Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz

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Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Klimaschutz

Klimaneutrales Berlin 2050
Ergebnisse der Machbarkeitsstudie
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Inhalt

1. Einleitung									4
   Herausforderung Klimawandel: Städte zählen 					    4
   Berlin handelt									5
   Ziele und Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie				 6

2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale					8
   Energieversorgung								9
   Gebäude und Stadtentwicklung							10
   Wirtschaft									11
   Private Haushalte und Konsum							12
   Verkehr									13

3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen			     14
   Referenzszenario								14
   Die beiden Zielszenarien: Alternative Wege zur Klimaneutralität			 14

4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin				 19
   Energieversorgung								19
   Gebäude und Stadtentwicklung							20
   Wirtschaft									22
   Private Haushalte und Konsum							24
   Verkehr									25

5. Fazit										26

Glossar										27

2
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Klimaneutrales
                                                                             Klimaneutrales Berlin Berlin
                                                                                                   2050 |2050     Grußworte
                                                                                                          Titel |des Kapitels

Grußworte

                            Vor allem die Städte sind es, die                             Auf Berlin kommt es an. Wenn
                            als Heimat von mehr als 50 Pro-                               die deutsche Hauptstadt sich
                            zent der Weltbevölkerung den                                  entschließt, ihren Ausstoß an
                            Klimawandel hervorrufen und                                   Treibhausgasen deutlich zu ver-
                            zugleich von seinen Folgen be-                                ringern, so leistet sie ihren not-
                            troffen sind. Immer mehr von                                  wendigen Beitrag zur Begren-
                            ihnen suchen nach Wegen, um                                   zung des Anstiegs der globalen
                            ihren lokalen Beitrag gegen den                               Mitteltemperatur auf höchstens
                            Klimawandel zu erbringen. Ber-                                zwei Grad Celsius. Diese Begren-
                            lin gehört dazu und möchte zu                                 zung soll die schlimmsten Risi-
einem Vorbild für andere Städte werden.                         ken ungebremsten Klimawandels vermeiden – weltweit dro-
Die deutsche Hauptstadt hat in den zurückliegenden Jahren       hen sonst unerhörte Wetterextreme und ein gewaltiger
und Jahrzehnten viel für den Schutz des Klimas getan und        Meeresspiegelanstieg, in Deutschland ungekannte Hitze-
dabei auch schon viel erreicht. Aber es sind weitere Maß-       wellen in Städten und Überflutungen wie zuletzt an Elbe
nahmen nötig.                                                   und Donau. Metropolen wie New York und Amsterdam leis-
Deswegen hat sich der Berliner Senat das Ziel gesetzt, Ber-     ten ihren Klimaschutz-Beitrag bereits. Doch bei Berlin geht
lin bis zum Jahr 2050 durch eine weitgehend erneuerbare         es um mehr.
Energieversorgung, „smarte“ Infrastrukturen und vor al-         Wegen des einzigartigen Experiments der Energiewende
lem mit Hilfe einer verantwortungsbewussten Stadtgesell-        schauen die Menschen der Welt auf Deutschland und – ein-
schaft zu einer klimaneutralen Stadt zu entwickeln.             mal mehr in der Geschichte – auf seine Hauptstadt. Unser
Berlin soll also eine Stadt werden, die Klimaschutz konse-      Land ist, im Guten oder im Schlechten, ein globales Modell
quent auch als Ressourcen- und Umweltschutz betreibt,           für den Umstieg von der fossil-nuklearen auf die effizient-
was auch zu einer besseren und gesünderen Lebensumwelt          erneuerbare Wirtschaftsweise. Ohne die größte Stadt
für die Berlinerinnen und Berliner führen wird.                 Deutschlands aber kann ein solcher Umstieg nicht glaub-
Der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die ge-         würdig gelingen. Und umgekehrt kann Berlin ohne die bun-
steckten Ziele erreicht werden können, ist ein von meiner       desweite Energiewende nicht klimaneutral werden – etwa
Verwaltung beauftragtes wissenschaftliches Konsortium           weil die Stadt im Winter Windstrom aus Brandenburg
unter Leitung des Potsdam Instituts für Klimafolgenfor-         braucht.
schung nachgegangen und hat unter Beteiligung der               Berlin kann also die Wende nicht im Alleingang schaffen, es
Fachöffentlichkeit eine „Machbarkeitsstudie Klimaneutra-        braucht den Umbau des Systems, mit mehr Leitungen und
les Berlin 2050“ erstellt, deren wichtigste Ergebnisse hier     Speichern. Aber Berlin könnte ein Pionier werden – ein Pio-
vorgestellt werden.                                             nier des Klimaschutzes, der neuen Technologien, der nach-
Ich würde mich freuen, wenn die Broschüre dazu beitragen        haltigen Stadtentwicklung. Dann hätten die Berlinerinnen
kann, das Interesse, Verständnis und Engagement für den         und Berliner allen Grund, das zu sein, was mancher bei ih-
Klimaschutz in und für Berlin zu erhöhen.                       nen sonst misstrauisch beäugt: stolz wie Bolle.

Michael Müller                                                  Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber
Senator für Stadtentwicklung und Umwelt                         Direktor des Potsdam-Instituts für
                                                                Klimafolgenforschung (PIK)

                                                                                                                           3
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
1. Einleitung
Angesichts des fortschreitenden Kli-        Herausforderung Klimawandel:
mawandels und der besonderen Be-            Städte zählen
troffenheit und Verantwortung der
Großstädte hat sich die Berliner Regie-     Der globale Klimawandel findet be-
rungskoalition darauf verständigt, die      reits statt – mit spürbaren Folgen für
Voraussetzungen dafür zu schaffen,          viele Regionen der Erde. Auch Berlin
dass sich Berlin bis zum Jahr 2050 zu       wurde in den vergangenen Jahren
einer klimaneutralen Stadt entwickelt.      schon häufiger mit Hitzewellen oder
Berlin reagiert damit – wie viele ande-     Extremwetterereignissen       konfron-
re internationale Metropolen – auf die      tiert, die zukünftig noch zunehmen
Gefahren des Klimawandels, aber             werden.
auch auf die zu erwartenden Preisan-        Zur Bekämpfung des anthropogenen
stiege bei fossilen Energien. Gleichzei-    Klimawandels müssen die Treibhaus-
tig sollen die Chancen, die sich durch      gasemissionen deutlich gesenkt wer-
den Wandel hin zu einer hochmoder-          den. Dabei kommt gerade den Städten
nen, auf erneuerbaren Energien basie-       der Erde eine wichtige Rolle zu. Sie
rende Energieversorgung für Berlin          nehmen zwar nur 3 % der festen Land-
ergeben, genutzt werden.                    oberfläche der Erde ein, aber in Städ-
Die Senatsverwaltung für Stadtent-          ten leben mittlerweile 50 % der Welt-
wicklung und Umwelt hat ein vom             bevölkerung – Tendenz steigend.
Potsdam-Institut für Klimafolgenfor-        Weltweit werden rund 70 % aller
schung (PIK) geführtes Konsortium           Treibhausgase durch Städte verur-
aus Forschungseinrichtungen, Bera-          sacht. Die Emissionen großer Städte
tungs- und Planungsbüros (siehe Um-         übertreffen manchmal sogar die gan-
schlagrückseite) beauftragt, die Mach-      zer Staaten: Die jährlichen CO2-Emis-
barkeit des Klimaneutralitätsziels für      sionen New Yorks (54 Mio. t) etwa ent-
Berlin zu überprüfen und Wege dahin
aufzuzeigen.
Die Machbarkeitsstudie „Klimaneutra-
les Berlin 2050“ wurde Anfang 2014
                                                Was bedeutet Klimaneutralität?
fertig gestellt. Ihre Ergebnisse, die die
analytische Arbeit, Auswertungen so-
                                                „Klimaneutral“ ist eine Stadt dann, wenn sie einen Ausstoß von Treibhausgasen
wie Empfehlungen aus der Sicht des
                                                erzeugt, der das Weltklima unterhalb der gefährlichen Schwelle einer Erwär-
Autorenteams der Studie darstellen,
                                                mung von 2 Grad halten kann – auch bei einer für 2050 prognostizierten Weltbe-
werden nun in einem nächsten Schritt
                                                völkerung von 9 Milliarden Menschen mit gleichen Pro-Kopf-Emissionsrechten
von der Senatsverwaltung für Stadt-
                                                von 2 t CO2-Äquivalenten (lebenszyklusbasiert). Berlins Treibhausgas­emissionen
entwicklung und Umwelt ausgewer-
                                                bestehen zu 98 % aus CO2. Unter diesen Voraussetzungen wäre Berlin klimaneu-
tet. Die hier vorliegende Broschüre
                                                tral, wenn die städtischen Emissionen bis zum Jahr 2050 auf rd. 4,4 Mio. t abneh-
bietet einen Überblick über zentrale
                                                men würden, also um mindestens 85 % verglichen mit dem Basisjahr 1990. Da-
Befunde und Schlussfolgerungen der
                                                bei sind allerdings auch die Aufnahmekapazität der Biosphäre für Treibhausgase
Machbarkeitsstudie.
                                                („Senken“) und die in Produkten und Infrastrukturen verkörperten Emissionen
                                                zu berücksichtigen, die in der gegenwärtigen CO2-Statistik teilweise nicht abge-
                                                bildet werden. Der Zielwert von 4,4 Mio. t CO2 trägt dem Rechnung.

