Hört auf die Beschäftigten! - Arbeiterpolitik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
6 2 . Ja h rga ng · N u m m e r 3 · a p r i l 2 0 21 · EUR 2 , 5 0 IN F O RMA T I O N S B RIE F E D ER GRUPPE AR B EI T ERP O LI T I K n Ko r r e s p o n d e n z : S o l i da r i tät m i t d e m P e r s o n a l i n d e n K r a n k e n h äu s e r n Hört auf die Beschäftigten! Zum Ende des letzten Jahres führte die Entlassung der Das ist nicht zu schaffen.« (Fachkrankenschwester auf Krankenschwester Romana Knezevic aus dem Askle- der Intensivstation am Klinikum St. Georg). Eine andere pios-Klinikum Sankt Georg zu breiter Empörung in Kollegin im Bericht des NDR: »Ich kann auf der Intensiv- Hamburg und darüber hinaus. Was war geschehen? station keine adäquate Sterbebegleitung machen.« Und eine weitere Fachkrankenschwester bestätigt, dass sie Am 17. Dezember hatte Romana Knezevic in einem In- auch mit Putzarbeiten beschäftigt waren. terview mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) den Kurz vor Weihnachten leitete die Klinikleitung das Personalmangel und die daraus resultierenden Arbeits- Kündigungsverfahren gegen Romana Knezevic ein. Ein belastungen im Klinikum Sankt Georg kritisiert. Die Re- Asklepios-Sprecher erklärte gegenüber der taz aktion der Klinikleitung kam prompt. Chefarzt Bertold (28.12.2020): »Bei allem Verständnis für teils berechtigte Bein wies am nächsten Tag im NDR alle Vorwürfe zurück. Kritik am Gesundheitssystem ist es gleichwohl nicht hin- Auf einer Kundgebung am 21. Dezember vor dem Kli- nehmbar, dass Mitarbeiter aus ideologisch-politisch moti- nikum St. Georg bestätigten jedoch Kolleginnen und Kol- vierten Gründen gegenüber Medien wissentlich Falsch- legen die Kritik an den Zuständen gegenüber dem NDR: meldungen verbreiten oder Ausnahmesituationen als »Was ich, vor allem in der letzten, Zeit erlebe, dass wir in Regelfälle darstellen.« Der eigentliche Grund: Asklepios jeder Schicht zu wenig Personal haben, dass wir drei oft will eine gewerkschaftlich und politisch engagierte Be- vier, es kommt auch vor, dass wir fünf hoch intensiv- schäftigte loswerden, die auch als Vertreterin ihrer Kol- pflichtige Patienten gleichzeitig in der Versorgung haben. leginnen und Kollegen Mitglied im Betriebsrat ist. »Der Foto: www.hamburger-krankenhausbewegung.de
Fotos: www.hamburger-krankenhausbewegung.de Versuch, unserer Kollegin zu kündigen, wird auf den Sta- Die Unterstützer Knezevics fordern unterdessen auch tionen als durchsichtiger Einschüchterungsversuch wahr- den Hamburger Senat auf, sich aktiv einzuschalten. Der genommen und sorgt für Wut«, so die Mitteilung der hält zurzeit 25,1 Prozent am Klinikum und solle auf Askl- ‚Hamburger Krankenhausbewegung‘. (taz, 28.12.2020) epios einwirken, damit die Kündigung vom Tisch Rechtskräftig ist die Entlassung noch nicht, denn die komme.«1 fehlende Zustimmung des Betriebsrates muss Asklepios Am 27. Januar gab das »Hamburger Bündnis für mehr durch ein entsprechendes Urteil des Arbeitsgerichtes er- Personal im Krankenhaus« folgende Pressemitteilung setzen lassen. Dafür wurde der 1. Februar als gericht- heraus (siehe Kasten): licher Gütetermin angesetzt. Bis dahin wurde Romana, trotz des Mangels an Pflegekräften, mit sofortiger Wir- 1 Junge Welt, 26.01.2020 kung vom Dienst suspendiert. Die Leitung von Asklepios hat das Gegenteil des Ge- wollten erreicht. Weder konnte sie die Beschäftigten ein- schüchtern noch die öffentliche Diskussion über die Ar- H e f t N r. 1 / 2 · J a n u a r 2 0 2 1 · J g . 6 2 beitsbedingungen unterbinden. So wurde eine tägliche Mahnwache vor dem Sankt-Georg-Klinikum organisiert. Klinikum St.Georg Dort informieren Aktive der ‚Hamburger Krankenhaus- Hört auf die Beschäftigten! 1 bewegung‘ und des ‚Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus‘ über den Rausschmiss und über die Situa- Nach dem Klatschen kommt die Klatsche 6 tion im Klinikum. Buchvorstellung: Markt zerfrisst Gesundheitswesen! 8 »Die Solidarität der Bevölkerung sei ‚überwältigend‘, Massenkündigung bei Durstexpress 10 schilderte eine Pflegekraft gegenüber jW. So käme der Ein- wohnerverein des Viertels jeden Tag vorbei und bringe Ver.di-Vorsitzende des Hauptpersonalrates Berlin heiße Getränke. Solidaritätserklärungen aus dem ganzen nach Absprachen mit dem Beamtenbund und den Bundesgebiet flatterten den Unterstützern von Romana Unabhängigen gewählt 12 Knezevic ins Haus. Dass ‚der Hilfeschrei einer Pflegerin‘ Thyssenkrupp: Fall ins Bodenlose? 14 eine derartige Reaktion der Geschäftsleitung hervorrufe, mache ‚viele Menschen wütend‘, sagte eine Aktivistin ge- genüber jW. Ein Jahr rassistische Morde in Hanau In einer Petition verlangt die ‚Hamburger Kranken- Die Angehörigen der Opfer kämpfen um Aufklärung 15 hausbewegung‘ des Weiteren, dass die ‚Einschüchterung‘ von Beschäftigten durch Asklepios ein Ende haben müsse. Darmstadt: #SayTheirNames 18 Diesen Aufruf haben inzwischen 8.000 Menschen unter- Gedenken in Siegen 19 zeichnet. Breite Mobilisierung in Berlin 20 Auf Kritik war bei den Aktivisten das anfängliche Ver- halten von ver.di gestoßen. Zwar unterstützen die Rechts- anwälte der Gewerkschaft die von Kündigung bedrohte Zur Diskussion über die Initiative #zero-covid Betriebsrätin, doch sei die Unterstützung von ver.di für Lohnarbeit und Kapital in Zeiten von Corona 21 Romana Knezevic ‚zunächst zu zaghaft gewesen‘, hieß es aus Kreisen der Aktiven gegenüber jW. Ähnlich sieht das Angelika Teweleit. Die Sprecherin der Vereinigung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) kritisierte am Mon- tag im jW-Gespräch folgendes: Wenn eine ‚ver.di-Betriebs- rätin gekündigt werden soll, weil sie Missstände öffent- Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: A. Karaberis lich macht‘, sei dies ein Angriff auf alle Pflegenden, die Herstellung und Vertrieb: GFSA – Gesellschaft zur Förderung des sich gegen ‚die schrecklichen Auswirkungen des Profit- Studiums der Geschichte der Arbeiterbewegung e.V. GFSA e.V. • Postbank Hamburg • BIC: PBNKDEFF strebens‘ zur Wehr setzten. Verdi müsse hierauf ‚mit einer IBAN: DE 28 2001 0020 0410 0772 05 bundesweiten Kampagne‘ reagieren, so Teweleit. ‚Wir Zuschriften an: GFSA e.V. • Postfach 106426 • 20043 Hamburg sind alle Romana‘, erklärte sie. e-mail: arpo.berlin@gmx.de • Internet: www.arbeiterpolitik.de 2 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
