Bildu g. Weiter de ke ! - HEILSVERSPRECHEN

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66. Jahrgang

 Zeitung “Erziehung und Wissenschaft im Saarland” des Landesverbandes der GEW im DGB

HEILSVERSPRECHEN

   Bildun g. Weiter denken!
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INHALT                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  EDITORIAL

                                                                                                                                                                                                                                             wie es geht... Oft ist es wohl die Unsicherheit,       Neben den Beiträgen zum Titelthema fin­
                                                                                                                 Öffnungszeiten der                                                                                                          etwas falsch zu machen (Erziehungsratgeber),        det ihr in diesem Heft u.a. die Zusammenfas­
                                                                                                                                                                                                                                             der Versuch der Selbstoptimierung (Gesund­          sung der Studie der Bertelsmann Stiftung zur
                                                                                                                   Geschäftsstelle                                                                                                           heits­ und Fitnessratgeber) oder die Verzweif­      „Demokratiebildung an deutschen Schulen“
                                                                                                             Mo. ­ Do.: 09.00 ­ 12.00 Uhr | 13.00 ­ 16.00 Uhr                                                                                lung, die uns an die unterschiedlichsten Heils­     und das Interview mit einer Frau, die von
                                                                                                               Fr.: 09.00 ­ 12.00 Uhr | 13.00 ­ 15.00 Uhr                                                                                    versprechen glauben lässt.                          ihrem beschämten Leben als Analphabetin
                                                                                                                         Telefon: 0681 / 66830­0,                                                                                                                                                erzählt und wie es ihr gelang, diesen „Makel“
                                                                                                                         Telefax: 0681 / 66830­17                                                                                               Auch vor dem pädagogischen Kontext               abzulegen.
                                                                                                                      E­Mail: info@gew­saarland.de                                                                                           macht dieser Boom nicht halt. Zumal viele
                                                                                                                                                                                                                                             Kollegen*innen seit Jahren das Gefühl haben,           Auf 45 Jahre Mitgliedschaft in der GEW
                                                                                                                   Internet: http://www.gew.saarland
                                                                                                                                                                                                                                             vor immer neuen und größeren Herausforde­           blickt Ursula Gressung­Schlobach zurück.
                                                                                                                                                                                                                                             rungen zu stehen (Umgang mit zunehmender            Mich hat die langjährige Schulleiterin der
                                                                                                                                                                                              Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,             Heterogenität, Digitalität im Unterricht,           Gemeinschaftsschule Dudweiler immer wie­
                                                                                                                            GEW­Service                                                                                                      Umgang mit herausforderndem Verhalten der           der durch ihre unnachahmlich kluge Art, Din­
                                                                                                                            Beratungszeiten für                                                „Alles wird gut!“, wer kennt diese trösten­   Schüler*innen, Anspruchsdenken der Eltern,          ge auf den Punkt zu bringen, für sich einge­
                                                                                                                         Mitglieder in Rechtsfragen                                         den Worte nicht aus der eigenen Kindheit? In     Dokumentationspflichten...). So erhofft sich        nommen. In unserer Rubrik „Saar mol“ beant­
                                                                                                                       Mo., Di. u. Do.: 09.00 ­ 16.00 Uhr,                                  diesen Worten steckt die Zuversicht, dass eine   der eine oder die andere von den unter­             wortet sie die fünf Fragen unseres Redakti­
                                                                                                                            Mi.: 13.00 ­ 17.00 Uhr                                          Situation überwunden werden kann, sich zum       schiedlichsten Heilsversprechen der Pädago­         onsteams. Harald Leys Schlusswort – wie
                                                                                                                                                                                            Guten wenden wird. In Zeiten der Corona­Kri­     gik wenn nicht die „Erlösung“, dann doch            immer auf der letzten Seite.
                                                                                                                      Landesstelle für Rechtsschutz                                         se – das Ausmaß war, als sich das Redaktions­    wenigstens schnelle Hilfe.

  04
Thema: Heilsversprechen
                                                                                                                          Gabriele Melles­Müller,
                                                                                                                           Tel.: 0681 / 66830­13,
                                                                                                                E­Mail: g.melles­mueller@gew­saarland.de
                                                                                                                                                                                            team vor einigen Wochen für dieses Titelthe­
                                                                                                                                                                                            ma entschieden hat, nicht annähernd zu
                                                                                                                                                                                            erahnen – einmal mehr.
                                                                                                                                                                                                                                                Helmut Stoll setzt sich in seinem Artikel kri­
                                                                                                                                                                                                                                             tisch mit dem Heilsversprechen der „Neuen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   „Am Ende wird alles gut,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    wenn es nicht gut wird,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                    ist es noch nicht das Ende“
                                                                                                                            Fr.: 13.00 ­ 16.00 Uhr unter                                                                                     Autorität“ auseinander. Matthias Römer
                                                                                                                            Tel. (priv.): 0170 / 4151006                                       Seit jeher wünschen sich Menschen in          nimmt in seinem Beitrag „Das Heil des Wett­            Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern in
Editorial                                      03   Gewerkschaft                       18                                                                                                   Situationen, die sie verunsichern, die ihnen     bewerbs“ den zunehmenden Druck der Schu­            diesen unberechenbaren Zeiten Gesundheit,
                                                                                                                            Beratung für                                                    Angst machen oder die sie kaum zu bewälti­       len um Anmeldezahlen unter die Lupe und             Gelassenheit und nicht zuletzt auch mit­
                                                     18 DGB­Kundgebung am 1. Mai 2020                             Referendarinnen und Referendare                                           gen scheinen, jemanden, der sie mit diesem       zeigt auf, was daraus an den sogenannten            menschliche Solidarität, die wir so dringend
Thema: Heilsversprechen             04               19 Frühjahrstreffen des KV Merzig                                Max Hewer, Tel.: 0176 / 30456396                                      Heilsversprechen tröstet. Da wundert es          „Tagen der offenen Tür“ mancherorts ent­            brauchen. n
                                                                                                                      E­Mail: m.hewer@gew­saarland.de                                       nicht, dass dieser Markt seit Jahrzehnten        steht. Den klugen Kommentar von Johannes
  04 Autorität durch “Präsenz” oder die              19 Senior*innentag 2020
          Kluft zwischen Anspruch und Praxis                                                                                                                                                boomt. Ob alternative Heilmethoden, Ehe­,        Kandler, der zum ersten Mal für unsere Zei­           Eure
          Das postliberale heilsversprechen                                                                            Beratungsdienst für                                                  Gesundheits­ oder Erziehungsratgeber –           tung schreibt, lege ich euch ebenfalls sehr ans       Anna Haßdenteufel
          der “Neuen Autorität”                                                                                 Auslandsaufenthalt von Lehrkräften                                          gemeinsam ist ihnen: sie wissen (angeblich)      Herz.
                                                    Info & Service                            20                               Susanne Bleimehl
   08 Wer suchet, der findet – die Frage                                                                                      Tel.: 0170 / 9655772
          ist nur, wo?                                20 17. Deutscher Kinder­ und
          Kommentar                                       Jugendhilfetag                                             E­Mail: susannebleimehl@gmail.com
                                                                                                                                                                                            ANZEIGE

   09 Ein Paradigmenwechsel?
                                                    Bücher & Medien                           21                   Redaktionsschluss
   10 Das Heil des Wettbewerbs                                                                                                        06.04.2020
          oder: Warum Konkurrenz nur bedingt         21 Antifaschistische Pädagogik
          das Geschäft belebt.                                                                                                        (Mai­Ausgabe)
                                                     21 Loyalitäten                                                                   04.05.2020
                                                                                                                                      (Juni­Ausgabe)
Berufliche Bildung                                   22 Kinderbuch:
& Weiterbildung                                12         Und dann kamen die Monster                                   E­Mail: redaktion@gew­saarland.de
                                                          Mit einem Bilderbuch die Welt entdecken

                                                                                                                                                                                             Wir drucken für unser Leben gern
 12 Wie kann das geschehen?                               und Kindern der Palliativstation letzte
                                                          Wünsche erfüllen
          Der Weg einer Analphabetin
                                                                                                                            Impressum
                                                                                                                                    Herausgeber
Schule                              15              Leserbrief                                22           Gewerkschaft Erziehung und                              Layout
                                                                                                           Wissenschaft (GEW) im DGB,                           Bärbel Detzen
                                                                                                    Landesverband Saarland, Geschäftsstelle:              b.detzen@gew­saarland.de
  15 Stark im Stress: Lehrergesundheit                                                                  Mainzer Str. 84, 66121 Saarbrücken
                                                    Zu guter Letzt ...                        23    Tel.: 0681 / 66830­0, Fax: 0681 / 66830­17                       Druck
  16 Demokratiebildung an Schulen                                                                             info@gew­saarland.de                          COD Büroservice GmbH
                                                                                                                                                      Bleichstraße 22, 66111 Saarbrücken
          Analyse lehrerbezogener Einflussgrößen                                                                    Redaktion                        Telefon: 0681 / 393530, info@cod.de
                                                                                                                 Matthias Römer
                                                                                                           redaktion@gew­saarland.de                              Bildnachweis
                                                                                                                  Thomas Bock,                         u.a. 123rf.com, GEW­Archiv, privat
                                                                                                             Dr. Judith Frankhäuser,
                                                                                                               Anna Haßdenteufel,                                 Titelfoto
                                                                                                                   Helmut Stoll                         GEW­Archiv/©Dominik Buschardt

