Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut

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Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
September 2021

                                                                  Nachhaltiges
                                                                  aus dem Öko-Institut

Ökologisch, gemeinsam
und gerecht
Transformation sozial gestalten

Dein BalkonNetz   Ein Gemeinschaftsprojekt

Sozial gerechte Mobilität   Interview mit Dr. Ines Verspohl

Sachgerechtes Batterierecycling      Eine Kolumne von Andreas Manhart
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
2   IM FOKUS I DEIN BALKONNETZ

    Sonnenstrahlen einfangen, in der Ge-          leitet, „uns ist es außerdem wichtig, viele
    meinschaft – das ist das Ziel des Pro-        Frauen zu integrieren, denn sie sind bei
    jektes „Dein BalkonNetz“. Oder etwas          der Energiewende bislang unterreprä-
    weniger poetisch gesagt: Ein Netzwerk         sentiert.“ Auch jene, die nicht für eine
    von unterschiedlichen Menschen schaf-         kostenlose Anlage ausgewählt werden,
    fen, die jeweils kleine Solaranlagen auf      können sich aber an dem Projekt betei-
    ihren Balkonen betreiben und sich da-         ligen. „Gemeinsam mit der Karlsruher
    rüber austauschen. „Am Anfang stand           Energie- und Klimaschutzagentur (KEK)
    die Idee, mit Menschen zu arbeiten, die       helfen wir mit günstigeren Sammelbe-
    Solarenergie im Alltag ausprobieren           stellungen bei der Anschaffung und er-
    wollen – aber es sich zum Beispiel nicht      möglichen natürlich auch ihnen einen
    leisten oder es nicht umsetzen können,        Austausch über das im Projekt initiierte
    weil sie zur Miete wohnen“, sagt Marius       Netzwerk“, so Bögel.
    Albiez, einer der Ko-Projektleiter. Ent-
    standen ist die Idee im Rahmen des Pro-       Dieser Austausch ist ein Herzstück des
    jekts „Energietransformation im Dialog“,      Projektes. Denn die Erfahrungen der
    welches Teil von Reallaboraktivitäten         Teilnehmenden könnten die zukünfti-
    in Karlsruhe ist: Hier arbeiten Wissen-       ge Installation von Mini-Solar-Anlagen
    schaft und Gesellschaft gemeinsam             deutlich vereinfachen. „Etwa mit Blick
    an zukunftsfähigen Lösungen. „Dabei           auf die Frage, wie die Handhabung best-
    hat sich für uns deutlich gezeigt, dass       möglich funktioniert oder wie man den
    Veränderungsprozesse Erfahrung brau-          Vermieter oder die Vermieterin davon
    chen. In manchen Bereichen ist das            überzeugt, das zu genehmigen“, erklärt
    nicht allzu schwer – ich kann auf Fleisch     Bögel. Aber auch dem eigenen Erkennt-
    verzichten, wenn ich mich umweltbe-           nisgewinn dient das Projekt. „Wir haben
    wusster ernähren will. Aber im Bereich        natürlich ebenfalls viele offene Fragen“,
    Energie zum Beispiel ist das komplizier-      sagt Albiez, „so etwa, inwiefern der
    ter, teurer, technischer und formalisier-     Denkmalschutz relevant wird, wie die
    ter“, so Albiez, der am Karlsruher Institut   Zusammenarbeit mit den Stadtwerken
    für Technologie (KIT) tätig ist.              funktioniert, bei denen diese Anlagen
                                                  angemeldet werden müssen, und ob es
    Aus über 100 Bewerbungen sucht das            genug Fachkräfte gibt, um sie zu instal-
    Projektteam 22 Haushalte aus, denen           lieren.“ Doch wenn es gut läuft, wollen
    kostenlos eine Mini-Solar-Anlage für          die Projektverantwortlichen auch ihre
    ein Jahr zur Verfügung gestellt wird.         Erfahrungen teilen – und damit viel-
    Sie deckt etwa zehn Prozent des Strom-        leicht sogar politische Unterstützung
    bedarfs eines Ein- bis Zwei-Personen-         gewinnen. „Indem man solche Anlagen
    Haushaltes. „Wir achten darauf, dass es       fördert, kann man Sozial- und Klimapo-
    eine sehr vielfältige Mischung wird. Äl-      litik perfekt verbinden“, sagt Albiez.
    tere und jüngere Menschen, mit Univer-
    sitätsabschluss oder ohne“, sagt Dr. Pau-                              Christiane Weihe
    la Maria Bögel, die das Projekt ebenfalls
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
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    Sonne
vom Balkon
   Eine Gemeinschaft
  für mehr Solarstrom
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
4   INHALT

                                                                               10
                                                            Zwischen Umlagefähigkeit und Klimabonus
                                                                 Maßnahmen im Bereich Wohnen

                                                          IM FOKUS: SOZIAL GERECHTE ÖKOLOGISCHE
                                                       		 TRANSFORMATION
                                                        2 Sonne vom Balkon
                                                          Eine Gemeinschaft für mehr Solarstrom
                                                        6 Vielfältige soziale Effekte
                                                          Wie wirkt sich Umweltpolitik auf die Menschen aus?
                                                       10 Genug Geld für Strom und Heizung
                                                          Umweltpolitik und bezahlbares Wohnen
                                                       12	„Es genügt nicht, einfach nur den Preis für
                                                           Treibstoffe zu erhöhen“
                                                           Interview mit Dr. Ines Verspohl (Sozialverband VdK)
                                                       13		 Porträts

                              6
                                                            Dr. Katja Schumacher (Öko-Institut)
                                                            Dr. Kerstin Tews (Umweltbundesamt)
                 Den Menschen gerecht werden                Dr. Hans-Jürgen Urban (IG Metall)
             Eine soziale ökologische Transformation
                                                       		 ARBEIT
                                                       14	Von Technologiemetallen bis zu
                       Neue Strukturen                     Ernährungssystemen
                  Batterie-Recycling in Afrika             Aktuelle Projekte, neue Ideen
              Eine Kolumne von Andreas Manhart         16 Von Textilien bis zum Ordnungsrecht

                             18                        		 Kurze Rückblicke, abgeschlossene Studien

                                                       		 PERSPEKTIVE
                                                       18 Neue Strukturen
                                                          Batterie-Recycling in Afrika

                                                       		 EINBLICK
                                                       19 Von der Digitalisierung bis zur
                                                       		 Mitgliederversammlung
                                                          Neuigkeiten aus dem Öko-Institut

                                                       		 VORSCHAU
                                                       20 Bedrohte Vielfalt
                                                          Wie kann Biodiversität geschützt werden?
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
EDITORIAL I IMPRESSUM                      5

                                Eine Transformation mit
                                vielen Dimensionen
                                Die Nachhaltigkeitstransformation ist eine der größten Aufgaben, vor denen die Menschheit
                                je gestanden hat. Und eine Herausforderung, in der es mehr als eine Dimension zu berück-
                                sichtigen gilt. Die ökologische, natürlich, aber eben auch die technische, die wirtschaftliche
                                und nicht zuletzt die soziale. Wer heute Umwelt- und Klimapolitik betreibt, muss die sozialen
                                Folgen immer mit bedenken. Für die Menschen in unserem eigenen Land, aber auch für zu-
                                künftige Generationen und Menschen in anderen Nationen.

                                Klar zeigt sich das etwa am Wasserstoff. Er soll eine tragende Säule der Energiewende werden.
                                Seine Produktion wird zu großen Teilen dort stattfinden müssen, wo für die dafür notwendi-
                                gen erneuerbaren Energien bessere Voraussetzungen vorliegen. Dabei dürfen wir aber nicht
                                übersehen, dass die Wasserstoffherstellung in anderen Ländern zu Landnutzungskonflikten
                                oder Wassermangel führen könnte. Derzeit analysiert das Öko-Institut in einem Spendenpro-
                                jekt, wie importierter Wasserstoff nachhaltig sein kann, das heißt auch nicht zu sozialen Pro-
                                blemen in den produzierenden Ländern führt. Ähnliches gilt für den Ausbau der E-Mobilität.
                                Für sie werden Rohstoffe benötigt, deren Abbau zu ökologischen und sozialen Problemen
Jan Peter Schemmel              führen kann. Auch hier gilt es, bewusst zu handeln. Dabei dürfen wir aber auch nicht ver-
Sprecher der Geschäftsführung   gessen, dass das Unterlassen der Transformation sich ebenso negativ auf die Menschen hier
des Öko-Instituts               und in anderen Ländern auswirken kann. Daher haben wir in einem aktuellen Projekt, das wir
j.schemmel@oeko.de              Ihnen in der Rubrik Arbeit Rückblick vorstellen, den Ressourcenbedarf von Elektroautos und
                                Verbrennern bewertet.