Solidarität mit Romana Aus Anlass des Versuches der Asklepios-Kliniken, der • Aufstockung auch der Service- und Reinigungskräfte, Pflegekraft und Betriebsrätin Romana Knezevic zu kün- um das Pflegepersonal von deren Arbeiten zu entlasten; digen, nachdem diese über Missstände in den Kranken- • Verzicht auf elektive Eingriffe, solange die Corona-Pan- häusern öffentlich berichtet hatte, veranstaltet das Ham- demie nicht in den Griff zu kriegen ist; burger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus am • sichere Ausstattung der Beschäftigten mit wirk- Sonntag (31.01.2021) – am Tag vor dem ersten Arbeits- samen persönlichen Schutzausrüstungen gegen Anste- gerichtstermin –eine Protestversammlung auf dem Rat- ckungen; hausmarkt. • speziell an die Behörde: »Reden Sie auch mit den Be- Das Bündnis stellt sich damit gemeinsam mit der schäftigten und nicht nur mit den Krankenhausbetrei- Hamburger Krankenhausbewegung an die Seite von Ro- bern!« mana Knezevic – Wir sind alle Romana! Die Forderungen richten sich sowohl an den Asklepios-Konzern als auch Ein entsprechender Appell »Hört auf die Beschäftigten!« an die Sozialbehörde, die die Aufsicht über die Kranken- wird mittlerweile von 37 Organisationen, Initiativen und häuser führen sollte: Bündnissen aus der Zivilgesellschaft sowie prominenten • keine Kündigung wegen kritischer Äußerungen, nicht Hamburger*innen unterstützt. Alle Unterzeichner*innen von Romana Knezevic und auch nicht von anderen; finden sich auf https://pflegenotstand-hamburg.de/hoert- • wirksame Maßnahmen gegen den von Klinikbetreibern auf-die-beschaeftigten und Gesundheitspolitikern verursachten Personalnot- stand; Am 31. Januar, einen Tag vor dem gerichtlichen Güteter- gt – aufgrund vorausgegangener Auseinandersetzungen min, fanden sich trotz der Kälte gut 100 Unterstützende mit Asklepios jetzt leider nicht bei uns. mit zahlreichen Transparenten zu einer Protestversamm- 2004: Aus der angekündigten Rationalisierung wird lung vor dem Hamburger Rathaus ein. Privatisierung – der Hamburger Senat genehmigt den Verkauf des LBK an Asklepios zunächst nur zu 49,9 %, um die Bevölkerung ruhig zu halten und dem Wider- stand der Gewerkschaftsbasis zu begegnen – unsere Ge- Ein Redebeitrag vom 31. Januar 2021: werkschaftsvorstände, orientiert an der in Hamburg re- ‘Nichts werde natürlich genannt gierenden SPD, stimmen wie bei der Schließung des in solcher Zeit blutiger Verwirrung Hafenkrankenhauses zu. Seit 2007, drei Jahre danach verordneter Unordnung und gültig bis heute, bleibt Hamburg nur die ‚Sperrmino- planmäßiger Willkür‘ rität‘ von 25,1 %. B. Brecht, aus ‚Die Ausnahme und die Regel‘, 1930–31 Und an die erinnern wir Sie jetzt: Setzen Sie sich mit dieser verbleibenden »Sperrminorität« und Ihrer Autori- Solidarität mit Romana Knezevic und ihren Kolleginnen tät dafür ein, dass Romana Knezevic Betriebsrätin und und Kollegen, auch im Namen des ver.di-Ortsvereins Beschäftigte bei Asklepios bleibt! Hamburg und in Erwartung, dass sich alle Gewerk- Und, im Einvernehmen mit Romana: Es geht nicht schaften in Hamburg und bundesweit unserem Protest nur um sie und die ihr angedrohte Entlassung – es geht anschließen! vor allem auch um ihre Kolleginnen und Kollegen, es Vorab an die für das Gesundheitswesen Zuständigen geht um Patienten, die unter den Folgen der profitorien- hier im Rathaus und an den Mediziner (!) und Bürger- tierten Maßnahmen von Asklepios leiden, es geht um die meister Peter Tschentscher: 1997 haben Ihre Vorgänger Beseitigung des zitierten »medizinischen Vakuums, das aus Kostengründen das Hafenkrankenhaus schließen Menschen mit dem Leben bezahlen« – nicht nur in Ham- lassen – gegen alle Proteste. Mehr als 5000 waren damals burg. Es geht um Überwindung der Konkurrenz sozialer auf der Straße, bei den Demonstrationen läuteten die Einrichtungen und Krankenhäuser auf dem »Markt der Glocken Hamburger Kirchen. Antwort der Behörde für Gesundheitsanbieter«, damit das Verhältnis Arzt-Patient Arbeit und Soziales, jeglichen Widerstand missachtend: nicht weiter verkommt zur profit-orientierten Geschäfts- »Es wird im LBK (Landesbetrieb Krankenhäuser) Ham- beziehung. Schluss mit ‚Menschen als Kostenfaktor‘, burg kein Krankenhaus geben, das von Rationalisierungs- Schluss mit: ‚Wer nicht zahlen kann, stirbt früher‘! maßnahmen verschont bleibt.« Vergeblich warnte Chef- Ob Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen bei As- arzt Dr. Seidel: »Es wird ein medizinisches Vakuum klepios oder der Verteidigung von Grundrechten bei Co- entstehen, das Menschen mit dem Leben bezahlen wer- vid19: Lasst uns im Blick behalten die Alternative zum den.« Heute, auch infolge der Pandemie, bewahrheitet Neoliberalismus, der diese Missstände zur Folge hat. Ge- sich seine Voraussage. sellschaftliche Veränderungen müssen erkämpft werden, Dezember 2001: Olaf Scholz, damals noch Innensena- nicht allein von den jeweils Beschäftigten, sondern ge- tor, verordnet den Brechmitteleinsatz, bei dem Achidi meinsam mit anderen, die – wie wir – anfangen die der- John aus Nigeria qualvoll getötet wurde. Am nachträg- zeitigen Verhältnisse und ihre Entwicklung infrage zu lichen Protest vorm UKE war Dr. Montgomery – heute stellen: die Gesundheitsverhältnisse in ihrer Gesamtheit, Vorsitzender des Weltärztebundes – redeführend beteili- die fortgesetzten Krankenhausschließungen, Wohn- A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21 3
Kundgebung am 31. Januar 2021 vor dem Rathaus Foto:Reinhard Schwandt raumnot, Rüstungsproduktion und Waffenexporte, Ex- und Mitarbeiter unseres Hauses seit einem Jahr vor be- pansionspolitik und Kriegsvorbereitungen, Klimabewe- sondere physische und psychische Herausforderungen. gungen, Rassismus und, und, und. Wir können verstehen, dass eine Mitarbeiterin die extrem Zum Schluss, gerichtet an bei Asklepios und in ande- schwierige und das Pflegepersonal stark belastende Situ- ren Krankenhäusern Beschäftigte, die Euch noch nicht ation auf der Intensivstation öffentlich macht, auch wenn unterstützen – nochmals mit Bertolt Brecht: diese selbst nicht auf einer Intensivstation arbeitet. Dies entbindet unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter je- ‚Nun zu Euch, Ärzte und Pfleger. Wir denken doch nicht bei medialen und öffentlichen Aussagen den Auch unter euch muss es etliche geben Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen zu überprüfen – beson- Wenige vielleicht, aber doch etliche, die ders dann, wenn die Aussagen auf Hörensagen beruhen. Sich erinnern an die Verpflichtung denen gegenüber, die Bitte lassen Sie mich festhalten: Die im Interview ge- Menschenantlitz tragen wie sie. Diese troffenen Aussagen sind nicht zutreffend. Fordern wir auf, unsere Kranken zu unterstützen Trotzdem haben wir bereits am 04. Januar 2021 in In ihrem Kampf gegen die Krankenkassen und die einem gemeinsamen Gespräch mit Frau Knezevic und Gebräuche der Krankenhäuser dem Vorsitzenden unseres Betriebsrats – Herrn Dr. Küh- Die unterdrückte Klasse betreffend. nau – die Hand ausgestreckt und Möglichkeiten für eine Wir wissen, dazu müsst ihr Rücknahme des eingeleiteten Verfahrens (eine Kündi- Euch in Kämpfe verwickeln mit andern, den willfährigen gung wurde noch nicht ausgesprochen) angeboten und Werkzeugen erörtert. Der Ausbeutung und des Betrugs. (…) Frau Knezevic hat uns über Ihren Anwalt mitteilen Kämpft mit uns!