DIASPORA STARK IN DER - Evangelische Kirche in Niederösterreich

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DIASPORA STARK IN DER - Evangelische Kirche in Niederösterreich
NR. 3/2019

      STARK IN DER
 DIASPORA
 Nach der Freiheit greifen

THEMA                           BLICK VON AUSSEN
ULRICH H. J. KÖRTNER:           ANDREAS DANZER ÜBER
EVANGELISCHE FREIHEIT           „FREIHEIT‟ VON GEORG DANZER

FOCUS                           ANDERSWO
JULIA SCHNIZLEIN:               ONDREJ PROSTREDNIK
DIGITALE KIRCHE MIT HERZ        UND ANNA POLCKOVA:
                                FREIHEIT IN BRATISLAVA
SCHAUPLATZ
DIE ERBEN DES TOLERANZPATENTS
DIASPORA STARK IN DER - Evangelische Kirche in Niederösterreich
E   D I   T   O   R   I   A   L

    ▶ unter uns …                                 Freiheit einzutre-
                                                  ten und vor allem
                                                  für die des ande-
      Die evangelischen Kirchen in Österreich     ren.
      sind aufgrund der Geschichte Minder-        Im thema gibt

                                                                                                Foto: epd/ uschmann
      heitenkirchen. Diese Diaspora-Situation     Prof. Ulrich H. J.
      prägt unser Gemeindeleben, unsere Got-      Körtner        einen
      tesdienste und ist besonders beim Reli-     Überblick       über
      gionsunterricht spürbar.                    die „Freiheit vor
      Dennoch brauchen wir uns nicht klein        Gott. Evangeli-
      und schwach zu fühlen. In einer Dia­spora   sche Freiheit‟. Dass es unsere Grundauf-
      entsteht durch die unterschiedliche An-     gabe ist, die „Menschen dort abzuholen,
      forderung viel an Gemeinschaft und Zu-      wo sie sind‟, v. a. in den sozialen Me-
      sammenhalt, ja an Stärke. „Stark in der     dien, zeigt Julia Schnizlein im Gespräch
      Diaspora‟ – so lautet unser diesjähriges    mit ­Astrid Schweighofer auf, zu lesen im
      Jahresthema von superNews. In den           ­focus.
      nächsten Ausgaben fragen wir nach dem,       „Schauen wir uns die Evangelischen ein-
      was uns Evangelische ausmacht.               mal an‟ – diese Erfahrung beschreibt
      Mit der vor Ihnen liegenden Ausgabe          Erich Witzmann im schauplatz. Er stellt
      „greifen wir nach der Freiheit‟. Der Ge-     sich auch mit Hubert Arnim-Ellissen im
      danke der Freiheit war und ist für die       standpunkt dem Gedanken: Nach der
      Kirchen der Reformation von zentraler        Freiheit greifen. Weiters widmet sich der
      Bedeutung. Martin Luther zeigt mit sei-      blick von außen dem bekannten Lied
      nem berühmten Satz vor dem Reichstag         von Georg Danzer „Freiheit‟. Werner
      in Worms diese Haltung der Freiheit: „Ich    Sejka traf dazu den Sohn des Lieder-
      stehe hier, ich kann nicht anders. Gott      machers. Und wie es anderswo mit der
      helfe mir. Amen.‟                            „Freiheit‟ ausschaut, erzählen eine Pfar-
      Dieser Satz drückt – auch wenn er wahr-      rerin und ein Pfarrer der evangelischen
      scheinlich nicht so wortwörtlich gefal-      Pfarrgemeinde in Bratislava.
      len ist – Haltung aus: Die Freiheit eines    Nicht fehlen dürfen Berichte von der
      Christen – aktueller denn je –, die Frei-    ­kirche in nö, der militärseelsorge, mit
      heit, die Jesus Christus uns schenkt,         dem gemeindemosaik, einem Lite­
      die Konsequenz daraus, für die eigene         raturtipp und den nächsten Terminen.
                                                    Gedanken zu den vor uns stehenden Na-
                                                    tionalratswahlen gibt auch das noch
                                                    auf den Weg, nach dem ­Motto: Die Frei-
                      Von der Freiheit
                  eines Christenmenschen            heit zu bestimmen, wohin die Geschichte
                                                    geht.
                                                    Greifen Sie nach der „Freiheit‟, denn
                                                    sonst passiertʼs: Man sperrt sie ein, und
                                                    augenblicklich ist sie weg!

                                                  Ihre/Eure
                                                                 Pfarrerin Birgit Lusche
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S   U   P   E   R   I   N   T   E   N   D   E   N   T

▶ Die Blattlinie der superNews
 Durch die Neuwahl der kirchlichen Gre-        Natürlich      gibt
 mien im Jahr 2018 sind viele neue Lese-       es in den super-
 rinnen und Leser der superNews hinzu-         News      Berichte
 gekommen. Wir vom Redaktionsteam              über Ereignisse
 hoffen, dass Sie in den letzten Nummern       in Pfarrgemein-
 einige interessante Artikel und Berichte      den und über
 gefunden haben.                               diözesane Veran-
 Besonders für die Newcomer, aber auch         staltungen. Es gibt auch Ankündigungen
 für die erfahrene Leser/innenschaft,          über Zukünftiges. Jedoch sind die super-
 möchte ich an dieser Stelle darlegen,         News nicht im Kern ein Berichts- und Mit-
 wozu wir die superNews schreiben – was        teilungsblatt.
 also die Blattlinie ist.                      Die superNews wollen vielmehr qualitäts-
 Die superNews sind kurz nach seinem           volle, überlegte kirchliche Arbeit ermög-
 Amtsantritt auf Initiative von SI Paul Wei-   lichen statt (nur) darüber zu berichten.
 land entstanden. Die erste Ausgabe er-        Gleichberechtigte Verantwortung aller
 schien nur wenige Monate nach seinem          Christ/inn/en gehört zum evangelischen
 Amtsantritt Anfang 1999. Paul Weiland         Verständnis von Kirche unbedingt dazu.
 sagte im Interview damals: „Einerseits        Darum gestalten Ehrenamtliche die Kir-
 soll ,superNewsʻ über wichtige Anliegen       che auf Augenhöhe mit Pfarrer/inne/n.
 und Angelegenheiten aus den Gemeinden         Weil Verantwortung anspruchsvoll ist,
 und der Diözese informieren, und zwar         braucht sie aber eine Basis. Denn idea-
 über den Kreis von Pfarrern und Kurato-       lerweise werden Entscheidungen nicht al-
 ren hinaus. Andererseits soll es dazu bei-    lein aufgrund von Emotionen oder Traditi-
 tragen, das Gemeinschafts­     bewusstsein    onen, sondern aufgrund von Wissen und
 zu stärken oder überhaupt erst be-            Bildung getroffen. Die superNews wollen
 wusst zu machen bzw. ist ,superNewsʻ          zur Bildung beitragen, indem sie in jedem
 ein Teil der Vernetzung unserer nieder­       Heft ein Thema „umkreisen‟, das (zumin-
 österreichischen Gemeinden.‟                  dest aus Sicht des Redaktionsteams) für
 Es ging um Vernetzung und Information         Evangelische in Niederösterreich relevant
 unter den Evangelischen in Niederöster-       ist.
 reich. Und: Die superNews waren von           Die Beiträge der superNews sollen eine
 Anfang an kein Werkzeug der Öffentlich-       inhaltliche Hilfe für Ihre ehrenamtliche
 keitsarbeit nach außen, sondern sie rich-     Tätigkeit in den Pfarrgemeinden und Ar-
 teten sich an die Mitarbeitenden, also ins    beitsbereichen sein. Mit einem Zugewinn
 Innere der Kirche.                            an Wissen und Nachdenken wollen wir
 Dieser Linie sind die superNews bis heute     Menschen zur (ehrenamtlichen) Arbeit
 treu geblieben.                               und zu Entscheidungen ermächtigen.
 Darüber hinaus hat sich jedoch noch ein
 weiterer, für mich vielleicht der entschei-   Ihr/Euer
 dende, Aspekt herausgebildet, der die                                Superintendent
 superNews ausmacht.                                          Lars Müller-Marienburg
                                                                                                      3
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        ▶                 Freiheit vor Gott
                        Evangelische Freiheit
                                          Ulrich H. J. Körtner

                                                     ausartet? Ist nicht der Preis grenzenloser
                                                     Freiheit die Einsamkeit dessen, der sich
                                                     an nichts und niemanden gebunden wis-
                                                     sen will?

