DAS GOOGLE-URTEIL DES EUGH UND DIE ENTFERNUNGSPFLICHT VON SUCHMASCHINEN NACH SCHWEIZERISCHEM RECHT
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Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen nach schweizerischem Recht Daniel Hürlimann* Das Google-Urteil des EuGH verstösst gegen die Informationsfreiheit, die sowohl von der EU-Grundrechtecharta als auch in der EMRK und BV garantiert wird. Mit dem Urteil wird Suchmaschinenbetreibern eine Richterfunktion zugewiesen, die in einem Rechtsstaat nicht an Private delegiert werden darf. I. Einleitung II. Das Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014 III. Die Beurteilung durch den Generalanwalt 1. Suchmaschinenbetreiber ist kein «für die Verarbeitung Verantwortlicher» 2. Meinungsäusserungs- und Informationsfreiheit geopfert IV. Offene Fragen 1. Kriterien zur Entfernung 2. Betroffene Dienste 3. Form der Mitteilung 4. Umfang der Entfernung V. Die Rechtslage in der Schweiz 1. Datenschutzrecht 2. Grundrechte 3. Rechtfertigungsgründe 4. Kartellrecht VI. Ausblick 1. Weiterzug an den EGMR 2. Rückzug aus EU-Staaten 3. Korrektur durch den Gesetzgeber 4. Alternative Lösungsmöglichkeiten VII. Fazit Zitiervorschlag: Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen nach schweizerischem Recht, in: sui-generis 2014, S. 1 URL: sui-generis.ch/1 _________________________________________________________________________ * Dr. iur., Rechtsanwalt, CAS Judikative. Forschungsmitarbeiter an den Universitäten Luzern und Zürich. twitter.com/dhuerlimann Themenbezogene Interessen(-bindung) des Autors: keine Der Autor dankt Prof. Dr. Astrid Epiney, Prof. Dr. Monika Pfaffinger und MLaw Danielle Schneider für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen I. Einleitung qualifiziert5 und dass darüber hinaus der 1 räumliche Anwendungsbereicht der Richtlinie Mit einem Recht auf Vergessenwerden «wür- bejaht wurde6, obwohl Google nicht offenge- den entscheidende Rechte wie die Freiheit der legt hat, in welchem Staat sich die fraglichen Meinungsäusserung und die Informationsfrei- Server befinden7. Das gestützt auf Daten- heit geopfert»1. Gestützt auf diese Argumen- schutzrecht ergangene Urteil kam unerwartet, tation hat der Generalanwalt in einem Verfah- zumal die Schlussanträge des Generalanwalts ren gegen Google dem EuGH davor abgera- in eine andere Richtung gingen und auch des- ten, ein solches Recht zu bejahen. Die War- halb, weil die Veröffentlichung der fraglichen nung wurde nicht erhört: Mit Urteil vom 13. Information in diesem Fall nicht nur recht- Mai 2014 hat der EuGH festgehalten, dass mässig war, sondern sogar auf Anordnung ei- Google verpflichtet ist, Links mit Informatio- ner staatlichen Behörde erfolgte8. nen zu einer Person zu entfernen, «auch wenn der Name oder die Informationen auf diesen 4 Im Folgenden wird zunächst das Urteil des Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig EuGH zusammengefasst (II.), bevor auf die gelöscht werden und gegebenenfalls auch abweichende Beurteilung des Generalanwalts dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den In- (III.) und auf ein paar offene Fragen (IV.) ein- ternetseiten als solche rechtmäßig ist.»2 gegangen wird. Im Anschluss daran soll die 2 Rechtslage in der Schweiz dargestellt werden Konkret ging es in diesem Verfahren um einen (V.), um abschliessend einen Ausblick auf Spanier, der sich dagegen wehrte, dass nach mögliche Entwicklungen (VI.) zu wagen. Bei einer Google-Suche mit seinem Namen eine der vorliegenden Darstellung liegt der Fokus bestimmte Seite angezeigt und verlinkt wurde. vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils auf Diese Seite enthielt die Information, dass sein dem Datenschutzrecht9. Grundstück wegen ausstehenden Forderungen der Sozialversicherung versteigert wurde3. Die Publikation der Anzeige erfolgte im Jahre II. Das Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014 1998 in einer gedruckten Zeitung und wurde 5 Ein Spanier erhob 2010 bei der spanischen später durch den Verleger auch online veröf- Datenschutzbehörde gegen die Herausgeberin fentlicht4. einer Tagesezeitung sowie gegen Google 3 Spain und Google Inc. eine Beschwerde, mit Voraussetzung für die Bejahung einer Ver- der er beantragte, die Tageszeitung «anzuwei- pflichtung zur Entfernung war, dass der Such- sen, entweder die genannten Seiten zu löschen maschinenbetreiber als Verantwortlicher für oder zu ändern, so dass die ihn betreffenden die Verarbeitung personenbezogener Daten ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 1 2013 in der Rechtssache C-131/12, Rn. 18. Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen 5 vom 25. Juni 2013 in der Rechtssache C-131/12, Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 41. Rn. 133. 6 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 60. 2 7 Urteil des EuGH C-131/12 vom 13. Mai 2014 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 43. (Google Spain SL und Google Inc. gegen Agencia 8 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 16. Española de Protección de Datos [AEPD] und Ma- 9 Für die Beurteilung der Haftung von Suchmaschi- rio Costeja González), Rn. 88. 3 nen aus Urheber-, Marken-, Lauterkeits-, Kartell- Urteil des EuGH C-131/12 vom 13. Mai 2014, und Persönlichkeitsrecht siehe Daniel Hürlimann, Rn. 14. Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern 2012. 4 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni sui-generis 2014, S. 2