‘ lassen, dass Sie zu diesem Schritt nicht bereit sei. Somit Aus Svendborger Gedichte 1933-1938 konnten wir das laufende Verfahren bislang leider nicht aus der Welt schaffen, ich bitte dafür um Verständnis.« Kämpft mit uns – mit Romana, ihren Kolleginnen und Kollegen, mit allen, die sie unterstützen! Abschwören und auf Gnade hoffen: Das »Gesprächs- angebot« war im Einvernehmen mit Romana von den Schreibenden des Offenen Briefes abgelehnt worden, es sei denn, die Asklepios-Leitung sei bereit die beantragte Kündigung zurückzunehmen. Arbeitsgericht Hamburg, 1. Februar 2021: Der Gütetermin verlief dem zitierten Brief entspre- chend: Romana blieb bei ihren Aussagen, die Geschäfts- Dem Gütetermin war am 19. Januar ein offener Brief von führung bei ihrer Forderung an den Betriebsrat dem Mitgliedern des Einwohnervereins im Stadtteil St. Georg Kündigungsantrag zuzustimmen. Zwar wurde noch ein an die Leitung des Asklepios-Krankenhauses voraus- weiterer Gütetermin vorgeschlagen, der nach Ansicht gegangen, in dem die Forderung sofortiger Rücknahme des Anwaltes von Romana verlaufen werde wie der erste. der Kündigung von Romana begründet wurde. Der ge- Für Mai sei der Gerichtstermin vorgesehen, in dem ein schäftsführende Direktor des Klinikums, Thomas Rupp, Urteil gesprochen werde. hatte daraufhin ein Gespräch vorgeschlagen: Die Proteste gehen weiter. Bereits vor dem Arbeitsge- »Wir freuen uns sehr, dass Sie die Entwicklung un- richt deutete sich das mit der Beteiligung von etlichen serer Klinik so engagiert begleiten. Auch müssen wir Ih- Asklepios-Beschäftigten und etwa 100 Unterstützenden nen zustimmen: Die Pandemie stellt alle Mitarbeiterinnen an. Am Folgetag eine Video-Konferenz mit etwa 60 Betei- 4 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
ligten, darunter wieder mehrere Kolleginnen und Kolle- Aus der Stellungnahme gen von Romana, die nicht nur zu einer weiteren Protest- kundgebung wurde, sondern wo durch die Schilderungen der Hamburger Krankenhausbewegung von Schwestern der Intensiv- und anderer Stationen des Klinikums und Mitgliedern des Pflegepersonals belegt »Liebe Freundin / Lieber Freund würdiger Bedingungen wurde, was Romana öffentlich gemacht hatte: die Über- in Hamburgs Krankenhäusern, der gemeinsame Druck forderung der Beschäftigten, die Zumutung permanenter aus Stadt und Krankenhäusern zeigt erste Wirkung! Askl- physischer und psychischer Überbelastung. epios hat den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung von Romana Knezevic vor dem Arbeitsgericht Hamburg zu- rückgezogen. Damit gesteht Asklepios ein, dass Romanas Aussagen über die Folgen des Personalmangels an den »Nach Streit mit Pflegerin: Asklepios zieht Hamburger Krankenhäusern ins Schwarze treffen und überraschend Kündigung zurück der Vorwurf der Falschbehauptung keiner gerichtlichen Prüfung standgehalten hätte. Die Kündigung der Hamburger Krankenschwester Roma- […] Von der Online-Stadtversammlung mit 170 na Knezevic hat große Wellen geschlagen. […] Der Fall Teilnehmer*innen aus der ganzen Stadtgesellschaft ging ging vor Gericht – jetzt zog das Klinikum die Kündigung das Signal aus: Hamburg verhandelt mit! Die Gesund- zurück. […] heitsversorgung in dieser Stadt geht alle an. Hunderte Auf MOPO-Nachfrage beim Unternehmen teilte ein Emails sind in den Tagen nach der Online-Stadtversam- Sprecher mit: mlung an Asklepios und Sozialbehörde gegangen. Die ‚Asklepios hat sich entschieden, die arbeitsrechtliche Online-Petition hat über 10 000 Unterschriften erreicht. Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat der Asklepios Dutzende Solidaritätserklärungen aus diversen Ham- Klinik St. Georg im Zusammenhang mit der beabsichtig- burger Betrieben, Einrichtungen und Vereinen erreichten ten Kündigung der Pflegekraft zu beenden. Unser aller die Krankenhausbeschäftigten. Und die wochenlange Anliegen ist es, das wichtige Berufsbild der Pflege zu Dauerkundgebung von Krankenhausbeschäftigten aus stärken.‘ […] Die Krankenhausbeschäftigten sehen sich in vielen Häusern vor dem AK St. Georg wurde aktiv aus der Rücknahme der Kündigung in ihrer Kritik bestätigt. dem Stadtteil und darüber hinaus unterstützt. […] Die- […] Die Fragen, die Knezevic aufgeworfen hat, bleiben sen Druck haben Asklepios, Senat und Sozialbehörde dennoch offen, heißt es in der Mitteilung weiter. Diese gespürt! Und deshalb ist jetzt die große Chance da, den Auseinandersetzungen sollen jetzt transparent und ‚ohne Schwung aufzunehmen und mit noch mehr Druck und Einschüchterung‘ weitergeführt werden.« (Hamburger Solidarität die Krankenhausträger und politisch Verant- Morgenpost vom 17.02.2021) wortlichen endlich zum Handeln zu bewegen. Schaffen wir endlich sichere und würdige Bedingun- gen an unseren Hamburger Krankenhäusern!« Romana Knezevic mailte am 17. Februar u.a.: R.HH., 01.03.2021 n »Wir haben ganz klar bewiesen, wie viel man errei- chen kann, wenn alle zusammenhalten! Und das war Eine Darstellung der Privatisierung der städtischen erst der Anfang! Jetzt geht es mit geballter Power da- Krankenhäuser in Hamburg im Jahre 2005 findet ihr rum, dass die Arbeitsbedingungen in den Kliniken sich auf unserer webseite: https://arbeiterpolitikde. endlich verbessern! Der Download am Ende des Artikels »Solidaritaet mit Ganz lieben Gruß dem Personal in den krankenhaeusern« Romana« A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21 5
Quelle: FototeamHessen, ReinerKunze n C a r i ta s v e r h i n d e rt a l lg e m e i n v e r b i n d l i c h e n Ta r i f v e rt r ag Pf l e g e Nach dem Klatschen kommt die Klatsche Als im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie Fahrt auf- Wohlfahrtsverbände (außer dem »Diakonischen Dienst- nahm und die Pflegekräfte in Krankenhäusern und in geber in Niedersachsen«). der Alterspflege an die Grenzen ihrer Belastbarkeit ka- Am 29.1.2021 konnte sich ver.di mit dem BVAP men, wurde ihnen allgemeines Wohlwollen und Wert- schließlich auf einen Tarifvertrag einigen und beide schätzung entgegengebracht. Mancherorts klatschten Parteien kündigten an, dafür beim Arbeitsminister die die in ihre Wohnungen verbannten Bürger*innen nach Allgemeinverbindlichkeit zu beantragen. Dieses Vor- italienischem Vorbild von den Balkonen, und die Politik haben stieß auf den entschiedenen Widerstand des Ar- versprach, die Situation der Pflegenden grundlegend zu beitgeberverbands Pflege (AGVP), in dem vor allem die verbessern. privaten Unternehmen