Koscheres Fleisch - Ernährungssicherheit der jüdischen Gemeinde in Österreich unter dem Aspekt der aktuellen rechtlichen Entwicklungen - Wiener ...

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Koscheres Fleisch - Ernährungssicherheit der jüdischen Gemeinde in Österreich unter dem Aspekt der aktuellen rechtlichen Entwicklungen - Wiener ...
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                          109 (2022)

Veterinärmedizinische Universität Wien1, Israelitische Religionsgesellschaft Österreich2

Koscheres Fleisch - Ernährungssicherheit der
jüdischen Gemeinde in Österreich unter dem
Aspekt der aktuellen rechtlichen Entwicklungen
T. Rahlves1* und S. Hofmeister2

                                                                                                         Eingelangt am 8. Juli 2021
                                                                                                 Angenommen am 22. Februar 2022
                                                                                                    Veröffentlicht am 30. April 2022

Schlüsselwörter: Schächten, rituelle Schlachtung,                        Keywords: religious slaughter, food security, jewish
Ernährungssicherheit, Judentum.                                          religion.

   Zusammenfassung                                                           Summary
  Die derzeitigen Entwicklungen auf rechtlicher und ge-                  Kosher meat – food security of the Austrian
sellschaftlicher Ebene in Europa stellen die Jüdinnen und                Jewish community in the light of current legal
Juden in Österreich vor eine ungewisse Zukunft in Bezug                  developments
auf die Versorgungssicherheit mit koscherem Fleisch.
Um ein umfassendes Bild der derzeitigen rechtlichen                        Current legal and social developments in Europe are
Lage in der Europäischen Union zu erhalten, werden par-                  leading to an uncertain future for the provision of kosher
lamentarische Entschlüsse und Bestrebungen der betrof-                   meat for Austrian Jews. We analyse parliamentary res-
fenen Länder analysiert, sowie die Entscheidungen des                    olutions and aspirations and decisions of the European
Europäischen Gerichtshofes zu dieser Thematik begut-                     Court of Justice to provide the background to current le-
achtet. Damit die Gesamtheit der Lage in Österreich er-                  gal events in the European Union. We also present and
fasst werden kann, werden die jüdischen Vorschriften                     discuss Jewish regulations regarding food and the legal
hinsichtlich Ernährung aufgearbeitet, die Rechtslage                     framework for post-cut stunning. We have collated infor-
zum post-cut-stunning dargelegt, Informationen der                       mation from the state and regional governments and have
Bundesländer und zuständigen Behörden zur Ab-                            consulted representatives of the Austrian Jewish commu-
schätzung der Produktion und des Angebotes eingeholt                     nity to estimate the production of and demand for kosher
und mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Österreich                  meat. We calculate the amount of kosher meat produced
kommuniziert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass                     in Austria based on data from Agrarmarkt Austria, a press
weitreichende Änderungen im Bereich der Schlachtung                      release of the Provincial Chamber of Agriculture of Upper
gemäß jüdischem Ritus zu erwarten sind. Sowohl die                       Austria and information collected during our research.
Ermöglichung des Verbotes des Schächtens durch den                       Local production can only satisfy 30 % of the demand for
Europäischen Gerichtshof als auch das anstehende                         veal, 22 % of the demand for lamb and 32 % of the de-
Exportverbot Polens werden den europäischen Markt für                    mand for poultry. No kosher beef is currently produced in
koscheres Fleisch verändern. Die jüdische Gemeinde                       Austria. The Jewish community thus depends on import-
in Österreich schafft es derzeit noch bedarfsdeckend zu                  ed meat but the European Court of Justice has enabled
produzieren, wird aber ebenfalls durch die anstehenden                   the prohibition of kosher butchering and Poland will intro-
Veränderungen neue Wege einschlagen müssen.                              duce a ban on the export of kosher meat, both of which
                                                                         will change the European market for kosher meat. In
Abkürzungen: AEUV = Vertrag über die Arbeitsweisen der                   summary, recent changes have introduced restrictions on
Europäischen Union; BMSGPK = Bundesministerium für Soziales,             religious slaughtering for the Jewish community. Current
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; EuGH = Europäischer            local production is not able to satisfy the demands of the
Gerichtshof; EUR-Lex = Rechtsinformationssystem der Europäischen         Austrian Jews and will have to adapt to the forthcoming
Union; RIS = Rechtsinformationssystem des Österreichischen Bundes        changes.

*E-Mail: thorben.rahlves@noel.gv.at

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   Einleitung                                                         und eine Bewertung von Fleischersatzprodukten bzw.
                                                                      in-vitro-Fleisch wurden durch den Mitautor Hofmeister
   Zu Beginn des Jahres 2021 wurde vom Europäischen                   vorgenommen.
Gerichtshof (EuGH) die rechtliche Möglichkeit ge-
schaffen, dass Mitgliedsstaaten die betäubungslo-
se Schlachtung verbieten können (EuGH 2020; Urteil                        Jüdische Religion und Tradition
C-336/19). In einigen Ländern der Europäischen Union
gibt es unterdessen Bestrebungen, das Schächten                       Juden in Österreich
gänzlich zu verbieten, den Export von Fleisch von be-
täubungslos geschlachteten Tieren zu verwehren oder                     Die Geschichte der Juden in Österreich ist wech-
die Importmenge zu reglementieren.                                    selhaft und von Ausgrenzung und Verfolgung ge-
   In dieser Arbeit wird die in Österreich bestehen-                  prägt. Zu erwähnen ist die sogenannte „Wiener
de Rechtslage angeführt und damit die rechtsgül-                      Geserah“, die erste Vertreibung von 1421, auf die
tige Ausgangssituation, sodass sowohl die rechts-                     die zweite Vertreibung 1669 folgte und ein trauri-
konforme Durchführung der rituellen Schlachtung als                   ger Höhepunkt fand sich mit der systematischen
auch die Minimierung des Tierleids auf ein annehm-                    Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden
bares Maß nicht verhandelbar sind. Eine thematische                   unter den Nationalsozialisten. Nach 1945 kehrten ei-
Auseinandersetzung zu Fragen des Tierschutzes bei                     nige jüdische Familien nach Österreich zurück, aber
der rituellen Schlachtung bieten unter anderem die                    erst nach der Aufarbeitung wurde die Zuwanderung in
Ethik-Workshops des DIALREL Projekts von Caspar                       den 80er Jahren ermöglicht, die in einer Entwicklung
und Luy (2010) sowie Levinger (1996).                                 des kulturellen und religiösen Gemeindelebens re-
   Diese Arbeit zielt darauf ab, einen Gesamteindruck                 sultierte (Czeike 2004). In Österreich leben entspre-
über die Schlachtung gemäß jüdischem Ritus und die                    chend der Schätzung von Staetsky und DellaPergola
religiösen Hintergründe zu vermitteln, die produzier-                 (2020) 10.065 Jüdinnen und Juden, 86 % davon in
ten Mengen an heimischem Koscherfleisch zu erfas-                     Wien. Es zählen rund 8.000 Jüdinnen und Juden zur
sen, und, unter Berücksichtigung der Entwicklung in                   Israelitischen Kultusgemeinde Wien, und diese lis-
den einzelnen Mitgliedsstaaten, eine Einschätzung                     tet neun koschere Supermärkte und Bäckereien, fünf
über die Versorgungssicherheit der österreichischen                   koschere Cateringdienste, fünf koschere Imbisse, so-
Jüdinnen und Juden mit koscherem Fleisch zu treffen.                  wie zehn koschere Restaurants in Wien; ein Zeichen
                                                                      für eine lebendige jüdische Gemeinde (Israelitische
                                                                      Kultusgemeinde Wien 2021).
   Methoden
                                                                      Schriften und Feste des Judentums
  Für die Recherche zu dieser Überblicksarbeit wur-
den fachspezifische Literaturarbeiten, sowie wissen-                     Die jüdische Religionsgesetzgebung setzt sich aus
schaftliche, themenbezogene Publikationen herange-                    den fünf Büchern Moses und dem Talmud zusam-
zogen. Zusätzlich wurden offizielle Webauftritte des                  men. Da die Juden in der Geschichte mehrfach ver-
Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege                   trieben wurden, ist die Religion von Veränderungen
und Konsumentenschutz (BMSGPK), des Schweizer-                        gekennzeichnet, was aber auch Potential für
sowie Polnischen Parlaments, der Israelitischen                       Weiterentwicklung birgt. Diese wird durch die Rabbiner
Kultusgemeinde in Wien, der Statistik Austria und der                 in verschiedenen Formen festgehalten und in ihrer
Agrarmarkt Austria genutzt. Als Informationsquelle für                Gesamtheit Halacha genannt. Die Halacha, als Teil
Rechtssachen wurden die Rechtsinformationssysteme                     des Talmuds, beinhaltet die Auslegung der jüdischen
der Europäischen Union (EUR-Lex) und des                              Religionsgesetze und entwickelt sich sehr behutsam
Österreichischen Bundes (RIS) verwendet.                              und bedächtig, denn eine schriftliche Anweisung er-
  Um die Anzahl der Schlachtbetriebe in Österreich zu                 langt erst Verbindlichkeit, wenn sie einerseits auf eine
ermitteln, wurde das Informationssystem des österrei-                 lange Tradition zurückgreifen und sich andererseits
chischen Parlaments (Parlament aktiv) genutzt, und                    auch auf eine anerkannte Autorität stützen kann. In
auf die dort zu findenden parlamentarischen Anfragen                  ihr werden die Art und Weise der Schlachtung aus-
zu dieser Thematik zurückgegriffen. Des Weiteren                      führlich thematisiert (Levinger 1996). Die Tora, was so
wurde an die zuständigen Behörden der niederöster-                    viel bedeutet wie Unterweisung, wie man leben soll,
reichischen und steiermärkischen Landesregierung,                     beinhaltet unter anderem Richtlinien für den Glauben,
sowie an die betroffenen niederösterreichischen                       die Moral und das praktische Verhalten für traditionelle
Bezirksverwaltungsbehörden       eine    elektronische                Juden. Sie regelt aber auch die Vorschriften in Bezug
Anfrage im Sinne des bundeslandspezifischen                           auf die Essensauswahl und -aufnahme, die, in Form
Auskunftsgesetzes bzw. Auskunftspflichtgesetzes ge-                   der jüdischen Speisegesetze, dazu dienen sollen, das
stellt. Ausführungen über religiöse Praktiken und die                 Wohlbefinden im Körper und für die Seele zu fördern.
Schätzungen zum Verbrauch von koscherem Fleisch

