DISPUT - Partei DIE LINKE
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DISPUT ISSN 0948–2407 | 67485 Bewegung MITGLIEDER ZEITSCHRIF T DER PARTEI DIE LINKE JUNI 2018 2 EURO Dokumentiert: Der Antrag des Parteivorstandes »DIE LINKE – Partei in Bewegung« an den Leipziger Parteitag vom 8.–10. Juni in gekürzter Fassung. 10 Wahrheit Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst. Auf der Suche nach Fakten zum mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien stellen sich viele Fragen 12 Wunder In Frankfurt/Oder wurde René Wilke (DIE LINKE) mit 62,5 Prozent zum Oberbür- germeister gewählt. Wie das »Wunder« passieren konn- te. 14 Foto: Martin Heinlein
INHALT LINKE zu ihrem Leipziger Parteitag. starteten wir unsere Kampagne 580 Delegierte debattieren über die »Menschen vor Profite – Pflege- Anträge und wählen einen neuen notstand« stoppen. Auf Seite 4 Parteivorstand. In diesem Heft auf findet sich die Unterschriftenlis- den Seiten 8 bis 11 stellen wir die te. Beteiligt euch rege. Alle weite- »oberste Versammlung« vor, doku- ren Informationen zur Kampagne, mentieren den Antrag »DIE LINKE – die Unterschriftenliste und Akti- Partei in Bewegung« und blicken auf onsideen gibt es auf der Kampa- sechs Regionalforen zurück, in de- gnen-Website: www.pflegenot- nen sich die Partei auf den Parteitag stand-stoppen.de vorbereitete. Neben dem zentralen Antrag des Thomas Lohmeier ist Leiter des I m Osten würde DIE LINKE Parteivorstandes wird das Thema Bereichs Medien, Öffentlichkeits- zunehmend Wahlen verlie- Frieden ein weiterer inhaltlicher arbeit, Bürgerdialog in der ren, wird gerne behauptet. Schwerpunkt sein. Mutmaßliche Bundesgeschäftsstelle der LINKEN Dass es anders geht, zeig- Giftgaseinsätze und völkerrechts- in Berlin te René Wilke in Frankfurt/ widrige Bombardierungen wie jüngst Oder. Er gewann die Stichwahl in Syrien zeigen, die schauerliche zum Oberbürgermeister. Ob das Wirklichkeit der Kriege. Jan van ein Wunder war? Der Frage, wie Aken geht in seinem Beitrag »Propa- DISPUT 06/2018 es dazu kam, gehen wir auf Sei- ganda und Völkerrecht« auf die Su- te 14 nach. che nach Fakten rund um die Eska- Tief, aber nicht so tief im Osten lation in Syrien. Mehr auf Seite 12 trifft sich vom 8. bis 10. Juni DIE Am Tag der Pflege, dem 12. Mai, VOR-GELESEN VOR-GELESEN VON VON ??? THOMAS LOHMEIER K AMPAGNE GUTE ARBEIT Unterschreibe gegen den Arbeit muss ums Leben Pflegenotstand 4 kreisen 20 PAR TEI IN BE WEGUNG FEIERN Kreisvorsitzendenkonferenz 6 Fest der LINKEN 21 Linke Vielfalt 8 FR AUENRECHTE PAR TEITAG Widerstand von unten 22 Die oberste Versammlung 9 Antrag: Partei in Bewegung 10 HAR T Z IV Nicht meinem ärgsten Feind 26 FRIEDEN UND ABRÜSTUNG Propaganda und Völkerrecht 12 GESCHICHTE JEDEN MONAT Auflösung 28 WAHLEN AUS DEM HAUS 5 Das Wunder von der Oder 14 PRES SEDIENST 24 Triumph an der Treene 17 FEUILLE TON 27 NEU IM KINO 29 FRÜHLINGSAK ADEMIEN KULTUR 30 Lernen in Las Vegas 18 JUNIKOLUMNE 31 Spitze: Wetter, Inhalte, Leute 19 Foto: DIE LINKE IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin REDAKTION Lia Petridou, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009510, disput@die-linke.de GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK EVERSFRANK BERLIN GmbH | Ballinstraße 15 | Postfach 470355 | 12359 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 6: 9. Mai 2018. DISPUT 7/2018 erscheint am 21. Juni. 2 DISPUT Juni 2018
FRAGEZEICHEN Willy Brandt, was ist für Dich sozial gerecht? Die Linke Nürnberg Sozial gerecht bedeutet für mich, dass jeder Mensch – unabhängig vom Back- ground – dieselben Chancen und Möglichkeiten hat. Was muss sich gesell- schaftlich ändern? Es bedeutet auch für mich, dass eine drastische Ände- rung in der Gesellschaft geschehen muss. Eine Gesellschaft kann nur »sozi- al gerecht« sein, wenn wir es schaffen, dass das Motto »Jeder nach seinen Fä- higkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen!« gelebt wird. Welche konkreten, politischen Maßnahmen sind notwendig? Die Kluft zwischen Arm und Reich muss dazu kleiner und kleiner werden, bis sie verschwindet. Wenn wir es schaffen, diesen Prozess anzuregen, tun wir sehr viel für eine sozi- al gerechtere Gesellschaft. Was wünschst Du Dir von Deiner Generation, um eine sozial gerechte Gesellschaft zu erlangen? Ich wünsche mir von meiner Generation, dass sie politikinteressierter ist und sich intensiver da- mit auseinandersetzt, als sie es bisher tut. Unsere Generation muss dem im- mer stärker werdenden Rechtsruck in Deutschland – und in Europa – begeg- nen und sich ihm in den Weg stellen. Wir brauchen mehr Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und weniger Franz Josef Strauß und Sebastian Kurz. Was macht Dir in diesem Zusammenhang am meisten Angst? Mir macht Angst, dass wir wieder eine Partei im Bundestag sitzen haben, die sich im Öf- fentlichen rechtsextrem äußert. Dass wir in der Gesellschaft einen solchen Zuspruch für so eine Partei haben, bereitet mir große Sorgen. WILLY BRANDT (24), Neumitglied aus Nürnberg in Bayern mit prominentem Namen DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben. DISPUT Juni 2018 3
K AMPAGNE Frau Merkel, in deutschen Krankenhäusern fehlen 100 000 Pflegekräfte. Das bedeutet: zehntausende vermeidbare Unfälle und Todesfälle, mangelnde Hygiene und unzumutbarer Stress für die Beschäftigten. In der Altenpflege fehlen mindestens 40 000 Stellen. Das Leben in den Pflege- heimen ist für viele alte Menschen unerträg- lich. Die Arbeit mit Menschen muss uns mehr wert sein: Kein Lohn in der Altenpflege darf unter 14,50 Euro pro Stunde liegen. Ich fordere Sie auf: Handeln Sie! Ihr Gesund- heitsminister Spahn muss einen gesetzlichen Personalschlüssel in der Pflege endlich umsetzen und die Arbeitsbedingungen und Löhne deutlich verbessern. Name, Vorname Straße, Hausnummer Postleitzahl Ort Unterschrift Name, Vorname Straße, Hausnummer Postleitzahl Ort Unterschrift Name, Vorname Straße, Hausnummer Postleitzahl Ort Unterschrift Die Angaben werden von der Partei DIE LINKE in ihrer Bundesgeschäftsstelle und den Gliederungen entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) gespeichert, verarbeitet, übermittelt, aufbewahrt und nur zum angegebenen Zweck bis zum Widerruf dieser Einwilligung verwendet. Bitte einsenden an: DIE LINKE, Pflegekampagne, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin oder online unterschreiben: www.pflegenotstand-stoppen.de 4 DISPUT Juni 2018
