sich mit seinem offenen Angebot als ein den Einsatz im Winterhuder TischNachbarn. Zentrum, in dem Menschen unterschiedlichster Lebens- hintergründe und unterschiedlichsten Alters einen Ort • Die Kirchengemeinde an der Seite der einzelnen für das Gemeinsame und für das Miteinander finden. Initiativen bietet Räumlichkeiten und interne Ver- Die Initiative will Menschen zur Mitgestaltung an ei- waltungsstrukturen an. nem guten Miteinander ermutigen und daran mitwir- ken, Lebensqualität bis ins hohe Alter hinein zu erhal- • SchülerInnen des Bildungszentrums für Men- ten. Direkt aus der Nachbarschaft kommen so Freizeit-, schen mit Sehbehinderung machen in der Berufs- Informations-, Beratungs- und Unterstützungsange- vorbereitung wöchentlich einen Praktikumstag im bote zustande. TischNachbarn. 24 Q8 PRAXIS
Drei Mal die Woche: Quartiersmittagstisch mit frischem Essen – alle sind herzlich willkommen • Die Stiftung Bodelschwingh bietet jeden ersten Montag im Monat eine offene Beratungsstunde beim Winterhuder TischNachbarn an. • Die Gäste des Winterhuder TischNachbarn initi- ieren und verfolgen eigene Nachbarschaftsprojekte, achten aufeinander und kümmern sich umeinan- der (Bring- und Abholdienste, Essensmitnahme für Hochbetagte und/oder Erkrankte.) • Seit 2016 finden Kinoabende im Winterhuder TischNachbarn statt, initiiert und organisiert vom ehrenamtlichen Team. • Als besondere Aktivität und angeleitet von einer Ernährungsberaterin kochen die BesucherInnen des TischNachbarn einmal im Monat regelmäßig ein Drei-Gänge-Menü. Q8 PRAXIS 25
DVO I E RPWROORT: J E K TGEE S P R Ä C H S T I E F VAT E R , WAG N E R Alte Räder zusammenschrauben: Gemeinsam reparieren Geflüchtete und alteingesessene Winterhuder gespendete Fahrräder Mit der Initiative wuchs bei vielen BewohnerInnen und Einrichtungen die Bereitschaft, sich nachhaltig und langfristig in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Aus Von den „GIVE-SHELTER-NIGHTS“ ihr heraus entstand der Kooperationsverbund „WIR IM zu WIR IM QUARTIER QUARTIER“. Im Winter 2015/16 gab es mit den GIVE-SHELTER- Die Initiative hat ein breites, sehr gut etabliertes Ange- NIGHTS eine besondere Initiative im Quartier. Über vier bot entwickelt. Dazu gehören regelmäßige Konzerte Monate lang holten engagierte Nachbarn Abend für mit und für Geflüchtete, Theatergruppen, Medienwork- Abend circa 40 Geflüchtete, Familien mit Kindern, vom shops, Sportangebote wie Alsterlauf oder Stand-Up- Hauptbahnhof ab, um ihnen für die Nacht ein Dach Paddling, Sprachangebote, gemeinsames Kochen mit über dem Kopf, Kleidung, Begleitung und ärztliche Ver- Geflüchteten, eine regelmäßige Welcome-Movie-Kino- sorgung zu geben. Daran beteiligten sich über 280 Eh- reihe, Stadtteilrundgänge, ein Blog sowie eine Veran- renamtliche, die immer wieder von engagierten Profis staltungsreihe gegen Rechtspopulismus und Extremis- aus sozialen Einrichtungen und der lokalen Ökonomie mus (Sichtweisen) und nicht zuletzt eine hohe Anzahl unterstützt wurden. Insgesamt kamen mehr als 2.500 von Engagierten in Patenschaftsgruppen. Ziel ist es, Geflüchtete im Drewssaal der Heilandskirche unter. Geflüchtete zu stärken und zu befähigen, sich für eine 26 Q8 PRAXIS