                                                     Das Christentum versteht sich als Religi-
                                                     on der Freiheit. Sie setzt voraus, dass der
                                                     Mensch von Haus aus keineswegs frei,
                                                     sondern vielfältigen Zwängen ausgesetzt
                                                     ist, nicht nur äußerlich, sondern auch in-
                                                     nerlich. Der Glaube an Gott, der Glaube
                                                     an Jesus Christus – so heißt es – macht
                                                     den Menschen wahrhaft frei, frei von al-
                                                     ler Selbstsorge und Lebensangst, frei von
                                                     allen inneren Zwängen, frei von Schuld
                                                     und Zukunftsangst. Aber ist dem Verspre-
                                                     chen, Freiheit durch Religion zu erlangen,
                                                     nicht zu misstrauen? Freiheit durch Gott,
                                                     Freiheit vor Gott? Muss es nicht heißen:
                                                     Freiheit von Gott? Macht nicht jede Reli-
                                                     gion, gleich welche, unfrei und abhängig?
                                                     So lautet der Vorwurf der Religionskritik.
        Freiheit, so lautet eine geläufige Formel,   Sigmund Freud spricht von einer kollekti-
        heißt tun und lassen können, was man         ven Zwangsneurose.
        will. Frei sein bedeutet demnach, durch
        nichts und niemanden bevormundet             Tatsächlich kann Religion zwanghafte
        zu werden, ganz und gar sein eigener         Züge tragen und in Gesetzlichkeit erstar-
        Herr sein, selbstbestimmt, autonom. Die      ren; in strengen Regeln, die es zu befol-
        Sehnsucht nach grenzenloser Freiheit ist     gen gilt und die Menschen vorschreiben,
        tief in uns Menschen verankert. In der       was erlaubt und verboten ist. Gott er-
        Urlaubszeit meldet sie sich besonders        scheint dann als strenger und strafender
        stark. „Über den Wolken mag die Freiheit     Gesetzgeber, in dessen Namen Menschen
        wohl grenzenlos sein‟, heißt es in einem     unterdrückt werden. Auch politisch kann
        bekannten Chanson von Reinhard Mey.          Religion zum Instrument der Unterdrü-
        Aber grenzenlose Freiheit bleibt letztlich   ckung und zur Ideologie missraten.
        ein unerfüllter Traum. Oder ist sie viel-
        leicht sogar ein Albtraum, weil sie über     Zwischen Gott und Religion als mensch-
        kurz oder lang in Willkür und Egoismus       licher Suche nach ihm, zwischen Gottes
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T   H   E   M   A

Anrede an den Menschen und Religion als     Erfahrung des Apostels Paulus in der
Versuch einer menschlichen Antwort, ist     Begegnung mit dem auferstandenen
                                            ­
jedoch zu unterscheiden. Gott selbst ist    Christus. Das war auch die Erfahrung
darum auch nicht mit unseren menschli-      Martin Luthers, der sich durch den Glau-
chen Gottesbildern und Gottesvorstellun-    ben an Christus von jeglichem religiö-
gen zu verwechseln.                         sen Leistungszwang, von klerikaler Be-
                                            vormundung, von aller Höllenangst und
Die biblische Überlieferung berichtet von   Angst vor einem strafenden Gott befreit
Erfahrungen, die Menschen mit Gott als      wusste. Fortan wusste er sich allein dem
Befreier gemacht haben, der Menschen        ihm gnädigen Gott und seinem Gewissen
aus allen falschen inneren und äußeren      verantwortlich.
Bindungen und von allen äußeren und
inneren Zwängen und Mächten befreit,        Nicht von Gott überhaupt, sondern von
die Menschen beherrschen können. Die-       einem falschen Gottesbild wurde Luther
ser Gott befreit auch von falschen reli-    frei. Gott galt ihm nicht als Hindernis auf
giösen Zwängen. Das war die Erfahrung       dem Weg zur Freiheit, sondern im Gegen-
des ­Volkes Israel, das aus der Sklaverei   teil als ihre einzige Quelle. Menschliche
in Ägypten befreit wurde. Das war die       Freiheit lebt von Voraussetzungen, die
Erfahrung der Menschen, denen Jesus
­                                           sie selbst nicht schaffen und garantieren
von Nazareth begegnet ist. Das war die      kann.

  SIGGIS SIGILLUM

                                                                                               5
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        Niemand kann sich selbst das Leben           „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.‟
        schenken und sich auf die Welt bringen.      Nein, es muss umgekehrt heißen: Kon-
        Bevor wir uns unserer Freiheit bewusst       trolle ist bisweilen gut, aber Vertrauen
        werden und von ihr Gebrauch machen –         ist besser!
        angefangen damit, dass ein kleines Kind
        lernt, nein zu sagen –, haben wir unser      Glaube im biblischen Sinne ist ein wech-
        Leben schon von anderswoher empfan-          selseitiges Vertrauensverhältnis zwischen
        gen. Und auch im weiteren Leben hän-         Gott und Mensch. Ein anderes Wort dafür
        gen unsere Freiheit und ihr Gebrauch         ist Liebe. Liebe kann nur in Freiheit ent-
        von Faktoren ab, die wir selbst nie voll-    stehen und bestehen. Sie macht auf para-
        ständig unter Kontrolle haben. Der letzte    doxe Weise frei, indem sie die Liebenden
        Grund der Freiheit aber ist nicht in in-     wechselseitig aneinander bindet, so dass
        nerweltlichen Kausalzusammenhängen           der eine nicht mehr ohne den anderen
        zu suchen, und letztendlich hängt unsere     sein kann und will – aber das in Freiheit!
        Freiheit auch nicht von anderen Men-         Zwang dagegen zerstört jede Liebe.
        schen ab. Es ist vielmehr Gott, der uns
        geschaffen hat und uns zur Freiheit be-      Im 1. Johannesbrief heißt es: „Gott ist
        stimmt, ohne dass wir sie uns zuvor ver-     Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der
        dienen müssen.                               bleibt in Gott und Gott in ihm.‟ Wir kön-
                                                     nen auch sagen: Gott ist Freiheit, und
        Wahre Freiheit ist eine Glaubenssache.       wer in seiner Liebe bleibt, der bleibt in
        Allein der Glaube an Gott, der in Jesus      der Freiheit und diese in ihm.
        Christus Mensch geworden ist, macht
        frei. Das jedenfalls war die Überzeugung
        Martin Luthers. Glauben hieß für ihn, Gott
        über alle Dinge fürchten, lieben und ver-
        trauen. Gottvertrauen ist die Quelle der
        Freiheit.

        Dass Vertrauen Quelle der Freiheit ist,
        kennen wir auch aus dem Alltagsleben.
        Ein Kind, das seinen Eltern vertraut und
        auch spürt, dass seine Eltern ihm etwas
        zutrauen, fasst dadurch Mut, zum Bei-
        spiel wenn es Schwimmen oder Radfah-          O. Univ.-Prof. Dr. DDr. h. c. Ulrich H. J. Körtner
        ren lernen soll. Der Satz, dass Vertrauen     ist Vorstand des Institutes für Systematische
                                                      Theologie und Religionswissenschaft an der
        Quelle der Freiheit ist, gilt aber auch in    Evangelisch-Theologischen Fakultät der Univer-
        umgekehrter Richtung. Nur wenn Eltern         sität Wien.
        vertrauensvoll bereit sind, ihre Kinder
        auch loszulassen, können sie sich frei        Bekannt ist er u. a. für seine Tätigkeit in der
        entwickeln. Helikoptereltern, die ängst-      Bioethikkommission und für seine Forschungs-
                                                      schwerpunkte im Bereich der Fundamental-
        lich ihre Kinder auf Schritt und Tritt
                                                      theologie, Hermeneutik, Ethik, Medizinischen
        überwachen, erziehen ihre Kinder zur          Ethik und Ökumenischen Theologie.
        Unfreiheit. Von Lenin stammt der Satz:
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F   O   K   U   S

▶               Astrid Schweighofer im Gespräch mit Julia Schnizlein

         „Wir müssen die Menschen dort abholen,
           wo sie sind: in den sozialen Medien‟
    Julia Schnizlein (40) hat evangelische Theologie in Heidelberg und
    Amster­
    ­        dam studiert, sich in Wien dem Journalismus verschrieben und
    war Vikarin in der Lutherkirche in Wien-Währing. Ab September 2019 ist
    sie als Pfarramtskandidatin in der Lutherischen Stadtkirche in der Wiener
    ­Dorotheergasse tätig. Im superNews-Gespräch erzählt die Mutter zweier
     Töchter (Helene, 9 und Elsa, 5), die regelmäßig Kolumnen für die „Kronen-­
     Zeitung‟ schreibt, über ihren beruflichen Wechsel, über die Gemeinsam­
     keiten von Journalismus und Pfarramt und über ihr „Herzensprojekt‟, die
     „digitale Kirche‟.