AUS DEM HAUS W enn ich auf dem len »Notfallplanes«, für den Fall, dass nächsten Parteitag die Regierungsbildung gescheitert wä- das Amt des kom- re. Ich habe mich intensiv mit der Vor- missarischen Bun- bereitung des Parteitages befasst, da desgeschäftsfüh- hier die Weichen für die weitere po- rers abgebe, und mich der Wahl zum sitive Entwicklung unserer Partei ge- Bundesschatzmeister stelle, blicke stellt werden, und der anstehenden ich zurück auf bewegende acht Mona- Kampagnen zu Pflege und Miete. Die te, in der die Partei konstant gewach- Europawahlen stehen ins Haus, und sen ist – an Mitgliedern, aber auch an eine gründliche Vorbereitung ist in An- Erfahrungen, wie wir auf Parteiebene betracht des europaweiten Rechts- miteinander arbeiten können. Um die- HARALD WOLF rucks, wichtiger denn je. Die Initiative sen positiven Trend beizubehalten, da- zur Weiterarbeit am »Aktionsplan Ost« mit er weder stagniere, noch sich ins liegt mir besonders am Herzen. Gegenteil verkehre. Diskussionen und Entscheidun- Angesichts einer Reihe von neuen He- gen über die politische und strategi- rausforderungen, derer wir uns nicht sche Ausrichtung der Partei müssen nur in Deutschland, sondern europa- vorrangig in den Gremien der Partei und weltweit stellen müssen, ist es Vorwärts! stattfinden und nicht an diesen vorbei wichtiger denn je, als linke, parlamen- über die Medien geführt werden. Lei- tarische Kraft in Deutschland, eine der wurde dieser Weg in der Kontro- positive Entwicklung der Gesellschaft verse über Flucht und Migration und voranzutreiben. Dazu gehört ein Boll- eine Sammlungsbewegung nicht von werk zu bilden, gegen den Rechts- DIE LINKE steht vor der Jahrhundert- allen eingehalten. Wir sollten uns wie- ruck im Land, und soziale Garantien aufgabe, die ruinierten Grundlagen ei- der daran erinnern, dass der Partei- für die Menschen zu schaffen und zu ner sozialen und demokratischen Ge- tag und der Parteivorstand die Orte erhalten. sellschaft neu herzustellen. Das kann der innerparteilichen Debatte und Ent- Nach wie vor sind drei Millionen Men- sie nur geschlossen und in Zusam- scheidung sind. schen ohne Lohnarbeit, gleichzeitig menarbeit mit vielen. Dazu bedarf es Sofern ich auf dem Parteitag zum gibt es zu viele Arbeitnehmer/innen, eines radikalen, gesellschaftlichen Bundesschatzmeister gewählt werde, die unter Dauerstress leiden, erkran- Umbruchs. werde ich mich weiterhin aktiv ken, weil sie viel zu viel Zeit am Ar- Die Löhne werden nur steigen, wenn in die politische Entwicklung der beitsplatz verbringen und die Belas- Menschen sich wehren können. Oh- Partei einbringen. Vor uns liegen die tung dort wächst. ne Angst vor Kündigung, Ausweisung Europawahlen, die Landtagswahlen in In diesem reichen Land lebt jedes oder Hartz IV. Bremen, Sachsen, Brandenburg und siebte Kind mit Hartz IV. Es ist hinrei- Für DIE LINKE heißt das: Wir werden Thüringen. Es gibt viel zu tun, gehen chend belegt, wie Armut und der dar- uns gesellschaftliche Mehrheiten er- wir es gemeinsam an. aus erwachsende, soziale Stress, die kämpfen. Wir wollen den Boden be- Startchancen ins Leben für Kinder reiten, für andere parlamentarische Harald Wolf ist kommissarischer nachhaltig beeinträchtigt. Mehrheiten und dafür, dass diese Bundesgeschäftsführer der LINKEN. Es werden jetzt sofort 100.000 Pfle- Mehrheiten tatsächliche Alternativen gekräfte in den Krankenhäusern be- schaffen können. Wir wollen, dass die nötigt und auch in der Altenpflege Menschen ihre Geschicke selbst in Fotos: Erich Wehnert, DIE LINKE schafft der Mangel an Personal Situa- die Hand nehmen; dass Politik nicht tionen, die oftmals menschenunwür- etwas ist, das ihnen passiert, sondern dig sind. Rund 40 Prozent der Haus- zum Instrument wird, um die Interes- halte in Deutschlands Großstädten sen der Bürger/innen durchsetzen. müssen mehr als 30 Prozent ihres DIE LINKE ist nicht nur ihr Sprachrohr Nettoeinkommens ausgeben, um ihre im Parlament, wir sind auch Teil die- Bruttokaltmiete zu bezahlen. Die Mie- ser Organisierung. ten in den Ballungsgebieten explodie- Zu meinen Aufgaben als kommissari- ren, »Investoren« spekulieren sich ein scher Bundesgeschäftsführer gehör- dickes Bankkonto zusammen. te die Ausarbeitung eines eventuel- DISPUT Juni 2018 5
PARTEI IN BE WEGUNG Am 14. und 15. April 2018 fand in Heidelberg die Kreisvorsitzen- den- und Aktionskonferenz statt. Knapp 160 Genossinnen und Ge- nossen aus dem gesamten Bundes- gebiet kamen an dem Wochenen- de zusammen und verständigten sich in Diskussionsforen gemein- sam über Themen wie Migration, Parteiaufbau, Klassenpolitik und die Vorbereitung des Bundespar- teitags. In praktischen Workshops standen Handwerkszeug wie richti- ges Fotografieren, Haustürgesprä- che oder die Vorbereitung der Kam- pagne »Menschen vor Profite: Pfle- genotstand stoppen!« und der Kom- munalwahlen 2019 im Vordergrund. Aus Anlass der Bombardierungen Syriens durch US-amerikanisches, französisches und britisches Militär verabschiedeten die Teilnehmenden der Kreisvorsitzenden- und Aktions- konferenz die Resolution »Laut ge- gen Krieg – Bomben schaffen kei- nen Frieden!« und nahmen an der Friedenskundgebung in Heidelberg teil. Fotos vom Wochenende und die Dokumentation der Konferenz gibt es unter www.die-linke.de/kvak2018/ 6 DISPUT Juni 2018
PARTEI IN BE WEGUNG Linke Vielfalt Sechsmal diskutieren, austauschen, Pläne schmieden: Mehr als 800 Teilnehmende waren bei den Regionalforen dabei. Ein kleiner Rückblick. tiert werden. Auch die Parteivorsit- zenden Katja Kipping und Bernd Rie- xinger waren dabei. »Wen wollen wir erreichen und wie?« stand ebenso auf der Tagesordnung wie die Frage da- nach, wie DIE LINKE aussieht, in der die Mitglieder gern Politik machen. In Arbeitsgruppen wurden die Dis- kussionen vertieft, unter anderem zu den Themen »Einwanderung, Flucht, Offene Grenzen« und »Was tun gegen Rechts?«. Es ging auch darum, wie an- stehende Projekte angegangen und vor Ort umgesetzt werden können. Foto: Martin Heinlein Zum Beispiel im Rahmen der Kampa- gne »Menschen vor Profite – Pflege- W er von euch ist denn schon im »Refugio« in Berlin-Neukölln sah notstand stoppen«, die im Mai startet. seit zehn Jahren in der LIN- es auch bei den anderen fünf Regi- Auch zur Kampagne zu bezahlbaren KEN dabei?« lautet die Fra- onalforen in München, Mannheim, Mieten und zu Organisierender Ar- ge zu Beginn des letzten Regionalfo- Hannover, Erfurt und Essen aus, die beit vor Ort gab es Arbeitsgruppen. rums am 28. April in Berlin. Immer- am 4. März gestartet sind. Mitglie- In Berlin berichteten dort zwei Akti- hin rund ein Viertel des Saals meldet der aus verschiedenen Städten und ve aus dem LINKEN Modellprojekt sich. »Und seit ungefähr fünf Jahren?« Landesverbänden und mit ganz un- aus einem einkommensarmen Stadt- Ein paar Hände gehen hoch. »Und seit terschiedlicher linker Geschichte viertel, in dem sie mitmachen – und weniger als einem Jahr?« Wieder mel- tauschten sich dabei im Vorfeld des begeisterten damit auch andere, die det sich etwa ein Viertel des Saals, Bundesparteitags über Themen aus, sich vorstellen können, ähnliche Pro- vor allem junge Leute. Ähnlich wie die in der LINKEN engagiert disku- jekte zu starten. Anzeige Näher dran an linken Lösungen Was Karl Marx und andere linke Vordenker*innen hier und heute an Relevanz haben, loten wir täglich mit kritischer Sympathie neu aus. Lesen Sie mit! Das »nd«- Mini-Abo 2 Monate für Am besten 49 Euro gleich heute bestellen: (030) 29 78 18 00 www.dasND.de/disput inklusive plus p »nd«-App Buchprämie Buch SOZIALISTISCHE TAGESZEITUNG 8 DISPUT Juni 2018