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  Die Ernährung der Gläubigen wird durch religiöse                     Missverständnissen vorzubeugen, werden daher eher
Feste, wie den Schabbat, stark beeinflusst, weil hier                  die Bezeichnungen religiöses Schlachten, oder alter-
beispielsweise das Kochen untersagt ist. Eine beson-                   nativ rituelles Schlachten, verwendet und zusätzlich die
dere Rolle spielen Speisen am Pessachfest, an wel-                     Betäubungsform angeführt. Empfohlen wird daher, von
chem dem Auszug der Israeliten aus Ägypten ge-                         betäubungsloser religiöser Schlachtung zu sprechen
dacht wird. Während des achttägigen Festes sind                        (Luy 2010). Gemäß rabbinischer Meinung wird emp-
„gesäuerte“ Speisen verboten. Als gesäuert bezeich-                    funden, dass der Begriff Schächten, mit dem Zusatz
net man sämtliche Getreideprodukte, die in irgend-                     jüdisches Schächten, den Terminus technicus dar-
einem Stadium, selbst vor dem Mahlen, durch die                        stellt und somit neben dem Wortkonstrukt Schlachtung
Einwirkung von Feuchtigkeit und den natürlich präsen-                  nach religiöser Vorschrift die geeignetste Begrifflichkeit
ten Fermenten nach 18 Minuten einen automatischen                      ist, während der Begriff „rituelles Schlachten“ falsch ist,
Gärungsprozess durchgemacht haben.                                     da er eine Opferhandlung impliziert.
                                                                          Nach Luy (2010) wurde die Schlachttechnik der
Jüdische Ernährungsvorschriften                                        Entblutung mittels Halsschnitt möglicherweise aus
                                                                       Altägypten übernommen, wo sie schon um etwa
  Die Schechita beschreibt das Schlachten nach jü-                     2600 v.Chr. praktiziert wurde. Im Gegensatz zu den
dischem Ritus. Der Begriff leitet sich dabei vom                       „liberalen“ beziehungsweise reform-jüdischen Strö-
Hebräischen ‫ טחש‬šacḥaṭ ab, was so viel wie schlach-                    mungen, deren säkularisierter Ansatz zu den traditio-
ten bedeutet. Die rechtlich-religiöse Grundlage liefern                nellen jüdischen Geboten und Verboten durch Ent-
hierbei die Tora, der Talmud, und der Schulchan Aruch,                 wicklungen in der Ethik und den Natur- und Sozial-
das für das Judentum verbindliche Gesetzeswerk. Nur                    wissenschaften beeinflusst wurde, werden im traditio-
Tiere, die wiederkäuen und gespaltene Hufe haben, sind                 nellen Judentum die Tora, ihre Vorschriften, und somit
zum Verzehr erlaubt; dies inkludiert Rinder, Schafe und                auch die betäubungslose Schlachtung als unabänder-
Ziegen. Ferner sind herbivore Vögel erlaubt. Verboten                  lich verstanden. Entsprechend traditionell-jüdischer
sind unter anderem Schweine, Kaninchen und Pferde                      Auffassung handelt es sich beim jüdischen Schächten
(Bauer & Smulders 2014). Von wissenschaftlicher Seite                  keineswegs um eine betäubungslose Schlachtung,
werden die nach der Tora verbotenen Fleischsorten in                   sondern vielmehr um Schlachtung und - durch die so-
Zusammenhang gebracht mit Dingen, die zur Völlerei                     fort auftretende Bewusstlosigkeit des Tieres - effektive
verleiten, was eine Prüfung der Willensstärke der                      Betäubung in einem Schritt. Dadurch wird der hohen
Gläubigen darstellen soll und womit zugleich ernäh-                    Wertschätzung des Tierwohls in der Tora Rechnung
rungsbedingten Krankheiten vorgebeugt wird (Stein                      getragen.
1957). Bezüglich des Schweinefleischverbotes gibt es                      Im Judentum sind im Vergleich zu anderen Religionen
die soziologische Erklärung, dass Schweine in direk-                   die Speisevorschriften sehr streng formuliert. Die
ter Nahrungskonkurrenz mit dem Menschen stehen                         ebenso genau definierten religiösen Vorschriften sind
und somit in Notzeiten zu kostenintensiv wären (Harris                 Teil der Identität des Judentums als Gemeinschaft und
1995; Barlösius 1999; Wilke 2005). Aber auch die bi-                   werden durch die Heiligkeit des Volkes Israel und das
blisch-historische Feindschaft zwischen dem noma-                      Prinzip der rituellen Reinheit begründet. Gesetzlich
disch lebenden jüdischen Volk, welches Vieh gehalten                   sind die Vorschriften in der Halacha geregelt und wer-
hat, und den stationären Bäuerinnen und Bauern wäre                    den unter dem Begriff Kaschrut zusammengefasst
eine mögliche Erklärung (Elkort 1991). Weitere Gründe                  (Brinkmann 2014). Dieser Begriff stammt von koscher
für die Existenz des Schweinefleischverbotes könnten                   bzw. kascher ab, und bedeutet tauglich oder rein für
auch in der Abgrenzung zu anderen Religionen und                       den Genuss, also zum Verzehr geeignet. Alles, was
Kulturen zu sehen sein (Ecker & Brem 2019). Gemäß                      gemäß den jüdischen Gesetzen zubereitet wird, wird
der jüdischen Tradition gelten Schweine als besonders                  als koscher bezeichnet. Nicht erlaubte und nicht-ko-
nicht-koscher, weil sie äußerlich zwar gespaltene Hufe                 schere Speisen werden als Tabu gewertet. Koschere
zeigen, aber innerlich keine Wiederkäuer sind. Die dar-                Speisen können während der Zubereitung allein
aus resultierende moralische Lehre für den Menschen,                   durch Verwendung nicht koscheren Geschirrs selbst
dass man nicht nach außen ein koscheres Zeichen vor-                   nicht koscher werden. Umgekehrt können unkosche-
geben darf, wenn es innen nicht koscher ist, wird zwar                 re Gegenstände und Geräte durch das sogenannte
aus dem Toraverbot des Schweinefleischkonsums ge-                      Kaschern, ein Vorgang, der meist Hitze involviert, je
zogen, richtet sich aber nicht in negativer Unterstellung              nach Material wieder koscher gemacht werden.
gegen die Tierart Schwein. Die Speisevorschriften um-                     Eine Passage der Tora führt an, dass „das Böcklein
fassen nicht nur Gebote bezüglich der Tierart, sondern                 nicht in der Milch seiner Mutter gekocht wird“. Daraus
auch besondere Vorgaben, wie das betäubungslose                        resultiert die halachische Vorschrift, dass fleischi-
Schlachten. Nach Luy (2010) ist heutzutage nicht mehr                  ge Speisen, sowohl von Wiederkäuern als auch von
eindeutig abzugrenzen, ob der Begriff des Schächtens                   Geflügel, inklusive tierische Fette, nicht mit milchigen
die Religionskonformität oder die Betäubungslosigkeit                  Speisen, inklusive Butter und laktosehaltige Stoffe,
impliziert, wenngleich das Eine das Andere bedingt. Um                 in Berührung kommen, gemeinsam zubereitet, oder