                                                                                                              Anzeigenverwaltung
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                                                                                                          a.sanchez@gew­saarland.de

                                                                                                    Die Redaktion behält sich bei Beiträgen und Leserbriefen Kürzungen vor. Namentlich
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Mainzer Straße 35 66111 Saarbrücken
EuWiS 04/2020 | 2                                                                                                                                                                                     offset und digital                                                                         Tel. 0681 39353-51 Fax 0681 6852301
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             print@cod.de www.cod.de
Bildu g. Weiter de ke ! - HEILSVERSPRECHEN
THEMA: HEILSVERSPRECHEN                                                                                                                                                                                                                              THEMA: HEILSVERSPRECHEN

Autorität durch „Präsenz“ oder                                                                                                                         tieren, oder die Unvermeidlichkeit, die Befrie­
                                                                                                                                                       digung eigener Bedürfnisse aufschieben zu
                                                                                                                                                       müssen, stellen für das Kind Herausforderun­
                                                                                                                                                                                                           „Neue Autorität in Haltung und Handlung“ am
                                                                                                                                                                                                           Beispiel von Mobbing in der Schule, wie so
                                                                                                                                                                                                           eine öffentliche Mitteilung formuliert werden
                                                                                                                                                                                                                                                                tant*in eines für legitim erachteten Systems.
                                                                                                                                                                                                                                                                Die Forderung vieler Lehrkräfte nach „einheit­
                                                                                                                                                                                                                                                                lichen Regeln“ oder nach „Maßnahmekatalo­

die Kluft zwischen Anspruch und Praxis                                                                                                                 gen dar.“ (a. a. O., S. 27)