zusammengeschlossen sind. Prä- Ein Schritt war die Erhöhung des Mindestlohns in sident dieses Verbandes ist der ehemalige FDP-Politiker der Pflege, der höher ist als der gesetzliche Mindestlohn. Rainer Brüderle. Der AGVP drohte eine Klage an und be- Eine Verbesserung stellte diese Maßnahme vor allem für hauptete, der ausgehandelte Tarifvertrag binde weniger Beschäftigte in Ostdeutschland und in einigen privaten als drei Prozent der deutschen Altenpflegeunternehmen. Pflegeheimen dar. Der große Wurf wurde aber von Ge- Außerdem wurde ver.di mit drastischen Worten die Ko- sundheitsminister Spahn und vor allem von Arbeitsmi- alitionsfähigkeit abgesprochen: »Für einen deutschland- nister Heil mit der versprochenen Allgemeinverbindlich- weit gültigen Tarifvertrag in der Altenpflege müsste die keit der Tarifverträge im Pflegebereich angekündigt. Auf Gewerkschaft ver.di deutschlandweit durchsetzungsfähig Antrag der Tarifvertragsparteien kann ein Tarifvertrag sein und mit ihren Mitgliedern die Interessen der Arbeit- vom Bundesarbeitsminister als »allgemeinverbindlich« nehmer deutschlandweit notfalls mit Streik durchsetzen erklärt werden, wenn der Vertrag »im öffentlichen Inte- können. Hierfür fehlen ver.di alle Voraussetzungen. Un- resse« ist. In diesem Fall erhält der Tarifvertrag quasi Ge- ter den Altenpflegekräften von Bayern bis Vorpommern setzescharakter und es müssen sich auch die Unterneh- haben ver.di-Mitglieder Seltenheitswert. In der ambu- men daran halten, die nicht im Arbeitgeberverband sind. lanten Pflege kennen die Arbeitnehmer ver.di bestenfalls Die früher geltende Bedingung, dass der Tarifvertrag vom Hörensagen. Mit ihren wenigen Mitgliedern unter mindestens für die Hälfte der betroffenen Beschäftigten den deutschlandweit 1,2 Millionen Arbeitnehmern in der gelten müsse, wurde 2018 abgeschwächt. Heil behauptete, Altenpflege gehört ver.di auf die Rote Liste der ausster- das Gesetz sei nun soweit geändert, dass ein allgemein- benden Arten.« Diese Einschätzung ist sicher überzogen, verbindlicher Tarifvertrag in der Pflege möglich sei. Für verweist aber auf real existierende Probleme von ver.di die Politik war dieses Thema auch deshalb wichtig, weil im Pflegebereich. es wegen der miesen Arbeitsbedingungen in der Pflege Die Hoffnung für ver.di waren nun die kirchlichen sehr schwer ist, überhaupt Personal zu finden. Viele, die Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonisches Werk. Mit sich mit der Pflege beschäftigten, waren allerdings von ihrer Zustimmung zum Tarifvertrag wäre der Geltungs- Anfang an skeptisch, ob angesichts der zersplitterten Si- bereich erheblich ausgedehnt worden und die Chancen tuation im Pflegebereich eine Allgemeinverbindlichkeit für eine Allgemeinverbindlichkeit wären gestiegen. Im überhaupt realistisch ist. Vorfeld gab es wohl intensive Gespräche von ver.di mit Verhandlungen über einen solchen Tarifvertrag be- Caritas und Diakonie zu diesem Thema. Am 25. Febru- gannen schon im Oktober 2019 zwischen ver.di und ar jedoch machte die Caritas einen Strich durch diese der »Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pfle- Rechnung und lehnte den Tarifvertrag ab. Interessant gebranche (BVAP)«, in der vor allem freie Wohlfahrts- dabei ist, dass die von der Caritas gezahlten Gehälter in verbände wie der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die der Regel über denen liegen, die im Tarifvertrag mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Diakonische Dienstgeber BVAP festgelegt wurden. Teilweise hätte aber auch die in Niedersachsen, der Paritätische Gesamtverband und Caritas Löhne erhöhen müssen. Doch dürfte das Geld die Volkssolidarität zusammengeschlossen sind. Private hier eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die offizi- Unternehmen fehlen fast gänzlich, ebenso wie kirchliche elle Begründung der Caritas gibt sich sehr sozial: Wenn 6 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
der Tarifvertrag allgemeinverbindlich werde, würden nun »Scheinheiligkeit« vorgeworfen. Das wäre ein neuer die Pflegekasse und andere Kostenträger die Zahlung für Ton in der Auseinandersetzung. Ver.di hofft nun darauf, Leistungen an diesem Tarif orientieren und die höheren die Löhne durch eine erneute Anhebung des Pflegemin- Kosten bei anderen Einrichtungen nicht mehr finanzie- destlohns verbessern zu können. Hier haben die privaten ren. Das aber stimmt nicht: Das Sozialgesetzbuch regelt Arbeitgeber nach einer Gesetzesänderung nicht mehr die ausdrücklich, dass durch Tarifverträge entstehende Ko- Möglichkeit ein Veto einzulegen. Aber auch die kirch- sten nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. lichen Arbeitgeber standen hier meistens auf der Bremse. Nur nebenbei wird erwähnt, was wohl der eigentliche Und der Pflegemindestlohn wurde schon im April 2020 Grund sein dürfte: Die Beibehaltung eines eigenstän- erhöht und es wurden weitere jährliche Steigerungen bis digen kirchlichen Arbeitsrechts ohne Tarifverträge, auch April 2022 festgelegt. Weitere Erhöhungen sind also regu- unter dem Begriff »Dritter Weg« bekannt (siehe Kasten). lär erst ab 2023 möglich. Ohne starken Druck von unten Auch die Arbeitgeberseite der Diakonie hatte sich ge- wird es da keine schnelle Erhöhung geben. Und das ist gen die Annahme des Tarifvertrags ausgesprochen. Die für ver.di ein Problem, das nicht so einfach zu lösen ist. Verhandlungen darum wurden mit einem »Schade um Ver.di-Vorsitzender Frank Werneke hofft deshalb da- die verlorene Zeit« kommentiert. Nach dem Beschluss rauf, Minister Spahn werde eine Zusage einlösen, nach der Caritas hat sich die »Arbeitsrechtliche Kommission« der die Pflegekasse die Mehrkosten übernehmen könne, der Diakonie gar nicht mehr mit dem Thema befasst, da wenn sich Pflegeheimbetreiber oder ambulante Pflege- die Allgemeinverbindlichkeit ja sowieso nicht mehr mög- dienste an einen Tarif halten. (Tagesspiegel 26.2.2021). lich sei. Von Seiten der Gewerkschaft gab es einige Pro- Lohnerhöhungen gingen dann nicht zu Lasten der Profi- testaktionen vor Caritasgeschäftsstellen, vor allem am te, sondern würden von den Beitragszahler*innen finan- 8.März, dem Internationalen Frauentag. Der Caritas wird ziert. R.D., 12.03.2021 n Gott kann man nicht bestreiken! · Der »Dritte Weg« des kirchlichen Arbeitsrechts Obwohl die kirchlichen Verbände für ihre Kitas, Kran- es, mit dem dortigen diakonischen Arbeitgeber einen Ta- kenhäuser, Pflegeheime und Beratungsstellen massen- rifvertrag abzuschließen. haft staatliche Zuschüsse erhalten, bestehen sie beim Arbeitsrecht auf einem Sonderweg. Das bedeutet für Dritter Weg als Wettbewerbsvorteil die Beschäftigten eine erhebliche Einschränkung ihrer Rechte als Arbeitnehmer*innen. So gibt