4
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Klimaneutrales Berlin 2050 | Einleitung

                                                                                                -30 %
                         BERLIN
                                             -100 %
                   -85 %                                                        -50 %                     -40 %
                          2050

sprechen denen von ganz Bangladesch,     Jahr 2025 um 40 % reduzieren, Rotter-       ma) spielen dabei eine wichtige Rolle.
die Londons (40 Mio. t) denen Irlands,   dam um 50 % und Kopenhagen gar              Weiterhin soll das seit 1990 geltende
und selbst die Emissionen Potsdams       um 100 %.                                   Energiespargesetz durch ein „Gesetz
(rund 860.000 t) entsprechen denen       Und Berlin? Berlin hat im Klimaschutz       zur Umsetzung der Energiewende und
Sierra Leones. Berlins CO2-Emissionen    schon einiges erreicht. Die energiebe-      zur Förderung des Klimaschutzes in
(21,3 Mio. t in 2010) bewegen sich in    dingten CO2-Emissionen konnten von          Berlin“ abgelöst werden, das die ver-
der Größenordnung derer Kroatiens,       knapp 30 Mio. t in 1990 auf 21,3 Mio. t     änderten europäischen und bundes-
Jordaniens oder der Dominikanischen      in 2010 reduziert werden – das ist ein      weiten energie- und klimapolitischen
Republik.                                Rückgang von 27 %. Seit 2011 hat die        Rahmenbedingungen aufgreift und
                                         Berliner Klimapolitik einen neuen An-       auf die Berliner Gegebenheiten und
Berlin handelt                           lauf genommen. Mit dem Ziel, Berlin         Potenziale zuschneidet. Berlin kann so
                                         bis 2050 zu einer klimaneutralen Stadt      zu einem aktiven Gestalter und Vor-
Bereits diese Zahlen zeigen: Wenn        zu machen, wurde ein ambitioniertes         bild der Energiewende werden, die Si-
Städte aktiven Klimaschutz betreiben,    Ziel formuliert und gleichzeitig für alle   cherheit und Bezahlbarkeit der Ener-
dann hat das eine globale Bedeutung.     Akteure ein langfristiger Planungs-         gieversorgung      auch     langfristig
Viele Städte weltweit haben diese Ver-   horizont eröffnet. Im Rahmen des            gewährl­eisten helfen, technologische
antwortung angenommen und zu             Stadtentwicklungskonzepts         (StEK)    Chancen nutzen und schließlich auch
handeln begonnen. New York etwa hat      2030 hat der Senat zudem in einem           den CO2-Fussabdruck der Stadt und
sich in seinem Planwerk „A Greener,      partizipativen Verfahren seine Stadt-       seiner Bürgerinnen und Bürger auf ein
Greater New York“ vorgenommen, die       entwicklungsziele definiert. Die The-       weltweit verträgliches, zukunftsfähi-
Emissionen bis 2030 um 30 % zu sen-      men Umwelt und Klima (einschl. der          ges Maß reduzieren.
ken. Andere Städte sind noch ehrgeizi-   Anpassung an den Klimawandel, vgl.
ger: Amsterdam will bereits bis zum      den Stadtentwicklungsplan (StEP) Kli-

                                                                                                                          5
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Ziele und Vorgehensweise
der Machbarkeitsstudie

Die Kernfragen, die die Machbarkeitsstudie beantwortet,        allen Handlungsfeldern gesucht und deren Anregungen auf
lauten: Kann Berlin bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden?     zwei großen Veranstaltungen, in zehn Fachworkshops und
Und wenn ja: Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Wo sind     vielen Einzelgesprächen aufgegriffen.
die Potenziale zu einer deutlichen Verminderung an CO2-
Emissionen in der Stadt? Sind die technologischen und ge-      Denken in Optionen.
sellschaftlichen Voraussetzungen dafür verfügbar?              Um die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten des Ener-
                                                               giesystems und der CO2-Emissionen abzuschätzen, wurden
Dazu wurde eine interdisziplinäre Vorgehensweise gewählt,      – ebenfalls in engem Austausch mit den Stakeholdern – zwei
die sich durch vier Schlüsselelemente charakterisieren lässt   alternative Szenarien pro Handlungsfeld entwickelt, die bei-
(vgl. im Folgenden Abb. 1):                                    de das Klimaneutralitätsziel auf verschiedenen Wegen er-
                                                               reichen. Diese wurden wiederum in zwei alternative Ge-
Orientierung an Handlungsfeldern.                              samtszenarien für Berlin überführt.
Es wurden fünf Handlungsfelder definiert: Energieversor-
gung, Gebäude und Stadtentwicklung, Wirtschaft, private        Diese Vorgehensweise soll der Tatsache Rechnung tragen,
Haushalte und Konsum sowie Verkehr. Primäres Ziel war          dass eine Strategie der Klimaneutralität für Berlin der Stadt
eine praxis- und politiknahe Untergliederung des Berliner      nicht „übergestülpt“ werden kann, sondern durch einen
Stadtsystems, das interdisziplinär betrachtet wurde.           Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirt-
                                                               schaft und Öffentlichkeit sozusagen in „Ko-Produktion“ er-
Neuzuschnitt der Bilanzierung.                                 stellt werden muss. Die Machbarkeitsstudie fokussiert da-
Unter Zugrundelegung der offiziellen Energie- und CO2-Bi-      bei auf die grundsätzliche Möglichkeit eines klimaneutralen
lanz wurden die sektoralen Kategorien gemäß der genann-        Berlins und die Wege dahin. Detaillierte Planungen für die
ten Handlungsfeld-Logik neu berechnet, der Gebäudesektor       nächsten Jahre bleiben weiteren Konzeptstudien vorbehal-
auf Basis eines eigens entwickelten, komplexen Gebäude-        ten, deren Durchführung die Senatsverwaltung bereits an-
modells isoliert und das Handlungsfeld Wirtschaft für Berlin   gekündigt hat.
neu zusammengefasst.
                                                               Die Quellenangaben zur vorliegenden Broschüre finden sich
Stakeholdereinbindung.                                         im Haupttext der Machbarkeitsstudie.
Die Machbarkeitsstudie hat kontinuierlich einen engen Dia-
log mit wichtigen Wissens- und Entscheidungsträgern aus

Stakeholder-Workshop am 30.10.13, Plenum                        Eröffnung des ersten Stakeholderwork-        Vorstellung der Szenarien durch Prof. Dr.
                                                                shops am 15.4.13 durch L. Stock, Leiter SR   B. Hirschl (stellvertretender Projektleiter)
                                                                KE (rechts im Bild) und Dr. F. Reusswig      am 30.10.13
                                                                (Projektleiter, im Bild links)

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Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Klimaneutrales Berlin 2050 | Einleitung

               1
                                                                                                                                      Vorgehensweise der Machbarkeitsstudie

                  Berliner Energie- und
                                                                                                       Daten- und Dokumentanalyse
                  CO2-Bilanz (2010)

                  Neuberechnung nach
                                                                                                                Handlungsfelder
                  Handlungsfeldern

                                                                               HF 1              HF 2                  HF 3             HF 4                    HF 5
                  Gebäude- und Flächen-                                      Energie-        Gebäude und            Wirtschaft         Private                 Verkehr
                  modellierung                                              versorgung     Stadtentwicklung                           Haushalte

                  1. Serie
                                                                                                               Ausgangslage 2010
                  Stakeholderworkshops

                                                                                                         Abschätzung Energie- und
                  Expertengespräche
                                                                                                         CO2 Reduktionspotenziale

                  Leitstudien und
                  Planwerke                                                                                   Szenarienentwicklung

                  2. Serie                                                                    Referenz               Ziel 1             Ziel 2
                  Stakeholderworkshops

                                                                                                       Maßnahmen und Leitprojekte
                  Dialog Klimaschutzrat
                                                                                                          Strategieentwicklung

                                                                                                              Klimaneutralität 2050

Podiumsdiskussion am 30.10.13 mit                 Dr. P. Graichen (Agora Energiewende)                                                 Prof. Dr. C. Becker (im Bild stehend) auf
Prof. Dr. M. Schreurs, FU Berlin,                 auf Podium am 30.10.13 (im Bild links)                                              dem Fachworkshop „Gebäude und Stadt-
S. Rehberg (BBU), Prof. Dr. J. Twele                                                                                                                   entwicklung“ am 15.4.13
(Reiner Lemoine Institut, Berlin) (v. l. n. r.)