                                In den Diskussionen, ob der ökologische Wandel sozial gerecht ist, wird oftmals nicht das Ge-
                                samtbild betrachtet. Wer beklagt, dass Umweltpolitik vor allem zu Lasten der sozial Schwä-
                                cheren gehe, sollte bedenken, dass wesentliche Stellhebel für soziale Gerechtigkeit in einer
                                Steuer- und Sozialpolitik liegen, die jene in die Verantwortung nimmt, die es sich leisten
                                können, und jene schützt, die besonders belastet sind. Wichtig ist es außerdem, Umwelt und
                                Soziales nicht gegeneinander auszuspielen. Gerade für benachteiligte Menschen kann eine
                                Nachhaltigkeitstransformation viele Vorteile bringen. Wenn wir zum Beispiel den öffentlichen
                                Raum umgestalten und autoarme Quartiere schaffen, schaffen wir damit auch einen Raum für
                                jene Menschen, die in kleinen Wohnungen ohne Balkon oder Garten wohnen. Die hier eine
                                Gelegenheit finden können, sich zu erholen. Und ebenso eine Gelegenheit für mehr Mitein-
                                ander – vielleicht ja auch für Sie und mich?

                                Ihr
                                Jan Peter Schemmel

                                Weitere Informationen zu unseren Themen finden Sie im Internet unter www.oeko.de/epaper

                                eco@work – September 2021 – ISSN 1863-2009 – Herausgeber: Öko-Institut e.V.
                                Redaktion: Mandy Schoßig (mas), Christiane Weihe (cw) – Verantwortlich: Jan Peter Schemmel
                                Weitere Autorinnen und Autoren: Andreas Manhart, Anette Nickels (ani), Jan Peter Schemmel
                                Druckauflage: 2.150; digitale Verbreitung: rund 7.000 Abonnentinnen und Abonnenten – Im Internet verfügbar unter: www.oeko.de/epaper
                                Gestaltung/Layout: Tobias Binnig, www.gestalter.de – Technische Umsetzung: Markus Werz – Gedruckt auf 100-Prozent-Recyclingpapier
                                Redaktionsanschrift: Borkumstraße 2, 13189 Berlin, Tel.: 030/4050 85-0, Fax: 030/4050 85-388, redaktion@oeko.de, www.oeko.de
                                Bankverbindung für Spenden:
                                GLS Bank, BLZ 430 609 67, Konto-Nr. 792 200 990 0, IBAN: DE50 4306 0967 7922 0099 00, BIC: GENODEM1GLS
                                Spenden sind steuerlich abzugsfähig.
                                Bildnachweis: S. 2/3 © PixelboxStockFootage – stock.adobe.com; S. 11 © blende11.photo – stock.adobe.com; S. 13 rechts © IG Metall;
                                S. 14 © Dietmar Schäfer – stock.adobe.com; S. 15 unten © Marina Lohrbach – stock.adobe.com; S. 16 © afxhome – stock.adobe.com;
                                S. 17 © Martin Debus – stock.adobe.com; S. 18 © Oleksandr Delyk – stock.adobe.com; S. 19 unten © phonlamaiphoto – stock.adobe.com;
                                S. 20 © C. Schüßler – stock.adobe.com; andere © Privat oder © Öko-Institut, Ilja C. Hendel
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6   IM FOKUS

    Vielfältige
    soziale Effekte
    Wie wirkt sich Umweltpolitik
    auf die Menschen aus?
    Die Luft wird besser. Das Essen gesünder.     gelöste oder verstärkte Veränderungen be-
    Und der Arbeitsplatz zukunftsfähig. Oft be-   lastet werden und sich benachteiligt fühlen.
    tonen wir die positiven Effekte eines Wan-    Umwelt- und klimapolitische Maßnahmen
    dels in Richtung Nachhaltigkeit. Der Schutz   können viele unterschiedliche soziale Fol-
    von Klima und biologischer Vielfalt sowie     gen haben – für den Konsum und die Be-
    der dafür not­wendige Wandel der Produkti-    schäftigung ebenso wie für die gesellschaft-
    onsweisen und Konsummuster sind wichti-       liche Teilhabe. Wie diese genau aussehen,
    ge Schritte für das künftige Wohlergehen      damit beschäftigt sich auch das Öko-Insti-
    der Menschheit. Gleichzeitig gibt es viele    tut.
    Menschen, die durch umweltpolitisch aus-
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7
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
8   IM FOKUS

