Lebenswert. Familientaugliche Wohnungen - wessobrunner kreis e.V - statt Einfamilienhäuser - Wessobrunner ...
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Eine nachhaltige Baukultur schont Ressourcen, sorgt für sozial erschwinglichen Wohnraum und ein gesundes Umfeld. Kultur ist der Schlüssel.
VO R WO RT Der Wessobrunner Kreis. Seite 4 → EINFÜHRUNG Seite 10 Familientaugliche Wohnungen statt Einfamilienhäuser PROJEKTE Flächenfraß durch Einfamilienhäuser Alternative Wohnform zum Doppelhaus Gottfried Herz Seite 17 Mathias Rathke Seite 69 Familientaugliche Wohnungen Ohne Grund. statt Einfamilienhäuser! Überbauung von Gragenhöfen Dietfried Gruber Seite 33 Roger Mandl Seite 77 Aspekte energetischer Nachhaltigkeit Zusammenleben im ländlichen Raum Gudrun Krestel Seite 85 Fabian Wagner Seite 39 Nebenräume für jede Wohnung Einfamilienhaus+ in Mehrfamilienhäusern Sunder-Plassmann Architekten Seite 65 Franz Kargl Seite 91 IMPRESSUM Seite 94 →
Der Wessobrunner Kreis e.V. ist ein Forum für alle, die an Archi- Durch den vorliegenden Beitrag möchten wir in der aktuellen Dis- tektur interessiert sind. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, eine kussion um Wohnraum dazu beitragen, dass man gerade in Zeiten ebenso zeitgemäße wie zukunftsorientierte Stadt- und Umwelt- der Hochkonjunktur im Bau die Baukultur nicht aus den Augen planung und eine qualitätsvolle Architektur zu fördern. verliert. Die gebaute Wirklichkeit bestimmt noch über Jahrzehnte unsere Orte. Nachverdichtung und Veränderungen im ländlichen Sein Ziel ist, die allgemeine Raum an den Rändern der Großstädte sollen zu einem positiven Baukultur weiterzuentwickeln. Zusammenleben der Menschen führen. Die Voraussetzung für eine Baukultur ist die Bejahung und Aner- Weil es um unsere Identität und unser Leben geht. Nur Architek- kennung sorgfältiger Planung in der Öffentlichkeit. Sie wird von tur kann die Ordnung unseres Lebensraumes schaffen, d.h. der Architekten durch zwei Prozesse geleistet: durch die Imagination Wessobrunner Kreis befasst sich mit allen Fragen der Architektur, und die Verwandlung des Programms in Raum und Körper als des Städtebaus und der Landschaftsplanung. Das geschieht mit sinnlich wahrnehmbare Gestalt. Vorträgen, Ausstellungen, Diskussionen, Exkursionen und Öffent- lichkeitsarbeit in allen Medien, in Gesprächen mit Städten und Nur was sinnlich ist, macht Sinn. Gemeinden, Wirtschaftsverbänden und den Trägern öffentlicher Belange, um bewusst zu machen, dass Baukultur zu den Grund- Ihre geistige Vorwegnahme ist gebunden an die Konstruktion, die lagen einer Gesellschaft gehört, ohne die sie nicht lebensfähig ist. Entwicklung einer zweckentsprechenden Bauweise unter Aus- wahl der zur Verfügung stehenden Baustoffe und ihrer Anwen- dung auf der Grundlage der Naturgesetze. Die Durchdringung von Konstruktion und Imagination in der Planung stellt die schöpferi- sche Leistung des Architekten dar. Aus diesem Grund wurde Wessobrunn als symbolischer Ort der Rückbesinnung auf ein geistig-kulturelles Erbe gewählt. Zugleich liegt Wessobrunn in der Mitte der Landkreise Garmisch-Parten- kirchen, Weilheim-Schongau, Bad Tölz, Fürstenfeldbruck, Starn- berg und Landsberg, aus denen die Mitglieder kommen. Der Wessobrunner Kreis dankt dem FONDS für Nachhaltigkeits- kultur und dem Rat für NACHHALTIGE Entwicklung für die Un- terstützung und großzügige Förderung dieses Projektes. Ein persönlicher Dank gilt unserem Mitglied Dietfried Gruber, der das Projekt initiierte und dessen Ausdauer das Gelingen sicher- stellte. Benedikt Sunder-Plassmann 1. Vorsitzender Die Autoren verwenden für einen besseren Lesefluss das generische Maskulinum, dieses schließt die weibliche und diverse Bezeichnung mit ein und wird lediglich der besseren Lesbarkeit halber verwendet. 5
Taten für morgen. EIN MANIFEST Der Wessobrunner Kreis verfolgt dem Sinn nach dieselben Ziele, die auch in der Düsseldorfer Erklärung von 50 Stadtbauräten und Planungsdezernenten im Mai 2019 formuliert wurden. Unsere folgenden Forderungen gehen zum Teil weiter ins Detail: 1 3 Planungshoheit der Gemeinden Positive Dichte Gemeinden müssen ihre Möglichkeiten zur Begrenzung der stei- Auch in ländlichen Wohngebieten sind Mehrfamilienhäuser (ge- genden Baulandpreise ergreifen (z.B. Erbpacht) und selbst wieder mäß der Konzeption des Wessobrunner Kreises) bis zu vier Ge- Wohnraum mit gebundenen Mieten schaffen. Die Planungshoheit schossen zuzulassen. Kluge Nachverdichtung unter Beibehaltung lässt den Gemeinden darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten, des Bestands ist ökologisch sinnvoll. Bei bestehenden Bebauungs- in den Bauprozess und das Zusammenleben der Menschen einzu- plänen ist eine Nachverdichtung und der Ausbau von Dach- und greifen. Dies gilt es zu nutzen! Untergeschossen zu ermöglichen, wenn diese Räume ausreichend natürlich belichtet werden können. 2 4 Öffentlicher Raum Reduktion von Abstandsflächen Um den Wohngebieten wieder mehr urbanen oder dörflichen Cha- Abstandsflächen müssen reduziert werden. Besonders die seit- rakter zu geben, müssen engere Bauweisen zugelassen werden. lichen Abstandsflächen können auch bei großen Gebäudetiefen Nur damit können ansprechende öffentliche Räume mit dem An- sehr gering gehalten werden, wenn die Haupt-Orientierungsseite reiz zum Aufenthalt gestaltet werden. Die Einbindung von nicht einer Wohnung ausreichend mit Licht und Luft versorgt ist. Die störendem Gewerbe (Büros, kleine Läden, Cafés, Gaststätten) ist seitlichen Abstandsflächen sollten häufiger als öffentliche Fußwe- für ihre Belebung wichtig. Auch Supermärkte sollten nah ange- ge genutzt werden und eine autofreie Mobilität mit mehr persön- bunden werden, damit ein Einkauf zu Fuß wieder möglich wird. licher Begegnung zulassen. 6
5 8 Verkehr Raumplanung Die Priorität des privaten Autoverkehrs muss in Wohngebieten In Deutschland muss eine länderübergreifende Raumplanung eta- und zwischen den Subzentren aufgehoben werden. Das Radwe- bliert werden, um die Konzentration auf die Großstädte zu vermei- genetz ist auszubauen. Pedelecs und E-Bikes werden das Auto den und damit Ballungszentren entflochten werden können. als Fortbewegungsmittel für den Quell- und Zielverkehr im Bewe- gungsraum von bis zu 50 km ersetzen. Die Anzahl der PKW Stell- plätze sollte trotz Verdichtung nicht erhöht werden. Parkplätze 9 und Anlieferungswege zu den Gebäuden können in Siedlungen auch unter den öffentlichen Straßen und Wegen gebaut werden. Sie sollten möglichst viele seitlich offene Wände besitzen, um ihre Akzeptanz zu erhöhen. Damit werden die Straßen zu Fußgänger- und Radfahrerzonen. Flächen sparen Die Bauland-Statistik ist zu einseitig auf die Unterscheidung von Flächen für Natur, Landwirtschaft, Bauland und Verkehrswege ausgerichtet. Damit ein Bewusstsein für ein Flächensparen im 6 Bauwesen entstehen kann, müssen die bisher unter Bau- und Ver- kehrsflächen registrierten Daten differenziert werden in: Bebau- te Flächen (GR+ Abstandsflächen), Private Grünflächen (Gärten, Wasserflächen), öffentliche Grünflächen (Parks und Friedhöfe, Flüsse, Seen), Verkehrsflächen (nur die versiegelten) und Straßen- Bauwirtschaft begleit-Grünflächen. Als Baugrundstück sollte nur definiert wer- den, was die notwendige bebaute Fläche und die Abstandsflächen Die Bauindustrie soll das Konzept der variablen Grundrisse oder erfordern. Der Rest sind private Grünflächen. Die Nutzungsziffer nutzungsneutralen Räume aufnehmen und entwickeln, das Bau- der Grundflächenzahl (GRZ) muss an einem Höchstmaß orientiert recht muss sie fordern. So können Häuser sich später den Verän- werden, sie muss dazu auf die tatsächlich für den Bau erforder- derungen im Leben anpassen und müssen nicht abgerissen wer- lichen Grundstücksflächen bezogen werden, ohne die Gartenflä- den. Erhalt von Bausubstanz spart den Ausstoß von CO2. chen. Zufahrten sollten nur angerechnet werden, wenn sie einen zu hohen Flächenanteil beanspruchen. Die Höchstgrenzen für die Bebauungsdichte in der Baunutzungsverordnung (BauNVO) müs- sen somit auf einer neuen Logik aufgebaut werden. 7 10 Grünraum Gemeindefinanzierung Dach- und Fassadenflächen müssen intensiv begrünt werden und Die Finanzierung der Gemeinde erfolgt zum größten Teil über damit als ökologisch wertvolle Flächen als Ausgleich für den Ver- die Gewerbesteuer und führt damit zur Ausweisung von immer lust bzw. die Versiegelung durch die bebauten Flächen anerkannt neuen Gewerbegebieten, der Verarmung der Ortszentren und der werden. Für die vermehrte Begrünung von Dächern müssen mehr Zersiedelung der Landschaft. Als Gegenmaßnahme sollte ein neu- Flachdächer oder flache Pultdächer zugelassen werden. Es sollte er Schlüssel zur Verteilung der Gewerbesteuer und der Finanzie- gesetzlich geregelt werden, dass private Grünflächen, Parks, Fried- rung der Gemeindeausgaben gefunden werden. höfe und straßenbegleitende Grünflächen nach Maßgaben für ei- nen ökologischen Mehrwert zu gestalten und zu pflegen sind. 7
Familientaugliche Wohnungen statt Einfamilienhäuser Dietfried Gruber Der Wohnungsmarkt muss um ein zeitgemäßes Angebot für den Bedarf von Familien und Wohngemeinschaften erweitert werden. In Deutschland werden auf längere Sicht 400 000 zusätzliche Wohnungen pro Jahr gebraucht. Gleichzeitig besteht Einigkeit darüber, dass die weitere Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen in Bauland für Wohnen und Gewerbe eingeschränkt wer- den muss. Die Intensivierung der baulichen Nutzung innerhalb der Ortschaften ist ein wichtiger Schritt zur Reduzierung des Baulandbedarfs, jedoch ist nicht anzunehmen, dass dieser Wohn- raumbedarf ganz ohne Neuausweisungen bewältigt werden kann. EINLEITUNG 8
Was wir wollen genüber den Einfamilienhäusern in Form von Einzel- und Doppel- häusern. Die allgemeine Sorge gilt dem Erhalt der freien Landschaft. Mit den folgenden Beiträgen wollen wir Lösungen vorschla- Bisher haben Gemeinden, vor allem solche im „Speckgürtel“ der gen, mit denen der Baulandbedarf pro familientauglicher Metropolen, auf die stetig steigende Nachfrage nach Grundstü- Wohnung erheblich reduziert werden kann, sowohl bezüg- cken für Einfamilienhäuser mit der Ausweisung z.T. weit ausgrei- lich der Innnentwicklung, als auch der Neuausweisungen. fender Neubaugebiete mit lockerer Bebauung reagiert: Ortsränder Es muss eine neue Perspektive für Wohnkonzepte von Fami- fressen sich immer weiter in die Landschaft hinein. Dabei muss lien und andere Lebensdgemeinschaften entwickelt werden. auch einheimischen jungen Normalverdienern Wohnraum zur Aufgrund der rasanten Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt Verfügung gestellt werden. kann das Einfamilienhaus mit Garten nicht mehr als die optimale Unsere Konzepte für mehrgeschossigen Wohnungsbau mit fami- Wohnform betrachtet werden. Sie ist künftig weder ökonomisch lientauglichen Wohnungen von hoher Qualität können Familien noch ökologisch zu verantworten. Zwischen der 4-Zimmer-Woh- helfen, in ihren Städten, oder an deren Peripherie zu bleiben, an- nung und dem Einfamilienhaus klafft auf dem Markt eine Lücke, statt aufs Land zu ziehen; Flächen werden gespart, der Pendelver- die wir mit unserem Konzept schließen wollen. kehr kann reduziert werden. Insbesondere in der Nähe der Ballungsräume müssen angesichts Wir befassen uns vorrangig mit den Landregionen. Unsere Vor- des immensen Siedlungsdrucks immer neue Baugebiete erschlos- schläge sind aber auch für Städte hilfreich: wie unsere Zielgrup- sen werden. Der angestammten regionalen Bevölkerung bezahl- pe, die Pendlerfamilien, so wechseln auch unsere Ideen ständig baren Wohnraum zur Verfügung zu stellen wird gleichzeitig im- zwischen Stadt und Land. mer schwieriger. Wir entwickeln neue Entscheidungsgrundlagen und Konzepte für das Wohnen in Mehrfamilienhäusern, die weitgehend die Wohn- Die notwendige Innovation qualität des Einfamilienhauses bieten und manches darüber hin- aus. In herkömmlichen „familiengerechten“ Wohnungen fehlt es Auf dem Wohnungs- und Häusermarkt Deutschlands hat sich ein im Vergleich zum Einfamilienhaus meist an variabel nutzbaren sehr eingeschränkter Katalog etabliert: vom 1-Zimmer-Apartment Räumen. Über den eigentlichen Bedarf hinaus sollen Flächen für bis zur 4-Zimmer Wohnung, vom freistehenden Einfamilienhaus besondere Nutzungen bereit stehen: bis zum Reihenhaus. Dabei haben wir auch in Deutschland in der · Freiraum (Terrasse, Grünfläche) Zeit der Nachkriegsmoderne bis in die 70er-Jahre Konzepte des · Räume für Gäste verdichteten Wohnungs- bzw. Siedlungsbaus realisiert. Allein der · Räume für das Homeoffice Verweis darauf gilt manchen heute als Zumutung. · Räume für Hobbys Für diese Projekte wurden damals Bauträger tätig, deren Ruf mit- · Räume für Hauswirtschaft unter nicht der beste war. Vielfach stand Gewinnmaximierung im · Räume für private und gemeinschaftliche Veranstaltungen Vordergrund auf Kosten der Qualität in Planung und Bausubstanz. · Voraussetzungen für Gemeinschaftsaspekte Auch neue Konzepte sind entweder auf einen Bauträger oder auf Weiter fehlt es an einer sinnvollen Durchmischung der Wohnungs- organisierte Baugruppen angewiesen. Unter den professionellen größen. Unterschiedliche Lebensabschnitte und Lebensgemein- Bauherren sind heute zunehmend auch solche mit sozialer Ver- schaften führen zu unterschiedlichen Bedürfnissen hinsichtlich antwortung anzutreffen, die ihre Aufgabe als Dienst an den Men- der Wohnungsgrößen. Wir denken diese flexibel: Entsprechend schen verstehen. Dass dabei Kostendeckung und ein angemesse- der Lebensphase könnten die Bewohner in derselben Anlage zwi- ner Gewinn kalkuliert werden müssen, ist selbstverständlich. schen größeren und kleineren Einheiten wechseln. Auch Fragen Solchen Investoren, aber auch Städten und Gemeinden will der des Eigentums müssen neu in den Blick genommen werden. Wessobrunner Kreis mit seinen Beiträgen neue Wege für den Selbst für vermögende Wohnungssuchende ist es teilweise aus- Wohnungsbau aufzeigen. sichtslos, die gewünschte Wohnqualität zu finden und zu finan- Dennoch