                                                                                                                                                                             7
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale
Berlin, die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, ist            Trotz seines Wachstums der letzten Jahre hat es Berlin ge-
mit 3,375 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern die größte               schafft, seine CO2-Emissionen (gemäß Verursacherbilanz)
Stadt des Landes. Das Stadtgebiet des Landes Berlin um-               von 29,3 Mio. t in 1990 auf 21,3 Mio. t in 2010 zu senken –
fasst 887,7 km2, die Bevölkerungsdichte liegt bei 3.785               eine Reduktion um 27 % (vgl. Abb. 2). Allerdings hat sich die
Menschen pro km2 – die zweitgrößte einer deutschen Groß-              Dynamik der Emissionsminderung in den letzten Jahren
stadt nach München. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von                von -1,7 % pro Jahr (1990-2005) auf -0,4 % pro Jahr (2006-
rd. 30.000 Euro pro Kopf liegt Berlin knapp unter dem                 2010) merklich abgeschwächt. Die Vorschläge der Mach-
Durchschnitt der deutschen Städte. Berlin ist in den letzten          barkeitsstudie (vgl. Abschnitt 4) zielen darauf ab, die Berli-
Jahren immer attraktiver geworden, was sich am Anstieg                ner Emissionen bis zum Jahr 2050 auf 4,4 Mio. t pro Jahr zu
der Bevölkerung ebenso ablesen lässt wie an der Wirt-                 reduzieren – das entspricht einer durchschnittlichen jährli-
schaftsleistung.                                                      chen Reduktion von 2 %.

                                                                                                                                                  2
Mio t CO2                                                                                                      Reduktion der CO2-Emissionen in Berlin
                                                                                                                   1990-2010 und Szenarien bis 2050
30

25

20

15

10

 5
                      1990 –2005      2006 –2010      2011 –2050
                      –1,7 % p.a.     –0,4 % p.a.     –2,0 % p.a.
 0
 1990       1995     2000           2005       2010         2015    2020        2025         2030         2035         2040          2045         2050

Als Bezugsjahr der Machbarkeitsstudie wurde 2010 ge-
wählt, da für dieses Jahr die aktuelle Energie- und CO2-Bi-
lanz des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg verfügbar
war. Um die Handlungsfelder der Studie abzubilden, erfolg-                                                                                        3
te zunächst eine Neuberechnung der statistischen Daten.
Bezogen auf die Verursacherbilanz ergeben sich demnach                CO2-Emissionen Berlins nach Handlungsfeldern 2010 (Eigene Berechnung)

unterschiedliche hohe Anteile an den CO2-Emissionen
(vgl. Abb. 3).
Es zeigt sich, dass den CO2-Minderungsstrategien für den
Berliner Gebäudesektor eine besonders hohe Bedeutung
zukommt, aber auch, dass die Handlungsfelder Wirtschaft                                                            47 % Gebäude

und Verkehr einen erheblichen Einfluss besitzen. Die priva-                                                        23 % Verkehr
ten Haushalte sind nach dieser Darstellung für rund 9 % der                                                        21 % Wirtschaft
energiebedingten Berliner Emissionen in 2010 verantwort-                                                            9 % Haushalte und Konsum
lich – darin nicht enthalten sind die anderenorts ausgelös-
ten Emissionen durch Konsum in Berlin. Wie sich das gegen-
wärtige Bild im Detail darstellt, und welche Min­derungs-
optionen und -potenziale in den fünf Handlungsfeldern be-
stehen, wird im Folgenden genauer dargestellt.

8
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale

               Energieversorgung
Berlin konnte zwischen 1990 und 2010 nicht nur seine CO2-                       „„Die Anteile der Produktion in Kraft-Wärme-Kopplung
Emissionen senken, sondern auch seinen Primärenergiever-                          (KWK) können noch erhöht, reine Stromerzeugung
brauch: von 356.208 Terajoule (TJ) auf 306.372 TJ. Davon                          ohne Wärmeauskopplung kann dagegen reduziert wer-
wird nach wie vor ein Großteil durch fossile Energieträger                        den. Leitungsgebundene Wärme (z.B. Fernwärme)
wie Kohle, Öl oder Erdgas bereitgestellt (vgl. Abb. 4). Nur                       bleibt weiterhin wichtig, wird aber durch dezentrale
3 % dieses Primärenergieverbrauchs (9,8 TJ) und rund 1 %                          Teilnetze ergänzt. Die zunehmende „Intelligenz“ des
der bereitgestellten Endenergie stammten 2010 aus erneu-                          gesamten Energiesystems inklusive der Netze ermög-
erbaren Energien, allen voran aus Biomasse, aber auch aus                         licht immer effizientere Kopplungen der verschiedenen
Solarenergie und einem Berliner Windrad. Allerdings hat                           Energiemärkte, von Verbrauchern und Erzeugern
sich bei den Erneuerbaren auch in Berlin in den letzten Jah-                      („Smart City“).
ren eine dynamische Wachstumsentwicklung gezeigt                                „„Die größten Potenziale bei den erneuerbaren Energien
(Abb. 5), die zur Erreichung des Klimaneutralitätsziels wei-                      in Berlin bietet die Solarenergie, die gut zur urbanen
ter ausgebaut werden muss.                                                        Lastkurve (d. h. dem zeitlichen Verlauf der bezogenen
                                                                                  Leistung) und in das städtische Verteilnetz passt. Für
Die CO2-Reduktionspotenziale der Berliner Energieversor-                          einen massiven Ausbau insbesondere von Photovoltaik,
gung liegen in verschiedenen Bereichen:                                           aber auch von Solarthermie, bieten schon allein die fast
                                                                                  320.000 Wohngebäude Berlins (Dächer und teilweise
„„Um das Klimaneutralitätsziel zu erreichen, müssen die                           auch Fassaden) eine flächenschonende Basis. Studien
  emissionsintensiven Energieträger Kohle und Öl aus                              gehen davon aus, dass in Berlin etwa 300-mal mehr So-
  dem Umwandlungssektor und der Wärmebereitstellung                               larenergie gewonnen werden kann, als dies 2010 der
  möglichst rasch verdrängt werden.                                               Fall war.
„„Der emissionsärmere Energieträger Erdgas kann diese                           „„Bei der Biomasse muss Berlin seine eigenen Potenziale
  Lücken weitgehend füllen, muss aber selbst durch die                            konsequent, aber auch nachhaltig nutzen. Biomasse­
  Erhöhung des Anteils erneuerbaren Gases CO2-ärmer                               importe sind möglich, müssen aber strengen Nachhal-
  werden, z.B. durch die Integration von EE-Gas aus er-                           tigkeitsanforderungen genügen und können aufgrund
  neuerbarem Überschussstrom oder von Gasen biologi-                              ihrer globalen Knappheit insgesamt keinen großen Bei-
  scher Herkunft.                                                                 trag liefern.

                                                                          4                                                                                5
Zusammensetzung des Berliner Primärenergieverbrauchs nach Energieträgern 2010   Zunahme der Erneuerbaren Energien (Primärenergieverbrauch) in Berlin 2000-2010

                                                                                10
                                             38,7 % Gase                              Primärenergie in Terajoule
                                             33,2 % Mineralöle                   8

                                             14,7 % Steinkohlen
                                                                                 6
                                               4,7 % Braunkohlen
                                                                                 4
                                               4,5 % Strom

                                               3,2 % Erneuerbare                 2
                                               1,0 % Andere
                                                                                 0
                                                                                      1990     2000     2005     2006     2007     2008     2009    2010

                                                                                                                                                            9
Klimaneutrales Berlin 2050 - Ergebnisse der Machbarkeitsstudie Klimaschutz
Gebäude und Stadtentwicklung
Ein „Kapital“ Berlins ist sein großer Grün- und Freiflächen-   „„Aufgrund des Bevölkerungswachstums (bis 2050 steigt
anteil (ca. 44 % des Stadtgebiets), was neben der Lebens-        die Einwohnerzahl erwartungsgemäß um 250.000)
qualität auch der Anpassung an ein im Zuge des Klimawan-         kommt es zu erheblichen Neubauaktivitäten. Durch
dels wärmer werdendes Stadtklima zugute kommt. Berlin            ausgewogene Nachverdichtung und hohe energetische
verfügt zudem über ein baukulturell bedeutsames Erbe mit         Neubaustandards (z. B. Passivhaus- oder Plusenergie-
vielen Denkmälern und einem hohen Gründerzeitbestand.            Standard) lässt sich dieser Mehrbedarf klimafreundlich
Im Jahr 2011 konnte ein Bestand von knapp 320.000 Wohn-          gestalten.
gebäuden gezählt werden, in denen sich 1,9 Mio. Wohnein-       „„In Berlin wird pro Jahr knapp 1 % des Bestandes energe-
heiten befinden. Davon sind ca. 86 % Mietwohnungen, nur          tisch saniert (Fassade, Keller, Dach, Fenster etc.). Diese
14 % sind Eigentümer-Haushalte. Fast 90 % der Wohnun-            Sanierungsrate muss erhöht werden, wobei zunächst
gen Berlins befinden sich in Mehrfamilienhäusern, der Ein-/      die unsanierten Bestände, dann aber auch in nennens-
Zweifamilienhausanteil liegt bei gut 10 %. 9,6 % der Gebäu-      wertem Umfang die bereits einmal sanierten Gebäude
de stehen unter Denkmalschutz. Abb. 6 zeigt die verschie-        bis 2050 weiter energetisch verbessert werden müssen.
denen Stadtstrukturtypen mit überwiegender Wohnnut-            „„Die Fernwärme hat momentan einen Anteil an der Wär-
zung in Berlin.                                                  meversorgung von ca. 30 %. In Gebieten mit ausrei-
                                                                 chend städtebaulicher Dichte besteht Reduktionspo-
Es gibt verschiedene Ansatzpunkte, um die CO2-Emissionen         tenzial durch die Verdrängung von Kohle- und
des Berliner Gebäudebestandes zu reduzieren:                     Ölheizungen und den Ausbau der leitungsgebundenen
                                                                 Wärmeversorgung in KWK-Anlagen. In weniger dichten
                                                                 Lagen sind Nahwärmeinseln (kleine Wärmenetze) sinn-
                                                                 voll. Insgesamt muss der Anteil erneuerbarer Energien
                                                                 in der Wärmeversorgung steigen, der Wärmebedarf der
                                                                 Gebäude (z.B. durch Dämmung und Regelungstechnik)
                                                                 vermindert werden.