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gemeinsam konsumiert werden dürfen. Hingegen                           überliefert, denn zur Zeit der Niederschrift war eine
können parve Lebensmittel, also neutrale koschere                      vergleichbare Form der heutigen Betäubung vor
Lebensmittel, bedenkenlos mit fleischigen oder milchi-                 dem Schlachtvorgang nicht bekannt. Durch die
gen Speisen gemeinsam zubereitet und verzehrt wer-                     strenge Regelung des Schächtens selbst, die eine
den. Grob umfasst dieser Begriff alles, was aus dem                    Minimierung von Schmerzen und Leiden anstrebt und
Boden wächst, wie Obst, Gemüse, Gewürze, aber                          zu gewährleisten versucht, bestand dazu auch keine
auch tierische Produkte wie Eier oder als koscher gel-                 Notwendigkeit. Darüber hinaus würde eine vorange-
tende Fische. Letztere dürfen jedoch nicht gleichzeitig                hende Betäubung dem Tier Verletzungen zufügen, die
mit Fleisch konsumiert werden.                                         das Tier für die Schächtung als nicht-koscher disquali-
  Die Trennung von milchigen und fleischigen Speisen                   fizieren würden, was somit einen Widerspruch zur jüdi-
geht so weit, dass nach dem Verzehr von etwas                          schen Religion darstellen würde (Levinger 1996).
Fleischigem, je nach Tradition, eine bis zu sechsstün-                    Als Schlachtinstrument darf nur ein sehr scharfes
dige Wartezeit eingelegt werden muss, bevor wie-                       Schlachtmesser von mindestens doppelter Halsbreite
der eine milchige Speise konsumiert werden kann.                       verwendet werden und der Schnitt muss ohne Druck
Der Genuss von Blut ist gemäß der Tora streng ver-                     und ohne Pause bzw. Absetzen erfolgen. Um die für
boten, was die Notwendigkeit begründet, das Fleisch                    einen kommerziellen Betrieb zeitlich zu aufwändi-
vor dem Verzehr mit maximalem Aufwand ausbluten                        ge Fixierung zu erleichtern, wurde mit Beginn der
zu lassen, was durch ein spezielles Wässerungs- und                    Neuzeit das Tier durch Verwendung der sogenannten
Salzungsverfahren erzielt wird.                                        Schächttrommel, auch Weinbergscher Umlegeapparat
                                                                       genannt, in Rückenlage gebracht. Da diese Art der
Die rituelle Schlachtung von Tieren                                    Fixierung allerdings mit Stress für die Tiere verbun-
                                                                       den ist, den es zu vermeiden gilt, wurde aufgrund von
  Durch die Unvereinbarkeit der Begriffe Schlachten und                Studienergebnissen aus den USA und dem Vereinigten
human ergibt sich der Kompromiss, die Schlachtung so                   Königreich bereits in den 1990er Jahren eine stehende
schonend wie möglich durchzuführen (Levinger 1996).                    Fixierung angestrebt (Luy 2010). Die Schächttrommel
Ein einziger scharfer Schnitt, der gleichzeitig durch die              sorgt für eine Immobilisation der Tiere und präsen-
Luft- und Speiseröhre sowie bestimmte Nervenbahnen                     tiert den Hals des Tieres optimal für den Schochet.
geführt wird, soll das vollständige Ausbluten gewähr-                  In Österreich kommt dieser Apparat heute nicht mehr
leisten und erfordert ein chirurgisch scharfes, scharten-              zum Einsatz. Jeglicher technische Apparat, der zu
freies und langes Messer. Einige Juden sehen in der                    einer Unbeweglichkeit des Rindes führt und dabei den
Tatsache, dass dieses Gebot vor ca. 3.000 Jahren be-                   Hals streckt, erfüllt einen ähnlichen Zweck und lässt
gründet wurde, als es kein profundes Wissen über die                   eine Schlachtung nach jüdischem Ritus zu.
Anatomie und Physiologie von Tieren gab, den Beweis                       Schon vor der Schlachtung wird wie bei der ge-
für die Göttlichkeit dieses Gebotes. Damals wusste man                 setzlich vorgeschriebenen Schlachttieruntersuchung
beispielsweise nicht, dass Nerven Schmerzen leiten und                 der Gesundheitszustand der Tiere begutachtet.
auch nicht, dass die Nervenstränge, welche Schmerzen                   Nur Tiere, die keine offensichtlichen Verletzungen,
zum Gehirn leiten, in jenem Bereich liegen, in dem                     Krankheitszustände oder verheilte pathologische
Schächten verboten ist. Als hygienische Nebenwirkung                   Veränderungen, wie Liegeschwielen, aufweisen, sind
wird durch den Arterienschnitt das arterielle Blut mit gro-            zur Schlachtung zugelassen. Auf die Schlachtung folgt
ßem Druck aus dem Körper gepumpt und das Fleisch                       die Bedika, eine spezielle, nach den Vorschriften der
dadurch gründlich entblutet und vor vorzeitigem Verderb                Tora durchgeführte, Untersuchung des Tierkörpers
geschützt (Biberfeld 1997).                                            und der inneren Organe, bei der die inneren Organe
  Die Annahme der jüdischen Religion, dass das                         auf Veränderungen untersucht werden. Besonderes
Schächten die ideale Schlachtmethode darstellt, lässt                  Augenmerk wird hier auf Lunge und Zwerchfell gelegt
sich auf drei wesentliche Säulen zurückführen: die                     (Luy 2010). Die Unversehrtheit der Lunge wird durch
Heiligkeit des Lebens, die Psychologie des Schächters                  Aufblasen über die Trachea überprüft. Zeigen sich auf
und die Fleischqualität. Da das Schlachten nur zur                     der entfalteten Lunge Auffälligkeiten oder entweicht
Versorgung des Menschen erlaubt ist, muss es Fleisch                   Luft aus ihr, so ist sie nicht koscher. Wenn die an-
in höchster Qualität bieten, und die Ausbeute muss                     schließende Fleischuntersuchung durch den amtlichen
maximal sein, denn nur so kann gewährleistet werden,                   Tierarzt bzw. die amtliche Tierärztin unauffällig ist, bei
dass nicht mehr Tiere als nötig getötet werden müs-                    der Bedika aber Auffälligkeiten gefunden wurden, wie
sen. Da Blut relativ rasch zur Zersetzung neigt, kommt                 zum Beispiel eine hygienisch unbedenkliche, abgeheil-
dem Ausblutungsgrad eine entscheidende Bedeutung                       te Entzündung, die nur noch durch Verklebungen sicht-
für die Fleischqualität zu. Der Zusammenhang zwi-                      bar ist, würde der Schlachtkörper eigentlich zumin-
schen einem verbesserten Ausblutungsgrad und dem                       dest noch als halal gelten, und könnte grundsätzlich
Schächten wird aber kontrovers diskutiert.                             noch an die muslimische Gemeinschaft weiterverkauft
  Weder in der Tora noch im Talmud sind dezidiert                      werden. Als nächster Schritt erfolgt das sogenannte
Vorschriften über das Betäuben vor dem Schächten                       Porschen oder der Nikur, das rituelle Zurichten

