Beatmung geriatrischer Patienten - ein ethisches Dilemma?
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FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT Beatmung geriatrischer Patienten – ein ethisches Dilemma? Corona-Pandemie 2020 -- Autoren: J. Zeeh, K. Memm, H.-J. Heppner, A. Kwetkat Dieser Beitrag möchte einen Überblick darüber geben, wie und mit Hilfe welcher Kriterien eine medizinisch, ethisch und rechtlich vertretbare Entscheidung darüber getroffen werden kann, welche der betagten Patienten mit einer schweren COVID-19-Pneumonie mittels künstlicher Beatmung behandelt werden sollten und welche von einer solchen Therapie eher nicht profitieren würden. Wie schwer muss ein Notstand wiegen, um Men- fache Begrenzung intensivmedizinischer Leistungen schen das Recht zu gewähren, über den Wert des Le- allein aufgrund des kalendarischen Alters eines bens zu entscheiden? Recht und Rechtsprechung be- COVID-19-Patienten nicht akzeptabel ist [2]. stimmen eindeutig, dass dies niemals geschehen Und dennoch prognostizieren die Statistiken, dass darf. Kein Notstand kann die Entscheidung recht- bei einem sprunghaften Anstieg der COVID-19- fertigen, ein Leben sei mehr oder weniger wert als Infektionen damit zu rechnen ist, dass die appara ein anderes. Dies gilt unabhängig von den Kriterien, tiven und personellen Ressourcen nicht ausreichen auf denen die Entscheidung beruht. werden, um jeden schwer erkrankten Patienten Es ist nicht zulässig, das Leben eines Arztes höher zu invasiv zu beatmen. Wenn nicht nach dem Lebens- bewerten als das Leben eines Mechanikers, nur weil alter, nach welchen Kriterien soll ein Arzt dann ur- der Arzt noch viele Leben retten könnte. Auch darf teilen? Die Antwort ist, dass allein die medizini- nicht entschieden werden, dass das Leben eines Kin- schen Kriterien die Behandlung vorgeben. Es geht des schwerer wiegt als das eines Menschen, der sein nicht darum, Leben zu bewerten, sondern Indika Leben bereits gelebt hat. Leben darf nicht gegen Le- tionen. ben abgewogen werden [1]. Mehrere notfall- und intensivmedizinische Fachge- Was können Geriatrie und Palliativmedizin sellschaften haben dazu bereits Position bezogen und zur Beantwortung dieser Fragen beitragen? Schwere COVID- in ihren Empfehlungen klargestellt, dass eine ein Die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges ärztliches 19-Infektion: Wen beatmen und Handeln sind, dass wen nicht? 1. eine medizinische Indikation für den Eingriff bzw. die Maßnahme vorliegt, 2. der Patient über die Maßnahme aufgeklärt wurde, er seine Einwilligung erteilt hat und 3. die Maßnahme ärztlicherseits lege artis durch geführt wird. Die Indikation ist die erste der zu treffenden Ent- scheidungen. Sie liegt in dem alleinigen Hoheitsbe- reich des Arztes. Er bestimmt auf der Grundlage der gesundheitlichen Situation des Patienten, des bishe- rigen Krankheitsverlaufes, der Behandlungsmög- lichkeiten und der bestehenden Prognose darüber, ob eine Maßnahme medizinisch indiziert ist oder © sudok1 / stock.adobe.com nicht. Prognostisch muss der Eingriff eine Besserung beim Kranken erwarten oder jedenfalls erhoffen lassen (sogenannter Benefit). Dabei gibt es verschie- dene Definitionen der Indikation nach Dringlich- 40 MMW Fortschr Med. 2020; 162 (9)