6
Verteilung von Stadtstrukturtypen über das Stadtgebiet

                                                                  Blockrandbebauung der Gründerzeit mit
                                                                    Seitenflügeln und Hinterhäusern
                                                                      Blockrandbebauung der Gründerzeit mit geringem
                                                                        Anteil von Seiten- und Hintergebäuden
                                                                          Blockrandbebauung der Gründerzeit
                                                                            mit massiven Veränderungen
                                                                               Blockrand- und Zeilenbebauung
                                                                                 der 1920er und 1930er Jahre
                                                                                   Zeilenbebauung seit den 1950er Jahren
                                                                                      hohe Bebauung der Nachkriegszeit
                                                                                        Siedlungsbebauung der 1990er Jahre
                                                                                           niedrige Bebauung mit Hausgärten
                                                                                              Villenbebauung mit parkartigen Gärten
                                                                                                Bebauung mit Gärten und
                                                                                                 halbprivater Umgrünung
                                                                                                     dörfliche Bebauung

  0 1 2 3 4 5km

10
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2. Ausgangssituation und Reduktionspotenziale

                                                                                     Wirtschaft
Um den spezifischen Beitrag des Berliner Gebäudesektors                  In Berlins Wirtschaftsstruktur dominiert gegenwärtig der
(Wohn- und Nichtwohn-Gebäude) zu den aktuellen Emissio-                  Sektor „Gewerbe, Handel, Dienstleistungen“ (GHD) mit je-
nen sowie deren Minderungspotenzial abschätzen zu kön-                   weils rd. 90 % bei Wertschöpfung und Beschäftigung den
nen, wurde ein eigenes Gebäudemodell entwickelt. Es stützt               Sektor „Industrie“ deutlich. Branchen mit wachsender Be-
sich auf gebäudescharfe Daten aus der Allgemeinen Liegen-                deutung sind u.a. der Tourismus und die Kreativwirtschaft
schaftskarte Berlins, einem 3-D-Modell der Gebäudehülle                  (vgl. Abb. 7). Der Endenergieverbrauch der Berliner Wirt-
und blockweise verfügbaren Angaben aus der Zensusbefra-                  schaft (rd. 40.000 TJ in 2010, ohne Wirtschaftsgebäude)
gung 2011 zur Energieversorgung der Gebäude. Den Mo-                     verteilt sich zu 80 % auf den GHD-Sektor, zu 20 % auf den
dellrechnungen der Machbarkeitsstudie zufolge könnte der                 Industriebereich. Es bestehen eine Reihe von Einsparpoten-
Wärmebedarf von 150 PJ (2010) um 78 % auf 33 PJ in 2050                  zialen für Endenergie (effizientere Anlagentechnik etc.) in
gesenkt werden. Im Kapitel 3 (Szenarien) wird dargelegt,                 den folgenden Verbrauchsbereichen und Größenordnun-
wie stark und über welchen Weg dieses Reduktionspotenzi-                 gen:
al unter realistischen Randbedingungen tatsächlich ausge-
schöpft werden kann.                                                     „„Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT).
                                                                           Einsparpotenziale im GHD-Bereich: 40-80 %, Verarbei-
                                                                           tendes Gewerbe: 5-40 %.
                                                                         „„Mechanische Energie. GHD: 30-50 %, Verarbeitendes
                                                                           Gewerbe: 10-50 %.
                                                                         „„Prozessenergie. GHD: 0-40 %, Verarbeitendes Gewerbe:
                                                                           20-40 %.

                                                                         Insgesamt lassen sich damit rd. 20-50 % des Endenergiebe-
                                                                         darfs der Berliner Wirtschaft bis 2050 einsparen. Zusam-
                                                                         men mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien liegen die
                                                                         CO2-Einsparungspotenziale dann bei bis zu 90 %.
7
                                               Energieversorgung 1,6 %                           Wirtschaftsstruktur Berlin 2010 nach Umsatzanteilen

             Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung 2,0%

                        Kunst, Unterhaltung und Erholung 2,6 %

                                         Gastgewerbe 2,8 %                              13,6 % Grundstücks- und Wohnungswesen

                                     Baugewerbe 3,6 %

                          Verkehr und Lagerei 3,7 %

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen 4,1 %                                                         10,0 % Verarbeitendes Gewerbe

          Sonstige Dienstleistungen 4,2 %

     Sonstige wirt. Dienstleistungen 5,6 %
                                                                                                          9,3 % Öffentliche Verwaltung

              Erziehung und Unterricht 5,9 %

                                                                                                 8,8 % Gesundheits- und Sozialwesen
                    Handel; Instandsetzung KFZ 6,9 %

                              Information und Kommunikation 7,0 %                8,3 % Wissenschaftiche und freiberufliche Dienstleistungen

                                                                                                                                               11
Private Haushalte und Konsum
In Berlin gab es im Jahr 2010 rund 2 Millionen Privathaus-         Auch durch sparsames Verhalten kann der Energiever-
halte, darunter sind 54 % Einpersonenhaushalte. Dies ist           brauch privater Haushalte reduziert werden, etwa durch
ein Spitzenwert im deutschen und internationalen Städte-           Steckerleisten, die Stand-by-Verluste nicht aktiver Geräte
vergleich. Der seit Jahren anhaltende Trend zu kleineren           vermeiden. Darüber hinaus können Konsumentinnen und
Haushaltsgrößen wirkt sich steigernd auf den Energiever-           Konsumenten das Klima dadurch entlasten, dass sie ver-
brauch aus, u.a. weil auch kleine Haushalte eine Grundaus-         mehrt regionale und saisonale Produkte kaufen, auf Um-
stattung an Geräten aufweisen.                                     weltsiegel achten (z.B. Blauer Engel, Biosiegel), weniger Es-
Im Jahr 2010 verbrauchten die Berliner Haushalte 12.221 TJ         sen wegwerfen oder ihren Fleischkonsum einschränken.
(rd. 3,4 Mrd. kWh) an Strom und 69 TJ (rd. 19,2 Mio. kWh) an       Diese Maßnahmen entlasten nicht nur die Umwelt, sie sind
Erdgas für Kochzwecke. Wärme- und Warmwassererzeu-                 vielfach auch gesundheitsfördernd.
gung werden im Rahmen der Machbarkeitsstudie dem Ge-
bäudebereich zugerechnet.                                          Die Machbarkeitsstudie geht davon aus, dass sich alle diese
Die wichtigsten Ansatzpunkte für eine Reduktion des Ener-          Effekte – Geräteaustausch plus Verhaltensanpassung – auf
gieverbrauchs der privaten Haushalte sind die Haushalts-           ein Einsparpotenzial von 50 % (6.110 TJ) summieren, das
größe, der Ausstattungsgrad mit Elektrogeräten, die Gerä-          bis 2050 maximal ausgeschöpft werden kann. Wichtig ist
teeffizienz und das konkrete Nutzerverhalten.                      hierbei auch die Entwicklung des Generalfaktors Strom, der
Das Reduktionspotenzial des Faktors Haushaltsgröße kann            die durchschnittlichen Emissionen der Stromversorgung in
gehoben werden, wenn der Trend zu mehr Wohnfläche pro              Deutschland beschreibt: Aufgrund der langfristig zu unter-
Kopf gestoppt oder doch gebremst werden kann, etwa                 stellenden Verbesserung des Generalfaktors Strom wird
durch neue Formen des Zusammenlebens oder durch Woh-               sich die damit verbundene CO2-Einsparung auf 75-93 % des
nungstauschprogramme. Auch der Gerätepark der Privat-              Wertes von 2010 belaufen – je nach Energiemix der deut-
haushalte weist noch hohe Anteile alter und ineffizienter          schen Stromerzeugung.
Geräte auf, deren Ersatz durch neue, effiziente Geräte ein
erhebliches Einsparpotenzial birgt (vgl. Abb. 8).

