Buchbesprechungen - Zeitschrift für Anthroposophie

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  Buchbesprechungen

1ILVEPWIMRI&MSKVE½I
MAJA REHBEIN & DANKMAR BOSSE: Jutta Hecker – Ein Leben für die Weimarer Klassik, Palmbaum
Texte, Kulturgeschichte Bd. 4, quartus Verlag, Bucha bei Jena 2022, 228 Seiten, 19,90 EUR

Im quartus Verlag ist eine ausführliche Biogra-   Schiller-Archiv, promovierte sie 1931 in Mün-
fie der Weimarer Schriftstellerin Jutta Hecker    chen über »Das Symbol der Blauen Blume im
(1904–2002) erschienen. Autoren sind Maja         Zusammenhang mit der Blumensymbolik der
Rehbein und Dankmar Bosse, die in jahrelanger     Romantik«. Zum Goethe-Jubiläum 1932 als ei-
gemeinsamer und zielstrebiger Zusammenar-         ner der drei offiziellen deutschen Vertreter von
beit dieses besondere Buch zustande brachten.     der italienischen Regierung eingeladen, reiste
   Wieso besonders? Jutta Hecker erlebte das      ihr Vater in Begleitung seiner Tochter zur Eröff-
Kaiserreich, die Weimarer Republik, zwei Welt-    nung der Casa di Goethe nach Rom.
kriege, zwei Diktaturen, die Teilung Deutsch-        Von 1935 bis 1937 folgte ein Pädagogik-Studi-
lands und seine Wiedervereinigung – ein holp-     um in Jena mit abschließendem Staatsexamen
riger Weg, der manchmal auch mit Irrungen         und dem Ziel, in den Schuldienst aufgenom-
verbunden war. Ein augenfälliges Karma, das       men zu werden. 1937 trat sie in die NSDAP ein
Hecker letztendlich zur Anthroposophie führte     und begann eine Tätigkeit als Lehrerin und Do-
und zu ihrer Lebensaufgabe, dem Schreiben         zentin an verschiedenen Mädchen- und Frau-
von gründlich recherchierten, kulturhistori-      enbildungseinrichtungen in Hamburg, Weimar
schen Romanen über die Goethezeit. Heckers        und Schneidemühl. 1941 gründete sie die Leh-
besondere Fähigkeit, Menschen aus allen ge-       rerinnenbildungsanstalt in Bad Honnef, die sie
sellschaftlichen Schichten durch atmosphä-        bis 1945 leitete. Schon 1940 hatte Hecker den
rische und seelisch lebendige Schilderungen       Band ›Von der Klassik zum Realismus. Hölder-
eine Tür zur Weimarer Klassik zu öffnen, er-      lin, Uhland, Eichendorff‹ herausgegeben, 1942
klärt ihre Popularität in der damaligen DDR.      folgte ›Meisternovellen von Adalbert Stifter‹.
»Die Goethezeit im rein Menschlichen bekannt      (Auch nach dem Krieg edierte sie weiterhin
zu machen« (S. 94) nannte sie das.                Bücher zur deutschen Literaturgeschichte des
   Jutta Heckers Eltern waren Rheinländer. Ihr    19. Jahrhunderts, vgl. S. 209ff.) Im selben Jahr
Vater, der Kölner Philologe und leidenschaft-     wurde ihr Bruder Wolfgang in Russland ver-
liche Goethe-Verehrer Max Hecker (1870–1948)      misst, 1943 starb ihre Mutter. Gegen Kriegs-
folgte der Einladung des damaligen Direktors      ende, im April 1945, kehrte sie nach Weimar
Bernhard Suphan (1845–1911) an das Goethe-        zu ihrem kranken Vater und ihrer Schwester
und Schiller-Archiv in Weimar. Dort lernte er     Irmgard zurück, die inzwischen in der »Alten-
noch Rudolf Steiner (1861–1925) kennen, der       burg« lebten, wo einst Franz Liszt und nach
1890 bis 1896 Mitarbeiter am Archiv war. Die      ihm Bernhard Suphan gewohnt hatten.
besondere und intensive Verbindung Max He-           Dem Tod des Vaters 1948 folgte der phy-
ckers mit der Weimarer Klassik schuf die an-      sische und psychische Zusammenbruch. Auf
regende Atmosphäre, in der seine drei Kinder      ihren dringenden Wunsch hin wurde Hecker
aufwuchsen. In besonderem Maße ambitioniert       Patientin der anthroposophischen Ärztin Irm-
war Tochter Jutta, die in Jena und München        gard Bosse (1899–1975). Durch die beeindru-
Germanistik und Anglistik studierte. Von 1930     ckende Persönlichkeit der Ärztin, die bald eine
bis 1935 freie Mitarbeiterin am Goethe- und       enge Freundin wurde, gelangte Hecker zur