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT keit, Zielsetzung und Ursache, und in einem Pa Tab. 1 10 Kriterien, die für eine palliative Behand- tientenfall gibt es häufig mehr als nur eine vertret- lungsstrategie sprechen (in Anlehnung an [7]) bare Meinung. Dieses eigene Ermessen gesteht das Recht dem Arzt auch zu. 1. In den Aktivitäten des Alltags stark eingeschränkt 2. schwer pflegebedürftig (Pflegegrad ≥ 3) Vorerkrankungen und Funktionszustand 3. verbringt > 50% des Tages im Bett berücksichtigen Die medizinische Indikation zur künstlichen Beat- 4. schwere KHK, austherapiert mung ist bei Hochaltrigen nicht automatisch ge 5. Herzinsuffizienz mit Beschwerden in Ruhe oder bei Dr. med. Joachim Zeeh geben. Vorerkrankungen und ein bereits stark ein- leichter Belastung Abteilung Hospiz- und Palliativver geschränkter Funktionszustand reduzieren die 6. Niereninsuffizienz ≥ Grad 4 (eGFR < 30 ml/min) sorgung, Sozialwerk Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolgs (Bene 7. schwere COPD, austherapiert Meiningen fits). Über das Vorliegen einer Behandlungsindika- 8. Langzeit-Sauerstofftherapie tion muss daher individuell und unter Zuhilfenahme geeigneter Kriterien entschieden werden. Neben der 9. Krebserkrankung mit hoher Symptomlast Clinical Frailty Scale [3 ,4, 5, 6] sind in Tab. 1 weitere 10. fortgeschrittene Demenz (erkennt Angehörende/Pflegende Entscheidungshilfen aufgeführt [7]. nicht, keine sinnhafte Kommunikation möglich) Liegt eine Patientenverfügung vor? Bejaht der behandelnde Arzt die Indikation zur Zunächst sollte der Patient anhand der Clinical Rechtsanwältin künstlichen Beatmung, muss der Patient darin ein- Frailty Scale ([3] und Abb. 1) in eine der neun Ge- Kristin Memm willigen. Im Falle einer Ablehnung ist dies für den brechlichkeitskategorien eingeteilt werden (von Kanzlei für Medizinrecht/ Arzt bindend. Dabei zählt die früher in einer Patien- „überdurchschnittlich fit, robust und voller Energie“ Medizinethik/ tenverfügung festgelegte Ablehnung des mittlerweile bis „komplett von Unterstützung abhängig“ und Digitale Medizin, Erfurt schwer Demenzkranken genauso viel wie die aktuell „terminal krank mit einer geschätzten Lebenserwar- erklärte des einwilligungsfähigen und aufgeklärten tung < 6 Monaten“). Patienten. Bei einem einwilligungsunfähigen Kran- Als nächste Entscheidungshilfe empfehlen wir die ken ohne konkrete Patientenverfügung entscheidet sog. „Wären-Sie-überrascht-Frage“: „Wären Sie der mutmaßliche Wille des Patienten („Würde der überrascht, wenn Ihr Patient in den nächsten sechs Patient eine invasive Beatmung wollen, wenn wir ihn bis zwölf Monaten versterben würde?“ Wenn die fragen könnten?“). Antwort eines Arztes, der den Patienten länger Die künstliche Beatmung nach den Regeln der ärzt- kennt, „nein“ lautet, ist dies ein subjektiver, aber Univ.-Prof. Dr. med. Hans- lichen Kunst, der dritte Schritt, dürfte in Deutsch- dennoch aussagekräftiger Hinweis. Liegt zusätzlich Jürgen Heppner land kein Problem darstellen. Wohl aber könnte die noch mindestens ein Kriterium aus Tab. 1 vor, emp- Lehrstuhl für Geria trie Universität Verfügbarkeit der erforderlichen Ressourcen zum fiehlt sich eine primär palliative Behandlungsstra Witten/Herdecke, Problem werden, wenn die Erkrankungsfälle zu tegie [7, 8, 9]. Chefarzt der Klinik für Geriatrie, rasch zunehmen. Bleiben dennoch Zweifel, empfiehlt sich ein erneuter HELIOS Klinikum Da bei einem Massenanfall von Patienten mit dro- Blick auf Tab. 1: Je mehr der dort aufgeführten Kri- Schwelm hendem Lungenversagen die Zeit drängt, wäre das terien bei dem Patienten vorliegen, desto nachdrück- Vorhandensein einer Patientenverfügung in Kurz- licher ist die Empfehlung für eine zurückhaltende, fassung und speziell fokussiert auf COVID-19 hilf- symptomlindernde und palliative Behandlungs