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des Schlachtkörpers, um bestimmte Blutgefäße,                          mechanischen Mitteln ruhigzustellen sind. Es wird der
Viszeralfett und den Nervus ischiadicus zu entfernen.                  Einsatz von Systemen, die Rinder durch Umdrehen
Während gemäß der sephardischen Tradition, also                        oder eine unnatürliche Haltung ruhigstellen, erlaubt,
der Juden aus muslimischen Ländern, die äußerst auf-                   sofern die Bewegung des Tierkopfes nach allen Seiten
wändige Entfernung des Nervus ischiadicus teilwei-                     eingeschränkt wird und das System auf die Größe des
se noch bis heute praktiziert wird, ist gemäß der as-                  Tieres einstellbar ist. Den Mitgliedsstaaten wird freige-
kenasischen Tradition, also der Juden in christlichen                  stellt, nationale Vorschriften zu erlassen, welche einen
Mehrheitskulturen, der Verzehr der davon betroffenen                   umfassenderen Schutz der Tiere zum Zeitpunkt der
Hinterviertel bereits seit dem Mittelalter nicht mehr er-              Tötung im Bereich der betäubungslosen Schlachtung
laubt, sondern diese Teile werden in ihrer Gesamtheit                  festhalten.
auf dem nicht-koscheren Markt weiterverkauft. In ganz                    Ermöglicht werden diese Ausnahmen durch die so-
Europa gilt auch für sephardische Gemeinden die aske-                  genannte Religionsfreiheit, die in der Europäischen
nasische Tradition in diesen Belangen für verbindlich.                 Union im Artikel 9 der Europäischen Menschen-
                                                                       rechtskonvention festgehalten ist und den Anspruch
                                                                       auf die Ausübung religiöser Gebräuche für Jedermann
   Europäisches und nationales                                         ermöglicht (Europäische Konvention zum Schutz der
   Recht                                                               Menschenrechte und Grundfreiheiten 1950; in Öster-
                                                                       reich ratifiziert mit Bundesgesetzblatt Nr. 210/1958).
                                                                       Einzigartig ist in der Europäischen Union, dass die
Rechtsvorschriften mit Bezug auf die Schlachtung                       Konvention 1964 gemäß Bundesverfassungsgesetz
nach jüdischem Ritus                                                   vom 4. März 1964, mit den Bestimmungen des Bundes-
                                                                       Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 ab-
  Das Töten von Tieren muss so erfolgen, dass jedes                    geändert und ergänzt werden (Bundesgesetzblatt
ungerechtfertigte Zufügen von Schmerzen, Leiden,                       Nr. 59/1964), innerstaatlich in den Verfassungsrang
Schäden oder schwerer Angst vermieden wird. Das                        gehoben wurde. Somit ist sie Teil der österreichi-
Schlachten von Tieren ohne Betäubung vor dem                           schen Grundrechte und ist dadurch als unmittelbar
Blutentzug ist verboten, es sei denn es stehen dem                     anwendbares Verfassungsrecht vor Gerichten und
zwingende religiöse Gebote oder Verbote einer ge-                      Verwaltungsbehörden durchsetzbar.
setzlich anerkannten Religionsgemeinschaft ent-
gegen (rituelle Schlachtung). In diesem Fall ist die                   Post-cut-stunning
Schlachtung so vorzunehmen, dass dem Tier nicht un-
nötig Schmerzen, Leiden, oder schwere Angst zugefügt                      Post-cut-stunning stellt eine Kompromisslösung
werden. Zudem werden die Anwesenheit eines oder                        zwischen der religiös geforderten, betäubungs-
einer mit der Schlachttier- und Fleischuntersuchung                    losen Schlachtung und den tierschutzrechtlichen
beauftragten Tierarztes oder Tierärztin, eine dafür be-                Anforderungen in Österreich dar. Es darf in einigen
hördlich zugelassene Schlachtanlage und gewisse                        Ländern der Europäischen Union durchgeführt wer-
Einrichtungen zur Fixierung des Tieres vorgeschrieben                  den, wenn unausweichliche religiöse Gründe dafür
(§32 TSchG 2004).                                                      vorliegen, und hat das Ziel die Wahrnehmungsphase
  Wesentlich ist zusätzlich das Erfordernis einer be-                  nach dem Schächtschnitt zu limitieren.
hördlichen Bewilligung. Im Zuge dessen ist vom                            Dabei kann die Option der Betäubung nach dem
Antragsteller oder der Antragstellerin nachvollziehbar                 Schnitt in Österreich als Übergangslösung angese-
darzustellen, dass religiöse Ge- bzw. Verbote das be-                  hen werden, die den Spagat zwischen Religionsfreiheit
täubungslose Schlachten begründen. Des Weiteren                        und Tierschutzanliegen schaffen sollte, denn zum
ist der Bedarf durch Darlegung der Nachfrage inner-                    Zeitpunkt der Verabschiedung des Tierschutzgesetzes
halb der Religionsgemeinschaft glaubhaft zu machen.                    im Jahr 2004 sprachen sich die Parlamentsfraktionen
Der Verkauf auf dem freien Markt sowie der Export                      für eine wissenschaftliche Prüfung der Regelung aus,
sind unzulässig. Diese Genehmigung darf keiner                         die eine Anpassung an die Ergebnisse zur Folge ha-
Dauerbewilligung entsprechen und ist für den Einzelfall                ben sollte (Binder 2010). Die Vornahme einer wirksa-
zu erfüllen (Binder 2014). Es ist allerdings vorstellbar,              men Betäubung unmittelbar nach dem Eröffnen der
dass Nachfrage und Art der Begründung sich über ge-                    Blutgefäße ist in §32 Absatz 5 Z5 Tierschutzgesetz
wisse Zeiträume wenig oder nicht ändern werden.                        als eine der Voraussetzungen bei der Durchführung
  Artikel 4, Absatz 4 der Verordnung über den                          ritueller Schlachtungen vorgeschrieben. Zudem muss
Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (VO                         vor dem Schnitt gesichert sein, dass die Haltung und
(EG) 1099/2009) entbindet von der Anforderung                          Lage des Tieres eine Betäubung zulassen. Bei der
einer vorangegangenen Betäubung, sofern die                            Schächtung ist diese Kontrolle in Artikel 5 Absatz 2
Schlachtung in einem Schlachthof erfolgt. Ferner re-                   in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung
gelt die Verordnung in Bezug auf das betäubungslose                    1099/2009/EG vorgeschrieben. An die Inzision muss
Schlachten, dass Tiere einzeln, und Wiederkäuer mit                    eine Betäubung, meist mit einem Bolzenschussgerät,