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Anthroposophie und wurde 1949 Mitglied des          erhielt sie die Winckelmann-Medaille der Stadt
zahlenmäßig kleinen Goethe-Schiller-Zweiges         Stendal (1988), die Verdienstmedaille der DDR
in Weimar, der sich zur Arbeit in privaten          (1989), den Literatur- und Kunstpreis der Stadt
Wohnungen, manchmal auch in der Altenburg           Weimar (1990) und die Goldene Medaille der
traf. Offiziell war die Anthroposophische Ge-       Goethe-Gesellschaft (1995). 1994 wurde sie Eh-
sellschaft in der DDR nicht zugelassen. 1954        renbürgerin der Stadt Weimar.
kam Emil Bock, Erzoberlenker der Christen-             Die enge Verbindung zur Familie Bosse blieb
gemeinschaft, nach Weimar, um die dortigen          bis zu ihrem Lebensende bestehen. Dankmar
Wirkungsstätten Rudolf Steiners kennenzuler-        Bosse war mit Jutta Hecker von 1950 bis zu
nen. Angesagt war auch die Altenburg, in der        ihrem Tode befreundet und empfand es als
Rudolf Steiner oft Bernhard Suphan aufgesucht       Aufgabe, diese Biografie mit ihrem speziellen
hatte und in der einst auch Goethe zu Gast ge-      Umfeld an die Nachwelt weiterzureichen. Er
wesen war. Bock vermittelte, dass ein Aufsatz       fand in Maja Rehbein eine kongeniale und be-
von Jutta Hecker über die Altenburg im August-      geisterte Partnerin. Das nun vorliegende Buch
heft der ›Blätter für Anthroposophie‹ in Basel      ist sehr gut recherchiert und bedient sich u.a.
gedruckt wurde. Bis zu seinem Tode begleitete       des Familienarchivs der Bosses, dem viele der
er engagiert ihre schriftstellerische Arbeit.       bisher unveröffentlichten Fotografien entstam-
  Dass beide Schwestern nicht mehr als Leh-         men. Die Biografie wird von ausführlichen
rerinnen arbeiten durften – wie weitere rund        Auszügen aus einigen ihrer Bücher und von Zi-
20.000 von 40.000 ehemaligen Lehrern in             taten begleitet, die einen Einblick geben in die
der DDR – bewirkte finanzielle Nöte. Wieder         Art der Darstellung, die Jutta Hecker pflegte.
half Irmgard Bosse, indem sie Hecker zu ih-         241 weiterführende Anmerkungen schließen
rem Mann, den Innenarchitekten Walter Bosse         den Text ab. Ein Anhang mit Kurztexten folgt,
schickte, der eine Sekretärin für seine Möbel-      ergänzt durch lockere Gelegenheitsverse. Die
werkstatt suchte. Von 1948 bis 1953 arbeitete       Biobibliografie zeigt sich, wie zu erwarten, um-
Hecker hier. Nebenbei – 1948 hatte sie die Zu-      fangreich. Aber auch belletristische Elemente
lassungsurkunde für die Tätigkeit als Schrift-      werden eingesetzt, atmosphärische Darstel-
stellerin erhalten – schrieb sie Artikel, die den   lungen und begründete Vermutungen an Stel-
Verlag Gustav Kiepenheuer auf sie aufmerksam        len, zu denen es keine Belege gibt, wie z.B.
machten. Hecker wurde 1953 ein Zweijahres-          Heckers Wahrnehmung der Wende, an der sie,
vertrag für das Schreiben eines Buches über         durch Alter und Krankheit geschwächt, nur
Weimar angeboten, mit einem Thema nach              mittelbar Anteil nehmen konnte.
ihrer Wahl. Im Hintergrund standen mögliche            Manchmal verführen die vielfältigen Recher-
Folgeaufträge. Ein Angebot ganz in ihrem            cheergebnisse zur Weitschweifigkeit, wie bei
Sinne! Sie kündigte den Arbeitsvertrag bei Wal-     der Beschreibung von Heckers Schulweg. (S.
ter Bosse und begann, ausschließlich als frei-      27f.) Doch das Buch liest sich flüssig, lebendig
schaffende Schriftstellerin zu arbeiten. Bis 1999   und steckt voller Entdeckungen. Es reicht über
erschienen rund 30 Bücher zur Weimarer Klas-        eine Biografie weit hinaus, gibt Einblicke in die
sik u.a. über Goethe, Schiller, Corona Schrö-       weniger bekannte »silberne Zeit« der Weimarer
ter, Wieland, Eckermann und weiterhin Artikel       Klassik, und beleuchtet aus eigenem Erleben
und Aufsätze sowie Arbeiten für das Goethe-         authentisch ein Stück Geschichte der Anthro-
und Schiller-Archiv. 1988 erschien beim Verlag      posophie und der Christengemeinschaft unter
am Goetheanum in Dornach ihr Buch über Ru-          der DDR-Diktatur. Und sein Inhalt gehört un-
dolf Steiner in Weimar, das in der DDR keine        bedingt auch zur Geschichte der Stadt Weimar.
Chance gehabt hätte. 1994 übersiedelt sie, nun      Hier sollten die Ohren der Stadtväter klingen!
pflegebedürftig, in das Marie-Seebach-Stift.        Denn die Autoren regen zu Recht die Nachauf-
   Jutta Hecker erfuhr einige Ehrungen zur Zeit     lage einiger Bücher von Jutta Hecker an.
der DDR und weitere nach der Wende, u.a.                                          Ingeburg Schwibbe