Facetten der Willkommenskultur: gemeinsam arbeiten, gemeinsam feiern erweiterte Perspektive in sozialer und beruflicher Hin- her in einem umgebauten Bürokomplex. Durch die Ak- sicht einzusetzen. Dies gelingt besonders gut über Initi- tivitäten des Kooperationsverbundes WIR IM QUARTIER ativen, in denen Menschen mit Fluchterfahrung das ei- und die jahrelange vernetzende Tätigkeit im Vorfeld ist gene (handwerkliche) Geschick einbringen können. So es unter anderem gelungen, in kürzester Zeit 17 Kinder, in der Fahrradwerkstatt, die einmal in der Woche für unter ihnen auch zwei- bis dreijährige, an nah liegende acht Stunden in den Räumen des Gemeindehauses der Kitas zu vermitteln. Heilandskirche stattfindet und die darüber hinaus die neuen NachbarInnen mit den alteingesessenen Winter- Für die im Februar 2018 neu in das Quartier kommende hudern zusammen und in Kontakt bringt. In Anlehnung Wohnunterkunft Averhoffstraße mit 330 Geflüchteten, an diese guten Erfahrungen wurde eine Nähwerkstatt ist der integrative Prozess des Ankommens im Quartier in neu gegründet. An zwei Tagen geöffnet, Kinderbetreu- direkter Kooperation mit der Behörde für Familie, Arbeit, ung inklusive, hat sich auch dieses Projekt bereits gut Soziales und Integration (BASFI) geplant. Für die Dauer etabliert. der Zusammenarbeit wird die BASFI Teil des Netzwerkes der Winterhuder Bildungsgespräche. Das Netzwerk ent- In 2016 wurde die Wohnunterkunft Heinrich-Hertz-Stra- wickelt Ideen und Umsetzungsstrategien, die die Inte- ße im Süden des Quartiers eröffnet. 120 Geflüchtete, gration in neuer Nachbarschaft positiv unterstützen. mehr als die Hälfte Kinder und Jugendliche, leben seit- Q8 PRAXIS 27
VO R W O RT: G E S P R Ä C H S T I E F VAT E R , WAG N E R Zeitgemäße Kirche im Quartier Pastor Michael Ellendorff war von Anfang an dabei. Hat miterlebt, wie die KooperationspartnerInnen sich vorsichtig annäherten, wie das Vertrauen wuchs, wie gemeinsame Projekte neue Arbeitsfelder öffneten. In der Begegnung sei die Gemeinde offener geworden, fähig, über die eigene Hutschnur zu schauen und verstehe sich als kooperativer Partner. Er findet: „Q8 ist eine zeitgemäße Entwicklungsform von Kirche.“ Pastor Matthias Liberman kam erst im Sommer 2015 in die Gemeinde. Vorher war er Pastor auf einer Einzelpfarrstelle in Lübeck, der neue Ideen für die Gemeindearbeit häufig erst einmal im Alleingang initiieren musste. In Winterhude-Uhlenhorst erlebte er den Prozess als hilfreichen „Türöffner“ zur Realisierung neuer Konzepte und neuer Projekte: „Wahrscheinlich erreichen wir dadurch mehr Menschen als durch rein kirchliche Handlungen, also zum Beispiel Gottesdienste und Taufen.“ Beide Pastoren begrüßen die Kooperation als Weiterentwicklung aber auch Entlastung. Im Quartier erlebt Pastor Liberman das Bedürfnis nach Seelsorge-Gesprächen. Bei offenen Veranstaltungen, zum Beispiel dem „Winterhuder TischNachbarn“, sitzt er oft mit in der Runde: „Das senkt auch die Hemmschwelle, den Pastor mal anzuquatschen.“ Er würde jeder Kirchengemeinde ein ähnliches Format wünschen. Und könnte sich sogar vorstellen: „Viele Pastoren gehen ja in absehbarer Zeit in den Ruhestand. Man müsste überlegen, einige Pfarrstellen in Stellen für QuartiersentwicklerInnen umzuwandeln.“ 28 Q8 PRAXIS
DIE KIRCHENGEMEINDE Q8 PRAXIS 29