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anschließen. Bei der Durchführung des Schnitts ist                    zu arbeiten. Zweitens habe die Sensibilisierung für
das Tier noch unbetäubt und entspricht somit den jü-                  Tierschutz in der Gesellschaft generell zugenommen.
dischen Anforderungen. Für den Schächtschnitt und                     Und drittens lasse Belgien tierische Produkte aus an-
die unmittelbar anschließende Betäubung werden in                     deren Ländern zu, die von rituell geschlachteten Tieren
der Praxis mindestens zwei kundige Personen benö-                     stammen und verbiete religiöse Ausübung nicht kom-
tigt; eine, die den Schächtschnitt durchführt, während                plett. Der EuGH sieht das Tierwohl als hohes Gut,
die zweite Person die Betäubung übernimmt (Binder                     überlässt aber die Entscheidung, ob Schächten nicht
2010).                                                                gestattet werden soll, den Mitgliedsstaaten. Somit
                                                                      entzieht sich der Europäische Gerichtshof der kon-
Rechtsprechung des EuGHs mit Bezug auf die                            sequenten Entscheidung über ein Verbot, stattet die
Produktion von koscherem Fleisch                                      Mitglieder der Europäischen Union aber mit der recht-
                                                                      lichen Grundlage dafür aus.
  Am 17. Dezember 2020 hat der EuGH in Luxemburg                         Gestützt auf dieses EuGH-Urteil könnten nun auch
entschieden, dass Mitgliedsstaaten zur Förderung                      andere Mitgliedsstaaten das Schächten in ihrem
des Tierwohls im Rahmen der rituellen Schlachtung                     Territorium verbieten. Ob dies in Widerspruch zur
ein Verfahren einer Betäubung vorschreiben können,                    Religionsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der
und dies nicht gegen die in der Charta verankerten                    EU und dem Recht auf freie Religionsausübung als
Grundrechte verstößt. Auslöser für den Prozess war                    Verfassungsgesetz in Österreich steht, hängt letzt-
das Dekret der Flämischen Region in Belgien vom                       lich davon ab, ob im Rahmen der Religionsausübung
07.06.2017 zur Änderung des Gesetzes über den                         der Zugang zu koscherem Fleisch oder zusätzlich
Schutz und das Wohlbefinden der Tiere. Das Dekret re-                 das Schächten gesichert werden müssen. Wie der
guliert die zugelassenen Methoden für die Schlachtung                 EuGH ausführt, kann Ersteres auch durch Bezug von
von Tieren und resultiert in einer Unzulässigkeit der                 Fleisch aus anderen Staaten sichergestellt werden.
Schlachtung ohne vorherige Betäubung, auch wenn                       Es ist aber auch einsichtig, dass, wenn mehrere oder
sie durch einen religiösen Ritus vorgeschrieben ist.                  alle Mitgliedsstaaten ein solches Verbot erlassen, die
Es schreibt eine Betäubung im Rahmen der rituellen                    Versorgung nur durch Einfuhren aus Drittstaaten zu si-
Schlachtung vor, die umkehrbar und nicht geeignet ist,                chern wäre und damit indirekt die Versorgungssicherheit
den Tod des Tieres herbeizuführen (EUGH 2020, Urteil                  und damit die Religionsausübung behindert werden
C-336/19). Jüdische und muslimische Vereinigungen                     könnten.
klagten gegen dieses Dekret mit der Begründung,                          Auf nationaler Ebene ist zu beachten, dass
dass es gegen die VO (EG) 1099/2009 verstoßen wür-                    staatliche Organe neben der Bindung an das
de, indem es Gläubigen die Möglichkeit verwehrt, sich                 Gemeinschaftsrecht auch der Bindung an das ös-
mit Fleisch, das nach ihren religiösen Geboten her-                   terreichische Verfassungsrecht und seinen grund-
gestellt wurde, zu versorgen. Es führt somit zu einer                 rechtlichen Gewährleistungen unterliegen („dop-
Behinderung der Religionsausübung. Der belgische                      pelte Bindung“). Müller (2008) beschreibt in seiner
Verfassungsgerichtshof ersuchte daraufhin den EuGH                    Übersicht über den Grundrechtsschutz bei der trans-
mit einer Vorabentscheidung, um zu klären, ob das                     nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit die Frage
Unionsrecht dem entgegensteht (EuGH 2020). Der                        der Vorrangwirkung des Gemeinschaftsrechts und
EuGH hat am 26.02.2019 schon einmal ein Urteil erlas-                 seiner Grundrechte auch gegenüber den nationa-
sen, welches eine Abwägung zwischen der in Artikel 10                 len Grundrechten und erläutert die Rollen der na-
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union                     tionalen Grundrechtsgerichtshöfe (in Österreich:
verankerten Religionsfreiheit und dem Wohlergehen                     Verfassungsgerichtshof), des EuGHs und des
der Tiere nach Artikel 13 des Vertrags über die                       Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Bei
Arbeitsweisen der Europäischen Union (AEUV) bzw.                      einem Verbot des Schächtens könnte also auch der
VO (EG) 1099/2009 vornimmt. Dies führte dazu, dass                    Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angeru-
die Zertifizierung mit einem „EU-Bio-Logo“ für Fleisch                fen werden.
von rituell geschlachteten Tieren und daraus herge-                      Bei einem angedachten Verbot des Schächtens in
stellten Erzeugnissen fortan untersagt wurde.                         Österreich wären nun einerseits das Recht auf freie
                                                                      Religionsausübung nach der Bundesverfassung und
Auswirkung und Bedeutung des EuGH-Urteils in                          andererseits das Wohlergehen der Tiere und freie
der Rechtssache C-336/19                                              Religionsausübung im EU-Recht zu beachten. Da
                                                                      nach dem EuGH-Urteil ein Verbot des Schächtens
  Der EuGH begründete das Urteil vom 17. Dezember                     nicht ausgeschlossen ist, bliebe die Frage, ob ein sol-
2020 damit, dass die belgische Regelung verhältnis-                   ches Verbot mit der Bundesverfassung in Konflikt ist.
mäßig ist, und untermauerte diese Entscheidung vor                       Bereits 1998 wurde durch den Verfassungs-
allem mit drei Erwägungen. Erstens zieht der flämische                gerichtshof bestätigt, dass die Auslegung, dass das
Gesetzgeber wissenschaftliche Untersuchungen heran,                   Vorarlberger Tierschutzgesetz das Schächten verbie-
um mit dem modernsten erlaubten Tötungsverfahren                      ten könnte, gegen die Verfassung verstoßen würde

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Abb. 1: Rechtliche Bestimmungen der religiösen Schlachtung in Europa (Library of Congress 2018) / Legislation on ritual slaughter in Europe
(Library of Congress 2018)