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Der Kreis der Weltreligionen
ALBERT SCHMELZER & ANGELIKA SCHMITT: Die Weltreligionen – Vielfalt und Zusammenklang, sie-
ben Bände in Kassette, edition waldorf, Stuttgart 2021, 954 Seiten, 49 EUR

Den Schwerpunkt des Religionsunterrichtes          Hand. Was aber kann mit »Zusammenklang«
an Freien Waldorfschulen für die Klassen 11        gemeint sein, wenn es nicht um billigen Syn-
und 12 bildet die Behandlung der Weltreligi-       kretismus gehen soll? – Die Autoren stellen ihre
onen, zumindest soweit dieser Unterricht von       Arbeit in das Licht der Frage nach dem jewei-
den Waldorfkollegien verantwortet wird (kon-       ligen Potenzial der Religionen, d.h. ob sie, statt
fessioneller Religionsunterricht findet in Regie   aus ihrer Verschiedenheit heraus zu Streit, Ter-
der betreffenden Kirchen statt). Die hier gefor-   ror, Kriegen zu führen, nicht vielmehr Anlass
derten Lehrkräfte werden die vorliegende Pu-       geben könnten, Frieden, Nächstenliebe und
blikation nur begrüßen können. Ihr Wert weist      Humanität zu befördern.
aber darüber hinaus, da fraglos, was hier prä-        Der Aufbau jedes Bandes zeigt schon auf den
sentiert wird, von allgemeiner Bedeutung ist.      ersten Blick, dass die Herangehensweise einem
   Autor und Autorin, Albert Schmelzer und         stets ähnlichen Muster folgt, was von vornhe-
Angelika Schmitt, haben in sieben schlanken        rein sicherstellt, dass es hier keine tendenzielle
Bänden (zusammen gleichwohl gut 950 Sei-           Bevorzugung gibt, dass der Gleichheitsgrund-
ten), eine beeindruckende Übersichtsarbeit         satz gewahrt wird. Den Auftakt bildet jedesmal
vorgelegt, die es gerade auch dem theolo-          ein Statement zu einer Frage, durch die etwas
gischen oder religionswissenschaftlichen Laien     Charakteristisches oder Typisches aufleuchten
ermöglicht, sich die einzelnen Weltreligionen      kann, so im Fall des Hinduismus der Blick auf
relativ rasch und leichtgängig zu erschließen      Amma als eine moderne indische Heilige, für
und auch an Tiefendimensionen heranzukom-          das Judentum Auskünfte über jüdisches Leben
men. Der Stellenwert des Werkes lässt sich er-     in Deutschland nach der Shoah, und für das
messen, wenn man sich klar macht, dass die         Christentum der knappe Bericht über ein Ju-
Autoren, beide langjährig verbunden mit der        gendtreffen in Taizé. Dann folgt so etwas wie
Mannheimer Akademie für Waldorfpädagogik           eine Begriffsklärung: Warum bezeichnen wir
und der Aufgabenstellung »Interkulturalität«,      Religionen mit diesem oder jenem Namen? Da-
die Thematik schon mindestens seit 2013 inten-     ran schließen sich jeweils Teile an, in denen
siv bearbeiten. Damals gab es eine öffentliche     die Grundlagen der verschiedenen Lehren und
Seminarreihe für Religionslehrer an Waldorf-       Überlieferungen nachgezeichnet werden, Teile,
schulen, betitelt »Symphonie der Weltreligi-       die davon handeln, wie die einzelne Glaubens-
onen«, in fünf Veranstaltungen 2013 und 2014,      form das Leben der Gläubigen bestimmt – bis
und in den folgenden Jahren Kolloquien im Ex-      in tagtägliche Verrichtungen hinein, sowie
pertenkreis, in denen auch das Verhältnis der      Teile, in denen die Autoren einen geschicht-
Anthroposophie zu den verschiedenen Religi-        lichen Aufriss bieten und ausleuchten, wie die
onen behandelt wurde. Obwohl diese Erweite-        einzelne Religion sich entwickelt hat – auch
rung der Fragestellung in die hier besprochenen    in Hinsicht auf das jeweilige welthistorische
sieben Bände nicht direkt einfloss, erbrachten     Umfeld, oder auf die Art, wie ihre Vertreter
jene Kolloquien wohl dennoch einen qualita-        sich gegenüber anderen Glaubensgemeinschaf-
tiven Zuwachs an Expertise. Die Bände indes        ten verhielten. Dabei werden problematische
konzentrieren sich ganz auf die Darstellung der    Entwicklungen nicht vernachlässigt, etwa das
Geschichte, Mythen, Glaubenspraktiken sowie        blutrünstige Auftreten mittelalterlicher Kreuz-
namhafter Vertreter der einzelnen Religionen.      ritter, die nationalsozialistische Vernichtung
   Der Untertitel der Bände lautet ›Vielfalt und   von 6 Millionen Juden in der Shoah oder der
Zusammenklang‹. Dabei liegt »Vielfalt« auf der     moderne islamistische Terror.

