Forum Arbeit - bag arbeit e.V.

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04/2018                 DAS MAGAZIN DER BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT ARBEIT E.V.

          Forum Arbeit

          ZUR SACHE Teilhabe ermöglichen MAGAZIN Nachrichten
          aus dem Verband TITEL Langzeitarbeitslosen Teilhabe
          ermöglichen BAG ARBEIT TRIFFT Dr. Matthias Bartke
          BLICK ÜBER DEN TELLERRAND Dock Gruppe Schweiz
          VERANSTALTUNGSTIPPS Seminare auf einen Blick
          NACHGEFRAGT bei Peter Siwon

                 Langzeitarbeitslosen
                 Teilhabe ermöglichen
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Inhalt

                                                                                                        Foto: Julia Baumgart
Zur Sache
Teilhabe ermöglichen                              2
Claudio Vendramin                                      Soziale Integration durch Bürgerarbeit
                                                       oder bürgerschaftliches
                                                       Engagement?                            18
Magazin                                                Prof. Dr. Gerd Mutz

Sozialer Arbeitsmarkt: Wer kommt                       Kommentare zum Podium – Was habe
für eine Förderung infrage?                       3    ich über Digitalisierung auf dem
Lena Becher                                            Podium gelernt                   22
                                                       Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen, Hannes Leber,
Die Realität des Digitalen Lernens                4    Thiemo Fojkar, Dr. Martin Noack
Dr. Peter Brandt

6 Argumente für mehr Innovation
in Jobcentern                                     6
                                                       bag arbeit trifft                               24
Susanne Ahlers                                         Dr. Matthias Bartke

Buch- und Filmtipp                                9
                                                       Blick über den Tellerrand
                                                       Dock Gruppe Schweiz                             28
Langzeitarbeitslosen Teilhabe
ermöglichen
Das BMAS beantwortet die wichtigsten                   Veranstaltungstipps                             30
Fragen zum neuen Gesetz              10

Kann das neue Regelinstrument                          Nachgefragt                                     32
Langzeitarbeitslosigkeit langfristig                   Peter Siwon
reduzieren?                                       14
Kai Whittaker, Bernd Rützel, Sabine Zimmermann,
Pascal Kober, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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Zur Sache

                           Teilhabe ermöglichen

                                         Unser Autor Claudio Vendramin
                                         ist Vorstand der bag arbeit und geschäfts-
                                         führender Vorstand des Arbeitskreis Recy-
                                         cling e.V. und des WIR e.V.

Mehr Geld für Langzeitarbeitslose – sehr gut.        gern uns dem blanken Kapitalismus, wenn wir
Teilhabe für Männer und Frauen – jawohl. Der         mit unseren Leuten sinnvoll und nicht (nur) pro-
Arbeits-Verwaltung einen eigenen Finanztitel -       fitorientiert arbeiten. Wir spotten über Konzern-
warum nicht. Langfristige Beschäftigung ermög-       vorstandsgehälter (sonst müssten wir weinen)
lichen – na endlich. Sozialarbeit für den Arbeits-   und von finanzieller Not brauche ich Euch ja wohl
markt – naja bitte.                                  nix zu erzählen.
Da könnten wir noch lange so weitermachen, ist       Der Sinn jedoch, der wird immer wichtiger wer-
diese Sichtweise aber nicht doch eingeschränkt?      den. Angesichts der bereits heute exponentiellen
Gerade unsere Initiativen können neben all den       Wachstumsgeschwindigkeiten, mit der Informati-
Erfolgen und Reparaturen am Arbeitsmarkt noch        onen verarbeitet und verfügbar gemacht werden,
andere Ziele für Menschen erreichbar machen,         lassen sich zukünftige Szenarien immer schwerer
z. B. die Frage nach dem Sinn. Sinn verspricht       vorhersagen. Dass die KI (künstliche Intelligenz)
die Beschäftigung mit „mehr“ als dem Ertrag in       jedoch nicht nur Bandarbeit und Taxifahrer er-
unserem Portemonnaie. Das kann die Wahrneh-          setzen kann, hat sich bereits herumgesprochen.
mung von Mitmenschen, Alten, Kindern, Frem-          Betroffen werden Juristen, Steuerfachleute,
den, Pflegebedürftigen sein. Das reicht über das     Mediziner sein und andere ähnlich hochkarätig
humanzentristische Weltbild hinaus in Feld, Wald     angesiedelte Berufsbereiche. Sinnvolle Beschäf-
und Flur hinein, in Belange von Umwelt und Ge-       tigung, Beschäftigung mit Sinn, diesen einen un-
sellschaft, Fauna und Flora. Hier entwickeln wir     serer Markenkerne können wir erhobene Haup-
Ideen und Konzepte, die ganz sicher über ein         tes vor uns her tragen. Lasst es uns tun.
oder zwei Bundestags-Wahlperioden hinausge-
hen, sich um „Nachhaltigkeit“ und ein faires Mit-
einander bemühen. Das ist nicht nur ein Trend,
das ist gelebte Zukunft, die wir anbieten können.
„Die Avantgarde erkennt man an Spott, Verwei-
gerung und finanzieller Not“ – TAZ. Wir verwei-

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Magazin

Sozialer Arbeitsmarkt: Wer kommt für
eine Förderung infrage?
Lena Becher

Mindestens 571.000 Hartz-IV-Beziehende in            Jahre lang Hartz-IV-Leistungen bezogen haben
Deutschland kommen für eine Förderung mit            und währenddessen nur kurzfristig beschäftigt
dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ in-        waren. Sonderregelungen gelten für Schwerbe-
frage, wie aus einer Auswertung der Bundesagen-      hinderte und Eltern mit minderjährigen Kindern
tur für Arbeit (BA) hervorgeht. Das Instrument       im eigenen Haushalt.
richtet sich an über 25-jährige Erwerbsfähige, die
in den letzten sieben Jahren mindestens sechs

Viele Hartz-IV-Beziehende schaffen es langfris-      insgesamt rückläufig ist, leben fast eine Million
tig nicht, aus dem Hartz-IV-System herauszu-         Menschen, also ein Fünftel der Leistungsbezie-
kommen. Knapp 4,25 Millionen Erwerbsfähige           henden, seit mindestens einem Jahrzehnt durch-
bezogen laut BA-Statistik im Dezember 2017           gängig von Hartz IV.
Hartz-IV-Leistungen. Obwohl der Leistungsbezug
                                                                                                    3
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Magazin
Die Realität des Digitalen Lernens
Dr. Peter Brandt

Die Digitalisierung ist eine große Herausforderung und Chance für die Weiterbildungsbranche. Zieht
man aktuelle Studien aus Deutschland und der Schweiz heran, so können zugespitzt folgende Aussa-
gen formuliert werden:

1. Die Erwartungen der Bevölkerung an digita-     6. Digitales Lernen findet nur selten in organi-
   les Lernen sind hoch, aber verbinden sich          sierter Weiterbildung statt.
   mit traditionellen Lernvorstellungen.          7. Knapp die Hälfte der Weiterbildungsangebo-
2. Mit der Digitalisierung verbundene Nutzener-       te sind in irgendeiner Form „digital gestützt“.
   wartungen sind auch in der Branche verbrei-    8. Digitales Lernen trägt noch nicht zur Bil-
   tet, dort aber bei Leitungskräften deutlich        dungsgerechtigkeit bei.
   ausgeprägter als bei Lehrenden.                9. Lehrende setzten die meisten digitalen Lern-
3. Der Nutzen digitaler Lernformen kann von           formen noch nicht ein.
   den professionellen Akteuren der Weiterbil-    10. Der strategische Stellenwert der Digitalisie-
   dung oftmals noch nicht beurteilt werden.          rung ist in privaten Weiterbildungseinrichtun-
4. Lernende kennen zwar viele digitale Lernfor-       gen höher als in öffentlichen.
   men, aber sie nutzen nur wenige.
5. Wenige digitale Lernformen werden von ih-
   nen als attraktiv eingeschätzt.