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen personenbezogen Daten dort nicht mehr ange- der Audiencia Nacional Klage erhoben; die zeigt würden, oder zum Schutz der Daten von Audiencia Nacional hat das Verfahren ausge- bestimmten, von den Suchmaschinen zur Ver- setzt und dem EuGH die Fragen vorgelegt, de- fügung gestellten technischen Möglichkeiten ren Beantwortung davon abhänge, wie die Gebrauch zu machen. Er beantragte ferner, EU-Datenschutzrichtlinie14 im Kontext von Google Spain oder Google Inc. anzuweisen, Technologien, die nach ihrer Bekanntma- ihn betreffende personenbezogene Daten zu chung aufgekommen seien, auszulegen sei. löschen oder zu verbergen, so dass diese we- der in den Suchergebnissen noch in Links zu 7 Die insgesamt neun Vorlagefragen der Audi- La Vanguardia [eine insbesondere in Katalo- encia Nacional wurdem vom EuGH in vier nien weitverbreitete Tageszeitung10] erschie- Abschnitten zu den folgenden Themen beant- nen»11. Die fraglichen Seiten enthielten eine wortet: Anzeige, in der unter Nennung des Namens des Betroffenen auf die Versteigerung eines 1. sachlicher Anwendungsbereich der Grundstücks im Zusammenhang mit einer we- Richtlinie, gen Forderungen der Sozialversicherung er- 2. räumlicher Anwendungsbereich der folgten Pfändung hingewiesen wurde. Richtlinie, 3. Umfang der Verantwortlichkeit des 6 Die spanische Datenschutzbehörde wies die Suchmaschinenbetreibers nach der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Her- Richtlinie, ausgeberin richtete, mit der Begründung zu- 4. Umfang der durch die Richtlinie garan- rück, die Veröffentlichung der betreffenden tierten Rechte der betroffenen Person. Informationen durch diese Gesellschaft sei rechtlich gerechtfertigt gewesen, da sie auf 1. Tätigkeit einer Suchmaschine ist eine Anordnung des Arbeits- und Sozialministeri- Verarbeitung personenbezogener Daten ums und mit dem Ziel einer höchstmöglichen 8 Die EU-Datenschutzrichtlinie gilt gemäss de- Publizität der Zwangsversteigerung und somit ren Art. 3 «für die ganz oder teilweise automa- einer höchstmöglichen Zahl an Bietern erfolgt tisierte Verarbeitung personenbezogener Da- sei12. Soweit sie sich gegen Google Spain und ten sowie für die nicht automatisierte Verar- Google Inc. richtete, wurde der Beschwerde beitung personenbezogener Daten, die in einer hingegen stattgegeben. Die Datenschutzbe- Datei gespeichert sind oder gespeichert wer- hörde begründete dies damit, dass Suchma- den sollen.» Bei der Prüfung des sachlichen schinenbetreiber eine Datenverarbeitung vor- Anwendungsbereichs hatte der EuGH demzu- nähmen, für die sie verantwortlich seien, und folge zu untersuchen, ob die Tätigkeit einer als Mittler der Informationsgesellschaft fun- Suchmaschine als «Verarbeitung personenbe- gierten; sie unterlägen deshalb den Daten- 13 zogener Daten» einzustufen ist15. Er bejahte schutzvorschriften . Gegen diese Entschei- die Frage unter Hinweis darauf, dass mit dem dung haben Google Spain und Google Inc. bei ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 10 natürlicher Personen bei der Verarbeitung perso- Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 14. 11 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 15. nenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr 12 (ABl. L 281 S. 31–50). Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 16. 15 13 Dieser Begriff ist in Art. 2 lit. b der Richtlinie fol- Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 17. 14 gendermassen definiert: «Im Sinne dieser Richtli- Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz sui-generis 2014, S. 3
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen Betrieb einer Suchmaschine zahlreiche Vor- gliedstaat [sind] untrennbar miteinander ver- gänge einhergehen, die gemäss Datenschutz- bunden, da die die Werbeflächen betreffenden richtlinie explizit als Verarbeitung personen- Tätigkeiten das Mittel darstellen, um die in bezogener Daten gelten, namentlich das Erhe- Rede stehende Suchmaschine wirtschaftlich ben, das Auslesen, das Speichern, die Organi- rentabel zu machen, und die Suchmaschine sation, die Aufbewahrung, die Weitergabe gleichzeitig das Mittel ist, das die Durchfüh- und die Bereitstellung16. Daran ändere auch rung dieser Tätigkeiten ermöglicht»20. nichts, dass die personenbezogenen Daten be- reits im Internet veröffentlicht worden sind 3. Suchmaschinenbetreiber ist auch zur Ent- und von der Suchmaschine nicht verändert fernung rechtmässig veröffentlichter In- werden17. halte verpflichtet 10 Nach der Bejahung des sachlichen und räum- 2. Auf Werbung ausgerichtete Tochterge- lichen Anwendungsbereichs der EU-Daten- sellschaft genügt für Anwendbarkeit des schutzrichtlinie kommt der EuGH zur materi- Rechts des betreffenden Staates ellen Kernfrage, d.h. der Frage nach dem Um- 9 In einem nächsten Schritt stellte sich die fang der Verantwortlichkeit des Suchmaschi- Frage, ob die EU-Datenschutzrichtlinie räum- nenbetreibers. Der Gerichtshof weist zunächst lich anwendbar ist, wenn die eigentliche Ver- darauf hin, dass die Bestimmungen der Richt- arbeitung (möglicherweise18) nicht im betref- linie, soweit sie Verarbeitungen personenbe- fenden EU-Staat vorgenommen wird, der zogener Daten betreffen, im Licht der Grund- Suchmaschinenbetreiber dort aber eine für rechte auszulegen sind, und hebt insbesondere Werbung zuständige Tochtergesellschaft hat. Art. 7 (Recht auf Achtung des Privatlebens) Obwohl diese Frage bei streng grammatikali- und 8 (Recht auf Schutz der personenbezoge- scher Auslegung auch anders beantwortet nen Daten) der Charta der Grundrechte der werden könnte19, wird sie vom EuGH mit der Europäischen Union21 hervor. folgenden Begründung bejaht: «die Tätigkei- ten des Suchmaschinenbetreibers und die sei- 11 Art. 8 Abs. 2 der Charta hält fest, dass perso- ner Niederlassung in dem betreffenden Mit- nenbezogene Daten «nur nach Treu und Glau- ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– nie bezeichnet der Ausdruck ‹Verarbeitung perso- 18 Google Search wird von der Google Inc. mit Sitz nenbezogener Daten› (‹Verarbeitung›) jeden mit o- in den USA betrieben und gibt nicht bekannt, in der ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausge- welchem Staat sich die Server befinden, «da diese führten Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zu- Information aus Wettbewerbsgründen geheimge- sammenhang mit personenbezogenen Daten wie halten wird.» Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, das Erheben, das Speichern, die Organisation, die Rn. 43. Aufbewahrung, die Anpassung oder Veränderung, 19 Art. 4 Abs. 1 lit. a der EU-Datenschutzverordnung das Auslesen, das Abfragen, die Benutzung, die legt fest, dass jeder Mitgliedstaat die Vorschriften, Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder die er zur Umsetzung dieser Richtlinie erläßt, auf jede andere Form der Bereitstellung, die Kombina- alle Verarbeitungen personenbezogener Daten an- tion oder die Verknüpfung sowie das Sperren, Lö- wendet, «die im Rahmen der Tätigkeiten einer Nie- schen oder Vernichten;». derlassung ausgeführt werden, die der für die Ver- 16 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 28. arbeitung Verantwortliche im Hoheitsgebiet dieses 17 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 29 f., mit Mitgliedstaats besitzt. [...]» (Hervorhebung hinzu- Verweis auf das Urteil des EuGH C-73/07 vom 16. gefügt). Dezember 2008 (Tietosuojavaltuutettu gegen Sata- 20 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 56. kunnan Markkinapörssi und Satamedia), Rn. 48 21 Charta der Grundrechte der Europäischen Union und 49 (ABl. C 364 vom 18/12/2000, S. 1–22). sui-generis 2014, S. 4
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen ben für festgelegte Zwecke und mit Einwilli- im Internet zu findenden Informationen zu er- gung der betroffenen Person oder auf einer halten, die potenziell zahlreiche Aspekte von sonstigen gesetzlich geregelten legitimen deren Privatleben betreffen und ohne die be- Grundlage verarbeitet werden» dürfen. Art. 6 treffende Suchmaschine nicht oder nur sehr Abs. 1 der Richtlinie geht darüber hinaus, in- schwer hätten miteinander verknüpft werden dem er verlangt, dass personenbezogene Da- können, und somit ein mehr oder weniger de- ten zusätzlich «sachlich richtig und, wenn nö- tailliertes Profil der Person zu erstellen. Zu- tig, auf den neuesten Stand gebracht sind» (lit. dem wird die Wirkung des Eingriffs in die ge- d) und «nicht länger, als es für die Realisie- nannten Rechte der betroffenen Person noch rung der Zwecke, für die sie erhoben oder wei- durch die bedeutende Rolle des Internets und terverarbeitet werden, erforderlich ist, in einer der Suchmaschinen in der modernen Gesell- Form aufbewahrt werden, die die Identifizie- schaft gesteigert, die den in einer Ergebnisliste rung der betroffenen Personen ermöglicht» enthaltenen Informationen Ubiquität verlei- (lit. e). Sodann regelt Art. 7 der Richtlinie die hen»22. Zulässigkeit der Verarbeitung von personen- bezogenen Daten, wobei für eine von einem 13 Leider geht das Urteil auf die gegenüberste- Suchmaschinenbetreiber ausgeführte Verar- henden Grundrechte nicht in gleicher Weise beitung als Zulässigkeitsgrund Art. 7 lit. f ein- ein. Die eigentliche Abwägung fällt dann auch schlägig ist. Nach dieser Bestimmung darf die erstaunlich kurz aus: Die wirtschaftlichen In- Verarbeitung personenbezogener Daten erfol- teressen des Suchmaschinenbetreibers über- gen, wenn «die Verarbeitung [...] erforderlich wiegen für sich gesehen nie und das Interesse [ist] zur Verwirklichung des berechtigten In- der Allgemeinheit am Zugang zu Informatio- teresses, das von dem für die Verarbeitung nen überwiegt im Allgemeinen auch nicht – es Verantwortlichen oder von dem bzw. den sei denn, es gehe um Informationen zu einer Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten Person des öffentlichen Lebens. In den Wor- übermittelt werden, sofern nicht das Interesse ten des EuGH23: oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Artikel 1 Ab- «Wegen seiner potenziellen Schwere satz 1 geschützt sind, überwiesen [sic].» kann ein solcher Eingriff nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Such- 12 Im Rahmen der Grundrechtsabwägung hält maschinenbetreibers an der Verarbeitung der EuGH zunächst fest, dass die Tätigkeit der der Daten gerechtfertigt werden. Da sich Suchmaschinenbetreiber «die Grundrechte die Entfernung von Links aus der Ergeb- auf Achtung des Privatlebens und Schutz per- nisliste aber je nach der Information, um sonenbezogener Daten erheblich beeinträchti- die es sich handelt, auf das berechtigte In- gen [kann], wenn die Suche mit dieser Such- teresse von potenziell am Zugang zu der maschine anhand des Namens einer natürli- Information interessierten Internetnut- chen Person durchgeführt wird, da diese Ver- zern auswirken kann, ist in Situationen arbeitung es jedem Internetnutzer ermöglicht, wie der des Ausgangsverfahrens ein an- mit der Ergebnisliste einen strukturierten gemessener Ausgleich u. a. zwischen die- Überblick über die zu der betreffenden Person sem Interesse und den Grundrechten der ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 22 23 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 80. Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 81 (Her- vorhebung hinzugefügt). sui-generis 2014, S. 5