(Verfassungsgerichtshof 1998; Sammlungsnummer
15394, Entscheidung vom 17.12.1998). Ein Verbot                             Eine Sonderstellung nimmt hier die Schweiz
des Schächtens bedürfte daher in Österreich einer                        ein, denn das betäubungslose Schlachten von
Verfassungsänderung.                                                     Säugetieren ist gänzlich untersagt und derzeit nur bei
                                                                         Geflügel zugelassen. Nach Artikel 14 des Schweizer
Rechtliche Regelung der betäubungslosen                                  Tierschutzgesetzes (Schweizer Tierschutzgesetz 2005)
Schlachtung in den Mitgliedsstaaten der                                  ist die Einfuhr von Halal- bzw. Koscherfleisch sicherge-
Europäischen Union                                                       stellt. Für den Import von betäubungslos geschlachte-
                                                                         tem Fleisch stehen den Glaubensgemeinschaften so-
  In Europa verbieten aktuell lediglich Slowenien,                       genannte Teilzollkontingente zur Verfügung, die ihnen
Belgien (mit Ausnahme der Region Brüssel),                               den verbilligten Import ermöglichen und jährlich ver-
Dänemark, Schweden, Norwegen, Liechtenstein                              steigert werden. Die Bezugsberechtigung ist dabei so
und Island das Schlachten ohne vorangegangene                            eingeschränkt, dass es nur den Angehörigen der be-
Betäubung. Diese Restriktionen haben in manchen                          troffenen Religionsgemeinschaften gewährleistet ist,
Ländern nicht nur symbolischen Charakter, sondern                        aber auch zertifizierte Verkaufsstellen können so das
betreffen wie in Belgien, Dänemark und Schweden                          Fleisch beziehen (Schweizer Parlament 2015).
mehrere tausend Jüdinnen und Juden, haben somit                             Im Oktober 2015 wurde eine Motion (ein
auch eine einschneidende Wirkung auf das Ausleben                        Gesetzesantrag im Nationalrat) eingereicht, die ein
der religiösen Bedürfnisse jener Personen.                               „Importverbot für tierquälerisch erzeugte Produkte“
  In Österreich, Griechenland, Estland und Lettland                      zum Ziel hatte. Diese beinhaltete die Forderung nach
ist eine unmittelbar auf den Halsschnitt folgende                        einem Verbot des Importes von Froschschenkeln, Foie
Betäubung verpflichtend, während Finnland diese zeit-                    gras/Stopfleber, sowie Schächtfleisch. Der Bundesrat
gleich zum Schnitt vorschreibt. In den übrigen Ländern                   lehnte diesen Antrag allerdings mit der Begründung
Europas gibt es entweder keine Vorschriften zum be-                      ab, dass es unmöglich wäre, die Importprodukte auf
täubungslosen Schlachten, oder es existieren weitere                     tierquälerische Produktionsmethoden im Ausland zu
Auflagen, die aber keine Betäubung vor, während oder                     kontrollieren. Zudem sei ein generelles Importverbot
unmittelbar nach dem Kehlschnitt vorsehen (Library of                    nicht mit den bestehenden Abkommen mit der WTO
Congress 2019; Abb. 1).                                                  und dem europäischen Freihandelsabkommen ver-
Die Entwicklung in der Schweiz                                           einbar (Schweizer Parlament 2015). Gegenstimmen

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argumentierten, dass eine solche Maßnahme zum                           unbeantwortet geblieben ist, nimmt der Abgeordnete
Schutz der öffentlichen Sittlichkeit, welche den Schutz                 Daniel Caspary Bezug auf das „Fünf-Punkte-Programm
von Tieren inkludiert, berechtigt ist. Der Nationalrat                  für die Tiere“ der polnischen Regierung, das damit ein-
sprach sich 2017 mit einer knappen Mehrheit von 50,8                    hergehende Exportverbot, sowie dessen Auswirkung
% für ein Importverbot von tierquälerisch erzeugten                     auf den EU-Binnenmarkt (Parlamentarische Anfrage
Produkten aus, der Ständerat legte aber sein Veto ein                   E-001540/2021).
(Schweizer Parlament 2017). Im Jahr 2017 wurde al-
lerdings schon eine obligatorische Deklarationspflicht                   Einschätzung der Produktionsmenge von kosche-
für Herstellungsmethoden verabschiedet, die Fleisch-                    rem Fleisch in Österreich
produkte von betäubungslos geschächteten Tieren
derartig ausweisen muss (Schweizer Parlament 2017,                         In den letzten Jahren blieb die Anzahl an
2019).                                                                  Schächtungen gemäß §32 Tierschutzgesetz in
                                                                        Österreich annährend konstant.
Die Entwicklung in Österreich                                              Die Bestimmung der Religionszugehörigkeit bei den
                                                                        durchgeführten Schlachtungen ist aufgrund der vorlie-
  In Österreich wurde im Jahr 2021 ausgehend                            genden historischen Daten nicht möglich.
vom EuGH-Urteil in der Rechtssache C-336/19 im                             Aus der parlamentarischen Anfrage von 2014 geht
Bundesrat ein Antrag auf Verbot des betäubungslo-                       hervor, dass die Anzahl der nach §32 Tierschutzgesetz
sen Schächtens eingebracht. Der Antrag fand aber kei-                   rituell geschlachteten Tiere in den Jahren von 2005
ne Zustimmung, unter anderem weil das Schächten in                      bis 2014 relativ konstant geblieben ist, dies setzt sich
Österreich bereits sehr genau geregelt ist und unter                    auch 2020 fort. Unterschieden wird in der Abbildung
Aufsicht eines amtlichen Tierarztes stattfindet. Zudem                  2 nur zwischen großen und kleinen Wiederkäuern.
wurde befürchtet, dass mit zunehmender Restriktion                      Die Anzahl der Ziegen ist im Vergleich zur Anzahl der
der Import von Fleisch geschächteter Tiere zunehmen                     Schafe vernachlässigbar, und es werden in Österreich
würde und das Schächten in den Importländern unter                      eher Kälber als ausgewachsene Rinder geschächtet.
vermeintlich schlechteren Tierschutzbestimmungen                           Nach Auskunft der Abteilung für Naturschutz des
vorgenommen würde (Entschließungsantrag 285).                           Landes Niederösterreich gab es im Jahr 2020 sieben
                                                                        Betriebe im Bundesland, welche eine Bewilligung für
                                                                        die Durchführung von rituellen Schlachtungen gemäß
   Versorgungssituation                                                 §32 Tierschutzgesetz erhalten haben. Insgesamt um-
                                                                        fassten diese Bewilligungen 258 Rinder (Kälber) so-
Import und Export in der EU                                             wie 2.270 kleine Wiederkäuer, die nach jüdischem
                                                                        oder muslimischem Ritus betäubungslos geschlach-
  Deutschland      und     die Niederlande       verbie-                tet wurden. In der Steiermark wurden im Jahr 2020
ten den Export von betäubungslos geschlachte-                           328 Kälber und 20.700 Hühner rituell geschlachtet.
tem Fleisch. Es bestehen in der Europäischen                            Allerdings sind diese Schlachtungen nicht dem jü-
Union keine Importverbote für Fleisch von be-                           dischen Ritus zuzuordnen. Grund dafür sind nach
täubungslos geschlachteten Tieren oder die                              Auskunft der Israelitischen Kultusgemeinde Wien
Verpflichtung zur Kennzeich-
nung     solchen     Fleisches
(Library of Congress 2019). In
Polen, dem Hauptexportland
für rituell geschlachtetes
Fleisch in der EU, werden
der Export sowie der innerge-
meinschaftliche Handel von
koscherem Fleisch ab 2025
verboten, wobei das Export-
volumen ca. 1,5 Milliarden
Euro umfasst und ca. 70.000
Tonnen ausmacht (Polni-
sches Parlament 2020). Das
EU-Parlament       beschäftigt
sich währenddessen mit der
Fragestellung, die auch diese
Arbeit aufwirft. In einer par-   Abb. 2: Anzahl der Schächtungen in Niederösterreich, 2005–2014 (Parlamentarische Anfrage 2617/
lamentarischen Anfrage vom       AB, 2014); eigene Erhebung für 2020 / Numbers of ritual slaughters in Lower Austria, 2005–2014
22. März 2021, die bislang       (Parlamentarische Anfrage 2617/AB, 2014)