4
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Magazin

Seine Thesen belegte Dr. Peter Brandt bei
seinem Vortrag auf der Jahrestagung der bag
arbeit durch Ergebnisse des Adult Education
Survey, des Monitors digitale Bildung und
der SVEB-Weiterbildungsstudie. Eine Stell-
schraube zur Bewältigung des anstehenden
Wandels sieht er in Maßnahmen zur Profes-
sionalitätsentwicklung des Weiterbildungs-
personals. Er stellte einen Selbsttest zur
Messung der Medienkompetenz vor, der am
7.12.2018 im Rahmen eines Webinars Inter-
essierten erklärt wird. Dieses sowie weitere
Informationen zur Digitalisierung der Wei-
terbildung bietet das kostenfrei zugängliche
Portal wb-web (www.wb-web.de).

                                               5
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6                                      Sechs Argumente
                                               für mehr
                                           Innovation in
                                             Jobcentern

Was heißt mehr Innovation in Jobcentern? Und wie kann diese funktionieren? Innovation kann ohne
gesetzliche Änderungen nur sehr bedingt stattfinden. Erneuerung, Veränderung, die wirklich diesen
Namen verdient, braucht grundlegend andere Rahmenbedingungen für Jobcenter als sie sie jetzt
haben.

Die Organisation eines Jobcenters orientiert sich
nicht primär an den Interessen und Bedürfnissen
arbeitsloser Menschen, sondern vor allem am
SGB II und an den Interessen der Verwaltung.
Deshalb müssen wir von der anderen Seite aus
                                                    Menschen in ganz unterschiedlichen Lebensla-
                                                    gen und mit verschiedenen Hintergründen davon
                                                    betroffen sind. Trotzdem glaube ich, dass es eini-
                                                    ge verallgemeinerbare Antworten gibt.
                                                    Wir im Jobcenter müssen uns verändern und
denken: Was brauchen diejenigen, die keine Er-      lernen, zu überzeugen und zu werben. Mit dem
werbsarbeit haben, von der sie gut leben kön-       bisherigen Vorgehen entsprechend des SGB II
nen? Diese Frage müssen wir uns stellen und         Prinzips „Fördern und Fordern“ waren wir nicht
Lösungen suchen. Das ist nicht einfach, weil        wirklich erfolgreich.

1. Existenzminimum ohne Angst

Menschen, die keine Arbeit haben, die ihren Le-     Sie bewirken oft das Gegenteil: Sie verunsichern

             1
bensunterhalt sichert, brauchen ausreichende        und führen dazu, sich ausschließlich mit den An-
finanzielle Unterstützung. Sie brauchen bezahl-     forderungen für den Leistungsbezug zu befassen
baren Wohnraum. Und genügend Geld, um sich          und nicht mit der eigenen beruflichen Zukunft.
gesund zu ernähren und am sozialen und kul-         Vereinfachtes Leistungsrecht und Abschaffung
turellem Leben teilzunehmen. Und dieses Exis-       der Sanktionen kann hier eine Antwort sein.
tenzminimum darf nicht in Frage gestellt werden.
Denn Sanktionen oder unverständliche gesetzli-
che Regelungen, die Angst machen, unterstützen
nicht dabei, wieder eine Erwerbsarbeit zu finden.

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Forum Arbeit - bag arbeit e.V.
Magazin

Unsere Autorin Susanne Ahlers
ist Geschäftsführerin des Jobcenters Bremen.
Hier ist Sie für die geschäftspolitischen Steu-
erung, laufende Geschäfte und die Umsetzung
der fachlichen Aufgaben verantwortlich.
jobcenter-bremen.geschaeftsfuehrung@job-
center-ge.de

2. Qualifizierte und individuelle Beratung            3. Unterstützung bei der Arbeitssuche

Arbeitslose Menschen brauchen Beratung, die           Wo finde ich einen Arbeitsplatz, was kann ich

               3
auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das be-       machen, um den passenden Arbeitsplatz für

             2
deutet, dass Mitarbeiter*innen im Jobcenter die       mich zu finden? Das sind wichtige Fragen, die
entsprechenden Qualifikationen und Kompeten-          wir im Jobcenter beantworten müssen. Das kön-
zen benötigen. Und eine gute Beratung kann nur        nen wir nur, wenn wir genügend Personal haben.
ohne Angst und Abhängigkeit funktionieren. Die        Heute kümmert sich eine Integrationsfachkraft
Stärken und Möglichkeiten der Einzelnen müssen        um mindestens 150, normalerweise um sehr viel
gemeinsam identifiziert werden. Menschen, die         mehr Personen. Da ist weder eine individuelle,
keine Erwerbsarbeit haben, insbesondere über          qualifizierte Beratung noch eine tatsächliche Un-
einen längeren Zeitraum, befinden sich in der         terstützung bei der Arbeitssuche möglich.
Regel in einer Krise: ihr Selbstbewusstsein ist er-
schüttert, sie haben womöglich gesundheitliche
Probleme und weitere Herausforderungen, mit
denen sie umgehen müssen.

                                                                                                     7
Forum Arbeit - bag arbeit e.V.
Magazin
4. Weiterbildung bzw. Qualifizierung, die sich      6. Personal in den Jobcentern, das bei glei-
an den Ressourcen orientiert, die diejenigen        cher Arbeit gleich bezahlt und gut qualifiziert
mitbringen                                          wird.

             4 6
Für viele wirkt das Angebot, eine Weiterbildung     Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweier
oder eine Qualifizierung machen zu können,          Arbeitgeber (Kommune und BA) weiter zusam-
nicht wie eine Chance, sondern wie eine Bedro-      menarbeiten sollen, muss es gleiche Bezahlung
hung. Viele verbinden mit Bildung keine positiven   für gleiche Arbeit geben und gleiche Arbeitsbe-
Erfahrungen. Hier brauchen wir innovative Ange-     dingungen. Nur so werden wir qualifiziertes und
bote. Und wir sollten Weiterbildungen finanziell    motiviertes Personal in den Jobcentern halten
honorieren. Zum ALG II muss es eine zusätzliche     und anwerben können.
Aufwandsentschädigung geben, die eine Qualifi-      Wenn wir arbeitslose Menschen, insbesondere
kation attraktiv macht.                             Langzeitarbeitslose erfolgreich unterstützen wol-
                                                    len, brauchen wir Mitarbeiter*innen, die gerech-
                                                    te und gute Arbeitsbedingungen haben.
5. Beschäftigungsmaßnahmen, die zeitlich            Hohe Fallzahlen und ein kompliziertes und kaum
unbefristet sind, aber durchlässig                  noch durchschaubares Leistungsrecht sind zwei
                                                    wichtige Aspekte, die endlich verändert werden
Für diejenigen, die motiviert sind und arbeiten     müssen, um die Qualität der Arbeit zu steigern.
möchten, aber aus ganz unterschiedlichen Grün-
den zurzeit keine Chance auf einen Arbeitsplatz
auf dem Ersten Arbeitsmarkt haben, brauchen
wir unbefristete Angebote zur Teilhabe. Das müs-
sen gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten sein,

             5
die existenzsichernd entlohnt werden. Jedes

                                                                                                  Foto: Jobcenter Bremen
Jahr muss geprüft werden: Ist dieser Arbeitsplatz
noch der richtige? Ist eine Arbeitsplatzsuche auf
dem Ersten Arbeitsmarkt möglich? Macht eine
Qualifizierung Sinn? Ist eine andere Unterstüt-
zung notwendig? So wird gewährleistet, dass die
Personen sich weiter entwickeln können, aber
andererseits keine Angst um ihren Arbeitsplatz
haben müssen. Sie haben eine Perspektive, sta-
bilisieren sich, tun etwas Sinnvolles und werden
nicht nach einer bestimmten Zeit wieder nach
Hause geschickt – ohne Perspektive. Untersu-
chungen zeigen, dass Menschen nach befriste-
ten Maßnahmen in ein „tiefes Loch“ fallen und
Kompetenzen, die sie sich erarbeitet haben, wie-
der verlieren.