müssen wir zugestehen: radikal neue Konzepte sind im zieren. Das Einfamilienhaus ist von seinem Flächenverbrauch her Wohnungswesen kaum denkbar. Schon in der Antike gab es ef- ebenso wie finanziell in den meisten Fällen zu extensiv geworden. fiziente Stadtstrukturen. Eine vergleichbar intensive städtische Mit Blick auf diese Probleme machen wir in dieser Veröffentli- Raumnutzung können wir uns heute nicht mehr vorstellen. Eine chung Vorschläge, die das freistehende Einfamilienhaus als al- solche für die heutige Zeit zu übernehmen, darf deshalb als innova- leinige Zielvorstellung ablösen sollen und stattdessen familienat- tiver Schritt angesehen werden. Auch in der Nachkriegsmoderne traktive Alternativen vorstellen. hat man Gebäudetypen, wie Terrassenhäuser, Atriumsiedlungen und andere Formen des verdichteten Wohnungsbaus entwickelt, die aber später zugunsten freistehender Einfamilienhäuser, Dop- Unsere Zielgruppe pel- und Reihenhäuser in Vergessenheit geraten sind. Sie wurden in anderen Ländern weiter angewandt und perfektioniert, wie z.B. Warum befassen wir uns mit jenem Teil der Bevölkerung, der nach in der Schweiz, wo mit der Fläche zwischen den Bergen immer dem Einfamilienhaus strebt? Der Wirkungskreis der Autoren ist schon gehaushaltet werden musste. die südwestliche Region Münchens, das Hügelland mit Flüssen und Seen. Der Lebensstandard ist hoch und anspruchsvoll; selbst in abgelegenen bäuerlichen Dörfern führt der von München aus- gehende Siedlungsdruck zur Forderung nach mehr Bauland. Der mehrgeschossige Wohnungsbau ist hier bisher die Ausnahme ge- 9
Wie ist die Idealvorstellung Problem mit dem Landschaftsverbrauch entspringt also nicht der Tatsache, dass wir Raum für Wohnen und Arbeiten benötigen, vom Wohnen entstanden? sondern der Art und Weise, wie wir diesen Bedarf räumlich um- Das Haus im Grünen ist eine stetig von den Medien vermittelte setzen. Damit wir mit Fakten ehrlicher und transparenter umge- Vorstellung. In den Heften der Bausparkassen, Schöner Wohnen hen können, ist zu wünschen, dass in der öffentlichen Diskussion und vielen anderen Journalen, selbst in TV-Architektursendungen nur die tatsächlich von Bauwerken und Straßen beanspruchten wird mehr von Traumhäusern als von Traumwohnungen berichtet. Flächen als „versiegelte“ Flächen bezeichnet werden. Mit Zahlen, Diese seit der Nachkriegszeit einwirkende Berieselung hat dazu die Artfremdes enthalten, kann niemand ernsthaft argumentie- geführt, dass sich die Bilder im kollektiven Unterbewusstsein ver- ren. Auf anderen Gebieten ist in den statistischen Zahlen der Grad ankert haben. Um bei überholten Konzepten ein Umdenken zu an Differenzierung durchaus höher: Man unterscheidet aus gu- erreichen, ist ein enormer Aufwand an Information und Bewusst- ten Gründen Äpfeln und Birnen, Hunde und Katzen, warum also seinsbildung zu leisten. Deshalb ist es ganz besonders zu begrü- nicht auch bei der Landnutzung? Der Staat sollte außerdem for- ßen, wenn Institutionen wie der Fonds für Nachhaltigkeitskultur dern, dass Gärten, Straßenbegleitgrün, Parks etc. so gestaltet und und gleichzeitig viele andere Gruppierungen im Bau- und Pla- gepflegt werden, dass diese Flächen einen ökologischen Wert für nungswesen zur Teilnahme an Ideenwettbewerben auffordern, um Flora und aufweisen. Wenn man sich scheut, dafür Vorschriften Beiträge mit innovativen Ideen nicht nur von wissenschaftlichen zu erlassen, so sollten die obersten Behörden wenigstens klare Instituten, sondern auch von in der Praxis Tätigen zu erhalten. Wertmaßstäbe setzen, die von der Bevölkerung mehr und mehr akzeptiert werden können. Die Ausgangssituation Nur wenn allgemein bekannt ist, wie hoch der Versiegelungsgrad tatsächlich ist, kann überzeugend Einfluss genommen werden. 2018 scheiterte ein Aktionsbündnis der Partei Die Grünen und Wir weisen nach, dass es Möglichkeiten für Gebäude gibt, die bei dem Bund Naturschutz mit einem Antrag für das Volksbegehren gleicher Wohnqualität und Funktionalität mit 1/3 der Baulandflä- „Betonflut eindämmen“. Ziel des Antrags war es, eine Obergren- che auskommen. Unsinnig werden Berechnungen, die Grundstü- ze für den Flächenverbrauch in Bayern festzulegen, sowie den cke größer bemessen, als für ein Gebäude erforderlich ist. Wenn Landverbrauch für den Bau von Wohnungen, Gewerbegebieten in der Statistik die überschüssige Grundstücksfläche weiterhin als und Straßenbau auf 5 ha/Tag zu begrenzen. Obwohl deutlich Bauland gerechnet wird, brauchen wir uns nicht um flächenspa- mehr als die notwendigen Unterschriften zusammengekommen rendes Bauen bemühen. Man könnte eine neue Statistik einfüh- waren, stellte das bayerische Verfassungsgericht fest, das Bürger- ren und sie zur Unterscheidung zur früheren „Differenzierte Bau- begehren sei mit seinen Anforderungen nicht vereinbar mit der landstatistik“ nennen. Planungshoheit der Gemeinden. Diesem Misserfolg zum Trotz gilt es, weiter über Lösungsvarianten nachzudenken. Zunächst müssen die Begriffe „Landverbrauch“ und „Flächenfraß“ kritisch hinterfragt werden. Statistische Angaben aus Bayern Der eine Teil der Bevölkerung sorgt sich um den Landverbrauch, der andere Teil sagt, es sei genug Platz da! Alle drei Kategorien Siedlungsbau, Gewerbegebiete und Straßenbau zusammenge- nommen, – so argumentiert die letztere Gruppe – belegen in Bay- ern nur 12% der Landesfläche und selbst diese Areale seien nicht alle voll versiegelt. Nur etwa die Hälfte der genannten Flächen ist der Natur und der Landwirtschaft ganz entzogen, also nur 6% des Landes. Der Rest besteht aus öffentlichen Parks, privaten Gärten, straßenbegleitenden Grünflächen und Bahndämmen. Der Wert derartiger Grünflächen kann für die Lebensqualität von Städten nicht hoch genug eingeschätzt werden, so sorgen sie doch auch für eine Temperaturabsenkung und die Durchlüftung der Städte. Mittlerweile bieten die Straßenränder sogar mehr Lebensvielfalt als die Wiesen und Felder auf dem Land. Das Gros der Flächen in Bayern teilen sich die landwirtschaftli- chen Flächen (46,6%) und die Waldflächen (35,3%).2 Nicht die Siedlungs- und Verkehrsflächen stellen demnach das größte ökologische Problem dar, sondern die von konventioneller Land- wirtschaft genutzten Flächen: durch die Anwendung von Pesti- ziden und Düngemitteln sind diese für die Natur nahezu ebenso verloren wie die mit Gebäuden versiegelten Flächen. Auch wenn sie noch aussehen wie vermeintlich natürliche Landschaft. Das 10