                                                                                                                                                   8
                                                                                         Altersstruktur von Elektrogroßgeräten in privaten Haushalten

           Waschmaschine      9                 23                          30                                   24                      14

           Wäschetrockner     9                 23                           33                                       24                      11

              Kühlschrank     8           17                      28                                 26                             22

  Kühl-/Gefrierkombination    8                22                      29                                   26                           15

             Gefriereinheit   8           17                      27                              24                               25

             Spülmaschine         13                 24                           32                                       21                 11

               Elektroherd    9            18                     25                               25                              24

                              1–2 Jahre               3–5 Jahre              6–9 Jahre                     10–13 Jahre                    14+ Jahre

12
Klimaneutrales Berlin 2050 | 2.Klimaneutrales
                                                                                              Ausgangssituation  und
                                                                                                            Berlin   Reduktionspotenziale
                                                                                                                   2050 | Titel des Kapitels

               Verkehr
Der Verkehrssektor ist mit ca. 4,8 Mio. t CO2 für rd. 23 % der                      Es gibt verschiedene Reduktionspotenziale im Berliner Ver-
Emissionen des Jahres 2010 im Land Berlin verantwortlich.                           kehr, die an den bisherigen Trends anknüpfen – die Schlag-
Nach einem deutlichen Anstieg der gesamten verkehrsbe-                              worte „Vermeiden, Verlagern, Verbessern“ geben dabei die
dingten CO2-Emissionen in den 1990er-Jahren sind diese                              Richtung vor.
seither leicht gesunken, wobei der Anteil an den Gesamt­
emissionen seit 2000 in etwa konstant blieb. Der Straßen-                           „„Wenn sich die zukünftige Stadtentwicklung konsequent
verkehr dominiert die Emissionen deutlich (Abb. 9).                                   am Leitbild einer „Stadt der kurzen Wege“ orientiert,
                                                                                      dann kann Verkehr in nennenswertem Maße vermieden
In Berlin waren 2010 rd. 1,29 Millionen Fahrzeuge zugelas-                            werden. Die polyzentrische Stadtstruktur Berlins bietet
sen, davon 1,1 Millionen Pkw, die überwiegend mit Otto-                               dafür sehr gute Voraussetzungen. Auch im Wirtschafts-
oder Dieselkraftstoffen betrieben wurden. Alternative An-                             verkehr bieten neue, urbane Logistikkonzepte die Mög-
triebe spielen derzeit noch kaum eine Rolle, haben sich aber                          lichkeit, Verkehr zu vermeiden.
in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt: So hat                             „„Verkehr kann in Zukunft noch stärker vom motorisier-
sich die Anzahl von Fahrzeugen mit Flüssiggas seit 2010                               ten Individualverkehr auf die emissionsarmen bzw.
von gut 9.000 auf über 14.000 Fahrzeuge im Jahr 2013 er-                              -freien Verkehrsträger des Umweltverbunds (ÖPNV,
höht, die Zahl der Hybridfahrzeuge in der Berliner Flotte                             Fuß- und Radverkehr) verlagert werden. Berlins Stadt-
verdoppelte sich von 2009 bis 2013 auf rd. 4.300. Die Zahl                            und Bevölkerungsstruktur macht die hierfür notwendi-
der Elektrofahrzeuge hat sich in diesem Zeitraum sogar                                gen Sharing-Systeme und verkehrsträger-übergreifen-
vervielfacht. Berlin ist ein bundesweites „Schaufenster“ der                          den Mobilitätsangebote auch wirtschaftlich attraktiv.
Elektromobilität. Auch der Rad- und Fußverkehr hat sich in                          „„Antriebssysteme müssen in ihrer Effizienz weiter ver-
den letzten Jahren positiv entwickelt. Der Autobesitz in Ber-                         bessert werden. Die Dekarbonisierung des Verkehrs
lin ist geringer als an vielen anderen Orten Deutschlands.                            kommt auch durch den Einsatz alternativer Kraftstoffe
Speziell die junge Generation braucht zwar Mobilität aber                             wie Wasserstoff, Fahrstrom oder Methanol (in der Luft-
nicht unbedingt das eigene Auto. Ein weiteres verkehrspoli-                           fahrt) voran, wenn dazu erneuerbare Energien einge-
tisches „Pfund“ Berlins ist sein auch im internationalen                              setzt werden. Dadurch würde auch das heute noch so
Vergleich sehr gutes Nahverkehrssystem.                                               klimabelastende Fliegen erheblich CO2-ärmer werden.

                                                                                    Insgesamt besteht im Verkehrssektor bis 2050 ein theoreti-
                                                                                    sches Einsparpotenzial von 60 % beim Endenergieverbrauch
                                                                                    und von 90 % bei den CO2-Emissionen.

9
Entwicklung der CO2-Emissionen im Berliner Verkehrssektor 1990-2010

     Mio t                                                                                                                             Prozent
     7                                                                                                                                     30

                              22,7                                                         24,9         23,7
     6                                        23,2                                                                       23,5              25
                                                              22,7          22,7                                                22,8
                              0,80
     5                                        0,81
              0,37                                                                                                                         20
                                                              0,88          0,95           0,97         0,99                    0,94
     4                17,2                                                                                               0,83
                                                                                                                                           15
     3                        4,11
              3,66                            3,82
                                                              3,59          3,47           3,39         3,37             3,35   3,39       10
     2

     1                                                                                                                                     5
              0,97            0,83            0,80                          0,63           0,58         0,54
     0                                                        0,46                                                       0,51   0,50       0
              1990            2000            2004            2005          2006          2007          2008         2009       2010

                  Luftverkehr           Straßenverkehr            Schienenverkehr           Anteil an Gesamtemissionen

                                                                                                                                                 13
3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin:
   Denken in Optionen
Um die Zukunft Berlins 2050 in den Blick zu nehmen, wur-        Die beiden Zielszenarien:
den verschiedene Szenarien entwickelt und qualitativ wie        Alternative Wege zur Klimaneutralität
quantitativ beschrieben. Szenarien sind keine Prognosen,
sondern „konditionale Zukünfte“, d.h. sie sagen etwas dar-      Während eine Reihe wichtiger, aber hier systemexterner Pa-
über aus, wie ein System sich unter bestimmten Bedingun-        rameter zwischen den Szenarien nicht variiert wurde (Ener-
gen entwickeln könnte und welche alternativen Zustände es       giepreise, Wirtschaftswachstum, Bevölkerung), sind die bei-
dann einnehmen kann. Im vorliegenden Fall ging es um die        den Zielszenarien dadurch generiert worden, dass
Frage, was getan werden muss, um im Jahr 2050 Klimaneu-         verschiedene systeminterne Parameter identifiziert und
tralität zu erreichen und wie sich dieses Ziel in den Hand-     zum Teil gezielt kontrastiv gegeneinander profiliert wur-
lungsfeldern konkret darstellt. Die Szenarienentwicklung        den. Dazu zählten vor allem:
der Machbarkeitsstudie stützt sich dabei auf die Analyse
der Berliner Ausgangssituation, auf die literaturbasierte Ab-   „„Werte, Einstellungen und Konsummuster;
schätzung technischer Reduktionspotenziale der maßgebli-        „„Technologieentwicklung/-diffusion;
chen Schlüsselfaktoren in allen Handlungsfeldern, auf viele     „„Grad der Zentralität/Dezentralität von Wirtschaft,
Expertengespräche und mehrere Stakeholderworkshops.               Infrastruktur und Stadtentwicklung;
                                                                „„Gewichtung der Beiträge von Energieträger-Substitu­
Referenzszenario                                                  tion und Einsparungen.

Ein Referenzszenario dient üblicherweise als eine Art „Kon-     Diese Variation der Schlüsselparameter erfolgte mit der
trastfolie“ gegenüber den Zielszenarien; damit lassen sich      Maßgabe, in der Summe jeweils eine deutliche Reduktion
Effekte von zusätzlichen Klimaschutzmaßnahmen abschät-          der CO2-Emissionen zu erreichen: nach Möglichkeit sollte
zen. In der Regel entspricht diese Referenz einem „Busi-        der Zielwert einer 85 %-Minderung durch plausible Ausprä-
ness-as-usual“ (BAU)-Szenario. In der Machbarkeitsstudie        gungen und Kombination der Schlüsselfaktoren in den
wird hingegen auch schon im Referenzszenario unterstellt,       Handlungsfeldern realisiert werden. Dieses Ziel konnte er-
dass es zusätzliche Anstrengungen beim Klimaschutz in           reicht werden, so dass sich dadurch zwei unterschiedliche
Berlin geben wird. Konkret wird unterstellt, dass neben den     Szenarien für Berlin ergeben. Die Kurzübersicht auf der
bereits heute umgesetzten Maßnahmen auch alle heute             nächsten Seite zeigt die Ausprägungen einiger Schlüssel-
schon beschlossenen Pläne und Projekte der Stadtentwick-        merkmale im gegenseitigen Vergleich.
lung (z.B. StEP Verkehr, StEP Klima) konsequent umgesetzt
werden.                                                         Die beiden Zielszenarien können vereinfachend mit den
                                                                Schlüsselattributen „zentrale, effiziente Stadt“ (Zielszena-
                                                                rio 1) und „dezentrale, vernetzte Stadt“ (Zielszenario 2) be-
                                                                schrieben werden, weil sich die Aspekte Zentralität versus
                                                                Dezentralität insbesondere in den Handlungsfeldern Ener-
                                                                gieversorgung, Stadtentwicklung, Wirtschaft und Verkehr
                                                                als systemprägend erwiesen. Mit Blick auf die privaten
                                                                Haushalte, die Stadtentwicklung und den Verkehr spielte
                                                                zusätzlich die unterschiedliche Gewichtung von Effizienz
                                                                und Verhalten (Suffizienz) sowie der Grad der Vernetzung
                                                                eine wichtige Rolle. Damit spannen die beiden Szenarien
                                                                aber auch einen Möglichkeitsraum auf, da bei vielen Schlüs-
                                                                selfaktoren der zukünftige Zustand auch „in der Mitte“ lie-
                                                                gen kann.