PARTEITAG Die oberste Versammlung Mindestens einmal im Jahr treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus der gesamten Partei zum Parteitag VON SUSANNE LANG N icht viele Orte kommen für ei- nen Bundesparteitag der LIN- KEN infrage. Es braucht viel Platz, wenn sich 580 Delegierte und Dutzende Gäste ein Wochenende lang treffen, um zu diskutieren, ab- zustimmen und zu entscheiden. Kon- gress- und Messehallen in der gan- zen Bundesrepublik, von Rostock bis Göttingen, von Hannover bis Dres- den, waren bereits Austragungsorte von Debatten und Wahlen der LIN- KEN. In diesem Jahr wird das Con- gress Center Leipzig für ein langes Wochenende in einen linken Plenar- saal verwandelt werden. Da eine gute Atmosphäre wichtig für das Gelingen eines Parteitags ist, wird bereits Mo- Foto: Martin Heinlein nate zuvor damit begonnen, das Er- eignis zu planen und zu organisieren: Der Parteivorstand, der auf der ers- nen stellen sich vor, es werden Vor- Wie werden Tische und Stühle auf- ten Tagung des 6.Parteitages vom 8. schlagslisten für die Gremien des gestellt, damit auch alle Delegierten bis 10. Juni 2018 in Leipzig gewählt Parteitags – Arbeitspräsidium, An- die Ereignisse auf der Bühne verfol- werden wird, wird also bis zur ersten trags- und Wahlkommission usw. – gen können? Wo bekommt die Presse Tagung des 7. Parteitags im Frühsom- vorbereitet. Alle notwendigen Un- ihre Arbeitsplätze? Wie wird die Ver- mer 2020 im Amt sein. terlagen für die Arbeit einer Tagung pflegung in den Pausen organisiert? Der Parteitag bestimmt die Grund- des Parteitags werden in sogenann- Und nicht zuletzt: Welche kulturellen linien der Politik der Partei. Er ent- ten Antragsheften zusammengefasst, Highlights umrahmen diesen jährli- scheidet, wenn erforderlich, über Än- die gedruckt und rechtzeitig an die chen Höhepunkt des Parteilebens? derungen an der Satzung oder an den Delegierten versandt werden. Auch Ein Parteitag auf Bundesebene, Ordnungen. Er nominiert in dieser Frage steht die WAS ein Bundesparteitag, findet laut Sat- die Kandidatinnen und Bundesgeschäftsstelle in zung mindestens einmal pro Jahr Kandidaten der Partei für der Pflicht. UND statt. Da DIE LINKE über 62.300 Mit- die Europawahlen und be- Eine Besonderheit der glieder hat – Tendenz steigend – und schließt das Europawahl- Parteitage der LINKEN WIE so viele Mitglieder nicht zu einer programm. Für die nächs- ist das Frauenplenum. Je- gemeinsamen Diskussion und Ent- te Europawahl, die im Mai weils zu Beginn des Par- scheidung zusammenkommen kön- 2019 stattfinden wird, teitages tagen die weibli- nen, werden in allen Kreis- und Re- wird das auf einer Ta- chen Delegierten und ha- gionalverbänden, im Jugendverband gung im ersten Quartal 2019 gesche- ben einen eigenen Raum für Diskus- und in den Zusammenschlüssen der hen. Ein Bundestagswahlprogramm sionen, Anträge und Beschlüsse. Partei Delegierte gewählt, die in der wird dieser Parteitag aller Voraus- LINKE Parteitage sind voller Dis- zweijährigen Wahlperiode eines Par- sicht nach nicht beschließen müs- kussionen, voller schwieriger Ent- teitags über die Geschicke der Partei sen – planmäßig finden die nächsten scheidungen und emotionaler Re- entscheiden. Bundestagswahlen erst 2021 statt. den. Das soll auch so sein, denn DIE In jeder Wahlperiode wird auf Dann wird bereits ein neuer Partei- LINKE kämpft für einen demokrati- der ersten Tagung der neue Partei- tag gewählt worden sein. schen Sozialismus. Sie hat sich des- vorstand gewählt, der aus den Par- Im Grunde beginnt die Arbeit ei- halb eine Struktur gegeben, in der in- teivorsitzenden, den stellvertreten- nes Parteitags, nicht nur in organi- nerparteiliche Demokratie nicht nur den Parteivorsitzenden, dem Bun- satorischer Hinsicht, bereits lange als Banner aufgezogen, sondern tag- desgeschäftsführer, dem Bundes- vor der eigentlichen Tagung. Es wer- täglich gelebt wird. Das ist ohne Fra- schatzmeister und den weiteren den Anträge und Änderungsanträge ge anstrengend, aber lebensnotwen- Parteivorstandsmitgliedern besteht, formuliert, Bewerberinnen und Be- dig und darüber hinaus spannend insgesamt 44 Männer und Frauen. werber für Mandate und Funktio- und aufregend. DISPUT Juni 2018 9
PARTEITAG DIE LINKE – Partei in Bewegung Der Antrag des Parteivorstandes an den Leipziger Parteitag in gekürzter Fassung Geschicke selbst lenken Die Rechte in Europa und in Deutschland ist erstarkt. Wir kön- nen sie nur bekämpfen, indem wir uns ihrem Rassismus, ihren Versu- chen, die Agenda zu bestimmen, ih- ren Redeweisen und ihren Forderun- gen entgegenstellen. Es war schon immer ein Mittel der Herrschaft, Bevölkerungsgruppen gegeneinan- der auszuspielen. Das machen wir Foto: Martin Heinlein nicht mit: für uns stehen nicht Deut- sche gegen Nicht-Deutsche sondern W eltweit – und auch in Deutsch- Spätestens seit der Agenda 2010 ha- Mieter gegen Miethaie, diejenigen, land – ignorieren die Regie- ben Millionen Menschen realisiert, die hart arbeiten gegenüber denje- rungen die Menschheitspro- dass die großen Parteien nur Varian- nigen, die auf ihrem Rücken Profite bleme: die globale Zunahme von Krie- ten derselben Politik anbieten. machen wollen. gen und bewaffneten Konflikten, die Die Grundlagen einer sozialen und DIE LINKE hat von Beginn an ih- Dramatik des Klimawandels, die wach- demokratischen Gesellschaft müssen re Politik zu Flucht und Grenzen an sende Ungleichheit bei Vermögen und neu hergestellt werden. Das ist Auf- dem Dreiklang orientiert: 1. Fluch- Einkommen. Rassismus und Nationa- gabe der LINKEN, aber wir können es tursachen bekämpfen: Wir wollen lismus sind im Aufschwung. nicht alleine tun. Es bedarf eines ge- Waffenexporte stoppen, friedliche Die alltäglichen Sorgen von vielen sellschaftlichen Aufbruchs. Der muss Konfliktlösungen, gerechten Han- Menschen wachsen: Weiterhin sind das Ganze in den Blick nehmen, nicht del und wirtschaftliche Zusammen- drei Millionen Menschen ohne Lohn- nur kleine Verbesserungen: Die Löh- arbeit, 2. Das Sterben an den Euro- arbeit, während andere Berge von ne werden nur steigen, wenn Men- päischen Grenzen muss beendet Überstunden auftürmen, sich von schen sich wehren können – ohne werden. Dafür brauchen wir legale Job zu Job hangeln, unter Dauerstress Angst vor Kündigung, Ausweisung Fluchtwege und offene Grenzen. Die leiden. Nach wie vor muss jedes sieb- oder Hartz IV. Die Mieten werden Belastungen – nicht die Geflüchteten te Kind mit Hartz IV über die Runden nur sinken, wenn die Spekulation mit – müssen in der EU gerechter ver- kommen. In Krankenhäusern und Wohnraum eingedämmt und in sozia- teilt werden, 3. Eine soziale Offensi- Pflegeeinrichtungen fehlt Personal, len Wohnungsbau investiert wird. In- ve für alle, die die Lebensbedingun- und die Mieten in den Ballungsge- vestiert werden kann nur, wenn ho- gen für alle Menschen verbessert. bieten explodieren ungebremst und he Vermögen und große Erbschaften Durch Investitionen in bezahlbaren fressen einen immer