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Umbauarbeiten in einem Betrieb in der Steiermark,                     durchschnittlich bei 358 kg (Agrarmarkt Austria 2021).
der in den vergangenen Jahren zur betäubungslosen                     Geflügel erzielt ein Schlachtgewicht von 1,4 kg pro Tier
Schlachtung für die jüdische Gemeinde Wiens gedient                   (Landwirtschaftskammer OÖ 2017). Multipliziert mit den
hat. In den übrigen Bundesländern gibt es keine be-                   in Österreich ohne vorangegangene Betäubung ge-
trieblichen Bewilligungen für betäubungslose religiö-                 schlachteten Tieren ergibt dies ca. 210.000 kg Rind oder
se Schlachtungen. Somit lassen sich im Jahr 2020                      59.000 kg Kalb, 70.000 kg Schaf oder 43.000 kg Lamm,
in Österreich 586 Rinder bzw. Kälber, 2.270 kleine                    sowie 29.000 kg Geflügel. Da es in Österreich im Jahr
Wiederkäuer und 20.700 Hühner verzeichnen.                            2020 keine Möglichkeit gab, ausgewachsene Rinder
   Sechs der sieben niederösterreichischen Be-                        der jüdischen Vorschrift nach zu schlachten, wird nur
triebe haben nur während des muslimischen                             mit Kälbern weitergerechnet. Ebenso werden mehrheit-
Kurbanfestes 2020 die rituellen Schlachtungen ge-                     lich Lämmer statt ausgewachsene Schafe für die heimi-
mäß §32 Tierschutzgesetz durchgeführt. Die betrof-                    sche Koscherfleischproduktion herangezogen, weswe-
fenen Betriebe befinden sich in den Bezirken Baden,                   gen letztere ebenfalls aus der Berechnung genommen
Korneuburg, Tulln und St. Pölten-Land. Ein Betrieb in                 wurden. Der Nikur, also das Zurichten der Hinterviertel
Niederösterreich hat eine längerfristige Bewilligung,                 bei Wiederkäuern, ist nicht nur äußerst mühevoll, zeit-
wobei dieser auch nach dem jüdischen Ritus schlach-                   aufwändig und bietet wenig Ausbeute, sondern ist - ge-
tet. Im Jahr 2020 wurden 201 kleine Wiederkäuer jü-                   mäß der in ganz Europa diesbezüglich autoritativen as-
disch geschächtet.                                                    kenasischen Tradition - in Österreich nicht üblich. Daher
                                                                      werden die Hinterviertel nicht für die Ernährung mit
Einschätzung der Versorgungssicherheit mit ko-                        Koscherfleisch herangezogen – wodurch die Mengen
scherem Fleisch in Österreich                                         der Schlachtausbeute auf ca. 30 t Kalbfleisch sowie 22 t
                                                                      Lammfleisch halbiert werden. Bezieht man den pro Kopf
   Die Anzahl von Personen jüdischen Glaubens beläuft                 Verzehr und die Anzahl der österreichischen Jüdinnen
sich in Österreich auf ca. 10.500 Menschen (Staetsky &                und Juden, die sich koscher ernähren, mit ein, zeigt
DellaPergola 2020). Die Israelitische Kultusgemeinde                  sich, dass mit heimischer Produktion der Bedarf von ca.
Wien geht von mindestens 5.000 Jüdinnen und Juden                     30 % Kalbfleisch, 22 % Lammfleisch und 32 % Geflügel
aus, die eine koschere Lebensweise praktizieren, und                  gedeckt werden kann.
somit als Konsumentinnen und Konsumenten gezählt                         Aus einem Interview mit einem Vorsitzenden einer
werden können. Der jährliche pro Kopf Verzehr von                     deutschen jüdischen Gemeinde im Jahr 2014 geht her-
Koscherfleisch beträgt nach Schätzung der Autoren                     vor, dass eine Koscher-Liste der Europäischen Rabbiner
je 20 kg Rind und Schaf, sowie 18 kg Geflügel.                        Konferenz existiert. Diese listet Produkte im Handel, die
Damit liegen die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde                    nicht explizit als koscher zertifiziert oder gar gekenn-
knapp unter dem österreichischen Durchschnitt                         zeichnet sind, aber die Anforderungen erfüllen. Darüber
von 62,6 kg Fleisch pro Kopf und Jahr (Statista                       hinaus können Lebensmittel auch über Online-Shops
2019). Der Selbstversorgungsgrad für koscheres                        gekauft werden und verfügen über, von der Kaschrut-
Fleisch von Rindern bzw. Kälbern liegt in Österreich                  Behörde kontrollierte, Hechscher (Koscher-Zertifikate).
bei nur 20 %. Grund dafür ist, nach Aussagen des                      Dies stellt eine gute und sichere Bezugsquelle für
Gemeinderabbiners,       die    fehlende    Möglichkeit,              Produkte dar, die nicht am heimischen Markt produziert
in Österreich ausgewachsene Rinder nach jüdi-                         werden. Zudem ist der Fleischkonsum vieler Gläubiger
scher Vorschrift zu schlachten, weswegen sich die                     eher gering und das Fleisch wird als teures Luxusgut ei-
Produktion von koscherem Fleisch in diesem Bereich                    gens importiert (Brinkmann 2014).
auf Kälber beschränkt. Durch Umbauarbeiten in einem                      Die Versorgungssicherheit der jüdischen Gemeinde
Schlachtbetrieb in Niederösterreich wurden zwar                       in Österreich mit koscherem Fleisch wäre durch ein
die maschinellen Anforderungen für eine stehende                      Verbot der Schlachtung nach jüdischem Ritus gefähr-
Fixierung von Rindern geschaffen, diese entsprechen                   det. Zum einen hat Österreich eine Vorbildwirkung
aber nicht den, für die jüdische Schächtung spezifi-                  für andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
schen, Voraussetzungen. Der Selbstversorgungsgrad                     und ein solches Verbot könnte in der gesamten Union
bei koscherem Fleisch von kleinen Wiederkäuern liegt                  einen Domino-Effekt auslösen. Ein Import von ko-
hingegen bei annähernd 100 %, der von Geflügel bei                    scherem Fleisch ist darüber hinaus als problema-
ca. 80 %.                                                             tisch anzusehen, weil er mit einer Abhängigkeit vom
   Die in Österreich produzierte Menge an Koscher-                    Exportland verbunden ist. Ein Verbot in Österreich
fleisch wurde anhand von Daten zur durchschnittlichen                 würde den Preis der Produkte in die Höhe schnellen
Schlachtausbeute von Wiederkäuern des Agrarmarkt                      lassen, von Import- bzw. Exportbewilligungen der bei-
Austria, sowie einer Pressemitteilung der oberöster-                  den Handelspartner abhängig sein, und somit mit einer
reichischen Landwirtschaftskammer über heimische                      Vielzahl von Unsicherheitsfaktoren behaftet sein. Ein
Masthühnerhaltung ermittelt. Folglich liegt das mittlere              Import aus Ländern mit größeren Produzenten von ko-
Schlachtgewicht von Lämmern bei 19 kg, von Schafen                    scherem Fleisch, wie Argentinien oder Uruguay, wäre
bei 31 kg, von Kälbern bei 100 kg und von Rindern                     darüber hinaus mit dem Nachhaltigkeitsgedanken, den