                                                                                                                                                       1.4 Die Suche nach einer Alternative zu
                                                                                                                                                                                                           kann: „Gewalt dulden wir an unserer Schule in
                                                                                                                                                                                                           keiner Form und werden dagegen vorgehen.
                                                                                                                                                                                                           Daher werden wir folgende Schritte unterneh­
                                                                                                                                                                                                                                                                gen“, um Regelabweichungen zu sanktionie­
                                                                                                                                                                                                                                                                ren, zeugt vom Bedürfnis nach Sicherheit, die
                                                                                                                                                                                                                                                                das Eingebundensein in ein System zu gewäh­
Das postliberale Heilsversprechen der „Neuen Autorität“                                                                                                autoritärer und antiautoritärer Erziehung           men: Zunächst haben wir bereits alle Kollegen        ren scheint.
                                                                                                                                                          Für die Protagonisten der „Neuen Autori­         und die Schulleitung von unseren Beobach­
   Im Büro vom Direx war es gar nicht so         1. Grundlagen und Denkfiguren der „Neuen              Im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels        tät“ stellt sich nun die zentrale Frage, wie eine   tungen berichtet. Im nächsten Schritt werden         1.8 Das Ziel der Ausübung von Autorität:
schlecht gelaufen. Monsieur Villeminot ver‐      Autorität“                                         während des 20. Jahrhunderts wurde diese           entwicklungsförderliche Erziehungsarbeit zu         wir eure Eltern von unseren Beobachtungen            Erfüllung der Pflicht und Kontrolle über sich
stand sehr gut, was in diesen Jugendlichen vor                                                      Form von Autorität immer mehr erschüttert ­        leisten sei, die dem Dilemma zwischen autori­       in Kenntnis setzen und einen Elternabend             selbst durch Ausstieg aus dem Machtkampf
                                                 1.1 Die Väter der „Neuen Autorität“: Haim
sich ging, die ihren Hormonen ausgeliefert       Omer und Arist von Schlippe                        auch unter dem Eindruck der verheerenden           tärer und permissiver Erziehung entrinnen           dazu veranstalten.“ (LEMME/KÖRNER a. a. O.,             Im Widerspruch zu der oben geäußerten
und das ganze Jahr eingesperrt waren, damit                                                         Folgen von Faschismus und Nationalsozialis­        könne:                                              S. 102)                                              Erwartung, dass sich das Verhalten der
sie unnütze Schulabschlüsse erhielten, die         Unter dem Signum „Neue Autorität“ entwi­         mus, denen ja u. a. das Führerprinzip als auto­                                                                                                             „Untergeordneten“ im Sinne der Autoritäts­
ihnen mehr oder weniger aussichtsreiche Bil‐     ckelte der israelische Professor für Klinische     ritäre Herrschaftsform zugrunde liegt. Heut­          „Die unwiderrufliche Erschütterung des tra­         Der Duktus des Schreibens belegt die Ent­         personen verändern wird, entlasten die Prota­
dungswege ermöglichten, aber auch wie            Psychologie HAIM OMER seit den 1990er Jah­         zutage seien hingegen die Ausdrucksformen          ditionellen Autoritätsverständnisses und das        schlossenheit des Schulkollegiums, in Koope­         gonisten der „Neuen Autorität“ Eltern und
Walzwerke arbeiteten, aus denen man als fer‐     ren ein Programm in der Absicht, Eltern im         der traditionellen Autorität, wie „physische       Versagen des antiautoritären, permissiven           ration mit den Eltern Mobbing­Prozesse zu            Lehrkräfte vom Druck, Veränderungen bei
tiger Mensch herauskam oder gebrochen,           Umgang mit ihren „gewalttätig“ gewordenen          Bestrafung, Distanz, Furcht, unbedingter           Erziehungsstils warfen ein neues Problem in         unterbinden.                                         Kindern und Jugendlichen herbeiführen zu
anders gesagt: einsatzfähig. Monsieur Villemi‐   und „antisozial agierenden“ Kindern zu stär­       Gehorsam und die Unanfechtbarkeit der              der Kindererziehung auf: Wie kann das Vaku­                                                              wollen: „Ich kann keinen anderen Menschen
not empörte sich nicht mehr über Wutanfälle,     ken.                                               Autoritätsperson“ moralisch nicht mehr zu          um wieder gefüllt werden, das durch den             1.6 Der Verzicht auf Gewalt                          ändern als mich selbst.“ (a. a. O., S. 34)
Zungenküsse in den Toiletten, über heimlichen                                                       legitimieren. (a. a. O., S. 24)                    Wegfall der traditionellen Autorität entstan­          Als weiteres zentrales Merkmal der neu
Drogen‐ und Alkoholkonsum. Er begnügte sich         ARIST VON SCHLIPPE trug in Deutschland                                                             den ist, so dass die Kinder entwicklungsför­        verstandenen Autorität gilt die Gewaltlosig­            Da nach diesem bekannten Credo die Kon­
damit, die Vorschriften einzuhalten, ohne        2002 wesentlich zur Verbreitung dieses                Die „liberale Gesellschaft“ hatte nach          dernde Erfahrungen mit Grenzsetzungen,              keit; vielmehr werde Autorität durch Nähe            trolle über das Kind illusionär sei, bliebe somit
Zorn, ohne Nachsicht, mechanisch. Nicolas        Elterncoachings bei, indem er zusammen mit         Ansicht der beiden Autoren nicht nur Kritik        Anforderungen und der Auseinandersetzung            und durch Beziehung erlangt. Eltern und Lehr­        den Erziehungsverantwortlichen die Kontrolle
Mathieu: Wie später ihre Kinder                  OMER die Schrift „Autorität ohne Gewalt.           am traditionellen Verständnis von Autorität        mit Schwierigkeiten machen können ­ und             kräfte sollen nicht nur einseitig auf Gewalt         über sich als wichtige Aufgabe, um als Ziel der
                                                 Coaching für Eltern von Kindern mit Verhal­        geübt, „sondern sogar eine Zeit lang Autorität     zwar auf eine moralisch und gesellschaftlich        verzichten, sondern sich darüber hinaus auch         Autoritätsausübung die Pflichterfüllung als
   Das Konzept der so genannten „Neuen           tensproblemen“ veröffentlichte. Im weiteren        in der Erziehung grundsätzlich in Frage ge­        vertretbare Weise?“ (a. a. O., S. 27)               um Deeskalation in konfliktträchtigen Situatio­      Eltern und Lehrer anzustreben.
Autorität“ hat seit Kurzem Eingang nicht nur     Untertitel wird „Elterliche Präsenz als systemi­   stellt.“ (a. a. O., S. 24) Antiautoritäre Erzie­                                                       nen bemühen. Diese Fähigkeit zur Deeskalati­
in die Kinder­ und Jugendhilfe, sondern auch     sches Konzept“ genannt, was auf die theoreti­      hungsbewegungen, Antipädagogik und eman­              Die Verfechter der „Neuen Autorität“ glau­       on stärke zudem die Autoritätspersonen:                 Um welche Pflichten es sich konkret han­
in die deutsche Lehrerbildung gefunden. Die­     schen Bezüge hinweist. Auch der zentrale           zipatorische Pädagogik, die seit den 1960er        ben eine ethisch legitimierte Antwort auf die­      „Sobald z. B. ein Lehrer verinnerlicht hat, dass     delt, führen die beiden Autoren nicht aus,
ser mit dem Attribut „neu“ geschmückte           Bestandteil der praktischen Umsetzung des          und 1970er Jahren in Deutschland einen             se Frage gefunden zu haben, indem sie das           er davon befreit ist, seine Stimme heben zu          sondern bieten den Entlastung versprechen­
Ansatz erscheint deshalb so attraktiv, weil er   Konzepts, nämlich die „Präsenz“ deutet sich in     gewissen Einfluss erlangten, hätten auf part­      Prinzip der „Präsenz“ als konstitutiv für päda­     müssen und sofort auf negative Verhaltens­           den Ausstieg aus dem Machtkampf an: „Der
Pädagog*innen, die sich angesichts herausfor­    dem Untertitel an.                                 nerschaftliche Erziehungspraktiken gesetzt,        gogisches Handeln in problematischen Erzie­         weisen der Schüler zu reagieren, dass er statt­      Zwang siegen zu müssen, im Recht sein zu
dernder Situationen hilflos und ohnmächtig                                                          die für eine demokratische Gesellschaft unab­      hungssituationen einführen.                         dessen zeitlich verzögert auf entschlossene          müssen, zu zeigen, wer Herr im Hause ist, und
fühlen, Handlungssicherheit und Stärke ver­         Der promovierte Diplom­Psychologe               dingbar seien.                                                                                         Weise agieren und dadurch eine Eskalation            so mit Strenge auf jeden Hinweis einer Belei­
spricht. Damit bedient das Programm einen        ARTIST VON SCHLIPPE hat aktuell den Lehr­                                                             1.5 Beharrliche und entschlossene Präsenz           der Situation vermeiden kann, erlebt er              digung unmittelbar reagieren zu müssen, ent­
offensichtlich steigenden Bedarf von             stuhl für „Führung und Dynamik von Familien­       1.3 Gefährdungen der kindlichen Entwick­           als zentrales Prinzip der „Neuen Autorität“         sowohl Erleichterung als auch die Stärkung           fällt.“ (a. a. O., S. 34)
Lehrer*innen, in schwierigen Situationen         unternehmen“ an der Wirtschaftsfakultät der        lung durch den „permissiven Entwicklungs­             Wenn Kinder und Jugendliche ihre Eltern          seiner Autorität.“ (a. a. O. S. 31) Der Rat, Sank­
über erweiterte Denk­ und Handlungsmög­          privaten Universität Witten/Herdecke inne.         stil“?                                             als präsent erlebten, dann könne die Autorität      tionen aufzuschieben, wird mit der Metapher
lichkeiten zu verfügen. Daher bietet im Rah­     Außerdem ist er Gastdozent, am „IF Wein­              Zwar räumen OMER/VON SCHLIPPE ein,              auf eine Weise wiederhergestellt werden, die        „Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist!“              2. Paradoxien und die Kluft zwischen
men des Projekts „Schulen stark machen“ das      heim Institut für systemische Ausbildung und       der Komplexität dieser liberal orientierten        für Eltern und Heranwachsende akzeptabel            umschrieben.                                         Anspruch und Praxis
saarländische Bildungsministerium Lehrer­        Entwicklung“, einer privaten Einrichtung, die      pädagogischen Entwicklungen nicht gerecht          sei: „Ich bin dein Vater/deine Mutter! Ich blei­                                                            Bei kritischer Betrachtung des Konzepts zei­
fortbildungen zum Thema „Neue Autorität“ in      diverse „systemische Weiterbildungen“ zu           zu werden, und konzedieren „eine durchaus          be dein Vater/deine Mutter! Ich kann nicht          1.7 Die Legitimation der Autorität durch             gen sich viele Widersprüche und es besteht
Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für        den am Markt üblichen Preisen anbietet.            positiv zu nennende Liberalisierung elterlicher    entlassen werden, man kann sich nicht von           Vollmacht und Beauftragung                           eine große Kluft zwischen Anspruch und den
Präventives Handeln (LPH) an.                                                                       und pädagogischer Rollen“. (a. a. O., S. 26)       mir scheiden lassen und mich auch nicht ver­           Das Ansehen der Autoritätsperson beruht          Ratschlägen zur praktischen Umsetzung. Dazu
                                                 1.2 Das neue Verständnis von Autorität:            Aber es gebe auch negative Entwicklungen für       bannen!“ (a. a. O., S. 28) Aufgrund dieser          nicht auf dem Gehorsam, der ihr in asymme­           werden im Folgenden einige Beispiele ange­
  Die aktuell in Deutschland propagierten        Abgrenzung zur traditionellen Autorität            Kinder, „die in einer antiautoritären oder per­    beharrlich vorgetragenen Botschaft, so die          trischen Beziehungsstrukturen entgegenge­            führt.
Konzepte beziehen sich zudem auch auf            und zum „permissiven Erziehungsstil“               missiven Atmosphäre aufwuchsen.“ (a. a. O.,        Annahme, verändere sich nicht nur das Erle­         bracht wird, sondern liegt begründet in der
Ansätze der humanistischen Psychologie, wie         Eine grundlegende Denkfigur der „Neuen          S. 26) Unter Rückgriff auf Forschungsarbeiten      ben des Kindes, sondern auch die Hilflosigkeit      erteilten "Vollmacht, die eine Legitimation,         2.1 Gewaltfreier Widerstand nach Gandhi ­
etwa die Gewaltfreie Kommunikation nach          Autorität“ besteht darin, sich sowohl von der      von STEINBERG und HASSENSTEIN, deren wis­          und Depression der Eltern veränderten sich          Unterstützung und Mittel für die Durchfüh­           ein absurder Begründungsversuch
ROSENBERG, und üben deshalb wohl auch für        traditionellen Autorität als auch vom „permis­     senschaftliche Qualität hier nicht beurteilt       positiv.                                            rung der Aufgabe beinhaltet. Ein Beauftragter,         Das Programm der „Neuen Autorität“ mag
demokratisch und humanistisch orientierte        siven Erziehungsstil“ abzugrenzen.                 werden kann, nennen die Autoren folgende                                                               der ihm gewährten Befugnisse zu nutzen               auf den ersten Blick vielen Prinzipien einer
Pädagog*innen auf den ersten Blick eine gro­                                                        negative Effekte liberaler Erziehungsmetho­           Die im Sinne der „Neuen Autorität vorge­         weiß, verhält sich autoritativ, nicht autoritär.“    partnerschaftlich­demokratischen Pädagogik
ße Faszination aus.                                 OMER und VON SCHLIPPE skizzieren in der         den: „hohe Grade an Aggression, Schulab­           schlagenen Maßnahmen zielen darauf ab, die          (a. a. O. S. 33 kursiv im Original)                  entsprechen. So betonen OMER und VON
                                                 o. g. Schrift die Merkmale der traditionellen      bruch, Drogenkonsum, Promiskuität“. Zudem          Präsenz der Eltern und Erziehungsverantwort­                                                             SCHLIPPE häufig die Bedeutung der Bezie­
   Im Folgenden stelle ich in einem ersten       Autorität, die auf hierarchisch geordneten         wiesen diese Kinder zur Überraschung der           lichen zu stärken. Um Einzelkämpfertum zu              Die Bevollmächtigung durch andere und             hung und den Verzicht auf Gewalt. Die Maß­
Schritt die zentralen Denkfiguren, Begrün­       Strukturen und Beziehungen fuße. Die in der        Forscher ein niedriges Selbstwertgefühl auf.       vermeiden, kann dies u. a. dadurch gesche­          die Unterstützung durch das Umfeld lassen            nahmen der Autoritätspersonen werden mit
dungsversuche und die Vorschläge zur prakti­     Hierarchie „oben“ Stehenden, die Autoritäts­       Für die beiden Protagonisten der „Neuen            hen, dass ein Netzwerk von Unterstützern            laut Autoren­Duo erwarten, „dass dies die            den Praktiken des gewaltfreien Widerstandes
schen Umsetzung der „Neuen Autorität“ dar.       personen, können von den „unten“ Stehen­           Autorität“ ist dieses Forschungsergebnis aller­    geknüpft wird. Zudem sollen bei Regelverstö­        Reaktionen und Handlungen derer, die ihrer           nach Mahatma Gandhi begründet, der sich
In einem zweiten Schritt werden die theoreti­    den unbedingten Gehorsam verlangen. Als ein        dings nicht überraschend, denn zur Entwick­        ßen „Transparenz und Öffentlichkeit“ herge­         Autorität untergeordnet sind, verändern              bekanntlich gegen unmenschliche Herr­
schen Ansätze sowie die daraus abgeleitete       Beispiel hierfür geben die Autoren die patriar­    lung eines Selbstbildes gehörten auch die          stellt werden. Der Diplom­Psychologe LEMME          wird.“ (a. a. O. S. 34) Nach dieser Denkfigur        schaftsverhältnisse zur Wehr setzte. Dieser
Praxis kritisch gewürdigt.                       chalischen Familienstrukturen des 19. Jahr­        Bewältigung von Schwierigkeiten: „die Not­         und der Diplom­Sozialarbeiter KÖRNER erläu­         agiert die Autoritätsperson nicht als isolierte/r    Begründungsversuch ist geradezu absurd,
                                                 hunderts an.                                       wendigkeit, Regeln und Vorschriften zu akzep­      tern in ihrer gemeinsam verfassten Schrift          Einzelkämpfer*in, sondern als Repräsen­              denn Kinder und Jugendliche werden als