größeren Teil gerecht besteuert werden. Wohnraum, gute Bildung und Ar- des Lohns auf. Wer sich keine Sorgen Für DIE LINKE heißt das: Wir wer- beit, mehr Beschäftigung, allgemein machen muss: Krankenhauskonzer- den um gesellschaftliche Mehrhei- der öffentlichen Daseinsvorsorge ne, Autoindustrie, Rüstungskonzer- ten kämpfen. Wir wollen den Bo- und Angebote zur Teilhabe und In- ne und die Immobilienwirtschaft. den bereiten für andere parlamen- tegration. Und wir wollen die Demo- tarische Mehrheiten und dafür, dass kratie stärken: indem wir das Asyl- diese Mehrheiten tatsächliche Alter- recht wiederherstellen, Wahlrechte Mietenexplosion nativen schaffen können. Wir wol- ausweiten, eine Legalisierungsiniti- len, dass die Menschen ihre Geschi- ative für Menschen ohne gültige Pa- Das ist der Hintergrund für die Krise cke selbst in die Hand nehmen; dass piere, leichterer Zugang zur Staats- des politischen Systems. Hier liegen Politik nicht etwas ist, was ihnen ge- bürgerschaft: gleiche Rechte für al- die Ursachen dafür, dass viele Men- schieht, sondern womit sie ihre In- le. schen nicht mehr zur Wahl gehen teressen durchsetzen. DIE LINKE ist Viele Menschen setzen sich für oder den Eindruck haben, ihre Pro- nicht nur ihr Sprachrohr im Parla- eine andere Welt ein – im Kleinen bleme und Anliegen kämen im Kanz- ment, wir sind auch Teil dieser Orga- wie im Großen. Sie engagieren sich leramt und im Bundestag nicht vor. nisierung. in Mieterinitiativen, streiken für hö- 10 DISPUT Juni 2018
ABOSCHEIN Ich abonniere DISPUT Name, Vorname Straße, Hausnummer here Löhne und bessere Arbeitsbe- Arbeitsplätze. Wir wollen, dass der dingungen und gehen für Frieden öffentliche Nahverkehr ausgebaut und Abrüstung auf die Straße; sie wird und zum Nulltarif arbeitet. PLZ, Ort wehren sich gegen das Hartz-IV-Re- Wir streiten für ein Zukunftspro- gime und stellen sich Rassismus jekt Ost, wir kämpfen gegen die Dis- Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) und rechter Hetze in den Weg. Ver- kriminierung bei Löhnen und Ren- der Zeitschrift DISPUT im änderung wird es nicht geben, ohne ten im Osten und für eine Infra- dass all diese Menschen gemeinsam struktur-Offensive für die sogenann- Halbjahresabonnement zum Preis von Druck machen. Sie haben gemeinsa- ten abgehängten Regionen. 12,00 Euro inkl. Versandkosten me Interessen, auch wenn sie noch 6. Wir kämpfen mit allen, die sich viel zu oft getrennt kämpfen. An die- für Frieden und Abrüstung, gegen Jahresabonnement zum Preis von ser Solidarisierung arbeiten wir. Wir Waffenexporte und die europäische 21,60 Euro inkl. Versandkosten sind eine verbindende Partei, ganz Militärunion und für eine Entspan- praktisch. Die Partei DIE LINKE ist nungspolitik mit Russland einsetzen. und nutze den vorteilhaften Bankeinzug aus diesen Bewegungen entstanden, Eine Klammer für all diese Ausein- sie sind in unsere DNA eingeschrie- andersetzungen ist: Eine andere Po- ben und bilden den Kern und das litik wird es nur geben, wenn der ge- Herz der Partei. sellschaftliche Reichtum anders ver- IBAN teilt wird. Wir wollen, dass die Menschen DIE LINKE ihre Geschicke selbst in die Hand BIC ist Bewegung nehmen; dass Politik nicht etwas ist, oder was ihnen geschieht, sondern womit sie ihre Interessen durchsetzen. Da- Sechs Felder wollen wir in der für sind wir in Bewegung, dafür or- bitte um Rechnungslegung nächsten Zeit besonders in den Vor- ganisieren wir und laden ein: in den (gegen Gebühr) an meine Adresse. dergrund stellen. Wir kämpfen mit Nachbarschaften, in denen die Mie- allen, die sich einsetzen: ten explodieren, vor Kranken- und Das Abonnement verlängert sich 1. für gute Arbeit, kürzere Ar- Pfl egeheimen, Betrieben, Job-Cen- automatisch um den angegebenen beitszeiten, höhere Löhne und bes- tern, Kitas und Universitäten. Unse- Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, sere Tarifverträge, wir unterstüt- re Voraussetzungen sind gut: Wir ge- falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schriftlich kündige. zen Streiks und gewerkschaftliche winnen seit einigen Jahren Mitglie- Kämpfe, der. Wir sind eine aktive Mitglieder- 2. für soziale Garantien, eine ar- partei. Die Mitglieder der LINKEN mutsfeste Rente und sanktionsfreie sind unser Rückgrat und unsere Mindestsicherung, Stärke. »Basis« heißt, dass die Partei Datum, 1. Unterschrift 3. für eine inklusive Gesellschaft, auf ihren Mitgliedern aufbaut, von für Integration und gegen Rassis- unten nach oben. Sie bestimmen den Ich habe zur Kenntnis genommen, dass mus, Nationalismus und Einwan- Kurs, die Forderungen, die Program- ich die Bestellung innerhalb von 10 Tagen derungspolitik, die sich an Quoten me. Wir kämpfen auf allen Ebenen widerrufen kann. oder Nützlichkeitskriterien orientie- auch um die Rathäuser, die Kommu- Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige ren. Für uns gelten die Menschen, nalparlamente etc. Partei und Bewe- Absendung des Widerrufs. nicht der Pass. gung sind kein Gegensatz. Wir sind 4. Wir kämpfen für eine Stär- eine Bewegungspartei. Wir wollen in kung des Öffentlichen, für bezahlba- Wahlen stärker werden. Gerade in Datum, 2. Unterschrift re Mieten und sozialen und gemein- den bevorstehenden Landtagswah- nützigen Wohnungsbau. Für mehr len in Bayern und Hessen, 2019 in Personal in Pflege und Gesundheit. den Landtags-, Kommunal- und Euro- 5. Wir kämpfen für Klimaschutz pawahlen. Wir setzen auf die vielen, Coupon bitte senden an: und einen sozialen und ökologi- die in der Gesellschaft etwas bewe- Parteivorstand DIE LINKE schen Umbau der Wirtschaft. Wir in- gen wollen. Wir laden alle ein, mit Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin vestieren in die Zukunft, in Öffent- und in der LINKEN zu kämpfen. Wir Bestellungen auch möglich unter: liches, Digitalisierung, wir schaffen sind Partei in Bewegung. www.die-linke.de DISPUT Juni 2018 11
FRIEDEN UND ABRÜSTUNG Propaganda und Völkerrecht Auf der Suche nach Fakten zum mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien VON JAN VAN AKEN W as soll man denn jetzt noch auch ein Gutachten des Wissen- Auch bei der Auswahl der Ziele der glauben? Rund um den mut- schaftlichen Dienstes des Bundesta- Luftangriffe dürfen wir nicht der maßlichen Giftgasangriff im ges. Der Versuch der britischen Re- Propaganda glauben. Alle Medien syrischen Douma am 7. April drehen gierung, den Angriff mit der »Verhin- haben nachgeplappert, es seien An- die Propagandamaschinen in West derung von Leid« zu rechtfertigen, lagen zur Produktion und Lagerung und Ost heiß. Als LINKE sind unse- ist hilflos und hat mit Recht nichts von Chemiewaffen bombardiert re Fixpunkte das Völkerrecht und ei- zu tun. Umso überraschender ist die worden. Ich bin da skeptisch, denn ne unabhängige Aufklärung. Ein paar Formulierung der Bundesregierung, die OPCW hat seit Jahren in Syrien Fakten und offene Fragen: die Luftschläge seien »erforderlich Inspektionen durchgeführt und das und angemessen« gewesen. Damit frühere Chemiewaffenprogramm Sy- Gab