    „Es gibt sehr vielfältige und kontrover-     allem auf Strom und Heizungswärme             müssen sich zudem gemeinsam für die
    se Debatten über die sozialen Auswir-        treffen tendenziell einkommensschwa-          nötige Weiterbildung oder Umschu-
    kungen von Umwelt- und Klimapolitik          che Haushalte stärker, die für diese          lung der Beschäftigten engagieren.“
    – etwa mit Blick auf den Verlust von Ar-     Grundbedürfnisse einen höheren An-
    beitsplätzen durch den Kohleausstieg         teil ihres Einkommens ausgeben.“ Wich-
    oder die finanzielle Belastung von Haus-     tig sei aber immer, die Effekte in der           Immaterielle Wirkungen
    halten durch höhere Heizkosten und           Summe zu betrachten. „Dass die Ener-
    Benzinpreise im Zuge des CO2-Preises.        giepreise steigen, muss nicht automa-
    Da ist dann häufig von Ungerechtigkeit       tisch zu höheren Belastungen führen           Neben den sozioökonomischen As-
    die Rede. Die Fridays for Future-Bewe-       – so können hier Energiesparmaßnah-           pekten gibt es vielfältige immaterielle
    gung wiederum fordert unter dem Be-          men oder Entlastungen durch eine be-          Wirkungen, die mit Umweltpolitik ver-
    griff Klimagerechtigkeit deutlich ambi-      stimmte Rückverteilung der staatlichen        bunden sind – etwa mit Blick auf die
    tioniertere Maßnahmen“, sagt Dirk Arne       Einnahmen entgegenwirken.“   Da von           körperliche oder psychische Gesund-
    Heyen vom Öko-Institut. „Bevor eine          vielen umweltschädlichen Subventio-           heit von Menschen, die aber auch finan-
    pauschale Aussage darüber getroffen          nen, zum Beispiel der Dienstwagenbe-          zielle Folgen haben kann. „Hier geht es
    wird, ob Umweltpolitik gerecht oder un-      steuerung, derzeit vorwiegend Besser-         etwa um die Frage, wer von Lärm oder
    gerecht ist, sollten wir verschiedene so-    verdienende profitierten, könne deren         Luftschadstoffen belastet ist und wer
    ziale Aspekte berücksichtigen.“ Betrach-     Reform auch unter sozialen Verteilungs-       Zugang zur Natur oder zu Grünflächen
    tet werden müsse zum Beispiel, wer           gesichtspunkten positiv wirken.               hat“, so der Senior Researcher vom Öko-
    Umweltprobleme verursache und wer                                                          Institut. „Grünflächen sind nicht nur
    unter ihnen leide. „Wohlhabendere Län-       Auch mit Blick auf die Folgen für die         Orte für Erholung und Bewegung, und
    der und Menschen tragen überdurch-           Beschäftigung rät der Experte, stets          damit gesundheitsrelevant, sondern
    schnittlich zu den Umweltproblemen           sehr genau hinzuschauen. „Der Weg zu          auch soziale Begegnungsräume.“ Dies
    bei – etwa, weil sie durch ihren aufwän-     einer klimaneutralen Gesellschaft wirkt       zeigt, dass sich Umweltpolitik auch auf
    digeren Lebensstil mehr Energie und          sich natürlich auch auf die Wirtschaft        die Alltags- und Freizeitgestaltung und
    natürliche Ressourcen verbrauchen.           aus – so etwa die Automobilindustrie.         soziale Beziehungen auswirken kann.
    Und die finanziell schlechter Gestellten     Hier werden mittelfristig weniger Ar-         „Weitere Beispiele dafür sind die Ver-
    wiederum leiden unter den ökologi-           beitskräfte in der Fahrzeugherstellung        fügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel
    schen Folgen tendenziell mehr, weil sie      von Elektroautos benötigt. Doch gleich-       und die Aufteilung des Straßenraums
    zum Beispiel auf günstigen Wohnraum          zeitig entstehen in anderen Bereichen         zwischen Auto- und Fahrradverkehr.“
    angewiesen sind, der auch mal an einer       – etwa in der Energiewirtschaft und
    dreispurigen Straße liegen kann, oder in     bei Mobilitätsdienstleistungen – neue         Relativ wenig Forschung gibt es bislang
    Ländern wohnen, die vom Klimawan-            Jobs. Die können natürlich aber auch in       zu psychosozialen Effekten von umwelt-
    del stärker betroffen sind. Das ist unter    anderen Regionen liegen oder andere           politischen Maßnahmen und Diskur-
    Gerechtigkeitsgesichtspunkten natür-         Qualifikationen erfordern.“                   sen, obwohl die nach Ansicht von Dirk
    lich sehr problematisch.“ Ein wichtiger                                                    Arne Heyen sehr relevant sein können,
    Punkt sei aber auch die Frage, wer von       In einem weiteren Projekt für das Um-         insbesondere um Widerstände gegen
    umweltpolitischen Maßnahmen beson-           weltbundesamt haben die Wissen-               Umweltpolitik zu verstehen. „So können
    ders profitiere – etwa von Jobs in neuen     schaftlerinnen und Wissenschaftler            Menschen, die im Kohlebergbau oder
    Branchen, energieeffizienten Wohnhäu-        des Öko-Instituts unter der Überschrift       der industriellen Landwirtschaft arbei-
    sern oder finanziellen Förderungen –         „Strategien für den ökologischen Struk-       ten, den Eindruck mangelnder Wert-
    und wer nicht, beziehungsweise wem           turwandel in Richtung einer Green Eco-        schätzung ihrer Tätigkeit erfahren. Auch
    womöglich Nachteile drohen.                  nomy“ analysiert, welche Branchen vor         ob Leute bei nachhaltigem oder eher
                                                 einem Wandel stehen, sowie die Auto-          umweltschädlichem Ernährungs- oder
                                                 mobil- und Chemieindustrie vertieft           Reiseverhalten Spaß und Genuss emp-
       Systematische Analysen                    betrachtet. Sie analysierten Treiber und      finden, scheint mir relevant. Dies kann
                                                 Herausforderungen und entwickelten            sich natürlich zwischen verschiedenen
                                                 Handlungsempfehlungen für die Ge-             Bevölkerungsgruppen unterscheiden.“
    Im Rahmen des Projekts „Soziale Aspek-       staltung des Strukturwandels. „Will man
    te von Umweltpolitik“ für das Umwelt-        diesen Wandel erfolgreich gestalten,          Soziale Effekte zu betrachten, erforde-
    bundesamt hat das Öko-Institut in ei-        muss man ihn frühzeitig angehen, statt        re generell, die Wirkungen auf unter-
    nem ersten Schritt einen ausführlichen       den Kopf in den Sand zu stecken und zu        schiedliche gesellschaftliche Gruppen
    Überblick zum aktuellen Forschungs-          hoffen, dass alles bloß so bleibt, wie es     zu analysieren – nicht nur mit Blick auf
    stand über die sozialen Wirkungen um-        ist“, sagt Dirk Arne Heyen, der das Pro-      das Einkommen. „So können zum Bei-
    weltpolitischer Maßnahmen hierzulan-         jekt geleitet hat. Die Politik müsse klare,   spiel Frauen anders betroffen sein als
    de erstellt. „Besonders viele Studien gibt   mittel- und langfristige Ziele formulie-      Männer, die Landbevölkerung anders
    es zu den Auswirkungen auf die Aus-          ren und verlässliche Rahmenbedingun-          als jene aus der Stadt, Personen mit Mig-
    gaben privater Haushalte für Energie         gen, zum Beispiel für die Automobil-          rationsgeschichte anders als jene ohne.
    und Mobilität“, sagt Dirk Arne Heyen.        wirtschaft, schaffen. „Politik, Unterneh-     Von den schon genannten Grünflächen
    „Steigende Steuern und Abgaben vor           men, Gewerkschaften und Betriebsräte          können wiederum insbesondere Ältere
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
9

und junge Menschen profitieren, die        men, vom Lärmschutz über den Gewäs-          nerable Haushalte mit Blick auf ihre
stärker nahräumlich unterwegs sind.        ser- bis hin zum Klimaschutz, positiv auf    Bedürfnisse nicht überproportional be-
Auch zwischen Wirkungen im In- und         soziale Fragen und vulnerable Gruppen        lastet werden, sondern vielmehr auch
Ausland sowie heutigen und künftigen       auswirken. Ein weiterer Schritt im Pro-      von finanziellen Vorteilen und sozialen
Generationen sollte unterschieden wer-     jekt ist es, gesellschaftliche Trends wie    Teilhabechancen durch Umweltpoli-
den.“                                      den demografischen Wandel, die Digi-         tik profitieren können“. Und drittens:
                                           talisierung oder auch die Urbanisierung      Menschen, die vom Strukturwandel
                                           zu sichten und zu bewerten. „Wir wollen      betroffen sind – etwa im Kohlebergbau
        EINE DISKURS- UND                  herausfinden, wie sich solche Trends auf     –, sollten mit Blick auf neue Beschäfti-
         MEDIENANALySE                     den Zusammenhang von Umwelt und              gungsmöglichkeiten besonders unter-
                                           Sozialem auswirken – und damit auch          stützt werden. Wichtige Schritte, damit
                                           bewerten, wie eine soziale Umweltpo-         von besserer Luft, gesunden Nahrungs-
Weitere Aspekte beleuchtet das Öko-        litik auf sie reagieren muss“, sagt Wolff.   mitteln und zukunftsfähigen Arbeits-
Institut im Zuge der Fortsetzung des                                                    plätzen so viele Menschen wie möglich
Projektes „Soziale Aspekte von Um-         „Abschließend und allgemeingültig zu         profitieren können.
weltpolitik“ für das Umweltbundesamt.      definieren, wann Umweltpolitik sozial
So hat Franziska Wolff, Leiterin des Be-   gerecht ist, ist angesichts der Vielfäl-                                Christiane Weihe
reichs Umweltrecht & Governance, da-       tigkeit der Aspekte und der in Frage
rin eine Diskurs- und Medienanalyse        kommenden Gerechtigkeitsprinzipien
durchgeführt. „Wir haben untersucht,       kaum möglich“, so Senior Researcher
wie soziale Aspekte, die sich aus dem      Dirk Arne Heyen. „Es spricht jedoch viel
Umweltschutz ergeben, in den deut-         dafür, in jedem Fall vulnerable Bevöl-
schen Medien aufbereitet werden und        kerungsgruppen in den Blick zu neh-
wie sich die unterschiedlichen Akteu-      men und zu versuchen, bestehende
rinnen und Akteure dazu positionieren“,    Ungleichheiten abzubauen, statt sie zu
sagt sie. „So sollten zentrale Themen,     vergrößern.“ In einem Projekt für die
aber auch mögliche Konflikte und blin-     EU Kommission zu sozial-ökologischen
de Flecken der öffentlichen Diskussion     Indikatoren hat das Öko-Institut drei
identifiziert werden.“ Eine ernüchternde   übergeordnete Ziele für eine sozial ge-       Der Senior Researcher Dirk Arne Heyen befasst
Erkenntnis: Allenfalls am Rande haben      rechte Umweltpolitik definiert. So sollte         sich am Öko-Institut mit nachhaltigem
                                                                                         gesellschaftlichem Wandel, dessen politischer
die untersuchten Printmedien im Un-        diese erstens die Umwelt zum Wohle
                                                                                         Gestaltung sowie Akzeptanzfragen. Franziska
tersuchungszeitraum 2018 bis 2020 so-      aller Menschen schützen, dabei aber           Wolff leitet seit 2014 den Bereich Umweltrecht
ziale Wirkungen von Umweltpolitik auf-     auch die bestehende ungleiche Vertei-           & Governance, ihr Forschungsschwerpunkt
gegriffen. Nur selten wird erwähnt, wie    lung von umweltbezogenen Risiken,             liegt auf Grundsatzfragen von Umweltpolitik,
                                                                                        unter anderem auf deren Kohärenz mit anderen
sich Kosten und Nutzen von Umwelt-         Belastungen und Vorteilen reduzieren.
                                                                                                            Politikzielen.
politik gesellschaftlich verteilen – und   „Zweitens ist es wichtig, dass einkom-                        d.heyen@oeko.de
dass sich viele Umweltpolitikmaßnah-       mensschwache oder anderweitig vul-                             f.wolff@oeko.de
Ökologisch, gemeinsam und gerecht - Transformation sozial gestalten - Öko-Institut
10 IM FOKUS