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Bildu g. Weiter de ke ! - HEILSVERSPRECHEN
THEMA: HEILSVERSPRECHEN                                                                                                                                                                                                                             THEMA: HEILSVERSPRECHEN

Mächtige dargestellt. Im Kontext von Schule         men. Sie setzte sich überrascht, hatte sie doch   5. Bedürfnis nach Erholung und Spiel (Ent­          sie für legitim halten, erfüllen sie ja nur ihre   des Erziehungsauftrags notwendig sein, Gren­      eine sichere Grundlage, um Schulen als
mögen Lehrkräfte angesichts von destrukti­          nicht erwartet, so viele Lehrer anzutreffen,         spannung, freie Zeit, zweckfreies Tun…)          Pflicht, indem sie Störungen unterbinden.          zen zu setzen und Regelverstöße zu sanktio­       demokratische Bildungsstätten weiter zu ent­
ven Verhaltensweisen der Heranwachsenden            ganz zu schweigen von ihren Eltern.“ (a. a. O.,                                                       Dass das System destruktive Verhaltenswei­         nieren. Dieses dialektische Spannungsverhält­     wickeln ­ einer „Neuen Autorität“ bedarf es
temporär Erfahrungen der Hilflosigkeit und          S. 219)                                           6. Bedürfnis nach Autonomie und Integrität          sen produzieren könnte, erfordert gesell­          nis zwischen Erziehung und Bildung kommt          dazu nicht. n
Ohnmacht erleben; die Schule verfügt aber                                                                (Selbstbestimmung, Eigenverantwor­               schaftstheoretische Überlegungen, die im           aufgrund der einfachen Dichotomie zwischen
                                                      In diesem Fall setzen die Verfechter der
über vielfältige Mittel und Ordnungsmaßnah­         „Neuen Autorität“ offensichtlich auf den             tung…)                                           Rahmen der „Neuen Autorität“ keinen Platz          autoritärer und permissiver Erziehung im Kon­
men, um das Verhalten der Schüler*innen zu          Überraschungseffekt, um das Mädchen zu                                                                haben.                                             zept der „Neuen Autorität“ aber nicht zur Gel­
steuern. Als ultima ratio kann auch der Schul­      überrumpeln. Dass aus solchen Praktiken           7. Bedürfnis nach Würde und Sinn (Ge­                                                                  tung.
ausschluss beschlossen werden; die Lehrkräf­        positive Beziehungen zu Heranwachsenden              brauchtwerden, Zutrauen, Selbstwert…)
te sitzen also am längeren Hebel und sind kei­      entstehen sollen, muss mehr als bezweifelt                                                            3. Pädagogik im Spannungsfeld zwischen                Um Schulen zu stärken, reicht es nicht aus,
neswegs auf Dauer in einer Ohnmachtssituati­        werden.                                           8. Bedürfnis nach Feiern (das Leben leben,          Erziehung und Bildung                              Lehrkräfte in ihrem Durchsetzungsvermögen
on.                                                                                                      Recht auf Spaß…)                                    Zur deutschsprachigen Tradition pädagogi­       gegenüber herausfordernden Schüler*innen
                                                        Das Verständnis von Autorität ist auf die                                                       schen Denkens und Handelns gehören zwei            zu stärken. Es bedarf zudem eines wohlwol­
2.2 Reduziertes Verständnis von Autorität           Durchsetzung von Regeln und auf „Pflichter­       9. Bedürfnis nach Spiritualität (Sinnerfül­         sich ergänzende Bereiche, nämlich Bildung          lenden, einfühlsamen und fachlich fundierten
und repressive Praktiken                            füllung“ reduziert. Eine positive Autorität         lung…)” (LEMME/KÖRNER, S. 43)                    und Erziehung. Bildungsprozesse unterstützen       Blicks auf die eigentlichen Subjekte der Erzie­
   Als Quelle von Autorität gilt die Präsenz, die   beruht jedoch auf einem wechselseitigen                                                               Heranwachsende darin, freier und unabhängi­        hung, nämlich die Kinder und Jugendlichen.                                     Helmut Stoll
im Wesentlichen darauf abzielt, die Heran­          Anerkennungsverhältnis. Im schulischen Kon­          Lehrer*innen könnten sich an diesen              ger zu werden, also die Bedürfnisse nach           Die Lehrkräfte, die sich wachen Verstandes
wachsenden im Verbund mit anderen Unter­            text bedeutet dies zum Beispiel, dass Schü­       Grundbedürfnissen orientieren, um ihre Schu­        Autonomie zu befriedigen. Erziehung soll           mit der „Neuen Autorität“ beschäftigen, kon­         Literatur:
stützern (bei LEMME/KÖRNER hochtrabend              ler*innen die Lehrkräfte schätzen, die etwas      le und ihren Unterricht gemeinsam weiterzu­         dazu beitragen, dass junge Menschen sich als       zentrieren sich hoffentlich auf die aus ande­        Lemme, M./Körner, B. (2018). Neue Autorität Haltung
                                                                                                                                                                                                                                                                  und Handlung. Ein Leitfaden für Pädagogik und Bera­
„systemische Präsenz“ genannt) engmaschig           von der Sache, von ihrem Fach, verstehen.         entwickeln, immer unter der Fragestellung,          soziale Wesen in die menschliche Gesellschaft      ren Ansätzen bekannten positiven Elemente,           tung. Heidelberg: Carl Auer
zu kontrollieren oder die gewünschten Verhal­       Das genügt aber noch nicht. Anerkennung, die      welche konkreten Handlungsschritte notwen­          integrieren. Dazu ist es notwendig, die Regeln     wie z. B. Verzicht auf Gewalt, Beachtung             Omer, H./Schlippe, A. von (2015). Stärke statt Macht.
                                                                                                                                                                                                                                                                  Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göt­
tensweisen zu erzielen. Die von den Protago­        nicht auf dem Status beruht, erlangen Lehr­       dig sind, um die Befriedigung der Grundbe­          des Zusammenlebens zu beachten, mit ande­          menschlicher Grundbedürfnisse, Deeskalati­           tingen: Vandenhoeck &Ruprecht
nisten der „Neuen Autorität“ angeführten            kräfte u. a. deshalb, weil sie Verantwortung      dürfnisse sicherzustellen. Diese Sicht wird         ren zu kooperieren und solidarisches Handeln       on, Ausstieg aus dem Machtkampf in schwie­
Beispiele belegen die Widersprüchlichkeit des       für ihre Schüler*innen übernehmen, diese          allerdings – zumindest in der unten angegebe­       zu entwickeln. Deshalb kann es im Rahmen           rigen Situationen. Damit haben Lehrer*innen
ganzen Programms nur allzu deutlich. Entge­         ernst nehmen und unterstützen, lernförderli­      nen Schrift – nicht weiterverfolgt. Offensicht­
gen der Behauptung, die Verhaltensweisen            che Rückmeldungen geben, Klassen gut füh­         lich legen die Protagonisten der „Neuen Auto­
der Heranwachsenden nicht ändern zu wol­            ren können … All diese komplexen Bedingun­        rität“ das Augenmerk hauptsächlich auf die
len, verfolgen die „Sit­Ins“ genau dieses Ziel,     gen, unter denen sich pädagogisch akzeptable      Stärkung der Pädagog*innen im Umgang mit
nämlich den Kindern und Jugendlichen den            Anerkennungsverhältnisse und gesunde Be­          den devianten Heranwachsenden, sodass die
eigenen Willen aufzudrängen: „Das Sit­in ist        ziehungen in einem guten Klassenklima ent­        Entwicklung des Systems Schule nach Maßga­
eine Maßnahme der elterlichen Präsenz: Die          wickeln können, werden in dem Konzept der         be der ROSENBERG­Kategorien aus dem Blick           ANZEIGE
Eltern gehen in das Zimmer des Kindes, setzen       „Neuen Autorität“ ausgeblendet. Dies erklärt      gerät.
sich dort hin und geben dem Kind bekannt,           sich wohl auch aus der Genese des Konzepts.
dass sie dort sitzen bleiben und auf einen Vor­     Denn dieses ist ja wie eingangs erwähnt, aus         Insgesamt fokussiert das Konzept der „Neu­
schlag zur Veränderung der negativen Verhal­        der familientherapeutischen Arbeit im Um­         en Autorität“ auf den erwachsenen Erzie­
tensweisen warten.“ (a. a. O., S. 35)               gang mit destruktiven Verhaltensweisen ent­       hungsverantwortlichen, was sich darin zeigt,

   Dass durch eine solche euphemistisch „Prä­
senz“ genannte Vorgehensweise Druck auf
                                                    standen.