8
Magazin
Buchtipp                                            Filmtipp
Becoming. Meine
Geschichte                                          Capernaum - Stadt
Michelle Obama (2018)                               der Hoffnung
Michelle Obama beschreibt                           Libanon/USA (2018)
ihr Leben in drei Teilen: Be-                       Der in Cannes mit dem
coming me, Becoming us,                             großen Preis der Jury aus-
Becoming more. Aus einem                            gezeichnete Film von Na-
einfachen     Arbeiterviertel                       dine Labaki erzählt die
in Chicago über Princeton,                          Geschichte von Zain, der
Harvard und ihre Ehe mit Barack Obama bis ins       seine Eltern verklagt, weil sie ihn zur Welt ge-
                                                    bracht haben. Sie sollen keine weiteren Kinder
Weiße Haus. Selbstkritisch spart Obama dabei
                                                    bekommen dürfen. Vor Gericht entspannt sich
auch schmerzhafte Erfahrungen nicht aus und         seine Lebensgeschichte in den libanesischen
schafft so ein Buch, das politische und persönli-   Slums – von einem mutigen Kind zu einem zwölf-
che Geschichte verknüpft.                           jährigem „Erwachsenen“.

                                                                                                   Anzeige

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Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

                            Das BMAS beantwortet die
                              wichtigsten Fragen zum
                                        neuen Gesetz
                                               Allgemeine Fragen

     Was ist neu an den Förderinstrumenten?                Wie werden die Teilnehmenden ausgewählt?
     Gefördert wird sozialversicherungspflichtige          Fördervoraussetzungen sind sechs Jahre Leis-
     Beschäftigung auf dem allgemeinen und sozi-           tungsbezug (§ 16i SGB II) bzw. zwei Jahre Ar-
     alen Arbeitsmarkt. Die Förderung unterschei-          beitslosigkeit (§ 16e SGB II). Schwerbehinderte
     det sich von bisherigen Regelinstrumenten und         und Personen mit mindestens einem minderjäh-
     Programmen durch Dauer (bis zu fünf Jahren)           rigen Kind in der Bedarfsgemeinschaft können
     und Höhe (bis zu 100 Prozent) sowie durch die         bereits nach fünf Jahren Leistungsbezug geför-
     Einbeziehung aller Arbeitgeber unabhängig ih-         dert werden. Ansonsten wählen die Jobcenter
     rer Art, Rechtsform, Branche und Region. Die          die geeigneten Personen aus, diese kennen ihre
     Kriterien Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse      Fälle am besten.
     und Wettbewerbsneutralität entfallen. Neu ist
     auch die Finanzierung eines Coachings, mit
     dessen Hilfe die Arbeitsverhältnisse unterstützt
     und stabilisiert werden. Zudem wurden die neu-
     en Förderinstrumente transparent und einfach
     handhabbar gestaltet.

                           Zum neuen § 16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt“

     Was soll das neue Instrument leisten?                 Wie sieht die Bezuschussung konkret aus?
     Durch die Aufnahme eines sozialversicherungs-         Arbeitgeber, die eine Person aus der Zielgruppe
     pflichtigen Arbeitsverhältnisses und durch eine       sozialversicherungspflichtig einstellen, erhalten
     ganzheitliche beschäftigungsbegleitende Be-           für eine Dauer von maximal fünf Jahren einen
     treuung soll sehr arbeitsmarktfernen Langzeitar-      Lohnkostenzuschuss. Dieser beträgt in den ers-
     beitslosen soziale Teilhabe ermöglicht werden.        ten beiden Jahren 100 Prozent auf Grundlage
                                                           des gesetzlichen Mindestlohns oder eines ge-
                                                           zahlten Tariflohns und sinkt ab dem dritten Jahr
     Worin unterscheidet es sich von den übrigen           des Arbeitsverhältnisses jährlich um 10 Pro-
     Instrumenten?                                         zentpunkte. Für notwendige Qualifizierungen
                                                           können dem Arbeitgeber 3.000 Euro je Förder-
     Das neue Instrument zeichnet sich durch eine          fall erstattet werden.
     längere Förderdauer von bis zu fünf Jahren und
     einen hohen, degressiv ausgestalteten Lohn-
     kostenzuschuss aus. Den Teilnehmenden wird
     zudem während der Förderung eine ganzheit-
     liche beschäftigungsbegleitende Betreuung zur
     Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses angebo-
     ten und notwendige Qualifizierungen sind för-
     derfähig.

10
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
Was muss ein Arbeitgeber tun, um jemanden            Warum gilt das Instrument nur für Personen,
mit dieser Bezuschussung einzustellen?               die seit sechs Jahren Leistungen nach dem
Arbeitgeber können einen Lohnkostenzuschuss          SGB II bezogen haben?
nach § 16i SGB II erhalten, wenn sie eine Person     Mit dem Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“
aus der Zielgruppe sozialversicherungspflichtig      soll sehr arbeitsmarktfernen Langzeitleistungs-
einstellen. Zur Zielgruppe gehören jene Personen,    beziehenden wieder eine Perspektive zur Teil-
die über 25 Jahre alt sind, in mindestens sechs      habe am Arbeitsmarkt eröffnet werden. Denn
der letzten sieben Jahre Leistungen zur Sicherung    trotz der guten konjunkturellen Entwicklung in
des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezogen         Deutschland und der rückläufigen Arbeitslosen-
haben und in dieser Zeit nicht oder nur kurzzeitig   zahl in den vergangenen Jahren gibt es nach wie
beschäftigt waren. Schwerbehinderte und Perso-       vor eine zahlenmäßig bedeutsame Gruppe von
nen mit mindestens einem minderjährigen Kind         arbeitsmarktfernen Langzeitarbeitslosen, die
in der Bedarfsgemeinschaft können bereits nach       ohne besondere Unterstützung absehbar keine
fünf Jahren Leistungsbezug gefördert werden. Die     realistische Chance auf Aufnahme einer ungeför-
Förderung muss beim zuständigen Jobcenter vor        derten Beschäftigung haben.
dem Abschluss des Arbeitsvertrags vom Arbeitge-
ber beantragt werden.

                                                                                    Quelle:
                                                                                    Bundesministeriums für
                                                                                    Arbeit und Soziales (BMAS)

Was muss ein Arbeitsuchender tun, um in die-         Kann die Förderdauer von fünf Jahren bei ei-
se geförderte Anstellung zu kommen?                  ner zunehmend positiven Entwicklung vorzei-
                                                     tig abgebrochen werden?
Der Arbeitsuchende muss mit einem Arbeitgeber
ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhält-   Ja. § 16i SGB II ermöglicht eine fristlose Kündi-
nis eingehen. Die Entscheidung über die Zuwei-       gung durch den Arbeitnehmer, wenn ein Wechsel
sung trifft das Jobcenter.                           in ungeförderte Beschäftigung oder Ausbildung
                                                     möglich ist.
Was passiert mit der geleisteten Bezuschus-
sung, wenn Arbeitgeber oder Arbeitnehmer
das Anstellungsverhältnis vorzeitig beenden
bzw. kurz nach Auslaufen der Förderung?
Für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses
gelten die Vorschriften des allgemeinen Arbeits-
rechts. Eine Rückzahlung eines geleisteten Lohn-
kostenzuschusses sieht § 16i SGB II nicht vor.

                                                                                                           11
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
                        Zum neuen § 16i SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt“

 Handelt es sich ebenfalls um ein arbeitsmarkt-        Warum und wie wird es angepasst?
 politisches Instrument?                               Aufgrund der hohen Fördervoraussetzungen und
                                                       der daraus resultierenden Umsetzungsschwierig-
 Ja. § 16e SGB II in seiner neuen Fassung zielt dar-
                                                       keiten profitieren nicht alle Langzeitarbeitslosen,
 auf ab, Beschäftigungschancen auf dem allgemei-
                                                       die eine entsprechende Unterstützung brauchen,
 nen Arbeitsmarkt zu schaffen.
                                                       von § 16e SGB II aktuelle Fassung. Dies und un-
                                                       sere Erkenntnisse aus den Bundesprogrammen
                                                       der letzten Jahre gaben deshalb Anlass, einen
                                                       neuen Ansatz zu initiieren.
 Warum und wie wird es angepasst?
                                                                                        bitte umblättern >
 Erkenntnisse, die in § 16e SGB II nun umgesetzt
 werden sind: Ein möglichst einfach zu handha-
 bender erhöhter Lohnkostenzuschuss, ergänzt           Warum richtet es sich ausschließlich an Per-
 durch die richtige Arbeitgeberansprache und           sonen, die mehr als 2 Jahre ar¬beitslos sind?
 eine ganzheitliche beschäftigungsbegleitende          Was machen die weniger lang arbeitslos sind?
 Betreuung sind besonders geeignet, die Beschäf-
                                                       Mit einer mindestens zweijährigen Arbeitslosig-
 tigungschancen von Langzeitarbeitslosen auf
                                                       keit gehen in aller Regel zunehmend Vermitt-
 dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern
                                                       lungshemmnisse einher. Eine dauerhafte Lang-
 und zu stabilisieren. Das gab es in dieser Form
                                                       zeitarbeitslosigkeit kann zu diesem Zeitpunkt
 im SGB II noch nicht, § 16e SGB II neue Fassung
                                                       aber mit einer intensiven und guten Förderung
 macht es nun möglich:
                                                       noch vermieden werden.
 Gefördert werden Arbeitsverhältnisse mit Perso-
 nen, die trotz vermittlerischer Unterstützung seit
 mindestens zwei Jahren arbeitslos sind. Der Zu-
 schuss zum Arbeitsentgelt (tariflich oder ortsüb-
 lich) beträgt 75 Prozent im ersten und 50 Prozent
 im zweiten Jahr. Während der Förderdauer findet
 eine ganzheitliche beschäftigungsbegleitende
 Betreuung (Coaching) statt.