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   Man hätte sich allerdings auch kontroverse      gion als solcher, in Fanatismus und Irrationa-
Stimmen gewünscht wie etwa die von Hamed           lität abzugleiten, soll nicht übersehen werden.
Abdel-Samad, der den »islamischen Faschis-         Das größere Gewicht hat für Schmelzer und
mus« als dem Islam intrinsisch einschätzt.         Schmitt jedoch, wie sehr Religion helfen kann,
Diesen Schattenseiten steht bei Schmitt und        dass der Mensch immer mehr im vollen Sinne
Schmelzer gegenüber, was nicht zu kurz             Mensch wird – eben auch seelisch-geistig. Da-
kommt: Dass eigentlich jedes Glaubensbe-           bei helfen Gebet, Meditation und Kontemplati-
kenntnis auch Wege der mystischen oder             on, auch Ekstase mittels Tanz und Musik, die
esoterischen Vertiefung kennt – wie etwa im        gläubige Hingabe an Offenbarungen, rituelle
chinesischen Daoismus »Waidan«, die »äußere        Praxis und kultische Verehrungsformen und
Alchemie«, und »Neidan«, die innere Alchemie,      nicht zuletzt die durch Religion angeregte Su-
im Judentum die Kabbala usw. Zumal Religi-         che nach dem Sinn von Kosmos, Evolution und
on im Kern bedeutet, Wege zur Erfahrung des        menschlicher Existenz.
lebendigen Geistes zu gehen. Blicke endlich           Dem auf den katholischen Theologen Hans
auf neuzeitliche Entwicklungen und Fragestel-      Küng zurückgehenden »Projekt Weltethos«
lungen, auf einzelne Vertreter ihrer Religion      scheinen die Autoren deutlich zuzuneigen.
(für die Religionen indigener Völker beispiels-    Den Abschluss der ›Rückschau‹ und des darin
weise der afrikanische Schamane Malidoma           enthaltenen Fazits bilden daher die Richtlinien,
Patrice Somé) und eine abschließende Frage         die gemäß dem Prinzip »Weltethos« 1993 in
runden die Bände jeweils ab: Welchen Beitrag       Chicago, im Parlament der Weltreligionen, ver-
leisten indigene Völker, leistet chinesische Re-   abschiedet wurden. Diese zielen auf Gewaltlo-
ligiosität, leisten Hinduismus, Buddhismus, Ju-    sigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben, auf eine
dentum, Christentum oder Islam zum interkul-       Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirt-
turellen, interreligiösen Dialog?                  schaftsordnung, auf eine Kultur der Toleranz
   In Band 7 ziehen die Autoren Bilanz. In ihrer   und ein Leben in Wahrhaftigkeit sowie auf eine
›Rückschau – Zum Zusammenklang der Welt-           Kultur der Gleichberechtigung und die Partner-
religionen‹ wird versucht, die diversen Beiträ-    schaft von Mann und Frau. Die fünfte, später
ge der Weltreligionen zum menschheitlichen         hinzugefügte Richtlinie zielt auf Nachhaltigkeit
Dialog im Sinne verschiedener religiöser Hal-      und einen weisheitsvollen Umgang mit den
tungen zu deuten, die in Abhängigkeit von der      planetenweit vorhandenen Ressourcen.
jeweiligen menschheitlichen Entwicklungszeit          Es handelt sich im Ganzen um einen großen
und von geografischen Faktoren für ganz un-        Wurf, um eine sorgfältig ausgeführte Arbeit,
terschiedliche Arten der Verbindung mit dem        der eine weite Verbreitung zu wünschen ist.
Göttlich-Geistigen stehen. Die Gefahr von Reli-                                     Klaus J. Bracker

Unvereinbare Interpretationen
CARLO ROVELLI: Helgoland – Wie die Quantentheorie unsere Welt verändert, Rowohlt Verlag,
Hamburg 2021, 208 Seiten, 23 EUR // MARTIN WIGAND: Quantenphysik, Anthroposophie,
Logos-Mysterium – Was ist wirklich?, SchneiderEditionen, Stuttgart 2022, 136 Seiten, 20 EUR

Der Wandel im Weltbild, den die vor rund 100       ortet im Großen des Sonnensystems, das mit
Jahren entstandene Quantenmechanik hervor-         verhältnismäßig leicht zugänglichen Begriffen
gerufen hat und weiter fordert, lässt sich in      und Vorstellungen zu erfassen ist, so verhält
seiner Größenordnung unbedingt mit der so ge-      es sich mit der Quantenmechanik ganz anders
nannten Kopernikanischen Wende vergleichen.        – beruht diese doch auf Phänomenen, die in
Handelt es sich bei dieser um ein Problem, ver-    unsichtbar-kleinen Zusammenhängen zutage