reich. Schon vor dem Eintreten des Notfalls sollten strategie („best supportive care“). sich daher Ärzte, die multimorbide oder betagte Die subjektive Einschätzung eines Hausarztes, der Patienten betreuen, für jeden einzelnen Patienten seinen Patienten länger kennt, hat einen hohen die Frage stellen, welche Behandlungsmaßnahmen Stellenwert bei der Entscheidung für oder gegen eine im Falle einer COVID-19-Infektion 1. medizinisch Intensivbehandlung. Dr. med. Anja Kwetkat indiziert und 2. vom Willen des Patienten getragen Direktorin der wären. Schritt 2: Die Entscheidung des Patienten – Klinik für Geriatrie, Universitätsklinikum was ist sein Wille? Jena Strukturiertes Vorgehen bei der Liegt eine medizinische Indikation zu intensivme- Entscheidungsfindung (Abb. 2) dizinischen Behandlungsmaßnahmen vor, muss der Patient darin einwilligen. Der einwilligungsfähige Schritt 1: Die Entscheidung des Arztes – Patient wird über den Verlauf, den Nutzen und die die medizinische Indikation Risiken der indizierten Behandlung aufgeklärt und Welcher Patient hat ein hohes Risiko, nicht von einer entscheidet dann selbst. Ist der Patient nicht in der intensivmedizinischen Behandlung zu profitieren? Lage, die Bedeutung und Tragweite einer solchen MMW Fortschr Med. 2020; 162 (9) 41
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT Abb. 1 Clinical Frailty Scale (Deutsche Übersetzung) Clinical Frailty Scale (CFS) DGG Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. ›› Warum? ›› Wie? Mehrere nationale und internationale Die CFS (deutsch: Klinische Frailty Skala) kann von allen adäquat geschulten Empfehlungen, unter anderem die Fachkräften im Gesundheits- oder Pflegedienst durchgeführt werden. Die Skala „Entscheidungen über die Zuteilung besteht aus 9 Kategorien. von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der › Fragen Sie den Patienten, Angehörige, Pflegende, betreuende Personen und/oder COVID-19-Pandemie“ der Deutschen Heimpersonal, welche Fähigkeiten die betreffende Person vor ZWEI Wochen hatte. Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) › Gründen Sie Ihre Einschätzung NICHT auf den Ist-Zustand, in dem sich die heben klar die Bedeutung der Ver- betreffende Person in der akuten Erkrankungsphase befindet. wendung der Clinical Frailty Scale (CSF)/deutsch: Klinischen Frailty › Entscheidungsträger, welche die Klinische Frailty Skala (CSF) verwenden, MÜSSEN die Skala hervor. erhobene Kategorie überprüfen, um sicherzustellen, dass diese korrekt ist. Ziel ist die Identifizierung von Patien- ten mit einem erhöhten Risiko für › Bedenken Sie, dass die Klinische Frailty Skala nur bei älteren Personen (≥ 65 Jahren) umfangreich validiert ist. Die Skala ist nicht bei Personen mit stabilen dauerhaften einen ausbleibenden Behandlungs- Behinderungen, wie z.B. frühkindlichen Hirnschädigungen, validiert, da deren Prognose erfolg, welche nicht von einer stark von derer älterer Menschen mit progredienten Behinderungen differieren könnte. intensivmedizinischen Intervention profitieren dürften. › Die Klinische Frailty Skala sollte nicht isoliert verwendet werden; sie ist ein Instrument, welches im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung und gemeinsamer Entscheidungen eingesetzt werden sollte. Klinische Frailty Skala 1 Sehr fit 5 Geringgradig frail 8 Extrem frail Personen in dieser Kategorie sind ro- Personen in dieser Kategorie sind Komplett von Unterstützung abhängig bust, aktiv, voller Energie und motiviert. offensichtlich in ihren Aktivitäten und sich ihrem Lebensende nähernd. Sie