    Sie sind von der APA (Austria ­ Presse      war, haben wir erfahren, dass sie nur ein
    Agentur) zu NEWS und von dort zur           halbes Herz hat. Die Ärzte meinten da-
    Evangelischen Kirche gewechselt. Was        mals, wir sollten sie eher nicht bekom-
    war der Grund für den beruflichen Um-       men. Mit drei Operationen könne man
    stieg?                                      es zwar hinkriegen, dass sie lebe, man
                                                wisse allerdings nicht, wie lange, da der
    Da muss ich etwas ausholen. 2013 wur-       Herzfehler nicht behandelbar sei. Das war
    de unsere jüngere Tochter Elsa geboren.     für uns einer dieser Momente, die alles
    Als ich in der 23. Schwangerschafts­woche   auf den Kopf stellen. Nach einigen Tagen
                                                                                                7
DIASPORA STARK IN DER - Evangelische Kirche in Niederösterreich
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        haben mein Mann und ich uns entschlos-       nen Weg aufgezeigt hat, den ich gar nicht
        sen, es zu versuchen. Ich kann heute gar     vor Augen hatte – gebraucht, um mich zu
        nicht genau sagen, warum, aber ich den-      befreien. Und ich habe die Entscheidung,
        ke, wir haben uns so entschieden, weil       ins Vikariat zu gehen, tatsächlich als ei-
        wir es konnten, weil wir die emotionalen,    nen Befreiungsschlag erlebt, auch wenn
        finanziellen und auch sozialen Möglichkei-   es ein Sprung ins kalte Wasser war. Denn
        ten hatten, uns um sie zu kümmern. Zum       mein Mann war damals auch gerade auf
        Glück ging alles besser als gedacht, auch    Jobsuche. Aber man muss ein bisschen
        wenn die erste Zeit wahnsinnig mühsam        Gottvertrauen haben. Wenn man das hat,
        war. Elsa hatte vergangenen September        ist die Freiheit umso schöner.
        die letzte Operation und kann im Moment
        ein ganz normales Leben führen. Beruf-       Hat die Krankheit Ihrer Tochter Sie nie an
        lich war die Erfahrung mit der Krankheit     Gott zweifeln lassen?
        meiner Tochter der Auslöser, mich aus
        dem Hamsterrad zu befreien.                  Ich denke, man hat in so einer Situa-
                                                     tion zwei Möglichkeiten. Entweder man
        Ich war bei der APA zwar glücklich, hatte    fragt sich, warum Gott einem so etwas
        aber immer das Gefühl, dass mir etwas        antut, warum er einen so straft; oder
        fehlt. Dann bot sich die Chance, zu NEWS     man vertraut darauf, dass Gott es ma-
        zu wechseln. Dort konnte ich viele tolle     chen wird, weil er genau uns füreinander
        Reportagen schreiben, eine etwa über         ausgesucht hat. Dieses Vertrauen hatte
        Mütter, die ihre Kinder zur Adoption frei-   ich damals, und ich habe es bis heute.
        gegeben hatten. Leider wurde mit der         Durch Elsa habe ich das Gefühl des Ge-
        Zeit zunehmend Geld gestrichen, und ich      tragenseins von Gott wieder gelernt. Ich
        musste Geschichten schreiben, die mir        bin überzeugt, dass Gott uns trägt, auch
        gar nicht lagen. Ich wurde immer unzu-       wenn nicht immer alles gut ist. Mein Tauf-
        friedener, sah aber noch nicht die Mög-      spruch Jes 43,1 „Fürchte dich nicht, denn
        lichkeit, zur Kirche zu gehen. Mein Stu-     ich habe dich erlöst, ich habe dich bei
        dium lag ja schon so lange zurück. Als       deinem Namen gerufen, du bist mein‟,
        ich dann bei einer Podiumsdiskussion mit     dieses „Fürchte dich nicht‟, das ist mein
        Michael Chalupka zusammentraf und er         Mantra.
        meinte, ich solle doch das Vikariat ma-
        chen, ging alles recht schnell.              Sehen Sie Parallelen zwischen Journalis-
                                                     mus und Pfarrberuf?
        Waren die beruflichen Umstiege auch ein
        Griff nach Freiheit?                         Eine starke Parallele liegt im Kontakt mit
                                                     den Menschen, im Interesse an den Men-
        Auf jeden Fall. Ich war so im Hamsterrad     schen und der Bereitschaft zur Empathie.
        gefangen, so damit beschäftigt, das Rad      Also dass ich jemandem begegne und ihn
        am Laufen zu halten, dass ich gar nicht      oder sie nicht in eine Rolle presse, son-
        weiterdenken konnte. Offensichtlich habe     dern bereit bin, zu hören, was er oder
        ich diese Impulse von außen – also zum       sie erzählt. Leider ist das im Journalis-
        einen die Erfahrung mit meiner Tochter,      mus, bedingt durch die Verknappung des
        zum anderen einen Menschen, der mir ei-      Personals, immer seltener möglich. Dort
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geht es um die Story, die spannend sein       Twitter. Da entsteht durchaus Gemein-
muss. Wenn der Interviewpartner oder          schaft, obwohl natürlich das gemeinsame
die Interviewpartnerin das nicht bringt,      Brot-Brechen und Singen ganz wichtige
dann muss ich die Geschichte darauf           Elemente des Gottesdienstes sind, die im
hinschreiben. Bad news are good news,         digitalen Raum nicht funktionieren. Seel-
das hat mir nicht gefallen. Als Pfarrerin     sorge hingegen funktioniert total digital.
bin ich freier, ich muss nichts verkaufen.
Ich kann die Botschaft verkünden und die      Ich sehe auch meine Kolumne in der „Kro-
Menschen können sich überlegen, was           nen-Zeitung‟, auf die ich viele Reaktionen
sie damit machen. Ich muss keine Auf-         per Mail bekomme, als eine Art digitaler
lagen erfüllen, keine Coverstories liefern.   Seelsorge. Leider hinkt Österreich im Be-
Das ist der große Unterschied.                reich der „digitalen Kirche‟ noch nach.
                                              Ich würde mir wünschen, dass mehr
Sie sind als Vikarin stark im Internet und    Pfarrerinnen und Pfarrer auf diesen Zug
den sozialen Medien präsent, posten auf       aufspringen. Meine Hoffnung wäre eine
Facebook, Twitter, Instagram. Was hat es      Projektpfarrstelle für digitale Kirche!
mit der „digitalen Kirche‟ auf sich?

Ich hatte am Anfang ein wenig Sorge, wie
sich mein alter und mein neuer Beruf mit-
einander vertragen würden und dachte,
ich müsste ganz weg vom Journalismus
und nur noch Gemeindepfarrerin vor Ort
sein. Aber ich konnte es dann doch nicht
ganz lassen, auf Facebook zu posten, was
ich als Vikarin so tue, und merkte, dass
sich die Menschen wirklich dafür interes-
sieren, wenn ich beispielsweise erzähle,
wie meine erste Gruftbestattung verlau-
fen ist. Wir dürfen nicht warten, bis die
Menschen mit ihren Fragen zu uns in die
Kirche kommen, sondern wir müssen sie
dort abholen, wo sie sind: in den sozialen
Medien.
                                                                                           © juliandthechurch

D. h. Gottesdienste und Seelsorge im
Netz?

In Deutschland wird in diesem Bereich            https://www.instagram.com/
gerade viel ausprobiert. Auf Twitter gibt              juliandthechurch/
es beispielsweise Twomplet, ein Abend-
gebet, bei dem sich jeder/jede einklin-
ken und etwas schreiben kann. Auch ich
mache manchmal ein Abendgebet auf
                                                                                                                9
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      H XAX XU X X
                 PXX
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                  Wir schauen uns die
                Evangelischen einmal an
                                           Erich Witzmann

      Was blieb vom Toleranzpatent? Ein Blick in eine ehemalige steirische
      ­Toleranzgemeinde und – unter umgekehrten Vorzeichen – in ein tief katho­
      lisches niederösterreichisches Dorf.

      Die Tradition aus der Zeit des Geheim-       200 Jahre später unter der glorifizierten
      protestantismus hat sich in der kleinen      Regentin Maria Theresia kam es zu den
      Gemeinde unter dem Dachstein über            letzten Protestantenverfolgungen.
      Jahrhunderte erhalten. „Bei uns gibt es
      nach wie vor zahlreiche Hausbibelkreise,     Die bäuerliche Bevölkerung von Ramsau
      zehn bis 15 werden es schon sein‟, sagt      war aber – wie auch in weiten Teilen der
      Martina Ahornegger. Diese wurden, so         Habsburgermonarchie – zu 100 Prozent
      die Pfarrerin von Ramsau, in der Zeit, da    evangelisch. Man ließ nun die Rekatho-
      die evangelische Religion verboten war,      lisierung über sich ergehen, in den eige-
      begründet und haben sich über Jahrhun-       nen Familiengemeinschaften aber wurde
      derte bis heute erhalten.                    hinter verschlossenen Türen am Abend
                                                   die Luther-Bibel aus dem Versteck ge-

         Im Geheimen wurde die Bibel gelesen –
         man durfte sich nicht erwischen lassen.
                       (Foto: privat)

      Ein Blick in die Vergangenheit und
      in die Geschichte von Ramsau:

      Nach der von den habsburgischen Lan-
      desfürsten in der zweiten Hälfte des
      16. Jahrhunderts (nach dem Konzil von
      Trient, 1545–1563) mit aller Härte voll-
      zogenen Gegenreformation war die Lu-
      ther-Lehre untersagt. Wer sich dennoch       Joseph II., der älteste Sohn Maria Theresias,
      öffentlich zu ihr bekannte, musste Haus,      fühlte sich dem aufgeklärten Absolutismus
      Hof und das Land verlassen. Auch noch
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                                                          verpflichtet. (Foto: www.evang.at)
S   C   H   A KUK KPK KL XAX XT X X
                                                                                                   Z

holt. Im kleinsten Kreis wurde gelesen       stein von Gosau bis Ramsau oder in Nie-
und gebetet. Erst später verliehen His-      derösterreich Mitterbach.
toriker und Heimatkundler diesem ver-
deckten Leben die Bezeichnung Geheim-        In der Ramsau votierten nun offiziell und
protestantismus.                             amtlich 100 Prozent der Bevölkerung für
                                             den evangelischen Glauben. Die Bibel-
Das Jahr 1781 brachte die längst fällige     kreise blieben aber bis heute bestehen.
Wende. Ein Jahr nach seinem Regierungs-      „Einige treffen einander wöchentlich,
antritt ermöglichte Joseph II. mit dem To-   andere im Abstand von zwei oder drei
leranzpatent die freie Religionsausübung     Wochen‟, sagt Martina Ahornegger. Ein
für Protestanten und Orthodoxe (etwas        Kreis kann nur die eigene Familie umfas-
später für Juden), wenn auch mit gewis-      sen, bei einem anderen sind es bis zu 15
                                             Personen, die in einem Bauernhaus oder
                                             in einer einfachen Wohnung zusammen-
                                             kommen. Wobei in der Fremdenverkehrs-
                                             gemeinde manchmal auch Gäste hinzuge-
                                             zogen werden. In der Gemeinde Ramsau
                                             mit ihren 2.800 Einwohnern verfügen die
                                             Evangelischen heute noch über einen An-
                                             teil von fast 80 Prozent. Im Jahresdurch-
                                             schnitt finden sich 100 bis 120 Gläubige
                                             bei den Sonntagsgottesdiensten ein, an
                                             den Feiertagen ist es die dreifache Zahl.

                                             Szenenwechsel ins niederösterrei­
                                             chische nördliche Grenzland:

                                             Georg Krätschmer steht in der offenen Tür
                                             eines ehemaligen Bauernhauses in der
                                             kleinen Ortschaft Pillersdorf. Das niedrige
                                             Haus glänzt im Schönbrunnergelb, viele
                                             Blumen im Hof deuten auf eine liebevolle
                                             Gartenarbeit hin. Eigentlich ist es ein Ge-
                                             spräch über die evangelische Diaspora in
                                             diesem Landesteil, als Georg plötzlich die
 Kurz nach Erlassung des Toleranzpatents
                                             Bemerkung fallen lässt: „Diese Gegend
    entstanden die ersten evangelischen
  ­Gemeinden, die sogenannten Toleranz­
                                             hier, der Hollabrunner Bezirk, war einmal
      gemeinden. (Foto: www.evang.at)        total evangelisch.‟ Und heute? Pillersdorf
                                             zählt mitsamt den Wochenendbewohnern
sen Einschränkungen. Jene Gemeinden,         146 Seelen. Georg Krätschmer und sei-
in denen sich spontan zahlreiche Be-         ne Frau sind die einzigen Evangelischen
wohner zum evangelischen Glauben be-         hier. Wenige Kilometer nördlich wohnt
kannten, wurden als Toleranzgemeinden        im Städtchen Retz gerade eine Handvoll
bezeichnet. Das waren in der Steiermark      Evangelische, und noch ein Stück weiter,
etwa die Ortschaften rund um den Dach-       im Grenzort Unterretzbach, gibt es mit
                                                                                                  11
KKC
 S KKK
     H XAX XU X X
                P X LX X A
                         X T Z

       Constanze Pollak eine aktive Evangeli-        Kirche nach Schrattental oder Zellerndorf.
       sche. Sie vertritt wie Krätschmer die Re-     Die älteren Leute seien sicher religiöser
       gion in der Gemeindevertretung der gut        als die jüngere Generation. Und wie wird
       50 Kilometer entfernten (zuständigen)         das evangelische Ehepaar Krätschmer
       Pfarrgemeinde Stockerau.                      angenommen? Da dreht Georg den Spieß
                                                     um: Er habe gleichsam ein Experiment ge-
       Georg Krätschmer, Jahrgang 1958, war          wagt und sei auf die Leute hier zugegan-
       Selbstständiger und ist heute im Ruhe-        gen bzw. habe gemeinsam mit Con­stanze
       stand. Nimmt man Maß an der Reforma-          Pollak einen ökumenischen Gottes­dienst
       tion und Gegenreformation, dann haben         geplant. „Wir haben versucht, die Leute
       er und seine Frau den umgekehrten Weg         zu aktivieren. Wir galten ja als anrüchig,
       beschritten. Beide waren römisch-katho-       etwas sektenhaft.‟
       lisch, Manfred auch Ministrant und in der
       Jungschar. „Vor 20 Jahren hatten wir von      Aber etliche Ortsbewohner wurden neu-
       der Kirche genug‟, sagt er und erwähnt        gierig. „Wir schauen uns die Evangeli-
       nur kurz die seinerzeitigen Turbulenzen in    schen einmal an‟, lautete die Devise. Am
       der katholischen Kirche.                      Samstag, dem 9. Februar dieses Jahres,
                                                     war es schließlich so weit. Der Begeg-
                                                     nungsort war der katholische Pfarrsaal
                                                     im benachbarten Zellerndof (zu dem die
                                                     Pillersdorfer Katholiken gehören). Und 90
                                                     Männer, Frauen und Jugendliche beider
                                                     Konfessionen erlebten einen eindrucks-
                                                     vollen Gottesdienst. „Da sind beide, unser
                                                     Christian Brost und der römisch-katho-
                                                     lische Pfarrer Jerome Ciceu, wunderbar
                                                     angekommen, sie haben die Anwesen-
                                                     den in den Bann gezogen.‟ Diese hätten
         Von Zeit zu Zeit gibt es Gottesdienste in
                                                     anschließend auch sofort gefragt, wann
        Retz, „und manchmal waren wir zu dritt,      denn ein nächstes Treffen stattfinden
        der Pfarrer und wir zwei‟, so das Ehepaar    wird.
                 Krätschmer. (Foto: privat)
                                                     Bei der Frage, warum der Gottesdienst im
       Aber es habe etwas gefehlt, und so be-        Pfarrsaal, der eigentlich ein Theatersaal
       gaben sie sich auf Suche. Bei Christian       ist, und nicht in der Pfarrkirche stattge-
       Brost, dem evangelischen Pfarrer in Sto-      funden hat, antwortet Georg Krätschmer
       ckerau, haben sie schließlich „den Hafen‟,    neuerlich mit einem Verweis auf die Zeit
       wie Krätschmer sagt, wieder gefunden.         des Geheimprotestantismus: „Für uns ist
                                                     das nichts Neues. Als die Evangelischen
       Das Dorf hier sei nicht mehr oder weniger     verboten waren, haben sie ihre Gottes-
       religiös als die anderen Ortschaften der      dienste auch im Stall gemacht.‟
       Umgebung. In der kleinen Weinhauer­
       kirche in Pillersdorf werden gerade zu        Ob im Pfarrsaal oder in der Pfarrkirche:
       den Begräbnissen und zur Weinsegnung          Nächstes Jahr soll in Zellerndorf wieder ein
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       Messen gehalten, die Leute gehen in die       ökumenischer Gottesdienst stattfinden.
B   L   I   C   K   V   O   N   A   U   S   S   E   N

      „Die Freiheit ist ein wildes Tier!‟

1979 veröffentlicht der österreichische Liedermacher Georg Danzer das Lied
„Freiheit‟. superNews-Redakteur Werner Sejka trifft dazu Sohn ­Andreas
Danzer (37), Sportjournalist und Fotograf.
In seinem Song „Freiheit‟ lässt Georg           jeder ,echteʻ Christ‟, führt Danzer wei-
Danzer Besucher eines Zoos ein „wunder-         ter aus, „ist im Grunde Menschenfreund.
sames Tier‟ bestaunen. Schilder warnen:         Was man von der Kirche nicht immer be-
„Nicht füttern!‟, „Nicht reizen!‟ Der Käfig     haupten kann!‟
selbst aber ist völlig leer …                   Georg Danzer gab seinen Kinder mit, er-
„,Die Freiheitʻ ist textlich tatsächlich mein   fahre ich, dass sie stets selbst entschei-
Lieblingslied. Nach wie vor finde ich den       den sollten, ob sie ein guter oder ein
Gedankengang meines Vaters faszinie-            schlechter Mensch sein möchten. „Werde
rend. Der Text ist traurig, humorvoll und       einfach ein Mensch, an den man glauben
tiefgängig zugleich – und was ich beson-        möchte und glauben kann!‟, habe Danzer
ders spannend finde, es ist keinerlei In-       seinen Kinder stets gesagt!
tellekt notwendig, um zu verstehen, was         Ich frage Sohn Andreas, wie es sein Vater
hier gemeint ist! Jeder kann verstehen,         mit dem Glauben gehalten hat!
was Freiheit bedeutet.‟                         „Mein Vater war lange Zeit sehr spirituell,
Es ist verblüffend den Text zu „Freiheit‟       aber wohl nicht gläubig im klassischen
40 Jahre nach seinem Erscheinen zu le-          Sinne. Im Laufe der Jahre hat sich das
sen und das Lied zu hören. Die Aussage          dann gewandelt. Erst meinte er noch, er
scheint aktueller denn je.                      sei Gnostiker, er glaube an etwas, später
Andreas Danzer und ich versuchen, Frei-         dann aber wurde er zum Agnostiker!‟
heit zu definieren.                             Das viele Leid auf der Welt trotz Gottes
„Freiheit ist immer auch eine Form des          Existenz, ließ Georg Danzer sehr nach-
Egoismus, und das muss sie wohl auch            denklich werden. „Also wenn das alles
sein!‟, meint Danzer, „denn es ist mein         meine Kinder wären, die sich so beneh-
mir eigener Egoismus, der mich eigene           men, ich würde das so nicht zulassen!‟,
Wege gehen lässt. Ohne diesen Egois-            erinnert sich Andreas Danzer, was sein
mus gäbe es am Ende wohl nur einen              Vaters dazu meinte.
einzigen, gültigen Weg, und das wäre das        Der Käfig im Zoo des Liedes „Freiheit‟ ist
Ende jeder Freiheit.‟                           leer. Verwaist. Im Text heißt es dazu:
Ein Gedanke, der uns auch zur Freiheit im       „Ich schaute und ich sagte, lieber Herr.
Glauben bringt. „Religionen sind immer          Ich sehe nichts, der Käfig ist doch leer!
wieder dogmatisch orientiert und üben           „Das ist ja gerade‟, sagte er, „der Gag!
oft sehr starke Kontrolle über die Gläu-        Man sperrt sie ein, und augenblicklich ist
                                                                                                    13