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treten und allein mit diffizilen Versuchsanord-      ganz und gar zu abstrahieren und zum belie-
nungen gezeigt werden können, sodass in den          bigen Teil des Systems, zum bloßen »Teil der
meisten Darstellungen mit schematisch verein-        Natur« (a.a.O., S. 135) zu machen, der gerade
fachten Experimenten argumentiert wird.              nicht (z.B. in seiner Denk-Fähigkeit) einen An-
  Zu dieser Quantenmechanik gehört seit ihren        kerpunkt hat. Hier stellt Rovelli die Frage nach
ersten Formulierungen eine Anzahl von Deu-           einer grundlegenden Weltkonzeption, und eine
tungen und Interpretationen; auch wurde sie          solche ergibt sich ihm aus den Gedanken des
bald nach ihrem Entstehen von interdisziplinä-       im 2. nachchristlichen Jahrhundert lebenden
ren Fragen, Gedankenwegen und – mehr oder            buddhistischen Lehrers NƗgƗrjuna, dessen Leh-
weniger plausiblen – Schlussfolgerungen be-          re Rovelli so interpretiert, »dass es keine an
gleitet. Der Verfasser erinnert sich an einen Vor-   sich seienden, von anderen unabhängig existie-
trag des greisen Carl Friedrich von Weizsäcker       renden Dinge gibt« (a.a.O., S. 137), bzw.: »Die
an der Universität Göttingen im Jahre 1994, der      Realität, uns eingeschlossen, ist nur ein leichter
nicht etwa die Sache selbst zum Gegenstand           und zarter Schleier, hinter dem sich […] nichts
hatte, sondern die Möglichkeit, sie zu verste-       verbirgt.« Rovelli lässt sich nicht davon abhal-
hen, deren Schwierigkeit der Redner realistisch      ten, sehr weitreichende weltanschauliche Kon-
einschätzte und so eine herausfordernde For-         sequenzen aus seinem Entwurf zu ziehen; wie
mulierung für den Vortragstitel wählte: »Was         sich gedankliche Stringenz bei ihm ausnimmt,
heißt, Quantenmechanik verstehen?« – Auf             dafür mag die folgende Schlussfolgerung ex-
zwei jüngst erschienene Bücher soll hier hin-        emplarisch angeführt werden: »Die Einwände
gewiesen werden, die in mehrfacher Hinsicht          gegen ein solches Verständnis […] reduzieren
in schroffem Gegensatz stehen und somit ein          sich bei näherem Hinsehen allein auf die Wie-
Epiphänomen der Quantenmechanik darlegen:            derholung des immer gleichen Allgemeinplat-
ihre teilweise unvereinbaren Interpretationen.       zes: ›Das erscheint mir nicht plausibel.‹ Er be-
  Carlo Rovelli, geb. 1956, lehrt Physik an der      ruht auf intuitiven Vorstellungen […] oder gar
Universität Aix-Marseille und hat bereits meh-       auf der traurigen Hoffnung, dass wir aus einer
rere populärwissenschaftliche Bücher heraus-         nebulösen immateriellen Substanz bestehen,
gegeben. Als Titel seiner Darstellung wählte er      die nach unserem Tod weiterleben kann: eine
›Helgoland‹, war es doch diese Insel, auf der        Aussicht, die ich, abgesehen davon, dass sie
dem jungen Werner Heisenberg entscheidende           völlig unplausibel ist (hier stimmt es!), auch
Ideen zur Formulierung der Quantenmechanik           grauenvoll finde.« (a.a.O., S. 169)
kamen. Der Titel legt nahe, dass dem inneren            Ganz andere Schlüsse zieht Martin Wigand,
Weg Heisenbergs nachgegangen werden soll,            geb. 1951, ehemals Waldorflehrer und Dozent
doch davon ist wenig die Rede – vielmehr geht        in der Lehrerausbildung, aus der Quantenphy-
der Gedankengang des Autors (nach einleiten-         sik. Er legt ein sehr viel stärkeres Gewicht auf
den Abschnitten, in denen die Phänomene sehr         die Mathematisierung und den Formalismus,
anschaulich und teilweise originell beschrieben      welche ihr zugrunde liegen, und beschreibt, wie
werden) auf eine von ihm selbst entworfene           schon darin der entscheidende Schritt angedeu-
Deutung zu, die er als »relational« bezeichnet       tet wird: »Etwas Nichträumliches wird gewis-
und deren »Kerngedanke« darin besteht, »dass         sermaßen gezwungen, sich als eine messbare
die Theorie nicht die Welt beschreibt, in der        Größe zu offenbaren, je nach Messanordnung
sich die Quantenobjekte uns (oder besonderen         kann das ein Ort oder eine Geschwindigkeit
›beobachtenden‹ Entitäten) offenbaren. Sie be-       (bzw. Impuls) sein, nie aber beides gleichzei-
schreibt, wie sich jedes beliebige physikalische     tig. […] Die Mathematik der Quantenmechanik
Objekt gegenüber jedem anderen solchen Ob-           führt uns aus dem Bereich des Sinnlichen hinaus
jekt manifestiert.« (Rovelli, S. 75)                 in einen übersinnlichen Bereich.« (Wigand, S.
  Im Weiteren wird deutlich, dass es ihm da-         66f.) Von hier aus wendet sich Wigand der
rum geht, den Menschen bzw. den Beobachter           Begriffsbildung zu, erkennt er doch darin das