es überhaupt einen unterstützen Merkel und Co. eine riens vernichtet. Natürlich ist nicht Giftgasangriff? gefährliche Aushöhlung des Völker- ausgeschlossen, dass es noch ande- rechtes. Vor allem aber unterminie- re, geheime Labore gibt – aber falls Stand Ende April ist das immer noch ren sie die Arbeit der unabhängigen die USA oder Andere ernsthafte Hin- unklar. Die Inspekteure der OPCW Chemiewaffen- Inspekteure: Es ist si- weise darauf hätten, dann wäre der (Organisation zum Verbot der Che- cher kein Zufall, dass die Luftangrif- einzig richtige und völkerrechtskon- miewaffen) waren am 21. und 25. Ap- fe nur wenige Stunden vor deren ge- forme Weg, diese Hinweise an die ril in Douma, um Zeugen zu verneh- planter Arbeitsaufnahme erfolgten. OPCW zu geben. Sie hat als einzige men und Proben zu nehmen. Die Ana- Das ist eine Verhöhnung der inter- das Mandat, solche Labore abzubau- lyse der Proben wird wohl bis mindes- nationalen Kontrollinstanzen mit en und unschädlich zu machen, ganz tens Mitte Mai dauern. Der Nachweis dem Recht des Stärkeren. Die Ar- ohne Raketen und Bomben. eines Gasangriffes ist auch nach zwei gumentation, man dürfe einen Gift- Wochen immer noch gut möglich. Sa- gasangriff nicht einfach durchgehen Sowohl die Regierung rin zersetzt sich zwar, aber die Ab- lassen und die Täter dürften nicht Assad als auch ISIS haben bauprodukte sind stabil und wer- straffrei bleiben, ist aus mindes- Giftgas eingesetzt den sich in Boden- oder Gebäudepro- tens zwei Gründen heuchlerisch. Es ben nachweisen lassen. Chlorgas ist ist zwar richtig, dass jeder Einsatz 2015 gründete der Sicherheitsrat schwieriger, weil es leicht flüchtig ist, von Chemiewaffen unbedingt ver- den sogenannten JIM, den »Joint In- da wird kaum noch etwas zu finden folgt und geahndet werden muss, al- vestigative Mechanism« (Gemein- sein. Aber anhand der Krankheitsbil- lein schon, um potentielle Nachah- samer Untersuchungsmechanis- der und Gewebeproben von Betroffe- mer abzuschrecken. Aber das muss mus). Diese Gruppe aus UN-Exper- nen wird sich in beiden möglichen rechtsstaatlich erfolgen: Erst muss ten und OPCW-Inspekteuren hatte Fällen ziemlich sicher ein Angriff be- ermittelt werden, was war und wer den Auftrag, die Urheber von Che- weisen lassen. Ich war anfangs skep- es war, und wenn die Beweise aus- miewaffenangriffen in Syrien zu er- tisch, ob es überhaupt einen Angriff reichen, muss vor einem ordentli- mitteln. In mehreren Fällen hat der mit Chemiewaffen gegeben hat, weil chen Gericht angeklagt werden. Das JIM festgestellt, dass das Assad-Re- die Informationen sehr widersprüch- könnte ein Gericht in einem »neuen« gime Chlorgas als Waffe eingesetzt lich waren und sehr viel Propagan- Syrien oder der Internationale Straf- hat. Dem IS konnte der Einsatz von da dabei war. Mittlerweile häufen gerichtshof sein. Aber erst schießen Senfgas nachgewiesen werden. Die sich allerdings die Anzeichen, dass und dann fragen, das ist Lynchjus- letzte Untersuchung des JIM betraf es möglicherweise doch einen An- tiz. Zweitens müssen wir uns fragen, den Sarinangriff von Khan Sheik- griff gab, wobei einige Berichte eher warum der Westen in diesem spezi- oun im April 2017. Am 26. Oktober auf Chlorgas, andere eher auf Sarin ellen Fall zum Angriff bläst, wo es 2017 legte der JIM einen Bericht deuten. doch bereits mehrere Fälle gab, in vor, der überzeugend und mit hoher denen unabhängige UN-Inspekteure Wahrscheinlichkeit nachweist, dass Der Raketenangriff der den Einsatz von Chlorgas durch As- die Regierung Assad den Angriff zu Briten, Franzosen und sad eindeutig nachgewiesen haben. verantworten hat. Seinerzeit konnte Amerikaner war völker- Seinerzeit haben die Regierungen in der JIM aufgrund der Sicherheitsla- rechtswidrig Washington, Paris und London aber ge nicht vor Ort ermitteln, deshalb geschwiegen und weggesehen. Jetzt war auch ich anfangs skeptisch. Al- Es ist überhaupt keine Frage, dass haben sie angegriffen, weil es ihnen lerdings wird durch die Analyse des diese Luftangriffe Völkerrecht ver- offenbar momentan in die aktuelle Einschlagkraters klar, dass eine Ex- letzen. Zu diesem Schluss kommt internationale Gemengelage passt. plosion am Boden nicht einen sol- 12 DISPUT Juni 2018
Karikatur: Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH chen Krater hervorrufen kann und beide Länder den jeweils anderen tische Motive spielen immer eine dass es sich mit sehr großer Sicher- Vorschlag mit einem Veto gestoppt. untergeordnete Rolle. Und so kann heit um ein aus der Luft abgeworfe- Da die Anträge nicht öffentlich sind, es leicht zu Entscheidungen kom- nes Objekt handelte. lässt sich leider nicht beurteilen, ob men, die von außen betrachtet hirn- die jeweiligen Gründe für eine Ab- rissig wirken, aus einer Innenlogik Blockadehaltung durch lehnung in irgendeiner Form logisch heraus aber durchaus Sinn machen. Russland und die USA oder nachvollziehbar waren oder ob Es ist alles reine Spekulation, aber es ein reines Macht- und Propagan- vielleicht ging es ja darum, in einem Aufgrund dieses Berichtes und der daspiel von beiden Seiten war. Am Konflikt innerhalb der syrischen Re- – aus meiner Sicht gerechtfertigten Ende bleibt aber die Tatsache, dass gierung eine harte Hand zu führen, – Schuldzuweisung an Assad hat es die russische Blockadehaltung oder konkurrierende Gruppierun- Russland das Mandat des JIM im Si- Ende letzten Jahres war, die zur Auf- gen innerhalb des Regimes wollten cherheitsrat blockiert. Seitdem gibt lösung des JIM führte und damit ei- den Sarin-Einsatz nutzen, um mit- es keine unabhängige UN-Einrich- ne Aufklärung im Fall des mutmaß- telfristig Assad zu schwächen. Al- tung mehr, die auch die Schuldigen lichen Angriffes von Douma verhin- les ist möglich, vieles wahrschein- von Giftgaseinsätzen ermitteln darf. dert hat. lich, aber nichts bewiesen. Der Aus- Ich halte das für einen großen Feh- weg aus dieser Situation liegt ganz ler und muss die russische Regie- Wem nützt es? allein bei einer wirklich unabhän- rung dafür scharf kritisieren, denn gigen Untersuchung durch die Ver- damit stellt sie sich schützend vor Es gibt ein Argument, mit dem im- einten Nationen. Die Bundesregie- den überführten Chemiewaffen-Tä- mer wieder versucht wird, die Un- rung, die immer wieder über Diplo- ter Assad und ermuntert ihn durch schuld der Regierung Assad zu be- matie redet, sollte hier endlich ein- die zu erwartende Straflosigkeit in- legen: Warum sollte Assad so etwas mal handeln und eine diplomatische direkt dazu, auch künftig solche ent- tun, wo er doch militärisch am Ge- Offensive starten, die Russland und setzlichen Waffen einzusetzen. Mitte winnen ist und weiß, dass er interna- die USA an einen Tisch holt, um eine April haben die USA und Russland tionale Folgen zu fürchten hat. Zwar Neuauflage des JIM zu verhandeln. eigene Resolutionen im UN-Sicher- ist die Frage des »Cui bono?« (»Wem Gleichzeitig muss sie jeden Völ- heitsrat vorgelegt. Nach Medienbe- nützt es?«) immer richtig und wich- kerrechtsbruch, sei es ein Giftgas- richten sollen beide auch einen neu- tig, manchmal hilft sie aber nicht einsatz oder ein Luftangriff, auf das en Mechanismus zur Ermittlung der weiter. Fast alle politischen Entschei- Schärfste verurteilen – selbst wenn Täterschaft von Giftgasangriffen be- dungen sind zu weit über 90 Prozent er von den engsten Verbündeten be- inhaltet haben. Allerdings haben innenpolitisch motiviert. Außenpoli- gangen wird. DISPUT Juni 2018 13