bigen aus! Aber jeder ,echteʻ Gläubige,         sie weg!‟
KKT
 S KKA
     K XNX XD X P
                XXU
                  X X XN   K   T

       Das ist es: Grenzenlos frei! Die einzige Grenze sind die
       anderen. Ja, aber die sind zu viele – da bleibt nicht viel übrig
       für mich und meine Sehnsucht nach Freiheit. Dieses Mit­
       einander, diese ständig geforderte Empathie führt schließ-
       lich doch zum Verzicht. Nicht nur die Menschen rund um
       mich, meine unmittelbaren Mitmenschen fordern von mir,
       auf sie einzugehen, auf sie Rücksicht zu nehmen – mittler-
       weile wird uns doch ständig vor Augen geführt, dass wir in
       einem globalen Dorf leben: verantwortlich für die Lebens­
       bedingungen und die Lebensqualität von Menschen, die
       weit weg von mir leben, die ich nie kennenlernen werde
       ... und auch gar nicht kennenlernen will. Selbst dann nicht,          NACH DER FREI
       wenn ich in ihr Land reise: Da will ich ungestört in einem
       gesicherten Resort leben und allerhöchstens während eines          „Ideal wäre ein Staat, in dem
       Ausflugs im klimatisierten Bus zum bunten Markt gefahren           ausgenommen die Freiheit, in
       und von den Einheimischen in ihren originellen Bekleidun-          zugreifen.‟
       gen unterhalten werden. Und dann wieder nach Hause,
       vollgepackt mit meiner Safaribeute.                                                Bertrand Russell (
                                                                                             und Mathemati
       Und dann sind da noch die Menschen, die nach mir kommen:
       „Wir haben unsere Welt nur geborgt von unseren Kindern!‟
       Ja, was denn noch! Ich soll aufs Auto verzichten, weniger im Internet surfen, kein
       Fleisch essen – alles Lebensnotwendige für mich wird zum Lebenshindernis meiner
       Enkelkinder? Da lobe ich mir doch einen Staat, der auf all diese Einschränkungen ver-
       zichtet und aufs Wesentliche schaut: darauf, dass ich aufhöre zu rauchen, und darauf,
       dass diese bunten Mitmenschen von sonst woher den Spieß nicht umdrehen und alle
       bei uns auftauchen. Schön daheim bleiben. Ich, meine Kinder und meine ­Enkelkinder
       sollen die Welt sehen. Wir kehren ja auch wieder nach Hause zurück, weil’s da schöner
       ist. Sicherer. Bequemer. Mit Heizung. Klimaanlage mittlerweile, wer braucht bei diesen
       Temperaturen noch Heizung. Fernseher. Internet.

       Ich greife nicht in die Freiheit der anderen ein. Ich nehme mir lediglich meine Freiheit.
       Die ist nicht grenzenlos, aber eingrenzen lasse ich mich nicht. Nicht von der Not, die
       ich ohnehin nur aus Zeitung, Radio und Fernsehen kenne – und nicht von der Angst
       vor der Zukunft. Die ist doch immer ungewiss. Kommt nicht der Klimawandel, dann
       eben der Komet. Und gegen den nützen auch Tofu, Soja, Fahrrad nicht.

                                   Hubert Arnim-Ellissen ist Journalist
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S   T A   N   D
                                                                                                 KKK
                                                                                                   PKK
                                                                                                     U XNX XK X T
                                                                                                                X

                                         F  ür die Freiheit haben die Menschen gekämpft und geblu-
                                         tet. In meiner Kindheit waren es die Ungarn, die versuchten,
                                         ihr kommunistisches Regime abzuschütteln. Dann wollte Jan
                                         Palach mit seinem Feuertod auf dem Prager Wenzelsplatz ein
                                         Fanal für die Freiheit setzen. Vor 30 Jahren hatten schließ-
                                         lich die Landsleute der seinerzeitigen Ostblockstaaten mehr
                                         Erfolg. All dies spielte sich vor unserer Haustüre ab. Wir Ös-
                                         terreicher sahen gleichsam wie in einer Theaterloge auf die
                                         Kämpfenden, waren etwas irritiert, konnten uns aber mitfüh-
                                         lend zurücklehnen. Wir hatten ja die Freiheit. Heute denkt
                                         kaum jemand an die europäischen Schicksalstage der Ver-
IHEIT GREIFEN                            gangenheit. Zudem ist Freiheit zu einem individuellen Begriff
                                         geworden. Nach der Devise „ich lebe meine Freiheit, nicht die
m jeder alle Freiheiten h­ ätte,         Freiheit der Gemeinschaft‟. Freiheit hat einen persönlichen,
n die Freiheit der anderen ein­          auch egoistischen Anstrich erhalten. Und damit stellen sich
                                         fast zwangsläufig jede Menge Konfrontationen ein.

(1872 – 1970), britischer Philosoph      Natürlich darf man eine derartige Zuschreibung nicht verall-
 iker, 1950 Nobelpreis für Literatur     gemeinern. Aber nach allen Beobachtungen steigt der Egois-
                                         mus einzelner Menschen, wird in großen Teilen der Gesell-
                                         schaft nicht aufʼs Allgemeinwohl geschaut. Diese Einstellung
             finden wir in der Politik, wo eine Partei auf jeden Fall einmal Vorschläge und Initiativen
             der anderen Partei ablehnt. Und das spiegelt sich in der Gesellschaft wider. Im Wirts-
             haus wird nicht mehr gestritten, es raufen sich die Leute nicht mehr zusammen, weil
             ohnedies die Anhänger einer Meinung zusammensitzen und mit der entgegengesetzten
             Gruppierung nichts zu tun haben wollen.

             Die Freiheit ist ein sehr enger Begriff geworden. Die Freiheit des anderen – von der
             Gedankenfreiheit bis zur Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung – wird kaum ak-
             zeptiert. „Wie Political Correctness die Freiheit zerstört‟, lautet die Schlagzeile eines Ber-
             liner Monatsmagazins („Cicero‟, Juniausgabe). Über die für die Mehrheit unliebsamen
             Ansichten, so das Magazin, soll nicht mehr diskutiert, soll der Meinungsaustausch ver-
             boten werden. Und das in den deutschen Universitäten, die ja die Stätte der kritischen
             Auseinandersetzung sein sollten. Das mögen noch einzelne Vorstöße sein. Aber auch in
             unseren Breitengraden erleben wir, dass nicht-konforme Gedanken und Äußerungen un-
             erwünscht sind. Sollten sich derartige Initiativen allgemein durchsetzen, wäre dies eine
             krasse Einebnung des Meinungsspektrums.

                          Erich Witzmann ist Wissenschaftsjournalist
                                                                                                                15
K K KNK KD X XEX R
 A                X X XSX XW
                           X   O

       ▶ Freiheit macht uns zum Ebenbild Gottes
                                   Ondrej Prostrednik und Anna Polckova

        Der Dienst einer Kirchengemeinde soll ein Dienst der Freiheit sein. Diese
        Überzeugung gründet sich auf dem Glauben, dass Gott uns Menschen mit
        der Fähigkeit der freien Entscheidung ausgerüstet hat. Nur dort, wo Men­
        schen ihre Freiheit gegenseitig respektieren, leben sie als Ebenbilder Got­
        tes. Pfarrerin Polckova und Pfarrer Prostrednik berichten über die Arbeit
        der evangelischen Pfarrgemeinde Bratislava-Altstadt.