D E R FAC H TAG Kirche, Akteure vor Ort und Quartiersentwicklerinnen im Dialog christlichen Menschenbild beteiligen wollen.“ Die Mit- wirkung daran, dass der öffentliche Raum ein gerechter Ort für alle wird, dass alle Menschen einen Zugang zu öffentlichen Räumen und zu gerechteren Lebensver- hältnissen in einem lebenswerten Umfeld haben, sei Kirche im Sozialen Kernaufgabe und Leitbild in einem. Inklusion voranbringen Und wie sieht die Entwicklung des Projektes aus der Perspektive der Evangelischen Stiftung Alsterdorf aus? Auf einem Fachtag „Kirche im Sozialen“ am 9. Juni Hanne Stiefvater erinnert an den ersten Fachtag vor 2017 in der Heilandskirche wurde Bilanz gezogen – das fünf Jahren: „Damals waren wir sehr aufgeregt, etwas Motto: „Frei und mutig in allen Dingen“. Neues ist an den Start gegangen, die Saat wurde ge- legt.“ Hanne Stiefvater greift gerne zurück auf ein Zitat Worin liegt die besondere Verpflichtung von Kirche im von Birgit Schulz, ehemals Vorstandsmitglied der Stif- Gemeinwesen? Für Pröpstin Astrid Kleist liegt diese Ver- tung: „Glaubensgemeinschaften können wesentliche pflichtung darin, sich im sozialen Umfeld zu engagie- sinn- und friedensstiftende Akteure im Gemeinwesen ren. Ein Auftrag, den der Lutherische Weltbund anläss- sein.“ lich des 500. Jubiläums der Reformation bekräftigt hat: „Die Kirche hat Verantwortung für die Stadt, an deren „Heute wissen wir – die Saat ist aufgegangen.“, sagt Entwicklung wir uns in Übereinstimmung mit dem Hanne Stiefvater: In der engen Zusammenarbeit mit 30 Q8 PRAXIS
dem Kirchenkreis Hamburg-Ost und der Kirchenge- nauso wie Bezirk, lokale Wirtschaft oder politische Ver- meinde Winterhude-Uhlenhorst ist ein neues Format treter. Wenn es dann gelingt, einen Mehrwert für al- erfolgreich erprobt worden mit dem Ziel, den Aufbau le herauszuarbeiten, lassen sich Projekte und Prozesse Inklusion fördernder Strukturen zu unterstützen. Ganz anschieben, lassen sich Kooperationen knüpfen, die wichtig dabei: das Engagement der Menschen, die von künftig nutzbringend, ressourcenübergreifend, oft ei- Anfang an den Prozess mit viel persönlichem Einsatz genverantwortlich weiter laufen. Ein weiterer Benefiz, unterstützten. so Miriam Meyer: „Wenn es den Menschen im Quartier gut geht, wird sich das positiv für alle auswirken, auch Quartiere aufwecken für die Kirche.“ Die Q8-Projektleitung schilderte den Fortschritt von der Suse Hartmann, stellvertretende Geschäftsführerin des Bestandsaufnahme bis zum heutigen funktionierenden Goldbekhauses, lobte die Offenheit in der Zusammen- Netzwerk unterschiedlicher Institutionen. Vor fünf Jah- arbeit: „Q8 kam nicht mit fertigen Konzepten, es war ren: „Der Stadtteil lag im Dornröschenschlaf. Hier gab genau diese Offenheit, die so gut funktioniert hat.“ es kein soziales Wohnprojekt, keine Beratungsstellen, Dieses bedarfs- und ressourcenorientierte Arbeiten keine Servicestellen.“ Heute wachsen nachbarschaft- habe auch Kooperationen mit anderen PartnerInnen liche Initiativen. Zum Nutzen von Jung und Alt sind glücken lassen. Für die Gemeinde setzte ein Umden- Profi-Arbeit und ehrenamtliches Engagement mitein- ken ein: Sie begann sich als Teil des Sozialraumes zu ander verschränkt: „Quartiersentwicklung heißt: In der verstehen. Aus Sicht der Kirche war dabei die Rolle sozialräumlichen Vernetzung werden alle relevanten der Quartiersentwicklerin entscheidend, die in die Ge- Akteure des Quartiers eingebunden: Bürgerinnen und meinde eingebettet ist und doch unabhängig agieren Bürger, Initiativen, Einrichtungen und Institutionen ge- kann. Q8 PRAXIS 31
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