                                                                                       Quelle:
                                                                                       Bundesministeriums für
                                                                                       Arbeit und Soziales (BMAS)

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Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
                                             Finanzierung

Was kosten die neuen Förderinstrumente zu-              Woher kommt das Geld?
sätzlich?
                                                        Aus dem Bundeshaushalt.
Den Jobcentern werden zur Umsetzung bis 2022
vier Mrd. Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt.
Darüber hinaus wird ein Passiv-Aktiv-Transfer
ermöglicht, um Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu
finanzieren. Wie sie das Geld zum Abbau der
Langzeitarbeitslosigkeit einsetzen, entscheiden
sie selbst.

                                                                                                Quelle:
                                                    Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS)

                                           Erfolgskontrolle

Was passiert, wenn die neuen Förderinstru-              Was gilt als erfolgreich?
mente nicht greifen?
                                                        Es gibt drei gesetzliche Ziele: Die Verbesserung
Das BMAS wird die Umsetzung durch Monitoring            der sozialen Teilhabe, der Beschäftigungsfähig-
und Evaluation laufend überprüfen und ggf. re-          keit und der Beschäftigungschancen der Teilneh-
agieren.                                                menden. Das erstgenannte Ziel ist beim § 16i
                                                        SGB II den beiden nachgelagerten Zielen über-
                                                        geordnet. Die Erreichung genau dieser Ziele wird
Wer prüft, ob die neuen Förderinstrumente               das IAB überprüfen.
erfolgreich sind?
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung in Nürnberg (IAB) wird die neuen Instru-                                                                        Quelle:
mente umfassend evaluieren.                                                https://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsmarkt/
                                                                        Arbeitsfoerderung/Fragen-und-Antworten-Teilhabechan-
                                                                              cen/faq-teilhabechancen-langzeitarbeitslose.html

                                                                                                                          13
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

Kann das neue Regelinstrument
       Langzeitarbeitslosigkeit
        langfristig reduzieren?

Das neue Regelinstrument wird einen Beitrag
zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit leisten.
Es kann jedoch nur ein Baustein in einer größer
angelegten Strategie sein. Unser Ziel muss wei-
ter sein: Vollbeschäftigung. Um dieses Ziel zu er-
reichen, brauchen wir ganzheitliche Ansätze zur
Integration in Arbeit. Das kürzlich verabschiede-
te Teilhabechancengesetz verfolgt solche Ansät-
ze und richtet sich dabei an jene Menschen, die
seit vielen Jahren Hartz-IV-Leistungen beziehen.
Fakt ist, dass rund eine halbe Million Menschen
seit 2005 ununterbrochen Leistungen nach dem
Zweiten Sozialgesetzbuch beziehen. Mit diesem
                                                         Kai Whittaker ist seit 2013 direkt gewählter
Umstand kann sich die Politik nicht zufrieden ge-
                                                         CDU-Bundestagsabgeordneter des Wahl-
ben. Deshalb sollten wir alles daran setzen, Men-
                                                         kreises Rastatt. Seit 2013 gehört er dem
schen zu befähigen und sie langfristig aus Hartz         Bundestagsausschuss für Arbeit und
IV herauszuholen. Dafür sind eine intensivere            Soziales an. Er ist Berichterstatter der CDU/
Betreuung und eine bessere Beratung von lang-            CSU-Bundestagsfraktion für das Thema
zeitarbeitslosen Menschen nötig. Es geht dar-            Hartz IV und hat sich in dieser Funktion
um, den Menschen individuelle Wege in Arbeit             auch für das Teilhabechancengesetz
aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund muss der             verantwortlich gezeigt.
Betreuungsschlüssel in den Jobcentern weiter
verbessert werden. Darüber hinaus sollte Quali-
fizierung oberste Priorität sein. Die schnelle Inte-   Qualifizierung schneller und häufiger arbeitslos
gration in Arbeit ist in den Jobcentern fest veran-    werden. Um diesen Teufelskreislauf zu stoppen,
kert. Dieser Ansatz ist nicht nachhaltig. Es wird      muss Qualifizierung an erster Stelle stehen - vor
verkannt, dass Menschen aufgrund mangelnder            allem bei jungen Menschen.

14
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
Je länger die Suche nach Arbeit                                   grenze des Mindestlohns. Es
erfolglos bleibt, umso schwieri-                                  geht also nicht um 1-Euro-Jobs,
ger wird der Weg in Arbeit. Da-                                   sondern um echte Beschäfti-
her braucht es individuell aus-                                   gung bei Unternehmen, Kom-
gerichtete Unterstützung, um                                      munen und Trägern.
auch denen, die die Hoffnung                                      Ich bin optimistisch, dass es
auf Arbeit oft schon aufgege-                                     uns so gelingt, Menschen aus
ben haben, eine Perspektive                                       der Arbeitslosigkeit zu holen,
und neue Teilhabechancen zu                                       die anders keine Chance er-
eröffnen. Deshalb ist das Teil-                                   halten hätten. Das bedeutet so
habechancengesetz eingebet-                                       viel, da Arbeit mehr ist als der
tet in das Gesamtkonzept „Mit-                                    Broterwerb. Sie bedeutet auch
Arbeit“. Neben der Schaffung                                      Anerkennung und soziale Teil-
eines sozialen Arbeitsmarkts                                      habe. Wenn es möglich ist, mit
in sozialversicherungspflichti-     Bernd Rützel (MdB) ist        der eigenen Arbeit selbst für
ger Beschäftigung, verbessert       ordentliches Mitglied der SPD sich und seine Familie sorgen
die Bundesregierung damit die       im Ausschuss für Arbeit und   zu können, dann wirkt das weit
intensive Betreuung, gute Bera-     Soziales.                     über die geförderte Person hin-
tung und wirksame Förderung                                       aus. Es wirkt bis in die Familie
von Langzeitarbeitslosen.                                         hinein, in der Kinder vorgelebt
Ein entscheidendes Element bei dem Weg in bekommen, was Arbeit bedeutet, dass es eine
dauerhafte Arbeit ist auch, dass dort, wo Tarif- gute Sache ist, etwas zu leisten und Anerken-
lohn gezahlt wird, auch Tariflohn gefördert wird. nung zu bekommen.
Außerdem gilt selbstverständlich die Lohnunter-