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eigentliche, das »harte Problem«, über das man     wir begegnen können.« (a.a.O., S. 117) Hier
sich zunächst verständigen muss. Anhand von        bricht nun Wigands eigene Darstellung abrupt
Auszügen aus einigen Grundschriften Rudolf         ab, verweist auf zu findende »neue Methoden«,
Steiners legt Wigand dar, wie im Erkenntnisvor-    und es wird recht unvermittelt eine kurze Be-
gang vom denkenden Menschen der Begriff zur        trachtung von einem ganz anderen Verfasser
Wahrnehmung hinzugefügt und damit erst die         angeknüpft: Hans-Christian Zehnter über das
volle Wirklichkeit geschaffen wird, und mehr       »Lesen im Buch der Natur« (a.a.O., S. 118 ff).
noch: wie beide demselben übersinnlichen             Es ist nicht leicht nachzuvollziehen, weshalb
Grund entstammen. Hieran knüpft er den aus         der Schreiber dieses Buches ausgerechnet an
der antiken Philosophie stammenden Logos-Be-       dessen Ende einen solchen Weg beschreitet
griff, wie er von Heraklit entwickelt und später   und auf einen eigenen Ausblick verzichtet, und
durch den Schreiber des Johannesevangeliums        diese Merkwürdigkeit deutet wie noch anderes
sozusagen christianisiert worden ist.              darauf hin, dass Wigands Idee mit einem an-
  Anhand von Gedanken des vor acht Jah-            spruchsvolleren Herausgeber zu einem über-
ren verstorbenen Physikers Hans-Peter Dürr,        zeugenderen Ergebnis hätte führen können.
der sich in vielen Veröffentlichungen bemüh-       So wären an einigen Stellen allzu naive Argu-
te, Wissenschaft und Spiritualität zu vereinen,    mentationen bzw. Ungenauigkeiten aufgefal-
zieht Wigand den Schluss, der sich aus sei-        len, wie auch ein gründliches Lektorat man-
ner Hinführung ergibt: »Wenn wir die Sprache       che Verbesserung ermöglicht hätte. So bleibt
der Mathematik ernst nehmen und sie nicht          der Gesamteindruck bei aller Zustimmung zu
nur als ein praktisches Werkzeug gebrauchen,       Wigands Verständnisansatz etwas unbefrie-
dann weist sie uns in der Quantenphysik einen      digend, auch wenn man sich darüber freuen
Weg zur Überwindung der primitiven und ma-         kann, dass wieder jemand die große Herausfor-
terialistischen Vorstellung einer Welt aus Bil-    derung annimmt, um, teilweise didaktisch sehr
lardkugeln hin zu einer Welt, in der wir den       gelungen, der weiter jungen Frage nachzuge-
Logos des Johannes wiedererkennen können,          hen, wie die Quantenphysik zu verstehen sei …
einer Welt der Fülle von Wesenheiten, denen                                          Johannes Roth

Eine Annäherung
ROLAND LAMPE: Der Wald verwandelt sich in Traum. Christian Morgenstern in Birkenwerder,
Findling Verlag, Werneuchen 2021, 96 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen., 10 EUR

Bücher über Christian Morgenstern als Dichter      werder (1. November 1905 bis 11. Juni 1906)
gibt es nicht wenig, man denke nur an Autoren      nördlich von Berlin nahe Oranienburg. Lampe
wie Michael Bauer, Martin Beheim-Schwarz-          rekonstruiert Morgensterns Aufenthalt im Sa-
bach, Friedrich Hiebel oder Peter Selg. Und        natorium im Spiegel der Briefe des Dichters an
doch zeigt ein Blick in die Bände der Stutt-       seine verschiedenen Korrespondenzpartner vor
garter Werkausgabe, wie wenig von Morgern-         dem Hintergrund des Alltagslebens im Sana-
sterns nur 42-jährigem Erdenleben tatsächlich      torium, zu dem der Autor umfassend recher-
in Studien und monografisch bis heute durch-       chiert hat. Man hat das Empfinden, als bewegte
gearbeitet ist. Unter dieser Perspektive lohnt     man sich mit Morgenstern im Sanatorium und
die Lektüre des Buches des 1959 in Berlin-         habe Teil an seinen Gedanken über die ihn be-
Weißensee geborenen Autors Roland Lampe.           schäftigenden Arbeitsaufgaben, seinen inneren
Im Mittelpunkt der kleinen, farbig bebilderten     Werdegang, seine einsetzende Beschäftigung
Studie steht der Aufenthalt Morgensterns in        mit der Deutschen Mystik. In zehn kurzen Ka-
dem 1899 eröffneten Sanatorium in Bad Birken-      piteln beschreibt Lampe, welche von Morgen-