WAHLEN Das Wunder an der Oder René Wilke wurde am 18. März zum ersten LINKEN-Oberbürgermeister in Brandenburg gewählt. Er hat sich gegen den Amtsinhaber durchgesetzt. Wie konnte das geschehen? VON THOMAS FESKE Fotos: Christopher Kadetzki von Fensterplatz-Film W er kennt sie nicht – diese dig schwieriger materieller Lage – auf heute für nicht wenige Frankfurterin- Bekannten, mit denen man der zentralen Magistrale sehen. nen und Frankfurter den Idealtypus über lange Zeit richtig dicke Wie aber gehen die Menschen in des »Kümmerers« darstellt? war, und die man in der Folge dann der Stadt mit dem vermeintlichen Oder war Axel Henschke einer der nur noch in großen Abständen zu Ge- Niedergang um? Sie wählen einen Vorbereiter, der frühere Stasi-Mann, sicht bekommt. Wenn, dann sind es LINKEN-Oberbürgermeister, einen Be- der in den Jahren nach der Wende zu diese Bekannten, deren Veränderun- rufspolitiker, einen 33-Jährigen mit einer geachteten Persönlichkeit der gen am augenfälligsten sind. Man russischer Mutter, einen, der keinen Stadt wurde – weil er sich mit der ei- gleicht ein ziemlich detailliertes Por- Studienabschluss hat, keine Verwal- genen Vergangenheit genauso ausein- trait der Vergangenheit mit weit aus- tungserfahrung, einen Menschen- andersetzte wie mit der gesellschaftli- einanderliegenden Zwischenständen freund, keinen Hau-drauf, einen Lieb- chen Gegenwart in Frankfurt, mit dem ab. haber teurer Rennräder, einen Anzug- Stadtumbau etwa, der als Stadtab- Mir geht es mit der Stadt Frankfurt träger, einen Landtagsabgeordneten, riss tiefe Narben im Stadtbild hinter- (Oder) so. Single, kinderlos. ließ. Dieser Axel Henschke trat 2002 1997: das Oder-Hochwasser war ge- Ja: Frankfurt (Oder) ist die größte für ein überparteiliches Bündnis zur rade zurückgegangen, da zog ich in die Stadt, in der DIE LINKE den Verwal- Oberbürgermeisterwahl an, natürlich Stadt und besuchte eines der dortigen tungschef stellt – manche reden von als PDS-Mann. Und für viele natürlich Gymnasien. Ich sollte dann mehr als einem Wunder. als Stasi-Mann, gegen den eine gigan- zehn Jahre in Frankfurt hängen blei- Aber: Wunder brauchen Zeit – und tische Schmutzkampagne losgetreten ben. Und es hätte gern auch noch et- Vorbereitung. Wer hat dieses Wunder wurde – auch eine überparteiliche na- was länger sein können, wenn, ja von der Oder vorbereitet? türlich. Henschke stand damals – wie wenn Beruf und Familie mich nicht das ND schrieb – »zwischen allen Feu- weiter getrieben hätten. Das Herz aber ern« und half der Stadt beim Wunden blieb immer auch etwas in der Oder- Wunder lecken. Er unterlag am Ende denkbar stadt, und ab und an schaute ich doch brauchen Zeit knapp. vorbei. Oder waren es die gesellschaftli- Und da die Abstände meiner Be- chen Verhältnisse, die das Wunder suche groß waren, waren die Verän- War es Fritz Krause, der SED-, dann von der Oder vorbereiten halfen? derungen der Stadt besonders augen- PDS-, dann LINKE-Genosse, der die Ge- War es die stolze Tradition des Halb- scheinlich, so zum Beispiel die Armut, schicke der Oderstadt bis 1990 35 Jah- leiterwerks, das nach der Wende von die mit jedem Besuch mehr in das In- re lang leitete? Für den jeder Arbeits- 8.000 Beschäftigten auf wenige Hun- nere der Stadt zu drängen schien. Frü- weg, all die zufälligen Gespräche am dert schrumpfte? Waren es die hoch- her ein Phänomen im randständi- Wegesrand zugleich eine Aufgaben- fahrenden Pläne einer Chipfabrik, ge- gen Plattenbau, konnte man Jahr für liste für den beginnenden Tag in der fordert von Investoren mit für Frank- Jahr mehr Menschen – in offenkun- Amtsstube mit sich brachten und der furter Verhältnisse »weltläufigen« 14 DISPUT Juni 2018
RENÉ WILKE René Wilke (* 1984 in Frankfurt Namen. Diese dann vorbereitet mit (Oder)) ist Politiker mit Herzblut. munen und Unternehmen, die nach absoluter Hingabe seitens der Stadt, Er wurde am 18. März 2018 zum Gusto ihre Standortentscheidung tref- mit Brücken- und Hallenbau, mit Weg- Oberbürgermeister von Frank- fen, nicht mehr verstellen lassen. und Leitungsverlegung – für eine Fab- furt (Oder) gewählt. Wilke lebte Es waren diese entscheidenden Ge- rik, die niemals kommen sollte. Waren als Kind fünf Jahre lang bis 1995 sellschaftsfragen und ein Politiker, der es die Solarfabriken, die so viel Hoff- in Moskau und trat 2000 mit 16 sie authentisch anging, die diesem Er- nung in die Stadt brachten, und nach Jahren in die PDS ein. folg maßgeblich den Weg bereiteten. kurzer Zeit eine nach der anderen der René Wilke steht für viele Frankfurte- Stadt den Rücken kehrten? Oder ist es rinnen und Frankfurter für einen Neu- die Kinderarmut, die mit 30 Prozent anfang. Dabei steckt vielen Menschen als eine der höchsten in Deutschland – auch in der Oderstadt – der Reform- gilt? warnten. Warum? Weil er ein gemein- begriff der anfänglichen 2000er-Jah- Wer den Wahlkampf in der Oder- samer Kandidat von LINKEN und Grü- re noch tief in den Knochen. »Mut zur stadt mitverfolgt hat, wird die Situ- nen sei, und letztere gegen eine regel- Veränderung« hieß es damals unter ation vielleicht so beschreiben: Die mäßige Pflege der innerstädtischen Gerhard Schröder, und war doch im- Stadt hat die Vor-Wende-Geschichten Grünflächen seien. mer nur die knackige Übersetzung für verdaut. Zur üblichen Stasikeule kamen al- Kürzung, Drangsalierung, Gängelung Die Anwürfe gegen den 33-jähri- so noch die biblischen Plagen – in die- und soziale Kälte. gen René Wilke als Mitglied der Stasi- sem Wahlkampf war offensichtlich: Allerdings: Man kann Reformen Partei waren eine Farce, eine skurri- Die alten Reflexe gegenüber Links- oder Neuanfänge verordnen, man le Wiederholung vergangener Kämp- politikern funktionieren nicht mehr. kann sie allerdings auch als Einla- fe. Und mehr noch: Einige Tage vor Die Frankfurterinnen und Frankfur- dung verstehen – der Unterschied ist der Wahl machten gesponserte Face- ter waren schlauer. Sie haben sich gewaltig. René Wilke ließ sich einla- book Meldungen die Runde, die vor angesichts dieser Wahl den Blick auf den, war in 50 Wohnzimmergesprä- einer Insektenplage nach der Wahl die zentralen Widersprüche zwischen chen im Dialog und versicherte dort des LINKEN-Kandidaten René Wilke arm und reich, zwischen armen Kom- wie in den sozialen Medien, in jeder DISPUT Juni 2018 15