Bereits seit über zehn Jahren setzt sich die Frak- von vornherein aus. Weil der soziale Arbeits-
tion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag für öf- markt erst nach vielen Jahren Hartz-IV-Bezug
fentlich geförderte Beschäftigung ein. Dass nun greift, wird zudem der Wiedereinstieg in den
auch die Bundesregierung die Zeichen der Zeit Arbeitsmarkt unnötig erschwert. Ferner sol-
erkannt hat, begrüße ich deshalb sehr. Der so- len die geförderten Arbeitsplätze auch noch in
ziale Arbeitsmarkt, den sie im                                      der Arbeitslosenversicherung
neuen § 16i des Zweiten Buchs                                       versicherungsfrei sein. Daher
Sozial-gesetzbuch einführt, ist                                     bin ich skeptisch, ob es mit
das späte Eingeständnis, dass                                       diesem Gesetz gelingen wird,
verfestigte Langzeitarbeitslo-                                      Langzeiterwerbslosigkeit lang-
sigkeit nur mit öffentlich ge-                                      fristig zu reduzieren. Verfehlt
förderter Beschäftigung erfolg-                                     ist im Übrigen auch die Kon-
reich verringert werden kann.                                       zeption als sanktionsfähiges
Die konkrete Umsetzung aller-                                       Regelinstrument. Sie bleibt der
dings lässt zu wünschen üb-                                         alten Logik des Gängelns ver-
rig. Die Zahl der Arbeitsplätze                                     haftet. Zwangsbeschäftigung
ist deutlich zu gering bemes-                                       ist nicht nur entwürdigend,
sen. Selbst für die geplanten                                       sondern ergibt auch arbeits-
150.000 Arbeitsplätze reichen       Sabine Zimmermann (MdB) ist     marktpolitisch keinen Sinn,
die vorgesehenen Haus-halts-        seit 2009 die arbeitsmarktpoli- weil die Arbeits-marktintegrati-
mittel nicht ansatzweise.           tische Sprecherin der LINKEN    on auf diesem Weg in aller Re-
Schlimmer noch: Die stren-          im Bundestag und ordentliches   gel scheitern wird.
gen      Zugangsvoraussetzun-       Mitglied im Ausschuss für
gen schließen ei-nen großen         Arbeit und Soziales.
Teil der Langzeiterwerbslosen
                                                                                                 15
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
Die GroKo unternimmt mit dem Teilhabechan-           nur dann die volle Wirkung entfalten, wenn sie
cengesetz zwar einen Schritt in die richtige Rich-   im oder sehr nah am ersten Arbeitsmarkt ange-
tung, aber es ist dennoch ein Programm, das          legt sind und eine Qualifizierung im Sinne von
nur einen kleinen Teil der Langzeitarbeitslosen      einem „Training on the Job“ ermöglichen, bzw.
erreicht. Positiv ist, dass dieses Instrument mit    zur Bewältigung von Tätigkeiten des ersten Ar-
Lohnkostenzuschüssen arbeitet, die, wie aus der      beitsmarktes befähigen. Das scheint aber nicht
Praxis bekannt, zu den wirksamsten Maßnah-           wirklich das Ziel zu sein, denn bis heute hat die
men gehören. Fakt ist jedoch auch, dass diese        GroKo nicht erklärt, wie Arbeitgeber des ersten
                                                     Arbeitsmarktes für dieses Instrument gewonnen
                                                     werden sollen. Sodann hätte bei der Auswahl
                                                     des berechtigten Personenkreises deutlicher un-
                                                     terschieden werden müssen zwischen jenen, für
                                                     die der erste Arbeitsmarkt tatsächlich erreichbar
                                                     erscheint, und jenen, für die Beschäftigung um
                                                     der Teilhabe willen die realistischere Perspektive
                                                     ist. Für letztere ist aber die Maximalförderdauer
                                                     von fünf Jahren eine Enttäuschung. Hier könnte
                                                     nur die konsequente Umsetzung des Passiv-Ak-
                                                     tiv-Tauschs eine dauerhafte Hoffnung bedeuten.
                                                     Verfehlt ist auch, dass Weiterbildungen zusätzlich
                                                     zur Beschäftigung nicht hinreichend abschlusso-
  Pascal Kober ist Mitglied des Deutschen            rientiert durchfinanziert sind. Eine Verbesserung
  Bundestags der FDP Bundestagsfraktion.             der Chancen von Jugendlichen am Übergang
                                                     Schule und Beruf fehlt bedauerlicherweise völlig.

Reduzierung der Langzeitar-                                          bei dieser Frage. So soll der Zu-
beitslosigkeit ist gar nicht das                                     schuss nach einer festen Regel
Ziel des Instruments. Im Kern                                        mit der Zeit absinken, was bei
geht es darum, Arbeitslosen,                                         manchen Sinn machen kann,
die fast keine Chance auf eine                                       bei anderen nicht, bei anderen
reguläre Beschäftigung (mehr)                                        kann der Zuschuss vielleicht
haben, einen Zugang zum Ar-                                          sogar stärker sinken. Das ist
beitsmarkt dadurch zu ermög-                                         jeweils vom Einzelfall abhängig.
lichen, dass der Nachteil ge-                                        Bei der ausgewählten Grup-
genüber anderen durch einen                                          pe ist eher davon auszugehen,
Lohnkostenzuschuss ausgegli-                                         dass der Zuschuss bei vielen
                                       Dr. Wolfgang Strengmann-
chen wird. Deswegen ist es gut,                                      länger bei 100% bleiben müsste.
                                       Kuhn    ist  Sprecher     für
dass der Lohnkostenzuschuss                                          Fazit: Vom Grundgedanken her
                                       Arbeitsmarktpolitik und für
ohne Bedingungen wie Zusätz-           europäische Sozialpolitik der
                                                                     handelt es sich um das richtige
lichkeit und Wettbewerbsneut-          Bundestagsfraktion Bündnis    Instrument. Durch die konkrete
ralität gewährt werden kann. Es        90/Die Grünen.                Ausgestaltung ist aber zu be-
ist auch richtig, es auf Arbeits-                                    fürchten, dass die Erfolge sich
lose zu beschränken, die wirk-                                       in Grenzen halten, zumal es sich
lich kaum eine Chance auf eine Beschäftigung durch die Befristung des Gesetzes doch wieder
haben. Das Instrument aber nur für Arbeitslose nicht um ein dauerhaftes Regelinstrument han-
einzusetzen, die sechs der letzten sieben Jahre delt. In der nächsten Legislaturperiode muss das
Arbeitslosengeld II bezogen haben, ist viel zu Gesetz entfristet werden und sowohl der Zugang
spät. Bei vielen ist schon viel früher zu erkennen, als auch die Regeln im Einzelnen flexibilisiert
dass andere Instrumente nicht wirken werden. werden.
Insgesamt sind die Regelungen zu starr, nicht nur
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Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

                                        Soziale Integration durch
                                       Bürgerarbeit oder bürger-
                                       schaftliches Engagement?
                                                                                     Prof. Dr. Gerd Mutz

Die Frage, ob Bürgerarbeit oder Bürgerschaftli-        die in der Regie eines sogenannten Gemeinwohl-
ches Engagement zu einer sozialen Integration          unternehmers durchgeführt und von einem kom-
führt, ist nicht einfach zu beantworten, denn es       munalen Ausschuss für Bürgerarbeit organisiert
ist erst einmal zu klären, was jeweils darunter        wird. Sie soll eine kooperative, selbstorganisierte
verstanden werden soll, und zudem zu beachten,         Tätigkeit sein, für die es ein Bürgergeld gibt. Bür-
dass häufig Modell und Praxis auseinanderfallen.       gerarbeit ist folglich sehr voraussetzungsvoll: Ers-
Dies gilt es im Folgenden zu klären, bevor im          tens wird nicht nur die Freiwilligkeit der Tätigkeit
letzten Teil auf den Integrationsbegriff sowie das     betont, sondern auch ihr besonderer Charakter:
damit verwandte Inklusionskonzept eingegangen          Bürgerarbeit soll dem nahe kommen, was in al-
wird.                                                  ternativen Ansätzen als selbstbestimmte Arbeit
                                                       bezeichnet wird und der Gemeinwohlunterneh-
Das Modell der Bürgerarbeit wurde erstmals             mer ist nicht zu verwechseln mit einem Manager
1997 im Rahmen der Kommission für Zukunfts-            aus der etablierten Sozialwirtschaft. Mit der Bür-
fragen der Freistaaten Bayern und Sachsen von          gerarbeit sollte eine andere Organisationsform
dem Soziologen Ulrich Beck formuliert. Dabei war       von Arbeit erprobt werden.
Bürgerarbeit als eine freiwillige, zeitlich begrenz-
te Tätigkeit jenseits der Erwerbsarbeit konzipiert,
Foto: Bildungspark Heilbronn-Franken

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Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