                                                    2.3 Fehlen einer pädagogisch orientierten
                                                                                                      dass keine pädagogisch anspruchsvollen sozi­
                                                                                                      al­emotionalen Entwicklungsziele erarbeitet
                                                                                                      werden. Von den Heranwachsenden „Wieder­
                                                                                                                                                          Höchste Zeit, …
das Kind ausgeübt wird, liegt auf der Hand          Sicht auf Unterricht und Schule                   gutmachungen“ bei Regelverletzungen zu ver­
und kann als eine Form von psychischer                 LEMME und KÖRNER propagieren in ihrer          langen, ist zwar sinnvoll, reicht aber nicht aus,
Gewalt betrachtet werden – ein weiterer             gemeinsam verfassten Schrift zur „Neuen           um sozial akzeptables Verhalten entwick­
Widerspruch zu dem behaupteten Gewaltver­           Autorität“ eine Vielzahl von Theorieansätzen      lungsnah zu fördern.
zicht. Dass diese Praktiken „Sit­ins“ genannt       und Methoden, denen durch das nebulöse
werden, um sich so auf den gewaltfreien             Attribut „systemisch“ ein wissenschaftlicher      2.4 Nichtbeachtung des subjektiven Sinns
Widerstand zu berufen, bedeutet die Umkeh­          Anstrich verliehen werden soll. Unter ande­       von Devianz
rung des tatsächlichen Machtgefälles zwi­           rem berufen sie sich auf das Konzept der             Die Interpretation störender Verhaltens­
                                                                                                                                                                                                                                                                   Geschäftsstellen im Saarland:
schen den Generationen, ja es grenzt an Ver­        Gewaltfreien Kommunikation nach ROSEN­            weisen als subjektiv sinnvoll spielt im Pro­
schleierung.                                        BERG, der neun unterschiedliche Grundbe­          gramm der „Neuen Autorität“ keine oder nur                                                                                                                   Homburg             (0 68 41) 92 04 - 0
                                                    dürfnisse des Menschen herausgearbeitet           eine geringe Rolle. Nach dem verstehenden                                                                                                                    Merzig              (0 68 61) 9 39 25 - 0
                                                                                                                                                                                                                                                                   Neunkirchen         (0 68 21) 2 90 20 - 0
   Ein weiteres Beispiel der beiden Väter der       hat:                                              Modell ist hingegen jedes Verhalten, und sei
                                                                                                                                                                                                                                                                   Saarbrücken         (06 81) 94 52 - 0
„Neuen Autorität“ mag genügen, um die frag­                                                           es noch so weit entfernt von gesellschaftli­
                                                    „1. Bedürfnis      nach      Selbstsicherheit,                                                                                                                                                                 Saarlouis           (0 68 31) 94 05 - 0
würdigen Praktiken des „Sit­ins“ im schuli­             physischer Existenz                           chen und kulturellen Erwartungen und Nor­
                                                                                                                                                                                                                                                                   St. Ingbert         (0 68 94) 95 58 96 - 0
schen Alltag zu erhellen: „Dem Sit­in ging eine                                                       men, als ein subjektiv sinnvoller Versuch der
                                                                                                                                                                                                                                                                   St. Wendel          (0 68 51) 9 39 66 - 0
Planung mit dem Lehrpersonal und eine               2. Bedürfnis nach Sicherheit (Schutz, per­        Anpassung an die Lebenswelt zu betrachten.
                                                                                                                                                                                                                                                                   Völklingen          (0 68 98) 8 50 81 - 0
Absprache mit den Eltern voraus. Das Sit­in            sönlicher Bereich …)                           Daher ist das Verhalten nicht als solches
wurde im Zimmer des Schulleiters durchge­           3. Bedürfnis nach Empathie (Verständnis,          gestört, sondern es stellt eine Bewältigungs­
führt. Teilnehmende waren die Klassenlehre­            Anerkennung, Gesehen werden…)                  strategie der aktuellen Lebenswelt, der erleb­                                                                                                           Krankenversicherungsverein a. G.
rin, der Schulleiter, die Eltern, der Vertrauens­                                                     ten Lebensgeschichte und der konkreten bio­
lehrer und zwei Fachlehrer. Die Anwesenden          4. Bedürfnis nach Kontakt und Zugehörig­          logischen Lebensbedingungen dar. Eine sol­
saßen im Kreis und warteten auf Sabine. Als            keit, Geborgenheit (Nähe, Zusammen­            che Betrachtungsweise kommt für die Ver­            … dass Sie sich jetzt von den Vorteilen der Debeka-Krankheitskostenvollversicherung                       Info
diese eintrat, lud der Schulleiter sie ein, auf
dem für sie vorgesehenen Stuhl Platz zu neh­
                                                       sein, Rücksichtnahme, Vertrauen, Aus­
                                                       tausch, gemeinsame Zeit)
                                                                                                      fechter der „Neuen Autorität“ nicht in Frage,
                                                                                                      denn als Repräsentanten eines Systems, das
                                                                                                                                                          überzeugen, wie z. B. bedarfsgerechter Versicherungsschutz, günstige Beiträge, freie
                                                                                                                                                          Arztwahl, Heilpraktikerbehandlung, keine Rezeptgebühren.
                                                                                                                                                                                                                                                                   (08 00) 8 88 00 82 00
                                                                                                                                                                                                                                                                    www.debeka.de
                                                                                                                                                          Sollten Sie in einem Kalenderjahr keine Leistungen in Anspruch nehmen, zahlen wir
                                                                                                                                                          Ihnen bis zu 3 Monatsbeiträge zurück !
EuWiS 04/2020 | 6
                                                                                                                                                          Sie haben Fragen ? Wir informieren Sie gerne.                        anders als andere
Bildu g. Weiter de ke ! - HEILSVERSPRECHEN
THEMA: HEILSVERSPRECHEN                                                                                                                                                                                                                           THEMA: HEILSVERSPRECHEN

 KOMMENTAR                                                                                                                                             Ein Paradigmenwechsel?
 Wer suchet, der findet –                                                                                                                                 Schlägt man den Begriff „Heilsversprechen“
                                                                                                                                                       unter der Internetseite Kulturkritik.net nach,
                                                                                                                                                       so ist dort folgende Erklärung nachzulesen:
                                                                                                                                                                                                          len sei als späterhin rein deklarativ abrufbares
                                                                                                                                                                                                          Wissen, sondern es stünde vielmehr die Out­
                                                                                                                                                                                                          put­Orientierung, d.h. die Förderung prozedu­
                                                                                                                                                                                                                                                             vielfalt ist nicht erst seit Hilbert Meyer als
                                                                                                                                                                                                                                                             eines der zentralen zehn Merkmale guten
                                                                                                                                                                                                                                                             Unterrichts bekannt. Aber die Methodenkom­