WAHLEN regelmäßigen Zeitungsanzeige zur Bi- führen lassen, Ängste zu mobilisieren. lungsbewegung früher und heute en- lanzierung seiner Arbeit eines: Verän- 2. Hoffnung braucht Vertrauen. gagierter Menschen. derung wird es nur mit den Menschen Vertrauen in einen nahbaren Kandi- 5. Die Partei DIE LINKE ist in Frank- geben, mit ihrer Kenntnis und ihrem daten, der ohne Hybris auf die unter- furt auch heute »Kümmerin«. Und das – zumindest grundsätzlichen – Einver- schiedlichen Milieus in seiner Stadt unter veränderten Vorzeichen: Viele ständnis. blickt und der in der Problem- und Genossinnen und Genossen waren in Was bleibt als Eindruck seines Aufgabenbeschreibung die gemeinsa- der Frankfurter Flüchtlingshilfe ak- Wahlkampfes? Seine komplette Trans- men Interessenlagen, die bindenden tiv. Ihnen gelang es, die Fehlstellen an parenz, seine Ehrlichkeit als OB-Kandi- Klammern einer wie überall ausein- Betreuung und Integration, die eine dat für alle, und doch mit klar linken andertreibenden Gesellschaft erspürt. schwache öffentliche Hand zu verant- Grundsätzen. Es bleibt seine Kraft, sei- Sei es im Kampf gegen die Kinderar- worten hat, zu besetzen, Probleme in ne Präsenz – nicht nur per Fahrrad im mut, in der kulturellen Wiederbele- migrantischen Communities und mit Stadtbild – und seine Unermüdlich- bung des sagenhaften Naturkleinods den Frankfurter Ureinwohnern früh- keit in der Abarbeitung von Bürgerin- Ziegenwerder zwischen altem und zeitig zu erkennen, zu besprechen, zu nen- und Bürgereingaben und der zeit- neuem Oderarm, im konsequenten bearbeiten. Wer wissen will, wie man nahen Rückmeldung. Es bleibt seine Abbau des Sanierungsstaus an Schu- Gauland und seinen neuen Nazis die Heimatverbundenheit als Landtags- len oder aber auch bei der Unterstüt- Suppe versalzt – das ist eine Antwort. abgeordneter in Erinnerung, nicht als zung des Dialogs Stadt – Universität. 6. René Wilke ist in einer Stadt ge- exklusives Identifikationsinstrument, Die Frankfurterinnen und Frankfur- wählt worden, die vermutlich die här- als manipulatives Mittel, sondern als ter waren bereit zu vertrauen – in ei- testen Jahre hinter sich hat. Leichter Überzeugung im Einsatz für die eige- nen LINKEN, der Rechenschaft ablegt, Zuzug, mehr Geburten, Ansiedlungen ne Region, für die Entschuldung der und der die soziale Frage in den Mit- in noch homöopathischen Dosen ver- Stadt, Investitionen in die barrierefrei- telpunkt stellt und damit den Nerv ändern die Stimmung in der Stadt po- en Straßenbahnen, die bessere Finan- der Oderstadt traf. sitiv. Nicht nur das: Frankfurt ist auch zierung der Frankfurter Kultur – auch 3. Hoffnung braucht aber auch im Umgang mit Geflüchteten einen ei- in Auseinandersetzung mit dem Land. Vertrauen in die Veränderbarkeit der genen Weg gegangen. Stadt und Woh- Verhältnisse und eine LINKE, die die nungsunternehmen hatten verein- Kraft zur realen Veränderung besitzt, bart, Flüchtlingen die Möglichkeit zu Einsatz für die die im Bündnis mit Macht und Gestal- unterbreiten, selbst Mietverträge zu eigene Region tungskraft ausgestattet ist. Manche unterschreiben, anstatt eine Wohnung erklären Rot-Rot-Grün für tot, zumin- zugeteilt zu bekommen. Hauswarte dest in Frankfurt (Oder) lebt die rot- bekamen interkulturelle Schulungen, Dem Vernehmen nach, klopfen nun grüne Idee. das soziale Leben in neu zusammen- viele Stadt- und Kreisverbände in der 4. René Wilke ist völlig unbelas- gesetzten Hausgemeinschaften wird Oderstadt an, und wollen das Erfolgs- tet in den Wahlkampf gegangen, die von öffentlicher Seite mit Nachbar- rezept für einen Wahlsieg. Den perfek- Schlachten der Vergangenheit sind schaftsfesten, Nachbarschaftslotsen ten Kandidaten und die perfekte Aus- früher ohne ihn geschlagen worden. und Gartenfesten gestärkt. Es brauch- gangslage kann man sich nicht ba- Ihn nachträglich auf eine Seite zu stel- te nicht das Ausbrechen sozialer Kon- cken, aber es gibt schon die ein oder len, verfing nicht mehr. Allerdings hat flikte, keinen Kampf zwischen arm andere Zutat, die die Frankfurter auf der Kandidat die Narben, die in die- und ärmer, sondern vielmehr ein ge- den Geschmack haben kommen las- ser Stadt offenliegen, nicht geflissent- sellschaftliches Klima, in dem Sorgen sen. lich übersehen, sondern sie öffentlich und Ängste in der Frankfurter Gesell- Will DIE LINKE Wahlen gewinnen, beschaut und besprochen, achtungs- schaft von politischer Seite ernstge- dann möglicherweise so: voll im Umgang mit ideellem, per- nommen und ihnen positiv Rechnung 1. René Wilke und das links-grüne sönlichem, gesellschaftspolitischem getragen wurde. Bündnis in Frankfurt haben im Wahl- Erbe. DIE LINKE steht auch deshalb In Frankfurt ist DIE LINKE nicht kampf komplett auf das Prinzip Hoff- geschlossen hinter ihm – weil er im der Katalysator des gesellschaftlichen nung gesetzt. Sie haben sich weder Respekt vor dem Engagement seiner Auseinanderdriftens, sondern die Ad- vom CDU-Kandidaten, der als OB in jungen und sehr alten Genossen in resse gesellschaftlicher Hoffnung, ver- spe tatsächlich die Abschiebung kri- diesen Wahlkampf gezogen ist, weil antwortungsvoll, fortschrittlich, ver- mineller Ausländer in seinem Ver- er die Partei nie als einen Kandida- lässlich. Frankfurt hat Mut zur Verän- antwortungsbereich verortete, noch tenwahlverein verstanden hat, son- derung bewiesen. durch die in Frankfurt starke AfD ver- dern als eine starke Kraft, eine Samm- Ermutigend. 16 DISPUT Juni 2018
WAHLEN Triumph an der Treene In Schleswig-Holstein gab es bei den Kommunalwahlen Rückenwind für DIE LINKE. Stimmengewinne bei der dritten Wahl in Folge VON HARALD W. JÜRGENSONN K napp 500 Menschen leben in raum, effektiver öffentlicher Perso- aus«, sagt die Bundestagsabgeordne- Schwabstedt, dem Dörfchen nennahverkehr, gute Löhne und bes- te. Sie sieht in den über 70 Manda- an der Treene. Zwölf Meter sere soziale Absicherung, mehr Per- ten im Land auch eine neue Heraus- über Normalnull, zwölf Kilometer sonal für Gesundheit und Pflege. Ar- forderung für die beiden MdBs: »90 sind es bis Husum, sechs bis Fried- gumente, die diesmal nicht nur in Prozent der Bundestagsentscheidun- richstadt. Und seit Sonntag, 6. Mai, den Städten, sondern auch in der Flä- gen betreffen die Kommunen. Hier dem Tag der Kommunalwahlen in che überzeugten. müssen wir intensiv mit den Kreis-, Schleswig-Holstein, prägt noch eine Lorenz Gösta Beutin, Bundestags- Stadt- und Gemeinderäten zusam- Zahl den kleinen Luftkurort: 19,2. abgeordneter und Landessprecher menarbeiten und uns gegenseitig un- Diese Prozentzahl erreichte DIE LIN- der LINKEN: »Der für uns positive terstützen.« KE aus dem Stand, ihre zwei Vertre- Trend setzt sich nach Landtags- und Der Aufwind ist spürbar nach ter im Gemeinderat kamen auf 22,8 Bundestagswahl fort: Wir arbeiten er- dem Stimmenabsturz 2013. Von 6,9 und 22 Prozent. 3,9 Prozent waren es folgreich an der Verankerung in Städ- Prozent im Jahr 2008 auf 2,5 Prozent für die Partei landesweit, 1,4 mehr ten und auf dem Land, wir werden war DIE LINKE bei den vorigen Kom- als noch vor fünf Jahren. jünger, wir gewinnen neue Mitglie- munalwahlen gefallen. Nichts deute- Schon bei der Landtagswahl ein der.