14
Klimaneutrales Berlin 2050 | 3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen

Im Ergebnis zeigt sich, dass beide Zielszenarien das              sionen des Jahres 1990 drittelt und die des Jahres 2010 im-
Klimaneutralitätsziel für Berlin erreichen, nicht aber das        merhin halbiert (vgl. Abb. 10).
Referenzszenario, wenngleich dieses die Berliner CO2-Emis-

 Zielszenario 1                                                    Zielszenario 2
 Die zentrale, effiziente Stadt                                    Die dezentrale, vernetzte Stadt

      Energieversorgung                                                 Energieversorgung
      – Mehr KWK-Strom und Fernwärme                                    – Weniger KWK-Strom und Fernwärme,
      – Deutlicher Photovoltaik-Ausbau                                    aber mehr dezentrale Teilnetze
      – Power-to-heat: 20% zentral, weniger dezentral                   – Mehr Photovoltaik-Ausbau
                                                                        – Power-to-heat: 20% zentral, mehr dezentral

      Stadtentwicklung und Gebäude                                      Stadtentwicklung und Gebäude
      – Moderate Nachverdichtung                                        – Starke Nachverdichtung
      – Fokus S-Bahnring                                                – Fokus ganzes Stadtgebiet
      – Freiraumerhaltung                                               – Qualitätsoffensive Freiraum
      – Moderate Modernisierung                                         – Konsequente Modernisierung
      – Wohnfläche pro Kopf konstant                                    – Wohnfläche pro Kopf rückläufig

      Wirtschaft                                                        Wirtschaft
      – Großunternehmen wichtiger                                       – KMU wichtiger
      – Starke Einzelunternehmen                                        – Starke Unternehmensnetzwerke

      Haushalte                                                         Haushalte
      – Fokus technische Effizienz (Rebound)                            – Technische und Verhaltenseffizienz (kein Rebound)
      – Kleinere Haushalte                                              – Größere Haushalte
      – Öko-Konsum vorwiegend in Leitmilieus                            – Öko-Konsum weit verbreitet

      Verkehr                                                           Verkehr
      – Privat-Pkw bleibt wichtig, aber ohne fossile Antriebe           – Privat-Pkw wird unwichtiger
      – Kaum Multimodalität (z.B. Sharing-Konzepte)                     – Starke Multimodalität (Sharing verbreitet)
      – Flugverkehr fossiler und restringierter                         – Flugverkehr grüner und weniger restringiert

                                                                                                                              15
Viele Facetten des Berlins von heute gewinnen in der klimaneutralen Zukunft noch stärker an Bedeutung: z. B. Kraft-Wärme-Kopplung,
Energie-Effizienz-Netzwerke in der Wirtschaft, Multimodalität oder erneuerbare Energien.

Berlin kann sein Klimaneutralitätsziel also auf mindestens                             Wärmeabsatz nicht noch weiter fallen zu lassen. Power to
zwei verschiedenen Wegen erreichen. Dem Umbau des                                      heat im leitungsgebundenen Wärmemarkt wird mit einem
Energiesystems kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die                                 Stromverbrauch von 7 bis 9 PJ/a eine hohe Bedeutung er-
Kraft-Wärme-Kopplung, die bereits heute wichtig ist, wird                              langen, gleichzeitig ist eine deutlich höhere Wärmespeiche-
deutlich an Bedeutung gewinnen. Auch die netzgebundene                                 rung erforderlich.
Wärmeversorgung wird weiter eine wichtige Rolle in Berlin                              Bei den erneuerbaren Energien spielt in Berlin allen voran
spielen; die Anschlussdichte wird hierbei steigen müssen,                              die Solarenergie, insbesondere die Photovoltaik, in Zukunft
um den – je nach Szenario – ca. 10 bis 30 % abnehmenden                                eine Schlüsselrolle. Sie passt flächensparend auf die Gebäu-

10
CO2-Emissionen aus Endenergieverbrauch nach Verursacherbilanz 2010, im Referenzszenario und in den beiden Zielszenarien (Reduktion in % verglichen mit 1990)

             Mio. t CO2                         Nicht klimaneutral                      Klimaneutral                 Klimaneutral
       25

                            21,3
       20

                           –27 %
       15

                                                          9,5
       10

                                                         –68 %                               4,4
        5                                                                                                                  3,8
                                                                                                                                              Klimaneutralität
                                                                                                                                              ca. 4,4 Mio. t
                                                                                           –85 %                         –87 %
        0
                            2010                        Referenz                             Ziel 1                      Ziel 2

16
Klimaneutrales Berlin 2050 | 3. Szenarien für ein klimaneutrales Berlin: Denken in Optionen

de und an die Fassaden, das städtische Verteilnetz kann          Dieser gestiegene Strombedarf Berlins ist unter anderem
große Mengen Solarstrom aufnehmen und die Gestehungs-            darauf zurückzuführen, dass auch im Verkehrsbereich die-
kosten sind bereits heute mit Abstand günstiger als der          ser Energieträger immer mehr zum Einsatz kommt – je nach
Strompreis der privaten Haushalte und Gewerbebetriebe. In        Szenario entweder in einer größeren Privat-Pkw-Flotte oder
den Zielszenarien kann die Photovoltaik daher zwischen 9         in mehr Carsharing-Fahrzeugen. In jedem Fall wird die Ber-
und 13 PJ/a bereit stellen. Das entspricht etwa dem aktuel-      liner Fahrzeugflotte des Jahres 2050 deutlich emissions­
len Jahresstrombedarf von 1,2 Millionen bzw. 800.000             ärmer unterwegs sein und auch weniger Lärm verursachen.
Zwei-Personen-Haushalten.

                                                                                                                                     11
                                                                                             Strombereitstellung, Quelle: Eigene Darstellung

PJ/a

  60

  50

  40

  30                                                                      Import

                                                                          Photovoltaik
  20                                                                      Wind

                                                                          KWK im Gebäude
  10
                                                                          KWK im Wärmenetz

                                                                          Sommer ohne KWK
   0
             2010      Referenz        Ziel 1      Ziel 2

                                                                                                                                       17
Stadt-Umland-Beziehungen:
 Berlin als potenzieller Stromexporteur
                                                                                                                                 12
  In der Summe wird Berlin seine Stromproduktion deut-
                                                              Eigenversorgungsgrad
  lich steigern – und damit gleichzeitig den Importbedarf
                                                              Quelle: Eigene Darstellung
  deutlich senken können. Damit ändert sich das pau-
  schale Bild von der Großstadt als „Energiesenke“ deut-
  lich: Bilanziell kann Berlin nämlich seine Strombilanz
  annähernd ausgleichen. Würden die neuen, systemrele-            %          69 %           111 %          108 %        112 %
  vanten Großverbraucher wie die Power-to-Gas/Metha-
  nol-Technologie (im Umfang von 9 PJ/a) außerhalb Ber-         100
  lins angesiedelt, kann sogar nennenswert Strom
  exportiert werden. In den Szenarien wird aber davon
  ausgegangen, dass es ökonomisch und infrastrukturell                                      110 %
                                                                 50
  von Vorteil ist, diese Produktion weitgehend in Berlin                                                   92 %          93 %
  anzusiedeln. Saisonal betrachtet wird Berlin dann ins-                     69 %
  besondere im Sommer, wenn hohe Solarstrommengen
  erzeugt werden, Strom exportieren. Im Winter dagegen             0
  wird es ergänzend zur eigenen KWK-Stromerzeugung                           2010          Referenz        Ziel 1        Ziel 2
  vorrangig Windstrom – zum Beispiel aus Brandenburg
  – benötigen. Das Ergebnis spricht also auch für eine                 unter Berücksichtigung von:
  neue Aufgabenteilung mit dem Berliner Umland: Berlin
                                                                                    0 % innerstädtische Produktion H2/Methanol
  kann durch hohe solare und KWK-basierte Eigenpro-
                                                                                    100 % innerstädtische Produktion H2/Methanol
  duktion den Flächenbedarf für Energiebereitstellung
  reduzieren helfen – in Berlin selbst, aber auch in Bran-
  denburg. In Brandenburg sind damit aus Berliner Sicht
  möglicherweise keine Braunkohlekraftwerke mehr er-
  forderlich.