   Genug Geld
   für Strom und Heizung
   Umweltpolitik und bezahlbares Wohnen
   Das Licht im Wohnzimmer brennt. Die Wohnräume sind              hen, weil sie sich ihre Wohnung nach einer Modernisierung
   gut geheizt. Die Badewanne füllt sich mit warmem Wasser.        nicht mehr leisten können. Gerade im Gebäudebereich ist
   Hierzulande eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch        ein deutliches Umsteuern unverzichtbar, um die Klimaziele
   immer mehr Menschen machen sich Sorgen, ob sie sich             zu erreichen. Wie auf diesem Weg auch soziale Wirkungen
   auch morgen noch die Kosten für Strom und Wärme leisten         berücksichtigt und besonders vulnerable Haushalte entlas-
   können. Schon heute geben einkommensschwache Haus-              tet werden können, damit beschäftigt sich das Öko-Institut
   halte etwa zehn Prozent ihres Einkommens für Strom und          seit vielen Jahren.
   Heizung aus. Schon heute müssen viele Menschen umzie-

   „Gerade Menschen, die zur Miete woh-       Aus Sicht von Dr. Sibylle Braungardt,     und Umlagen auf Strom: Die Umfinan-
   nen, haben oft wenig Spielraum, um die     Expertin im Themenfeld Wärmewende         zierung der Umlage des Erneuerbare-
   Energieeffizienz zu steigern und so Kos-   am Öko-Institut müssen unter anderem      Energien-Gesetzes“ haben die Wissen-
   ten zu senken. Sie sind darauf angewie-    Instrumente im Mittelpunkt stehen,        schaftlerinnen und Wissenschaftler des
   sen, dass die Vermieterinnen und Ver-      die Modernisierungen einfordern, aber     Öko-Instituts untersucht, wie es mög-
   mieter die Wohnungen sanieren“, sagt       auch fördern – „also Mindesteffizienz­    lich ist, die Einnahmen aus dem CO2-
   Dr. Katja Schumacher vom Öko-Institut,     anforderungen für Bestandsbauten,         Preis sozial ausgewogen an die Bürge-
   „gleichzeitig werden sie etwa durch        aber auch gute Förderbedingungen,         rinnen und Bürger zurück zu geben. „Ein
   den CO2-Preis auf Heiz- und Kraftstoffe    um diese zu erreichen.“ Denn die aktu-    CO2-Preis, der sogar deutlich höher ist
   besonders belastet.“ Im Projekt „Vertei-   ellen Sanierungsraten müssten mindes-     als heute, muss ein zentraler Bestandteil
   lungswirkungen und soziale Folgewir-       tens verdoppelt werden. „In Frankreich    der deutschen Klimapolitik sein, da er
   kungen klimapolitischer Maßnahmen          dürfen beispielsweise bei Gebäuden        fossile Energien unwirtschaftlich macht
   in den Bereichen Wohnen und Mobili-        in den schlechtesten Effizienzklassen     und dadurch klimaschonende Tech-
   tät“ hat sich das Öko-Institut gefördert   keine Mieterhöhungen erfolgen und         nologien und klimaschonendes Ver-
   vom Bundesministerium für Arbeit           ab 2023 soll ein Vermietungsverbot        halten fördert“, sagt die Expertin, „auf
   und Soziales ausführlich mit der Frage     für diese Gebäude gelten. Für das Jahr    der Seite der Einnahmenverwendung
   beschäftigt, welche Möglichkeiten es       2028 ist dort zudem geplant, dass alle    fehlt jedoch bisher noch die konkrete,
   gibt, klimapolitische Maßnahmen so-        Gebäude mindestens der Effizienzklas-     schnell umsetzbare und sozial gerech-
   zial verträglich zu gestalten. „Hierfür    se E entsprechen müssen.“                 te Ausgestaltung.“ Die Analyse für die
   haben wir nicht nur Vorschläge für Kli-                                              Stiftung Klimaneutralität schlägt unter
   maschutzmaßnahmen entwickelt, son-                                                   anderem vor, den CO2-Preis bis 2023 auf
   dern auch Verteilungseffekte betrach-        Konkrete Unterstützung                  60 Euro und bis 2025 auf mindestens 80
   tet sowie Zielkonflikte und Hemmnisse                                                zu erhöhen. „Gleichzeitig sollten Bür-
   analysiert.“ Die Wissenschaftlerinnen                                                gerinnen und Bürger entlastet werden,
   und Wissenschaftler haben zahlrei-         Unterstützt werden müssen auch die        indem die Erneuerbare-Energien-Um-
   che Instrumente betrachtet, von der        Mietenden, die von steigenden Ener-       lage bis 2025 abgeschafft und vorher
   Begrenzung der Umlagefähigkeit der         giepreisen besonders belastet sind.       schrittweise gesenkt wird. Mit steigen-
   CO2-Bepreisung und einem stärkeren         „Bislang kann zum Beispiel die CO2-       den Einnahmen sind weitere Entlas-
   Fokus auf benachteiligte Gebiete bei       Bepreisung von Heizstoffen vollstän-      tungen, etwa durch eine Reduzierung
   der energetischen Stadtsanierung über      dig auf sie umgelegt werden, das muss     der Stromsteuer oder auch durch ein
   die flächendeckende Einführung eines       begrenzt werden. Nicht zuletzt, weil      Klimabürgergeld, möglich.“ Die Unter-
   Klimabonus in den Transferleistungen       so auch keine Sanierungen angereizt       suchung zeigt, dass diese Umfinanzie-
   für Haushalte mit geringem Einkom-         werden, die schließlich von den Vermie-   rung möglich ist. „Zudem entstehen so
   men bis hin zu Energieberatungen           tenden initiiert werden müssen“, sagt     Anreize, Gebäude und Verkehr zu elek-
   vor Ort durch so genannte Stromspar-       Dr. Katja Schumacher. Im Projekt „CO2-    trifizieren, und Schlüsseltechnologien
   checks.                                    Bepreisung und die Reform der Steuern     wie Wärmepumpen und Elektroautos
11

werden unterstützt“, sagt Schumacher.      reduziert werden. „Sinnvoll könnte es       ten.“ Denn Ziel sollte es sein, dass
Auch mit Blick auf die Verteilungseffek-   außerdem sein, einen Klimabonus für         Haushalte am Klimaschutz teilhaben
te einer solchen Reform überzeugt das      Transferleistungsempfangende, wie es        können, sich aber in Zukunft so wenig
Konzept: Die einkommensschwächeren         derzeit in Berlin und einigen anderen       wie möglich Sorgen darüber machen
Haushalte werden relativ am stärksten      Städten schon etabliert ist, flächen-       müssen, dass sie genug Geld für das
entlastet. „Das ist wichtig, denn schon    deckend einzuführen, um Mietsteige-         Licht im Wohnzimmer und die Heizung
heute sind die Kosten für umweltpoli-      rungen durch energetische Sanierung         in der Küche, aber eben auch für das
tische Maßnahmen ungerecht verteilt        abzufangen.“ Besonders wichtig seien        U-Bahn-Ticket und eine gesunde Mahl-
und finanziell stark belastete Haushalte   auch umfangreichere Informations- und       zeit haben.
haben sicher nicht den größten Anteil      Beratungsprogramme – für Mietende
an den Treibhausgasemissionen.“            und Vermietende gleichermaßen. „Und                                      Christiane Weihe
                                           natürlich muss die Wirksamkeit der In-
Die vom Bundesministerium für Arbeit       strumente nach einer gewissen Zeit de-
und Soziales geförderte Analyse iden-      tailliert überprüft werden.“
tifiziert zudem weitere Instrumente,
um Umweltpolitik sozial zu gestalten.      Soziale Maßnahmen zum bezahlba-
„Wichtig ist auch eine Klimakompo-         ren Wohnen müssen immer auch mit
nente im Wohngeld, die mögliche hö-        Anreizen für ambitionierte Energieef-
here Mietkosten nach einer Sanierung       fizienzsanierung verbunden sein, so
abdeckt. Und die Inanspruchnahme           Schumacher. „Das Wohnen hat an den
von Wohngeld muss attraktiver gestal-      Konsumausgaben privater Haushal-            Dr. Katja Schumacher ist stellvertretende Leiterin
tet werden, denn derzeit beantragt         te den höchsten Anteil und die damit         des Bereichs Energie & Klimaschutz (Berlin). Die
                                                                                       Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen unter anderem
es nur etwa die Hälfte jener, die da-      verbundenen Kosten sind ein wesent-
                                                                                       auf den Verteilungseffekten von sowie Strategien
rauf Anspruch hätten“, sagt Schuma-        licher Hebel zur Entlastung von Men-        und Instrumenten der Energie- und Klimapolitik.
cher, „Regelungen für Härtefälle sind      schen mit geringem Einkommen“, sagt           Dr. Sibylle Braungardt widmet sich im Bereich
zudem ebenfalls wichtig.“ Auch die         sie, „gleichzeitig sollte man soziale As-    Energie & Klimaschutz unter anderem Politikin-
                                                                                        strumenten zu erneuerbaren Energien und der
Möglichkeit, Modernisierungskosten         pekte nie isoliert betrachten, sondern
                                                                                               Energieeffizienz im Wärmebereich.
auf die Mietenden umzulegen – der-         weitere Bereiche wie etwa Mobilität,                      k.schumacher@oeko.de
zeit liegt sie bei acht Prozent – könnte   Kleidung und Ernährung mit betrach-                        s.braungardt@oeko.de
12 IM FOKUS I INTERVIEW