trainieren üblicherweise regelmäßig verlangsamt und benötigen Hilfe bei Oft erholen sich Personen in dieser und sind mit die Fittesten innerhalb anspruchsvollen Alltagsaktivitäten Kategorie auch von leichten ihrer Altersgruppe. wie finanziellen Angelegenheiten, Transport, Erkrankungen nicht. schwerer Hausarbeit und im Umgang mit Medika- 2 Durchschnittlich aktiv menten. Geringgradige Frailty beeinträchtigt das 9 Terminal erkrankt selbstständige Einkaufen, Spazierengehen sowie Personen in dieser Kategorie haben eine Personen in dieser Kategorie zeigen die Essenszubereitung und Haushaltstätigkeiten. Lebenserwartung < 6 Monate. keine aktiven Krankheitssymptome, Die Kategorie bezieht sich auf Personen, sind aber nicht so fit wie Personen in die anderweitig keine Zeichen von Kategorie 1. Sie sind durchschnittlich aktiv oder zeitweilig sehr aktiv, z.B. saisonal. 6 Mittelgradig frail Frailty aufweisen. Personen in dieser Kategorie benöti- gen Hilfe bei allen außerhäuslichen Klinische Einstufung von Frailty bei 3 Gut zurechtkommend Tätigkeiten und bei der Haushalts- Personen mit Demenz Die Krankheitssymptome dieser führung. Im Haus haben sie oft Personengruppe sind gut kontrolliert, Der Schweregrad der Frailty entspricht der Schwere der Schwierigkeiten mit Treppen, benötigen Hilfe Demenz. Typische Symptome einer leichten Demenz aber außer Gehen im Rahmen von beim Baden/Duschen und evtl. Anleitung oder Alltagsaktivitäten bewegen sie sich sind Vergesslichkeit bezüglich Details jüngster minimale Unterstützung beim Ankleiden. Ereignisse, auch wenn man sich an das Ereignis selbst nicht regelmäßig. noch erinnert, sowie das Wiederholen von Fragen und Gesagtem sowie sozialer Rückzug. 4 Vulnerabel 7 Ausgeprägt frail Auch wenn sie nicht auf externe Hilfen Personen in dieser Kategorie sind Bei mittelgradiger Demenz ist das Kurzzeitgedächtnis im Alltag angewiesen sind, sind aufgrund körperlicher und kognitiver stark beeinträchtigt, obwohl die Personen sich Personen in dieser Kategorie aufgrund Einschränkungen bei der Körperpflege augenscheinlich noch gut an Ereignisse der ihrer Krankheitssymptome oft in komplett auf externe Hilfe ange- Vergangenheit erinnern können. Die Körperpflege ihren Aktivitäten eingeschränkt. Häufig klagen sie wiesen. Dennoch sind sie gesundheitlich stabil. erfolgt selbstständig mit verbaler Unterstützung. über Tagesmüdigkeit und/oder berichten, dass Die Wahrscheinlichkeit, dass sie innerhalb der Personen mit schwerer Demenz sind nicht in der Lage, Alltagsaktivitäten mehr Zeit benötigen. nächsten 6 Monate sterben, ist gering. ihre Körperpflege ohne Hilfestellung auszuführen. Mod. nach Version 1.2_EN. Forschungsabteilung Geriatrie, Dalhouse Universität, Halifax, Kanada Quellen: © 2020 Singler, Katrin / Gosch, Markus / Antwerpen, Leonie 1. Kanadische Studie über Gesundheit und Altern 2008 Vervielfältigung für nicht-profitorientierte Zwecke im Sinne der Patientenversorgung sowie Forschung und Lehre gestattet. 2. K. Rockwood et al. CMAJ 2005; 173:489–495 Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. www.dggeriatrie.de 42 MMW Fortschr Med. 2020; 162 (9)