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen betroffenen Person aus den Art. 7 und 8 15 Das Zwischenfazit des EuGH lautet demzu- der Charta zu finden. Zwar überwiegen folge, dass der Suchmaschinenbetreiber «dazu die durch diese Artikel geschützten verpflichtet ist, von der Ergebnisliste, die im Rechte der betroffenen Person im Allge- Anschluss an eine anhand des Namens einer meinen gegenüber dem Interesse der In- Person durchgeführte Suche angezeigt wird, ternetnutzer; der Ausgleich kann in be- Links zu von Dritten veröffentlichten Internet- sonders gelagerten Fällen aber von der seiten mit Informationen zu dieser Person zu Art der betreffenden Information, von de- entfernen, auch wenn der Name oder die In- ren Sensibilität für das Privatleben der be- formationen auf diesen Internetseiten nicht troffenen Person und vom Interesse der vorher oder gleichzeitig gelöscht werden und Öffentlichkeit am Zugang zu der Infor- gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröf- mation abhängen, das u. a. je nach der fentlichung auf den Internetseiten als solche Rolle, die die Person im öffentlichen Le- rechtmäßig ist.»28 ben spielt, variieren kann.» 14 Sodann begründet der EuGH überzeugend, 4. Die Grundrechte der betroffenen Person warum die Verpflichtung zur Entfernung von überwiegen gegenüber dem Interesse der Suchtreffern durch den Suchmaschinenbetrei- Öffentlichkeit ber auch dann möglich sein muss, wenn die 16 Schliesslich äussert sich der EuGH zur Frage, betreffenden Webseiten weiterhin online blei- ob die betroffene Person nach der Richtlinie ben: Erstens erfolgt durch Suchmaschinen verlangen kann, dass Links zu rechtmässig eine zusätzliche Beeinträchtigung der Grund- veröffentlichten Webseiten vom Suchmaschi- rechte24, zweitens unterliegen die Herausge- nenbetreiber entfernt werden, weil sie ber dieser Webseiten nicht zwingend dem wünscht, dass die darin über sie enthaltenen Unionsrecht25, drittens können diese Websei- Informationen nach einer gewissen Zeit ver- ten unter dem Schutz des Journalistenprivilegs gessen werden. gemäss Art. 9 der Richtlinie stehen26 und vier- tens kann die Interessenabwägung je nach- 17 Der Gerichtshof hält zunächst unter Verweis dem, ob es sich um einen Suchmaschinenbe- auf Art. 6 der EU-Datenschutzrichtlinie fest, treiber oder den Websitebetreiber handelt, an- «dass auch eine ursprünglich rechtmäßige ders ausfallen27. Verarbeitung sachlich richtiger Daten im ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 24 Buchst. c und d zu antworten, dass Art. 12 Buchst. Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 83. 25 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 84. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 95/46 26 dahin auszulegen sind, dass der Suchmaschinenbe- Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 85. 27 treiber zur Wahrung der in diesen Bestimmungen Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 86; dies vorgesehenen Rechte, sofern deren Voraussetzun- deshalb, weil «[d]ie Aufnahme einer Internetseite gen erfüllt sind, dazu verpflichtet ist, von der Er- [...] in die Liste mit den Ergebnissen einer anhand gebnisliste, die im Anschluss an eine anhand des des Namens der betreffenden Person durchgeführ- Namens einer Person durchgeführte Suche ange- ten Suche [...] einen stärkeren Eingriff in das zeigt wird, Links zu von Dritten veröffentlichten Grundrecht auf Achtung des Privatlebens der be- Internetseiten mit Informationen zu dieser Person troffenen Person darstellen [kann] als die Veröf- zu entfernen, auch wenn der Name oder die Infor- fentlichung durch den Herausgeber der Internet- mationen auf diesen Internetseiten nicht vorher o- seite.» (Rn. 87). der gleichzeitig gelöscht werden und gegebenen- 28 Ungekürzt lautet das Fazit im Urteil des EuGH falls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf vom 13. Mai 2014, Rn. 88: «Somit ist auf Frage 2 den Internetseiten als solche rechtmäßig ist.» sui-generis 2014, S. 6
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen Gericht aufgeworfene Frage, ob die betroffene der Richtlinie entsprechen kann, wenn die Da- Person die Indexierung verhindern kann32, ten für die Zwecke, für die sie erhoben oder nicht beantwortet wird. verarbeitet worden sind, nicht mehr erforder- lich sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn 19 Bezogen auf den konkreten Fall hält der Ge- sie diesen Zwecken in Anbetracht der verstri- richtshof abschliessend fest, dass «die be- chenen Zeit nicht entsprechen, dafür nicht o- troffene Person wegen der Sensibilität der in der nicht mehr erheblich sind oder darüber diesen Anzeigen enthaltenen Informationen hinausgehen»29. Die Pflicht zur Löschung der für ihr Privatleben und weil die ursprüngliche betreffenden Informationen und Links der Er- Veröffentlichung der Anzeigen 16 Jahre zu- gebnisliste auf Antrag der betroffenen Person rückliegt, ein Recht darauf hat, dass diese In- gelte somit auch für rechtmässig veröffent- formationen nicht mehr durch eine solche Er- lichte Internetseiten, die wahrheitsgemässe In- gebnisliste mit ihrem Namen verknüpft wer- formationen enthalten30. den»33. 18 Es folgt dann die bereits bekannte Abwägung, III. Die Beurteilung durch den Generalanwalt die eigentlich keine ist: «Da die betroffene 20 Im Unterschied zum Urteil des EuGH finden Person in Anbetracht ihrer Grundrechte aus den Art. 7 und 8 der Charta verlangen kann, sich in den Schlussanträgen des Generalan- dass die betreffende Information der breiten walts vom 25. Juni 2013 ausführliche Überle- Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung gungen zur grundrechtlichen Dimension die- in eine derartige Ergebnisliste zur Verfügung ses Falles34. gestellt wird, ist [...] davon auszugehen, dass 21 In den Vorbemerkungen weist der Generalan- diese Rechte grundsätzlich nicht nur gegen- über dem wirtschaftlichen Interesse des Such- walt zunächst darauf hin, dass der Gerichtshof maschinenbetreibers, sondern auch gegenüber gehalten ist, «bei der Auslegung des Anwen- dem Interesse der breiten Öffentlichkeit da- dungsbereichs der Richtlinie Vernunft walten ran, die Information bei einer anhand des Na- zu lassen, mit anderen Worten den Grundsatz mens der betroffenen Person durchgeführten der Verhältnismäßigkeit anzuwenden, um un- Suche zu finden, überwiegen»31. Auch hier angemessene und übermäßige Rechtsfolgen wird als einzige Ausnahme das Interesse an zu vermeiden»35. Sodann verneint er die Personen des öffentlichen Lebens genannt. Zudem fällt auf, dass die vom vorlegenden ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 29 gener Informationen zu verhindern, die auf Websi- Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 93. 