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sterns Gedichten in Birkenwerder entstanden,        war (vgl. S. 46). Lampe schildert auch Morgen-
welchen Menschen der Dichter begegnete, aber        sterns Zeit nach Bad Birkenwerder, seine Be-
auch wie sehr Morgenstern die Spaziergänge          gegnung mit seiner späteren Frau Margarethe,
im nahen Wald liebte und welche Bedeutung           über die er die Anthroposophie kennenlernte.
die Nähe des Sanatoriums zu Berlin hatte, wo        Morgensterns Begegnung mit Rudolf Steiner
er, sofern es ihm sein Gesundheitszustand er-       und seine Hinwendung zur Anthroposophie be-
möglichte, intensiv am Kulturleben teilnahm.        handelt Lampe knapp, aber mit Respekt, wobei
  Die Abbildungen unterstützen den Prozess          man dem Autor anmerkt, dass er fragend um
einer Annäherung an Morgensterns Lebenszeit         ein Verständnis dieser Zeit von Morgensterns
in Birkenwerder, die finanziell durch eine im       Wirken und Leben ringt. – Das Bändchen eig-
Herbst 1905 mit dem Verlag Bruno Cassirer           net sich auch als Reiseführer auf den Spuren
geschlossene Vereinbarung ermöglicht wurde,         Morgensterns in Bad Birkenwerder.
über die Morgenstern ausgesprochen dankbar                                       Matthias Mochner

Wesentliche Ergänzung
DR. MED. JENS-HAGEN KAROW: Das Wunder von Sana – Bericht einer medizinisch unerwarteten
Heilung, Paramon Verlag, Berlin 2021, 218 Seiten, 19,80 EUR

Von diesem Buch des anthroposophischen              Ausgang, oder mit einem bleibenden Wachko-
Arztes Jens-Hagen Karow hatte ich schon ge-         ma. Das Buch beschreibt die medizinisch uner-
hört, bevor es geschrieben wurde. Im Herbst         wartete Heilung. Gleichzeitig erscheint es wie
2020 schilderte er mir am Telefon die schwe-        ein langer Liebesbrief des Autors an seine Frau.
re Erkrankung seiner Frau Irmtraut und seine        Diese Nähe ermöglichte dem Arzt, bei seinen
Versuche, sie zu begleiten: »Wenn sie geheilt       Behandlungen durchzuhalten; durch tiefe Kri-
da wieder herauskommt, werde ich aus Dank           sen und Erschöpfungen hindurch.
ein Buch schreiben, um Gott zu preisen!« Nun           Jens-Hagen Karow beschreibt detailliert den
ist dieses Buch erschienen – mit Aquarellen         Behandlungsprozess, der immer mit Meditati-
des Künstlers Björn Maute, die er nach den          on und Gebet vorbereitet wurde. Zweimal täg-
Beschreibungen des Autors malte.                    lich, morgens und abends, begab er sich für
   Das Buch ist für mich eine Überraschung. Beim    etwa eine Stunde auf die »Reise« zum Heilen.
Durchblättern fallen als erstes die Aquarelle ins   Durch die ausführlichen Beschreibungen, un-
Auge; dann einige Photos des Paares Irmtraut        terstützt durch die Aquarellbilder, versucht
und Jens Karow aus ihrer mehr als 36-jährigen       der Autor Brücken zu bauen zum Verstehen
gemeinsamen Zeit; weiter Photos von Irmtraut        dessen, was sich im geistigen Raum zwischen
Karow während ihrer schweren Erkrankung             Arzt und Patientin ereignete. Es bleibt eine
und der Zeit ihrer Heilung. Hinten im Buch          Herausforderung, diese Wege gedanklich mit-
finden sich Abbildungen vom Schädel und von         zugehen; manche werden hier hilflos zurück-
Gefäßen der Patientin sowie klinische Befunde.      bleiben, andere mit Staunen dem Autor folgen.
Die Überraschung stellt sich besonders da ein,      Sehr offen spricht Jens-Hagen Karow über seine
wo der Autor das Zusammensein mit seiner            Gefühle während der Zeit, in der er versuchte,
Frau auf geistiger Ebene und seine Heilbehand-      seine Frau »zurückzuholen«: er bewegte sich
lungen beschreibt. Diese Schilderungen über-        zwischen Ohnmacht und Hoffnung, zwischen
schreiten Grenzen des normal Vorstellbaren.         Angst und Wieder-aufgerichtet-Werden.
   Am 14. August 2020 erlitt Irmtraut Karow            Die Leser lernen den Autor als »Grenzgänger«
eine starke Hirnblutung und lag zwei Monate im      kennen. Als Kind schon fühlte er sich in zwei ge-
Koma. Die Ärzte rechneten mit einem tödlichen       gensätzliche Welten gezogen: Natur und Tech-