Das Einfamilienhaus – Traum oder Albtraum? Fotos Leonard Mandl „Verunstaltung“ statt „Verbrauch“ gungen seiner Umgebung und seiner Mitmenschen als Maßstab respektieren. Es ist ambivalent: Auf Urlaubsreisen erfreuen wir In der Öffentlichkeit wird die Kritik an zu großem Landschafts- uns an der Schönheit alter Städte und Dörfer, weil sie öffentli- verbrauch ausschließlich mit Verweis auf den Flächenbedarf che Räume mit hoher Aufenthaltsqualität bieten; dabei ist die ei- geäußert, also quantitativ. Es heißt, mit 12,7% der Gesamtfläche gentliche Architektur meist schlicht, nur alltagstauglich, aber Teil Deutschlands für Siedlungsbau, Gewerbe, Industrie und Verkehr- eines Ensembles. Orte, die nach modernen Vorstellungen gebaut serschließung sei eine Grenze erreicht. sind, verlocken uns nicht zu einem genussorientierten Besuch. Ist „Landschaftsverbrauch“? Was kann das heißen? Können wir wirk- daran denn nichts zu ändern? lich unsere Landschaft „verbrauchen“? Oder benutzen wir nur ein anderes Wort für „verunstalten“? Seit der neolithischen Revolution, der Zeit als die Landwirtschaft Das Land zu bebauen ist nicht der Fehler erfunden wurde, verändert der Mensch das Land und greift in die Natur ein. Und besonders seit dem vergangenen Jahrhundert, in Der Bedarf an Wohnungen in den Ballungsgebieten ist enorm dem die Landwirtschaft industrielle Züge angenommen hat, müs- gestiegen. Soweit die Potentiale bestehender Baugebiete und von sen wir von einer Verringerung von Naturlandschaft sprechen. Nachverdichtungen ausgeschöpft sind, ist eine Neuausweisung Sogar von den ursprünglichen Wiesen, die in der Mitte des 20. unumgänglich, sie ist auch die Grundannahme für unsere weite- Jahrhunderts noch eine hohe Artenvielfalt aufwiesen, ist heute ren Vorschläge. meist nur noch eine Futtergras-Steppe übrig, die im Dienst einer Auch der Bau der alten Städte und Dörfer bedeutete „Landver- hypertrophen Tierhaltung ständig überdüngt wird. Im allgemei- brauch“. Entstanden sind baukulturelle Werte, die heute niemand nen Sprachgebrauch werden diese Nutzflächen trotzdem dem Na- missen möchte. Der Fehler ist nicht, das Land zu bebauen, viel- turraum zugerechnet. mehr scheinen wir heute nicht in der Lage zu sein, eine gleich- wertige städtebauliche und architektonische Qualität mit zeitge- mäßen Mitteln umzusetzen, wie wir sie aus der Vergangenheit Die Ursachen der Flächenausbreitung vorfinden. Wir brauchen neue Konzepte für flächensparendes Bauen, verbunden mit dem ernsten Bemühen, auch in der Wohn- Bei der Baulandproblematik handelt es sich im Kern um etwas architektur wieder bleibende kulturelle Werte zu schaffen; dann anderes: Wir haben die Umwandlung von bisher landwirtschaftli- könnte man sogar von kultureller Nachhaltigkeit sprechen. chen Flächen zu Bauland in den vergangenen Jahrzehnten durch Mit unserer Studie wollen wir das quantitative Potential der Flä- die eindeutig bevorzugte „offene Bebauung“ mit Einzelhäusern, cheneinsparung belegen, aber auch die Möglichkeit städtebauli- betrieben. Dabei zeigt sich ein eklatanter Mangel an Gestal- cher, sozialer, und wirtschaftlicher Qualitäten neuer Konzepte für tungskultur. Dass unsere Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, „familientaugliches Bauen von Wohnungen“ aufzeigen. Siedlungsformen hervorzubringen, wie sie mit ihrer Geschlos- senheit und Dichte seit Jahrhunderten selbstverständlich waren, ist schwer nachvollziehbar. Ein Faktor bei dieser Verarmung ist die Vorstellung und die Folge von der autogerechten Stadt. Hin- zu kommt eine zunehmende Individualisierung beim Planen und Bauen: jeder einzelne Bauherr will vor allem frei entscheiden können, will am liebsten alleine handeln, will weniger die Bedin- 11
Anteil der fertiggestellten Wo 60 % 50 % 40 % 78 % 80 % 69 % 73 % 67 % 64 % 66 % 66 % 67 % 66 % 30 % 58 % 58 % 59 % 63 % 56 % 51 % 20 % 10 % 0% 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 gedacht werden, die etwa zwischen Realeigentum und Erbpacht Wohnungen in Mehrfamilienhäusern Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern Datengrundlage: INKAR-Datenbank, BBSR; Darstellung Quaestio liegen könnten. Durch die Möglichkeit, Räume gemeinschaftlich zu nutzen, kann teilweise an der Größe der einzelnen Wohnung Abbildung 9: Wohnungen der Neubaujahrgänge 2009 bis 2011 nach Gebäudegrößen und BBSR-Kreistypen gespart werden. (s. Beiträge Fabian Wagner, Gottfried Herz) 100 % 90 % 5,6 % 6,1 % 4,1 % 7,1 % 6,7 % Wie kann man der Grundstücks-Preissteigerung entgegentreten? 10,2 % 24,4 % 10,6 % 12,2 % Unsere Konzepte zur Flächeneinsparung beim Bau von Einfami- Anteil am zwischen 2009 und 2011 gebauten 80 % 70 % 14,6 % 14,6 % 15,1 % lienhäusern wirken einwandfrei im Sinn von Nachhaltigkeit in ökologischer Hinsicht. Der Flächenbedarf kann um bis zu 2/3 Wohnungsbestand 13,0 % 24,2 % 60 % 50 % 13,4 % sinken. Aber es sind weitere Schritte nötig, denn es soll auch 40 % 5,3 % die Begrenzung der Grundstückskosten gelingen. Grundstücks- 30 % 63,2 % 62,0 % 20 % 55,1 % verkäufer und Bauträger berechnen derzeit Grundstückspreise 10 % 32,6 % nach dem Marktwert pro Quadratmeter erzielbarer Wohnfläche. 0% Der Grundstücksanteil am Gesamtpreis steigt gemeinhin mit der dünn besiedelter Ländlicher Kreis mit Städtischer Kreis Kreisfreie Großstadt ländlicher Kreis Verdichtungsansätzen Intensivierung des Baurechts. Unsere Initiative, die eine höhere Einfamilienhäuser Zweifamilienhäuser 3-6 Wohnungen 7-12 Wohnungen mehr als 12 Wohnungen Nutzung der Grundstücke fordert, würde also glatt ins Leere ge- Datengrundlage: Zensus 2011; Darstellung: Quaestio hen. Möglichkeiten, die Kosten der Grundstücksanteile zu begren- zen, liegen in den Händen der Gemeinden. Die obige Grafik zeigt, welchen enormen Anteil der Bau von Wir fordern einen Sinneswandel in den Gemeinderäten und bei Ein- und Zweifamilienhäusern vor allem im Umland von Städten den Bürgerinnen und Bürgern: Es darf nicht mehr darum gehen, einnimmt und auf lange Sicht einnehmen wird. Diese 76% verun- die Bebauungsdichte von Baugrundstücken möglichst gering zu stalten die Landschaft in den Randbereichen. Weiteres maßloses halten. Ein möglicher Lösungsansatz gegen den steten Anstieg Wuchern von Siedlungsflächen muss verhindert und das unver- der Grundstückspreise: Eine Gemeinde könnte im Falle eines sich meidbare Wachstum in andere Bahnen gelenkt werden. abzeichnenden neuen Bauvorhabens auf einem Baugrundstück Der Anstieg der Immobilienpreise in den Großstädten und deren z.B. für Einfamilien- und Doppelhäuser eigeninitiativ ein Verfah- Umland fällt zeitlich mit dem Verfall der Kapitalzinsen zusam- ren zur Errhöhung des Baurechts beginnen, mit dem Ziel, anstatt men. Ein nicht geringer Teil der in den 80er Jahren Geborenen z.B. zwei herkömmliche freistehende Einfamilien-Häuser auf 830 ist beruflich erfolgreich, möchte ggf. eine Familie gründen und m2 zu errichten, vier gleichwertige, familientaugliche Wohnungen schaut sich nach dem eigenen Haus um. Das kann ein Reihen- in terrassierter Form zuzulassen. Das heißt, die GRZ (Grundflä- haus oder eine Doppelhaushälfte sein, idealerweise ist es aber das chenzahl) würde erhöht werden. (Die Erhöhung auf das 2,75-fa- freistehende Einfamilienhaus, möglichst mit einem Garten, auf ei- che resultiert aus der Tatsache, dass Nebenräume für Wohnun- nem 500 qm-Grundstück. gen in Erd- und Oberschossen untergebracht werden müssen und nicht wie bei Einfamilienhäusern im Keller.) Kostenrelationen Ein Beispiel: Vorgehensweise bei einem Grundstück mit beste- hendem Baurecht. Wir hören schon den Einwand: der Bau von Wohnungen in Mehr- Damit