                                                                                                   Foto: Julia Baumgart
Zweitens ist deren außergewöhnliche Einbin-          Bayern noch in Sachsen dem entsprachen, was
dung zu betonen, denn sie wird weder von ei-         sich Ulrich Beck gedacht hatte. In der Praxis der
nem staatlichen oder kommunalen noch von             beiden Bundesländer handelte es sich letztlich
einem Privatunternehmer organisiert, sondern         um eine Variante einer gering entlohnten, nicht
von einem lokalen Ausschuss, in dem politisch        sozialversicherungspflichtigen Arbeitsbeschaf-
Verantwortliche und Bürger_innen das Sagen           fungsmaßnahme. Auch die aktuellen Formen der
haben. Die Anlehnung an die Idee der Bürger-         Bürgerarbeit, die mit der Vorstellung von einem
oder Arbeiterräte war bewusst gewählt. Arbeit        Sozialen Arbeitsmarkt verknüpft werden, haben
sollte demokratisiert werden – im Kontext der        mit der Grundidee Ulrich Becks nichts mehr ge-
Debatten der 1990er Jahre um die Zukunft der         mein. Das Bürgerschaftliche Engagement zielt
Arbeit und Gefährdung der Demokratie machte          hingegen nicht auf eine alternative Organisation
das durchaus Sinn. Die Arbeitsverwaltung wur-        gesellschaftlicher Arbeit, sondern auf den ge-
de ausdrücklich nicht mit einbezogen, weil sie       sellschaftlichen Zusammenhalt. Es wird, bspw.
neben unterstützenden Aufgaben auch Kontroll-        von der Enquete-Kommission Zukunft des Bür-
und Sanktionsmöglichkeiten haben.                    gerschaftlichen Engagements 2002, definiert
Das Modell der Bürgerarbeit wurde insbesondere       als eine freiwillige, gemeinschaftlich-kooperativ
von Gewerkschaften kritisiert, weil eine indirekte   ausgeübte Tätigkeit, die nicht auf Erwerb bzw.
Vergrößerung des Niedriglohnsektors befürchtet       Gewinn zielt und sich am Gemeinwohl orientiert.
wurde; die Politik konnte mit der Idee der Demo-
kratisierung von Arbeit nichts anfangen.
Vor dem Hintergrund dieser Kritiken ist nach-
vollziehbar, dass die später tatsächlich imple-
mentierten Modelle der Bürgerarbeit weder in

                                 Unser Autor Prof. Dr. Gerd Mutz
                      ist Wirtschaftssoziologe an der Hochschule für
                        angewandte Wissenschaft München und leitet
                                   hier die Weiterbildung „Soziale Arbeit
                                        in der Einwanderungsgesellschaft“.

                                                                                                    19
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Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose
Bürgerschaftliches Engagement weist durchaus         kratische Prozesse. Dies gilt nach allen Studien
Parallelen zur Bürgerarbeit auf: Beide Tätigkeiten   sogar für gering bezahltes Engagement: Anders
sind freiwillig und selbstbestimmt, hier geht es     als bei der Bürgerarbeit (so, wie sie heute ver-
jedoch insbesondere um die Teilhabe in einem         standen und eingesetzt wird), fühlen sich bspw.
demokratischen Gemeinwesen. Dies entspricht          engagierte Laienhelfer_innen eingebunden in die
den damaligen Debatten um den gesellschaft-          gesellschaftlichen Bereiche, in denen sie aktiv
lichen Zusammenhalt, den man als gefährdet           sind.
sah. Gleichwohl gab
es schon damals
kritische Stimmen,
die auf die Gefahr
neoliberaler Verein-
nahmung hinwiesen
– schließlich fand
genau zu der glei-
chen Zeit der größ-
te sozialstaatliche
Umbau der Nach-
kriegszeit statt: von
der kompensatori-
schen und statuser-
haltenden zur exklu-
sionsvermeidenden       Foto: Julia Baumgart

Sozialpolitik.     Die
Förderung Bürgerschaftlichen Engagements             Komplizierter wird die Betrachtung, wenn man
könnte, so die Befürchtung, diese neoliberale        das Ziel der Integration selbst in den Blick nimmt.
Politik flankieren, indem Engagierte dort einge-     Im Falle lang andauernder Erwerbslosigkeit wird
setzt werden, wo sich der Sozialstaat zurück-        davon ausgegangen, dass es sich um Personen
zieht. Und in der Tat wurde schon bald das Bür-      mit einem besonderen Unterstützungsbedarf
gerschaftliche Engagement in der befürchteten        handelt, die in ein erwerbsarbeitsähnliches Sys-
Weise instrumentalisiert und bis heute werden        tem eingepasst werden müssen. Es wird der
Engagierte zunehmend als gering bezahlte Laien-      Mangel (z.B. sekundärer Arbeitstugenden) be-
helfer eingesetzt. Fragt man nun nach dem in-        tont, der Langzeitarbeitslose zu Abweichenden
tegrativen Gehalt beider Tätigkeitsformen, so ist    macht und der mithin den Integrationserfolg be-
die zunächst einfache Antwort: Bürgerarbeit im       stimmt. Es wäre aber auch denkbar, arbeitsge-
gedachten Sinne könnte durchaus integrierend         sellschaftliche Institutionen zu demokratisieren
wirken, und zwar nicht nur im Hinblick auf ar-       und so zu transformieren, dass dort möglichst
beitsgesellschaftliche Teilhabe, sondern auch in     alle Menschen mit ihren je unterschiedlichen
der Einübung selbstorganisierter kooperativer Ar-    Ressourcen und Fähigkeiten einen Platz finden,
beitsformen und auch im Hinblick auf die Demo-       d.h. das System der Märkte zu demokratisieren,
kratisierung arbeitsgesellschaftlicher Prozesse.     nicht die Menschen in eine bestimmte Form zu
Das, was heute als Bürgerarbeit bezeichnet wird      bringen. Dies wäre dann Inklusion im eigentli-
(etwa nach dem Programm „Soziale Teilhabe am         chen Sinne.
Arbeitsmarkt“), hat tatsächlich eher kontrollie-
renden und disziplinierenden Charakter, wirkt
aber selten integrierend.
Anders ist dies beim Bürgerschaftlichen Engage-
ment: Es wirkt integrierend, z.B. als Brücke zu
einer regulären Erwerbstätigkeit, befördert ge-
sellschaftlichen Zusammenhalt und stützt demo-

                                                                                                     21
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

                         Was habe ich auf dem
                     Podium der Jahrestagung
                            der bag arbeit über
                       Digitalisierung gelernt?
                                       Unstrittig ist die Bedeutung von Weiterbildung, damit Beschäftigte un-
                                       terschiedlicher Qualifikationsniveaus die Dynamik der Digitalisierung
                                       bewältigen. Deutlich wurde im Verlauf der Podiumsdiskussion aller-
                                       dings zwei oft vernachlässigte Aspekte: Zum einen muss für Beschäf-
                                       tigte zeitlich und organisatorisch die Voraussetzung für ein kontinuier-
                                       liches „learning-by-doing“ geschaffen werden. Nur dann können sie
                                       das nach wie vor unverzichtbare Erfahrungswissen über ihre Arbeits-
                                       prozesse aufbauen. Zum zweiten bedarf es aber auch Überlegungen,
                                       ob und wie die Ergebnisse solcher „learning-by-doing“ Prozesse zer-
                                       tifiziert werden und damit in allgemein anerkannte Qualifikationskom-
                                       ponente überführt werden können.

     Prof. Dr. Hartmut Hirsch-Kreinsen ist emeritierter Professor für Wirtschafts- und
     Industriesoziologie an der Technischen Universität Dortmund.

                                                          Die Diskussionen auf dem Podium und mit den
                                                          Anwesenden haben mir gezeigt, wie drängend die
                                                          Frage der digitalen Innovation für viele Einrich-
                                                          tungen ist. Um die Chancen digitaler Instrumente
                                                          und Kanäle nutzbar zu machen, muss das Perso-
                                                          nal in Lehre und Beratung frühzeitig einbezogen
                                                          werden, damit passende Schulungsangebote und
                                                          Arbeitshilfen entwickelt werden können. So kann
                                                          Unsicherheiten und Bedenken begegnet werden.
                                                          Besonders in Zeiten der wachsenden Attraktivität
                                                          Deutschlands als Zielland für qualifizierte Zuwan-
                                                          derung bieten digitale Lösungen in Weiterbildung
                        Hannes Leber ist bei der
                                                          und Beratung spannende Perspektiven. Vom
                        Otto Benecke Stiftung e.V.
                        für den Arbeitgeberservice        Sprachkurs bis zur Anpassungsqualifizierung für
                        und Anerkennungs- und             die Vermittlung hiesiger Industrie- und Arbeits-
                        Qualifizierungsberatung           standards – die Ortsungebundenheit digitaler An-
                        zuständig und Referent für        gebote macht sie für international mobile Fach-
                        das IQ Netzwerk Berlin.
                                                          kräfte besonders interessant.