es zum Beispiel Das Bild der »kirchlichen Dienstgemeinschaft«, in der keinen Betriebs- oder Personalrat, sondern »Mitarbeiter- »Dienstgeber« und »Dienstnehmer« dem christlichen vertretungen«, die deutlich weniger Rechte haben als die Gebot der Nächstenliebe verpflichtet und Streiks des- Interessenvertretungen in anderen Betrieben. halb nicht angebracht sind, wird durch die Entwicklung Auch Tarifverträge widersprechen dem kirchlichen im Sozialbereich jedoch immer stärker in Frage gestellt. Arbeitsrecht. Die Arbeitsbedingungen der kirchlich Be- Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat sich in schäftigten werden in »Arbeitsrechtlichen Kommissi- den letzten Jahren ein grundlegender Wandel bei den ge- onen« beschlossen. Dies wird kirchenintern als »Dritter meinnützigen Wohlfahrtsorganisationen vollzogen. »An Weg« bezeichnet. Dieser soll sich sowohl von der einsei- die Stelle des klassischen dualen Systems von öffentlichen tigen Festlegung der Gehälter und Arbeitsbedingungen und freigemeinnützigen Trägern im Sozialsektor tritt so durch den Arbeitgeber als auch von der gängigen Pra- ein Mix von (zahlenmäßig abnehmenden) öffentlichen xis von Tarifverhandlungen unterscheiden, bei der die Trägern, frei-gemeinnützigen und privaten Leistungsan- Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit haben, ihren For- bietern, die in einem Wettbewerb zu einander stehen und derungen durch Streiks Nachdruck zu verleihen. Es um Preise und Qualitäten konkurrieren.« (Hans-Böckler- wird das Bild einer »kirchlichen Dienstgemeinschaft« Stiftung: Leiharbeit und Ausgliederung in diakonischen konstruiert, die Arbeitskampfmaßnahmen als Mittel der Sozialunternehmen: Der »Dritte Weg« zwischen normati- Konfliktregulierung ausschließt. »Gott kann man nicht vem Anspruch und sozialwirtschaftlicher Realität). Die bestreiken«, ist eine Aussage von Günther Bahrenhoff, kirchlichen Arbeitgeber reagieren auf diese Herausfor- bis 2014 Mitglied im Diakonischen Rat des Diakonischen derungen wie private Anbieter auch: Lohnkosten sollen Werkes, bei einem Arbeitsgerichtsprozess um das Streik- gesenkt werden, viele Tätigkeitsbereiche werden ausge- recht in kirchlichen Einrichtungen. gliedert oder durch Leiharbeitskräfte ausgeübt und die Statt in Tarifverhandlungen sollen Lohn- und Ar- Betroffenen mit Billiglöhnen abgespeist. Sie verhalten beitsbedingungen einvernehmlich in einer »Arbeits- sich in diesem Wettbewerb also wie ein ganz norma- rechtlichen Kommission« (ARK) besprochen werden. ler Arbeitgeber. Der Dritte Weg mit seinem Streikverbot Die Seite der Arbeitnehmer*innen hat dabei aber keine stellt somit einen Wettbewerbsvorteil dar gegenüber Möglichkeit Druck auszuüben, da ein Streikrecht nicht öffentlichen und privaten Konkurrenten – auf Kosten vorgesehen ist. Die Gewerkschaft ver.di und andere Ver- der Beschäftigten. Zahlten die kirchlichen Organisati- bände haben sich deshalb aus diesen Kommissionen onen in den neunziger Jahren analog zum Öffentlichen verabschiedet. Vereinzelt gab es bereits Streiks in kirch- Dienst, so gibt es heute schon deutliche Abweichungen lichen Einrichtungen. Aber nur in Niedersachsen gelang nach unten. A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21 7
Foto: www.hamburger-krankenhausbewegung.de n B u c h vo r s t e l lu n g : Markt zerfrisst Gesundheitswesen! Stimmen aus einem zornigen Bereich Im August 2020, also unmittelbar nach den Erfahrungen endlich eine Pflegerin kam, sagte die, sie seien hier to- mit der ersten Welle der Pandemie, erschien dieses Buch tal unterbesetzt und hätten zwei Patienten reanimieren von Klaus Dallmer. müssen – »wer noch um Hilfe rufen kann, dem geht es In 17 Interviews berichten Beschäftigte aus dem Ge- doch noch relativ gut.« sundheitswesen und Gewerkschaftsvertreter*innen über Nur noch einen Schritt weiter ist es bis zur Triage die Arbeitsbedingungen in der Branche. Statt mit einer – der Anordnung, wegen Personalnot die Patienten mit Besprechung stellen wir das Buch vor mit der Wiederga- den schlechtesten Überlebenschancen nicht zu versor- be des Vorworts vom Herausgeber. gen. Soll trotz Protests des Intensivpflegepersonals auch schon vorgekommen sein – sicherlich nur im Ausland. Worum geht’s? Oder? Die Intensivstationen sind voll, weil die OP-Säle ausgelastet sein müssen. Wer die hier versammelten Interviews liest, wird verste- Der Widerstand der GesundheitsarbeiterInnen und hen, wo der Sachverstand des Gesundheitswesens wirk- ihrer Gewerkschaft richtet sich vor allem gegen das Sy- lich sitzt. Und steht und rennt und schwitzt und hebt stem der Fallpauschalen (DRG[1]) und gegen deren Aus- und hetzt und über die Grenzen der Erschöpfung arbei- wirkungen. Darum wiederholen sich diese Punkte in tet. Dieser Sachverstand wird von der Gesundheitspolitik den Interviews – wir sollten das nicht als Doppelungen, missachtet, und das schon über Jahrzehnte. sondern als Sprechchor lesen. Dieses Fallpauschalensy- Mit der Corona-Epidemie ist der Öffentlichkeit noch stem hat bewirkt, dass Privatkliniken sich spezialisieren einmal deutlicher geworden, was da im Argen liegt. können auf die gewinnbringenden Behandlungen und Schon die simple Bevorratung mit Schutzausrüstung dass der aufwendige Minusbereich für die öffentlichen kommt im just-in-time-System nicht vor, weil Vorrats- Versorger bleibt – die dann auch »auf Deibel komm raus« haltung Geld kostet, unsere Krankenhäuser aber nach sparen müssen, wenn sie die Gynäkologie aufrechterhal- Konkurrenz und Gewinn organisiert sind. Will die Ge- ten wollen oder die Kinderstation. sellschaft das weiter so hinnehmen, oder ist es nicht Und woran wird gespart? Etwa zwei Drittel der Kran- höchste Zeit, dass wir hier endlich aufräumen – zugun- kenhauskosten sind Personalkosten. Also sind seit Ende sten von Beschäftigten und PatientInnen? Die Beschäf- der 90er Jahre ca. 50.000 Stellen im Pflegebereich abge- tigten im Gesundheitswesen haben es mehr als verdient, baut worden. Das Geld wird mit den Operationen verdient dass sie in ihren Kämpfen unterstützt werden, und zwar – wie gut man anschließend gepflegt wird, das ist für die von möglichst vielen. Denn sie haben mächtige Gegner, Kostenerstattung uninteressant. Je weniger Pflegekräfte denen ihre Gewinne wichtiger sind als das Wohl derer, also zwischen den Patienten hin-und herhetzen, desto die diese Gewinne erarbeiten – oder das Wohl der Pati- mehr Gewinn wird gemacht. Diesem wirtschaftlichen entInnen. Und schließlich kann es uns alle treffen, dass Zwang unterliegen auch die öffentlichen Krankenhäuser. wir schlecht behandelt werden, wenn unsere Krankheit Ein Operierter mehr pro Pflegekraft bedeutet statistisch nicht gewinnbringend ist. Oder dass an uns herumge- eine um 7% höhere Sterblichkeit innerhalb der ersten 30 schnitten wird, obwohl es eigentlich überflüssig ist – Tage. Übersetzt: je weniger Pflege, desto mehr Tote, desto aber lukrativ. Oder dass wir am bewusst herbeigeführten besser fürs Budget. Dieses System ist pervers. Es muss Personalmangel sterben: Mein Bruder lag mit Herzinfarkt weg. auf der Intensivstation und hörte nachts aus einem Ne- Die neoliberale Wende hat bewirkt, dass das Streben benzimmer Wimmern und Hilferufe – stundenlang. Als nach Gewinnen sich auch noch in die letzten Poren der 8 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