der Grundstückswert durch die Baurechtserhöhung nicht familienhäusern mit zusätzlichen besonderen Räumen und gro- um das 2,7-fache steigt, kann die Gemeinde per Vertrag und ßen Terrassen, also solche mit Einfamilienhausqualitäten, wür- Grundbucheintragung zur Bedingung machen, dass die Bau- de zu erhöhten Baukosten führen. Dem ist entgegen zu halten, rechtsmehrung zum Teil oder ganz ohne Wertsteigerung für den dass der Bau von Einfamilienhäusern weit höhere Gesamtkosten Eigentümer erfolgt. Der Vorteil könnte entweder allen oder nur erzeugt. Diese relativ hohen Kosten, vor allem bei hohen Grund- den hinzugewonnenen Wohnungen zugutekommen, indem der stückspreisen, bestehen darin, dass Einzelbauvorhaben erfah- Grundstücksanteil an den Kauf- oder Mietpreisen nur aufgrund rungsgemäß deutlich höhere Baukosten gemessen am umbauten des ursprünglichen Wertes berechnet werden darf. Der Gemeinde Raum verursachen als größere Bauvolumina. Große Bauvorhaben müssen entsprechende Sanktionsmittel bei Zuwiderhandlungen lassen sich wirtschaftlicher durchführen als kleine. Bei der Mehr- ermöglicht werden. Dieses Vorgehen kann also wie ein Einheimi- geschossigkeit fällt der Aufwand für Fundierung und Bedachung, schen-Wohnbaumodell bei bereits bestehenden Baugrundstücken Ver- und Entsorgungsanschlüsse nur einmal an. Ein weiterer gesehen werden. Die Käufer der Wohnungen kommen in den Ge- Beitrag zur Nachhaltigkeit besteht im geringeren Anteil der Ge- nuss geringerer Grundstückskosten pro Wohnung, die Bauträger bäudehüllflächen und der damit verbundenen Verbesserung der oder Bauherren haben den Vorteil, mehr Wohnfläche verkaufen energetischen Effizienz. (s. Beitrag Gudrun Krestel) oder vermieten zu können; am Grundstück gewinnen sie nichts mehr. Bei einem Weiterverkauf von Wohnungen ist immer der Bei der Erschließung von Einfamilienhausgebieten wird die All- Grundstücksanteil des Verkaufspreises unverändert und getrennt gemeinheit mit Ausbau und Unterhalt der flächenintensiven In- von der Bausubstanz auszuweisen. frastruktur belastet. Bei der Realisierung von Konzepten für ver- Bei der Entwicklung neuer Baugebiete könnte eine Gemeinde dichteten Wohnungsbau werden mehrere Einheiten auf einem ähnlich vorgehen, indem sie per städtebaulichem Vertrag und Grundstück verwirklicht, sodass der Grundstücks- und Erschlie- Grundbucheintragung den Grundstückswert festlegt. Auch für ßungsanteil pro Wohnung proportional sinkt. Beim Aspekt der Fi- die Gemeinde und nicht zuletzt für die Allgemeinheit sind damit nanzierung darf auch an die Konzeption neuer Eigentumsformen Vorteile verbunden: ein höherer Anteil an der Grundsteuer (nach 12
Effizienzhaus Plus-EFH-Siedlung in Hügelshart bei Augsburg. Foto: Eckhart Matthäus für asset gmbh bisheriger Regelung), da die doppelte Bausubstanz verwirklicht an einer bestimmten Stelle, einer Stadt oder Gemeinde geplant wird; der Kommune kommt außerdem zugute, dass sie auf dersel- und gebaut wird, wird in den meisten Fällen den Bauwilligen ben Grundstücksfläche (beim selben „Grundstücksverbrauch“) die überlassen: Privatpersonen, Bauträgergesellschaften oder ande- doppelte Zahl an steuerzahlenden Neubürgern gewinnt. Nimmt ren Unternehmen. Vom Zufall abhängende Marktmechanismen sich eine Baugemeinschaft des Projektes an, so würde die Gemein- entscheiden darüber, welche Entwicklungen auf dem Gebiet einer de um eine kooperative Gruppe aus meist jungen Familien beste- Gemeinde vorangetrieben werden. Oft hängt die städtebauliche hend bereichert: ein sozialer Gewinn für die Ortsgemeinschaft. Entwicklung vom Wunsch eines einzelnen Grundeigentümers ab. Eine weitere Möglichkeit: Die bewährten Verfahren bei Einheimi- Die Planungshoheit der Gemeinden ist ein hohes Gut der schen-Modellen stehen weiterhin zur Verfügung. Bisher haben Demokratie. In der Regel, auch aufgrund der selten fachlich Gemeinden solche Grundstücke nur an langjährige Einwohner besetzten Gemeinderäte, werden ihre Beschlüsse aber von der Gemeinde vergeben. Dies ist aber nicht zwingend vorgeschrie- pauschalen Vorstellungen beherrscht: man orientiert sich am ben. Eine Gemeinde kann damit auch das Bevölkerungswachstum Gewohnten. Entscheidungsgrundlage ist das, was schon immer fördern, wie es in vielen Gegenden Deutschlands erforderlich ist. so war. Solches Vorgehen führt zuweilen zu brauchbaren Er- gebnissen. Wenn es aber, wie jetzt, darum geht, dass das Versa- gen des „Marktes“ eingestanden werden muss und Innovation Der Markt kann nicht alles regeln nötig ist, dann steht man mit leeren Händen da. Mehrheitlich wird die Meinung vertreten, die Kräfte des Marktes würden alles für ihre gute Entwicklung von alleine hervorbringen. Was getan werden muss – Wohnungen Die in wenigen Jahren eingetretene enorme Wohnungsnot macht mit Einfamilienhausqualität entwickeln aber deutlich, dass es weiterer Anstöße zu Innovationen bedarf, die allein von Angebot und Nachfrage nicht hervorgebracht wer- den können. Ein Bauleitplanungs-Verfahren ist nötig, wenn ein Folglich muss eine Lösung für beide Engpässe gefunden werden: neues Baugebiet ausgewiesen werden soll; ein vielschichtiges, Auf bebaubaren Grundstücken muss mehr Wohnfläche geschaf- langwieriges Verfahren, bei dem das Wichtigste häufig dem Zufall fen werden. Gleichzeitig müssen die permanenten Preissteigerun- überlassen bleibt, nämlich die Entscheidung zu den Inhalten der gen gestoppt werden. Wohnungswirtschaft, Gemeinden, Geneh- Planung. Was soll überhaupt gebaut werden, was wird gebraucht? migungsbehörden und Architekten müssen neue Lösungen für Bei städtebaulichen Wettbewerben, die für umfangreichere Vorha- einen verdichteten Wohnungsbau schaffen. ben ausgeschrieben werden, sind Planungsinhalte als Ziele vor- Da die Idealvorstellung weiterhin mit dem Einfamilienhaus be- gegeben. Wie kommt es aber zu diesen? Welches Bauprogramm setzt ist, kann das Angebot an herkömmlichen 4- oder 5-Zim- 13
mer-Wohnungen diesen nicht entsprechen. Die Etagenwohnung sischen Motivation für das Lernen, Arbeiten und Selbstständig- für die Standard-Familie mit 2 Kindern, die auch Nebenräume für werden. Es kann zur Existenzgrundlage wachsender Großfamilien nicht vorab definierte Nutzungen und zusätzlich angemessenen werden. Auch familientaugliche Wohnungen sollten Raum für sol- Freiraum mit eigenem Mini-Garten auf der Terrasse bietet, exis- che Möglichkeiten bieten. Man darf die Welt der Kinder nicht auf tiert derzeit nicht (bei Objekten des Häusermarkts finden sich sol- ihren Laptop reduzieren. Für all das ist ausreichender Platz in der che Nebenräume im Keller- oder Dachgeschoss). Wohnung notwendig. An Wohnungen mit Einfamilienhausqualität hat man in Deutsch- In einem Einfamilienhaus ist meistens genug Platz, um zu Hause land bisher zu selten gedacht. Wir wollen grundsätzliche Impulse Feste zu feiern. Diese fördern den Kontakt und Zusammenhalt mit für die Bauwirtschaft und unsere Architektenkollegen geben, die der Großfamilie. Solche Vorstellungen sind von hohem Wert für zur Entwicklung neuer Wohnungstypen