 die Frage ist nur, wo?                                                                                                                                „Ein Heilsversprechen ist ein Mittel des Popu­
                                                                                                                                                       lismus, sich selbst als Heilkraft vorzubringen,
                                                                                                                                                       welche eine Heilung, eine Gesundung in
                                                                                                                                                                                                          ralen und damit praktisch anwendbaren Wis­
                                                                                                                                                                                                          sens von und für die SuS im Vordergrund.
                                                                                                                                                                                                          Soweit, so gut.
                                                                                                                                                                                                                                                             petenz eines Lehrers über die Sozial­ und Per­
                                                                                                                                                                                                                                                             sonalkompetenz eines Lehrers zu stellen, hier
                                                                                                                                                                                                                                                             gar von einem „Paradigmenwechsel“ zu spre­
                                                                                                                                                       einem gesellschaftlichen Zerrüttungsprozess,                                                          chen, weg von „die Lehrpersönlichkeit ist zen­
    Ein unbestimmter Tag in einer Bildungsein­     also passend zu den hier anzustellenden           Selbst­ und Gesprächsoptimierung, Kommu­          durch ein Heilsprinzip verspricht. Das Heil,          Die Frage ist jedoch weiterhin, was einen       tral“ hin zu „die Methodenvielfalt ist zentral“,
 richtung: lärmende Schüler, nörgelnde Leh­        Überlegungen die Worte 'Didaktik' und 'Päda­      nikationstraining, Verbesserung des Unter­        welches dringlich nötig erscheint, soll durch      guten Lehrer ausmacht und wie Wirksamkeit          diese Aussage sollte man dann doch sehr kri­
 rer; dazwischen unaufgeräumte Klassenzim­         gogik' und füttert eine digitale Suchmaschine     richts, Individualisierungsstrategien und Dif­    die Zuordnung eines Versprechens dem zu            im Unterricht zu bewerkstelligen ist – hier, so    tisch betrachten. Denn nicht erst seit John
 mer, am Smartboard steht „Schlampe“               damit, so erhält man als Suchergebnis nicht       ferenzierungsanforderungen, der Anspruch          seinem Ziel verhelfen, der es formuliert.“         lernt der eifrige Student auf einer überfüllten    Hatties wegweisender Meta­Studie „Visible
 geschrieben. In der Pause: Lehrer kommuni­        nur Publikationen wie „Schulentwicklung           auf eine zunehmend elaborierte Selbstperfor­                                                         Folie einer PowerPointPräsentation im Semi­        Learning“ – Lernen sichtbar machen“, in der
 zieren über lärmende Schüler und die eige­        gescheitert!“ des in Oldenburg ansässigen         manz – eine schier unendliche Fülle an zu ver­       Nun sind unsere heutigen, im Jahr 2020          nar weiter, sei die Methode das Mittel der         Hattie eine Rangliste verschiedener Einfluss­
 nen Unzulänglichkeiten, die sich in Nörgelei­     Psychologen und Pädagogikexperten Jörg            bessernden Merkmalen.                             gängigen pädagogischen Heilsversprechun­           Wahl, sogar das Mittel schlechthin, das es         faktoren auf den schulischen Lernerfolg
 en entladen, über unaufgeräumte Klassen­          Schlee oder Lehrwerke zu Psychoanalyse und                                                          gen in den seltensten Fällen ein Mittel des        einem jeden ermögliche, ein guter Lehrer zu        erstellte, indem er die Einflüsse aus zahlrei­
 zimmer und die Schmierereien an Tafel und         Kleinkindpädagogik – darüber hinaus werden           Die Folge dieser nicht enden wollenden         Populismus; doch versteht sich die Pädagogik,      werden. Verfüge man nur über ein ausrei­           chen Meta­Analysen in Bezug auf ihre Effekt­
 Smartboard, über die Unmöglichkeit, dem Bil­      dem Suchenden auch Titel angeboten wie            Hetzerei ist die eigene Erschöpfung. In seiner    so nachzulesen bei Florian Heßdörfer: „Opti­       chendes Methodenrepertoire, so die Behaup­         stärke untersuchte, wissen alle Lehrenden,
 dungsauftrag nachzukommen. Szenenwech­            Katharina Mazettis „Der Kerl vom Land“ oder       erstmals im Jahr 2004 erschienenen Untersu­       mieren und Erlösen. Heilsversprechen und           tung, rücke alles andere in den Hintergrund.       wie wichtig einzelne Einflussgrößen wie die
 sel: Ein gewöhnlicher Werktag in einer Stadt­     „British Love“ von Lisa Summer (beide als         chung „Das erschöpfte Selbst“ geht der Sozio­     Menschenökonomie in der Pädagogik der              Hier komme es, so die Dozentin weiter, zu          Lehrer­Schüler­Beziehung (Effektstärke 0,72)
 bibliothek, Abteilung Pädagogik: Ratgeber für     eBook erhältlich).                                loge Alain Ehrenberg von der Beobachtung          Potentiale“, seit über 200 Jahren als Teil eines   einem bahnbrechenden Paradigmenwechsel             im Gegensatz zur Effektstärke der Lehrstrate­
 Lehrer und Eltern, Lernhilfen für Schüler,                                                          aus, dass im Bereich der Psychoanalyse und        umfassenden Projekts des Fortschritts. „Ihr        in der Schulwelt, denn nicht mehr das Primat:      gien (0,6) sind. Und auch wenn Effektstärken
 Fachbücher für den Examenskandidaten. Die            Für die Bereiche Pädagogik und Didaktik        Psychotherapie eine stetige Zunahme von           Auftrag, die Menschen und die Welt zu ver­         „Man wird mit dem Talent zum Lehrer gebo­          nicht das Maß aller Dinge sind, so sind sie
 Cover der jeweiligen Titel sind bunt, einla­      besteht demzufolge aktuell ein sinnfälliger       Fällen mit attestierter Depression zu verzeich­   bessern, entfaltet sich dabei in einer doppel­     ren oder nicht, entweder man ist Lehrer oder       doch ein wichtiger Indikator, der nicht überse­
 dend, easy going. Kompakt und inhaltlich          Zusammenhang mit leichter, beschwipst­lau­        nen ist. Diesen Umstand unterzieht Ehren­         ten Bezugnahme: Neben der nach und nach            nicht“, habe weiterhin Gültigkeit, nein, man       hen werden sollte.
 übersichtlich dazu in einer Sprache verfasst,     niger Unterhaltungsliteratur. Ganz gleich, ob     berg nicht nur einer grundlegenden Neudeu­        verblassenden Beziehung zur Religion setzt         sei jetzt der unumstößlichen Überzeugung,
 die die alltagstaugliche Robustheit der Verfas­   Mann, ob Frau oder Divers, unabhängig             tung („eher eine Lebensweise als ein affekti­     sich im Laufe des 19. Jahrhunderts ein ‚gou­       dass die Methodik über allem stünde und die           Problematisch wird eine Verinnerlichung
 ser belegen soll: „Lernen muss nicht scheisse     davon auch, ob die vorgenannten Titel tat­        ves Leiden“), sondern er versucht auch, die­      vernementales' Verständnis der Schule durch,       Frage des 'guten Lehrers' nicht mehr Frage         des Methoden­ bzw. Lehr­ und Lernstategien­
 sein“ titelt der Unternehmer und Pionier der      sächlich gelesen werden oder nicht, genau         ses Phänomen aus nicht mehr hinterfragten         das diese als entscheidenden nationalökono­        der Berufung oder Begabung sei. Denn im            primats auch erst dann, wenn insbesondere
 Skateboard­Szene, Titus Dittmann.                 hier liegt der Kern zu dem Verständnis nach       Selbstverständlichkeiten eines wie auch           mischen Akteur ins Spiel bringt. Ein genauerer     Fokus stünde nun die Wissenschaft der Lehr­        junge Lehrer glauben, mit der richtigen tech­
                                                   der anschwellenden Erlösungssehnsucht: Es         immer verstandenen modernen Lebens                Blick auf dieses Versprechen der Ökonomie          und Unterrichtsmethoden, eine Wissen­              nischen Ausstattung, der richtigen Methode
    Auf der einen Seite also Vertreter des Bil­    geht weder um lärmende Schüler noch um            heraus zu erklären: „Der wichtigste Umstand       macht jedoch deutlich, wie ihre umfassende         schaft, die sich jeder, so er nur wolle, amei­     und dem perfekten Ablaufplan bereits guten
 dungssektors, die offensichtlich überfordert      beratungsresistente Eltern, weder um die          für die Individualität der zweiten Hälfte des     Sorge um die menschlichen Potentiale von           senfleissig aneignen könne. Erst nachrangig        Unterricht zu machen. Es ist toll, in der Klasse
 sind – auf der anderen Seite eine florierende     eigene dysfunktionale Kommunikation noch          20. Jahrhunderts (und wir können ergänzen:        einem unbedingten Anspruch durchzogen              komme der Mensch in seinem pädagogischen           mit einem Surface­Tablet abwechslungsrei­
 Ratgeberliteratur, die sich nicht nur durch       um deren Optimierung, schon gar nicht um          auch der 1. Hälfte des 21. Jahrhunderts, Anm.     wird – ein Anspruch, in dem sich Optimie­          Auftrag, seine Berufung bzw. die Lehrpersön­       chen, individualisierten und interaktiven
 eine hohe Themenvielfalt auszeichnet, son­        Funktionen – der Tanz um die Schwierigkei­        d. Verf.) ist der Zusammenstoß der unbe­          rungslogik und Erlösungsmotivik konstitutiv        lichkeit und die Beziehung, die der Lehrer mit     Unterricht zu gestalten. Zu “gutem Unter­
 dern auch einen Aspekt offenbart, der in          ten des Bildungsalltags entpuppt sich als Balz­   grenzten Möglichkeiten mit dem Unbere­            durchdringen.“                                     den SuS unterhalte.                                richt” und einem “guten Lehrer” (Formulie­
 säkularen Zeiten wie den gegenwärtigen            tanz, die Erlösungssehnsucht als Liebesbe­        chenbaren“.                                                                                                                                             rung nach Mayer) gehören heutzutage aber
 mehr als erstaunen dürfte: die Erlösung,          dürfnis.                                                                                               Nun finden die Heilsversprechen der Päda­          Erschreckend war nach diesem Statement          eben nicht nur Fähig­ und Fertigkeiten wie
 genauer, der Wunsch nach Erlösung. Die bei­                                                           Womit sich der Kreis schließt: unbegrenzte      gogik, die einem angehenden Lehrer massen­         der fehlende Widerspruchsgeist der Lernen­         Medienkompetenz und Methodenkompe­
 den eingangs geschilderten Szenen fügen sich         Doch wie das so ist mit Liebespartnern:        Möglichkeiten bei gleichzeitiger Unberechen­      weise angedient werden, selten auf einem           den im Hörsaal: Hatten wir denn nicht alle nur     tenz, sondern eben auch so altmodische
 nämlich problemlos aneinander, weil sich zwi­     Zunächst müssen ganz andere Hindernisse           barkeit – das gilt für Bildung und Liebe glei­    dermaßen wissenschaftlich anspruchsvollen          noch diejenigen Lehrer aus der eigenen Schul­      Motive wie die Begeisterung für das eigene
 schen ihnen eine größtmögliche Kongruenz          überwunden werden. Das Make­up muss               chermaßen, und was hilft angesichts eines         Niveau statt. Als Lehramts­Student der Uni­        zeit in Erinnerung, die durch persönliche          Fach, ein aufrichtiges Interesse an den Schü­
 aus eigener Erlösungssehnsucht und fremder        stimmen, die ausgewählte Kleidung soll die        von Liebe getriebenen und von Angst zerfres­      versität des Saarlandes (UdS) wird beispiels­      Beziehung, durch Begeisterungsfähigkeit und        lern und die Fähigkeit, die notwendigen
 Erlösungskompetenz mehr oder weniger aus­         eigene Persönlichkeit unterstreichen, damit       senden Selbst besser als die fluchtververhei­     weise recht hemdsärmelig in bildungswissen­        Engagement herausstachen? Diejenigen, die          Bedürfnisse einer Gruppe zu erkennen und
 gewiesener Spezialisten erkennen lässt.           die finale Performanz überzeugen kann. Nicht      ßende Lektüre von Lisa Summers „British           schaftlichen Veranstaltungen wie „Schulquali­      konsequent in ihrem Vermittlungswillen an          danach adäquat zu handeln. Hierbei hilft nicht
                                                   zu genügen – das ist ein Phänomen der Lie­        Love“? n                                          tät, Qualitätsentwicklung und ­sicherung in        uns dranblieben und zuweilen unangenehm            die Umsetzung eindimensionaler Heilsver­
    Dabei verblüfft ein völlig randständiger       beshändel wie auch eine Erscheinung, die im                                                         Schulen“, kurz: „SQS“, vermittelt, es gäbe         intensiv waren, da nicht nur fachlich und          sprechen, sondern meiner Meinung nach
 Aspekt, und von diesem Randbereich aus sol­       Bereich der (Schul)Bildung ständig aktuell          Johannes Kandler                                einen, seit den 2000ern anerkannten, somit         pädagogisch geschult, sondern eben auch            eben nur, sensibel diejenigen Ansätze auszu­
 len die nachfolgenden Überlegungen zur            bleibt: Menschen, die hinter ihren Möglich­                                                         allgemeingültigen Paradigmenwechsel hin­           zwischenmenschlich authentisch an uns inte­        wählen und miteinander zu kombinieren, die
 Erlösungssehnsucht angestellt werden: Nicht       keiten zurückbleiben, leere, ungenutzte Res­                                                        sichtlich der Frage, was einen guten Lehrer        ressiert? Ich persönlich kann mich nicht an        der Situation angemessen sind und die der
 nur die Buchandlung, auch das Internet ist        sourcen, die Abwechslung und die Neugier,                                                           ausmache und was das Ziel guten Unterrichts        besonders interessante Methoden erinnern,          eigenen Auffassung eines wirksamen Unter­
 voller Buchtitel und Dokumente, die Hilfesu­      das Drama …                                                                                         sei. Man sei, so die ausführende Dozentin,         die unsere Lehrer an uns durchgeführt und          richts am ehesten entsprechen. Und dabei ist
 chenden Unterstützung versprechen, die den                                                                                                            mittlerweile davon überzeugt, dass die Out­        evaluiert hätten; dies mag nicht nur daran lie­    eine Prise Berufung und letztlich Begabung im
 unerträglichen und bildungsfernen Alltag ein­       Neben der Liebessehnsucht ist damit die                                                           put­Orientierung des Unterrichts der bis dato      gen, dass meine Schulzeit vor dem sogenann­        Umgang mit den SuS sicher hilfreich. n
 ordnen helfen. Homepages finden sich eben­        Angst der eigenen Person vor sich selbst bzw.                                                       gängigen Input­Orientierung unbedingt vorzu­       ten „Paradigmenwechsel“ bereits abgeschlos­
 so wie Telefonnummern für den akuten              vor den eigenen Leerstellen und blinden Fle­                                                        ziehen sei. Es sei nicht mehr mittels eines        sen war und Tools wie Kahoot und Simple­             Gabriele Schweiginger
 Bedarfsfall, Beraterlinks und Leseproben aus      cken der zweite Grundpfeiler, über dem ein                                                          sogenannten „Nürnberger Trichters“ vorzuge­        show noch nicht in aller Munde waren. Mit­
 kürzlich veröffentlichten Werken. Wählt man       numinoser Optimierungszwang aufragt:                                                                hen, in dem den SuS das nötige Wissen nur          nichten soll hier das Lied des „Früher war alles
                                                                                                                                                       noch von den Lehrern in den Kopf hineinzufül­      besser“ gesungen werden, denn Methoden­