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nik. Er beobachtete stundenlang, an stillen Ge-     bindung an die übersinnliche Welt zur Verfü-
wässern stehend, Wasserströmungen, Lebewe-          gung stehen. In der Zeit, während ich um das
sen, Blätter und Bäume und nahm dabei auch          Leben und die Gesundheit meiner Frau kämpfte
Elementarwesen wahr. In Frankfurt am Main           und unfassbar viel Hilfe von betenden und me-
stand er fasziniert an Baustellen und bestaunte     ditierenden Freunden einerseits sowie von der
die schweren Maschinen, die Bagger und Kräne.       geistigen Welt andererseits erhielt, wurde mir
Mit fünfzehn Jahren erlebte Jens-Hagen Karow        erfahrbar, wie sehr Freundschaften tragen und
den Tod seiner älteren Schwester bei einem          wie bedingungslos wir Menschen von der gei-
Verkehrsunfall und hatte über viele Jahre hin-      stigen Welt geliebt und behütet werden. [...]
weg Begegnungen mit der Verstorbenen.               Möge die Veröffentlichung dieser Erfahrung
  In der Einleitung schreibt er: »Dieses Buch ist   dazu beitragen, medizinische Wissenschaft
Zeugnis eines Wunders und stellt meinen Dank        und die Erkenntnis von geistigen Realitäten
an die geistige Welt dar. Es möchte ebenso den      nicht als Widerspruch, sondern als wesentliche
Leser unmittelbar Anteil haben lassen an den        Ergänzung zu verstehen.« (S. 9f.)
realen Möglichkeiten, die uns kraft unserer An-                                    Ingwer Momsen

Neue Welten
ALEXANDER KLUY: E.T.A. Hoffmann. 100 Seiten, Reclam Verlag, Ditzingen 2021, 100 Seiten, 10 EUR

Alexander Kluy hat zuletzt in der Reclam-Reihe      Teufels‹. Der sensationslüsterne Titel war Hoff-
›100 Seiten‹ den Band über Alfred Hitchcock         manns Erfindung, doch weniger die Thematik
verantwortet. Es sei gleich zugegeben, dass wir     des Schauerromans: »Wieder stellte sich Hoff-
jenen Band gern übergehen und uns umso lie-         mann für sein nächstes Buch […] auf die Schul-
ber uns seinem ›E.T.A Hoffmann‹ zuwenden.           tern eines anderen Buchs, diesmal Matthew
   Das so kurzweilige wie inhaltsreiche Büch-       Gregory Lewis’ (1755–1818) ›The Monk: A
lein in schmuckem Hellblau führt konzentriert       Romance‹ (›Der Mönch‹, 1795/96). Der schau-
in Leben und vielseitiges Werk des gebürtigen       rige Horrorroman des englischen Staatssekre-
Ostpreußen ein. Den Hoffmann-Kenner verra-          tärs […] war ein Bestseller. Hoffmann hoffte,
ten bereits Kluys erste Sätze im Eingangskapitel    dass auch ihm sein Roman zum finanziellen
›Riss und Riss‹: »Diese Aussicht gibt es nicht      ›Lebenselixier‹ werde …« (S. 51). Weder dieses
mehr. Niemand kann mehr den Kopf heraus-            Buch noch seine anderen Veröffentlichungen
strecken. Keiner kann aus dem Hausfenster           sollten Hoffmann zu materiellem Erfolg führen,
im zweiten Stock schauen, begierig auf Neues,       ebenso wenig sein Wirken als Komponist und
auf die Welt, auf Neues aus und in der Welt.        Zeichner. Hoffmann verstarb hochverschul-
Denn das Gebäude steht nicht mehr. Es wur-          det, seine Witwe folgte ihm 1859 in ärmlichen
de im Jahr 1905 abgerissen.« (S. 1) Die Rede        Verhältnissen. Für uns Nachgeborene ist er
ist von Hoffmanns neuem Berliner Domizil in         dennoch ein großer Name der literarischen Ro-
der Taubenstraße 31, bezogen 1815. Nach dem         mantik (mit mancherlei dunklen Zügen). Und
Eingangskapitel folgen weitere sieben: ›Wege        Kluy erinnert zu Recht an Hoffmann als bedeu-
und Umwege. 1776-1808‹, ›Windbeutel und Le-         tenden Anreger: »Hoffmanns Musikfantasien
bensliebe. 1808-1813‹, ›Dresden und Leipzig.        regten viele Komponisten an, von Pfitzner über
1813-1814‹, ›»In dem teuern Berlin«. Ab 1814‹,      Wagner und zu Offenbach, und, als erstem, Ro-
›Serapiontisches‹, ›Die Katze, die spricht‹ und     bert Schumann (1810–1856). Neun Jahre nach
›Komödie? Tragödie? Tod? Ewigkeit‹.                 Hoffmanns Tod notierte dieser: ›Im Hoffmann
   Bleiben wir etwas in Hoffmanns Berlin. Dort      gelesen, unausgesetzt. Neue Welten.‹« (S. 98)
erschien 1815/16 sein Buch ›Die Elixiere des                                              Peter Götz

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