führen. Die nachfolgen- die Menschen, geht es doch auch um Heimat, Geborgenheit und den Beispiele sind vorerst Konzepte. In der Praxis müssen sie Innehalten. Familien, die sich mit ihrem Haus oder ihrer Woh- weiter ausgearbeitet, geprüft und um Varianten erweitert werden. nung glücklich schätzen, verspüren weit seltener den Drang, jede Minute ihrer Freizeit mit Ausflügen ins Grüne zu verbringen, als solche, die beengt oder in lärmiger Umgebung wohnen. Die mög- Warum an Familien gedacht werden muss liche Verringerung des Ausflugsverkehrs ist ein weiterer Aspekt von Nachhaltigkeit in Wohnungsbau und Stadtplanung. Das Konstrukt „Familie“ wird heute gerne als überholt verstan- Der Volkswirt Prof. Niko Paech hat eine neue Wirtschaftsweise den. Die Formen des Zusammenlebens haben sich diversifiziert. entworfen, die „Postwachstumsökonomie“6, mit der er vorschlägt, Die Statistik spricht deshalb von „Mehrpersonenhaushalten“, die den sinnlosen Konsum und Ressourcenverbrauch durch Selberma- 58%5 aller Haushalte ausmachen. Wir beziehen uns auf solche, chen, Reparieren und Wiederverwenden einzudämmen. Wohnun- die auf Dauer angelegt sind. Es geht um mehr, als den Beteilig- gen mit Räumen für solche Aktivitäten bieten also auch von seiner ten ein Dach über dem Kopf zu geben, ihnen in knapp bemes- Theorie her einen Beitrag zur ökonomischen Nachhaltigkeit. senen Wohnungen die Möglichkeit zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft zu ermöglichen und sie als Teilnehmer der Konsum- gesellschaft bei Laune zu halten. Menschen verändern sich im Zu- Gibt es ein Recht auf Zuzug in Ballungszentren? sammenleben, sie werden Eltern, manche verbringen eine ganze Lebensspanne miteinander, andere nur eine kurze, sie haben Be- Die steigende Zahl von Wohnungssuchenden in Städten wächst ziehungen zur Nachbarschaft, sie sind Teil eines Quartiers, einer weltweit und erzeugt Druck. Bald sollen bis zu 70% der Weltbevöl- Dorfgemeinschaft. Nicht nur Berufe prägen das Leben, sondern kerung in Städten wohnen. Ein allgemeines Recht, in Großstädten auch Ehrenämter und Vereine. Die Menschen haben Hobbys, sie zu wohnen, gibt es nicht. Für unsere Verhältnisse in Deutschland arbeiten auch von zu Hause aus und vieles mehr. Für die meisten bedeutet dies, dass die Entwicklung nicht allein dem lokalen Themen reichen herkömmliche Etagenwohnungen aus. Sobald Markt überlassen werden darf. Vielmehr ist eine länderübergrei- aber Kinder hinzukommen, wird größer geplant. fende Raumplanung erforderlich, um einen Ausgleich zwischen Von Beginn ihres Berufslebens an haben die Autorinnen und Au- übervölkerten Großstädten und zu dünn besiedelten Landregionen toren dieser Broschüre als Architekten Erfahrungen mit der vor- herzustellen. Eine bundesweite Raumplanung könnte Arbeitsplät- teilhaften vielfältigen Nutzung von Einfamilienhäusern gemacht. ze in entwicklungsfähigen Gegenden fördern. Wenn es notwendig Eine variable Nutzung von Räumen muss auch in familientaugli- wird, müssen auch in unserem Land neue Städte mit Arbeitsplät- chen Wohnungen möglich sein. Wir wollen Neues schaffen. Viele zen und Wohnsiedlungen nach neuen städtebaulichen Grundsät- Architekten von Einfamilienhäusern sind bereit, dafür über ihr zen der Funktionsmischung gegründet werden. Idealerweise soll- bisheriges Tätigkeitsfeld hinauszugehen. ten dies Klein- und Mittelstädte sein. Das sollten wir schaffen! Warum große Wohnungen anbieten? Was wir ändern müssen Besonders Kinder brauchen Platz für die Entwicklung von Inte- Die Initiatoren und die Planer künftiger Wohngebiete in Klein- ressen, die über das Schulische hinausgehen. Dafür reichen die städten und Dörfern müssen die bisherigen Glaubenssätze für Möglichkeiten außer Haus, in Sportvereinen, schulischen und pri- „landschaftsgerechtes Bauen“ über Bord werfen. Dieser Begriff vaten Zusatzkursen nicht aus. Geeignete Räume in der Wohnung stammt aus den 70er Jahren, als man die zeitgenössische Archi- bieten demgegenüber Vorteile: Man denke an die Entwicklung tektur für inkompatibel mit dem ländlichen Raum erklärte. Rote handwerklicher Fähigkeiten, das Experimentieren, das Erfor- Satteldächer über zweigeschossigen Gebäuden mit Sprossen- schen von Naturphänomenen, an künstlerische und musikalische fenstern und Fensterläden fand man für Bayern passend. Mehr- Talente. geschossige städtische Wohnformen wurden als unzumutbar für Verallgemeinernd versteht man auf dem Wohnungsmarkt eine Fa- Landgemeinden erachtet. Das bäuerliche Anwesen galt als Maß- milie als eine Gruppe arbeitender, erwachsener Konsumenten mit stab für alle ländlichen Wohngebäude. wenigen Kindern, die mit einer 3-4 Zimmer-Wohnung mit klei- nem Balkon ausreichend versorgt ist. Ein „Haus“ aber bietet eine weitaus vielfältigere Art des Zusammenlebens von Erwachsenen und Kindern. Ein Haus ist auf die dauerhafte Entwicklung seiner Bewohner angelegt. Es bietet Raum für das Entstehen einer intrin- 14
Mehr als nur zwei Geschosse zulassen Die Dominanz des Autoverkehrs brechen An drei- und viergeschossige Wohngebäude wird man sich auch in Die Entwicklung zur „Unwirtlichkeit der Städte“ (Alexander Mit- Kleinstädten und Dörfern gewöhnen müssen. Dies ist ein wesentli- scherlich) hatte als Hauptursache die Forderung nach der „auto- cher Faktor auf dem Weg zum bezahlbaren Wohnen auf dem Land. gerechten Stadt“. Sie kam in den 60er Jahren nicht zuletzt durch amerikanische Vorbilder auf. Die öffentliche Meinung entschied sich schon bald gegen ein städtebauliches Konzept „à la Los Ange- Engere Bauweisen les“. Doch die Planungsgrundsätze haben sich bis zum heutigen Tag weiter in diese Richtung entwickelt. Wohnquartiere der Zu- Die seit Jahrzehnten gültigen Abstandsflächen müssen reduziert kunft müssen den Autoverkehr zurückdrängen. Die zunehmende werden. Historische Orte sind durch enge Räume, im Wechsel mit Infragestellung der Mobilität mit fossilen Energiequellen wirkt großzügigen Plätzen gekennzeichnet. Ein erster positiver Schritt sich positiv auf städtebauliche Konzeptionen aus. Die Bevorzu- ist die Einführung der „urbanen Gebiete“ (MU) in der Baunut- gung von Fahrrad, E-Bike, Carsharing-Modellen und die Entwick- zungsverordnung (BauNVO). So sollten zwischen Gebäuden Fuß- lung von elektrischen Kleinstfahrzeugen kann eine Entlastung gänger-Gassen mit minimal 3 bis 4 m Breite zugelassen werden, bewirken. Das Thema Tiefgaragen, Stellplätze und konsequen- auch wenn sich an den Fassaden gegenüberliegende Fenster be- te Erschließung durch den Autoverkehr stellen wir aus diesem finden. Quer zu den Erschließungsstraßen verlaufende Fußwege Grund bei unseren Betrachtungen hintenan. erzeugen in einem Baugebiet eine menschenfreundliche Struktur. Beim Bau von terrassierten Gebäuden kommt es wegen der Verset- zung der Geschosse insgesamt zu einer die 16 m überschreitende Wohnen und Arbeiten wieder verbinden Gebäudetiefe, obwohl jede Etage für sich genommen weniger als 16 m Bautiefe aufweisen kann. Also muss das z.B. in Bayern gel- Die Beschlüsse des CIAM Kongresses 