Gesellschaft hineingefressen hat – in Thüringen war so- Wenn die Arbeitenden in Bewegung kommen und gar die Gefängnispsychiatrie, die Forensik, privatisiert. sich für starke staatliche Beteiligung an den Unterneh- Aktionäre haben für die psychiatrische Behandlung von men einsetzen, die »too big to fail« geworden sind, und Straftätern Gewinne eingestrichen, bis die Landesregie- für ihre eigene Mitbestimmung der Unternehmenspolitik rung die Notbremse gezogen hat. – dann wären wir ein Stück vorangekommen auf dem Weg Diese neoliberale Wende müssen wir nun wohl end- zum alten Traum der Arbeiterbewegung, dass die wirk- lich zurückwenden. Dafür brauchen die Beschäftigten lichen Sachverständigen gemeinsam und in großer Zahl des Gesundheitswesens und ihre Gewerkschaft ver.di bestimmen, wie gearbeitet und was produziert wird. Das auch die Unterstützung der anderen Gewerkschaften. In wird die BMW-Aktionäre und die Bahlsen-Erben wenig der Autoindustrie werden die Beschäftigten sich ja nicht freuen, und große Widerstände muss man einkalkulie- ewig den Marktmanövern ihrer Geschäftsleitungen un- ren. Und wir müssen mit großzügig finanzierten Gegen- terordnen können. Das Überangebot hat ja schon Mitte kampagnen rechnen, die jede soziale Forderung ableh- 2019 dazu geführt, dass die Autoindustrie Zehntausende nen mit Hinweis auf die große Verschuldung, die ja zur von Arbeitsplätzen abbauen wollte. Bleibt den Automobi- Rettung »unserer Wirtschaft« nötig war. Unserer? Nur larbeiterInnen etwas anderes übrig, als um ihre Arbeits- die Solidarität der vielen kann da die Rettung bringen, plätze zu kämpfen? und so mancher heute noch zögerliche Gewerkschafter Der weltweite Profit-Produktionsapparat hielt sich nur wird wohl über seinen eigenen Schatten springen. noch durch Niedrigzinsen, Überschuldung und Finanz- Ob die Beschäftigten es schaffen, Schritte auf dem spekulation über Wasser, weil die aufgetürmten Produk- Weg in eine bessere Zukunft durchzusetzen, oder ob tionskapazitäten die kaufkräftige Nachfrage übersteigen sie sich wieder mit einer gesellschaftlich untergeord- und sich nicht mehr amortisieren können – Corona hat neten Position zufriedengeben – einer untergeordneten ihm mit der teilweisen Unterbrechung von Produktion Position, die sie beispielsweise zwingt, mitten in der und Lieferketten den Stoß auf eine Rutschbahn versetzt, höchsten Ansteckungsgefahr der Corona-Epidemie im von der wir nicht wissen, wo sie enden wird. Es wird Dreischichtbetrieb U-Boote zu bauen – das hängt von der womöglich die Katastrophe einer ungeheuren Arbeitslo- Stärke ihrer Bewegung ab. sigkeit auf die Menschen zukommen. Die GesundheitsarbeiterInnen sind die ersten, die für Werden die Gewerkschaften und ihre Mitglieder sich ihren Arbeitsbereich die Bestimmung durch die Mark- dann anders verhalten können, als sich für eine radikale tlogik mehrheitlich ablehnen und dafür bereits die ge- Arbeitszeitverkürzung einzusetzen – und für Konversion sellschaftliche Hegemonie in den Köpfen erreicht haben. von Produktion hin zu gesellschaftlich nützlichen Pro- Und sie haben mit dem System der Teamdelegierten eine dukten? alte Form der Arbeiterdemokratie bereits wieder neu er- Und ist es nicht denkbar, dass die Beschäftigten der funden. Sie brauchen die Unterstützung aller anderen Unternehmen, in die der Staat zur Rettung einsteigt, eine Arbeitenden. Jetzt wird ihnen auch noch die verspro- wirkliche Mitbestimmung einfordern? Die Flugbegleiter- chene Corona-Prämie verweigert. Wenn die Pandemie gewerkschaft hat Forderungen in diese Richtung gestellt. vorbei ist und Massenaktionen wieder möglich werden, Sollte der Anteil des Staatsfonds dann nicht empfindlich sollten die Verantwortlichen, die Profiteure und ihre über die 25%-Marke gesteigert werden, die eine wirk- Helfer sich warm anziehen. same Einflussnahme ermöglicht, und die die Regierung Die vorliegenden Interviews sind eine Momentauf- bisher noch peinlich zu unterschreiten trachtet? Muss nahme. Welche Stellung in der Gesellschaft die Beschäft- hier nicht auch die soziale Wende in die Köpfe der Regie- igten erobern oder in welche Stellung sie sich zurück- renden? Erste Ansätze sind ja zu sehen: das Ersticken der drängen lassen, das entscheiden letztendlich sie selbst. Umwelt an den Auspuffgasen des Kapitalismus und die Sie sind diejenigen, auf deren Arbeit diese Gesellschaft große Bewegung dagegen haben den Beginn einer Ener- beruht. giewende ins Handeln der Regierenden gezwungen. Sie Klaus Dallmer, Juni 2020 n legen sich nun sogar mit der mächtigen Autolobby an und verweigern ihr die Abwrackprämie. Die Brennstoffzelle ist 1966 erfunden worden; die Wasserstofftechnologie wird aber erst jetzt gepuscht, und es ist der Staat, der sie puschen muss – damit ist über die Fähigkeit des Marktes, die gesellschaftliche Entwick- lung zu steuern, alles gesagt. Und dass gewisse Fleischfa- Markt zerfrisst briken eigentlich enteignet und kommunalisiert werden Gesundheitswesen! – müssten, kann auch dem begriffsstutzigsten Politiker Stimmen aus einem nicht verborgen bleiben. zornigen Bereich Dass das Regierungshandeln nicht so unzureichend und nachtrabend bleibt, dafür kann nur die immer größer Klaus Dallmer [Hg.] werdende Protestbewegung sorgen, wenn sie die Masse der Beschäftigten erfasst. Noch können die Regierenden Erschienen bei: es sich leisten, die Unterschriften Hunderttausender von http//: diebuchmacherei Petitionsunterstützern in den Papierkorb wandern zu ISBN 978-3-9822036-4-5 lassen, und die Volksentscheide zum Gesundheitssystem in die Schubladen von Verwaltung und Gerichten. 256 Seiten · 12,00 Euro A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21 9