« 1.276 Genossinnen und Genos- te damals darauf hin, dass es dies- Jahr zuvor hatte DIE LINKE 26.000 sen hatte der nördlichste Landesver- mal in Flensburg und Kiel wieder über sieben Prozent geben würde, doppelt so viele wie bisher. Kaum je- mand dachte an neue Fraktionen, al- Wahlergebnisse der LINKEN (in Prozent) lenfalls an Einzelmandate. Aber alle arbeiteten daran. Anderthalb Jahre Dauerwahlkampf, auf Bundes-, Lan- Flensburg 7,5 (3,7) +3,8 des- und jetzt auch regionaler Ebe- Kiel 7,2 (3,4) + 3,8 ne – das bedeutete anderthalb Jah- Lübeck 4,9 (3,9 ) +1 * re Infostände bei Wind und Wetter, Stomarn 4,4 (2,7) + 1,7 Steckaktionen, Diskussionen. Und Neumünster 4,3 (3,0) + 1,3 wenig Freizeit. Der Erfolg in abso- Pinneberg 4,2 (2,5) +1,7 luten Zahlen: Von 26.870 Stimmen Steinburg 3,9 (2,0) +1,8 vor fünf Jahren steigerte sich die Herzogtum Lauenburg 3,8 (3,1) + 0,7 Partei jetzt auf 42.584 Stimmen. Be- Segeberg 3,7 (3,1) + 0,6 achtlich, aber immer noch zu wenig Plön 3,5 (2,1) + 1,4 bei rund 2,4 Millionen Wahlberech- tigten. 47,1 Prozent Wahlbeteiligung * Wahlantritt der GAL 2,9% (Linksabspaltung der Grünen mit sind bitter wenig – und schaden klei- Ex-Linken-Landesvorsitzende) und Die Unabhängigen mit neren Parteien. Ex-Linken-MdB Wolfgang Neskovic): 8 % Für Landessprecherin der LIN- KEN Marianne Kolter zeigt das Lan- desergebnis, »dass DIE LINKE Schles- wig-Holstein als eine kontinuierlich arbeitende Partei vor Ort wahrge- Stimmen dazugewonnen, das waren band der LINKEN im ersten Quartal nommen wird«. Lorenz Gösta Beu- 1,5 Prozent mehr als 2012. Dieses Er- 2018, Tendenz steigend. tin zieht daraus Schlüsse für die Zu- gebnis, obwohl es nicht für den Ein- Das mag auch der Grund sein, dass kunft: »Es wird darauf ankommen, zug in den Landtag reichte, sowie in einigen Orten aus dem Stand bis zu den Schwung jetzt mitzunehmen, der Erfolg, seit 2017 wieder zwei Ab- drei Mandate pro Parlament errun- die Strukturen zu stärken, die neuen geordnete für Schleswig-Holstein im gen wurden. »Ahrensburg, Elmshorn, Mandatsträgerinnen und -träger ein- Bundestag zu haben, machte Mut. Plön, Heide, Itzehoe, Meldorf«, zählt zubinden und unser Profil zu schär- Nahezu flächendeckend trat DIE LIN- Conni Möhring auf, »wo DIE LINKE fen.« Dann korrigiert sich vielleicht KE an, 600 Kandidatinnen und Kan- aktiv ist und auch Personen bekannt auch die Wahlbeteiligung und damit didaten machten sie sichtbar. Die ge- sind oder bekannt werden, erreichen noch einmal das Ergebnis der LIN- setzten Themen betreffen die meisten wir auch im ländlichen Raum kom- KEN nach oben. Schwabstedt hat Menschen im Land: günstiger Wohn- munale Mandate. Präsenz zahlt sich Maßstäbe gesetzt. DISPUT Juni 2018 17
FRÜHLINGSAK ADEMIE I Lernen in Las Vegas Wahlen werden nicht am Roulette-Tisch entschieden – aber an den Haustüren. Die Working Families Party zeigt wie VON SUSANNE LANG nun die Working Families Party auf. So machte sie 2016 Bernie Sanders zu »ihrem« Kandidaten und beförder- te seinen Wahlkampf durch persönli- che Gespräche an unvorstellbar vie- len Haustüren (DISPUT Mai 2016). Dass eine linke Partei ihre Früh- lingsakademie ausgerechnet in Las Ve- gas abhält, mag auf den ersten Blick kurios anmuten. Doch neben Las-Ve- gas-Touristen, die ein Wochenende lang ihr Glück mit Karten, Würfeln und Spielautomaten suchen, treiben vor allem Konferenzteilnehmer/innen die Besucherzahlen in die Höhe – fast 15 Prozent der Gäste der Stadt kom- men als Konferenzteilnehmer/innen. Foto: Susanne Lang Denn durch günstige Hotelangebote und vielfältige Verkehrsanbindungen W ie überall in Las Vegas führt rer Partei vor allem durch ihre Haus- lassen sich in Las Vegas solche Veran- auch beim »SLS Hotel« der türwahlkämpfe bekannt. Bereits im staltungen preiswert organisieren. Weg hinein oder hinaus Oktober 2016 besuchten LINKE die Die 80 Teilnehmenden der Spring durch eine gigantische Spielhalle. WFP an ihrem Gründungsort in New School in Las Vegas kamen vor allem Nur wer sich durch das Gewirr von York und ließen sich in die Geheim- aus den verschiedenen regionalen Spieltischen und Spielautomaten hin- nisse des Haustürwahlkampfes ein- Sektionen der Working Families Par- durchgekämpft hat, findet schließ- weihen (DISPUT Januar 2017). Seither ty in New York, Portland, South Ca- lich die Konferenzräume im ersten hat auch DIE LINKE in verschiedenen rolina oder Nevada. Vertreten waren Stock. Dort weisen Schilder den Weg Wahlkämpfen vielfältige Erfahrungen auch die Gewerkschaft Communica- zur Spring School der Working Fami- mit Haustürgesprächen gesammelt. tion Workers of America (CWA) und lies Party (WFP). »Bingo!«, ruft die fast Partnerorganisationen der WFP wie zwei Meter große schwarze Transfrau der Trans United Fund sowie Partei- Monica, geht zum Tresen und nimmt Links und en und Organisationen aus dem Aus- sich einen Drink. Beim »Bingo zum populistisch land: Die Trademark-ICTU aus Bel- Kennenlernen« interviewen sich die fast, Barcelona en Comú aus Barce- Teilnehmenden gegenseitig und su- Die Working Families Party sieht sich lona, Momentum aus Großbritannien chen nach Gemeinsamkeiten. Wer als linke populistische Partei, also als und eine kleine Delegation von unse- diese erste Aufgabe erfüllt hat, darf eine Bewegung der einfachen Leute, rer Partei DIE LINKE. Der Fokus der sich einen Drink mixen. die keinen Zugang zu Reichtum und Akademie lag auf Erwerb und Vertie- Nach diesem unterhaltsamen Ein- politischer Macht haben. Sie grün- fen von praktischem Wissen für die stieg startet die »Working Families dete sich vor rund zwanzig Jahren alltägliche politische Arbeit. Es ging Academy Spring School« am nächs- nach dem Vorbild der People‘s Par- um strategische Abwägung und poli- ten Morgen hochkonzentriert. Vom ty, die als breite Bewegung zwischen tische Vermittlung, um Ressourcen- 12. bis 15. April veranstaltete die Wor- 1891 und 1919, vor allem im ländli- einsatz und Spendenakquise. Nach king Families Party ihre erste Früh- chen Raum, existierte. Die People‘s drei Tagen intensiver Arbeit verab- lingsakademie. Die lockere, solida- Party entwickelte eine erfolgreiche schieden sich alle Teilnehmenden rische Stimmung trägt die Teilneh- Wahltaktik, das Fusion Voting: Wie- überschwänglich und hochmotiviert, menden durch drei Tage intensiven derholt benannte die People‘s Party aber auch besorgt. Trump hat gerade Lernens und Diskutierens. Es wird ge- progressive Kandidaten der Demo- Syrien bombardiert. Die internationa- lacht und aufmerksam zugehört. Nur kraten als eigene Bewerber und un- le Linke steht vor großen Herausfor- gestritten wird nicht, denn das Verbin- terstützte deren Wahlkampf. So wa- derungen und schweren Zeiten, da- dende statt des Trennenden wird ge- ren Erfolge möglich, die es bei ge- rum sind diese Momente der gegen- sucht und immer wieder betont. Die trennten Kandidaturen nicht gege- seitigen Stärkung und Vernetzung so Working Families Party ist in unse- ben hätte. Eben dieses Konzept greift wichtig und kostbar. 18 DISPUT Juni 2018
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