        Wenn die Gemeinschaft der Kirche ihre         Leider ist es der evangelischen Kirche in
        Existenz und ihren Dienst theologisch be-     der Slowakei nicht gelungen, Profil zu zei-
        gründen will, kann sie es nur, wenn sie       gen und den Missbrauch von Angst durch
        den Begriff der Freiheit mit der Ebenbild-    die Verkündigung von Liebe, Toleranz
        lichkeit Gottes in Beziehung setzt. Frei-     und Versöhnung zurückzuweisen. Gerade
        heit als Geschenk Gottes macht uns zum        das Gegenteil ist der Fall. Zusammen mit
        Ebenbild Gottes. Anderen die Freiheit zu      der römisch-katholischen Kirche bekräf-
        nehmen würde ihnen das nehmen, was            tigt auch die evangelische Kirche die ver-
        Gott ihnen als maßgebendes Merkzeichen        meintliche Bedrohung durch Liberalismus
        ihrer Menschlichkeit gegeben hat.             und andere Religionen.
        Das ist die theologische Grundlage, die       In diesem Raum bemüht sich unsere Kir-
        wir uns in der evangelisch-lutherischen       chengemeinde, als kritische Stimme zu
        Kirchengemeinde Bratislava-Altstadt zu        agieren und den christlichen Universalis-
        eigen gemacht haben. Sie hat weitrei-         mus und Inklusivismus zu predigen.
        chende Konsequenzen für den Inhalt und        So wird für viele Gottesdienstbesuchende
        die Gestaltung unseres Gemeindelebens.        unsere Kirchengemeinde zu einem Raum
                                                      der Freiheit, in dem offen und auch pro-
        1. Freiheit, die brennenden Themen            phetisch kritisch das Versagen der Ge-
        anzusprechen                                  sellschaft und der Kirche einerseits und
                                                      der Weg des Evangeliums andererseits
        Im Dienst des Wortes (Martyria) bemüht        benannt werden. Der Dienst an der Kan-
        sich unsere Gemeinde, Themen anzuspre-        zel ist einer Breite von Predigerinnen und
        chen, die die Gesellschaft bewegen. Es        Predigern offen. Es wird in vier Sprachen
        geht vor allem um die Themen, die seit ca.    gepredigt (Slowakisch, Deutsch, Unga-
        zehn Jahren bewusst von populistischen        risch, Englisch).
        und nationalistischen Strömungen miss-
        braucht werden, um Angst und Abscheu          2. Freiheit, Gott in verschiedenen
        zu schüren: Fremdenhass, Antiziganismus       Formen zu preisen
        und Homophobie sowie Versuche, die be-
        stehenden Frauenrechte einzuschränken,        Eine Gemeinschaft ist in ihrem Zusam-
        sind die deutlichsten Manifestationen         menleben auf Regeln angewiesen. So ha-
        dieses Trends. Oft wird umgekehrt der         ben sich seit der Urkirche Regeln für das
        Schutz der traditionellen christlichen Kul-   gemeinsame Lob Gottes (Leiturgia) her-
16

        tur in der Slowakei versprochen.              ausgebildet. Im Laufe der Jahrhunderte
A   N   D KEK K R
                                                                                     K K SX X W
                                                                                              X XO
                                                                                                 X

wurden aber die Gottesdienstord-
nungen immer stärker als Identi-
tätsmerkmale verstanden. Diese
Seite der Gottesdienstordnung wird
in der evangelischen Kirche in der
Slowakei leider überbetont. Das
führt zu einem entleerten Traditio-
nalismus, der kaum mehr fähig ist,
den reichen symbolhaften Inhalt
der Grundsteine der Gottesdienst-
ordnung zu kommunizieren.
Hier versteht unsere ­       Kirchen-
gemeinde ihren Dienst der Freiheit
so, dass die traditionelle Gottes-        Kirche als Ort der Begegnung für alle Menschen:
dienstordnung in möglichst vielen            jung und alt, Flüchtlinge und Einheimische.
                                               Foto: Ondrej Prostrednik und Anna Polckova
Variationen gestaltet wird. Dabei
spielt die Kirchenmusik eine wich-             gung gestellt. Die Gemeinde bietet auch
tige Rolle. So ist die Idee entstanden, die einen umfangreichen Bildungsdienst in
alte Tradition der Kantatengottesdienste Form von Religionsunterricht, Konfirma-
wieder zu beleben. In Laufe des Kirchen- tionsvorbereitung und Jugendgruppen.
jahres werden in Zusammenarbeit mit Ein spezieller Teil des Dienstes in der
professionellen Musikvereinen Sonder- Bildungsarbeit sind monatliche Diskus-
gottesdienste mit Kantaten aus der Ba- sionsrunden zu aktuellen Themen in der
rockzeit gefeiert. So wird das lutherische Gesellschaft. Einmal im Jahr organisiert
Verständnis der Verkündigung durch Mu- die Kirchengemeinde auch eine Fach-
sik betont. Die Gestaltung der Gottes- konferenz. In den vergangenen Jahren
dienste wird durch den musikalisch und waren es Konferenzen über Gender oder
theologisch ausgebildeten Gemeinde- die Stellung von LGBT-Menschen in der
kantor Jan Vladimir Michalko vorbereitet. Gemeinschaft der Kirche.
In dieser Freiheit konnten wir liturgische
Modelle entwickeln, die in Treue zu den Freiheit tastet Grenzen an
Grundsteinen der liturgischen Ordnung
                                               Die Erfahrung, die die Gemeinde in ihrem
fähig sind, den modernen Menschen in
                                               Greifen nach der Freiheit bisher gemacht
verständlicher Weise anzusprechen.
                                               hat, ist zweierlei: Im Vordergrund steht
3. Freiheit zu dienen                          die Begeisterung von der Freiheit: Eine
                                               wachsende Anzahl von Menschen in der
Eine Vielfalt von Diensten (Diakonia) wird Stadt aber auch landesweit nimmt das
in unserer Kirchengemeinde neben dem Angebot unserer Kirchengemeinde wahr.
Gottesdienst angeboten. Eine Agentur für Jedoch spüren wir auch, dass unser Ver-
Hauspflege „Simeon‟ sorgt für Senioren ständnis von Freiheit an Grenzen stößt.
in der Gemeinde. Gedächtnisübungen Es sind Grenzen, die durch Menschen in
werden angeboten. Eine Wohnung für der Kirche gezogen und bewacht werden,
eine Flüchtlingsfamilie wurde aus dem die ihren Dienst eher als den Dienst der
                                                                                                17

Wohnungsfond der Gemeinde zur Verfü- Disziplin und Subordination verstehen.
K K KI K KR X C
               X X HX X E
                        XXXX
                           I   N   N Ö

            Kirchentag 2019                            bewegenden Lob Gottes in der Musik be-
                                                       richten.
        „Glaube bewegt – bewegter Glaube‟ lau-         Grußworte überbrachten unter anderem
        tete das Motto des diesjährigen niederös-      OKR Karl Schiefermair, der Bürgermeister
        terreichischen Kirchentags am 20 Juni.         von Wiener Neustadt Klaus Schneeberger,
        Eingeladen hatte die Pfarrgemeinde Wie-        die Vorsitzende des Gustav-Adolf-Zweig-
        ner Neustadt, allen voran Pfarrerin Ange-      vereins NÖ Sybille Roszner und der Vor-
        lika Petritsch und Kurator Manfred Pfeiffer.   sitzende des Gustav-Adolf-Werkes im
        Der Festtag begann mit ei-                                     deutschen      Bundesland
        nem Familiengottesdienst.                                      Baden-Württemberg, mit
        Wir sahen und hörten, wie                                      dem Niederösterreich seit
        Menschen zu biblischer                                         langem partnerschaftlich
        Zeit und heute durch den                                       verbunden ist.
        Glauben an Christus neue                                       Der Nachmittag bot den
        Perspektiven und Auf-                                          ca. 250 Teilnehmenden
        gaben für ihr Leben fan-                                       ein buntes Programm:
        den: Biblische Grundlage                                       Stadtführungen,     Tisch-
        war die Geschichte von                                         gespräche mit iranischen
        der Heilung eines Lah-                                         Christinnen und Chris-
        men am Teich Bethesda.                                         ten, Bodypercussion, eine
        Nach 38 Jahren Krankheit                                       Zukunftswerkstatt      mit
        wurde er wieder auf die                                        ­Superintendent     Müller-­
        Füße gestellt. Als Antwort                                      Marienburg, eine Tanzper-
        darauf erzählten Christ/                                       formance sowie die vielen
        inn/en von heute, wie sie vom Glauben          Angebote des Bibelmobils ließen die Zeit
        bewegt werden: Einer weiß sich in den          wie im Flug vergehen.
        Lektorendienst berufen. Ein anderer be-        Natürlich kamen auch die Kinder und Ju-
        kommt Kraft und Mut, um seine Heimat           gendlichen auf ihre Kosten. Für sie gab es
        zu verlassen und in einer fremden Kultur       eigene Aktivitäten.
        und im neuen Glauben neu anzufangen.           Die Schlussandacht wurde in traditionel-
        Eine engagiert sich in Hilfsprojekten, eine    ler Weise von der Evangelischen Frauen-
        andere wird aus ihrem Glauben heraus           arbeit gestaltet.
        vom Zorn bewegt und scheut sich nicht,         Ein herzliches Dankeschön Euch, Ihr lie-
        politische Ungerechtigkeiten beim Namen        ben Wiener Neustädter, für Eure Gast-
        zu nennen. Und ein weiterer konnte vom         freundschaft und die gute Organisation!
                                                                                                      Fotos: privat
18
K   I   R   C   H   EK K K IK K NX X XN X Ö
                                                                                                         X