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT Abb. 2 Entscheidungsdiagramm COVID-19-Pneumonie, Patient ≥70 Jahre formale Beatmungsindikation ist gegeben (Blutgase etc.) Individuelle Indikationsprüfung In welche Kategorie der „Clinical Frailty Scale“ fällt der Patient? Stufe 1 – 6 Stufe 7 – 9 Wären-Sie-überrascht-Frage Tab. 1 Wären Sie als Arzt, der den Patienten schon länger kennt, Wenn eines oder mehrere dieser Kriterien auf den Patienten überrascht, wenn dieser Patient in den nächsten zutreffen, empfiehlt sich eine palliative Therapie. Je mehr 6–12 Monaten versterben würde? Kriterien zutreffen, desto nachdrücklicher ist die Empfehlung. 1. in den Aktivitäten des Alltags stark eingeschränkt 2. schwer pflegebedürftig (Pflegegrad ≥ 3) Antwort ja Antwort nein und mindestens 3. verbringt > 50% des Tages im Bett 1 Kriterium 4. schwere KHK, austherapiert aus Tabelle 1 5. Herzinsuffizienz mit Beschwerden in Ruhe oder bei leichter zutreffend Belastung 6. Niereninsuffizienz ≥ Grad 4 (eGFR < 30 ml/min) 7. schwere COPD, austherapiert Wenn Sie auf dieser 8. Langzeit-Sauerstofftherapie Ebene (– – – – –) 9. Krebserkrankung mit hoher Symptomlast der Entscheidungsfindung noch 10. fortgeschrittene Demenz (erkennt Angehörende/Pflegende unsicher sind, folgen Sie den nicht, keine sinnhafte Kommunikation möglich) gelben Pfeilen ≤ 1 Kriterium ≥ 2 Kriterien Einwilligung des Patienten zutreffend zutreffend ja nein Keine Intensivbehandlung, keine Beatmung Übliche Intensivbehandlung inkl. Beatmung („Best Supportive Care”) Entscheidung einzuschätzen (ist er also nicht ein Patientenverfügung mit dem Patienten selbst be- willigungsfähig), kommt sein vorausverfügter Wille sprochen werden. Ergeben sich daraus konkrete Be- (Patientenverfügung) oder sein mutmaßlicher Wille handlungswünsche in Bezug auf eine mögliche zum Tragen. COVID-19-Infektion, können diese als Ergänzung Der „Notfallplan für Schwere Verläufe von COVID-19 treten besonders zu der allgemeinen Patientenverfügung in dem Not- Extremsituationen bei multimorbiden und hochbetagten Menschen auf. fallplan (NopE) (Abb. 3) erklärt werden. So liegt eine (NopE)“ aus Abb. 3 Das aber ist die Personengruppe, die häufig in klare und schnell zu überblickende Handlungs steht zum Download ihren Patientenverfügungen invasive intensiv anweisung auch für die im Rettungsdienst bzw. Not- bereit auf: medizinische Maßnahmen für sich bereits ausge- dienst hinzugerufenen Kollegen vor. https://www. schlossen hat. Beatmungssituationen, die weder medizinisch indi- kanzleikm.de/ news Hier gilt es heute schon im Hinblick auf eine vorher- ziert noch vom Willen des Patienten getragen sind, sehbare Notfallsituation in der Patientenverfügung könnten auf diese Weise im Sinne aller vermieden nachzulesen, ob der Patient einer invasiven Beat- werden. mung oder einer Reanimation überhaupt zustimmen Kommt es dennoch durch eine unkontrollierbare würde. Wenn möglich, sollte die bereits bestehende Ausbreitung des Corona-Virus zum Katastrophen- MMW Fortschr Med. 2020; 162 (9) 43
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT fall und zu einer Überlastung der uns verfügbaren Abb. 3 Notfallplan für Extremsituationen Ressourcen, dürfen diese ausschließlich auf der Anlage zu der Entscheidungshilfe „Corona Pandemie 2020 – Die Beatmung geriatrischer Patienten“ von J. Zeeh/A. Kwetkat/ H.J. Heppner/K. Memm Grundlage medizinisch begründbarer Kriterien ver- Notfallplan für Extremsituationen (NopE) teilt werden. Dafür ist es wichtig, heute schon vor- auszudenken, um unüberlegtem Handeln und von Verfügung für den Fall einer Corona-Virus-Infektion Angst und Unwissen geprägten Entscheidungen zu- Name, Vorname: vor zu kommen. Geburtsdatum: Im Sinne einer geteilten Entscheidungsfindung be- Wohnanschrift: ruht der von uns beschriebene Weg auf der Zusam- menarbeit von Klinikarzt und Hausarzt. Dessen In- Sollte ich selbst nicht mehr in der Lage sein, in eine medizinisch indizierte Maßnahme