EuWiS 04/2020 | 8                                                                                                                                                                                                                                                                       EuWiS 04/2020 | 9
Bildu g. Weiter de ke ! - HEILSVERSPRECHEN
THEMA: HEILSVERSPRECHEN                                                                                                                                                                                                                          THEMA: HEILSVERSPRECHEN

Das Heil des Wettbewerbs                                                                                                                                                                                  doch die Rahmenbedingungen meistens
                                                                                                                                                                                                          grundsätzlich von denen in Deutschland ver­
                                                                                                                                                                                                          schieden. So existieren zwar Länder mit rei­
                                                                                                                                                                                                                                                            den, warum das so ist. Ob eine Zuweisung von
                                                                                                                                                                                                                                                            Ressourcen allerdings davon abhängig ge­
                                                                                                                                                                                                                                                            macht werden kann, hängt vor allem davon
oder: Warum Konkurrenz nur bedingt das Geschäft belebt.                                                                                                                                                   nen Gesamtschulsystemen, diese verfügen           ab, inwieweit man bereit ist, diese Daten vor­
                                                                                                                                                                                                          aber häufig über einen wesentlich größeren        urteilsfrei in den Blick zu nehmen und sie
   Dass Schulen miteinander in Wettbewerb           Schulen vor allem viele Seiteneinsteiger als                                                                                                          Anteil von Privatschulen. Auch sind die Syste­    nicht als Marketinginstrument zu missbrau­
treten, ist keine originäre Erfindung des Libe­     Lehrkräfte zugeteilt bekommen.                                                                                                                        me, die der Schule nachfolgen, oft nicht mit      chen.
ralismus, auch wenn bei vielen Bildungsver­                                                                                                                                                               dem deutschen System der dualen Berufsbil­
antwortlichen und solchen, die sich dafür hal­         Ein normaler Wettbewerb besitzt in der                                                                                                             dung neben der akademischen Ausbildung               Das Heilsversprechen eines freien Wettbe­
ten, in Deutschland beim Begriff des ‚Wettbe­       Regel klare Kriterien, welche Faktoren zu                                                                                                             vergleichbar.                                     werbs zwischen Schulen oder Schulformen ist
werbs‘ unter Schulen die Alarmleuchten ange­        einem Sieg oder zu einer Niederlage führen.                                                                                                                                                             also äußerst kritisch zu sehen, wenn die Rah­
hen und das Gespenst des Neoliberalismus            Diese sind aber leider beim Wettbewerb um                                                                                                                Doch das sind nicht nur Argumente gegen        menbedingungen dieses Wettbewerbs nicht
beschworen wird. Wettbewerb zwischen                Schülerinnen und Schüler sowie Ressourcen                                                                                                             eine Leistungsanalyse der einzelnen Schulen       deutlich gemacht werden. Viele beeinflussen­
unterschiedlichen Schulen ist spätestens seit       vollkommen unklar. Zum einen, weil die Beur­                                                                                                          und gegen eine kritische Reflexion der sich       de Faktoren, die durch die Schulen selbst
den 90er­Jahren ein Thema, als im Zuge der          teiler (im Regelfall die Eltern mit ihrer Schul­                                                                                                      daraus ergebenden Daten. Denn wenn diese          meist nicht steuerbar sind, führen zu einer
Vergleichbarkeit von Bildungserfolgen im            wahl) sich an Vielem orientieren, aber norma­                                                                                                         Daten unter Einbeziehung von Hintergrundva­       Verzerrung des Wettstreits und somit am
nationalen bzw. internationalen Rahmen              lerweise nicht an harten Fakten und Daten                                                                                                             riablen (wie regionale Faktoren, soziale und      Ende zu einem unfairen Ergebnis. Viele Schul­
Schülerinnen und Schüler und deren Leistun­         bzw. an Indikatoren, die einer wissenschaftli­                                                                                                        ökonomische Variablen oder auch dem Anteil        verwaltungen haben darüber hinaus auch
gen miteinander verglichen wurden. Zeit­            chen Prüfung in Sachen Schulqualität stand­        und eine Basis für das Arbeitsleben zu erwer­     meintlich messbaren) Schülerleistung richtet,    der Migranten) beurteilt werden, ist die Inter­   häufig gar kein Interesse an einer objektiven
gleich erlebte die Bundesrepublik im gleichen       halten. Zum anderen weil die Entscheidungen        ben.                                              lassen nicht nur eine Mehrzahl der Indikato­     pretation von Leistungsunterschieden zur          Sicht auf die Wettbewerbsbedingungen, weil
Zeitraum zum ersten Mal seit dem Ende des 2.        auch von individuellen Faktoren abhängig                                                             ren außen vor, sondern versuchen ein Bild        Beurteilung von Schul­ und Unterrichtsquali­      diese Mängel und Defizite offenlegen würde,
Weltkriegs einen messbaren Schülerrückgang,         sind, z. B. von der Bildungserwartung des             Hinzu kommt folgende Einsicht: Eine sinn­      gleicher Ausgangssituationen zu vermitteln,      tät äußerst ertragreich. Haben doch die Ver­      die lieber verdeckt bleiben sollen. n
der sich auch in einer Diskussion um den Fort­      jeweiligen Milieus, dem Standort oder auch         volle Wahl für eine Schule im Sinne eines ver­    welches einer realistischen Prüfung schon im     gleichsdaten aus vorhergehenden Untersu­
bestand von Schulen respektive Schulformen          der räumlichen Kapazität von Schulen.              meintlichen Wettbewerbs kann eigentlich nur       Ansatz nicht standhält.                          chungen gezeigt, dass teilweise innerhalb ein­      Matthias Römer
ausdrückte.                                                                                            getroffen werden, wenn Optionen bestehen,                                                          zelner Schulen große Unterschiede hinsicht­           1
                                                                                                                                                                                                                                                                 Vortrag vor den Arbeitskreisen Schule­Wirtschaft Süd­
                                                       Die Unklarheit über die von Eltern zugrun­      die eine ähnliche Attraktivität besitzen. Steht     Der Verweis auf andere Länder, in denen        lich der Unterrichtsqualität bestehen oder            hessen am 3. Juli 2007 in Biblis.
    Doch was bedeutet dieser ‚Wettbewerb‘           de gelegten Entscheidungsgrundsätze treibt         lediglich hinsichtlich der Bildungskarriere der   solche Systeme angeblich erfolgreich sind, ist   aber auch zwischen Schulen der gleichen               2
                                                                                                                                                                                                                                                                 Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
eigentlich, von dem so oft die Rede ist und         auch im Hinblick auf die Einstellung der Schu­     eigenen Kinder und der erwarteten Mitschü­        mit einem steten ‚aber‘ zu versehen, sind        Schulform. Dort muss auch hinterfragt wer­            (https://www.insm­oekonomenblog.de)
welche Konsequenzen sind damit verbunden?           len zu und die Reaktion der Schulen auf die­       lerschaft eine attraktive und eine weniger
Geht man davon aus, dass es in einem regulä­        sen Wettbewerb bisweilen skurrile Blüten.          attraktive Variante zur Wahl, so ist eine Ent­
ren Wettbewerb Sieger und Verlierer gibt, so        Denn wenn die Kriterien, nach denen der            scheidung leicht zu fällen. Der Schulforscher
muss gefragt werden, was der Preis für die          Gunstbeweis seitens der Eltern erteilt wird,       Jürgen Oelkers merkt zum Wettbewerb zwi­          ANZEIGE