 Angelika Petritsch tödlich verunglückt
Am Nachmittag des 31. Juli 2019 ist
die Wiener Neustädter Pfarrerin Mag.a
Angelika Petritsch bei einem Autounfall
während ihres Sommerurlaubs in Nami-
bia ums Leben gekommen. Die Pfarr-

                                                                                                   Foto: epd/M. Uschmann
gemeinde Wiener Neustadt verliert ihre
Pfarrerin, die seit 2010 dort Dienst ge-
tan hat und durch ihre natürlich Art und
ihre Freude an Neuem viel bewegt und
eine Atmosphäre der Wertschätzung ge-
schaffen hat. Die Superintendenz verliert       Dinge gut waren – und auch wenn sie
eine loyale, fröhliche Kollegin, die vielen     nicht gut waren. Für beides bin ich sehr
zur Freundin geworden ist. Ich verliere         dankbar.
eine Wegbegleiterin im geistlichen Amt.         Bei all dem können wir nicht ermessen,
Angelika Petritsch hat mich als erste an-       was der Verlust für ihre Familie bedeutet.
gesprochen, ob ich mich der niederöster-        Ihr und allen Angehörigen gilt unsere An-
reichischen Wahl zum Superintenden-             teilnahme und unser Gebet.
ten stellen würde. Sie war eine ehrliche        Angelika wurde 37 Jahre alt.
Wegbegleiterin, die mir gesagt hat, wenn                  Superintendent Lars Müller-Marienburg

  Radiogottesdienst aus Niederösterreich
Am Pfingstmontag übertrug der ORF in            den verschiedensten Gründen in keine
den Regionalradios den Gottesdienst             Kirche gehen können. Durch solche Got-
aus Waidhofen an der Thaya. Unter dem           tesdienste bieten Pfarrgemeinden einen
­Motto „Weltweit in Waidhofen‟ wurde            besonderen Dienst an einer großen, meist
 der Gottesdienst auf Deutsch, Lettisch         unsichtbaren, Radio- und TV-Gemeinde.
 (Muttersprache der Ortspfarrerin Dace
 Dislere-Musta) und Tschechisch (wegen
 der Nähe zu Tschechien und den be-
 stehenden Kontakten) gefeiert. Die ver-
 schiedenen Sprachen sollten ein Zeichen
 für die Vielfalt der weltweiten Kirche sein.
 Denn die Größe der Kirche scheint auch
 in die vermeintlich kleinen und intimen
 evangelischen Pfarrgemeinden durch of-
 fene Türen hinein. Radio- und Fernseh-
 gottesdienste sind für alle gastgebenden
 Gemeinden etwas Ungewöhnliches. Aber           (ORF-Radiogottesdienste können einige
 es ist wichtig, dass es Übertragungen im       Zeit lang auf https://religion.orf.at/radio/
 Fernsehen, Radio und Internet gibt, weil       tags/gottesdienste/ nachgehört werden.)
 so Menschen mitfeiern können, die aus
                                                                                                                           19

                                                                                             red
K K KIK KL XIX XT X Ä
 M                   X XR
                        XXX
                          S E E   L   S   O   R   G   E

     ▶Momentaufnahme
       aus Bosnien …
       Seit Februar bin ich als neuer evangelischer Militär-
       pfarrer für Niederösterreich tätig. Aber nicht nur in
       Österreich: Wir Militärpfarrer begleiten und betreuen
       die Soldaten und Zivilbediensteten des Österreichi­
       schen Bundesheeres auch in den Auslandseinsätzen.

       Auf dem Weg von meinem Zimmer zum                  Wie lange soll das noch so gehen, und
       großen Speisesaal im EUFOR-Camp                    was für einen Sinn macht das?
       Butmir/Sarajevo ruft mir ein polnischer
       Soldat freundlich „Morning, Padre!‟ zu.            Gute Frage.
       Er hat wohl das Kreuz auf meiner Uni-              Ich habe schließlich auch keine bes-
       form gesehen und weiß sofort: Das ist              sere Antwort als diese: Solange die
       ein „Himmelverbindungsoffizier‟, wie wir           EUFOR-Soldaten hier sind, werden die
       Militärpfarrer bei den Österreichern auch          Menschen davon abgehalten, alte, vor
       manchmal scherzhaft genannt werden.                langer Zeit ausgestellte schreckliche
                                                          Rechnungen zu begleichen und sich ei-
       Beim Frühstück setze ich mich zu ein               nander abzuschlachten.
       paar österreichischen Kameraden und
       plaudere mit ihnen ein wenig darüber,              Es ist zumindest eine Form von Frieden –
       woher sie kommen, was sie hier ma-                 wenn auch nicht ideal und auf ewig. Und
       chen und wie es ihnen dabei geht. In               dass dieser fragile Frieden halten möge,
       den ersten Tagen sind diese Gespräche              darum bitten wir Gott bei den Gottes-
       noch etwas holprig, aber schon nach ein,           diensten in der kleinen Camp-Kapelle, zu
       zwei Wochen, wenn sie mein Gesicht                 denen immer wieder ein kleines Häuflein
       wiedererkennen, wird die Unterhaltung              zusammenkommt.
       lockerer.

       Immer wieder kommt das Gespräch auf
       die Frage der Sinnhaftigkeit dieses Ein-
       satzes, über 20 Jahre nach dem Krieg.
       Es hat sich – scheinbar – hier ja doch
       nichts verändert.

       Noch immer stehen sich die Bosnier, Ser-
       ben und Kroaten hier im Land skeptisch
       bis feindselig gegenüber, noch immer
       regiert ein kompliziertes, korruptes und
       aufgeblähtes System von Politikern aller
       Ethnien dieses Land unter der „Aufsicht‟                Michael Lattinger, MilSen
20

       der internationalen Gemeinschaft.                       Militärpfarrer beim MilKdoNÖ
G   E   M   E   I   N   D   E   M   O   S   A   I   K

      ▶ Berichte aus den Gemeinden
                       Niederösterreichs
                               Redigiert von Birgit Lusche

Visitation in Bruck a. d. Leitha – Hainburg a. d. Donau
Hainburg. Von 14. bis 19. Mai 2019 fand in unserer Pfarrgemeinde eine
­Visitation statt. Aus diesem Anlass haben wir mehrere öffentliche Veran­
 staltungen vorbereitet. Am 30. April des Jahres waren es acht Jahre, dass
 die Martin-Luther-Kirche in Hainburg eingeweiht worden war.

Die österreichische Post hat eine Briefmarkenserie über moderne
Architektur in Österreich aufgelegt und der evangelischen Martin-­
  Luther-Kirche in Hainburg, die wohl eines der architektonisch
 spektakulärsten Sakralgebäude unseres Landes ist, eine eigene
   Sondermarke gewidmet. (Foto: Josef Rittler, Christina Ritschel)

Die Sonderbriefmarke wurde in einer Auf-       Im       Rahmen
lage von 230.000 Marken in Bögen zu 50         unserer      Ge-
Stück ausgedruckt und am Dienstag, dem         sprächsreihe am
14. Mai, präsentiert.                          Mittwochabend
                                               entführten uns    Die Sonderbriefmarke
So haben wir den Geburtstag der Kir-           Maria und Walter mit der Martin-­Luther-
che mit der Präsentation der Marke             Sinkovc in Wort    Kirche in Hainburg.
gemeinsam gefeiert. Bei dieser Feier-          und Bild auf den
stunde waren auch Superintendent Lars          spanischen Jakobsweg. Ein interessanter
Müller-Marienburg und das Visitations-
­                                              Abend, an dem auch der Superintendent
                                                                                                        21

team anwesend.                                 unser Gast war.
G   E    M E   I   N   D   E   M   O   S   A   I   K

     Am Donnerstag haben wir in der Mat­                     Ein wichtiges Treffen von Visitations-
     thäuskirche in Bruck einen Diskussions-                 team, Presbyterium und der Gemeinde-
     abend unter dem Namen „Kirche trifft                    vertretung gab es dann am Samstag. Am
     Politik und Wirtschaft‟ mit dem Super-                  Sonntag wurde die Visitation mit einem
     intendenten und Repräsentanten des öf-                  Gottesdienst auf einem Schiff auf dem
     fentlichen Lebens und der Wirtschaft im                 Neusiedler See abgeschlossen.
     Bezirk Bruck an der Leitha organisiert.                                     Jan Magyar, Helga Reichel

              Kirche und Politik                             Dabei, so meint er, sollte sich die Kirche
                                                             jedoch vom parteipolitischen Diskurs dis-
     Mödling. Am Sonntag, dem 19. Mai                        tanzieren und auf die Verantwortungs-
     2019, durften wir in der evangeli­                      ethik nicht vergessen.
     schen Kirche in der Scheffergasse
     in Mödling im Rahmen der Themen­                        In der anschließenden Diskussion mit den
     gottesdienst-Reihe „Wie politisch                       Besucherinnen und Besuchern des Got-
     darf/soll Kirche sein?‟ den damali­                     tesdienstes kamen auch aktuelle Themen
     gen Bildungsminister Univ.-Prof. Dr.                    wie der Karfreitag und die Einführung des
     Heinz Faßmann begrüßen.                                 Ethikunterrichtes zur Sprache.
                                                                                      Patricia Grimm-Hajek

     In seinem Vortrag zum
     Zitat „Mit der Bergpre-
     digt kann man nicht
     regieren‟ brachte er
     sechs     Anmerkungen
     ein. Darin ging er auch
     auf die umgekehrte
     Perspektive ein, näm-
     lich welchen Stellen-
     wert Religion in einem
     säkularen Staat einneh-
     men soll.