1933 gelten in der öffentli- tende 16 m-Privileg mit der halben Abstandsfläche wenigstens für chen Meinung als eine der Ursachen für den heutigen mangelhaf- terrassierte Gebäude für unbegrenzte Bautiefen gelten und soll- ten Zustand der Städte. Der Originaltext dieser international aner- te noch weiter unterschritten werden können. Die Verringerung kannten Regeln sieht allerdings lediglich die strikte Trennung von der Abstandsflächen sollte wenigstens bei den seitlichen Grund- Wohnen und Arbeiten einerseits und der Industrie andererseits stücksgrenzen erfolgen. vor. Handwerksbetriebe und wohl auch Geschäfte wurden damals weiterhin als geeignete Bestandteile der Innenstädte aufgefasst. Die Planungspraxis hat aber im Lauf der Zeit dazu geführt, dass Grundflächenzahl hoch ausnützen wegen des Parkplatzbedarfs Einkaufsviertel und auch nicht stö- rendes Gewerbe abseits von Wohnvierteln zu planen waren. Was Eine Änderung der BauNVO aus den 90er Jahren bestimmt, dass wir heute brauchen, ist wieder eine deutliche Vernetzung von die bebaute, bzw. versiegelte Fläche eines Grundstücks als we- Wohnen, Einkaufen und immissionsarmen Arbeitsplätzen bzw. sentliches Entscheidungskriterium für die Bebaubarkeit eines Bürobetrieben. Nur damit können die negativen Auswirkungen Grundstücks gilt. Das Baurecht hat sich mit dem Ziel, die versie- der städtebaulichen Ideologie der Funktionstrennung des 20. gelten Flächen zugunsten eines durchlässigen Bodens gering zu Jahrhunderts überwunden werden. halten, darauf versteift, die GRZ (Grundflächenzahlen = %-Anteil der überbauten Fläche eines Grundstücks) möglichst niedrig zu halten, mit einer Maximalgrenze von 0,8. Diese Entscheidung war Die Wohnung stets verändern können ein wesentlicher Beitrag zur Steigerung des Flächenbedarfs. Die Architektenschaft hatte in der Folge kein Motiv für flächenspa- Mit einer durchdachten Mischung von familientauglichen Woh- rende Bauweisen mehr. Nachhaltiges Bauen fordert einen hohen nungen mit kleineren, 2-3-Zimmer-Wohnungen können gesell- GRZ-Wert. Man sollte sich auch von der Regelung verabschieden, schaftliche Veränderungen berücksichtigt werden. Junge Men- dass erdgeschossige Terrassen der GRZ zugerechnet werden müs- schen, die häufig auf Reisen sind, können in solchen Anlagen sen. Ob Regenwasser auf Grasnarbe fällt und dort versickert, oder zuerst kleine Wohnungen beziehen und später, wenn sie Familie das Wasser einer Terrassenfläche an einem Punkt gefasst zur Ver- planen, in große wechseln. Umgekehrt können sich ältere Paare sickerung gebracht wird, ist für den Grundwasserhaushalt nicht nach der Familienphase wieder verkleinern. (s. Beiträge Mathias entscheidend. Rathke und Gottfried Herz) Das Höhenbezugssystem Akzeptanz Als Bezugsebene für Höhenangaben von Wänden bzw. Abstands- Neuerungen stoßen oft auf Ablehnung, die Gesellschaft verharrt flächen wird baurechtlich strikt das „ursprüngliche Gelände“ meist im Gewohnten. Wie soll es im Fall unserer Vorschläge an- definiert, ungeachtet, dass dieses mit dem Bau gesetzeskonform ders sein? Wir müssen uns klar sein über die Probleme, die im auch verändert werden darf. Diese Regelung erschwert die Pla- Bereich des Wohnens für die Gesellschaft inzwischen entstanden nung von Gebäuden ganz erheblich. Eindeutiger wäre es, eine sind. Jeder Entscheider, ob Politiker, Gemeinderat, Bauträger oder Erdgeschoss-Höhenlage zu definieren und sich mit allen Höhe- privater Bauherr, ist in der Lage, an den Missständen eine Klei- nentwicklungen darauf beziehen zu können. nigkeit zu verbessern. Statt ein „weiter so, wie immer“, kann sich 15
jeder über zur Verfügung stehende Alternativen Gedanken ma- Zum Schluss chen. Im Sinne einer gemeinsamen Verantwortung ist es leichter, seine persönlichen Vorlieben und Vorteile in den Hintergrund zu Das Einfamilienhaus ist für viele Bauwillige der Traum der Frei- stellen und zugunsten der Allgemeinheit eine bessere Lösung für heit von Abhängigkeiten und Fremdbestimmung. Mit dem Bau die Zukunft zu wählen. eines Familienhauses nach sehr persönlichen Vorstellungen lässt Robert Habeck beschreibt in seinem Buch „Wer wagt, beginnt“7, sich dieser Traum zu einem großen Teil verwirklichen. Die freie wie er als ‚Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt Entscheidung der Bauherren muss sich nicht dem Willen anderer und ländliche Räume‘ erreicht hat, dass für die sehr unpopuläre unterordnen. Stromtrasse von den Offshore-Parks nach Süden ein Einverneh- Doch zum großen Teil ist diese Freiheit eine Illusion. Wie in den men mit den betroffenen Gemeinden ausgehandelt werden konn- nächtlichen Träumen, so sind auch bei Tagträumen viele irrati- te. Er organisierte mit vielen Mitarbeitern einen Dialog mit den onale Vorstellungen beteiligt. Was für den Einzelnen paradie- Betroffenen, alle Einwendungen fanden Gehör, lokale Alternati- sisch wirkt, führt in der Masse zum Albtraum. Menschen sind ven wurden vorgeschlagen. So gewannen sie mit der ehrlichen immer aufeinander angewiesen, Familien brauchen andere zum Darstellung der Konflikte und dem Hinweis auf die dringende Austausch, Kinder brauchen andere Kinder für das Sammeln von Notwendigkeit der Baumaßnahme das Vertrauen der örtlichen Erfahrungen, und alle brauchen Orte für das Zusammentreffen. Entscheidungsträger. Diese waren schließlich bereit, die Verant- In einer familientauglichen Wohnung, die Teil eines Mehrfami- wortung für andere zu übernehmen, für das größere Ziel einzu- lienhauses ist, sollte dennoch so viel wie möglich von diesem stehen und sich nicht nur um die eigenen Belange zu kümmern. Traum der Freiheit verwirklicht werden können. Dies beginnt Ähnliche dialogorientierte Prozesse werden auch erforderlich damit, Grundrissgestaltungen über den gesamten Lebenszyklus sein, um z.B. in Landgemeinden die Zustimmung zu einer ande- des Gebäudes variieren zu können und muss sich in der Wahl un- ren Art von Wohnungsbau zu erreichen. Die Problemlage ist dabei terschiedlicher Fassaden-Materialien nicht erschöpfen. Gebäude nicht so kritisch, wie im obigen Beispiel, denn Vor- und Nachteile zu entwerfen, die nach Wohnung unterscheidbare Fassaden auf- betreffen in diesem Fall jeweils nur die eigene Gemeinde. weisen ohne wie eine beliebige Gestaltung zu wirken, das ist eine Habeck spricht davon, „dass es nicht reicht, zu wissen, was man Herausforderung für künftige Architektengenerationen. Auf diese nicht will. Die Summe aus Einzelinteressen bringt keine Lösung. Nö- Weise können abwechslungsreiche, lebendige Quartiere mit fami- tig ist eine Verständigung auf ein Konzept. Eine Gemeinschaft kann lientauglichen Wohnungen entstehen, mit denen ihre Bewohner so gestaltet werden, dass sie nicht im Widerspruch zu persönlichen sich identifizieren können und die Besucher gerne und interes- Interessen steht.“ siert erleben. Beim Bauen geht es also darum, ein Gesamtkonzept aufzustellen, das genug Raum für individuelle Bedürfnisse bietet. Zuerst das Gemeinsame, dann die persönliche Anpassung und Abweichung. Dietfried Gruber Dann bietet Gemeinschaft auch einen Gewinn für den Einzelnen: Kontakt zu Mitmenschen, Kooperation, Entfaltung gemeinsamer Interessen, z.B. die Freude an der Entwicklung eines ökologisch sinnvollen Lebens, nicht zuletzt auch positive soziale Kontrolle. Quellen 1 „So werden in Bayern Flächen geschont – Eine Richtschnur im Wohnungs- und Städte- bau“ www.bauen.bayern.de 2018, Herausgeber Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr 2 Siehe: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft- Forstwirtschaft-Fischerei/Flaechennutzung/_inhalt.html#sprg238410 3 Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form benutzt. Sämtliche Bezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. 4 Aus „Aktuelle Trends der Wohnungsbautätigkeit in Deutschland – Wer baut welche Wohnungen?“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, (BBSR) 2017 5 DESTATIS, haushalte-familien-2010300187005 6 https://de.wikipedia.org/wiki/Niko_Paech 7 Habeck 2018 „Wer wagt, beginnt“ S. 202 16