n Ko r r e s p o n d e n z : Ko l l e g * i n n e n d e s O e t k e r Ko n z e r n s i n U n ru h e Massenkündigung bei Durstexpress Wer nun geglaubt hatte, es komme zu einer ordent- lichen Fusionierung beider Unternehmen, sah sich bald eines Besseren belehrt. Nach Einschätzung des Unter- nehmens arbeitet die Firma Durstexpress nicht effektiv genug und erreiche bei weitem nicht die Produktivität und Effizienz der Firma Flaschenpost und müsse deshalb liquidiert werden. Doch scheint dieses Argument im boomenden Markt der Getränkeauslieferung nur vorgeschoben. Die Ge- schäftsentwicklung der Firma war in den letzten Jahren, speziell aber in den Monaten des Jahres 2020, positiv. Das Unternehmen stellte im vergangenen Jahr laufend neue Leute ein. Der entscheidende Grund für die Liquidierung von Durstexpress ist vielmehr, dass Oetker die besser be- zahlten Beschäftigten von Durstexpress los werden will. Überall dort, wo Durstexpress und Flaschenpost gemein- sam ausliefern, werden die Filialen von Durstexpress geschlossen. Die KollegInnen können sich dann bei den Niederlassungen von Flaschenpost bewerben, müssen aber bei Einstellung mit einem geringeren Stundenlohn, einer gekürzten Wochenarbeitszeit und einem befristeten Vertrag rechnen. Dies betrifft vor allem die Niederlas- sungen in Leipzig, Bochum und Berlin die Auslieferung in Tempelhof. Und überall dort, wo Durstexpress bisher alleine ausgeliefert hat, sollen die Kolleg*innen zwar übernommen werden, doch ist unbekannt, zu welchen Konditionen. Sie befürchten, dass auch sie gekündigt werden und sich neu bewerben müssen. Arbeitstätigkeit Mit dem Angebot einer Lieferzeit von zwei bis drei Stun- den nach Bestellung hatte Durstexpress in den Zeiten des Kolleg*innen verbrennen Kopien ihrer Kündigungsschreiben Lockdowns genau das richtige Angebot. Da viele Kunden aus beruflichen wie privaten Gründen pandemiebedingt Am 04.02.2021 hatten sich vor der Zentrale des Ge- häufiger zu Hause blieben und den Weg zum Händler tränkeauslieferers Durstexpress in der Stralauer Allee scheuten, um Ansteckungen zu vermeiden, bestellten sie 11 im Berliner Bezirk Friedrichshain knapp zweihundert im Internet ihre Getränke. Kolleg*innen unter den Fahnen der NGG versammelt. Während der Kunde bei der Lieferung an die Haustü- Sie kamen mehrheitlich aus Berlin. Vertreten waren aber re den Aufwand für Kauf und Transport spart, haben die auch Kolleg*innen aus anderen ostdeutschen Nieder- Beschäftigten der Auslieferfirmen die Last, schwere Ge- lassungen des Unternehmens, aus Leipzig, Dresden und genstände transportieren zu müssen. Nicht immer kann Halle. Trotz nasskalten Wetters hielten sie die andert- eine Sackkarre zur Arbeitserleichterung genutzt werden. halbstündige Kundgebung tapfer durch. Ihre Gesichter In Berlin gibt es viele Altbauten, die keinen Fahrstuhl be- waren gezeichnet von Wut und Enttäuschung über den sitzen. Da müssen die Getränkekisten bis in den fünften Arbeitgeber, signalisierten aber auch Entschlossenheit, Stock geschleppt werden. Ein Knochenjob. sich dem Vorgehen des Unternehmens entgegen stellen zu wollen. Gewerkschaftliche und betriebsrätliche Organisierung Was war geschehen? Bisher war dieser Bereich der Dienstleistungen gewerk- Vor einigen Monaten hatte der Oetker Konzern für satte schaftliches Niemandsland. Die Beschäftigten der Nah- 800 Millionen Euro die Firma Flaschenpost gekauft, ob- rungs- und Genussmittelindustrie sind überwiegend in wohl er selbst auf dem Markt der Getränkeauslieferung kleineren und mittleren Betrieben tätig. Entsprechend mit der Firma Durstexpress vertreten ist. Flaschenpost rüde ist der Umgangston. Wer sich nicht dem vom Ar- hat etwa 6.000 Beschäftigte, Durstexpress ca. 3.500. beitgeber bestimmten Betriebskonsens unterordnet, wird 10 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
schnell aussortiert und gemobbt. Niedrige Löhne, kaum nommen wurde. So hatte die Gewerkschaft sowohl Zei- geregelte sonstige Tarifleistungen und eine unzuläng- tungen, Rundfunk und Fernsehen auf den Konflikt auf- liche Arbeitszeiterfassung sind hier gang und gäbe. Diese merksam gemacht. Sie war auch in den sozialen Medien Firmen arbeiten mit einem Heer von befristet Beschäf- aktiv. Außerdem gelang es ihr, vier (!!!) Bundestagsab- tigten, die schnell ausgewechselt werden können. Nicht geordnete zur Abgabe einer Solidaritätserklärung zu ge- einmal Betriebsräte gibt es in vielen dieser Unternehmen. winnen, drei von den Linken (Petra Pau, Pascal Meißner, Entsprechend niedrig ist der gewerkschaftliche Organi- Gesine Lötzsch) und eine von der SPD (Cansel Kiziltepe). sationsgrad. Grußadressen kamen vom Betriebsrat der zum Oetker Da aber die Gewerkschaft NGG fast nur solche Be- Konzern gehörenden Brauerei Kindl Schultheiß als auch triebe in ihrem Zuständigkeitsbereich hat, muss sie sich von der Eisenbahnergewerkschaft EVG sowie vom DGB diesen Bedingungen stellen, um als Gewerkschaft zu Berlin-Brandenburg. überleben. Und dies hat sie in den letzten Jahren auch Der Oetker Konzern wird in den kommenden Wochen getan. Mittlerweile verfügt sie über eine Vielzahl von bei der Zusammenlegung beider Firmen nicht auf eine Erfahrungen. Bei der Nudelfabrik in Riesa konnte sie unterwürfige Belegschaft treffen, sondern auf eine, die zunächst einen Betriebsrat gründen und dann einen sich wehrt. recht passablen Haustarifvertrag mit den Beschäftigten H.B., 11.02.2021 n durchsetzen. Auf den Weg gemacht haben sich auch die Kolleg*innen der Firmen Sonnländer Getränke in Rötha, Frosta-Tiefkühlwerk Lommatzsch, Cargill-Ölwerk Riesa sowie Bautzner Senf. Auch bei dem Konflikt im Wombat Nicht mit uns – Hotel in Berlin war die NGG präsent und unterstützte die Kolleg*innen beim Kampf um die Einrichtung eines Be- Oetker schluckt Getränkelieferdienste triebsrates und dem Abschluss eines Tarifvertrages.1 Bericht in der UZ vom 15.02.2021 Bei der Firma Durstexpress gab es bisher keinen Be- triebsrat, bei der Firma Flaschenpost nur in der Zentrale Die Kündigungen für die Kolleginnen und Kollegen vom in Münster und der Niederlassung in Düsseldorf. Tarif- Getränkelieferdienst »Durstexpress« in Berlin, Bochum vertragliche Regelungen gab es in beiden Firmen nicht. und Leipzig kamen nicht per Flaschenpost. Aber das Un- Noch zu Beginn der Pandemie hatten die Durstex- ternehmen »Flaschenpost« schluckt seinen Konkurrenten press Kolleg*innen von ihren Chefs lobende Worte ge- »Durstexpress«, nachdem es zuvor selbst geschluckt hört. Sie seien Helden und mit ihrem aufopferungsvollen wurde, um im Getränkevertrieb flexibler Marktführer zu Einsatz in schwierigen Zeiten das Rückgrat der Firma. sein. Das schließt eine Schlankheitskur ein. Beide Unter- Diese Worte schienen vielen glaubwürdig zu sein, weil nehmen gehören der Familie Dr. Oetker, »Flaschenpost« sie von einer Firma kamen, die sich selbst in der Außen- erst seit Ende letzten Jahres. 