Sieger sein wird und ob der Verlierer auch Ein­     nicht klar sind, dann werden Vermutungen           schen klassischen Gymnasien und anderen
bußen hinzunehmen hat. Ziel der Wettbe­             angestellt oder im schlechtesten Fall versucht,    Schulformen der Sekundarstufe I an: „Eltern
werbssituation zwischen Schulen ist zum             alle Kriterien zu erfüllen, was zu einer so        wählen Gymnasien nicht aufgrund ihrer Quali­
einen eine wachsende Schülerzahl, denn die­         genannten ‚aktionistischen‘ Schulentwicklung       tät, über die kaum etwas bekannt ist, solange
se wird allzu häufig mit dem vorgeblichen           führt, die man auch im Saarland an manchen         Leistungsdaten und Kennziffern fehlen, die
Erfolg eigener Arbeit konnotiert, zum anderen
mehr Ressourcen, meistens also in diesem Fall
                                                    Orten beobachten kann, also die Häufung ver­
                                                    schiedener unzusammenhängender Aktivitä­
                                                                                                       Wahl erfolgt im Blick auf den erreichbaren
                                                                                                       Abschluss und die soziale Zusammensetzung
                                                                                                                                                                                                               www.europathek.de
zusätzliche Sach­ bzw. Personalmittel. Geht         ten der Schulgemeinschaft, deren Effekte           der Schulen.“1 Damit trifft er den Nagel auf
der Anstieg der Ressourcen bei den Gewin­           ebenfalls nur in den wenigsten Fällen evalu­       den Kopf, vor allem in Regionen, in denen von
nern des vermeintlichen Wettbewerbs (bei            iert werden. Hierbei wird eine Vielzahl von        jeder Schulform jeweils nur ein Exemplar zur                                                             Die EUROPATHEK – das digitale Regal für Medien
angenommener gleichbleibender Schüler­              Angeboten und außerunterrichtlichen Aktivi­        Verfügung steht. Es findet also ein sozialer
zahl) zu Lasten der Verlierer, so steht bei Sach­   täten präsentiert, um die Aufmerksamkeit der       Wettbewerb statt.                                                                                        Neben digitalen Büchern bietet Ihnen unser neues Medienregal
und Personalmitteln noch die Frage aus, ob          Elternschaft zu erreichen. Oft liegt diesen kein                                                                                                            weitere digitale Medien und Zusatzinhalte, die das Lernen und
die Verlierer auch dementsprechend herge­           übergeordnetes Konzept zugrunde. Eine                 Wissenschaftlich belegbare Kennziffern
ben müssen, was die Gewinner am Ende                erkleckliche Anzahl von unterschiedlichsten        wiederum sind für die wenigsten Schulen vor­                                                             den Unterricht bereichern.
bekommen. Beobachten kann man solche                Interessensgruppen macht sich diesen Trend         handen und in Bezug auf diese Frage dreht
Belohnungs­ bzw. Bestrafungsfolgen eines            mittlerweile zunutze und drängt im Fahrwas­        sich die Diskussion häufig um Leistungskenn­                                                             Die Inhalte des Medienregals sind online mit aktuellen Browsern
Wettbewerbs in den amerikanischen Vorstäd­          ser dieser Art von Eigenwerbung auch mit           ziffern, die veröffentlicht werden sollen. Die                                                           betriebssystem- und geräteübergreifend nutzbar.
ten, wo der Wohnort in nicht unerheblicher          eigenen wirtschaftlichen und politischen Inte­     Rede ist von den berühmten und berüchtigten                                                              Die Offline-Nutzung ist mithilfe von Software-Versionen und
Weise vom Schulbezirk und dessen Schulqua­          ressen in die Schulen hinein.                      Rankings, vor denen sich viele – zu Recht –
lität (oftmals auch der ethnischen Durchmi­                                                            fürchten. Denn auch alleine die Veröffentli­                                                             Apps möglich.
schung) abhängig ist und dieser wiederum               Der Unterricht, eigentliche Kernaufgabe         chung von Daten macht noch keine objektive
vom Steueraufkommen der dortigen Bewoh­             der Schulen, wird als selbstverständlich ange­     Entscheidung möglich. Erst eine reflektierte                                                             Digitale Bücher sind erhältlich als günstige 1-Jahres-Lizenz
ner. Ein Teufelskreis, der die reichen Schulen      sehen; dessen Qualität wird in den seltensten      und ehrliche Reflexion der Daten kann wichti­                                                            oder unbefristet zum Preis der gedruckten Ausgabe. Die Lizenzen
reicher macht und die armen Schulen ärmer           Fällen an den Schulen diskutiert. Das ist eine     ge Impulse liefern. Forderungen aus Wirt­                                                                können über www.europa-lehrmittel.de bezogen werden.
werden lässt, also direkte sozial Folgen hat. In    bedauerliche Entwicklung, ist es doch gerade       schaftsverbänden oder wirtschaftsnahen
abgewandelter Form sehen wir die Folgen             die Qualität des Unterrichts und somit der         Institutionen, wie z. B. der INSM2, nach einem                                                           Mengenrabatte (z. B. als Klassensatz) bieten wir auf Anfrage
einer solchen Entwicklung auch in Deutsch­          geleisteten schulischen Bildung vor allem in       Ausbau des Privatschulsektors zum Zwecke                                                                 gerne an.
land, so wurde bereits im vergangenen Jahr          ohnehin schon benachteiligten Schulen, die         besseren Wettbewerbs sowie die Einführung
im Bundesland Berlin durch ein Forschungs­          es den Schülerinnen und Schülern am Ende           von vergleichbaren Prüfungen und somit
projekt ermittelt, dass besonders belastete         ermöglicht, soziale Schranken zu überwinden        eines Wettbewerbes, der sich nach der (ver­

EuWiS 04/2020 | 10
                                                                                                                                                         MACHT WISSEN MOBIL
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