30 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 94. tes Dritter veröffentlicht sind, und sie sich hierzu 31 auf ihren Willen berufen kann, dass sie den Inter- Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 97. 32 netnutzern nicht bekannt werden, wenn sie der An- Die Frage lautet gemäss Urteil des EuGH C- sicht ist, dass sie ihr schaden können, oder sie sich 131/12 vom 13. Mai 2014, Rn. 20: «Sind das wünscht, dass sie vergessen werden, selbst wenn es Recht auf Löschung und Sperrung personenbezo- sich um Informationen handelt, die von Dritten gener Daten gemäß Art. 12 Buchst. b der Richtli- rechtmäßig veröffentlicht wurden?». nie 95/46 und das Recht auf Widerspruch gegen 33 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 98. eine Verarbeitung gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. a 34 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni der Richtlinie 95/46 dahin auszulegen, dass sich die betroffene Person an die Suchmaschinenbetrei- 2013, Rn. 112-137. 35 ber wenden kann, um die Indexierung auf sie bezo- Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 30. sui-generis 2014, S. 7
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen Frage, ob die E-Commerce-Richtlinie36 auch wendungsbereich der EU-Datenschutzrichtli- auf Suchmaschinen anwendbar sei, weist aber nie und schliesslich zur Frage bezüglich eines gleichzeitig darauf hin, dass ihre Stellung der betroffenen Person zustehenden «Rechts trotzdem «anhand der Rechtsgrundsätze zu auf Vergessenwerden» geäussert. Während prüfen [ist], die für die eingeschränkte Verant- das Gericht seiner Einschätzung zum räumli- wortlichkeit der Internetdiensteanbieter gel- chen Anwendungsbereich folgte40, wich es ten»37. bereits beim sachlichen Anwendungsbereich von den Anträgen des Generalanwalts, der 22 Der Gerichtshof hat in seinem Urteil die Frage diesen verneint, ab. Da es sich um ein Vor- der Anwendbarkeit dieser Richtlinie nicht auf- abentscheidungsverfahren zur Auslegung der gegriffen. Dies erstaunt, zumal die Richtlinie Datenschutzrichtlinie handelt, mussten die Haftungsfreistellungsregeln für verschiedene Fragen auch hier an einzelnen Begriffen der «Dienste der Informationsgesellschaft» ent- entsprechenden Bestimmungen aufgehängt hält38 und ihre (analoge) Anwendbarkeit auf werden. Zunächst wird in den Schlussanträ- Suchmaschinen umstritten ist. Verschiedene gen die Anwendbarkeit des Begriffs «perso- Mitgliedstaaten der EU haben bei der Umset- nenbezogene Daten» auf einen Suchmaschi- zung der Richtlinie in ihr nationales Recht ex- nenbetreiber untersucht und ohne weiteres be- plizit Haftungsfreistellungen auch für Such- jaht41. maschinen erlassen39. 24 Eine erste zentrale Abweichung zum Urteil 1. Suchmaschinenbetreiber ist kein «für die des EuGH findet sich dann aber in der Auffas- Verarbeitung Verantwortlicher» sung des Generalanwalts, wonach ein Such- 23 maschinenbetreiber hinsichtlich personenbe- Im Weiteren hat sich der Generalanwalt aus- zogener Daten auf Quellenwebseiten Dritter führlich zum räumlichen und sachlichen An- kein «für die Verarbeitung Verantwortlicher» ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 36 kommt Ungarn, das die E-Commerce-Richtlinie Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 8. Juni 2000 über be- mit dem «2001. évi CVIII. törvény az elektronikus stimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Infor- kereskedelmi szolgáltatások, valamint az in- mationsgesellschaft, insbesondere des elektroni- formációs társadalommal összefüggõ szolgál- schen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt («Richt- tatások egyes kérdéseirõl» (Act CVIII of 2001 on linie über den elektronischen Geschäftsverkehr») certain issues of electronic commerce services and (ABl. L 178, S. 1–16). information society services) umgesetzt und dabei 37 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni auch die Haftung von Suchmaschinen analog den 2013, Rn. 38. Bestimmungen für Hosting-Provider geregelt hat. 40 38 Art. 12 («Reine Durchleitung», u.a. Access Provi- Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni der), Art. 13 («Caching») und Art. 14 («Hosting») 2013, Rn. 68; Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, E-Commerce-Richtlinie. Rn. 60. 41 39 Erster Bericht über die Anwendung der Richtlinie Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des 2013, Rn. 75: «Es versteht sich von selbst, dass die Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche in den vorstehenden Nummern dargestellten Vor- Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, gänge als Verarbeitungen der personenbezogenen insbesondere des elektronischen Geschäftsver- Daten gelten, die sich auf den von der Suchma- kehrs, im Binnenmarkt, Fn. 69: «Spanien und Por- schine kopierten, indexierten, gespeicherten und tugal haben sich hinsichtlich Suchmaschinen und angezeigten Quellenwebseiten befinden. Insbeson- Hyperlinks für das Vorbild des Artikels 14 ent- dere umfassen sie das Erheben, das Speichern, die schieden, während Österreich und Liechtenstein Organisation und die Aufbewahrung solcher perso- Artikel 12 als Vorbild für Suchmaschinen und Ar- nenbezogenen Daten [...]». tikel 14 für Hyperlinks gewählt haben.» Hinzu sui-generis 2014, S. 8