2019 verbuchte die Familie darstellung als Familienunternehmen präsentiert. etwa 7,4 Milliarden Umsatz, 2020 dürfte die Rate pan- Die Massenkündigung durch den Oetker Konzern demiebedingt erheblich größer gewesen sein. Bis gestern rüttelte die KollegInnen beider Firmen wach. Sie traten galten die Kolleginnen und Kollegen von »Durstexpress« in großer Zahl der NGG bei. In den Niederlassungen der als Helden, heute sind sie arbeitslos. Gedankt wurde kei- Firma Durstexpress in Berlin Tempelhof und in Leipzig nem der schwere Job. Diese bittere Erkenntnis macht die richteten sie mit der Gewerkschaft Wahlvorstände ein, Runde unter der Belegschaft. Wirtschaftskrise und Men- um eine Betriebsratswahl durchführen zu können. Am schenverachtung des Kapitals, selbst wenn es Süßes pro- 28.01.2021 organisierten NGG und FAU in Leipzig eine duziert, sind am eigenen Leib erfahrbar geworden. Kundgebung, um für den Erhalt der Arbeitsplätze einzu- treten.2 Auf der Kundgebung in Berlin stellten sie mit einem Flyer ihre Forderungen vor. Ihr Ziel ist es, dass es bei der Zusammenführung beider Unternehmen keine Ver- schlechterung der bisherigen Arbeits- und Entlohnungs- bedingungen geben dürfe. Sie verlangten ferner, die Fra- gen der Zusammenführung beider Unternehmen mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Und sie forderten, dass es bei den anstehenden Wahlen zu den örtlichen Betrieb- sräten keine Behinderung seitens der Unternehmen ge- ben darf. Breite Solidarität Die NGG hatte es in Berlin geschafft eine recht große Zahl von Beschäftigten für ihre Kundgebung zu mobilisieren. Auffällig war, dass der Konflikt in den Medien wahrge- 1 Vgl. Arpo 3‘19 ↑ 2 Vgl. Korrespondenz aus der UZ ↑ Kundgebung in Leipzig A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21 11
In Leipzig sind es 500 Beschäftigte, die nicht über- der von den Erfahrungen mit der zynischen Taktik der nommen werden sollen oder nur dann, wenn sie eine Oetker-Gruppe berichtete. Dass der Generationswechsel Probezeit absolvieren und sich neu bewerben, sich un- in der Oetkerfamilie schuld an allem sei, wie es teilweise ter Wert verkaufen und gesiebt werden können. Man aus dem Leipziger Stadtrat verlautete, ist hoffentlich kennt das. Vom Unternehmen »Flaschenpost« heißt es, nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Ein gemeinsamer dass die Ausbeutungsrate höher ist, der Lohn geringer, Nenner dürfte gewesen sein, dass die Gewerkschaft zu die Sozialleistungen unsicherer und bescheidener, die ihren Wurzeln zurückkehren müsse, per Organisation Antreiberei umfassend. Eine Perspektive ist das nicht. Kampffähigkeit aufzubauen hat. Solidarität übende Betriebsräte der Radeberger-Gruppe Der Kampf ist noch nicht zu Ende. Ein entscheidendes hoben in einem Offenen Brief an die kapitalistischen Ergebnis hat er aber schon jetzt gehabt: Gemeinsam und Macher des Ganzen hervor, dass »sozialpartnerschaftli- organisiert ist er ein Mutmacher, schweißt zusammen, che Zusammenarbeit ein wichtiger Bestandteil der Ge- bringt Gewinn an Erkenntnis und Erfahrung. sellschaft« sei. Mit dieser Illusion, diesem Appell an die Ein Kollege aus Leipzig n Moral wird den Betroffenen kaum zu helfen sein, denn bei der »Flaschenpost« sind weder Gewerkschaften noch Nachbemerkung zu den beiden Artikeln über Betriebsräte beliebt. Zwar hat man auch in Leipzig die Durstexpress Hoffnung nicht ganz aufgegeben, weiß aber, dass dies eine Frage des Kräfteverhältnisses ist und Krupp und Kleiner Erfolg Krause keine Partner werden können. Ohne Kampf kein Sieg, das ist allen ziemlich klar. Sie fordern: Betriebsü- Die Aktivitäten der Kolleg*innen in den einzelnen Stand- bergang statt Kündigungen (Übernahme zu den jetzigen orten von Durstexpress, resp. ihre gute Öffentlichkeitsar- Bedingungen). beit und die Unterstützung durch die Gewerkschaft NGG, So wählten sie einen Betriebsrat, vernetzten sich mit haben dazu geführt, dass die zuständigen Arbeitsagen- anderen ihrer Branche, richteten tägliche Mahnwachen turen, die einer Massenkündigung widersprechen kön- ein, richteten Forderungen an die Politik und organisi- nen, entschieden haben, die Kündigungen in den betrof- erten sich gewerkschaftlich. Der Motor in der Belegschaft fenen Standorten Berlin und Leipzig für zwei Monate war zunächst die FAU. Sie, die Klartext sprach, dankte bis Ende März auszusetzen. Nach ihrer Einschätzung sei der Gewerkschaft NGG für die gesamte Organisation und es dem Oetker-Konzern zuzumuten, den Beschäftigten Unterstützung des bisherigen Kampfes. Die NGG rief zu im Bereich der Getränke Auslieferung oder in anderen einer Kundgebung am 28. Januar vor dem Betriebsgelän- Unternehmen des Konzerns alternative Beschäftigungs- de auf. 130 Teilnehmer konnten gezählt werden, darunter möglichkeiten anzubieten. In Bochum lehnte die Agen- auch Betroffene aus Berlin und Dresden, die sich von der tur einen entsprechenden Antrag ab. großen Solidarität sehr beeindruckt zeigten. Entschlos- Eine Lösung für alle wird es aber nur dann geben, senheit, dies war das Hauptmerkmal des Protestes. wenn der Druck auf den Konzern bestehen bleibt. Aufmerksam wurde einem Kollegen aus Berlin zugehört, H.B., 15.03.21 n Ver.di-Vorsitzende des Hauptpersonalrates Berlin nach Absprachen mit dem Beamtenbund und den Unabhängigen gewählt Der Hauptpersonalrat (HPR) der Berliner Verwaltung chenämtern. Vertreten werden sie, soweit es die DGB- vertritt 144.000 Beschäftigte in Senats- und Bezirksver- Gewerkschaften1 betrifft, von ver.di, der GEW, der GdP waltungen, staatlichen Schulen und Kitas sowie Polizei und der IG BAU. Und daraus ist ein Problem entstanden. gegenüber dem Arbeitgeber, dem Land Berlin. Früher, als die Stadtreinigung und die städtischen Konflikte zwischen den DGB-Gewerkschaften Versorgungsbetriebe für Wasser, Strom und Gas noch Teil des Öffentlichen Dienstes waren, gehörte der über- Schon anlässlich der Personalratswahlen 2012 und 2016 wiegende Teil der Mitglieder des HPR der ÖTV (Gewerk- vertraten die genannten drei kleineren DGB-Gewerk- schaft Öffentliche Dienst Transport und Verkehr) und ab schaften die Auffassung, dass ihr Anteil an sicheren 2001 der aus mehreren Einzelgewerkschaften gebildeten Plätzen auf der mit ver.di gemeinsam erstellten Liste er- ver.di (Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft) an. höht werden müsste. Mehr Sitze fordern sie auch bei der Dies änderte sich mit der Privatisierung der o.g. Be- Besetzung des HPR-Vorstandes. triebe. Der HPR war nur noch für deutlich weniger Be- Zum Maßstab nahmen sie die jeweilige Anzahl der schäftigte zuständig. Von ihnen arbeiteten 60.000 in in ihren Bereichen Beschäftigten. Auch vor der Perso- den Verwaltungen, 55.000 im Schulbereich sowie in den Kita-Eigenbetrieben, 30.000 bei der Polizei sowie in den 1 Daneben gibt es noch die Mitgliedsverbände des Deutschen Beam- Ordnungsämtern, sowie einige wenige in den Grünflä- tenbunds sowie unabhängige Verbände. 12 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 3 · A p r i l 2 0 21
Sie können auch lesen