einzuwilligen, ver- formationen über den Vorzustand des Patienten und füge ich für den Fall, dass ich an einer Corona-Virus-Infektion erkranke, schon heute meinen Willen. Dieser Wille steht meiner ausdrücklichen Einwilligung bzw. Nichteinwilligung gleich und ist von allen Beteiligten seine Einschätzung der Lage durch Beantwortung zu beachten. der „Wären-Sie-überrascht-Frage“ sind wesentliche ja nein Bestandteile einer geriatrisch fundierten Therapie- Bei einem Atemversagen (respiratorischer Insuffizienz) möchte ich künstlich beatmet werden. entscheidung. ■ Im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstandes möchte ich wiederbelebt werden. Gemäß den Prinzipien von „palliative care“ möchte ich soweit es möglich ist an einem Ort, an dem ich bis dahin gepflegt worden bin (also in meinem Zuhause oder meinem Pflegeheim) Literatur: springermedizin.de/mmw verbleiben und auch dort sterben. Die Einweisung in ein Krankenhaus wünsche ich nur, Title: wenn die Linderung von Schmerzen und Leiden (Symptomkontrolle) oder der Schutz meiner Covid-19 pandemic. Mechanical ventilation in geriatric patients – an ethical Mitmenschen ambulant nicht mehr möglich ist. dilemma? Speziell für die bei mir bestehende Erkrankung treffe ich selbst folgende zusätzliche Verfügungen: Keywords: (Falls Sie zusätzliche Verfügungen treffen wollen.) Geriatric, frailty, mechanical ventilation, Covid-19 Anschrift der Verfasser: Dr. med. Joachim Zeeh Abteilung Hospiz- und Palliativversorgung, Sozialwerk Meiningen gGmbH, Ernststraße 7, D-98617 Meiningen, E-Mail: joachim@doktor-zeeh.de Rechtsanwältin Kristin Memm Vorsorgebevollmächtigt ist: Kanzlei für Medizinrecht/Medizinethik/Digitale Medizin, Wiesenbach 11, D-99097 Erfurt, E-Mail: mail@kanzleikm.de Name Kontaktmöglichkeit (Anschrift/Telefonnummer) Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Heppner Lehrstuhl für Geriatrie Universität Witten/Herdecke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), Chefarzt der Klinik für Geriatrie, HELIOS Klinikum Ich habe mit meinem Arzt/meiner Ärztin über die medizinischen Hintergründe dieser Verfügung ge- Schwelm, Dr.-Moeller-Straße 15, D-58332 Schwelm sprochen und entbinde diese(n) diesbezüglich von der Schweigepflicht: Dr. med. Anja Kwetkat Herrn/Frau Direktorin der Klinik für Geriatrie, Universitätsklinikum Jena, Bachstraße 18, D-07743 Jena Ich versichere, dass ich diese Verfügung eigenmächtig, im Vollbesitz meiner geistigen Fähigkeiten und nicht unter dem Drängen Dritter erstellt und unterschrieben habe. Ort und Datum eigenhändige Unterschrift FAZIT FÜR DIE PRAXIS 1. Keine invasive Beatmung ohne eine medizinische Indikation vor dem Hintergrund eines klaren Therapieziels. 2. Keine Behandlung gegen den ausdrücklichen oder mutmaß lichen Willen des Patienten. Lehnt der Patient in einer Ver fügung die invasive Beatmung bei einer Pneumonie ab, darf nicht beatmet werden. 3. Mit einer vorausschauenden Behandlungsplanung lassen sich nicht indizierte und gegen den Willen des Patienten durch geführte „Notfall-Beatmungen“ vermeiden. 4. Die Entscheidung für oder gegen eine künstliche Beatmung älterer Patienten mit COVID-19-Pneumonie wird durch die Ein- © [M] jannoon028 / Fotolia beziehung der Gebrechlichkeit (Clinical Frailty Scale [5, 6, 7]), der geschätzten verbleibenden Lebenszeit (Wären-Sie-über- rascht-Frage) sowie einiger Komorbiditäten und Laborpara Der Patient muss eigenhändig unterschreiben. meter (Tab. 1) erleichtert und objektiviert. 44 MMW Fortschr Med. 2020; 162 (9)
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