     “Es genügt nicht, einfach nur den
         Preis für Treibstoffe zu erhöhen“
                      Der Verkehrssektor        betrifft keine kleine Gruppe, sondern       neu. Und leider wird Umweltpolitik oft
                       ist eines der Sor-       Millionen von Menschen! Zur Barriere-       von Menschen gemacht, die sich dieser
                       genkinder der Ener-      freiheit gehören im Übrigen nicht nur       Probleme nicht bewusst sind.
                       giewende: Bislang        Aufzüge und Rampen, sondern auch
                       leistet er keinen sig-   verständliche Sprachansagen für blin-       Was bräuchten Sie, um sich hier besser
                      nifikanten Beitrag zu     de Menschen, klare Leitsysteme für          einzubringen?
                     den Klimazielen. Ein       kognitiv eingeschränkte Menschen            Vor allem mehr Zeit. Wir sind ja mit
                   tiefgreifender Wandel        oder auch die Möglichkeit, ein Ticket       vielen unterschiedlichen Themen kon-
                 mit vielfältigen Maßnah-       zu kaufen, wenn man kein Smartphone         frontiert – wir beschäftigen uns mit
              men ist also dringend not-        besitzt. Gleichzeitig muss der ÖPNV na-     dem Gemeindefinanzierungs- und dem
          wendig. Instrumente für die           türlich auch für alle anderen attraktiver   Personenbeförderungsgesetz ebenso
   Verkehrswende wie ein CO2-Preis auf          werden.                                     wie mit dem CO2-Preis und der EEG-
   Kraftstoffe haben aber nicht nur einen                                                   Umlage. Wenn neue Gesetzesvorlagen
   Einfluss auf die Umwelt, sondern auch        Und was braucht es auf dem Land?            anstehen, bekommen wir aber meist
   auf viele Menschen. Etwa, weil sie kei-      Man wird in ländlichen Gebieten mit         nur zehn Tage, um eine Stellungnahme
   nen Zugang zu öffentlichen Verkehrs-         einem regulären ÖPNV nie eine passen-       zu verfassen und damit vielleicht auch
   mitteln haben oder sich eine teurere         de und ausreichende Taktung schaffen        Gehör zu finden. Beim Personenbeför-
   Mobilität schlicht nicht leisten kön-        können, daher braucht es dort On-De-        derungsgesetz ist uns das gelungen,
   nen. Im Interview mit eco@work er-           mand-Lösungen, also Beförderungs-           hier haben wir auf Regelungslücken in
   klärt Dr. Ines Verspohl, Abteilungslei-      möglichkeiten, die man aktiv anfragt.       punkto Barrierefreiheit hingewiesen.
   terin Sozialpolitik beim Sozialverband       Diese sollten nicht mehr so stark an
   VdK, wie eine nachhaltige Mobilität          feste Haltestellen gebunden sein, denn      Was ist für Sie der größte Mythos,
   auch sozial gerecht gestaltet werden         auch diese sind für ältere oder einge-      wenn es um eine sozial gerechte Mo-
   kann.                                        schränkte Menschen oft nicht erreich-       bilität geht?
                                                bar. Gleichzeitig braucht es hier auch      Dass arme Menschen die Verursacher
   Frau Dr. Verspohl, wo stehen wir mit         Lösungen, damit die Menschen gar            von Schadstoffen sind, weil sie mit al-
   Blick auf eine nachhaltige und gleich-       nicht mehr so weit fahren müssen – so       ten Autos durch die Gegend fahren.
   zeitig sozial gerechte Mobilität?            etwa eine mobile medizinische Versor-       Arme Menschen haben aber meist gar
   Leider ganz am Anfang. Aber es hat           gung.                                       kein Auto und wenn doch, fahren sie
   eine spannende Debatte begonnen,                                                         weniger und kürzere Strecken – und
   weil klar geworden ist, dass hier etwas      Wie kann hier ein Wandel erreicht wer-      sie machen übrigens auch keine Fern-
   geschehen muss. Wir sehen, dass viele        den?                                        reisen, was deutlich mehr Schadstoffe
   Menschen Angst haben – etwa davor,           Wir brauchen ein breiteres gesellschaft-    verursacht.
   dass das Fahren mit ihrem alten Die-         liches Bewusstsein für dieses Thema,
   sel so teuer wird, dass sie zum Beispiel     aber natürlich auch gesetzliche Grund-      Vielen Dank für das Gespräch.
   nicht mehr zum Arzt kommen. Diese            lagen. Ziel unserer Mobilität sollte        Das Interview führte Christiane Weihe.
   Menschen haben aber eben oft auch            nicht mehr der fließende Verkehr sein,
   nicht das Geld, sich ein neues Auto zu       sondern der bestmögliche Schutz der
   kaufen. Es genügt daher nicht, einfach       Schwächsten, also der Fußgänger. Auch
   nur den Preis für Treibstoffe zu erhöhen.    die Mobilitätswirtschaft muss umden-
   Wir brauchen echte Alternativen, damit       ken – etwa mit Blick auf Fahrzeuge, in
   die Menschen auf umweltfreundliche           denen auch E-Scooter mitgenommen
   Fortbewegungsmittel umsteigen.               werden können, verständliche Ticket-
                                                systeme und bezahlbare Preise. Gerade
   Wie müssen diese Alternativen ausse-         auf dem Land ist das Busfahren leider
   hen?                                         oft teurer als die Fahrt mit dem Auto
   Da muss man zwischen Stadt und Land          oder sogar dem Taxi.
   unterscheiden. In der Stadt ist der öf-
   fentliche Verkehr, der ÖPNV, zum Teil        Warum wird die soziale Seite einer
   ja schon sehr gut ausgebaut. Leider ist      nachhaltigen Mobilität bislang oft
                                                                                                       Im Interview mit eco@work:
   er aber häufig nicht barrierefrei, so dass   vernachlässigt?                             Dr. Ines Verspohl, Abteilungsleiterin Sozialpolitik
   Menschen im Rollstuhl oder mit einem         Der Gedanke, Sozial- und Klimapolitik           beim Sozialverband VdK Deutschland e.V.
   Rollator ihn nicht nutzen können. Das        zu vernetzen, ist einfach noch relativ                      verspohl@vdk.de
IM FOKUS I PORTRÄTS 13