Insgesamt verschiebt sich der Energieträgermix in der Stadt   die aber bilanziell durch Eigenproduktion gedeckt werden
deutlich zu Gunsten des Gasverbrauchs, der rund drei Vier-    kann. Die Anteile erneuerbarer Energien werden die allge-
tel des Primärenergieverbrauchs in 2050 ausmacht. Bezo-       meinen Ziele der Bundesregierung nicht ganz erreichen, mit
gen auf den Endenergieverbrauch entfällt knapp ein Drittel    bis zu 40 % in der Fernwärme, bis zu rund 50 % bei der
auf die leitungsgebundene Wärme, rund ein Drittel auf         Stromerzeugung und bis zu rund 60 % bei der Gebäudewär-
Strom. Im Fall der leitungsgebundenen Wärme handelt es        me erzielt die größte deutsche Stadt aber durchaus beacht-
sich dabei nur um einen relativen Bedeutungszuwachs, da       liche Anteile. Es liegt im Eigeninteresse Berlins, dass auf
der Gesamtwärmebedarf bis 2050 deutlich abnimmt. Beim         Bundesebene die Ausbauziele für die Erneuerbaren auch
Strom geht die Machbarkeitsstudie aufgrund zahlreicher        erreicht werden.
neuer strombasierter Nutzungen von einer Zunahme aus,

18
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin

4. Strategien und Maßnahmen
   für ein klimaneutrales Berlin
Noch liegt die Klimaneutralität in ferner Zukunft. Doch         Sie werden durch eine Reihe weiterer Maßnahmen ergänzt,
schon heute muss dieses Ziel anvisiert und zum Maßstab          die im Zusammenspiel dazu beitragen, das Ziel Klimaneut-
des Handelns gemacht werden, wenn es nicht verfehlt wer-        ralität zu erreichen.
den soll. Die Machbarkeitsstudie will deshalb auch Hinweise     Insgesamt ist dabei wichtig, dass das Thema Klimaneutrali-
darauf geben, wie der Klimaneutralitätspfad heute schon         tät in der Berliner Politik und Gesellschaft einen prioritären
beschritten werden sollte. Dabei wurde insbesondere nach        Stellenwert erhält. Zudem muss sich das Land Berlin für die
Maßnahmen und Projekten gesucht, die für beide ausge-           Erreichung der bundesweiten Klimaschutzziele und für die
wählten Szenarien gleichermaßen sinnvoll sind, für Berlin       Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für die eigenen
also die Freiheit bei der Wahl der Mittel noch eine Zeitlang    Maßnahmen einsetzen. Die Machbarkeitsstudie schlägt zu-
offen halten. Neben dem Kriterium der CO2-Einsparung            dem neue und ergänzende Finanzierungsmechanismen vor:
(Effektivität) spielte dabei auch noch deren öffentliche        einen Energieeffizienzfonds, einen Mietkautionsfonds und
Sichtbarkeit eine Rolle. Projekte mit hoher Sichtbarkeit wer-   das Crowdfunding für konkrete Projekte.
den in der Machbarkeitsstudie als Leitprojekte beschrieben.

           Energieversorgung
Die Maßnahmen im Handlungsfeld Energieversorgung zielen auf die zentralen Reduktionspotenziale: einerseits die Verrin-
gerung des Energieverbrauchs durch Steigerung der Energieeffizienz, andererseits auf den Ausbau emissionsarmer Energie-
erzeugungsformen.

„„Ein zentrales Leitprojekt ist der „Masterplan Solar-          „„Berlin braucht eine intelligente Vernetzung der ver-
  hauptstadt Berlin“. Er bündelt mehrere Maßnahmen,               schiedenen Technologien und Infrastrukturen und den
  die bestehende Hemmnisse abbauen sollen, lokale                 Einbau innovativer Erzeugungskomponenten (Power-
  Kompetenzen bündeln und spezifische „solarurbane                to-Heat, virtuelle Kraftwerke, Wärmespeicher).
  Anreize“ setzen.                                              „„Das klimaneutrale Berliner Energiesystem braucht das
„„Ein weiteres Leitprojekt zielt darauf ab, eine Berliner         Wissen, das Engagement und auch das Kapital mög-
  Kläranlage zum Pilotvorhaben für die smarte Nutzung             lichst vieler Menschen. Die Machbarkeitsstudie emp-
  und Speicherung von Strom weiterzuentwickeln.                   fiehlt Modelle der stärkeren ökonomischen und proze-
                                                                  duralen Beteiligung der Berliner Bürgerschaft.

                                                                                                                          19
Gebäude und Stadtentwicklung
Der Gebäudesektor trug 2010 mit 47 % zu den Berliner CO2-        Gebäudeenergieversorgung integriert zu betrachten
Emissionen bei und hat damit auch eine große Verantwor-          und zu bewerten.
tung für das Erreichen des Klimaneutralitätsziels. Dabei
sind jedoch eine Reihe wichtiger Randbedingungen zu be-       Die beiden Szenarien der Machbarkeitsstudie tragen dieser
achten:                                                       Notwendigkeit der Differenzierung Rechnung. Während
                                                              Zielszenario 2 mit einer Sanierungsrate von 2 % pro Jahr
1. Das Mietniveau in Berlin ist in den letzten Jahren deut-   eine Verdoppelung des Tempos gegenüber heute anstrebt,
   lich angestiegen, wozu auch umlagefähige Sanierungs-       rechnet Zielszenario 1 mit einer nur moderaten Steigerung
   kosten beitragen. Auf der anderen Seite droht insbe-       auf 1,5 %, was dann durch andere Maßnahmen ausgegli-
   sondere den geringer verdienenden Haushalten in            chen werden muss. Die folgenden Maßnahmen und Leitpro-
   schlecht gedämmten Wohnungen Energiearmut dann,            jekte werden zur Erreichung der Ziele unabhängig von der
   wenn die Energiepreise in Zukunft weiter steigen.          konkreten Sanierungsrate vorgeschlagen:
2. Der Berliner Wohnbestand ist in den Jahren nach der
   Wende in großem Umfang auch energetisch moderni-           „„Berlin muss die Strategie der Innenentwicklung und
   siert worden. Dies gilt insbesondere für die Bestände        Nachverdichtung konsequent weiter verfolgen, um den
   der großen Gesellschaften, während der private Streu-        Bevölkerungszuwachs bis 2050 effizient im Stadtgebiet
   besitz vielfach noch Modernisierungsrückstände auf-          aufzufangen. Dazu gehört auch das Schaffen von Ange-
   weist. Bis 2050 gilt es, für ganz Berlin zu einem abge-      boten zur flexiblen, angepassten Wohnflächennutzung,
   stuften Sanierungsfahrplan zu kommen.                        die sich dämpfend auf den Flächenbedarf pro Kopf aus-
3. Gleichzeitig erhöhen sich die Handlungsspielräume,           wirken.
   wenn statt des Einzelgebäudes ganze Quartiere in den       „„Gleichzeitig müssen aber auch Anpassungsmaßnah-
   Blick genommen werden. Dabei sind Sanierung und              men an den Klimawandel berücksichtigt werden, was

13
A. Spezifischer Endenergieverbrauch des                                                            B. Spezifischer Endenergieverbrauch des
Gebäude­bestands (ohne Solarthermie und                               sehr hoch                    Gebäude­bestands (ohne Solarthermie und
Umweltwärme) 2010                                                     hoch                         Umweltwärme) Szenario: 2050 Ziel 1

                                                                      mittel
                                                                      gering
                                                                      kein
                                                                      geringe Bebauung
                                                                      Bezirksgrenzen
                                                                      Gewässer

20
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin

  das Offenhalten und die qualitative Aufwertung strate-        Einwohner werden raum- und energiesparend ins Stadtge-
  gisch wichtiger Grün- und Freiflächen bedeutet (siehe         biet integriert werden können, und Berlins großes Kapital –
  hierzu StEP Klima).                                           seine Grün- und Freiflächen – werden deutlich zu Lebens-
„„Bei der energetischen Sanierung im Berliner Bestand           qualität und Klimaanpassung beitragen. Auch wenn
  müssen Renovierungs- und Modernisierungszyklen be-            diesbezügliche Maßnahmen bilanziell derzeit aufgrund der
  rücksichtigt, Sanierungsrückstände gezielt behoben,           statistischen Erfassungssystematik nicht zu Buche schla-
  und in ausgewählten Quartieren mit überschaubarer             gen, so sind sie doch aus Klimaschutzsicht von hoher Be-
  Eigentümerstrukturen nach besonders effizienten Ge-           deutung. Daher werden in der Studie auch zu diesen Aspek-
  samtlösungen gesucht werden (Leitprojekt „Klimakieze“         ten Maßnahmen vorgeschlagen, etwa dass Berlin seine
  im Bestand). Mit angepassten Sonderlösungen sollte            Wälder weiter klimaresilient umbauen und durch Pflege
  auch der denkmalgeschützte Bereich seinen Beitrag             und Renaturierung seiner Moorstandorte die Senkenkapa-
  leisten.                                                      zität für Treibhausgase in der Stadt erhöhen sollte.
„„Der erhebliche Zubau im Wohn- wie im Gewerbebereich,
  der in Berlin bis 2050 vorgenommen werden wird, muss
  mit vorbildlichen Musterlösungen im Gebäudestandard
  und der Energieversorgung versehen werden (Leitpro-
  jekt „NeutralQuartiere“).
„„Die Bauleitplanung sollte stärker klimaschutzrelevante
  Festsetzungen treffen, und die Immobilien des Landes
  Berlin müssen mit gutem Beispiel bei Wärmebedarf und
  Energieversorgung vorangehen.