     Bundesminister       Faß-
     mann betonte in die-
     sem    Zusammenhang
     die notwendige Äqui-
     distanz der Politik zu
     allen Religionen. Aus
     seiner Sicht ist Kirche
     jedenfalls politisch, ein           Neben zahlreichen Besucherinnen und Besuchern ließ sich auch
     „mahnendes Wort‟ zu                 der designierte Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Öster­
     sprechen sei eine Kern-             reich, Michael Chalupka, diesen besonderen Gottesdienst nicht
22

     aufgabe der Kirche.                                     entgehen. (Foto: privat)
G   E   M   E   I   N    D   E   M   O   S   A   I   K

                Konfi-Tage in Niederösterreich
Wiener Neustadt, Krems. Kurz vor den Konfirmationen waren alle ­Konfis
aus Niederösterreich zu den zwei Konfi-Tagen in Wiener Neustadt und
Krems eingeladen.

Sie können den Blick über die Gemein-      danken gemacht. Am 11. Mai fand der
degrenzen hinaus werfen, andere,           5. Konfi-Tag Krems für die Regionen Ost
gleichaltrige, evangelische Jugendliche    und West statt. Die Konfirmandinnen und
kennenlernen und für einen Tag Konfir-     Konfirmanden setzten sich mit Themen
mandenzeit in einer richtig großen Grup-   wie Schöpfungsverantwortung, Schuld
pe erleben. Bereits zum 8. Mal fand am     und Gnade, Homosexualität und Kir-
27. 4. der Konfi-Tag Süd statt. Fast 200   che und Kooperation und Teamfähigkeit
Konfis aus der Region Süd waren zusam-     auseinander. Den Abschluss bildete der
mengekommen und haben gemeinsam            Jugendgottesdienst in der Kremser Hei-
gebetet, gesungen und sich über die        landskirche. Herzlichen Dank an alle Mit-
Fragen „Woher komme ich? Wohin gehe        arbeiterinnen und Mitarbeiter!
ich?‟ in den zahlreichen Workshops Ge-                             Michael Simmer (Foto: privat)

     Wir feiern unsere                     Unter den vielen Gästen waren auch Dr.
                                           Franz Reiner, Kurator der Evangelischen
       Pfeifenorgel                        Pfarrgemeinde Timelkam, von welcher
                                           die Orgel gekauft wurde, und Josef Six,
Traisen. Am Sonntag, dem 5. Mai            Bürgermeister von Vöcklamarkt.
2019, war es endlich soweit. Die
­langersehnte    neue    Pfeifen­­or­gel   Superintendent Mag. Lars Müller-Marien-
 wurde in Traisen in der Auferste­
 ­                                         burg hielt die Festpredigt. Nach dem Fest-
 hungskirche der evangelischen Pfarr­      gottesdienst trafen die Gäste einander im
 gemeinde St. Aegyd a. N.-Traisen ge-      gemütlichen Gemeindesaal bei Gulasch
                                                                                                    23

weiht.                                     und Fassbier.
G   E   M E   I   N   D   E   M   O   S   A   I   K

                                                            Unterstützt wurde er im Berggottesdienst
                                                            vor dem zweiten Schwemm-Tunnel der
                                                            Hubmerschen Holzknechte vom Naßwal-
                                                            der Lektor Robert Schneeberger und der
                                                            Sängerrunde Schwarzau im Gebirge. Gäs-
                                                            te vom Burgenland bis Bayern saßen an-
                                                            schließend fröhlich bis in den Nachmittag
                                                            beisammen. Erstmals sorgte Juniorwirt
                                                            Anton Hajszan vom „Wirtshaus zum Rax-
                                                            könig‟ mit seinem Team top-organisiert
                                                            für Speis und Trank. Kaffee und Kuchen
                                                            lieferten Naßwalder Frauen.

                                                            2020 macht der Berggottesdienst Pause,
                                                            denn am 11. Juni feiern wir den Evan-
                                                            gelischen Kirchentag Niederösterreich in
                                                            Naßwald! Und der wird genau so urig!
                                                                                                       red
     Orgelbaumeister Robert Niemeczek begeis­
     terte mit seinen unterhaltsamen Ausführun­
       gen über den Aufbau einer Orgel und den
      Beruf des Orgelbaumeisters Jung und Alt.                    Mecki messerscharf:
                     (Foto: Planer)

     Das Nachmittagsprogramm wurde von
     Diözesankantorin Mag.a Sybille von Both
     und Orgelbaumeister Robert Niemeczek
     gestaltet. Der Festtag endete mit einem
     Abendlob.
                                        Karin Heistinger

                 Naßwalder
              Berggottesdienst
     Gscheidl. Gezählte 250 Besucher
     kamen wieder zum traditionellen
     Naßwalder Berggottesdienst, um
     bei bestem „evangelischen‟ Wetter                        Es gibt eine Unschuld der Bewunde-
     am historischen Ort miteinander zu
                                                              rung; der hat sie, dem es noch nicht in
     feiern.
                                                              den Sinn gekommen ist, auch er könne
                                                                   einmal bewundert werden.
     Umʼs eher un-evangelische „Knie beu-
                                                                  Friedrich Nietzsche (1844–1900),
     gen‟ aus Ehrfurcht und Demut vor dem,                        deutscher Philologe und Philosoph,
     was Gott uns zuwendet, drehte es sich in                       in: Jenseits von Gut und Böse
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     der Predigt von Pfarrer Andreas Lisson.
L   I   T   E   R   A   T   U   R

▶             There is an alternative!
                             Rezension von Birgit Schiller

Renata Schmidtkunz fasst Transzendenz        Vom Gottesbild ihrer Kindheit hat sich die
weit: „Sich darin zu üben, dass es einen     beim ORF tätige Redakteurin gelöst. Sehr
Bereich gibt, der jenseits unseres Verste-   persönlich erzählt sie von ihrer Suche
hens und unseres Einflusses ist, bedeu-      nach einem neuen Bild, das der heutigen
tet neben vielem anderen auch, Distanz       Gesellschaft verständlich und zugänglich
zum Weltgeschehen zu bekommen. Es ist        ist. Manchmal bleibt sie dabei eng am tra-
eine Distanz, die befreien kann von jenen    ditionellen christlichen Glauben, manch-
Trieben, die unsere Welt und die Mensch-     mal ist ihr Zugang sehr weit gefasst. Die
heit im Moment zu zerstören drohen.‟ Die     theologische Schulung ist, trotz einiger
Pfarrerstochter und Theologin plädiert für   kleiner sachlicher Fehler („christliche Re-
den immer vorhandenen Moment der Un-         ligionen‟), positiv zu spüren und wirft
verfügbarkeit, nicht, um sich fatalistisch   die Frage auf, ob es der Botschaft Jesus
zurückzulehnen, sondern um dem Macht-        Christi wirklich widerspricht, so verpackt
anspruch Herrschender entgegenzutre-         zu werden, wenn dadurch die Sehnsucht
ten. Renata Schmidtkunz, bekannt als         heutiger Menschen nach dem Transzen-
Moderatorin und Dokumentarfilm-Regis-        denten und nach Hoffnung wieder ge-
seurin, war Mitinitiatorin des Volksbegeh-   weckt werden kann.
rens „Sozialstaat Österreich‟ 2001.
                                             Ich sehe hier einen notwendigen und
Seither beobachtet sie die Veränderung       interessanten Diskurs, zu dem das Buch
der Gesellschaft unter dem Eindruck neo-     anregen kann.
liberaler Wirtschaftsmodelle. Sie sieht
Geiz, Neid, Konkurrenz und brutales Ef-
fizienzdenken sich ausbreiten, den Men-
schen vom unantastbaren Lebewesen
zum Konsumenten degradiert. Sie hört
den Ruf „Es gibt keine Alternative‟, wenn
es um die Rettung von Budgets und um
ständiges Wirtschaftswachstum geht,
wobei die sozial schwache und zuneh-
mend auch die Mittelschicht leiden. Re-
nata Schmidtkunz führt all das auf den
Verlust der Transzendenz zurück, auf den
Verlust der Fähigkeit und Bereitschaft,
über sich hinauszuschauen, jenseits der
„materiellen Wirklichkeit einen offenen
                                                         Renata Schmidtkunz
Raum‟ zu sehen, „einen Raum der Frei-
                                               Himmlisch frei. Warum wir wieder mehr
heit‟, der die „Wahrnehmung von uns                   Transzendenz brauchen
selbst, der Gemeinschaft und der Welt, in               edition a, Wien, 2019
der wir leben‟ erweitert.
                                                                                                  25

                                                       ISBN 978-3-99001-269-7
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