                                                     Dr. Kerstin Tews
         Dr. Katja Schumacher               Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim
   Stellvertretender Bereichsleiterin               Umweltbundesamt                            Dr. Hans-Jürgen Urban
             am Öko-Institut                                                             Geschäftsführendes Vorstandsmitglied
                                           Höhere Ambitionen beim Klimaschutz                          IG Metall
Dass sich viele Menschen Sorgen über       – sie stehen für Dr. Kerstin Tews außer
steigende Energiekosten machen, weiß       Frage. Aber auch, dass hiermit sozia-         Sozial und ökologisch. Diese Worte fal-
sie nicht nur aus ihrer Forschung, son-    le Folgen einhergehen, die deutlich           len öfter im Gespräch mit Hans-Jürgen
dern auch aus dem direkten Kontakt mit     stärker berücksichtigt werden müssen          Urban. Einerseits sieht er sich und die IG
diesen. „Ich erhalte immer wieder Mails    als bislang. „Hier entstehen zahlreiche       Metall als Treiber für eine nachhaltige
von Menschen, die nicht verstehen, wa-     Verteilungseffekte, etwa durch höhere         Produktions- und Lebensweise, die den
rum ihr Stromanbieter die Preise erhöht,   Kosten fürs Heizen oder Autofahren, die       Planeten nicht überfordert. Anderer-
obwohl doch schon heute Einnahmen          genau analysiert werden müssen. Mit           seits ist seine Gewerkschaft, für die er
aus dem CO2-Preis für die Senkung der      Blick auf das Einkommen der Menschen          schon seit 30 Jahren tätig ist, tief in der
Erneuerbare-Energien-Umlage genutzt        ebenso wie in Hinsicht auf ihre Wohn-         ressourcenintensiven Automobilindus-
werden“, so Dr. Katja Schumacher. „Dass    und Lebenssituation oder die Distanz,         trie verankert. Vor allem will der 60-jäh-
die Strompreise durch andere Faktoren,     die sie zur Arbeit zurücklegen.“              rige Urban – heute ist er geschäftsfüh-
wie etwa Netzentgelte gleichzeitig stei-                                                 rendes Vorstandsmitglied der IG Metall
gen können, wird nicht transparent er-                                                   – aus der ökologischen eine sozial-öko-
                                           „Im ersten Schritt müssen besonders
klärt. Die Wahrnehmung ist dann, dass                                                    logische Wende machen: „Dabei müs-
durch Klimaschutz alles teurer wird.         vulnerable Gruppen identifiziert            sen wir über das kapitalistische Modell
Aber das stimmt nicht.“                          und unterstützt werden.“                hinausdenken. Der Markt regelt eben
                                                                                         nicht alles und die sozial-ökologische
 „Schon seit 2013 untersuchen wir          Wege, um soziale Härten zu vermeiden,         Transformation schon gar nicht.“
                                           können laut Tews die Abschaffung der
    die sozialen Wirkungen von
                                           EEG-Umlage oder eine Pro-Kopf-Kli-                 „Wenn es nicht gelingt, die
     Umwelt- und Klimapolitik.“            maprämie sowie eine Begrenzung der               ökologische Transformation zu
                                           Umlage des CO2-Preises auf Mieterin-
Die stellvertretende Leiterin des Be-      nen und Mieter sein. Aber auch Härte-             einer sozial-ökologischen zu
reichs Energie & Klimaschutz (Berlin)      fallmaßnahmen sind möglich. „Hierfür            machen, wird sie scheitern. Das
sieht eine hohe Notwendigkeit, Um-         müssen wir uns genau anschauen,                             wäre fatal.“
weltpolitik auch aus sozialer Perspekti-   inwiefern die Betroffenen ihr eigenes
ve zu gestalten – auch, wenn nicht jeder   Verhalten anpassen können, um ihre            Diese Transformation sei unverzichtbar,
Haushalt von steigenden Kosten entlas-     Energiekosten zu senken.“ Gleichzeitig        aber auch riskant. Sie gefährde Arbeit,
tet werden kann. „Es ist aber wichtig,     sollten Klimagesetze aus sozialer Per-        Einkommen und Lebenschancen von
dass alle Menschen mitgenommen und         spektive kontinuierlich evaluiert wer-        vielen Menschen. „Wer die Menschen
jene mit wenig Geld nicht abgehängt        den. „Es braucht einen regelmäßigen           dafür gewinnen will, muss ihnen eine
werden. Gerade auch, weil Haushalte        Prozess, der Wirkungen analysiert und         soziale Perspektive im Umbruch er-
mit geringem Einkommen natürlich           darauf reagiert.“ Priorität hat für die Ex-   öffnen“, so Urban. Dabei versucht die
vergleichsweise wenig zu den Treib-        pertin vom Umweltbundesamt, die sich          IG Metall in den neuen Branchen, die
hausgasemissionen beitragen.“ Hierfür      schon seit vielen Jahren mit den sozi-        durch die Dekarbonisierung der Wirt-
braucht es neben mehr Information          alen Aspekten von Umweltpolitik be-           schaft entstehen, gewerkschaftsfreie
und Beratung auch eine gezielte Un-        schäftigt, derzeit der Gebäudebereich.        Zonen zu verhindern: beispielsweise in
terstützung: „Wichtige Ansätze sind hier   „Hier wird es besonders hohe Ambitio-         Betrieben der Windkraft, Solarenergie
zum Beispiel zielgruppenspezifische        nen brauchen und damit auch eine be-          oder Batterieproduktion „Nur gut orga-
Gestaltungen von Förderprogrammen          sondere Berücksichtigung, was diese im        nisierte Belegschaften können erfolg-
oder auch die besondere Berücksichti-      Einzelnen für die Menschen bedeuten.“         reich für eine sozial-ökologische Wende
gung von finanziellen Härtefällen.“ cw                                             cw    streiten.“                          ani

k.schumacher@oeko.de                       Kerstin.Tews@uba.de                           hans-juergen.urban@igmetall.de
14 ARBEIT I AKTUELL

   Neue Wege für
   Technologiemetalle
   Eine effizientere und vor allem ökologische Versorgung mit
   metallischen Rohstoffen muss weltweit vorangetrieben wer-
   den. „Wir gehen davon aus, dass in Kernkraftwerken – von de-
   nen sich bereits viele im atomrechtlichen Abbau befinden –
   wertvolle Technologiemetalle verarbeitet wurden, ohne dass
   deren genauen Gehalte und Einsatzgebiete heute noch be-
   kannt sind“, sagt Senior Researcher Manuel Claus aus dem
   Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit. Welche Recyc-
   lingpotenziale es hier gibt und wie sich die Recyclingpraxis
   unter Berücksichtigung der strahlenschutzrechtlichen Freiga-
   be verbessern lässt, das untersucht das Öko-Institut mit sei-
   nen Partnern in einem angewandten Forschungsprojekt am
   Kernkraftwerk Philippsburg. „Erster Schritt ist dabei, beson-
   ders interessante Anlagenteile und Komponenten zu identifi-
   zieren, die näher analysiert werden sollen“, so Claus. Darüber
   hinaus erhebt das Projektteam unter anderem ein Inventar
   der wertvollen Technologiemetalle und führt umfassende De-
   montagestudien durch. „Wir analysieren zudem die mechani-
   sche Aufbereitung von strahlenschutzrechtlich freigegebe-
   nen Komponenten – übrigens eine technologische Weiter-
   entwicklung der heutigen Recyclingpraxis“, ergänzt Dr.              Freigabe auch radiologische Betrachtungen sowie eine voll-
   Matthias Buchert aus dem Bereich Ressourcen & Mobilität.            ständige Ökobilanzierung der möglichen Recyclingpraxis“,
   „Ziel des Projektes ist es auch, die Technologiemetalle in ver-     erklärt Manuel Claus, „so lassen sich die ökologischen und
   wertbare Materialgruppen einzuteilen und realistische End-          ökonomischen Potenziale abschätzen, die beim Rückbau von
   of-Life-Recyclingpotenziale zu bestimmen. Dies ist ein neuer        deutschen Kernkraftwerken durch die Verwertung von Tech-
   Schritt in der Forschung.“                                          nologiemetallen entstehen.“

   In einem weiteren Schritt des Projektes „Recycling von Tech-        Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung so-
   nologiemetallen aus dem Rückbau kerntechnischer Anlagen             wie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst
   unter Berücksichtigung strahlenschutzrechtlicher Vorgaben“          Baden-Württemberg geförderte Vorhaben wird gemeinsam
   wird zudem die Wirtschaftlichkeit der Verfahren betrachtet,         mit dem Institut für Aufbereitung, Deponietechnik und Geo-
   wobei auch Kosten berücksichtigt werden, die etwa für die           mechanik der TU Clausthal, der Electrocycling GmbH sowie
   Optimierung von Freigabeprozessen anfallen können. „Zu-             der EnBW Kernkraft GmbH durchgeführt und läuft bis Früh-
   sätzlich erstellen wir mit Blick auf die strahlenschutzrechtliche   jahr 2024.                                             cw