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen ist42. Der Generalanwalt verweist in seiner Be- genommen … die Benutzer des Suchma- gründung zur Verneinung dieser Frage auf ein schinendienstes ebenfalls als für die Ver- anschauliches Beispiel: arbeitung Verantwortliche angesehen werden [könnten]›, zeigt, zu welch unsin- «Zu denken ist etwa an einen Professor nigen Ergebnissen eine nicht hinterfragte für Europarecht, der von der Website des wortwörtliche Auslegung der Richtlinie Gerichtshofs die wesentliche Rechtspre- im Kontext des Internets führen kann. chung des Gerichtshofs auf seinen Laptop Der Gerichtshof darf keiner Auslegung herunterlädt. Nach der Richtlinie lässt folgen, die praktisch jede Person, die ein sich dieser Professor als ein ‹für die Ver- Smartphone, ein Tablet oder einen Lap- arbeitung Verantwortlicher› im Hinblick top besitzt, zu einem für die Verarbeitung auf personenbezogene Daten bezeichnen, von im Internet veröffentlichten perso- die von einem Dritten stammen. Der Pro- nenbezogenen Daten Verantwortlichen fessor besitzt Dateien mit personenbezo- macht»45. genen Daten, die bei der Suche und Ab- frage im Rahmen von nicht ausschließ- 25 Der Generalanwalt schlägt zur Lösung des lich persönlichen oder familiären Tätig- Problems folgendes Verständnis des Begriffs keiten automatisiert verarbeitet werden. «für die Verarbeitung Verantwortlicher» vor: Tatsächlich dürfte heutzutage wohl jeder, Der für die Verarbeitung Verantwortliche der eine Zeitung auf einem Tablet liest o- muss die Verantwortung für die personenbe- der soziale Medien auf einem Smart- zogenen Daten tragen, d.h. ihm muss «die phone verfolgt, eine Verarbeitung perso- Existenz einer bestimmten definierten Kate- nenbezogener Daten mit Hilfe automati- gorie von Informationen, die personenbezo- sierter Verfahren vornehmen und könnte gene Daten darstellen», nicht nur bekannt in den Anwendungsbereich der Richtlinie sein, er muss diese Daten darüber hinaus in ih- fallen, soweit dieser Vorgang in nicht rer Eigenschaft als personenbezogene Daten ausschließlich privater Eigenschaft aus- verarbeiten wollen46. Für diese Auffassung geführt wird»43. sprächen sowohl die Systematik der Richtli- nie, als auch die meisten Sprachfassungen und «Entscheidet der in meinem obigen Bei- schliesslich die Ausgestaltung der einzelnen spiel genannte Professor für Europarecht Pflichten, die die Richtlinie dem für die Ver- über die Zwecke und Mittel der Verarbei- arbeitung Verantwortlichen auferlegt47. Ge- tung von personenbezogenen Daten, die stützt auf diese Auslegung kommt der Gene- in den auf seinen Laptop heruntergelade- ralanwalt zum Ergebnis, dass ein Suchmaschi- nen Urteilen des Gerichtshofs enthalten nenbetreiber hinsichtlich personenbezogener sind? Die Feststellung der Artikel-29-Da- Daten auf Quellenwebseiten Dritter kein für tenschutzgruppe[44], der zufolge ‹[s]treng die Verarbeitung Verantwortlicher ist, weil ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 42 45 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 83 ff. 2013, Rn. 81. 43 46 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 29. 2013, Rn. 82. 44 47 Die Artikel-29-Datenschutzgruppe wurde im Rah- Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni men der EU-Datenschutzrichtlinie eingerichtet. Sie 2013, Rn. 82. ist eine beratende und unabhängige Instanz. sui-generis 2014, S. 9
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen bei der Verarbeitung von dieser Seiten zum betroffenen Person52. Zwecke des Durchsuchens, Analysierens und Indexierens personenbezogene Daten nicht in 28 Zunächst weist der Generalanwalt darauf hin, besonderer Weise hervorstechen48. dass der Suchmaschinenbetreiber, sofern er als für die Verarbeitung Verantwortlicher qua- 26 Nach Ansicht des Generalanwalts wäre vom lifiziert würde, «seine Funktion als Vermittler Grundsatz der Qualifikation des Suchmaschi- zwischen den Nutzern und dem Urheber auf- nenbetreibers als nicht für die Verarbeitung geben und die Verantwortung für den Inhalt Verantwortlicher eine Ausnahme zu machen, der Quellenwebseite übernehmen und erfor- wenn dieser die exclusion codes in den Quel- derlichenfalls diesen Inhalt zensieren lenwebseiten nicht beachtet49. Es handelt sich [müsste], indem er den Zugriff darauf verhin- dabei um eine technische Möglichkeit zur dert oder beschränkt»53. Nichterfassung von Websites. Dazu wird im Stammverzeichnis der Domain eine Textdatei 29 Sodann verneint der Generalanwalt die Exis- mit Namen robots.txt angelegt, welche nach tenz eines Rechts auf Vergessenwerden mit einem vorgegebenen Schema abgefasste An- der Begründung, dass ein solches als wichtige weisungen an Suchmaschinen enthält. Auf rechtliche Neuerung im Vorschlag der EU- diesem Weg können einzelne Verzeichnisse Kommission für eine Datenschutz-Grundver- und Verzeichnisbäume oder auch der gesamte ordnung54 vorgesehen ist und dementspre- Inhalt einer Domain der Erfassung durch alle chend im Urteilszeitpunkt noch nicht existie- oder einzeln definierte Suchmaschinen entzo- ren kann55. Im Anschluss daran prüft er, ob gen werden50. diese Auslegung der Bestimmungen mit der Charta der Grundrechte der Europäischen 2. Meinungsäusserungs- und Informations- Union vereinbar ist. Nach einer kurzen Dar- freiheit geopfert stellung des Rechts auf Schutz personenbezo- 27 gener Daten (Art. 8 der Charta) und auf Ach- Anders als das Gericht beurteilt der General- tung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 anwalt auch die letzte und zentrale Frage, d.h. der Charta) geht er auf die Meinungsäusse- die Verantwortlichkeit des Suchmaschinenbe- rungs- und Informationsfreiheit (Art. 11 der treibers. Er verzichtet dabei auch auf die Charta) ein, die im Urteil des EuGH nicht er- schwer verständliche Unterscheidung zwi- wähnt werden. Art. 11 der Charta schützt nicht schen dem Umfang der Verantwortlichkeit nur das Recht der Internetnutzer, im Internet des Suchmaschinenbetreibers nach der EU- verfügbare Informationen zu suchen und zu Datenschutzrichtlinie51 und dem Umfang der durch die Richtlinie garantierten Rechte der ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 48 52 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 89-99. 