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viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde hegen, nicht                   Vorschriften ist, und auch eine leistbare Option dar-
vereinbar und auch der Preis für die Importware würde                  stellt. Zusätzlich wird in Ungarn und Rumänien durch
hier den Konsum von koscherem Fleisch drastisch re-                    die eigenen Schochets Koscherfleisch produziert und
duzieren und es zum Luxusgut werden lassen.                            nach Österreich verbracht. Darüber hinaus wird ko-
  In Österreich sind neun Personen, bzw. Schochets,                    scheres Fleisch aus Frankreich, Italien und Polen nach
zur Durchführung von Schlachtungen nach jüdischem                      Österreich verbracht.
Ritus durch die Israelitische Kultusgemeinde Wien be-                     Ob Fleischersatzprodukte koscheres Fleisch bei
fähigt, wobei vier bis fünf Personen diese Tätigkeit                   einer Versorgungsknappheit ersetzen könnten, ist kri-
derzeit aktiv ausführen. Neben einem eingehenden                       tisch zu beurteilen. In-vitro-Fleisch, also Fleisch, das
theoretischen und praktischen Sachkundenachweis                        aus einer tierischen Zelle im Labor vermehrt wird, wie
und einer tiefgehenden Prüfung nach der mehrjähri-                     es derzeit die Europäische Union fördert, ist aufgrund
gen Ausbildung vor einem Rabbinatsgericht, verpflich-                  der jüdischen Religionsvorschriften keine Option. Da
tet sich jeder Schochet dazu, sämtliche Vorschriften,                  die Ausgangszellen mittels Muskelbiopsie von einem
die auch Prüfungsinhalt waren, alle 30 Tage selbst-                    lebenden Tier entnommen werden, widerspricht das
verantwortlich zu wiederholen. Sollte es Zweifel an                    dem Gebot, dass nur Fleisch von toten Tieren kon-
der Wahrnehmung dieser Pflicht geben, wird der für                     sumiert werden darf. Vegane Ersatzprodukte stellen
die jeweilige Zertifizierung zuständige Rabbiner das                   dahingehend eine Hürde dar, als dass es sich hier-
Wissen der Schochets überprüfen. Allerdings ist dies                   bei mehrheitlich um Convenience-Produkte handelt,
nur eine sehr seltene Maßnahme, denn gegenüber                         die eine Vielzahl von Inhaltsstoffen haben, welche al-
den zertifizierten Schochets besteht innerhalb der jüdi-               lesamt rückverfolgbar sein und durchwegs den jüdi-
schen Gemeinde ein Vertrauen in das Verantwortungs-                    schen Vorschriften entsprechen müssen.
und Pflichtbewusstsein dieser Personen, die als akti-
ve Teile der Gemeinschaft ständiger Prüfung im Alltag
standhalten müssen.                                                        Diskussion
  In Österreich wird derzeit in zwei Schlachtbetrieben
koscheres Fleisch produziert. Für Hühnerschlachthöfe                     Aus den Berechnungen der in Österreich produzier-
muss eine Rupfmaschine mit kaltem Wasser zur                           ten Menge an Koscherfleisch und dem Bedarf der hei-
Verfügung stehen, da die Schlachtkörper vor der                        mischen jüdischen Gemeinde ergibt sich, dass, um der
Prozedur des Wässerns und Salzens nicht mit hei-                       Nachfrage der 5.000 Jüdinnen und Juden vollständig
ßem Wasser in Kontakt kommen dürfen. Außerdem                          nachkommen zu können, Fleisch in anderen Ländern
sollten die Hühner nicht aus Betrieben mit Haltung                     produziert werden muss, sei es durch eigene oder
auf Betonböden oder ähnlichem harten Untergrund                        fremde Schochets.
stammen, da dadurch Schwielen oder andere                                Die     Versorgungssicherheit      mit    koscherem
Veränderungen an den Gelenken der Ständer auftreten                    Rindfleisch kann sich auch verschlechtern, wenn EU-
können, die als nicht koscher angesehen werden. Für                    Staaten die betäubungslose Schlachtung verbieten,
die Schlachtung von Rindern muss es eine Möglichkeit                   was – solange die Einfuhr bzw. das Verbringen aus an-
der Fixierung geben, die bevorzugt stehend zu erfol-                   deren Staaten möglich ist – keine Einschränkung der
gen hat, aber auch eine liegende Fixierung wäre er-                    Religionsfreiheit darstellen muss, wie der EuGH zum
laubt. Der wichtigste Faktor für die Ermöglichung einer                Verbot des Schächtens in Belgien ausführte (EuGH
Schlachtung nach jüdischem Ritus ist die Zeit, denn                    2020). Noch ist nicht abzusehen, welche Länder dem
die Vorbereitung, die Schlachtung selbst und vor al-                   Beispiel Belgiens folgen werden, aber die Entwicklung
lem die folgende Fleischuntersuchung sind sehr zeit-                   der letzten Jahre lässt vermuten, dass es nur noch
intensiv. Deswegen ist die Schlachtung in großen, kon-                 eine Frage der Zeit ist, dass andere Mitgliedsstaaten
ventionellen Betrieben fast unmöglich bzw. wären die                   es Belgien gleichtun werden.
Kosten für die Produktion hier enorm. Ein Arbeiten                       Die aktuellen Bestrebungen Polens, den Export
ohne Zeitdruck muss möglich sein, um koscheres                         und den innergemeinschaftlichen Handel von
Fleisch mit der größten Sorgfalt gewinnen zu können.                   Koscherfleisch nicht mehr zu bewilligen (Polnisches
    Für die österreichischen Jüdinnen und Juden gibt es                Parlament       2020;     Parlamentarische     Anfrage
die Möglichkeit, heimisch produziertes Koscherfleisch                  E-001540/2021), werden die Bezugsmöglichkeiten
in eigenen Fleischereien zu erwerben, die allesamt in                  der österreichischen Jüdinnen und Juden noch wei-
Wien lokalisiert sind. Diese Form des Vertriebs stellt                 ter schmälern und, sollten sich andere Länder der
gleichzeitig die einzige Einkaufsoption von österreichi-               Europäischen Union dieser Maßnahme anschlie-
schen Fleischprodukten dar, denn das in Supermärkten                   ßen, eventuell verunmöglichen. Diese Möglichkeit
oder im Online-Handel erhältliche koschere Fleisch                     einer     „schleichenden“      Verschlechterung    der
ist Importware. Dabei ist es der jüdischen Gemeinde                    Versorgungssicherheit wird derzeit kaum thematisiert,
wichtig, die heimische Produktion zu fördern und auf-                  ebenso wie die Versorgung von Bevölkerungsgruppen
recht zu halten, da der lokale Markt ein Garant für                    mit religiös-kulturellen Ernährungsgewohnheiten in
Qualität darstellt, kontrollierbar auf die Einhaltung der              Krisensituationen (Brinkmann 2014).

                                                                10/12
Wiener Tierärztliche Monatsschrift – Veterinary Medicine Austria                                 109 (2022)

  Da sich die vorliegende Arbeit nicht thematisch mit                     Untersuchungen standhält, und es muss an dieser
der Tierschutzproblematik, die mit dem Schächten                          Stelle auf andere Arbeiten verwiesen werden, die in
einhergeht, auseinandersetzt, kann keine Aussage                          der Einleitung bereits Erwähnung fanden.
darüber getroffen werden, ob ein solches Verbot
einer sachlichen Prüfung durch wissenschaftliche

   Fazit für die Praxis
   Die aktuellen Entwicklungen in Europa bergen ein Spannungspotential zwischen Religionsfreiheit und dem
   steigenden allgemeinen Tierschutzbewusstsein, wo neben dem Wunsch nach besseren Haltungsbedingungen
   und einem respektvolleren Umgang mit den Tieren bei der Schlachtung auch die Schächtthematik immer wie-
   der in den Fokus rückt. Für die Angehörigen der jüdischen Religion und die damit einhergehenden Traditionen
   ist gerade das Schächten unverzichtbar für die Fleischgewinnung und somit essentiell für die Stillung der
   grundlegenden Ernährungsbedürfnisse. Die Rechtsprechung des EuGHs erlaubt nun den Mitgliedsstaaten
   das Verbot von betäubungslosen Schlachtungen, sofern Fleisch von betäubungslos geschlachteten Tieren aus
   anderen Staaten bezogen werden kann. Diese Möglichkeit wird schon von einigen EU-Staaten in Anspruch
   genommen, was Auswirkungen auf die Versorgungslage mit koscherem Fleisch haben kann und wird.
   Die heimische Produktion bietet derzeit die Möglichkeit, die jüdische Gemeinde Österreichs mit koscherem
   Fleisch zu versorgen, ausgenommen Rindfleisch, ist aber stark von der Bereitschaft der Schlachtbetriebe ab-
   hängig, Schlachtungen ohne vorangegangene Betäubung zu ermöglichen.

    Literatur                                                                den Weltreligionen. Wien Tierarztl Monat – Vet Med Austria.
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                                                                     11/12
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