   Wege zur Urteilserfüllung
   Der Klimaschutz in Deutschland ist un-        mit denen die Treibhausgasneutralität      che Maßnahmen in den Mittelpunkt“,
   genügend und nicht mit den Grund-             bis 2045 möglich ist“, erklärt Julia Re-   erklärt Senior Researcher Dr. Ralph O.
   rechten vereinbar – dies hat das Bun-         penning, stellvertretende Leiterin des     Harthan. Ein wichtiges Element des Pro-
   desverfassungsgericht im April 2021           Bereichs Energie & Klimaschutz (Berlin)    jektes im Auftrag des Bundesministeri-
   entschieden. Nun muss der Gesetzge-           am Öko-Institut, „so widmet sich ein       ums für Umwelt, Naturschutz und nuk-
   ber die Ziele zur Minderung der Treib-        Szenario dem derzeitigen Mix an Klima-     leare Sicherheit ist auch, dass die ent-
   hausgasemissionen ab 2031 verbes-             schutzinstrumenten, verschärft und er-     worfenen politischen Instrumente nicht
   sern. Wie ein ausreichender Klimaschutz       gänzt sie.“ Zwei weitere Szenarien be-     nur ökologisch nachhaltig sein sollen,
   umgesetzt werden kann, zeigt das Öko-         fassen sich mit CO2-Preisen, die etwa      sondern auch sozial gerecht und wirt-
   Institut bis Mitte 2022 im Projekt „Klima-    über den europäischen Emissionshan-        schaftlich sind und gesellschaftlich ak-
   schutzszenarien 2050: Modellierung,           del oder den nationalen Handel mit         zeptiert werden – daher werden die
   Analyse und Vergleich von Zielszenari-        Brennstoffemissionen zur Erreichung        wirtschaftlichen, sozialen und fiskali-
   en“. „Wir entwickeln gemeinsam mit            der Klimaziele eingesetzt werden kön-      schen Auswirkungen ebenfalls bewer-
   dem Fraunhofer ISI vier Zielszenarien         nen. „Das vierte Szenario schließlich      tet.                               mas
   mit unterschiedlichen Schwerpunkten,          stellt weitergehende ordnungsrechtli-
15

Weiterentwicklung eines
Kompensationsmodells in Nigeria
Die sachgerechte Sammlung und das            nutzt werden, die sachgemäße Samm-
Recycling von Lithium-Ionen-Batterien        lung und das Recycling von Altbatterien
sowie von Flachbildschirmen in Nigeria       sowie Flachbildschirmen zu finanzieren,
voranzubringen, steht im Mittelpunkt         wobei auch der informelle Recycling-
des Projektes „E-waste Compensation          sektor einbezogen wird. Auf diese Wei-
as an international financing mecha-         se sollen 20 Tonnen Altbatterien und
nism in Nigeria (ECoN)“. „Hintergrund        Flachbildschirme gesammelt und sach-
des Pilotprojektes in Nigeria ist, dass      gemäß recycelt werden. Ein besonderes
Hersteller und andere Organisationen,        Augenmerk liegt dabei auf den Schad-
welche Geräte in Umlauf bringen, die         stoffen in den Produkten sowie auf dem
Möglichkeit haben, über unseren Part-        Aspekt der lokalen Wertschöpfung.          Das Pilotprojekt wird innerhalb der vom
ner „Closing the Loop“ einen Beitrag         „Durch klare Verfahren und Regeln, die     Bundesministerium für wirtschaftliche
dazu zu leisten, der tatsächlich vor Ort     wir erarbeiten, kann ein solches Kom-      Zusammenarbeit und Entwicklung ge-
in Nigeria ankommt“, sagt Tobias Schlei-     pensationsmodell anschließend auch         gründeten PREVENT Abfallbilanz sowie
cher, Projektleiter und Senior Resear-       als Ausgangspunkt für weitergehende,       in Zusammenarbeit mit mehreren Part-
cher am Öko-Institut. Die so zur Verfü-      verpflichtende Systeme genutzt wer-        nerinnen und Partnern durchgeführt
gung gestellten Mittel sollen dafür ge-      den“, so der Wissenschaftler.              und läuft noch bis Mitte 2022.       cw

Regional,                                       Die private Energiewende: Elektro-
pflanzlich,                                     auto, Erneuerbare, Energieeffizienz
ökologisch                                      Steigen Haushalte vom Verbrenner         auf dem eigenen Dach installieren
                                                auf ein Elektroauto um, steigt ihr       oder ihn an anderer Stelle verringern,
Der Bereich Produkte & Stoffströme be-          Strombedarf: Rund 3.000 Kilowatt-        zum Beispiel durch stromsparendere
schäftigt sich in einem neuen Projekt           stunden Strom verbraucht ein E-Pkw       Haushaltsgeräte. Das im Rahmen der
noch bis Juni 2023 mit kurz-, mittel- und       im Jahr, wenn er 14.000 Kilometer ge-    Nationalen Klimaschutzinitiative vom
langfristigen politischen Handlungsop-          fahren wird. Damit dieser nicht ein-     Bundesumweltministerium geförder-
tionen für eine „Sozial-ökologische             fach „on top“ kommt, berät das Öko-      te Pilotprojekt „Ausgleich des zusätzli-
Transformation des Ernährungssys-               Institut zusammen mit dem Büro Ö-        chen Strombedarfs der E-Mobilität
tems“ in Deutschland. „Hierbei betrach-         quadrat in einem Pilotprojekt rund       durch Ausbau Erneuerbarer Energien
ten wir zum Beispiel die Frage, welche          200 Käuferinnen und Käufer von Elek-     und Energieeffizienz“ wird am 21.
Effekte eine stärkere Regionalisierung          trofahrzeugen, wie sie zur Energie-      September 2021 in einer Veranstal-
der Ernährung hätte und entwickeln              wende beitragen können. Indem sie        tung in Freiburg offiziell von Staatsse-
hierfür ein Konzept“, erklärt Projektlei-       den zusätzlich benötigten Strom          kretärin Rita Schwarzelühr-Sutter er-
terin Dr. Dietlinde Quack, „außerdem            selbst erzeugen und eine Solaranlage     öffnet.                             mas
analysieren wir, wie die Politik pflanzen-
basierte Ernährungsweisen voranbrin-
gen kann.“ Zusätzlich erarbeitet das
Projektteam, zu dem neben dem Öko-
Institut auch der Bund Ökologische Le-
bensmittelwirtschaft und e-fect gehö-
ren, unter Leitung des Ecologic Institut
Konzepte, wie sich die ökologische
Land- und Lebensmittelwirtschaft wei-
terentwickeln kann, und untersucht die
Rolle des Finanzsektors beim Wandel
des Ernährungssystems. Ziel ist dabei
auch, Vorschläge zu entwickeln, wie
nachhaltige Produktions- und Verarbei-
tungskonzepte besser finanziert wer-
den können.                            cw
16 ARBEIT I RÜCKBLICK