Im Ergebnis wird Berlin im Jahr 2050 einen aus energeti-
scher Sicht guten bis sehr guten Gebäudebestand besitzen
(vgl. Abb. 13 A–C). Die Wohnungen für 250.000 zusätzliche

                                                   C. Spezifischer Endenergieverbrauch des
                                                   Gebäude­bestands (ohne Solarthermie
                                                   und Umweltwärme) Szenario: 2050 Ziel 2

                                                                                                                        21
Wirtschaft
In der Berliner Wirtschaft „schlummern“ noch erhebliche       „„Für bestehende Gewerbegebiete ist die Erstellung und
Energieeffizienzpotenziale (20–50 %), speziell bei der Be-      Förderung integrierter Energie- und Klimaschutzkon-
leuchtung und bei den Informations- und Kommunikations-         zepte ratsam. Als Schaufenster für eine klimaneutrale
technologien (IKT) der kleinen und mittleren Unternehmen,       Berliner Wirtschaft bietet sich die Einrichtung eines
aber auch mit Blick auf die Prozessenergie, den Fuhrpark        Null-Emissionen-Gewerbeparks als Leitprojekt an.
oder die Wirtschaftsgebäude. Zusätzlich kann die Berliner     „„Ebenfalls eine größere Signalwirkung haben klimaneut-
Wirtschaft einen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energi-        rale Events und geeignete Wettbewerbe zu diesem The-
en leisten. Insbesondere im Zielszenario 2 wird stark auf       ma, aber auch die Einführung einer regionalen (Eigen-)
nahräumliche Vernetzungen gesetzt, die gleichzeitig auch        Strommarke z.B. durch ein kommunales Stadtwerk
stärker dezentrale Lösungen mit sich bringen.                   oder eine Bürgerenergiegesellschaft.
                                                              „„In technischer Hinsicht sind Projekte zur Steigerung der
Um diese Potenziale zu heben, sollten u.a. die folgenden        gewerblichen Abwärmenutzung, zum Thema erneuer-
Maßnahmen ergriffen werden:                                     bare Prozessenergie sowie grüne IKT-Lösungen zu för-
                                                                dern und zu verbreiten.
„„Aufbauend auf den positiven Erfahrungen des „Ener-          „„Schließlich ist die Vorbild- und Diffusionswirkung des
  gieEffizienz-Tischs Berlin“ können Runde Tische zum           öffentlichen Beschaffungswesens von hoher Relevanz.
  Thema „Klimaneutrales Berlin 2050“ speziell kleinere          Mit derzeit rd. 3 Mrd. € pro Jahr an Ausgaben ist hier
  und mittlere Unternehmen (KMU) unterstützen. Die              eine hohe ökonomische Hebelwirkung gegeben. Daher
  ersten ihrer Art sollten als Leitprojekte hinreichend ge-     sollte die bestehende Verwaltungsvorschrift „Öffentli-
  fördert und sichtbar gemach werden.                           che Beschaffung und Umwelt“ mit Kriterien zur Kli-
„„Bereits bestehende Klimaschutzvereinbarungen für              maneutralität untersetzt und das Berliner Beschaf-
  größere Unternehmen sollen fortgeführt und am Kli-            fungswesen stärker zentralisiert und damit effizienter
  maneutralitätsziel 2050 ausgerichtet werden. Die Ein-         werden.
  führung branchenspezifischer Benchmarks und die
  möglichst flächendeckende Verbreitung betrieblicher
  Energiemanagementsysteme auch für KMU sind wichti-
  ge Maßnahmen.
„„Das Modell der Energiespar-Partnerschaften ist weiter
  auszuweiten und weitere Contracting-Modelle sollen
  systematisch erprobt und gefördert werden.

22
Klimaneutrales Berlin 2050 | 4. Strategien und Maßnahmen für ein klimaneutrales Berlin

Regionalökonomische Effekte
Der Wandel zu einer stärker erneuerbaren und dezentra-          sich ein erhebliches ökonomisches Potenzial, das in Zu-
leren Energieversorgung, eine Erhöhung der Energieeffi-         kunft zu nennenswerten Teilen auf der Basis lokaler Ener-
zienz und viele neue Energiedienstleistungen bringen            gieträger, Energieversorger und -dienstleister in den Ber-
Kosten mit sich. In der öffentlichen Debatte wird dabei         liner Wirtschaftskreislauf umgelenkt werden kann und
aber gerne unterschlagen, dass auch der Weiterbetrieb           dort für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgt. Heute
des jetzigen, noch fossil geprägten Energiesystems mit          fließen auch schätzungsweise 260 Mio. Euro an Gewinnen
Kosten verbunden sein würde. Außerdem kann man nicht            aus der Energiebereitstellung aus der Stadt ab, daneben
einfach heutige Kostenrelationen zwischen dem fossilen          Steuern, die meist außerhalb Berlins anfallen. Auch sie
System und seiner erneuerbaren Alternative in die Zu-           könnten in Zukunft in der Stadt Gutes tun.
kunft fortschreiben. Sinkende Kosten durch Lernkurven-          Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurden exemplarisch
effekte neuer Technologien und die absehbar steigenden          die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte der er-
Kosten fossiler Energieträger sorgen mittel- bis langfris-      neuerbaren Energien in den beiden Zielszenarien unter-
tig für eine Verschiebung der Kostenbilanz zugunsten der        sucht. Dabei wurde angenommen, dass insbesondere im
Erneuerbaren. Werden noch weitere Umweltkosten – etwa           Zielszenario 2 viele Unternehmen und Investoren entlang
die Luftverschmutzung oder die Klimafolgen – berück-            der jeweiligen Wertschöpfungsketten aus Berlin stammen
sichtigt, die heute noch weitgehend ausgeklammert wer-          – ein lokales Stadtwerk, viele Bürgerenergieanlagen, Pla-
den, dann zeigen viele ökonomische Studien, dass recht-         ner, Betreiber, Energiedienstleister etc., so dass sich nicht
zeitiges und ambitioniertes Klimaschutzhandeln sich             nur die Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte, son-
volkswirtschaftlich in jedem Fall auszahlt.                     dern auch die ökonomische Teilhabe an der Energiewen-
Besonders in regionalwirtschaftlicher Hinsicht können           de deutlich erhöhen. Die Abb. 14 zeigt die Ergebnisse für
sich vielfältige Nutzeffekte ergeben – auch für Berlin,         die Wertschöpfungseffekte durch die erneuerbaren Ener-
wenn es seine Zielszenarien realisiert. Im Jahr 2012 ha-        gien in Berlin, aufgeteilt in die drei maßgeblichen Be-
ben öffentliche Hand, Wirtschaft und Haushalte in Berlin        standteile kommunale Steuereinnahmen, Einkommen
schätzungsweise 3,2 Mrd. Euro für den Import fossiler           der Beschäftigten und Gewinne der Unternehmen.
Energieträger in die Stadt ausgegeben. Hier offenbart

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                                                                Die Ergebnisse zeigen, dass parallel zur Vervielfachung
160                                                             der Ausbauzahlen auch die Wertschöpfungseffekte ver-
      Mio. Euro                                                 vielfacht werden können. Berlin kann von seinem Kli-
140                                                             maneutralitätsziel auch wirtschaftlich profitieren. Vor-
                                                                aussetzung ist allerdings, dass die lokale Wirtschaft die
120
                                                                entsprechenden Kompetenzen, Kapazitäten und Qualifi-
100                                                             kationen mitbringt, um Planung, Fertigung und Wartung
                                                                der entsprechenden Anlagen auch in Berlin durchführen
 80
                                                                zu können. Die entsprechenden Rahmenbedingungen da-
 60                                                             für müssen im Verein mit der Berliner Wirtschaft (ein-
                                                                schließlich des Handwerks) geschaffen werden.
 40

 20

  0
                  2012          2050-1        2050-2

       Steuereinnahmen Berlin

       Nettoeinkommen durch Beschäftigung
                                                                Regionalökonomische Effekte der erneuer-
       Gewinne nach Steuern
                                                                baren Energien in Berlin 2012 (links) und
                                                                2050 (beide Zielszenarien, rechts)

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