2013, Rn. 84. 53 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 49 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 109. 2013, Rn. 91 ff. 54 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen 50 Weiterführend: Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher 2012, § 5, I, 4. Zur Begründung einer entsprechen- Personen bei der Verarbeitung personenbezogener den Sorgfaltspflicht der Suchmaschinenbetreiber Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz- hinsichtlich der Beachtung von exclusion codes: Grundverordnung) (KOM[2012] 11 endgültig). ebenda, § 11, I, 2. 55 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 51 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 62-88. 2013, Rn. 110. sui-generis 2014, S. 10
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen empfangen, sondern auch die Meinungsäusse- ein Gleichgewicht gebracht werden kön- rungsfreiheit der Webseitenurheber56. Die nen und dass die Entscheidung dem Inter- Suchmaschinenbetreiber ihrerseits beabsichti- netsuchmaschinen-Diensteanbieter über- gen, Werbeeinnahmen zu erzielen und ma- lassen bleibt. Derartige Verfahren zur chen daher von der unternehmerischen Frei- Meldung und Entfernung, sollte der Ge- heit (Art. 16 der Charta) Gebrauch57. richtshof sie vorschreiben, werden wahr- scheinlich entweder zu einer automati- 30 Im Unterschied zum EuGH nimmt der Gene- schen Löschung von Links zu beanstan- ralanwalt in seinen Schlussanträgen eine Ab- deten Inhalten oder zu einer von den be- wägung der einenader gegenüberstehenden liebtesten und wichtigsten Internetsuch- Grundrechte vor. Dabei verweist er zunächst maschinen-Diensteanbietern nicht zu be- auf ein Urteil des EGMR, gemäss dem auch wältigenden Anzahl von entsprechenden eine Beschränkung der Wiedergabe von Infor- Anträgen führen. [...] mationen, die bereits in die öffentliche Sphäre gelangt sind, unter bestimmten Umständen Vor allem sollten die Internetsuchmaschi- gerechtfertigt sein kann58. Demgegenüber nen-Diensteanbieter nicht mit einer sol- hebt er hervor, dass die mittels einer Suchma- chen Pflicht belastet werden. Es käme zu schine betriebene Suche zu den wichtigsten einem Eingriff in die Freiheit der Mei- Formen der Ausübung des Grundrechts auf nungsäußerung des Webseitenurhebers, Informationsfreiheit gehört59. Dann folgen die der in einem solchen Fall ohne angemes- zentralen Erwägungen: senen Rechtsschutz bliebe, da ein ungere- geltes Verfahren zur Meldung und Ent- «Angesichts der besonders komplexen fernung eine privatrechtliche Angelegen- und schwierigen Grundrechtskonstella- heit zwischen der betroffenen Person und tion im vorliegenden Fall lässt es sich dem Suchmaschinen-Diensteanbieter nicht rechtfertigen, die nach Maßgabe der wäre. Dies liefe auf eine Zensur der vom Richtlinie bestehende Rechtsstellung der Urheber veröffentlichten Inhalte durch ei- betroffenen Personen zu verstärken und nen Privaten hinaus. Auf einem ganz an- um ein Recht auf Vergessenwerden zu er- deren Blatt steht hingegen, dass den Staa- gänzen. Andernfalls würden entschei- ten die Handlungspflicht obliegt, gegen dende Rechte wie die Freiheit der Mei- einen das Recht auf Privatleben verlet- nungsäußerung und die Informationsfrei- zenden Verleger einen wirksamen heit geopfert. Ich möchte dem Gerichts- Rechtsbehelf vorzusehen, der im Kontext hof auch abraten, in seinem Urteil zu dem des Internets gegen den Webseitenurhe- Ergebnis zu gelangen, dass diese einander ber gerichtet wäre.»60 widerstreitenden Interessen im jeweiligen Einzelfall auf zufriedenstellende Weise in 31 Diese Überlegungen werden vom EuGH in seinem Urteil mit keinem Wort erwähnt. ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 56 EGMR 24061/04 vom 16. Dezember 2010 (Alek- Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 121 f. sey Ovchinnikov gegen Russland), § 50. 57 59 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 124. 2013, Rn. 131. 58 60 Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni Schlussanträge des Generalanwalts vom 25. Juni 2013, Rn. 127, mit Verweis auf das Urteil des 2013, Rn. 133 f. (Hervorhebung hinzugefügt). sui-generis 2014, S. 11
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen IV. Offene Fragen Wie verhält es sich nun aber z.B. beim Zugang 32 zu einer Information über ein Strafverfahren? Nach dem Urteil des EuGH stellt sich eine Nach Angaben von Google stehen 12 Prozent ganze Reihe von Fragen, von denen im Fol- der Löschanfragen im Zusammenhang mit genden einige herausgegriffen werden. Festnahmen wegen Kinderpornografie63. 1. Kriterien zur Entfernung 2. Betroffene Dienste 33 Der EuGH argumentiert bei der Bejahung des 35 Im Nachgang zum Urteil wurde darüber dis- Rechts auf Löschung des beanstandeten Tref- kutiert, welche Auswirkungen dieses auf fers durch den Suchmaschinenbetreiber nebst Dienste wie Twitter, Facebook oder auch Wi- der Sensibilität der Information damit, dass kipedia haben wird. Hierzu ist zunächst fest- die ursprüngliche Veröffentlichung der An- zuhalten, dass im Urteil jeweils von der Er- zeigen 16 Jahre zurückliegt61. Damit stellt sich gebnisliste, die im Anschluss an eine anhand die Frage, ob der Zugang zu Informationen ab des Namens durchgeführte Suche angezeigt einem gewissen Alter generell weniger stark wird, die Rede ist. Suchfunktionen und Ergeb- von der Informationsfreiheit geschützt wird. nislisten werden aber von zahlreichen Diens- Sodann bleibt auch offen, ob nur eindeutig ne- ten der Informationsgesellschaft angeboten, gative Informationen auf Verlangen zu entfer- sodass eine