Flächenfraß durch Einfamilienhäuser Gottfried Herz Dipl. Ing. (FH) Architekt Mitarbeit Josefine Herz Das Einfamilienhaus nimmt ein verschwenderisches Maß an Fläche in unserer Landschaft ein. Die Einbettung der Ökonomie und des Sozialen in die Ökologie geht dabei verloren. Dabei ist der Gedanke eines Lebens im Kollektiv essenziell. Warum stapeln wir nicht die Einfamilienhäuser? 17
Vorschläge zur städtebaulichen Verdichtung ohne Wohnqualitätsver- Leitgedanken lust im Bereich zwischen 4-Zimmerwohnung und Einfamilienhaus. Basisgedanke: Resiliente Gemeinschaften fördern „Resilientes Denken heißt, eine sich ständig wandelnde Welt zu ver- Das Einfamilienhaus stehen und mit ihr zu kooperieren. Durch das Verstehen wie und warum das System als Ganzes sich verändert, sind wir besser ge- Qualitätsmerkmale wappnet, vielmehr mit dem Wandel zu gehen als ein Opfer dessen Die Qualitäten des EFH liegen neben dem Wohnen in den eige- zu sein.“ (Walker & Salt, 2006) nen „vier Wänden“ überwiegend in der Beziehung zum Außen- raum. Außen und Innen sind untrennbar miteinander verbunden. In den letzten Jahren tritt der Begriff „Resilienz“ vermehrt in den Es gibt keinen Innenraum ohne den Außenraum. Der Rechtsan- Mittelpunkt der ökologisch sozialen Bewegung hin zur Bildung spruch auf die vier Innenwände bedingt ein freistehendes Haus, einer Gesellschaft unter den Leitlinien natürlicher Gesetze, mit das man von außen betritt und um das man herum gehen kann. dem Ziel, energie- und ressourcenschonende Alternativen zum Das Wohlfühlverhalten im Innern ist bedingt durch die Lage- und derzeitigen kapitalistischen System zu finden. Aus öko-sozialer Lichtbeziehung der Räume nach außen. Wie begehen wir den Sicht bedeutet dies vor allem, unsere Gesellschaft und ihre Le- Raum? Nur durch sich Bewegen im Innen- als auch im Außen- bensweisen – immer eingebettet in das umgebende Ökosystem, raum mit deren Wechselbeziehung machen wir den Raum erleb- ob lokal oder global – neu zu definieren. Im Gegensatz zur heu- bar. Pflanzen, Gärtnern und draußen auf dem Rasen liegen ist jah- tigen Tendenz, „nachhaltig“ zu wirtschaften, durch lineare Sys- reszeitlich bedingt ein ebenso großes Bedürfnis, wie das Wohnen temoptimierung und Energieeffizienz, ob in der Produktion von und Schlafen im Innern des EFH. Gütern, der Verteilung von Wohlstand oder der Entwicklung von demokratischen Strukturen, geht die Resilienz davon aus, dass Qualitätsmerkmale im Sinne des Eigentumsrechts unsere Umwelt in ständigem dynamischen Wandel operiert und Wie der Name schon sagt: Das EFH wird von einer Rechtsperson sich adaptiert. Wir sind ein Teil dieses komplexen, sich adaptie- der Ein-Familie beherrscht. Man ist Herrscher in den eigenen vier renden Systems. Die heutige bedarfsorientierte Steuerung von Wänden und zugleich Herrscher über das Grundstück, auf dem Ressourcen erkennt die Grenzen der Vorhersehbarkeit in einem das EFH steht. Der physische Bewegungsraum ist an vier Seiten solchen System nicht an. (Walker & Salt, 2006) Unsere Wirtschaft begrenzt, was eine freie Bewegung bis dahin ermöglicht, also basiert auf einer wachsenden Effizienz und der optimierten Per- ein selbstbestimmtes Verhalten. Nur durch diesen Rechtsschutz formance einzelner Teile eines ökosozialen Systems. Hier wird ein ist die freie Bewegung im Innen- und Außenraum vor äußeren meist isolierter Vorteil für den Menschen angestrebt. Die entste- Einflüssen gesichert. All diese Faktoren haben den Ursprung im henden Konsequenzen und das Feedback einzelner Komponenten Herrschaftsanspruch. werden ignoriert. Dies führt in manchen Fällen zu irreversiblen Veränderungen im gesamten System. Eine bestimmte Effizienz ist Qualitäten des EFH wichtig für die Lebensfähigkeit. Allerdings ohne das Verstehen im Sinne des sozialen und ökologischen Umfelds und die Rücksicht auf die weiteren Antworten des Systems führt Mit Verweis auf Ansätze der Lebenszufriedenheitsforschung ar- sie nicht zu Nachhaltigkeit, sondern zu einem ökologischen und gumentiert Nico Paech, dass subjektives Wohlbefinden an Fakto- ökonomischen Zusammenbruch. Zur Stärkung von Resilienz sind ren geknüpft ist wie zwischenmenschliche Beziehungen, Gesund- Zeit, Ressourcen und eine vorausschauende, kreative Planung er- heit, Anerkennung, sowie einer intakt empfundenen Umwelt. forderlich. Häufig wird im Nachhaltigkeitsdiskurs die Vorstellung Nur wenn diese Faktoren in gegenseitiger Wechselwirkung und nicht hinterfragt, dass ein höherer Konsum zu größerem indivi- genügendem Maße gegeben sind, fühlen wir uns in der jeweils ge- duellem Glück führe; lieber wird über CO2-sparende Methoden genwärtigen Situation befriedigt und ausgeglichen. (Paech, 2012) zur Erzeugung der Verbrauchsgüter gesprochen. Wir leben jedoch Planer und Architekten sollten in der Planung von Einfamilien- in einer Zeit begrenzter Ressourcen und sollten nicht aus dem häusern und Mehr-Zimmer Wohnungen die vorgestellten Fakto- Auge verlieren, dass Zufriedenheit und Glück auch an weniger ren berücksichtigen. greifbare Dingen wie Gemeinschaft, sinnvolle Arbeit, Fähigkei- ten und Freundschaft geknüpft sind. […] Resilienz zu denken bedeutet, dass die aufeinandertreffenden Gemeinschaften nicht unerfahren, unproduktiv, abhängig und verletzlich sind, sondern vielmehr erfahren, im Übermaß produktiv, selbstständig, kurz: re- silient zu sein. (Hopkins, 2009) Die zwei Prinzipien der Resilienz sind die Suffizienz und Subsis- tenz. Suffizienz kehrt das moderne Steigerungsprinzip ins Gegen- teil um: Kreative Reduktion als Gestaltungsprinzip. Subsistenz beschreibt das Produktionsziel der weitest gehenden Selbstver- sorgung zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes einer Familie oder einer kleinen Gemeinschaft. Die Lösung liegt in der Ableh- nung des individuellen Besitzanspruches, der Stärkung eines kol- lektiven Bewusstseins über die Einbettung des Menschen in seiner Umwelt und der gemeinsamen Nutzung des Bodens. (Paech, 2012) 18
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