22
Neue Teilhabechancen für Langzeitarbeitslose

Die Digitalisierung wird andere Arbeitsinhalte schaffen und damit
auch erhebliche Auswirkungen auf die Kompetenzprofile der Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen haben. Deshalb
werden zielgerichtete Weiterbildungen wichtiger denn je. Geringer
Qualifizierte und Arbeitssuchende stehen vor großen Herausfor-
derungen, um beim Wandel der Arbeitswelt nicht abgehängt zu
werden. Die Weiterbildungsträger werden sich hier sehr stark en-
gagieren, um deren Partizipation auch weiterhin zu ermöglichen.
Zwar werden vermutlich mehr Arbeitsplätze geschaffen, aber mit
anderen Ansprüchen an die Qualifikationsprofile der Mitarbeiten-
den. Man muss bei der Digitalisierung den Menschen die Angst
nehmen, was auf sie zukommen wird. Denn jede Veränderung birgt
Unsicherheiten, aber eben auch Chancen. Auf die müssen wir hin-
weisen uns für sie werben. Wir fordern von der Bundesregierung
                                                                         Thiemo Fojkar ist Vorstand der
ein Weiterbildungsgesetz, um noch mehr Menschen passgenau
                                                                            bag arbeit und Vorsitzender
qualifizieren zu können. Hochqualifizierte Menschen sind in der               des Vorstandes des Inter-
Lage, virtuelle Plattformen für ihre Weiterbildungsbemühungen zu             nationaler Bund (IB) Freier
nutzen. Aber für geringer und nicht qualifizierte oder viele arbeits-    Träger der Jugend-, Sozial- und
lose Menschen wird es darauf ankommen, sie bei ihren Weiterbil-                      Bildungsarbeit e.V..
dungen aktiv zu begleiten und zu unterstützen.

Angesichts der Unvermeidlichkeit des digitalen Wan-
dels macht sich die Trägerlandschaft auf den langen
Weg, die Chancen der Digitalisierung für die Wer-
bung, die Motivation, und den Kompetenzaufbau
benachteiligter Teilnehmer*innen zu nutzen. Hierbei
werden die Lehrkräfte für neue Rollen als Lernbeglei-
ter*innen im blended learning und flipped classroom
entwickelt und unterstützt werden müssen.

     Dr. Martin Noack arbeitet er als Senior Expert der Bertelsmann Stiftung im Projekt „Aufstieg durch
  Kompetenzen“ an der Entwicklung von Ansätzen für ein System der Anerkennung informellen und non-
                  formalen Lernens in Deutschland. Er twittert @cmgnoack und bloggt gemeinsam mit
                                            anderen Autoren auf https://blog.aus-und-weiterbildung.eu

                                                                                                          23
bag arbeit trifft

                                   Eckpfeiler einer
                                       nachhaltigen
                                Arbeitsmarktpolitik
                                                       Dr. Matthias Bartke ist Mitglied
Sehr geehrter Herr Dr. Bartke, das Teilhabe-           des Deutschen Bundestages für
chancengesetz als neues Regelinstrument
soll zum 01. Januar 2019 wirksam werden. An            die SPD und Vorsitzender des Aus-
welchen Stellen trägt das Gesetz die Hand-             schusses für Arbeit und Soziales.
schrift ihrer Partei, der SPD?                         Seit Januar 2016 ist er als Justizi-
Dr. Bartke: An fast allen. Die Grundidee ist, dass
                                                       ar Mitglied des geschäftsführen-
wir eine längerfristige Beschäftigung für solche       den Vorstands der SPD-Bundes-
Langzeitarbeitslose schaffen, die viele aufgrund       tagsfraktion.
ihrer sehr langen Arbeitslosigkeit schon aufge-
geben haben. Der soziale Arbeitsmarkt war ein
wesentlicher sozialdemokratischer Erfolg in den
Koalitionsverhandlungen. Die CDU/CSU wollte          Das Coaching soll alle Aspekte des Lebens
ihn nicht.                                           umfassen, also auch familiäre und soziale?
                                                     Wie soll das konkret gehen?

Man muß über eine                                    Dr. Bartke: Wir haben in letzter Minute durchge-
                                                     setzt, dass das Coaching regelhaft bereits zwei
dauerhafte Förderung                                 Monate vor Arbeitsaufnahme beginnt, damit
nachdenken                                           persönliche Probleme bereits vor Arbeitsbeginn
                                                     angegangen werden können. Zum ganzheitlichen
                                                     Ansatz des Coachings gehört, dass psychosozia-
Das Programm soll 150.000 Personen för-              le und gesundheitliche Aspekte einbezogen wer-
dern. Darauf angesprochen hören wir im po-           den. Dafür ist eine neutrale Vertrauensperson
litischen Berlin immer wieder: Qualität geht         notwendig.
vor Quantität. Was bedeutet das?
                                                     Warum werden (fachliche) Weiterbildung und
Dr. Bartke: Von mir hören Sie das nicht. Im Ge-      Qualifizierung nur in geringem Umfang geför-
genteil, ich möchte, dass die Langzeitarbeitslo-     dert?
sen gerade auf einfachen und nicht zu stark for-
dernden Arbeitsplätzen beschäftigt werden.           Dr. Bartke: Das werden sie nicht. In diesem Punkt
                                                     hat die SPD noch einmal massive Nachbesserun-
                                                     gen durchgesetzt. Künftig können Fortbildungen
                                                     mit hundert Prozent der Kosten bis zu insgesamt
                                                     3.000 Euro gefördert werden.

24
bag arbeit trifft

Eine wiederholte Inanspruchnahme des Inst-           Langzeitarbeitslose zwar erfolgreich stabilisiert
ruments ist nicht möglich. Was passiert mit          wurden, sie aber dennoch nicht in nennenswer-
Teilnehmenden, die auch nach Ablauf der fünf         tem Umfang den allgemeinen Arbeitsmarkt integ-
Jahre noch nicht fit für den ersten Arbeits-         riert wurden. Ich finde, dass man dann über eine
markt sind?                                          dauerhafte Förderung nachdenken muss.

Dr. Bartke: Das hängt sicherlich vom jeweiligen
Einzelfall ab. Ich kann natürlich nicht ausschlie-
ßen, dass wir in fünf Jahren feststellen, dass

                                                                                                   25
bag arbeit trifft
                                                    jahr in Anspruch genommen werden können.
Zum ganzheitlichen Ansatz                           Der Umschichtungsbedarf wird damit erheblich
                                                    reduziert. Wir wollen den Jobcentern aber nicht
des Coachings gehört, dass                          verbieten, die Mittel umzuschichten. Denn sie
psychosoziale und gesund-                           wissen vor Ort am besten, wie sie ihre Mittel ein-
                                                    setzen müssen, um Arbeitssuchende in Arbeit zu
heitliche Aspekte einbezo-                          bringen.
gen werden. Dafür ist eine
neutrale Vertrauensperson                           Ein Systemwechsel (z.B. bedingungslose
                                                    Grundeinkommen) wird von einem Großteil
notwendig.                                          der Politik ausgeschlossen. Was macht Sie
                                                    sicher, dass sie mit diesem Instrument Lang-
                                                    zeitarbeitslosigkeit nachhaltig abbauen kön-
Der EGT wird um 4 Milliarden aufgestockt.           nen?
Wie stellen Sie sicher, dass dieses Geld tat-
sächlich der Arbeitsförderung zukommt und           Dr. Bartke: Ich beschäftige mich schon zu lan-
eine Umwidmung zugunsten des Verwal-                ge mit Arbeitsmarktpolitik, um mir über geplan-
tungstitels ausgeschlossen ist?                     te Auswirkungen von Arbeitsmarktinstrumenten
                                                    „sicher“ zu sein. Aber zigtausende schwerst Ver-
Dr. Bartke: Wir haben nicht nur den EGT um 4        mittelbare in neuen Beschäftigungsverhältnissen
Mrd. Euro sondern auch den Verwaltungstitel um      wären auf jeden Fall ein großartiger Erfolg im
zusätzlich eine halbe Milliarde aufgestockt. Hin-   Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit.
zu kommt, dass zusätzlich bis zu 400 Mio. Euro
jährlich an nicht verausgabten Mitteln im Folge-

                                                      Kommentar
                                                      Felix Banaszak
                                                      seit Januar 2018 Landesvorsitzender von
                                                      Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen.