Geltung des Urteils z.B. für Twit- nen sind, oder ob z.B. auch die Verlinkung ei- ter und Facebook prima vista naheliegend er- ner Seite, die Informationen über das hohe scheint. Einkommen einer Person enthält, unterbunden werden kann. 36 Schwieriger zu beantworten ist dagegen die 34 Frage, welche Auswirkungen das Urteil auf Ein weiteres Problem ist darin zu erblicken, Wikipedia haben wird, zumal auch hier im dass eine Seite gleichzeitig unerwünschte und Anschluss an eine Namenssuche Ergebnislis- erwünschte Informationen enthalten kann. ten angezeigt werden64, sofern der Name in- Vor diesem Hintergrund ist auch darauf hin- nerhalb von Wikipedia nicht einmalig ist. Im zuweisen, dass ein kartellrechtlicher An- letzteren Fall wird man dagegen direkt zum spruch auf Aufnahme in den Index marktbe- entsprechenden Artikel weitergeleitet65. Die herrschender Suchmaschinen besteht62. Anwendbarkeit der Entscheidung auf Wikipe- Schliesslich enthält das Urteil auch kaum dia kann aber kaum davon abhängig gemacht Leitlinien für die durch den Suchmaschinen- werden, ob der Weg zu einer sensiblen Infor- betreiber vorzunehmende Güterabwägung. mation über eine Ergebnisliste führt oder Das Gericht nennt die Rolle der betreffenden nicht. Insofern sind die Sorgen des Wikipedia- Person im öffentlichen Leben als einen mög- Gründers66 nicht unberechtigt. lichen besonderen Grund, der das Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu der Information als gewichtiger erscheinen lässt. ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 61 65 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 98. Beispiel: http://de.wikipedia.org/wiki/Till_Linde- 62 mann. Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern 2012, § 11, III. 63 66 Siehe dazu den Beitrag vom 10. Juni 2014 auf go- Siehe dazu den Tweet von Jimmy Wales vom 13. lem.de: Google will auf gelöschte Links hinwei- Mai 2014: «When will a European Court demand sen. that Wikipedia censor an article with truthful infor- 64 Beispiel: http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Meier. mation because an individual doesn't like it?». sui-generis 2014, S. 12
Daniel Hürlimann, Das Google-Urteil des EuGH und die Entfernungspflicht von Suchmaschinen 37 Während es sich bei Twitter, Facebook und Suchmaschinenbetreiber dürfte es aber von Wikipedia um Dienste mit einer grossen Interesse sein, solche Anträge zu bündeln, in- Reichweite handelt, ist fraglich, welche Aus- dem er ein entsprechendes Online-Formular wirkungen das Urteil auf Suchmaschinen oder bereitstellt. Sofern er dies tut, stellt sich in ei- Dienste mit Suchfunktionen mit kleinerer nem weiteren Schritt die Frage, ob auf ande- Reichweise zeitigen wird. Der EuGH argume- rem Weg eingereichte Anträge ebenfalls bear- tiert in nachvollziehbarer Weise damit, dass beitet werden müssen oder nicht. M.E. kann die Wirkung des Grundrechtseingriffs durch der Suchmaschinenbetreiber löschwillige die bedeutende Rolle des Internets und der Nutzer auf sein Online-Formular verweisen, Suchmaschinen in der modernen Gesellschaft sofern dieses einfach auszufüllen ist und nicht gesteigert wird67. Dies gilt aber nur für Such- standardmässig unnötige Angaben wie z.B. maschinen mit einer gewissen Reichweite, ein Geburtsdatum verlangt werden71. d.h. mit einem grossen Marktanteil; andern- falls würde auch die Suchfunktion der im Ver- 40 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob fahren betroffenen Tagesezeitung darunter Google für den Identitätsnachweis ein identi- fallen. Betrachtet man nun die Marktanteile fizierendes Dokument für obligatorisch erklä- von Suchmaschinen in Europa, ist die Vor- ren darf72 oder ob nicht z.B. der Nachweis, machtstellung von Google (92%68) noch viel dass man über eine entsprechend E-Mail-Ad- deutlicher als im weltweiten Vergleich (ca. resse verfügt, genügen müsste. 69%69). Offen ist, inwiefern das Urteil auch für die nächstgrösseren Suchmaschinen wie 41 Nachdem der EuGH eine Entfernungspflicht z.B. Bing oder Yahoo gilt, deren Marktanteil bejaht hat und Google ein entsprechendes For- in Europa im tiefen einstelligen Prozentbe- mular anbietet, wird es voraussichtlich zahl- reich liegt. reiche Entfernungsanträge geben, deren ei- gentliches Ziel die vollständige Entfernung 38 Gänzlich infrage gestellt ist schliesslich das aus dem Internet sein müsste. Wenn z.B. je- Geschäftsmodell von Personensuchmaschi- mand im Rahmen einer beruflichen Neuorien- nen wie z.B. yasni.ch oder vebidoo.de (123pe- tierung ein Profil auf der Webseite einer Mo- ople hat seine Tätigkeit im April 2014 einge- delagentur eingerichtet, sich dann aber später stellt70). doch gegen diese Richtung entschieden hat, wird er den Auftritt auf dieser Seite womög- 3. Form der Mitteilung lich bereuen. Der naheliegendste Weg wäre 39 eine entsprechende Aufforderung an die Be- In seinem Urteil hat sich der EuGH nicht dazu treiberin der Modelagentur. Bequemer ist je- geäussert, auf welchem Weg Löschanträge an doch das Ausfüllen des Entfernungsformulars die Suchmaschinenbetreiber zu übermitteln von Google und nach dem Urteil des EuGH sind. Naheliegend ist der Versand einer ent- wird dieser Entfernungsantrag unabhängig sprechenden Anfrage per E-Mail. Für den ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– 67 71 Urteil des EuGH vom 13. Mai 2014, Rn. 80. Suchmaschinenhaftung, Diss. Bern 2012, 68 § 12, II, 1. European Travel Commission, European Search 72 Engine Users. Vgl. dazu das Online-Formular «Antrag auf Ent- 69 fernung aus den Suchergebnissen gemäß Europäi- Netmarketshare, Global Desktop Search Engine Market Share, May, 2014. schem Datenschutzrecht». 70 deutsche-startups.de vom 22. April 2014, Perso- nensuchmaschine 123people geht vom Netz. sui-generis 2014, S. 13
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