                                                                                       Elektro vs.
   Für ein                                                                             Verbrenner
   längeres T-Shirt-Leben                                                              Eine steigende Anzahl von Elektroau-
                                                                                       tos hat einen immensen Einfluss auf
                                                                                       den jährlichen deutschen Rohölbedarf:
   Billig einkaufen, wenig tragen – Klei-     bestehenden Wertschöpfungsketten         Steigt ihr Anteil an den Pkw-Zulassun-
   dung ist zu einem schnelllebigen           und Materialflüsse analysiert und eine   gen auf 100 Prozent, werden bis 2035
   Konsumprodukt geworden. Alleine            Datengrundlage für diesen Sektor         im Vergleich zu 2020 56 Prozent weni-
   2018 wurden in der EU 4,4 Millionen        geschaffen.“ Dabei zeigt sich zum Bei-   ger Rohöl benötigt. „Zwar braucht es
   Tonnen Kleidung und gut eine Million       spiel auch, dass die EU nach den USA     dann noch fossile Energieträger wie
   Tonnen Haushaltstextilien gekauft,         die meisten Textilien importiert – in    Erdgas, um den zusätzlichen Strombe-
   das sind 12,3 Kilogramm pro Kopf           einem Wert von 125 Milliarden US-        darf der Elektroautos zu decken – die
   und 20 Prozent mehr als noch 2003.         Dollar – und nach China die meisten      Einsparung beim Rohöl ist aber deut-
   „Die Wegwerfmentalität bei T-Shirts,       Textilien exportiert.                    lich höher“, sagt Dr. Matthias Buchert,
   Pullis & Co. führt zu immensen Aus-                                                 Bereichsleiter am Öko-Institut. Zudem
   wirkungen auf Menschen und Um-             Ansätze für eine getrennte Sammlung      stammt der überwiegende Teil des Erd-
   welt – etwa mit Blick auf den Einsatz      gebrauchter Textilien gibt es jedoch     öls für Deutschland aus Lieferländern,
   von Pestiziden und den hohen Was-          nur in einigen der EU-Länder. Ein zen-   in denen die Erdölförderung negative
   serbedarf bei der Baumwollproduk-          traler Fokus des Projektes lag daher     Umwelt- und soziale Auswirkungen hat.
   tion“, sagt Dr. Andreas Köhler vom         zudem auf der Wiederverwertung           In der Studie „Resource consumption of
   Öko-Institut. „Etwa vier bis sechs Pro-    und dem Recycling von Alttextilien.      the passenger vehicle sector in Germa-
   zent des Umwelt-Fußabdrucks der EU         „Wir haben bestehende Sammel- und        ny until 2035 – the impact of different
   werden durch die Textilindustrie ver-      Sortiersysteme für Altkleider unter-     drive systems” hat das Öko-Institut im
   ursacht.“ Der Großteil der Umweltaus-      sucht. Außerdem haben wir innova-        Auftrag des Bundesumweltministeri-
   wirkungen – so etwa 92 Prozent der         tive Geschäftsmodelle analysiert, die    ums zudem den Verbrauch von Me-
   Wasser- und 85 Prozent der Rohstoff-       sich für eine Kreislaufwirtschaft im     tallen wie Lithium, Kobalt oder Kupfer
   nutzung – kommen jedoch außerhalb          Textilsektor einsetzen.“ Wichtige An-    von E-Fahrzeugen und Verbrennern
   der EU zum Tragen.                         sätze sind aus Sicht von Dr. Andreas     analysiert. „In unserem Szenario ist für
                                              Köhler etwa Modelle zum Teilen oder      Primärrohstoffe hier bereits 2035 der
   Einer nachhaltigeren Nutzung von           Leasen von Kleidung oder zu ihrer        Höchststand erreicht. Das liegt am stei-
   Textilien ist das Projekt „Circular eco-   Reparatur, aber auch zur Rücknahme       genden Anteil von recycelten Metallen
   nomy perspectives in the EU Textile        und Wiederverteilung. „Bislang haben     aus Antriebsbatterien“, so Buchert.
   sector“ nachgegangen. „Gemeinsam           solche Modelle aber leider nur einen     Gemeinsam mit ifeu und T&E hat das
   mit PlanMiljø haben wir darin im           sehr kleinen Marktanteil, den be-        Öko-Institut damit den deutschen
   Auftrag des Joint Research Center          wusste Konsumentinnen und Konsu-         Pkw-Sektor bis 2035 erstmalig aus Res-
   (JRC) der Europäischen Kommission          menten nutzen. Sie können sich nicht     sourcenperspektive bewertet und gibt
   untersucht, welche Mengen genutz-          gegen Billiganbieter durchsetzen, so     zahlreiche Empfehlungen. „Nötig sind
   ter und gesammelter Alttextilien in        lange diese die sozialen und ökolo-      zum Beispiel ehrgeizige Recyclingziele
   der EU entstehen und wie sich eine         gischen Kosten ihrer Produktionswei-     für Schlüsselmaterialien für Batterien
   echte Kreislaufwirtschaft für Textili-     sen auf die Allgemeinheit abwälzen       sowie ambitionierte Standards für die
   en etablieren lässt“, erklärt der Seni-    können.“                                 Förderung von Primärrohstoffen“, sagt
   or Researcher, „hierfür haben wir die                                         cw    der Bereichsleiter.                mas
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Flugplan in Richtung Klimaschutz
Trotz seiner Klimaschädlichkeit wird        tut. In einer aktuellen Studie für die Stif-   werden, um überhaupt Wirkung für
der Luftverkehr gegenüber klimaver-         tung Klimaneutralität zeigen die Exper-        den Klimaschutz entfalten zu können,
träglicheren Verkehrsmitteln wie der        tinnen und Experten aus dem Bereich            etwa durch ein Nullemissionsziel für
Bahn begünstigt und es gibt keine aus-      Energie & Klimaschutz, wie der Klima-          den Luftverkehr bis 2050 oder Beimi-
reichenden Anreize, die Treibhausgas-       schutz im Luftverkehr vorangebracht            schungsquoten für synthetische Kraft-
emissionen zu senken. „Dies muss sich       werden kann. „Der EU-Emissionshandel           stoffe.“
dringend ändern – durch eine EU-weite       muss reformiert werden, indem Emis-
Besteuerung von Kerosin ebenso wie          sionszertifikate nicht mehr kostenlos          Übrigens: Über Klimaschutz im Luftver-
durch eine höhere Luftverkehrssteuer,       zugeteilt, sondern versteigert werden“,        kehr spricht Jakob Graichen auch in der
die die fehlende Mehrwertsteuer auf         sagt Senior Researcher Jakob Graichen.         zweiten Folge unseres Podcasts „Wen-
internationale Flüge ausgleicht“, fordert   „Und auch das internationale Abkom-            den bitte!“. Mehr dazu unter:
Dr. Lambert Schneider vom Öko-Insti-        men CORSIA muss deutlich verbessert            https://www.oeko.de/podcast        mas

Einverstanden mit Klimaschutzvorschriften
Mein Quartier soll autofrei werden – wo     „Soll etwa ein autofreies Quartier ge-         native Angebote etwa im öffentlichen
soll ich denn dann parken? Ich soll jetzt   schaffen werden, sollten Bürgerinnen           Verkehr geschaffen werden.
mit erneuerbaren Energien heizen –          und Bürger frühzeitig einbezogen wer-
aber sind die so zuverlässig wie mein al-   den“, sagt Ruth Blanck, „es kann sinnvoll      „Mit Blick auf die gesellschaftliche Ak-
ter Ölkessel? Ordnungsrechtliche Maß-       sein, dieses erst mal für einige Mona-         zeptanz von Maßnahmen zur Einschrän-
nahmen – also Gebote, Standards oder        te oder ein Jahr auszuprobieren – oft          kung fossiler Energien beim Heizen ist
Verbote – stoßen oft auf Widerstand, zu-    steigt die Akzeptanz, wenn die Vortei-         es wichtig, sie durch eine ausreichende
mal wenn sie den Alltag der Menschen        le erlebbar werden.“ Wichtig sei auch,         finanzielle Förderung zu unterstützen“,
betreffen. „Aber nur mit Informationen,     dass die Menschen den neu geschaf-             so Dr. Sibylle Braungardt, „sinnvoll ist
Appellen und Kaufprämien für grüne          fenen Platz nach ihren Bedürfnissen            darüber hinaus, die Einführung mit In-
Technologien können wir ambitionier-        mitgestalten können und dass Ausnah-           formationsmaßnahmen zu begleiten
te Klima- und Umweltschutzziele nicht       me- und Härtefallregelungen, etwa für          und die Gebäudeeigentümerinnen und
erreichen“, sagt Dirk Arne Heyen vom        Ladenbelieferungen oder mobilitäts-            -eigentümer sowie das Handwerk ein-
Öko-Institut. „Und im Vergleich zum –       eingeschränkte Personen sowie alter-           zubinden.“                           cw
ebenfalls sinnvollen – CO2-Preis können
sich einkommensstarke Haushalte bei
ordnungsrechtlichen Vorgaben den
angestrebten Veränderungen nicht ein-
fach durch ihren größeren Geldbeutel
entziehen.“

Wie also kann es gelingen, mehr Akzep-
tanz für ordnungsrechtliche Maßnah-
men beim Umwelt- und Klimaschutz
zu erreichen? Mit dieser Frage hat sich
das Öko-Institut im eigenfinanzierten
Projekt „Gesellschaftliche Akzeptanz
konsumbezogenen Ordnungsrechts“
befasst. Für die Analyse haben die Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler
internationale Literatur zu Akzeptanz-
faktoren umweltpolitischer Maßnah-
men ausgewertet und zwei Vertiefungs-
studien zu autoreduzierten Quartieren
und Vorschriften zu Heizungstechnolo-
gien durchgeführt.
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