                                                      Ab 2019 gilt das Teilhabechancengesetz, Langzeit-
                                                      arbeitslose sollen auf dem zweiten – jetzt sozial
                                                      genannten - Arbeitsmarkt neue Chancen erhalten.
                                                      Schon jetzt ist klar: Für die tiefgreifenden Verände-
                                                      rungen unserer Wirtschafts- und Arbeitswelt sind
                                                      die Reformen viel zu kurz gesprungen.
                                                      Ja, das neue Gesetz ist ein Erfolg für die SPD in der
                                                      Koalition. Und ja, das neue Gesetz schafft Möglich-
                                                      keiten, Menschen für ihre Arbeit zu bezahlen, die
                                                      im harten Wettbewerb des ersten Arbeitsmarkts
                                                      immer wieder ausgegrenzt werden. Die heute an-
                                                      gesichts immer neuer Enttäuschungen oft völlig
                                                      demotiviert aufgeben.

26
bag arbeit trifft

Die Schritte gehen in die richtige Richtung. Doch          für den sich ständig verändernden Arbeitsmarkt
es hakt es oft in den Details – und letztlich bleiben      sollte darauf einen Rechtsanspruch haben –
die Schritte viel zu klein. Es ist ein sachlich nicht      statt gezwungen zu werden, wie bisher das erst-
begründbarer Koalitionskompromiss, die Förderung           beste Jobangebot anzunehmen.
nur einmalig zu gewähren. Denn gerade die, um die        • Weg mit dem Misstrauen: Kümmern wir uns
es geht, brauchen auch Unterstützung bei einem             endlich darum, dass Erwerbslose individuell ge-
zweiten oder dritten Anlauf. Und es ist ein Irrglaube,     fördert werden, statt alle erstmal so zu behan-
dass eine „One-fits-all“-Lösung in Bezug auf die An-       deln, als seien sie potentielle Drückeberger.
spruchsbedingungen – Stichwort Bezugsdauer von           • Sanktionen abschaffen: Die heute noch ver-
ALG II – den Anforderungen gerecht wird. Letztlich         hängten Sanktionen sind kontraproduktiv. Sie
ist das Gesetz ein richtiger, aber maximal ein erster      treiben Menschen in Kriminalität, Schwarzarbeit
Schritt auf dem Weg, aus der Arbeitslosen- eine Ar-        und aus dem System. Wir brauchen einen Pa-
beitsversicherung zu machen. Eine Welt mit rapiden,        radigmenwechsel von Sanktionierung zu Ermu-
oftmals disruptiven Veränderungen, einer galoppie-         tigung.
renden Digitalisierung und technologischen Revolu-       • Leistungen, die Chancen eröffnen: Eine echte
tionen im Monatstakt sorgt schon allein durch das          Grundsicherung muss Zahlungen vorsehen, die
ungeheure Tempo für große Unsicherheiten.                  eine echte Teilhabe ermöglichen – und Bildungs-
Auf dieses Tempo muss Politik mit einem System             chancen bieten. Wenn ein Staat wie bisher
reagieren, das Beständigkeit bietet, Sicherheiten          monatlich rund 1 Euro für Bildung einrechnet,
schafft und so Chancen eröffnet. Das setzt in gewis-       macht er sich mit dem Anspruch auf lebensbe-
ser Weise einen Bruch mit dem voraus, das Anfang           gleitendes Lernen lächerlich.
der 2000er-Jahre als „Agenda 2010“ vielen als die
richtige Antwort auf vollkommen andere Herausfor-        Gerade für Langzeitarbeitslose wäre ein solcher Um-
derungen galt                                            stieg in ein System der Sicherheiten, Chancen und
Unser bisheriger Umgang mit (Langzeit-)Arbeits-          Anreize eine echte Revolution. Es geht um ein Sys-
losen ist geprägt von Misstrauen, Bürokratie und         tem, das sie nicht länger als lästige Bittstellerinnen
Anreizen dazu, möglichst viele Menschen aus der          und Bittsteller behandelt, sondern ihre individuellen
Statistik verschwinden zu lassen. Schuld daran sind      Potentiale hebt und fördert Es ist nicht falsch, rich-
nicht die Mitarbeiter*innen der Jobcenter. Sie agie-     tige Schritte im falschen System zu machen. Aber
ren in einem System, das genau diese Merkmale            klüger, und den großen Herausforderungen unserer
trägt, sie machen den Job, den das System Hartz IV       Zeit angemessener, wäre, das System grundlegend
für sie vorsieht.                                        zu reformieren.
Wir Grüne fordern:
• weniger Bürokratie: Die Auszahlung von Leistun-
     gen muss von der Vermittlung der Arbeitslosen
     getrennt werden – Jobcenter sollen sich um
     Jobs kümmern.
• Echte Anreize: Wer einen Job annimmt, soll ei-
     nen viel größeren Anteil seines Lohns behalten
     dürfen – statt ihn wie bisher mit dem ALG II ver-
     rechnen zu müssen.
• Echte Weiterbildung: Wer sich fit machen will

                                                                                                                  27
Blick über den Tellerrand

Dock Gruppe AG
Sophie Schimmel

Sozialunternehmerische Arbeitsintegration
im Wandel
Integration kennt viele Facetten und wird              mit den zuweisenden Stellen vom Zeitpunkt der
Menschen nur gerecht, wenn sie auf ihre                Anmeldung und Zieldefinition an ist deshalb
Fähigkeiten, Möglichkeiten und ihre Bereitschaft       elementar.
zur Integration in die freie Wirtschaft ausgerichtet   Wir unterscheiden grundsätzlich zwischen
ist. Die Schweiz kennt seit dem Sommer 2018            den Attributen Können (Fähigkeit), Wollen
eine sogenannte Stellenmeldepflicht, die eine          (Bereitschaft) und Dürfen (Arbeitsbewilligung).
Deklaration u.a. sämtlicher Hilfsarbeiter-Vakanzen     Während Letzteres durch uns nicht beeinflussbar
beim Arbeitsamt erfordert. Um ihre Chancen zu          ist, arbeiten wir hauptsächlich rund um Fähigkeit
erhöhen, verschafft das Arbeitsamt arbeitslosen        und Bereitschaft der Arbeitnehmenden. Diese
und arbeitsmarktfähigen Personen verfrühten            können in unterschiedlicher Kombination und
Zugang zu diesen Stellen. Diesen Zugang erhält         Ausprägung verschiedene Integrationsziele
somit nur, wer auch als arbeitsmarktfähig gilt.        nach sich ziehen. Wer kann und will und somit
Unser Integrationsmodell muss daher auf die            arbeitsmarktfähig ist, soll schnell Zugang zu den
Kriterien der Arbeitsmarktfähigkeit abgestimmt         meldepflichtigen Stellen erhalten. Für andere
sein.                                                  soll es möglich, sich in diese Richtung noch zu
Wir erachten es als zentral, dass nicht                entwickeln, oder bei geringen Chancen auch
nur zwischen sozialer Integration und                  längerfristig im Zweiten Arbeitsmarkt arbeitstätig
Arbeitsintegration unterschieden wird. Menschen        bleiben zu dürfen. Wir wollen Menschen
befinden sich grundsätzlich auf einem Weg, und         unabhängig ihrer Integrationsziele in ihrer Kraft
gerade wer lange nicht gearbeitet hat, dessen          erleben, indem sie auch einmal eine dritte oder
Integrationsziele sollen sich bei Änderung ihrer       vierte Chance erhalten.
Lebens- und Arbeitsalltagsumstände ändern
können. Eine enge Zusammenarbeit
 Foto: Dock Gruppe AG

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